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Betäubungsmittel und Betrug: Wenn Sexdates zur tödlichen Falle werden

Ein Prozess am Berliner Landgericht wirft ein erschreckendes Schlaglicht auf eine oft unterschätzte Gefahr: Zwei junge Männer, 24 und 27 Jahre alt, müssen sich wegen schweren Raubes und gefährlicher Körperverletzung verantworten. Ihr Vorgehen war perfide: Im Oktober 2021 reisten sie nach Prag, um über Dating-Apps gezielt schwule Männer zu kontaktieren, diese mit K.-o.-Tropfen zu betäuben und auszurauben. Während einer der Angeklagten schweigt, sagte der jüngere unter Ausschluss der Öffentlichkeit aus – die Anklage wirft schwere Schatten auf ein Phänomen, das auch in Deutschland zunehmend Besorgnis erregt.

Zwei Opfer, schwere Folgen

Ein 31-jähriger Mann erlitt nach der Verabreichung von K.-o.-Tropfen schwere gesundheitliche Schäden, musste mehrere Wochen ins Krankenhaus und anschließend eine Reha besuchen. Im ersten Fall, einen Tag zuvor, war ein 40-jähriger Mann betroffen – ihm wurde ein Handy gestohlen. Die DNA-Spuren an den Tatorten führten schließlich zu einem der Angeklagten. Erst im Februar 2025 erhob die Berliner Staatsanwaltschaft Anklage. Der Prozess, für den sieben weitere Verhandlungstage bis Dezember angesetzt sind, zeigt exemplarisch die Brutalität dieser Verbrechen.

Ein deutschlandweites Problem mit hoher Dunkelziffer

Was in Prag geschah, ist kein Einzelfall. Auch Jungen und Männer können Opfer von Raub und Vergewaltigung unter Einsatz von K.-o.-Tropfen werden, bisher sind überwiegend Übergriffe gegen schwule Jungen und Männer bekannt geworden. Die Kölner Beratungsstelle für K.-o.-Tropfen betont: Bei schwulen Opfern ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen, und sexualisierte Gewalt gegenüber Männern wird bisher wenig thematisiert.

In Berlin stand kürzlich ein 35-Jähriger vor Gericht, der sich über eine Online-Dating-Plattform mit anderen Männern verabredet haben soll, um diese in ihren Wohnungen auszurauben, nachdem er sie durch K.-o.-Tropfen außer Gefecht gesetzt hatte. Noch dramatischer: In den letzten Jahren kam es immer wieder zu Todesfällen in Verbindung mit K.-o.-Tropfen. Ein 42-jähriger Mann starb nach einem Sexdate in Berlin, ein 56-Jähriger wurde wegen Mordes angeklagt.

Die Täter nutzen Scham und Angst aus

Die Täter machen sich zunutze, dass ihre Opfer aus Scham und aus Angst vor einem Coming-out nicht zur Polizei gehen, erklärt Tim Jänke, Ansprechperson für LGBTIQ bei der Landespolizei Schleswig-Holstein. Opfer müssen bei der Polizei ihre sexuelle Orientierung und die Nutzung von Dating-Seiten offenlegen, was häufig mit Scham und Angst vor Diskriminierung verbunden ist.

Auch in Bochum wurden bereits 2019 sechs junge Männer verurteilt, die ihre Opfer auf Dating-Apps kontaktiert, zu Sexdates eingeladen und dann ausgeraubt hatten. Die Schweizer Kantonspolizei Waadt berichtete von ähnlichen Fällen, bei denen Männer über Plattformen wie Gayromeo kontaktiert wurden. Aktivist*innen betonen, dass dies kein Einzelfall ist: "Wir beobachten weltweit, wie Dating-Apps wie Grindr genutzt werden, um gezielt schwule Männer in Fallen zu locken", so Andy Thayer vom Gay Liberation Network.

K.-o.-Tropfen: Eine unsichtbare Gefahr

Als K.-o.-Tropfen werden verschiedene Arten von Drogen bezeichnet, etwa Ketamin und GHB (Gammahydroxybuttersäure), umgangssprachlich Liquid Ecstasy genannt. K.-o.-Tropfen sind farblos und nicht zu schmecken, wenn sie in Getränke oder Speisen gemischt werden, bereits nach zehn bis 20 Minuten setzen Schwindelgefühle und Übelkeit ein, typisch ist der Gedächtnisverlust. Der Nachweis der Substanzen ist meist nur ca. 12 Stunden nach der Verabreichung möglich.

Prävention und Selbstschutz

Dating-Apps sind nach wie vor ein wichtiger und grundsätzlich sicherer Weg für queere Menschen, um Kontakte zu knüpfen. Doch Vorsicht ist geboten. Es scheint durchaus eine Idee zu sein, das Gegenüber online erst einmal genauer kennenzulernen und sich bei den ersten Treffen auf einen öffentlichen Bereich zu beschränken. Die Anlaufstellen für Lesben und Schwule in Köln helfen mit Informationen und sensibilisierten Ansprechpartnern.

Expertinnen raten: Getränke nie unbeaufsichtigt lassen, nur Drinks annehmen, deren Weg man von der Theke an verfolgt hat, und mit Freund*innen gemeinsam nach Hause gehen. Sexualisierte Gewalt unter K.-o.-Tropfen kann auch Jungen und Männern widerfahren, erste Beratung und Hilfe bietet das Hilfetelefon Gewalt gegen Männer unter der Rufnummer 0800 1239900. In Berlin bietet das schwule Anti-Gewalt-Projekt MANEO Unterstützung für Betroffene.

Ein Aufruf zur Community

Die Fälle von Übergriffen mit K.-o.-Tropfen bei Dating-App-Treffen sind ein ernstzunehmendes Problem, das die gesamte LGBTQ+-Community betrifft. Es geht nicht darum, Panik zu schüren – die meisten Dates verlaufen ohne Zwischenfälle. Aber Aufklärung, Sensibilisierung und der Mut, Übergriffe anzuzeigen, sind entscheidend, um die Dunkelziffer zu senken und Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Der Prozess in Berlin ist ein weiterer Schritt in diese Richtung.


Neue EU-Verordnung zum IBAN-Abgleich: Gefahr des Zwangsoutings für trans und nichtbinäre Menschen

Eine neue EU-weite Regelung im Zahlungsverkehr bringt ungewollte Konsequenzen für trans und nichtbinäre Menschen mit sich: Seit dem 9. Oktober 2025 müssen alle Banken im Euro-Zahlungsverkehrsraum (SEPA) vor der Freigabe einer Überweisung prüfen, ob der Name des Zahlungsempfängers mit der IBAN übereinstimmt, wie queer.de berichtet. Diese sogenannte "Verification of Payee" (VoP) soll eigentlich Betrug verhindern, doch für Menschen, die nicht unter ihrem Passnamen leben, kann sie zum Zwangsouting führen.

Was bedeutet die neue Regelung konkret?

Die Verification of Payee (VoP) ist eine Vorgabe der Europäischen Union (Verordnung (EU) 2024/886), die mit der neuen EU-Verordnung zur Regulierung von Echtzeitüberweisungen eingeführt wurde und zum 9. Oktober 2025 für alle Zahlungsdienstleister verbindlich wurde. Die Kombination aus eingegebenem Empfängernamen und eingegebener Empfänger-IBAN wird mit den bei der Empfängerbank hinterlegten Daten abgeglichen. Das Ergebnis basiert auf einem "Ampelsystem" mit den folgenden möglichen Ergebnissen: "match" (Übereinstimmung), "close match" (teilweise Übereinstimmung), "no match" (keine Übereinstimmung) oder "other" (sonstiges).

Ziel ist es, die Sicherheit im Zahlungsverkehr zu erhöhen und Betrugsversuche zu erschweren, bei denen Kriminelle Geldströme umleiten, indem sie falsche Kontodaten mit legitimen Zahlungsempfängern vermischen.

Die Problematik für trans und nichtbinäre Menschen

Für Personen, die nicht ihren Passnamen verwenden, kann dies zu einem Zwangsouting führen – dies ist beispielsweise bei nichtbinären oder trans Menschen der Fall, die keine bürokratische Namensänderung anstreben. Besonders betroffen sind auch jene, die sich eine offizielle Namensänderung wünschen, aber noch auf ihren Termin im Rahmen des Selbstbestimmungsgesetzes warten müssen.

Wenn eine Person nicht ihren Pass-Vornamen verwendet, sondern beispielsweise nur ihren Nachnamen, wird der bei der Bank eingetragene Vorname angezeigt. Dies führt zum Zwangsouting und die trans oder nichtbinäre Person kann das Konto nicht weiter verwenden, ohne dass Überweisende wissen, wie der Deadname der Person lautet.

Der Begriff "Deadname" bezeichnet den Namen einer trans Person vor ihrer Transition. Deadnaming ist die Verwendung des früheren Namens anstelle des neuen Namens. Deadnaming kann für die Psyche von trans Personen schädlich sein, da sie sich in ihrer wahren Identität als entwertet und nicht respektiert fühlen können.

Das Selbstbestimmungsgesetz: Ein Schritt vorwärts, aber Hürden bleiben

In Deutschland trat am 1. November 2024 das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) in Kraft. Das SBGG erleichtert es trans-, intergeschlechtlichen und nichtbinären Personen, ihren Geschlechtseintrag und ihre Vornamen ändern zu lassen. Die Änderung erfolgt durch eine Erklärung gegenüber dem Standesamt. Die Änderung des Geschlechtseintrags verursachte bisher lange Wartezeiten und hohe Kosten. Zudem empfanden viele Betroffene das bisherige "Transsexuellengesetz" als unwürdig und diskriminierend, da Trans-Personen zwei psychologische Gutachten einreichen mussten.

Allerdings gibt es eine wichtige Einschränkung: Drei Monate vorher muss die Änderung bei dem Standesamt angemeldet werden. Diese Wartezeit bedeutet, dass Menschen, die ihre Namen ändern möchten, mehrere Monate mit dem Risiko des Zwangsoutings durch den IBAN-Abgleich leben müssen.

Eingeschränkte Alternativen

Lastschriften und Papierüberweisungen, die nicht direkt am Schalter eingegeben werden, sind von der Regelung ausgenommen. Da jedoch nicht allen Personen Lastschriften zur Verfügung stehen, sind diese keine adäquate Alternative zur üblichen Überweisung.

Eine historische Parallele: 2009 wurde der Abgleich bereits einmal abgeschafft

Interessanterweise gab es eine ähnliche Regelung bereits in der Vergangenheit. Bis 2009 galt in Deutschland ein Abgleich von Zahlungsempfängern und Kontonummern. Diese Praxis wurde ab dem 1. November 2009 geändert und auf den Abgleich verzichtet, um unter anderem den Zahlungsverkehr ins Ausland schneller und einfacher zu gestalten. Auch damals war Grund für die Änderung eine EU-Verordnung (Verordnung 2007/64/EG). Nun, 16 Jahre später, kehrt eine ähnliche Regelung zurück – allerdings EU-weit und mit ungewollten Konsequenzen für vulnerable Gruppen.

Parallele Herausforderungen: Auch behördliche Datenerfassung problematisch

Die Problematik des Zwangsoutings beschränkt sich nicht nur auf den Bankverkehr. Das Bundesinnenministerium plant mit einer neuen Verordnung zur Umsetzung des Selbstbestimmungsgesetzes, frühere Geschlechtseinträge und Vornamen dauerhaft zu speichern und an andere Behörden zu übermitteln, wie netzpolitik.org berichtet. Der Paritätische Gesamtverband nennt die geplante Regelung "nicht verhältnismäßig" und der Bundesverband Trans* warnt vor "Zwangsoutings im Kontakt mit Behörden".

Ein Sicherheitsfeature mit diskriminierender Wirkung

Die Verification of Payee wurde mit den besten Absichten eingeführt: Schutz vor Betrug und Fehlüberweisungen. Die Niederlande haben bereits 2017 einen IBAN-Name Check eingeführt. Die dortigen Erfahrungen zeigen, dass ein Abgleich von IBAN und Empfängername Betrugsfälle effektiv reduzieren kann. Doch die Regelung zeigt einmal mehr, wie Gesetze und Verordnungen, die ohne Berücksichtigung der Lebensrealitäten marginalisierter Gruppen geschaffen werden, zu ungewollter Diskriminierung führen können.

Trans und nichtbinäre Menschen in Deutschland und der gesamten EU stehen nun vor der Wahl: Entweder riskieren sie regelmäßige Zwangsoutings im Zahlungsverkehr oder sie durchlaufen die bürokratischen Hürden einer offiziellen Namensänderung – mit allen damit verbundenen Kosten, Wartezeiten und emotionalen Belastungen. Für eine vollständig inklusive Gesellschaft müssen solche unbeabsichtigten Diskriminierungen erkannt und behoben werden.


Besorgniserregender Anstieg: Mpox-Fälle in Berlin erreichen Rekordniveau

Die Hauptstadt erlebt einen alarmierenden Anstieg der Mpox-Infektionen: In diesem Jahr wurden in Berlin bereits 160 Fälle gemeldet – mehr als in den beiden Vorjahren zusammen. Diese Entwicklung berichtet queer.de unter Berufung auf aktuelle Daten des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (Lageso). Die Zahlen verdeutlichen: Die queere Community steht erneut vor einer ernstzunehmenden gesundheitlichen Herausforderung.

Eine beunruhigende Trendwende

Nach einem anfänglichen Rückgang der Fallzahlen seit Juli – mit nur null bis vier Infektionen pro Woche – meldete das Lageso zuletzt neun neue Mpox-Fälle. Diese deutliche Zunahme innerhalb einer Woche beunruhigt Gesundheitsexpert*innen. Betroffen sind ausschließlich Männer im Alter zwischen 20 und 60 Jahren, von denen fünf bereits gegen Mpox geimpft waren – ein Hinweis darauf, dass Impfdurchbrüche vorkommen, auch wenn die Erkrankung bei Geimpften in der Regel milder verläuft.

Deutschlandweit wurden 2025 bereits 409 neue Mpox-Fälle gemeldet, was die Bedeutung der Berliner Zahlen im nationalen Kontext unterstreicht. Seit Sommer 2023 werden kontinuierlich Fallzahlen auf niedrigem Niveau gemeldet, mit einem leichten Anstieg seit Mitte 2024.

Was ist Mpox und wie wird es übertragen?

Mpox – früher als Affenpocken bezeichnet – ist eine Viruserkrankung, die durch engen Körperkontakt übertragen wird, insbesondere beim Sex. Das Virus löst vor allem Hautausschlag aus, kann aber auch Fieber und Muskelschmerzen verursachen. Die Übertragungen sind in Deutschland in erster Linie im Rahmen von sexuellen Aktivitäten erfolgt, insbesondere bei Männern, die sexuelle Kontakte mit anderen Männern haben.

Die WHO Europa betont, dass beim gegenwärtigen Mpox-Ausbruch außerhalb Afrikas die meisten Fälle unter schwulen, bisexuellen und anderen Männern mit gleichgeschlechtlichen Sexualkontakten auftraten. Wichtig ist jedoch: Die Infektion kann grundsätzlich alle Menschen betreffen, die engen körperlichen Kontakt mit einer infizierten Person haben.

Impfung als wichtiger Schutz

Die Ständige Impfkommission empfiehlt eine Mpox-Impfung für Personen mit engem Kontakt zu Erkrankten und für Männer, die gleichgeschlechtlichen Sex mit wechselnden Partnern haben. Für eine vollständige Grundimmunisierung sind zwei Impfstoffdosen im Abstand von mindestens 28 Tagen erforderlich. Der in Europa zugelassene Impfstoff Imvanex schützt wirksam vor einer Infektion und verringert deutlich das Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs.

Die Impfung ist seit Sommer 2023 über Hausarztpraxen, HIV-Schwerpunktpraxen und Gesundheitszentren verfügbar. Expert*innen raten insbesondere vor der Pride-Saison und größeren Community-Events zur Impfung, da internationale Großveranstaltungen und Festivals in den vergangenen Jahren zu längeren Übertragungsketten beigetragen haben.

Community-Engagement als Schlüssel zum Erfolg

Die queere Community hat bereits 2022 gezeigt, wie wirksam gemeinsames Handeln sein kann. In Berlin ging die wöchentliche Mpox-Fallzahl unter der laufenden Aufklärungskampagne früher zurück als in anderen deutschen Großstädten – noch bevor die Impfkampagne richtig anlief. Diese Erfolgsgeschichte basierte auf einer Kombination von Faktoren: starke ressortübergreifende Zusammenarbeit, wirksame Einbindung der betroffenen Bevölkerungsgruppen, öffentliche Gesundheitskampagnen sowie Verhaltensänderungen.

Nach dem aktuellen Anstieg der Fallzahlen fordert die Linke queer die Gesundheitsministerien auf, unverzüglich Gelder für eine zielgruppenspezifische Aufklärungskampagne bereitzustellen. Die Deutsche Aidshilfe und ihre Mitgliedsorganisationen hätten mit ihren Fachkenntnissen die Expertise, eine wirksame Präventionskampagne durchzuführen.

Keine Entwarnung in Sicht

Trotz der steigenden Zahlen bleibt die Gefährdung für die Gesundheit der breiten Bevölkerung in Deutschland nach derzeitigen Erkenntnissen gering. Dennoch mahnen Expert*innen zur Wachsamkeit. Es gebe klare Hinweise auf ein hohes Epidemie- oder sogar Pandemierisiko, darunter die Fähigkeit des Virus zur Mensch-zu-Mensch-Übertragung, warnt ein britisches Forscherduo im Fachmagazin "Nature Medicine".

Für die kommenden Monate rechnet das Lageso nicht mit Entspannung – die beginnende Festival- und Pride-Saison könnte zu weiteren Übertragungen führen. Umso wichtiger ist es, dass die Community informiert bleibt, Präventionsmaßnahmen ergreift und das Impfangebot nutzt. Mpox-Todesfälle sind in Deutschland bisher nicht beobachtet worden, doch die Erkrankung kann schmerzhaft sein und Betroffene über Wochen einschränken.

Weitere Informationen zur Mpox-Impfung bieten die Deutsche Aidshilfe und das Robert Koch-Institut.


Regenbogen wird wetterfest: Schleswig-Holstein schützt queere Menschen in Landesverfassung

Schleswig-Holstein macht Ernst mit dem verfassungsrechtlichen Schutz queerer Menschen: Der Bundesrat hatte bereits am 26. September 2025 einen entsprechenden Gesetzentwurf zur Einbringung in den Bundestag beschlossen, und nun will auch das nördlichste Bundesland queere Menschen ausdrücklich in die Landesverfassung aufnehmen. Wie queer.de berichtet, soll in Artikel 9 künftig eingefügt werden: „Niemand darf wegen seiner sexuellen Identität benachteiligt oder bevorzugt werden." Die Regierungskoalition aus CDU, Grünen, FDP und SSW brachte einen entsprechenden Gesetzentwurf ein – ein historischer Schritt für die LGBTQ+ Community im echten Norden.

„Der Regenbogen wird nun wetterfest gemacht"

Danny Clausen-Holm, Landesvorsitzender des LSVD Schleswig-Holstein, begrüßt das Vorhaben mit deutlichen Worten: „Der Regenbogen wird nun in Schleswig-Holstein wetterfest gemacht! Denn es zieht ein politisches Unwetter auf." Seine Formulierung trifft den Kern der aktuellen Debatte: In Deutschland, Europa und auch international lassen sich besorgniserregende Bestrebungen zu einer Abkehr vom freiheitlichen und gleichwertigen Verständnis der sexuellen und geschlechtlichen Identität erkennen. Der LSVD hatte bereits bei CSDs für die Aufnahme geworben und „entscheidende Überzeugungsarbeit" geleistet, wie Clausen-Holm stolz erklärt.

Die Ergänzung sei „ein Meilenstein, der für etwa acht bis zwölf Prozent der Bevölkerung ein zeitgemäßes Sicherheitspaket bildet." Diese Einschätzung unterstreicht die Bedeutung: Zwar habe sich die Lebenssituation der Betroffenen in den vergangenen zwei Jahrzehnten durch einfache Gesetze wie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz deutlich verbessert, doch nur ein im Grundgesetz verankertes Verbot schaffe einen stabilen Schutz und entziehe dieses Gleichheitsrecht dem Wechselspiel der verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Kräfte.

Schleswig-Holstein reiht sich in Vorreiter-Länder ein

Die Landesverfassungen von Berlin, Brandenburg, Bremen, vom Saarland, Sachsen-Anhalt und von Thüringen schützen ausdrücklich vor Benachteiligung oder Bevorzugung aufgrund der sexuellen Identität. Mit Schleswig-Holstein würde nun das siebte Bundesland diesem Beispiel folgen. Das erste Bundesland, das den Schutz aufnahm, war Brandenburg im Jahr 1992. Besonders bemerkenswert: Seit den 90er Jahren ist in der Brandenburger Landesverfassung der Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität verankert – das gibt es in vielen westdeutschen Landesverfassungen nicht und das steht auch nicht im Grundgesetz.

Die Verfassungsreform in Schleswig-Holstein geht über den Schutz queerer Menschen hinaus. In einem neuen Artikel 6a soll künftig auch der Schutz vor Antisemitismus, Rassismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit als Staatsziel benannt werden. Zudem sollen Kinderrechte und Rechte pflegebedürftiger Menschen gestärkt werden – ein umfassendes Paket für mehr Menschenrechtsschutz.

Bundesweiter Kampf um Grundgesetzänderung

Seit Jahrzehnten fordern queere Organisationen den ausdrücklichen Schutz queerer Menschen im deutschen Grundgesetz. Als einzige Opfergruppe des NS-Regimes sind sie bislang nicht in der Liste der geschützten Merkmale vertreten. Der Bundesrat hat am 26. September 2025 beschlossen, einen entsprechenden Gesetzentwurf von Berlin, Schleswig-Holstein und weiteren Ländern in den Bundestag einzubringen. „Deshalb wollen wir, dass die sexuelle Identität als Merkmal in Artikel 3 des Grundgesetzes aufgenommen wird. Das bekräftigt ihre Gleichstellung vor unserem höchsten Gesetz und verpflichtet zum Schutz", so Schleswig-Holsteins Sozialministerin Aminata Touré.

Doch der Weg ist steinig: Für eine Änderung des Grundgesetzes ist die Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages sowie zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates erforderlich. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages befassten sich am 9. Oktober 2025 mit der Forderung nach einer Änderung des Grundgesetzes, dazu hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen einen Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes zur ersten Lesung vorgelegt.

Union blockiert weiterhin Verfassungsschutz

Die größte Hürde bleibt die Union. Die Unionsfraktion weist den Bundesrats-Vorstoß für eine Aufnahme des Schutzkriteriums „sexuellen Identität" ins Grundgesetz zurück, die vorgeschlagene Grundgesetzänderung sei „nicht zustimmungsfähig", sagte Unions-Fraktionsvize Günter Krings (CDU). Die CDU/CSU argumentiert, der Schutz sei bereits durch bestehende Gesetze gewährleistet. „Den Grundrechtekatalog, also die Herzkammer unserer Verfassung anzutasten, bedarf es ganz besonderer Gründe", sagte Unionsfraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei (CDU), „für eine Änderung des Grundgesetzes sehe ich aber auch keinen Anlass, da der Diskriminierungsschutz aufgrund der sexuellen Orientierung bereits in Artikel 3 verwirklicht ist".

Die Haltung der Union steht im krassen Gegensatz zu den Forderungen der Community und selbst zu einigen unionsgeführten Ländern. Schleswig-Holstein, Berlin und Nordrhein-Westfalen, unionsgeführte Bundesländer, haben die Initiative gestartet. Doch während diese Länder vorangehen, lehnen große Teile der Union auf Bundesebene diese Reform ab – ein Widerspruch, der viele in der Community frustriert.

Warum verfassungsrechtlicher Schutz so wichtig ist

„Stimmungen in der Gesellschaft, Mehrheiten in Parlamenten und ja, auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts können sich ändern", argumentiert Queerbeauftragte Sophie Koch (SPD), „der Wortlaut des Grundgesetzes hingegen kann sich nur mit dem größtmöglichen Konsens ändern. Nur das Grundgesetz selbst bietet der queeren Menschen dauerhaften Schutz". Diese Argumentation ist umso dringlicher angesichts der politischen Entwicklungen: Die AfD fordert offen die Abschaffung errungener Rechte, und selbst die Union will das erst 2024 eingeführte Selbstbestimmungsgesetz wieder abschaffen.

Der Vorstoß Schleswig-Holsteins zeigt: Veränderung ist möglich, wenn Politik und Zivilgesellschaft zusammenarbeiten. Die Aufnahme in die Landesverfassung ist mehr als Symbolpolitik – sie ist ein klares Bekenntnis zu Vielfalt und Menschenwürde in bewegten Zeiten. Für die bundesweite Grundgesetzänderung aber bleibt der Weg beschwerlich, solange die Union ihre Blockadehaltung nicht aufgibt.


Zweimal verurteilt, nicht eingeschüchtert: Prediger fordert "Recht auf Hass" gegen queere Menschen

Ein Fall, der Deutschland bewegt und die Grenzen zwischen Religionsfreiheit und Volksverhetzung auslotet: Ein zweimal wegen Volksverhetzung verurteilter Prediger der "Baptistenkirche Zuverlässiges Wort Pforzheim" (BKZW) geht in die nächste Instanz. Der 33-jährige Andy Shamoon alias "Bruder Andy" will sich nicht geschlagen geben – und beruft sich dabei auf die im Grundgesetz verankerte Religions- und Meinungsfreiheit. Die Originalberichterstattung stammt von queer.de, das seit Ende 2021 ausführlich über die radikale Sekte berichtet.

Die Eskalation: Von Geldstrafen zur Verfassungsbeschwerde

Die juristische Auseinandersetzung nimmt immer dramatischere Züge an. Nachdem das Amtsgericht Pforzheim den Prediger 2024 im ersten Prozess zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 40 Euro verurteilt hatte, erhöhte das Landgericht im Berufungsprozess am Donnerstag die Höhe der Tagessätze auf 45 Euro – insgesamt 6.750 Euro. Der Vorsitzende Richter erklärte, der Angeklagte habe in der Predigt homosexuelle und queere Menschen beschimpft, ihre Menschenwürde angegriffen und ihr Lebensrecht verneint.

Die inkriminierten Äußerungen sind von erschreckender Deutlichkeit: In einer Predigt unter dem Titel "Gott hasst Menschen" erklärte Shamoon im Juni 2023, dass Homosexuelle "den Tod verdient" hätten und sie "sollten eigentlich vom Staat irgendwie vernichtet werden". Diese Predigt wurde live gestreamt und auf mehreren Internetplattformen veröffentlicht – zeitlich passend zum Pride Month.

Wenn Religion zur Rechtfertigung wird

Shamoons Verteidigungsstrategie ist bemerkenswert: Er beruft sich konsequent auf die Religionsfreiheit nach Artikel 4 des Grundgesetzes. Der 33-Jährige erklärte vor Gericht, er sei ein "sehr überzeugter Christ" und nehme die Bibel "sehr wörtlich". Er habe lediglich eine biblische Passage erklären wollen und nicht den deutschen Staat auffordern wollen, Homosexuelle zu exekutieren.

Diese Argumentation wirft grundlegende Fragen auf, die auch in Deutschland bereits kontrovers diskutiert werden. Die deutsche Verfassung schützt freie Meinungsäußerung, aber nicht Hassrede. Deutsches Recht verbietet Äußerungen, die Hass anstacheln könnten oder als beleidigend gelten. Paragraf 130 des deutschen Strafgesetzbuchs verbietet Volksverhetzung und Beleidigungen, die die Menschenwürde angreifen, und kann mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden.

Deutschland und seine besondere Verantwortung

Der Fall muss im Kontext der deutschen Geschichte betrachtet werden. Nach einer Welle von Skandalen über die Nazi-Vergangenheit westdeutscher Beamter in den 1950er Jahren wurde das Gesetz geändert, um neo-nazistische Hetze zu bekämpfen. Die Anwendung der jahrzehntealten deutschen Hassrede-Gesetze wurde nach dem dunkelsten Kapitel des Landes gestärkt und online beschleunigt, nachdem die Ermordung eines Politikers, befeuert durch das Internet, Schockwellen durch das Land sandte.

Die Zahl der Hassverbrechen gegen die LGBTQ-Community steigt in Deutschland, wobei offiziell registrierte Fälle im letzten Jahr um 15,5 Prozent auf 1.005 anstiegen, berichtet das Bundesinnenministerium. Die deutsche Trans-Aktivistin Anastasia Biefang warnte bereits 2023: "Ich höre Narrative, von denen ich dachte, wir hätten sie seit 1945 überwunden".

Eine extremistische Sekte unter Beobachtung

Die BKZW ist kein Einzelfall religiöser Radikalisierung. Das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg führt die BKZW seit Mai 2023 als Beobachtungsobjekt. Viele Predigten enthalten laut Verfassungsschutzbericht Aussagen, die Gewalt befürworten; immer wieder werde die Todesstrafe für Homosexuelle gefordert. Die BKZW lehnt demokratische Willensbildung und Entscheidungsfindung grundsätzlich ab und verbreitet in Teilen ihrer Predigten antisemitisches Gedankengut sowie staatsfeindliche Verschwörungserzählungen.

Besonders alarmierend: Als Wortführer gilt der selbsternannte Prediger Anselm Urban, der bereits vor zwei Jahren die Tötung des Grünen-Politikers Sven Lehmann und aller queeren Menschen im Land forderte. Urban entzog sich der Strafverfolgung durch Flucht in die USA, wo er Unterschlupf bei seinen Glaubensgeschwistern der Faithful Word Baptist Church in Arizona fand.

Strategische Neuausrichtung: Von der Kirche zur Evangelisationsgruppe

Die Gruppierung versucht offenbar, sich den Behörden zu entziehen. Ende 2024 hat die BKZW mehrere Internetpräsenzen in "Deutschlands Seelen Gewinnen" umbenannt und ein neues Logo veröffentlicht. Das Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet diese Entwicklung mit Sorge: Die Aktivitäten hätten sich vermehrt auf das "Seelengewinnen" verlagert – die organisierte Form der Gemeindegründung sei einer loseren Organisationsform gewichen.

Die Behörde rechnet der Gruppierung eine niedrige zweistellige Zahl an Personen zu. Über Onlineauftritte erreiche sie eine weitaus größere Zahl. Trotz der Ermittlungsverfahren und Durchsuchungen mäßigten oder distanzierten sich die Verantwortlichen nicht von ihren Positionen – im Gegenteil: Sie wiederholten die verfassungsfeindlichen Aussagen öffentlich.

Ein Präzedenzfall für Europa?

Der Fall könnte weitreichende Konsequenzen haben. Folgt man der Argumentation des Verteidigers, könnte die Sache am Ende sogar beim Bundesverfassungsgericht landen – und möglicherweise als Präzedenzfall dienen, wie Deutschland die Balance zwischen Religionsfreiheit und dem Schutz vor Hassrede austariert.

Ähnliche Fälle gibt es bereits: Der Fall von Olaf Latzel hat weniger internationale Aufmerksamkeit erhalten als ein ähnlicher in Finnland, wo eine Politikerin wegen des Tweetens von Bibelstellen angeklagt wurde. Beobachter sahen in beiden Fällen einen lang erwarteten Konflikt, da zunehmende Sorgen um die Würde und Rechte von LGBTQ-Menschen mit tiefen Verpflichtungen zur Meinungsfreiheit und religiösen Freiheit kollidieren.

Zwischen Strafverfolgung und Demokratieschutz

Der Fall zeigt exemplarisch, wie Deutschland mit extremistischen Inhalten umgeht. Eine Einheit in Niedersachsen hat in den letzten vier Jahren erfolgreich etwa 750 Hassrede-Fälle verfolgt. Die Strafen können von Geldstrafen bis zu Gefängnisstrafen für Wiederholungstäter reichen – und manchmal werden die Geräte der Täter beschlagnahmt.

Die deutsche Herangehensweise ist jedoch nicht unumstritten. Während Befürworter argumentieren, dass Grenzen notwendig sind, um die Demokratie zu schützen, warnen Kritiker vor Zensur und Einschränkungen der Meinungsfreiheit. Die Debatte spiegelt eine grundlegende gesellschaftliche Frage wider: Wo endet legitime Religionsausübung und wo beginnt strafbare Volksverhetzung?

Für die queere Community in Deutschland bedeutet dieser Fall mehr als nur eine juristische Auseinandersetzung. Es geht um die Frage, ob der Rechtsstaat sie effektiv vor Hass und Gewaltaufrufen schützen kann – auch wenn diese sich hinter religiösen Überzeugungen verstecken. Die nächsten Instanzen werden zeigen, wie ernst es Deutschland mit diesem Schutz meint.


Hassrede im Namen Gottes: Baptisten-Prediger erneut wegen Volksverhetzung verurteilt

In Deutschland wurde erneut ein klares Zeichen gegen queerfeindliche Hassrede gesetzt: Das Landgericht Karlsruhe hat im Berufungsverfahren den Prediger Andy Shamoon von der "Baptistenkirche Zuverlässiges Wort Pforzheim" (BKZW) wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 6.750 Euro verurteilt – eine höhere Strafe als in erster Instanz. Der Fall wirft ein Schlaglicht auf eine beunruhigende Entwicklung: religiös motivierter Extremismus gegen queere Menschen.

Wenn Hass zur Predigt wird

Die Worte, die Andy Shamoon alias "Bruder Andy" im Juni 2023 aussprach, waren von erschreckender Eindeutigkeit. In einer Predigt mit dem Titel "Gott hasst Menschen" sagte er, Homosexuelle hätten "den Tod verdient" und "sollten eigentlich vom Staat irgendwie vernichtet werden". Die Predigt wurde bewusst während des Pride Month live gestreamt und auf mehreren Internetplattformen veröffentlicht – ein gezielter Angriff auf die LGBTQ+ Community in ihrer wichtigsten Zeit der Sichtbarkeit.

Das Gericht war unmissverständlich: Der Angeklagte habe homosexuelle und queere Menschen beschimpft, verächtlich gemacht und ihre Menschenwürde angegriffen. Auch habe er ihnen das Lebensrecht abgesprochen, und diese Menschenwürde wiege schwerer als die Religionsfreiheit. Das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig, da beide Seiten Rechtsmittel eingelegt hatten.

Eine extremistische Sekte mit Verbindungen in die USA

Das Landesamt für Verfassungsschutz führt die BKZW seit Mai 2023 als Beobachtungsobjekt im Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates". Die Gruppierung ist kein Einzelfall religiösen Fundamentalismus, sondern Teil eines internationalen Netzwerks: Ihr Wortführer, der selbsternannte Prediger Anselm Urban, forderte bereits vor zwei Jahren die Tötung des Grünen-Politikers Sven Lehmann und aller queeren Menschen und entzog sich der Strafverfolgung durch Flucht in die USA, wo er bei der Faithful Word Baptist Church in Arizona Unterschlupf fand.

Der ideologische Fokus der BKZW liegt nach Angaben des Verfassungsschutzes auf der massiven Abwertung von Homosexuellen, die unverhohlen in öffentlich frei zugänglichen Reden gepredigt wird. In Teilen der Predigten werden gewaltbefürwortende Aussagen getroffen, die sich hauptsächlich gegen die Menschenwürde richten. Die häufig drastische Ausdrucksweise der Prediger unterstreicht die Härte der Inhalte.

Rechtsprechung als Schutzschild der Demokratie

Der Fall Shamoon ist Teil einer wichtigeren Entwicklung in Deutschland. Laut dem Lagebericht zur kriminalitätsbezogenen Sicherheit von LSBTIQ* wurden für das Jahr 2023 insgesamt 1.785 Straftaten gegen queere Personen verzeichnet, wobei zu den häufigsten Straftaten Beleidigungen, Gewalttaten, Volksverhetzungen sowie Nötigungen und Bedrohungen zählten, mit 212 Opfern von Gewalttaten.

Während Lesben, Schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen als ein abgrenzbarer Teil der Bevölkerung Ziel der volksverhetzenden Handlung sein können, gibt es trotz weit verbreiteter homophober und sexistischer Hassreden nur wenige Verurteilungen wegen Volksverhetzung. Die Verurteilung Shamoons ist daher ein wichtiges Signal.

Ein breiteres Problem: Queerfeindlichkeit im Extremismus

Die BKZW ist leider kein isoliertes Phänomen. Seit Juni 2024 geraten vermehrt Veranstaltungen der LSBTIQ-Bewegung in den Fokus insbesondere gewaltorientierter Rechtsextremisten. So kam es in den letzten Monaten wiederholt zu (versuchten) rechtsextremistischen Störaktionen von öffentlichen Veranstaltungen zum Christopher Street Day (CSD). Auch im Islamismus wird Queerfeindlichkeit umso stärker propagiert, je intensiver die Rechte Homosexueller sowie Transgender-Personen von Politik und Medien thematisiert werden.

Der Verfassungsschutz Baden-Württemberg warnt, dass verschiedene extremistische Strömungen ähnliche Argumentationsmuster nutzen, um queere Menschen zu verurteilen. Rechtsextremisten schlagen besonders häufig eine inhaltliche Brücke zwischen queeren Lebensweisen und Pädophilie und bezwecken damit eine Gleichsetzung zu Lasten queerer Menschen. Vereinzelt finden sich auch direkte Vergleiche mit sexuellen Störungen oder strafbaren Handlungen.

Trotz aller Maßnahmen: Die Hetze geht weiter

Besonders beunruhigend: Trotz Ermittlungen und Durchsuchungen mäßigten oder distanzierten sich die Verantwortlichen der BKZW nicht von ihren Positionen, sondern wiederholten die verfassungsfeindlichen Aussagen öffentlich und verbreiteten ihre extremistischen Ansichten weiter. Ende 2024 hat die BKZW mehrere Internetpräsenzen in "Deutschlands Seelen Gewinnen" umbenannt und ein neues Logo veröffentlicht – ein Versuch, der behördlichen Beobachtung zu entgehen.

Der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland (Baptisten) distanzierte sich klar von der Sekte: "Die Sekte in Pforzheim steht in keiner Beziehung zum Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden. Die Forderung nach einer Todesstrafe für Homosexuelle ist vollkommen abwegig und in höchstem Maße menschenverachtend. Wir verurteilen sie aufs Schärfste".

Was bedeutet das für die queere Community?

Die Verurteilung Shamoons ist ein Erfolg des Rechtsstaats, aber sie zeigt auch die Verwundbarkeit queerer Menschen in Deutschland. Hasstaten und Gewalt gegen queere Menschen sind menschenverachtende Straftaten. Alltäglich werden in Deutschland LSBTIQ* angegriffen. Laut offiziellen Zahlen gibt es jeden Tag mindestens drei Angriffe auf queere Menschen. Die Dunkelziffer ist deutlich höher.

Das Urteil des Landgerichts Karlsruhe sendet eine wichtige Botschaft: Auch bei religiös motivierten Äußerungen muss der Schutz aus den Grundrechten der Religionsfreiheit und der Meinungsäußerungsfreiheit zwingend zurücktreten, wenn durch diese Äußerungen die Menschenwürde anderer angegriffen wird, da die Menschenwürde als Wurzel aller Grundrechte mit keinem Einzelgrundrecht abwägungsfähig ist.

Für queere Menschen in Deutschland bedeutet dies: Der Rechtsstaat steht auf ihrer Seite. Doch die Wachsamkeit muss bleiben – denn wie der Fall der BKZW zeigt, gibt es weiterhin Gruppen, die ungehindert Hass predigen und die Vernichtung von Minderheiten fordern. Umso wichtiger ist es, dass Zivilgesellschaft, Politik und Justiz gemeinsam gegen diese Bedrohung vorgehen.


AfD Sachsen-Anhalt will "heterosexuelle Normalität" in Schulen durchsetzen – Angriff auf queere Vielfalt

Die AfD in Sachsen-Anhalt greift erneut massiv queere Menschen an: Mit einem Antrag im Landtag will die rechtsextreme Partei Lehrkräfte zu "politischer Neutralität" verpflichten und Schulnamen mit "weltanschaulicher Tendenz" verbieten. Was harmlos klingt, entpuppt sich als direkter Angriff auf die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt an Schulen. Der Landtag soll am Freitag über den kontroversen Antrag debattieren.

Tillschneider spricht offen von "Zerstörung der heterosexuellen Normalität"

AfD-Vizeparteichef Hans-Thomas Tillschneider machte im "Spiegel" deutlich, dass sich der Antrag gegen queere Menschen richtet: Die "penetrante Vielfaltspropaganda" betreibe "die Zerstörung der heterosexuellen Normalität", die "für den Fortbestand und das Gedeihen unserer Gesellschaft unerlässlich" sei. Außerdem richte sich Antirassismus laut Tillschneider gegen die "patriotische Opposition" – also seine Partei.

Tillschneider, geboren 1978 in Rumänien, ist seit März 2016 Abgeordneter im Landtag von Sachsen-Anhalt, kulturpolitischer Sprecher der AfD-Fraktion und stellvertretender Landesvorsitzender. Er gilt als Akteur des rechtsextremen Flügels der Partei. Als Beispiel für vermeintlich nicht neutrale Schulnamen nannte er die Sekundarschule "Quer-Bunt" in Querfurt.

Aktuelles Schulgesetz schützt Vielfalt – noch

Der Antrag steht in krassem Gegensatz zum geltenden Recht: Die Bildungspläne sowie die bundeslandspezifischen Schulgesetze und Richtlinien zur Sexualaufklärung legen den Rahmen dafür fest, wann, wie und in welchen Fächern sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Schule und Unterricht Eingang finden soll. Das sachsen-anhaltische Schulgesetz verpflichtet Schulen derzeit ausdrücklich, "Kenntnisse, Fähigkeiten und Werthaltungen zu vermitteln, welche die Gleichachtung und Gleichberechtigung der Menschen unabhängig von ihrer sexuellen Identität fördern, und über Möglichkeiten des Abbaus von Diskriminierungen aufzuklären."

Eine Untersuchung der Antidiskriminierungsstelle ergab, dass etwa 90 Prozent der Bevölkerung der Ansicht sind, es sollte ein Ziel der Schule sein, den Schüler*innen Akzeptanz gegenüber homo- und bisexuellen Personen zu vermitteln. Dennoch: Kinder erfahren immer noch Mobbing und Gewalt auf Schulhöfen, wenn sie LSBTI* sind oder dafür gehalten werden. Wörter wie "schwul" oder "lesbisch" werden als Schimpfwörter missbraucht und bleiben von Lehrkräften oftmals unwidersprochen.

Eine lange Geschichte der Queerfeindlichkeit

Tillschneider gilt als rechtsextremer Vordenker der AfD, der aus seiner Abneigung gegen queere Menschen nie ein Geheimnis gemacht hat. Er rief Schwule und Lesben auf, ihre sexuelle Orientierung zu verstecken, bezeichnete Homosexualität als "Abweichung" und sprach vom "Regenbogen-Trallala". Aids-Kranke seien "der Preis, den wir für ein dekadentes Gesellschaftsmodell zahlen".

2023 erklärte Tillschneider das "Regenbogenimperium" zum "Feind" der "Normalen" und sagte: "Im Widerstand gegen dieses Imperium steht uns Russland am nächsten". Die AfD in Sachsen-Anhalt ist durch den Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. In dieser Woche sorgte der Abgeordnete für Kritik, weil er an einer Geburtstagsveranstaltung für Wladimir Putin in der russischen Botschaft teilgenommen hatte.

AfD vor absoluter Mehrheit? Umfragen zeigen besorgniserregende Entwicklung

Nach einer aktuellen Wahlumfrage würde die AfD in Sachsen-Anhalt 39 Prozent erhalten, die CDU 27 Prozent, Die Linke 13 Prozent, die SPD 7 Prozent und das Bündnis Sahra Wagenknecht 6 Prozent. Die Wahl steht nächstes Jahr an. Mit dem BSW könnten beide russlandtreuen Parteien nah an einer absoluten Mehrheit der Sitze liegen.

Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse hat der Antrag keine Aussicht auf Verabschiedung. Für die Landtagswahl 2026 rechnet sich die AfD dennoch Chancen aus: In aktuellen Umfragen liegt sie mit bis zu 39 Prozent vorn. In Sachsen-Anhalt würde dennoch weiterhin eine Mehrheit der Befragten eine CDU-geführte Landesregierung bevorzugen: Rund 47 Prozent sprachen sich dafür aus – 37 Prozent für eine AfD-geführte Regierung.

Was auf dem Spiel steht: Ein Blick nach Deutschland

Die Forderungen der AfD sind kein Einzelfall. Die AfD-Fraktion hat in letzter Zeit mit mehreren kontroversen Anträgen für Aufsehen gesorgt. Sie versucht immer wieder, Bildungs- und Kulturpolitik mit der deutschen Geschichte und Identitätsfragen zu verbinden. So forderte die AfD unter anderem, die Werbekampagne des Landes mit dem Slogan "#moderndenken" durch das Motto "#deutschdenken" zu ersetzen. Zudem plädierte sie für die Abschaffung der Landeszentrale für politische Bildung.

Schon im März 2025 scheiterte die AfD-Fraktion im Landtag mit einem Antrag, Regenbogenfahnen von Schulen zu verbannen. Alle anderen Fraktionen – CDU, Linke, SPD, FDP und Grüne – lehnten den Vorstoß ab. In dem Antrag hatte die rechte Fraktion behauptet, dass die Fahne ein "politisches Bekenntnis zur LGBTQ-Bewegung" bedeute und für Heranwachsende "in höchstem Maße schädlich" sei.

In Deutschland wächst der politische als auch gesellschaftliche Druck auf queere Menschen. Rechte Parteien hetzen gegen geschlechtliche und sexuelle Vielfalt und fordern die Streichung queerer Themen aus den Lehrplänen. Umso wichtiger ist es, dass Schulen Räume schaffen, in denen queeren Jugendlichen gezeigt wird: Du bist nicht "falsch". Du bist nicht allein. Du bist richtig, genauso wie du bist. Darum braucht es sichtbare Vorbilder, Räume, die Schutz bieten und Lehrkräfte, die Haltung zeigen.

Solidarität ist jetzt gefragt

Der Antrag der AfD Sachsen-Anhalt macht deutlich: Die Angriffe auf queere Menschen und ihre Rechte werden immer dreister. Was als "Neutralität" getarnt wird, ist in Wahrheit der Versuch, Vielfalt aus den Schulen zu verbannen und eine rückwärtsgewandte Ideologie durchzusetzen. In Zeiten, in denen die AfD in Umfragen bei 39 Prozent liegt, sind Wachsamkeit und aktiver Einsatz für Demokratie und Menschenrechte wichtiger denn je.

Queere Jugendliche brauchen sichere Räume – in der Schule, in der Gesellschaft, überall. Die Debatte am Freitag im Landtag wird zeigen, ob die demokratischen Parteien geschlossen gegen diesen Angriff auf die Würde und Gleichberechtigung aller Menschen eintreten.


Ein Leben für die Gerechtigkeit: Robert Badinter zieht ins Panthéon ein

Am Donnerstagabend wurde dem verstorbenen französischen Justizminister Robert Badinter eine der höchsten Ehrungen zuteil, die Frankreich zu vergeben hat: Seine Aufnahme ins Panthéon fand am 9. Oktober 2025 statt – exakt 44 Jahre nach der Verabschiedung des Gesetzes zur Abschaffung der Todesstrafe, wie queer.de berichtet. Präsident Emmanuel Macron hielt bei der feierlichen Zeremonie eine Ansprache. Doch der Tag war überschattet von einem Hassakt: Wenige Stunden vor der Zeremonie war Badinters Grab in einer Pariser Vorstadt mit einer Hassbotschaft von Unbekannten geschändet worden.

Grabschändung überschattet Ehrung

Die Staatsanwaltschaft leitete umgehend Ermittlungen ein. Macron schrieb auf X: „Schande über diejenigen, die sein Andenken beschmutzen wollten. Die Republik ist immer stärker als der Hass". Der Vorfall erinnert schmerzlich daran, dass selbst die Erinnerung an Menschen, die ihr Leben der Menschenwürde gewidmet haben, nicht vor Angriffen sicher ist. In Deutschland sind Grabschändungen nach § 168 StGB als Störung der Totenruhe strafbar – ein ähnlicher rechtlicher Schutz besteht auch in Frankreich.

Ein Pionier für queere Rechte

Robert Badinter hat in Frankreich die Abschaffung der Todesstrafe und eines homosexuellenfeindlichen Gesetzes erkämpft. Als Justizminister erreichte er 1982 nicht nur die historische Abschaffung der Todesstrafe, sondern schaffte im selben Jahr auch ein Gesetz aus der Zeit des Vichy-Regimes ab, wonach ein höheres Schutzalter für gleichgeschlechtlichen Sex (21 Jahre bzw. seit 1974 18 Jahre) bestand als für heterosexuellen (15 Jahre). Diese Reform war ein Meilenstein für die queere Community in Frankreich.

Zum Vergleich: Der deutsche Paragraf 175, der ebenfalls gleichgeschlechtlichen Sex teilweise kriminalisierte, wurde erst zwölf Jahre später abgeschafft. Seit dem 11. Juni 1994 gibt es in Deutschland keine strafrechtliche Sondervorschrift zur Homosexualität mehr – der § 175 StGB wurde endgültig abgeschafft. Die Bundesrepublik brauchte damit 45 Jahre länger als Frankreich, um dieses diskriminierende Sonderstrafrecht zu beseitigen – alles andere als ein Ruhmesblatt für die deutsche Justizgeschichte.

Deutschland und die Todesstrafe: Ein schnellerer Abschied

Während Frankreich bei den queeren Rechten voranschritt, war Deutschland bei der Todesstrafe schneller: Im Grundgesetz der neu gegründeten Bundesrepublik hieß es bereits 1949 im Artikel 102: „Die Todesstrafe ist abgeschafft". In Frankreich wurde die Todesstrafe am 9. Oktober 1981 vom damaligen Präsidenten François Mitterrand durch die Unterzeichnung eines entsprechenden Gesetzes abgeschafft – mehr als drei Jahrzehnte später als in der BRD.

Die Entscheidung für die Abschaffung im deutschen Grundgesetz war eine direkte Reaktion auf die Nazi-Barbarei. Die SPD brachte am 6. Februar 1949 den Antrag ein, den Satz „Die Todesstrafe ist abgeschafft" in das Grundgesetz aufzunehmen, um ein erneuertes Rechtsbewusstsein der Deutschen und ihre Abkehr von der NS-„Barbarei" zu beweisen. Deutschland zeigt damit, dass historische Traumata zu progressiven Reformen führen können – eine Lektion, die universell gilt.

Eine bewegte Biografie

Der in Paris geborene Badinter stammte aus einer jüdischen Familie, die aus dem heutigen Moldau eingewandert war. Während des Zweiten Weltkriegs erlebte er als 14-Jähriger in Lyon, wie sein Vater vor seinen Augen festgenommen wurde. Der Vater starb später im NS-Vernichtungslager Sobibor in Polen. Diese traumatische Erfahrung prägte Badinters lebenslangen Einsatz für Menschenrechte und gegen staatliche Willkür.

Badinter studierte unter anderem an der Columbia University in New York, wurde Anwalt und Hochschuldozent in Paris. Immer wieder setzte er sich dafür ein, Angeklagte vor der Todesstrafe zu bewahren – in einer Zeit, als die öffentliche Meinung in Frankreich von deren Angemessenheit mehrheitlich überzeugt war. „Wenn das Urteil fiel und das Leben des Angeklagten gerettet war, habe ich das Gericht häufig durch einen Seitenausgang verlassen", erinnerte Badinter sich mit Blick auf die damaligen Proteste.

Weitere Erfolge eines Lebens für die Gerechtigkeit

Badinters Wirken ging weit über die Reformen von 1982 hinaus. 1983 erreichte er die Auslieferung des ehemaligen Gestapo-Chefs in Lyon, Klaus Barbie, aus Bolivien. Dieser wurde in Frankreich 1987 zu lebenslanger Haft verurteilt. Nach seiner Ministerzeit leitete Badinter mehrere Jahre lang den französischen Verfassungsrat. Zeit seines Lebens setzte er sich weiterhin auf internationalem Niveau für die Abschaffung der Todesstrafe ein.

Ein hochpolitischer Akt

Eine Aufnahme ins Panthéon ist in Frankreich immer eine hochpolitische Angelegenheit. Macron hatte bereits vier historischen Persönlichkeiten diese Ehre zuteil kommen lassen, unter ihnen die Auschwitz-Überlebende Simone Veil, die sich für die Entkriminalisierung von Abtreibungen eingesetzt hatte, sowie – als erste schwarze Frau – die Tänzerin und Bürgerrechtlerin Josephine Baker. Das Panthéon ist die nationale Ruhmeshalle Frankreichs und die Grabstätte berühmter französischer Persönlichkeiten.

Seine Aufnahme symbolisiert die republikanischen Werte, die er verkörperte: Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit, Einheit, Demokratie und die Vorherrschaft des Rechts. In den kommenden Monaten wird eine Ausstellung mit dem Titel „Robert Badinter. La justice au cœur" bis zum 8. März 2026 im Panthéon zu sehen sein, die sein außergewöhnliches Leben und Wirken würdigt.

Eine Mahnung für heute

Badinters Vermächtnis ist in Zeiten erstarkender rechtspopulistischer Bewegungen aktueller denn je. Sein unermüdlicher Kampf gegen die Todesstrafe und für die Gleichberechtigung aller Menschen – unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung – zeigt, dass Fortschritt nie selbstverständlich ist, sondern erkämpft werden muss. Die Grabschändung am Tag seiner größten Ehrung ist eine bittere Erinnerung daran, dass diese Kämpfe nie wirklich vorbei sind.

Robert Badinter starb im Februar 2024 im Alter von 95 Jahren. Er hinterlässt nicht nur seiner Familie – er war mit der Philosophin Elisabeth Badinter verheiratet, mit der er drei Kinder hat – sondern der gesamten Welt ein eindrucksvolles Erbe des Humanismus und der Gerechtigkeit.


EU-Kommission will gegen "Konversions­therapie" vorgehen – doch queere Organisationen fordern mehr

Die Europäische Union verstärkt ihren Kampf gegen sogenannte Konversionstherapien. Die EU-Kommission kündigte am Mittwoch an, die Mitgliedstaaten beim Verbot dieser diskriminierenden Praktiken zu unterstützen, wie sie bei der Vorstellung der neuen "LGBTIQ+ Equality Strategy 2026-2030" in Straßburg bekannt gab (Originalquelle: queer.de). Ein direktes EU-weites Verbot könne die Kommission nicht aussprechen, da dies "in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten eingreifen" würde, erklärte Gleichstellungskommissarin Hadja Lahbib, eine liberale Politikerin aus Belgien.

Was sind Konversionstherapien und warum sind sie so gefährlich?

Sogenannte Konversionstherapien zielen darauf ab, die sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität von Menschen gezielt zu ändern, wobei verschiedene Methoden wie Elektroschocks, die Einnahme von Hormonen oder exorzistische Riten zum Einsatz kommen. Die Praktiken würden häufig als "psychologische Unterstützung" getarnt, warnte Lahbib. Diese Praktiken können schwere physische und mentale Probleme verursachen und untergraben die Würde der Betroffenen – eine von vier LGBTQI+-Personen und fast die Hälfte aller transgender Menschen haben bereits solche Praktiken erlebt.

Die Vereinten Nationen haben ein weltweites Verbot von "Konversionstherapien" gefordert. Auch der Weltärztebund hat diese Praktiken mehrfach als Menschenrechtsverletzung verurteilt und vor den Gefahren für Leib und Leben gewarnt.

Deutschland als Vorreiter – aber nur mit Teilverbot

In Deutschland wurde bereits 2020 ein wichtiger Schritt unternommen: Auf Initiative des damaligen Bundesgesundheitsministers Jens Spahn (CDU) beschloss der Bundestag das "Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen", bei Verstößen drohen Freiheitsstrafen von bis zu einem Jahr oder hohe Bußgelder. Das Gesetz trat am 24. Juni 2020 in Kraft. Es verbietet Konversionstherapien bei Minderjährigen bis 18 Jahre und beinhaltet ein Werbeverbot.

Allerdings handelt es sich um ein Teilverbot: Deutschland gehört zu den ersten EU-Mitgliedsstaaten, in denen ein Verbot rechtlich verankert wurde, jedoch bezieht sich das Verbot nur auf Minderjährige. Bei Erwachsenen sind Konversionstherapien nur verboten, wenn die Einwilligung auf einem Willensmangel wie Zwang, Drohung oder Täuschung beruht.

Aktuell haben nur acht EU-Mitgliedstaaten Konversionstherapien verboten. Dazu gehören neben Deutschland auch Belgien, Zypern, Frankreich, Griechenland, Malta, Portugal und Spanien.

Die neue EU-Strategie: Fokus auf Online-Hass und Datensammlung

Die neue Strategie für 2026-2030 geht über das Thema Konversionstherapien hinaus. Neben der "Konversionstherapie" geht es auch darum, Hassrede zu bekämpfen – die Kommission will eine Wissensplattform einrichten, um Informationen über illegale Hassrede im Internet zu sammeln, zudem soll ein Aktionsplan gegen Cybermobbing zum Schutz Minderjähriger verabschiedet werden.

"Online ist ein Gift, das nicht online bleibt. Es schürt Gewalt in der realen Welt", betonte Kommissarin Lahbib. Brüssel will eine europaweite Datensammlung zu Konversionstherapien starten, um ein klareres Bild über das Ausmaß solcher Eingriffe zu erhalten, die oft als "psychologische Unterstützung" getarnt würden.

Über eine Million Menschen in ganz Europa haben eine Europäische Bürgerinitiative unterzeichnet, die ein EU-weites Verbot schädlicher Konversionstherapien fordert. Die Kommission muss nun auf diese massive Forderung reagieren.

Kritik von queeren Organisationen: "Nicht ambitioniert genug"

Trotz der Ankündigungen hagelt es Kritik von LGBTIQ+-Organisationen. Die neue Strategie fällt hinter die Ambitionen der ersten EU LGBTIQ Equality Strategy 2020-2025 zurück und erfüllt nicht die Dringlichkeit des Moments, um sicherzustellen, dass die EU die Grundrechte von LGBTI-Menschen wirklich schützt, erklärte ILGA-Europe, die queere Dachorganisation.

Katrin Hugendubel von ILGA-Europe äußerte sich besorgt: "In einer zunehmend feindlich eingestellten politischen Umwelt kommt die Frage auf: Ist diese Strategie robust genug, um die wachsenden Gefahren, die queere Menschen in der EU erfahren, entgegenzutreten? Und warum hat die EU aufgegeben, an vorderster Front LGBTI-Rechte zu verteidigen, wenn es wichtiger ist als je zuvor?"

Eine zweckmäßige Strategie hätte Pläne zur Bewältigung verbleibender legislativer Lücken bei der Freizügigkeit für alle LGBTI-Menschen und ihre Familien sowie konkrete Pläne zum Schutz von trans, intersex und nicht-binären Menschen im EU-Rechtskontext enthalten müssen. Besonders problematisch: Wenn EU-Mitgliedsländer gleichgeschlechtliche Ehen nicht anerkennen, kann es beim Umzug in diese Länder zu massiven Problemen kommen – ein Thema, das die Strategie nicht erwähnt.

Ungarn als mahnendes Beispiel: CSDs verboten

Wie dringend die EU handeln muss, zeigt das Beispiel Ungarn. Das ungarische Parlament beschloss im April 2025 eine Verfassungsänderung, die es ermöglicht, Pride-Paraden künftig zu verbieten, bei Verstößen drohen Strafen von bis zu 500 Euro. Das Parlament billigte den Gesetzesvorschlag im Eilverfahren mit 137 Ja- und 27 Nein-Stimmen, neben der Fidesz-Partei stimmten auch die rechte Jobbik-Partei und die rechtsextreme Partei Unsere Heimat dafür.

Formell ist die Neuregelung eine Ergänzung des Versammlungsgesetzes, die vorsieht, dass Versammlungen das Kinderschutzgesetz nicht verletzen dürfen – CSDs werden darin nicht explizit genannt, sind jedoch mitgemeint. Kritiker weisen darauf hin, dass die EU ihre Sanktionsmöglichkeiten gegen Länder, die EU-Grundrechte verletzen, konsequenter einsetzen müsse.

Europaabgeordnete fordern mehr Mut

Auch das LGBTIQ+-Intergroup – eine überparteiliche Gruppe von Europaabgeordneten – sieht die Strategie kritisch. Kim van Sparrentak, Co-Vorsitzende der Intergroup, begrüßte zwar die Bewertung von Online-Hass und eine mögliche Gesetzesinitiative zur Harmonisierung der Definition von Online-Hassverbrechen. "Davon abgesehen macht diese Strategie aber zu wenig, um das Leben unserer vulnerabelsten Gruppen zu verbessern, insbesondere die Trans- und Intersex-Community", so die Grünen-Politikerin aus den Niederlanden.

Die Kommission plant, das Budget für zivilgesellschaftliche Organisationen, die im Bereich Gleichstellung arbeiten, zu verdoppeln – auf 3,6 Milliarden Euro im nächsten EU-Langzeitbudget für das CERV-Programm. Ob dies ausreicht, um den wachsenden Bedrohungen für queere Menschen in Europa zu begegnen, bleibt abzuwarten.

Die neue Strategie markiert einen Schritt in die richtige Richtung, doch die Frage bleibt: Reicht das aus in Zeiten, in denen queere Rechte zunehmend unter Beschuss stehen?


Homophobes Mobbing an Rütli-Schule: Wenn das System zweimal versagt

Ein schwuler Lehrer am Campus Rütli in Berlin-Neukölln und sein Ehemann erleben seit Monaten einen Albtraum: Nächtliche anonyme Anrufe, obszöne Beleidigungen im Briefkasten, ein Klima der Angst – mutmaßlich ausgehend von Schülern der Gemeinschaftsschule. Doch statt Schutz und Aufklärung erfahren die Betroffenen vor allem eines: strukturelles Versagen. Ein für Dienstag geplantes Gespräch mit Schulleitung, Schulaufsicht und dem Queerbeauftragten wurde kurzfristig abgesagt – der hauptbetroffene Ehemann erfuhr davon nicht einmal direkt.

Wenn Opfer zu Störfaktoren werden

"Mit mir als Hauptgeschädigtem wird überhaupt nicht mehr gesprochen. Ich werde völlig aus der Kommunikation herausgenommen", kritisiert der Betroffene. Stattdessen sei ein Treffen ohne ihn und ohne den Queerbeauftragten geplant. Die Berliner Bildungsverwaltung unter CDU-Senatorin Katharina Günther-Wünsch begründet dies damit, der Ehemann stehe "in keinem dienstlichen Verhältnis zur Bildungsverwaltung". Eine Begründung, die zynisch wirkt, wenn man bedenkt, dass gerade er Ziel der Attacken wurde.

"Zur schwulenfeindlichen Gewalt der jugendlichen Täter kommt nun noch die strukturelle Gewalt dazu", formuliert der Betroffene treffend. Die Staatsanwaltschaft ermittelt inzwischen wegen Beleidigung und Nachstellung gegen mindestens einen namentlich bekannten Schüler sowie gegen Unbekannt.

Déjà-vu mit System

Der Fall erinnert erschreckend an den schwulen Lehrer Oziel Inácio-Stech von der Carl-Bolle-Grundschule in Berlin-Moabit. Auch er wurde monatelang von Schülern beschimpft – als "ekelhaft" und "unrein" bezeichnet, Kinder wollten seine Brötchen nicht mehr annehmen. Muslimische Schüler riefen, er sei "eine Familienschande", werde "in der Hölle landen" und sei "eine Schande für den Islam". Statt Unterstützung erfuhr er Gegenwind: Die Schulleitung warf ihm Fehlverhalten vor und erstattete sogar Anzeige gegen ihn. Inácio-Stech ist krankgeschrieben, leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung.

Die Bildungsverwaltung gibt an, erst durch Presseanfragen von den Mobbingvorwürfen am Campus Rütli erfahren zu haben und räumt ein: "Der Sachverhalt wurde durch Schulleitung und regionale Schulaufsicht bislang noch nicht zufriedenstellend bearbeitet". Ein Eingeständnis, das Fragen aufwirft: Wie kann eine Schulaufsicht derart versagen, dass die oberste Behörde erst aus der Zeitung erfährt?

Deutsche Parallelen: Ein strukturelles Problem

Die Berliner Fälle sind kein Einzelphänomen. Laut der EU-Grundrechteagentur gaben 48 Prozent der befragten LGBTIQ-Personen in Deutschland an, ihre sexuelle Orientierung während ihrer Schulzeit immer verheimlicht zu haben. 66 Prozent berichten, dass während ihrer Schulzeit nie LSBTIQ-Themen angesprochen wurden. 70 Prozent waren Mobbing, Spott oder Bedrohungen ausgesetzt, weil sie LSBTIQ sind.

19 Prozent der befragten LGBTIQ-Menschen in Deutschland wurden in den letzten zwölf Monaten durch Schulpersonal diskriminiert, bei 15 Prozent fand der letzte Diskriminierungsvorfall an der Schule oder Universität statt. Eine Studie der Antidiskriminierungsstelle zeigt zudem: 64 Prozent der 16- bis 29-jährigen Befragten berichten, dass ihre Lehrkräfte nie Unterrichtsbeispiele verwendeten, in denen auch LSB-Personen vorkommen.

Senatorin unter Druck

Die politische Kritik an Bildungssenatorin Günther-Wünsch verschärft sich. Grüne und Linke bringen den Fall am Donnerstag ins Berliner Abgeordnetenhaus. Sie fordern ein "systematisches Monitoring von queerfeindlicher Diskriminierung an Schulen" und sprechen von einem strukturellen Problem, nicht von Einzelfällen. Die Linke wirft der Senatorin vor, Queerfeindlichkeit zu vertuschen und bezeichnet ihr Verhalten als "eine einzige skandalöse Unverschämtheit und Ausdruck von massiver Ignoranz".

Besonders brisant: Statt Queerfeindlichkeit den Kampf anzusagen, hat die CDU-geführte Bildungsverwaltung in ihrem Haushaltsentwurf die Förderung zahlreicher queerer Bildungs- und Beratungsangebote gestrichen. Zum 1. April sollen rund 116.000 Euro für die trans und inter Beratung der Schwulenberatung und rund 500.000 Euro für die Fachstelle Queere Bildung wegfallen. Ein Signal, das in Zeiten zunehmender Queerfeindlichkeit fatale Wirkung entfaltet.

Vom Vorzeigeprojekt zum Problemfall

Die Rütli-Schule in Neukölln machte bereits 2006 bundesweit negative Schlagzeilen, als Lehrkräfte einen Brandbrief über unhaltbare Zustände schrieben. Nachdem jahrelang viel Geld investiert wurde, galt die Schule später als Vorzeigeprojekt. Der aktuelle Fall zeigt: Das Thema Queerfeindlichkeit wurde offenbar als "abgehakt" betrachtet.

Dabei haben Schulleitungen eine klare Fürsorgepflicht – sie müssen aktiv werden. Tun sie das nicht, verletzt dies ihre Pflicht. Im Fall des Campus Rütli scheint genau das passiert zu sein: Statt Aufklärung und Distanzierung soll die Schulleitung ausweichend reagiert haben. Auch das LKA zeigte sich "enttäuscht" über die fehlende Unterstützung durch die Schulleitung, die Fragen erst spät oder gar nicht beantwortete.

Was jetzt getan werden muss

Die Betroffenen fordern zu Recht mehr als Lippenbekenntnisse. Der Berliner Queerbeauftragte Alfonso Pantisano betont: "Es gibt in Berlin sehr viele Möglichkeiten zur Unterstützung. Dort können Eltern, Lehrkräfte und Schüler lernen, wie sie mit solchen Situationen umgehen – und dass Vielfalt keine Bedrohung, sondern eine Bereicherung ist".

Doch solche Angebote brauchen Finanzierung und politischen Willen. Eine Anfrage von CORRECTIV ergab: "Aktuelle wissenschaftliche Erhebungen speziell für Berlin, die nach Migrationshintergrund differenzieren, liegen nicht vor. In den zurückliegenden Legislaturperioden wurde dieses Themenfeld nicht aufgearbeitet – entsprechende Untersuchungen wurden nicht in Auftrag gegeben, da sie offenkundig politisch als diskriminierend bewertet wurden". Eine Erkenntnisvermeidung, die gefährlich ist.

Der Campus Rütli zeigt exemplarisch: Wenn Schulaufsicht versagt, Betroffene aus Gesprächen ausgeschlossen werden und queere Bildungsprojekte gekürzt werden, während gleichzeitig die Queerfeindlichkeit zunimmt, dann ist das kein Zufall – es ist politisches Versagen. Die Forderung des betroffenen Lehrer-Ehemanns nach einem Rücktritt der Senatorin mag drastisch klingen. Doch angesichts der sich häufenden Fälle und des mangelnden Schutzes für queere Lehrkräfte und ihre Angehörigen wirkt sie nachvollziehbar.

Berlin nennt sich gerne "Regenbogenhauptstadt". Die Realität an den Schulen erzählt eine andere Geschichte.


Bundestag debattiert Artikel 3: Union zögerlich, AfD schürt Ängste mit absurden Verleumdungen

Der Deutsche Bundestag hat am Donnerstag erneut über eine längst überfällige Verfassungsänderung debattiert: die Ergänzung von Artikel 3 des Grundgesetzes um das Merkmal "sexuelle Identität". Die Grünen haben einen Gesetzentwurf zur ersten Lesung vorgelegt, der auf einem Beschluss des Bundesrates vom 26. September 2025 basiert. Was folgte, war eine über einstündige Debatte, die einmal mehr offenlegte: Trotz jahrzehntelanger Diskussionen ist Deutschland von einer Verfassungsänderung zum Schutz queerer Menschen noch weit entfernt. Den vollständigen Bericht finden Sie auf queer.de.

Historischer Kontext: Eine Lücke, die seit 1949 besteht

Der Katalog der speziellen Diskriminierungsverbote in Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes blieb 1949 unvollständig. Sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität sind dort nicht erwähnt. Das wirkt sich bis heute negativ auf die Lebenssituation von LSBTIQ* aus. Die Grünen-Politikerin Nyke Slawik brachte es in der Debatte auf den Punkt: "Im Artikel 3 klafft eine Lücke, eine historische Wunde, ein bedrohliches Schweigen."

Diese Lücke hat dramatische Folgen gehabt. Bis 1994 waren sexuelle Handlungen zwischen Männern nach Paragraf 175 des Strafgesetzbuchs in Deutschland strafbar. Erst mit der Abschaffung des Paragrafen 175 im Jahr 1994 wurde das Schutzalter für homosexuelle Männer dem für andere Menschen angeglichen. Zwischen 1945 und 1969 gab es auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ca. 50.000 bis 60.000 Verurteilungen. Die Opfer dieser staatlichen Verfolgung wurden erst 2017 rehabilitiert – mehr als zwei Jahrzehnte nach der Abschaffung des menschenverachtenden Paragrafen.

Parteiübergreifende Initiative – aber die Union blockiert

Bemerkenswert ist, dass der Bundesrat am 26. September 2025 einen Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes beim Bundestag eingebracht hat. Berlins Regierender Bürgermeister und Initiator Kai Wegner (CDU) feierte den Beschluss als "wichtiges Signal für Respekt und Gleichbehandlung". Die Initiative wurde auch von den CDU-Ministerpräsidenten Daniel Günther aus Schleswig-Holstein und Hendrik Wüst aus Nordrhein-Westfalen mitgetragen.

Doch in der Bundestagsdebatte zeigte sich eine andere Realität: Die Unionsfraktion mauert. CDU- und CSU-Abgeordnete behaupteten mantrenartig, dass eine Änderung "eigentlich nicht notwendig" sei, da das Grundgesetz bereits heute Diskriminierung aufgrund sexueller Identität verbiete. Diese Argumentation ist nicht nur zynisch, sondern historisch widerlegt: Unter eben diesem Grundgesetz wurden homosexuelle Männer bis 1994 strafrechtlich verfolgt.

Der Linken-Politiker Maik Brückner widersprach der Union scharf und verwies auf Ungarn, wo sich "besorgniserregende Bestrebungen zu einer Abkehr vom freiheitlichen und gleichwertigen Verständnis der sexuellen und geschlechtlichen Identität" zeigen. Seine eindringliche Warnung an die Union: "Sie haben die Wahl: Flirt mit der extremen Rechten oder Grundgesetz stärken."

AfD schürt Ängste mit abstrusen Verleumdungen

Die AfD nutzte die Debatte für hetzerische und wissenschaftlich unhaltbare Angriffe. Gleich mehrere Redner der Rechtsaußen-Fraktion versuchten, die Ergänzung des Grundgesetzes mit Pädophilie und Zoophilie in Verbindung zu bringen. Der Abgeordnete Fabian Jacobi behauptete etwa, dass "die Feststellung, dass das sexuelle Interesse an Kindern eine Identität begründet, die dann von der Verfassung geschützt wäre", naheliege.

Diese Behauptung ist nicht nur diffamierend, sondern schlichtweg falsch: Pädosexuelle Handlungen sind und bleiben in Deutschland immer strafbar, da Kinder nicht einwilligungsfähig sind. Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits 2008 klargestellt, dass das Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung "seine Grenze findet, wo die sexuelle Selbstbestimmung anderer betroffen ist, insbesondere bei Kindern".

Stephan Brandner sorgte mit einer besonders geschmacklosen Bemerkung für einen Eklat, als er die Grünen-Politikerin Claudia Roth beleidigte. Bundestagspräsidentin Julia Klöckner griff ein und rügte: "Menschen mit unterschiedlicher sexueller Identität lächerlich zu machen, das gehört sich für dieses Hohe Haus nicht." Der SPD-Abgeordnete Helge Lindh bezeichnete die AfD in seiner Rede als "wandernden Altherrenwitz".

Warum die Verfassungsänderung notwendig ist

LSBTIQ-Personen werden in der Gesellschaft nach wie vor benachteiligt und angefeindet und sind gewaltsamen Übergriffen aufgrund ihrer sexuellen Identität ausgesetzt. Die Statistik zur politisch motivierten Kriminalität zeige, dass es im Jahr 2023 fast um die Hälfte mehr Delikte im Bereich "Sexuelle Orientierung" gegeben habe als im Vorjahr. Im Themenfeld "Geschlechtsbezogene Diversität" habe sich die Zahl der Straftaten sogar verdoppelt.

Der LSVD unterstützt seit Jahrzehnten die Forderung nach Ergänzung des Artikels 3 Absatz 3 des Grundgesetzes um den Begriff der sexuellen Identität. Die Organisation macht deutlich: Nur ein im Grundgesetz verankertes Verbot schaffe einen stabilen Schutz und entziehe dieses Gleichheitsrecht dem Wechselspiel der verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Kräfte. Dies ist besonders wichtig angesichts des Erstarkens rechtsextremer Kräfte in Deutschland und Europa.

Der schwierige Weg zur Zweidrittelmehrheit

Nun wird das Thema in den Ausschüssen besprochen. Die Vorlage wird im Anschluss der Aussprache zur weiteren Beratung an die Ausschüsse überwiesen. Die Federführung liegt beim Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz. Für eine Verabschiedung wäre eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat notwendig. Da die rechtsextreme AfD über fast ein Viertel der Sitze verfügt, müssten also – die Zustimmung von SPD, Grünen und Linken vorausgesetzt – auch die überwiegende Mehrheit der Unionsabgeordneten dafür stimmen.

Das dürfte schwierig werden. Zur Erinnerung: Bei der Abstimmung zur Ehe für alle votierten 2017 drei Viertel der Unionsabgeordneten dafür, am Ehe-Verbot für Schwule und Lesben festzuhalten. Schon 2011 scheiterte ein ähnlicher Vorstoß trotz absoluter Mehrheit an der erforderlichen Zweidrittelmehrheit. Die damalige Begründung: eine Verfassungsänderung sei lediglich "Symbolpolitik" – ein Argument, das die Union bis heute wiederholt.

Dabei waren sich bei einer Bundestagsanhörung im Jahr 2020 alle Sachverständigen einig, dass es positiv wäre, sexuelle Identität ins Grundgesetz aufzunehmen. Vielleicht sollten sich einige Unionsabgeordnete diese Einschätzungen noch einmal anhören – bevor sie erneut Geschichte auf der falschen Seite schreiben.

Immerhin gab es einen Hoffnungsschimmer: Der CDU-Politiker David Preisendanz erklärte sich als letzter Redner für eine Reform aus. Für ihn wiege schwer, "dass wir in Artikel 3 bereits heute bestimmte Gruppen explizit aufführen, die Opfer von Diskriminierung sind". Homosexuelle Menschen seien "die einzige Opfergruppe der Nationalsozialisten, die nicht in Artikel 3, Absatz 3 aufgenommen wurden, und auch unter Geltung des Grundgesetzes strafrechtlich verfolgt wurden".

Die Debatte zeigt: Auch 76 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes ist die Verfassung noch immer unvollständig. Es wird höchste Zeit, diese historische Lücke zu schließen – nicht als symbolischer Akt, sondern als notwendiger Schutz für Millionen Menschen in Deutschland.


"Das ist nicht fair" – Trans-Kind in Massachusetts Opfer transfeindlichen Angriffs

Ein 11-jähriges trans Kind wurde Anfang September an einer Schule in Marlborough, Massachusetts, Opfer eines mutmaßlichen gewalttätigen Übergriffs durch einen Mitschüler. Der Vater des Kindes berichtet, dass sein Kind jahrelang gemobbt wurde, aber erst kürzlich physisch angegriffen wurde. Der Fall, über den PinkNews berichtet, wirft ein Schlaglicht auf die anhaltende Gewalt gegen trans Kinder an Schulen – ein Problem, das auch in Deutschland alarmierend präsent ist.

Wenn Hass in Gewalt umschlägt

Die Situation eskalierte in der zweiten Schulwoche. Der Vater des betroffenen Kindes beschrieb gegenüber Boston25 News, wie die Familie gehofft hatte, dass ein Schulwechsel einen Neuanfang bedeuten würde. Doch die Hoffnung wurde schnell zerschlagen: "Irgendwie hat dieses Kind mein Kind in der zweiten Schulwoche gefunden, es im Flur abgefangen und angegriffen." Nach dem Angriff soll der Täter geschrien haben, das trans Kind sei "nicht gut darin, ein Junge zu sein" und "sollte niemals einer sein."

Der Vater konnte aufgrund des Alters beider Kinder keine Strafanzeige stellen, da das Gesetz von Massachusetts die strafrechtliche Verantwortlichkeit erst ab 12 Jahren vorsieht. 2018 wurde das Mindestalter für strafrechtliche Verantwortung in Massachusetts von 7 auf 12 Jahre angehoben. Die Frustration des Vaters ist greifbar: "Wütend, einfach nur wütend. Ich bin zur Schule gefahren und habe geschrien, und das zu Recht – es ist nicht fair, dass das passiert."

Zwischen Schutzversprechen und Realität

Die Marlborough Public Schools betonten in einer Stellungnahme, dass sie "sich für ein inklusives Umfeld einsetzen" und "kein Mobbing oder Belästigung aufgrund von Geschlechtsidentität tolerieren". Massachusetts hat 2010 eines der stärksten Anti-Mobbing-Gesetze des Landes implementiert, das strenge Anforderungen an Schulen stellt, um Schüler vor verschiedenen Formen von Mobbing zu schützen.

Doch für das betroffene Kind bleiben diese Strukturen abstrakt. "Mein Kind hat früher die Schule geliebt, und jetzt freut es sich nicht mehr darauf. Es ist jeden Tag ein Kampf, es dazu zu bringen, zur Schule zu gehen. Ein Kampf, es morgens dazu zu bringen, sich für die Schule anzuziehen", beschreibt der Vater die psychischen Folgen.

Deutschland: Ein ähnliches Bild

Die Situation in Massachusetts ist kein Einzelfall – und kein rein amerikanisches Problem. Auch in Deutschland sind trans Kinder und Jugendliche alarmierend häufig von Mobbing und Gewalt betroffen. Knapp die Hälfte der befragten jungen trans Personen in einer Studie des Deutschen Jugendinstituts gab an, an Bildungs- und Arbeitsorten beschimpft, beleidigt oder lächerlich gemacht worden zu sein. Etwa 10 Prozent wurden körperlich angegriffen oder verprügelt.

Studien zeigen, dass LSBTI die Schule als Ort erleben, an dem sie Homophobie, Transfeindlichkeit und Diskriminierung begegnen, wie der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) dokumentiert. Erfahrungen von Mobbing in der Schule und Konflikten in der Herkunftsfamilie sind unter trans Jugendlichen häufig, auch in der Öffentlichkeit kommt es regelmäßig zu transfeindlichen Diskriminierungen.

Besonders erschreckend: In der Schule sind 74 Prozent der trans Frauen, 44 Prozent der trans Männer und 53 Prozent der nicht-binären Personen ungeoutet – aus Angst vor genau solchen Übergriffen, wie sie das Kind in Massachusetts erlebt hat. 75 Prozent der trans Frauen, 63 Prozent der trans Männer und 67 Prozent der nicht-binären Befragten geben an, dass an ihrer Schule nie LSBTIQ-Themen adressiert worden sind.

Die psychischen Folgen

Die Konsequenzen von Mobbing und Gewalt gegen trans Jugendliche sind dramatisch. Von Konzentrationsstörungen über Isolation, Verlust von Vertrauen bis hin zu Depression und selbstverletzendem Verhalten reichen die Folgen. Gemobbte Jugendliche werden häufiger krank, entwickeln Angst vor der Schule und fehlen im Unterricht. Im schlimmsten Fall erleiden über lange Zeit gemobbte Jugendliche psychische Schäden, die sie ihr ganzes Leben begleiten können. Zudem besteht ein erhöhtes Suizidrisiko.

Eine französische Studie ergab, dass 69 Prozent der befragten trans Jugendlichen Suizidgedanken und 34 Prozent einen oder mehrere Suizidversuche hinter sich hatten, die im Zusammenhang mit der eigenen Trans-Identität standen. Würde an Schulen Mobbing besser bekämpft und die Akzeptanz von sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten gesteigert, könnte die Selbstmordrate unter queeren Kindern und Jugendlichen erheblich gesenkt werden, mahnen Forscher.

Was muss sich ändern?

Der Fall in Massachusetts zeigt, dass gesetzliche Rahmenbedingungen allein nicht ausreichen. Eine Schule, die ihren Schülern Sicherheit garantieren will und am Lernerfolg aller Kinder und Jugendlichen interessiert ist, muss sich der Herausforderung stellen, Maßnahmen gegen jede Art von Mobbing aufgrund der sexuellen Identität zu ergreifen.

In Deutschland wie in den USA braucht es mehr als Absichtserklärungen. Schimpfwörter dürfen nicht ignoriert werden, fordert die Landesschülervertretung Nordrhein-Westfalen. Lehrkräfte müssen sensibilisiert werden und trans Themen sollten sichtbar im Unterricht vorkommen. Es bietet sich an, transgeschlechtliche Personen in Bildern, Texten und in der Sprache im Unterricht präsent zu machen.

Der Vater des betroffenen Kindes in Massachusetts kündigte an, bei einem weiteren Vorfall Diskriminierungsklage beim Bundesstaat einzureichen. Doch das wahre Maß des Erfolgs wird darin liegen, dass es keinen weiteren Vorfall gibt – weder in Massachusetts noch an irgendeiner anderen Schule, in den USA oder in Deutschland. Jedes Kind hat das Recht, sicher zur Schule zu gehen und sich so zu entfalten, wie es ist.


Hoffnungsschimmer für lesbische Mütter: Justizministerin Hubig verspricht Reformen

In einem Interview mit der „Welt am Sonntag" macht Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) lesbischen Familien in Deutschland neue Hoffnung: "Das Familienrecht ist an vielen Stellen reformbedürftig und nicht unbedingt auf der Höhe der gesellschaftlichen Realität", so die SPD-Politikerin. Damit spricht sie ein Problem an, das tausende Regenbogenfamilien seit Jahren belastet – und das eigentlich schon 2017 mit der Einführung der Ehe für alle hätte gelöst werden müssen.

Die diskriminierende Rechtslage: Adoption statt automatischer Anerkennung

Die aktuelle Situation ist für lesbische Paare frustrierend: Wenn ein Kind in die Beziehung eines Frauenpaars hineingeboren wird, wird nach dem geltenden Abstammungsrecht nur die Geburtsmutter rechtliche Mutter des Kindes. Ihre Partnerin muss das Kind im Wege der Stiefkindadoption adoptieren, um rechtlicher Elternteil zu werden. Dies gilt selbst dann, wenn beide Frauen verheiratet sind und das Kind gemeinsam geplant haben.

Im Gegensatz dazu ist die Rechtslage bei heterosexuellen Paaren deutlich einfacher: Wird ein Kind in eine verschiedengeschlechtliche Ehe hineingeboren, gilt der Ehemann automatisch als rechtlicher Vater – unabhängig von der biologischen Vaterschaft. „Dieser Weg über das gerichtliche Adoptionsverfahren ist sehr mühsam und belastet die Familien", kritisiert Hubig gegenüber der Deutschen Presse-Agentur.

Dramatische Folgen der Rechtsunsicherheit

Die Konsequenzen dieser ungleichen Behandlung sind gravierend: Diese Verfahren sind langwierig und kostenintensiv. Noch schwerwiegender ist jedoch die rechtliche Lücke während des Adoptionsprozesses. Hubig betonte gegenüber der dpa auch die Problematik, dass aktuell im Todesfall der leiblichen Mutter nach der Geburt das Kind rechtlich gesehen eine Vollwaise ist, die Partnerin hat dann keinerlei Handhabe.

Besonders bemerkenswert: Inzwischen ein Drittel aller Adoptionen in Deutschland pro Jahr machen dabei jene Stiefkindadoptionen bei lesbischen Paaren aus. Dies zeigt deutlich, wie viele Familien von dieser Diskriminierung betroffen sind.

Die übersehene Lücke von 2017

Das Abstammungsrecht ist – anders als das Adoptionsrecht – nach Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe im Oktober 2017 nicht geändert worden. Es sieht bisher keine gemeinsame Elternschaft gleichgeschlechtlicher Paare vor. Diese Lücke im Eheöffnungsgesetz war keine bewusste Entscheidung, sondern entstand durch den zeitlichen Druck: Das Gutachten des "Arbeitskreises Abstammungsrecht" beim Bundesjustizministerium für Justiz und Verbraucherschutz ist erst nach der Öffnung der Ehe am 04.07.2017 veröffentlicht worden. Das Ministerium muss jetzt auf der Grundlage dieses Gutachtens einen Gesetzentwurf formulieren.

Gerichte halten Rechtslage für verfassungswidrig

Der Druck auf die Politik wächst: Mehrfach haben in den vergangenen Jahren bereits lesbische Frauen gegen die diskriminierenden Regelungen geklagt und vor Gericht gewonnen, zuletzt betonte ein Gericht in Baden-Württemberg, dass hier von Seiten des Gesetzgebers dringender Handlungsbedarf bestehe – notfalls über das Bundesverfassungsgericht.

Beim Bundesverfassungsgericht liegen seit 2021 fünf Vorlagen unterschiedlicher Gerichte und eine Verfassungsbeschwerde, die Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des gegenwärtigen Abstammungsrechts anmelden. Hubig betont: „Ich würde mir wünschen, dass wir für sinnvolle Reformen des Familienrechts nicht erst warten, bis das Bundesverfassungsgericht uns dazu eine Aufforderung schickt", so Hubig weiter.

Pläne existieren – aber die Umsetzung stockt

Das Tragische: Die Lösung liegt bereits in der Schublade. Die Gesetzentwürfe für die familienrechtlichen Reformen (Unterhaltsrechts, Kindschaftsrecht und Abstammungsrecht) werden in dieser Legislaturperiode im Zuge der vorzeitigen Beendigung der Regierungskoalition nicht weiterverfolgt. Der Reformbedarf besteht allerdings weiterhin. Damit die in den Entwürfen enthaltenen Überlegungen für die weitere Diskussion genutzt werden können, wurden die Gesetzentwürfe als Diskussionsentwürfe veröffentlicht.

Die Ampel-Koalition hatte die Reform versprochen: Im Januar 2024 legte das Bundesjustizministerium ein Eckpunktepapier vor, das vorsah, dass wenn ein Kind in eine Partnerschaft von zwei Frauen geboren wird, die Partnerin der Frau, die das Kind geboren hat, künftig ebenfalls ohne Adoptionsverfahren Mutter des Kindes werden können sollte.

Ungewisse Zukunft unter Schwarz-Rot

Die große Frage ist nun: Wird die neue Koalition handeln? Ein Entwurf des Koalitionsvertrags hatte im März 2025 eine entsprechende Reform und die Ermöglichung der Co-Mutterschaft noch vorgesehen. Der letztlich beschlossene Koalitionsvertrag schweigt jedoch zum Abstammungsrecht. Stattdessen heißt es lediglich, man werde sich bei Familienrechtsreformen "vom Wohl des Kindes leiten lassen".

Interessanterweise zeigt sich jedoch auch in der Union Bewegung: Auch Bundeskanzler Friedrich Merz hatte in diesem Jahr inzwischen mehrfach bekundet, eine solche Gesetzesänderung ebenso höchstwahrscheinlich mitzutragen. Dies könnte ein Hoffnungsschimmer sein, denn die Reform des Abstammungsrecht keine politische Gefälligkeit, sondern verfassungsrechtliche Pflicht ist.

Parallelen in Europa: Deutschland hinkt hinterher

Während Deutschland noch diskutiert, sind andere europäische Länder längst weiter. Manche Länder lassen eine gemeinsame rechtliche Elternschaft in einer lesbischen Regenbogenfamilie auch ohne Adoption zu, indem die Ehefrau oder eingetragene Partnerin der (gebärenden) Mutter genau wie ein Ehemann automatisch rechtlicher Elternteil wird. Länder wie die Niederlande, Belgien, Spanien und skandinavische Staaten haben bereits Regelungen geschaffen, die beide Mütter von Geburt an anerkennen.

Was auf dem Spiel steht

Es geht um mehr als Bürokratie. Es geht um die Absicherung von Kindern und ihren Familien. Immer noch hat ein Kind, das in die Ehe von zwei Frauen hineingeboren wird, weiterhin nur einen rechtlichen Elternteil. Damit besteht für diese Familien die belastende Wahl zwischen nur halber Absicherung der Kinder und der zwangsweisen Adoption durch den zweiten Elternteil.

Die Aussagen von Justizministerin Hubig sind ein wichtiges Signal. Ob aus Worten Taten werden, wird sich in den kommenden Monaten zeigen müssen. Für die betroffenen Familien steht viel auf dem Spiel: rechtliche Sicherheit, gesellschaftliche Anerkennung und vor allem das Wohl ihrer Kinder. Der Druck aus der Justiz und der Zivilgesellschaft ist da – jetzt muss die Politik endlich handeln.


Prozess in Tübingen: Gewalt in Flüchtlingsunterkünften – Ein dringender Weckruf

Eine schockierende Tat erschüttert Baden-Württemberg: Weil er einen Mann aus einem Fenster gestoßen und anschließend vergewaltigt haben soll, wird einem 30-Jährigen vor dem Landgericht Tübingen der Prozess gemacht. Der Fall ereignete sich laut queer.de im November 2024 in einer Reutlinger Flüchtlingsunterkunft und wirft ein grelles Licht auf ein Problem, das viel zu lange im Schatten bleibt: die erschreckende Gewalt gegen vulnerable Gruppen in Gemeinschaftsunterkünften.

Die Tat: Brutale Gewalt nach Alkohol- und Drogenkonsum

Der 24 Jahre alte Bewohner einer Reutlinger Flüchtlingsunterkunft habe in seinem Zimmer mit einem ihm bekannten Besucher Alkohol und Marihuana konsumiert. Was dann geschah, übersteigt die Vorstellungskraft: Der Besucher soll ein Fenster geöffnet und den Zimmerbewohner hinausgestoßen haben. Beim Sturz aus dem ersten Stock erlitt der 24-Jährige schwere Verletzungen. Im Anschluss soll der 29-Jährige im Freien seinen Bekannten vergewaltigt haben. Zeugen kamen dem 24-Jährigen anschließend zu Hilfe, worauf der Täter von ihm abließ und flüchtete.

Nur dank einer sofortigen Notoperation überlebte der junge Mann. Der Tatverdächtige wurde gut eine Woche später bei einem Angehörigen in Hamburg festgenommen. Er kam in Untersuchungshaft. Es geht unter anderem um den Vorwurf des versuchten Totschlags. Ab dem 13. Oktober sollen fünf Verhandlungstermine stattfinden.

Ein strukturelles Problem: LGBTIQ*-Geflüchtete in Gefahr

Dieser Fall ist kein Einzelfall. Geflüchtete LSBTI berichten, dass sie in Erstaufnahme-Einrichtungen oder Gemeinschafts-Unterkünften von anderen Geflüchteten oder Mitarbeitenden eingeschüchtert, drangsaliert und bedroht werden. Die von den Bundesländern vorgehaltenen Flüchtlings-Sammelunterkünfte sind für LSBTI-Geflüchtete in der Regel Angsträume. Besonders alarmierend: Für die Geflüchteten ist die Angst vor Verfolgung nach ihrer Ankunft in Deutschland meist nicht vorbei. Vielmehr ist Gewalt gegen geoutete LSBTI in diesen Einrichtungen für sehr viele bittere Erfahrung.

Die Problematik ist in Deutschland gut dokumentiert. Lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche (LSBTI*) Geflüchtete waren in ihren Herkunftsländern und während der Flucht oft massiver Verfolgung ausgesetzt. In Sammelunterkünften werden sie besonders häufig Opfer LSBTI*-feindlicher Gewalt. Der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) berichtet, dass seinem Projekt "Queer Refugees Deutschland" nach wie vor viele Fälle von Gewalt in den Unterkünften gemeldet werden.

Schutzkonzepte existieren – werden aber kaum umgesetzt

Das Paradoxe: Es gibt längst Mindeststandards zum Schutz geflüchteter Menschen in Unterkünften. Die vorhandenen Empfehlungen zum Gewaltschutz für geflüchtete LSBTI finden nach wie vor zu wenig Beachtung. Wenn es überhaupt Landes-Gewaltschutz-Konzepte gibt, wurden die Mindest-Standards zum Schutz LSBTI-Geflüchteter kaum übernommen.

Die Flüchtlingsunterkünfte sind teilweise auch heute noch oftmals geprägt von Überbelegung, fehlender Privatsphäre und erheblichen Missständen hinsichtlich Hygiene und Sicherheit. Durchgängig fehlt es in großen Unterkünften an Privatsphäre. Zudem gibt es die Proteste und Angriffe aus der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Diese Zustände und Erfahrungen von Flüchtlingen führen allgemein zu einem frustrations- und aggressionsfördernden Umfeld.

Queerfeindliche Gewalt nimmt in Deutschland zu

Der Tübinger Fall muss im Kontext einer besorgniserregenden Entwicklung gesehen werden: Im Jahr 2023 wurden in Deutschland rund 1.500 Delikte gegen die sexuelle Orientierung polizeilich erfasst. Damit stieg ihre Zahl das sechste Jahr in Folge und auf einen deutlichen Höchststand. Bei den Gewalttaten gab es 212 Opfer, im Jahr 2022 waren es noch 197.

Die Zahl der Straftaten im Bereich „Sexuelle Orientierung" und „Geschlechtsbezogene Diversität" hat sich seit 2010 nahezu verzehnfacht. Trotz des Anstiegs der gemeldeten Fälle legen Erhebungen nahe, dass die Dunkelziffer weiterhin hoch ist. Besonders dramatisch: Lediglich 15 % der schwulen Befragten haben den letzten physischen Angriff oder sexualisierte Gewalterfahrung bei der Polizei angezeigt.

Was jetzt passieren muss

Der Fall in Tübingen ist ein dringender Weckruf. Behörden und Träger müssen alle Anstrengungen unternehmen, damit Flüchtlinge keine Gewalt erfahren, weder außer- noch innerhalb der Unterkünfte. Die Behörden müssen alle Anstrengungen unternehmen, damit Geflüchtete keine Gewalt erfahren. Menschenwürdige Unterkünfte mit einem ausreichenden Betreuungsschlüssel würden zudem alle Flüchtlingen zu gute kommen und zu einem weniger angespannten Umfeld führen.

Es braucht mehr als Lippenbekenntnisse: sichere Unterbringung für vulnerable Gruppen, sensibilisiertes Personal, konsequente Umsetzung bestehender Schutzkonzepte – und die klare Botschaft, dass queerfeindliche Gewalt in Deutschland keinen Platz hat. Der Prozess in Tübingen wird zeigen, ob unser Rechtssystem dieser Verantwortung gerecht wird.

Ein Urteil könnte Ende Oktober fallen.


Bizarre Notlandung in den USA: Passagier behauptet, LGBTQ+-Menschen geben ihm Krebs

Ein bizarrer Vorfall auf einem Inlandsflug in den USA hat am 3. Oktober 2025 für Schlagzeilen gesorgt und zeigt einmal mehr, wie queerfeindliche Verschwörungstheorien zu gefährlichen Situationen führen können. Ein Flugzeug der Sun Country Airlines musste auf dem Weg von Minneapolis nach Newark in Chicago notlanden, nachdem ein Passagier lautstark behauptete, LGBTQ+-Menschen würden ihm Krebs geben. Der Mann trug dabei mindestens 15 Gesichtsmasken übereinander – ein Detail, das die Absurdität der Situation unterstreicht.

Von Candy Crush zu Verschwörungstheorien

Was zunächst wie ein normaler Flug begann, entwickelte sich schnell zu einem Alptraum für Passagiere und Crew. Der Passagier spielte zwischen seinen Ausbrüchen Candy Crush auf seinem Handy, sprang aber immer wieder von seinem Sitz auf. Mitreisender Seth Evans, der direkt gegenüber saß, berichtete gegenüber der Minnesota Star Tribune, wie der Mann schrie, er würde von der LGBTQ+-Community „gang chased", „cooked" und „radiated" – und dass dies bei ihm Krebs verursache.

Besonders beunruhigend: Der Passagier erklärte mehrfach „Trump is here" und verkündete schließlich „The plane is going down!" – ein Satz, der die Piloten dazu veranlasste, einen Notfall auszurufen und nach Chicago umzuleiten.

Notlandung und polizeiliche Intervention

Nach der Landung am O'Hare International Airport wurde der Mann in Handschellen von der Polizei aus dem Flugzeug eskortiert. Passagiere mussten sitzen bleiben, während US Marshals und lokale Polizeikräfte Interviews führten, um den Vorfall zu klären. Die Fluggesellschaft bestätigte, dass „der Flug ohne Zwischenfälle gelandet sei und der betreffende Passagier den Strafverfolgungsbehörden übergeben wurde".

Queerfeindlichkeit im deutschen Kontext

Auch wenn dieser extreme Fall sich in den USA ereignete, ist Queerfeindlichkeit auch in Deutschland ein ernstzunehmendes Problem. Im Jahr 2023 wurden in Deutschland 1.785 Straftaten gegen LGBTQ+-Personen erfasst, darunter Beleidigungen, Gewalttaten, Volksverhetzungen sowie Nötigungen und Bedrohungen. Die Zahl der Straftaten im Bereich „Sexuelle Orientierung" und „Geschlechtsbezogene Diversität" hat sich seit 2010 nahezu verzehnfacht, wie das Bundesinnenministerium und das BKA berichten.

Besonders alarmierend: Trotz des Anstiegs der gemeldeten Fälle legen Erhebungen nahe, dass die Dunkelziffer weiterhin hoch ist. Viele Betroffene zeigen Vorfälle nicht an, aus Angst vor weiterer Diskriminierung oder aus Resignation.

Störende Passagiere: Ein zunehmendes Problem

Vorfälle mit störenden Passagieren sind in der Luftfahrt kein neues Phänomen. In Deutschland regeln klare Vorschriften die Rechte und Pflichten bei Notlandungen. Wenn eine Notlandung aufgrund eines aggressiven Passagiers erforderlich ist, der sich vor dem Abflug nicht auffällig verhalten hat, stellt dies einen außergewöhnlichen Umstand dar.

Dieser Fall reiht sich ein in eine besorgniserregende Serie queerfeindlicher Vorfälle im öffentlichen Raum. Auch in deutschen Schulen mehren sich die Berichte: Seit März 2024 wurden 24 Vorfälle mit Bezug zur geschlechtlichen oder sexuellen Identität registriert, elf Fälle waren explizit queerfeindlich, wie das baden-württembergische Kultusministerium mitteilte.

Was wir daraus lernen können

Dieser bizarre Vorfall zeigt mehrere wichtige Aspekte auf: Erstens verdeutlicht er, wie gefährlich Verschwörungstheorien und queerfeindliche Ideologien werden können, wenn sie mit psychischen Problemen zusammentreffen. Zweitens unterstreicht er die Notwendigkeit, dass Flugpersonal auf solche Situationen vorbereitet sein muss. Und drittens macht er deutlich, dass LGBTQ+-Feindlichkeit nicht nur ein abstraktes Problem ist, sondern reale Auswirkungen auf die Sicherheit aller hat.

Die Geschichte nahm glücklicherweise ein glimpfliches Ende: Nach der Verzögerung konnte der Flug seine Reise nach Newark fortsetzen, und niemand wurde verletzt. Doch sie sollte uns alle daran erinnern, dass der Kampf gegen Queerfeindlichkeit und Verschwörungstheorien noch lange nicht gewonnen ist – weder in den USA noch in Deutschland.

Quelle: PinkNews


AfD blockiert queeren Verein in Merseburg – wenn Demokratiefeinde über Demokratie entscheiden

In einer Stadt in Sachsen-Anhalt ist der demokratische Auftrag des Bundesprogramms "Demokratie leben!" zur Farce geworden: Die AfD konnte in Merseburg im Ausschuss für Bildung, Soziales, Kultur und Tourismus des Stadtrats erstmals eine Aufnahme in das Bündnis verhindern, wie queer.de berichtet. Zwei Aktivist*innen des queeren Vereins BBZ Lebensart wurden von der rechtsextremen Partei blockiert – mit einer Begründung, die fassungslos macht.

Queere Menschen als "kranke Ideologie" diffamiert

Die stellvertretende AfD-Fraktionschefin Manuela Krause begründete die Ablehnung damit, dass die Inhalte des Vereins "kranke Ideologien" seien. Ihre zynische Aussage: "Aber ich bin der Meinung, solche Leute gehören nicht in derartige Gremien". Dass eine Politikerin, die in ihrem Instagram-Profilbild mit einer russischen Nationalfahne abgebildet ist, über demokratische Werte urteilt, entbehrt nicht einer bitteren Ironie.

Das BBZ "lebensart" e.V. ist ein 1990 gegründeter, gemeinnütziger Verein, der sich für die Anerkennung und Akzeptanz von geschlechtlicher und sexueller Vielfalt einsetzt. Der Verein bietet Beratung für nicht-heterosexuelle, trans- und intergeschlechtliche sowie nicht-binäre Menschen, Bildungsarbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen sowie öffentliche Veranstaltungen an. Genau diese professionelle Arbeit gegen Diskriminierung wird nun von der AfD als "krank" bezeichnet.

Wie "Partnerschaften für Demokratie" funktionieren sollen

Über die Partnerschaften für Demokratie sollen zivilgesellschaftlich und demokratisch aktive Menschen und Organisationen, die sich in ihrem kommunalen Umfeld für die Demokratie engagieren, gestärkt und vernetzt werden. Im partnerschaftlichen Zusammenwirken, insbesondere von kommunaler Verwaltung und Zivilgesellschaft, wird eine lebendige und vielfältige Demokratie vor Ort sowie eine Kultur der Kooperation, des respektvollen Miteinanders, der gegenseitigen Anerkennung und Unterstützung gestärkt.

Das Bundesprogramm "Demokratie leben!" des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend existiert seit 2015 und trägt zur Stärkung der Demokratie und zu einem friedlichen, respektvollen Umgang bei, fördert Teilhabe und ermöglicht die Arbeit gegen jede Form von Demokratiefeindlichkeit. Die Stärkung der Demokratie und die nachhaltige Bekämpfung von Extremismus, Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Muslimfeindlichkeit, Sexismus, LSBTIQ*-Feindlichkeit und anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit bedarf eines ganzheitlichen Ansatzes.

Wenn Demokratiefeinde über Demokratie entscheiden

Das Fatale an der Situation in Merseburg: Im Sozialausschuss stimmten die vier AfD-Abgeordneten gegen die Aufnahme. Vier weitere stimmten dafür, drei enthielten sich. Somit fehlte die Mehrheit. Josephin Heinz von der Koordinierungs- und Fachstelle der "Partnerschaften für Demokratie" kritisierte: "Es kann nicht sein, dass auf ein zivilgesellschaftliches Bündnis politisch Einfluss genommen wird".

Die Ironie könnte kaum größer sein: Das Landesamt für Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt stufte den AfD-Landesverband im Januar 2021 als rechtsextremen Verdachtsfall ein, im November 2023 schließlich als "gesichert rechtsextremistische Bestrebung". Eine vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestufte Partei blockiert also die Aufnahme eines Vereins in ein Demokratie-Programm mit der Begründung, dieser vertrete "kranke Ideologien".

Merseburg – eine rechtsextreme Hochburg

Die Blockade kommt nicht von ungefähr. Merseburg gilt als rechtsextreme Hochburg: Bei der letzten Bundestagswahl erhielt die AfD rund 40 Prozent der Stimmen. Der Wahlkreis wird von Sven Czekalla vertreten, der das Direktmandat bei der Landtagswahl am 6. Juni 2021 mit 41,2 % der Erststimmen erstmals gewann.

Die rechtsextreme Stimmung in der 34.000-Einwohner*innen-Stadt zeigt sich auch an anderen Vorfällen: Beim CSD in Merseburg im Juni zeigte ein Mann den Hitlergruß, wie queer.de bereits berichtete. 2018 war Merseburg bundesweit bekannt geworden, weil die Direktorin des Kulturhistorischen Museums Schloss Merseburg ein schwules Kunstwerk als "abartig" bezeichnet hatte.

Ein bundesweites Muster der AfD-Queerfeindlichkeit

Was in Merseburg geschieht, ist Teil einer systematischen Strategie. Trotz ihrer offen lesbischen Kanzlerkandidatin ist die AfD die lauteste Stimme im Bundestag gegen LGBTIQ*-Rechte. Die Partei lehnte 2017 die Legalisierung der Ehe für alle ab, forderte 2019 erfolglos deren Rücknahme und versuchte 2022 ohne Erfolg, ein Gesetz zur vereinfachten Änderung des Geschlechtseintrags für trans Personen zu blockieren.

Für die Zukunft will die AfD das Selbstbestimmungsgesetz wieder abschaffen und fordert ein Ende der „Indoktrination" von Kindern durch „Trans-Kult", „frühe Sexualisierung" und „Gender-Ideologie" sowie die Streichung aller öffentlichen Gelder für diese Bereiche. Die AfD-Fraktion will auch das Amt des Queer-Beauftragten der Bundesregierung wieder abschaffen.

Was bedeutet das für Deutschland?

Der Fall Merseburg ist ein Menetekel für die gesamte Bundesrepublik. Der Rechtsextremismusforscher Matthias Quent warnt vor einem weiteren Erstarken der AfD bei den Landtagswahlen. In aktuellen Umfragen ist die AfD in Sachsen-Anhalt stärkste politische Kraft. Nach einer aktuellen Wahlumfrage würden die AfD 39%, die CDU 27%, Die Linke 13% und die SPD 7% erhalten.

Wenn eine als rechtsextremistisch eingestufte Partei demokratische Institutionen und Förderprogramme von innen heraus blockieren kann, ist die Demokratie in Gefahr. Diese Projekte geraten nun vermehrt ins Fadenkreuz der AfD. Was in Merseburg begann, könnte sich bundesweit wiederholen – überall dort, wo die AfD an kommunaler Macht gewinnt.

Das BBZ Lebensart leistet seit über drei Jahrzehnten wichtige Arbeit für queere Menschen in Sachsen-Anhalt. Diese Arbeit als "kranke Ideologie" zu diffamieren und aktiv zu blockieren, zeigt das wahre Gesicht der AfD – unabhängig davon, wer an ihrer Spitze steht. Demokratie, Vielfalt und Menschenwürde sind keine Verhandlungsmasse. Sie sind das Fundament unserer Gesellschaft.


LGBTQ+ Radiosender in Belfast: Ofcom-Urteil sorgt für Kopfschütteln in der queeren Community

Die britische Medienaufsichtsbehörde Ofcom hat den LGBTQ+ Radiosender Juice aus Belfast wegen angeblich unzureichender queerer Inhalte gerügt – eine Entscheidung, die bei Betroffenen und Beobachter*innen für Fassungslosigkeit sorgt. Die Regulierungsbehörde befand, dass der Sender nicht genug Programme ausstrahle, die der queeren Community gewidmet sind, obwohl Juice Radio explizit gegründet wurde, um „eine Community für Menschen jeden Alters zu schaffen, die sich als LGBT identifizieren, um ihre Bestrebungen, Anliegen, Erfolge und Themen zu präsentieren und zu diskutieren".

Eine widersprüchliche Regulierungsgeschichte

Die Geschichte von Juice Radio und Ofcom liest sich wie ein bürokratisches Drama voller Wendungen. 2022 hatte Ofcom zunächst geurteilt, dass Juice „nicht seine Verpflichtung erfülle, LGBT-Hymnen als Teil seines Musikprogramms zu senden", und den Sender stattdessen als reinen Dance-Music-Service eingestuft. Nach weiterer Beobachtung ruderte die Behörde zurück und entschied, dass Juice Radio „nicht mehr als Dance-Music-Service erscheine".

Nun, drei Jahre später, kommt Ofcom nach einer erneuten Beschwerde zu einem Urteil, das den Sender erneut in die Kritik nimmt. Die Aufsichtsbehörde erklärte, dass Juice Radio „einen allgemeinen Service ausstrahle, der nur eine sehr begrenzte Menge an speziellen Programmen für die LGBT+ Community biete, anstatt ein Service speziell für diese Community zu sein".

Was Juice Radio tatsächlich leistet

Die Vorwürfe stehen in deutlichem Kontrast zu dem, was der Sender nach eigenen Angaben bietet. Juice Radio sendete eine Show namens AMDMs (A Morning Dedicated to Matters), die als „dedizierter Raum zur Erkundung von LGBT+ Themen" konzipiert ist. Darüber hinaus strahlte der Sender ein Feature namens „Listen with Pride" aus, das über 160 Mal pro Woche Unterstützungsorganisationen hervorhob. Der Sender übertrug zudem live von Community-Events wie dem Belfast Pride und rekrutierte Community-Mitglieder als Freiwillige.

Doch Ofcom blieb unbeirrt. Die Behörde urteilte, dass die Mehrheit von Juice' Programm einem „Mainstream"-Radiosender gleiche, wobei „die gesprochenen Inhalte hauptsächlich aus Moderator*innen bestanden, die die Musik ankündigten, die innerhalb der Stunde gesendet wurde".

„Flip-Flopping" und Frustration

Shane Pearce, Gründer und Geschäftsführer von Juice Radio, bezeichnete die Entscheidung als „wirklich verblüffend" und warf Ofcom vor, bei seinen Erwartungen hin und her zu schwanken. „Vor drei Jahren forderte uns Ofcom mit der Kohärenz eines schlecht eingestellten Radiosignals heraus", sagte Pearce. „Wir verteidigten unsere Mission, die in Community, Vielfalt und authentischer Musik verwurzelt ist, und Ofcom räumte ein, dass wir ihre Anforderungen erfüllten".

„Ofcom hat seine Meinung geändert und behauptet, dass unsere immer noch konforme Musikpolitik und unser Servicecharakter nicht mehr ausreichen", so Pearce weiter.

Ein Blick nach Deutschland: Queere Radios im Überlebenskampf

Die Situation von Juice Radio erinnert an die Herausforderungen, mit denen queere Radiosender auch in Deutschland konfrontiert sind. lulu.fm war ein privater bundesweiter Hörfunksender, der sich an die LSBTIQ-Community wendete und das einzige Radioprogramm für diese Zielgruppe mit bundesweiter Rundfunklizenz und terrestrischer Verbreitung über Antenne war. Doch nach fast acht Jahren on Air stellte lulu.fm den Sendebetrieb in Deutschland zum 30. Juni 2024 ein. Gründer Frank Weiler erklärte, dass „das Herzblut-Projekt lulu.fm wirtschaftlich nicht mehr haltbar" sei.

Während in Deutschland die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit queerer Radios die größte Hürde darstellt, kämpfen Sender wie Juice in Nordirland mit der Frage, wie sie ihre queere Identität gegenüber Regulierungsbehörden „beweisen" können. In Deutschland sichern die 14 Landesmedienanstalten als Aufsichtsbehörden die Vielfalt an Meinungen, Angeboten und Anbietern in privatem Rundfunk und Telemedien, wobei die gesellschaftliche Vielfalt sich in den Gremien aller öffentlich-rechtlichen Medien und den entsprechenden Gremien der Landesmedienanstalten abbilden sollte – ein Ziel, das erst in den letzten Jahren zunehmend erreicht wird.

Doppelte Standards bei der Regulierung

Besonders bitter ist für viele die Diskrepanz in der Behandlung durch Ofcom. In einem separaten Fall verhängte Ofcom keine Sanktionen gegen GB News, nachdem der Sender wegen beleidigender Sprache gegen die Community gegen seinen Kodex verstoßen hatte – ein rechtsgerichteter Fernsehsender hatte über 71.000 Beschwerden erhalten, als Moderator Josh Howie sagte, die LGBTQ+ Community schließe „Paedos" ein.

Nach mehr als sechs Monaten Untersuchung kam Ofcom zu dem Schluss, dass GB News zwar gegen den Rundfunkkodex verstoßen habe, aber keine weiteren Maßnahmen ergriffen würden, nachdem Howie sich entschuldigte. Howie verwendete jedoch „LGB" anstelle von „LGBTQ+" wie in den ursprünglichen Kommentaren, wodurch trans Menschen scheinbar von der Entschuldigung ausgeschlossen wurden.

Die Bedeutung queerer Medienräume

Die Situation von Juice Radio wirft grundlegende Fragen über die Anerkennung und Unterstützung queerer Medienräume auf. Während Mainstream-Sender selten hinterfragt werden, müssen LGBTQ+ Radios offenbar kontinuierlich ihre Existenzberechtigung beweisen – und das nach Kriterien, die sich scheinbar willkürlich ändern können.

Für queere Communities sind solche Sender jedoch weit mehr als reine Musikprogramme. Sie bieten Sichtbarkeit, schaffen sichere Räume und vermitteln Informationen, die in Mainstream-Medien oft fehlen. Die Geschichte von Juice Radio zeigt, wie schwierig es für diese wichtigen Community-Projekte ist, zwischen den Anforderungen von Regulierungsbehörden, wirtschaftlicher Nachhaltigkeit und authentischem Community-Service zu navigieren – ein Balanceakt, der in ganz Europa queere Medien herausfordert.


Queerfeindlichkeit an Berliner Schulen: Staatsanwaltschaft ermittelt am Campus Rütli

Erneut sorgt ein Fall von Queerfeindlichkeit an einer Berliner Schule für Schlagzeilen: Nach monatelangen Beleidigungen gegen den Ehemann eines schwulen Lehrers in Berlin-Neukölln ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Beleidigung und Nachstellung. Der Vorfall ereignete sich am Campus Rütli – einer Schule, die bereits 2006 bundesweit zum Symbol für das Versagen des Schulsystems wurde und nach jahrelanger Förderung als Vorzeigeprojekt galt. Nun steht sie erneut im Fokus negativer Berichterstattung. Der ursprüngliche Bericht wurde von queer.de, Tagesspiegel und Correctiv veröffentlicht.

Der aktuelle Fall: Systematische Belästigung und Bedrohung

Der Ehemann eines Lehrers an der Gemeinschaftsschule auf dem Campus Rütli erhielt zunächst anonyme, häufig nächtliche Anrufe auf sein Handy. Später fand sich ein Schreiben mit anzüglichen Beleidigungen im Briefkasten des Paares. Die Belästigungen führten dazu, dass das Paar die Polizei verständigte. "Ich habe Angst, dass sich das Ganze wiederholt", sagte der Betroffene dem Tagesspiegel.

Das erste Verfahren gegen einen Schüler des Campus Rütli ist mittlerweile abgeschlossen. Im zweiten Verfahren dauern die Ermittlungen an, wobei versucht wird, weitere Tatverdächtige zu ermitteln – mit überwiegender Wahrscheinlichkeit aus der Schülerschaft, so ein Sprecher der Staatsanwaltschaft.

Untätigkeit der Schulleitung sorgt für Kritik

Besonders kritisch ist das Verhalten der Schulleitung: Anstatt Schüler- und Elternschaft über den Fall aufzuklären, sich entschieden von queerfeindlichem Verhalten zu distanzieren und bei der Suche nach den verantwortlichen Schülern zu helfen, soll die Schulleitung dem Lehrer und seinem Ehemann gegenüber ausweichend reagiert haben. Das Ehepaar erstattete daraufhin im Oktober vergangenen Jahres Anzeige beim Berliner Landeskriminalamt, wo der Staatsschutz in der Abteilung zur Bekämpfung von Hasskriminalität ermittelte.

Aus einem Mailverkehr mit der Ermittlungsbehörde geht hervor, dass diese „enttäuscht" über die fehlende Unterstützung der Schulleitung war. Die Schulleitung habe Fragen des LKA erst spät oder gar nicht beantwortet.

Parallelen zum Fall Oziel Inácio-Stech

Der aktuelle Fall erinnert an den des schwulen Lehrers Oziel Inácio-Stech an der Carl-Bolle-Grundschule in Berlin-Moabit. Er wurde monatelang von Schülern beschimpft mit Aussagen wie „Schwul ist ekelhaft", als „unrein" bezeichnet, körperlich bedroht. Muslimische Schüler hätten gerufen, er sei „eine Familienschande", er werde „in der Hölle landen", er sei „eine Schande für den Islam".

Es stehen schwere Vorwürfe gegen die Schulleitung im Raum, die den Lehrer nicht geschützt haben soll. Im Gegenteil habe sie nach Vorwürfen von Eltern und einer Kollegin ihm Fehlverhalten gegenüber Schülern vorgeworfen und Anzeige gegen ihn erstattet. Das Verfahren wurde später eingestellt. Inácio-Stech ist vom Arzt krankgeschrieben worden. Er leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung und warte auf einen Platz in der Reha.

„Queerfeindliche Haltungen zeigen sich vehementer"

Diese Fälle sind keine Einzelfälle. Rebecca Knecht, Vorstandsmitglied des Bundesverbands Queere Bildung, sagte: „Queerfeindliche Haltungen zeigen sich auch im Kontext Schule mittlerweile vehementer als noch vor einigen Jahren". Eine Studie „Akzeptanz sexueller Vielfalt an Berliner Schulen" von 2012 kam zu dem Ergebnis, dass 62 Prozent der Berliner Schüler der sechsten Klasse „schwul" oder „Schwuchtel" sowie 40 Prozent „Lesbe" als Schimpfwort verwenden.

Laut einer großen EU-Grundrechteagentur-Umfrage wurden 19 Prozent der befragten LGBTI-Menschen aus Deutschland in den letzten 12 Monaten durch Personal einer Schule oder Universität diskriminiert. 28 Prozent haben während ihrer Schulzeit oft negative Kommentare abgekommen oder negatives Verhalten ihnen gegenüber erfahren.

Kritik an Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch

Berlins Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) gerät wegen ihres Umgangs mit den Queerfeindlichkeitsfällen massiv in die Kritik. Linke-Politiker warfen ihr vor, Queerfeindlichkeit in Schulen nicht ernst zu nehmen und vertuscht zu haben. Eine Bildungssenatorin, die von Queerfeindlichkeit in Schulen nichts wissen will, sie vertuscht und queeren Berliner Schülern und Lehrkräften nicht nach Kräften hilft, sei für dieses Amt ungeeignet.

In einer Senatsantwort wurde bestätigt, dass dem schwulen Pädagogen nach mehreren Vorfällen am 11. März 2023 von der Schulleitung und der Schulaufsicht kein einziges Unterstützungsangebot unterbreitet worden sei. Die Frage, ob der Senat diese Nichtreaktion auf queerfeindliche Gewalt für adäquat halte, wurde nicht beantwortet.

Die schwierige Debatte um Ursachen

Die Vorfälle werfen schwierige Fragen auf. Im Raum steht bei der Debatte stets die mehr oder weniger ausgesprochene Vermutung, arabischstämmige oder muslimisch geprägte Jugendliche seien per se queerfeindlicher als Jugendliche ohne Migrationshintergrund. Aber stimmt das überhaupt – oder sind nicht andere Faktoren wie der Bildungsgrad oder die Religion wichtiger?

Die Berliner Senatsverwaltung gab zu: „Aktuelle wissenschaftliche Erhebungen speziell für Berlin, die nach Migrationshintergrund differenzieren, liegen nicht vor. In den zurückliegenden Legislaturperioden wurde dieses Themenfeld nicht aufgearbeitet – entsprechende Untersuchungen wurden nicht in Auftrag gegeben". Die Debatte ist nicht auf Schulen allein begrenzt, und Queerfeindlichkeit ist in vielen gesellschaftlichen Milieus ein Problem. Gerade, wenn sie aus migrantischen Milieus stammt, tun sich aber offenbar viele schwer damit.

Berlins Strategie gegen Queerfeindlichkeit

Als Reaktion auf die zunehmenden Vorfälle hat Berlin eine „Landesstrategie für queere Sicherheit und gegen Queerfeindlichkeit" entwickelt. Ein Runder Tisch hat 40 Maßnahmen beschlossen. Laut Sozialverwaltung hatten mehr als 400 Menschen aus der Community sowie aus Behörden und Verwaltungen 17 Monate lang diskutiert.

In Kinderschutz- und Gewaltschutzkonzepten an Schulen soll Queerfeindlichkeit verankert werden. Werden Schulen neu gebaut oder saniert, sollen verpflichtend geschlechtsunspezifische Toiletten und Umkleiden eingerichtet werden. Doch gleichzeitig kürzt der Senat die Mittel für queere Bildungsprojekte – eine Kritikerin nannte dies „gerade mit Blick auf die Vorgänge an der Carl-Bolle-Grundschule ein politisches Armutszeugnis".

Was Schulen jetzt tun müssen

Fachkräfte brauchen vor allem konkretes Handlungswissen: Sie engagieren sich mehr für LSBTI, wenn sie wissen, wie sie konkret gegen Diskriminierung vorgehen können, wo sie geeignete Materialien finden, die Vielfalt berücksichtigen, und dass sie mit ihrem Verhalten die Situation von LGBTI-Schülern tatsächlich verbessern können, so eine aktuelle Studie.

LGBTI-Jugendliche wünschen sich von den Fachkräften vor allem, dass diese ihre Schüler über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt informieren, beispielsweise indem sie durch Workshops persönlichen Kontakt zu LGBTI ermöglichen. Ebenfalls forderten sie, dass Fachkräfte Diskriminierung ernsthaft thematisieren, etwa indem sie darauf hinweisen, welche negativen Auswirkungen die Verwendung von „schwul", „Lesbe" oder „Transe" als Schimpfwörter haben.

Die aktuellen Fälle zeigen: Berlin hat ein massives Problem mit Queerfeindlichkeit an Schulen – und noch mehr mit dem Umgang damit. Solange Schulleitungen und Behörden wegschauen, werden queere Lehrkräfte und Schüler weiterhin allein gelassen. Die Stadt muss endlich handeln – mit konkreten Maßnahmen, ausreichender Finanzierung und vor allem: mit dem Willen, hinzuschauen statt zu vertuschen.


"Kiss me, Hardy" – Wenn Museen queere Geschichte neu interpretieren

Die Walker Art Gallery in Liverpool hat eine Debatte ausgelöst, die weit über die Kunstwelt hinausgeht: Die renommierte britische Galerie beschreibt den Seehelden Lord Horatio Nelson als queer. Anlass dafür sind zwei Gemälde in der Galerie, die Nelsons letzte Momente an Bord der HMS Victory zeigen. Die Entscheidung, diese Werke in die LGBTQ+-Sammlung aufzunehmen, wirft grundsätzliche Fragen auf: Wie gehen wir mit der queeren Geschichte um – und welche Parallelen gibt es zu Deutschland?

Die berühmten letzten Worte

Nelson, der als einer der größten Marinekommandanten der Geschichte gilt, wurde 1805 in der Schlacht von Trafalgar tödlich getroffen. Seine letzten Worte an Kapitän Thomas Hardy sollen "Kiss me, Hardy" gewesen sein, worüber Historiker seit jeher über die genaue Natur der Beziehung zwischen Hardy und Nelson spekuliert haben. Mindestens drei Augenzeugenberichte bestätigen, dass Nelson Hardy um einen Kuss bat, und Hardy küsste ihn auf die Wange.

Die Galerie selbst bleibt vorsichtig in ihrer Interpretation: "Unabhängig von der Wahrheit ist Nelsons berühmte Bitte für viele symbolisch für die manchmal verborgene queere Geschichte des Lebens auf See". Ob ihre Beziehung sexuell war, bleibt unbekannt, aber ihre Freundschaft spiegelt die engen Beziehungen wider, die zwischen Männern auf See entstanden.

Queere Geschichte der Seefahrt – auch in Deutschland

Die Neuinterpretation von Nelsons Geschichte erinnert an ein lange tabuisiertes Kapitel der Seefahrtsgeschichte. Der Autor Klaus Hympendahl deckte in seinem Werk "Sünde auf See" auf, dass homosexuelle Beziehungen unter Piraten und Seeleuten keine Seltenheit waren. Männer, die monate- oder jahrelang dem Unwetter, der Gefahr und der Einsamkeit trotzen mussten, suchten nach menschlicher Verbindung als eine Form des emotionalen Überlebens.

Auch in der deutschen Marinegeschichte gibt es Parallelen. 1816 wurden in London vier Mitglieder der Mannschaft der "Africaine" gehängt – ihre Hinrichtung war Teil einer Kampagne, "Buggerie" in der englischen Marine zu bestrafen. Die deutsche Marine blieb von solchen Themen in der offiziellen Geschichtsschreibung lange Zeit unberührt, obwohl homosexuelle Soldaten heute in der Bundeswehr rechtlich gleichgestellt sind und das Soldatinnen- und Soldaten-Gleichbehandlungsgesetz Benachteiligungen aus Gründen der sexuellen Identität verhindern soll.

Queere Perspektiven auf deutsche Geschichte

Die Diskussion um Nelson zeigt, wie wichtig es ist, historische Figuren aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Queere Geschichte ist widersprüchlich und verweigert sich linearen Fortschrittsnarrativen – sie zeigt auch, dass queere Emanzipation zur allgemeinen Demokratisierung beitrug.

In Deutschland gibt es eine lange, oft verdrängte queere Geschichte. Rund 50.000 schwule Männer wurden während der NS-Zeit verurteilt, und viele weitere queere Personen mussten unter dem Regime und auch noch später unter LGBTQIA+-feindlichen Gesetzen leiden. Der Paragraph 175 des Strafgesetzbuches, der Homosexualität bei Männern unter Strafe stellte, war für die queere Geschichte in Deutschland von zentraler Bedeutung.

Doch es gab auch Momente des Aufbruchs: In den zwanziger Jahren herrschte eine lebendige Subkultur von Lesben und Schwulen, die ihr Zentrum in Berlin hatte. Frauen wie Lotte Hahm eröffneten Lesbenbars wie das "Monokel", bevor die Nationalsozialisten diese Kultur zerschlugen.

Zwischen Kontroverse und Aufklärung

Die Entscheidung der Walker Art Gallery stößt nicht überall auf Zustimmung. LGBTQ+-Historiker und Befürworter haben den Schritt als längst überfällige Anerkennung queerer Narrative in der britischen Geschichte begrüßt. Befürworter argumentieren, dass es nicht darum geht, Nelson definitiv zu etikettieren, sondern Raum für Interpretation zu öffnen und die Fluidität und Komplexität menschlicher Beziehungen anzuerkennen.

Die Entscheidung der Galerie ist Teil einer breiteren kulturellen Veränderung in britischen Museen, die zunehmend inklusives Storytelling annehmen – Veranstaltungen wie die Queer History Night im National Maritime Museum und Forschungsprojekte zielen darauf ab, historische Figuren durch eine vielfältigere Linse zu untersuchen.

Was bedeutet das für uns?

Die Debatte um Nelson ist mehr als eine akademische Diskussion über einen Seehelden aus dem 19. Jahrhundert. Sie fordert uns auf, darüber nachzudenken, wie wir Geschichte erzählen und wessen Geschichten wir erzählen. Das Sichtbarmachen queerer Lebensweisen in der Vergangenheit zeigt, dass die Gesellschaft schon immer vielfältiger war, als sie aus der herrschenden, heteronormativen Perspektive erscheint.

In Deutschland haben Museen und Kulturinstitutionen in den letzten Jahren ebenfalls begonnen, queere Perspektiven stärker einzubeziehen. Das Netzwerk "Museen Queeren Berlin" wurde 2016 gegründet und möchte als Forum des Austauschs eine Museumspraxis befördern, die sexueller und geschlechtlicher Vielfalt gerecht wird und so gesellschaftlichen Diskriminierungsmechanismen entgegenwirkt.

Ob Lord Nelson tatsächlich queer war, werden wir nie mit Sicherheit wissen. Aber die Auseinandersetzung mit dieser Frage öffnet wichtige Räume für Gespräche über versteckte Geschichte, über die Vielfalt menschlicher Beziehungen und darüber, wie wir Vergangenheit und Gegenwart miteinander verbinden können. Und das ist vielleicht die wichtigste Lektion: Geschichte ist nie abgeschlossen – sie wird ständig neu interpretiert, hinterfragt und erweitert.


Ermutigende HIV-Zahlen aus England – Doch Deutschland hinkt hinterher

Positive Nachrichten aus England: Die Zahl der HIV-Neudiagnosen unter schwulen und bisexuellen Männern ist um fast sechs Prozent gesunken – von 859 Fällen im Jahr 2023 auf 810 im Jahr 2024, wie die UK Health Security Agency (UKHSA) am 7. Oktober bekannt gab. Insgesamt verzeichnete das Vereinigte Königreich einen Rückgang der HIV-Neudiagnosen um vier Prozent. Diese Entwicklung zeigt eindrucksvoll, dass gezielte Präventionsmaßnahmen wirken – doch wie sieht es in Deutschland aus?

PrEP als Gamechanger in der HIV-Prävention

Ein wesentlicher Faktor für den Erfolg in England ist die steigende Nutzung der HIV-Präventionsmedikation PrEP (Prä-Expositions-Prophylaxe), die seit ihrer NHS-Einführung im Herbst 2020 jährlich zunimmt und 2024 einen Anstieg von 7,7 Prozent verzeichnete, sodass nun 111.123 Menschen darauf Zugriff haben. Die höchste PrEP-Nutzung findet sich bei weißen (79,4%) und ethnischen Minderheiten (77,8%) unter schwulen, bisexuellen und allen Männern, die Sex mit Männern haben.

Auch in Deutschland ist die PrEP seit September 2019 Kassenleistung. Bis Ende 2023 nutzten schätzungsweise 40.000 Menschen in Deutschland die PrEP, wie Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) zeigen. Fast ausschließlich handelt es sich dabei um schwule und bisexuelle Männer. Dennoch bleibt der Zugang zur PrEP in Deutschland regional stark unterschiedlich – die höchste PrEP-Abdeckung findet sich in den Stadtstaaten Berlin und Hamburg, während ländliche Regionen deutlich schlechter versorgt sind, da HIV-Schwerpunktzentren hauptsächlich in Metropolen angesiedelt sind.

Besorgniserregende Entwicklung bei jungen Menschen

Trotz der positiven Gesamtentwicklung gibt es Grund zur Sorge: In England sanken die HIV-Testraten bei jungen Menschen zwischen 15 und 24 Jahren um sieben Prozent, und diese Altersgruppe hatte mit 96 Prozent die niedrigsten Behandlungsraten im Vergleich zu 99 Prozent in allen anderen Altersgruppen, und nur 91 Prozent erreichten eine virale Suppression gegenüber 98 Prozent in der Gesamtbevölkerung.

Dr. Tamara Djuretic, Leiterin der HIV-Abteilung der UKHSA, betonte: "Wir sind besorgt über schlechtere Test- und Behandlungsergebnisse bei jungen Menschen, die sich in einer entscheidenden Phase für die Entwicklung gesunden Sexualverhaltens befinden. Eine frühzeitige Diagnose kann lebensrettend sein, also lasst euch bitte regelmäßig testen, wenn ihr sexuell aktiv seid."

Deutschland: Stagnation statt Fortschritt

Die Situation in Deutschland ist komplexer: Im Jahr 2024 wurden 3.259 HIV-Neudiagnosen in Deutschland gemeldet, wie das RKI berichtet. Bei schwulen und bisexuellen Männern stieg die Zahl der Neudiagnosen um neun Prozent innerhalb eines Jahres – auf 1.134 Fälle, was 35 Prozent aller Neudiagnosen ausmacht. Dieser Anstieg steht im deutlichen Kontrast zur positiven Entwicklung in England.

Allerdings muss diese Zahl differenziert betrachtet werden: Das RKI weist darauf hin, dass 2024 noch in erheblichem Umfang HIV-Meldungen von aus der Ukraine geflüchteten Personen erfolgten, bei denen in den meisten Fällen anzunehmen ist, dass die HIV-Diagnose bereits in der Ukraine erfolgte. Die tatsächliche Zahl der Neuinfektionen könnte daher niedriger liegen.

UNAIDS-Ziele: England vorbildlich, Deutschland mit Aufholbedarf

England erfüllt zum sechsten Mal in Folge die UNAIDS-Ziele mit 95% aller Erwachsenen mit HIV diagnostiziert, 99% der Diagnostizierten in Behandlung und 98% der Behandelten mit unterdrückter Viruslast. Das bedeutet: Menschen unter erfolgreicher Therapie können das Virus nicht mehr übertragen – ein enormer Fortschritt im Kampf gegen die Epidemie.

In Deutschland ist die Lage ähnlich positiv, was die Behandlungsqualität betrifft: Rund 92 Prozent der HIV-Infektionen sind diagnostiziert, von den Diagnostizierten sind 99 Prozent in Behandlung, und bei 96 Prozent der Behandelten ist die Therapie erfolgreich. Dennoch bleibt die Herausforderung, etwa 8.200 Menschen zu erreichen, die ohne ihr Wissen mit HIV leben.

Der Weg nach vorn: Was Deutschland von England lernen kann

Die Erfolge in England zeigen, dass konsequente Präventionsarbeit, niedrigschwellige PrEP-Angebote und gezielte Teststrategien funktionieren. Insbesondere bei schwulen Männern haben spezifische Testangebote Erfolg gezeigt, HIV wird bei vielen früher diagnostiziert und behandelt, was deren Gesundheit schützt und weitere HIV-Übertragungen verhindert – dieses Erfolgsmodell sollte noch stärker auf andere Gruppen übertragen werden, betont Sven Warminsky von der Deutschen Aidshilfe.

Die PrEP ist zwar erfolgreich, erreicht aber noch lange nicht alle Menschen, die sich damit schützen könnten – bei der PrEP müssen wir zweigleisig fahren: Zum einen gilt es, dass alle Menschen davon erfahren, für die PrEP in Frage kommt, zum anderen ist die Versorgungsstruktur noch nicht stark genug, wir brauchen mehr PrEP-verordnende Praxen, um lange Fahrwege und Wartezeiten zu vermeiden, dafür müssen die Hürden für Ärzt*innen weiter gesenkt werden.

Die Zahlen aus England machen Mut: Das Ziel von UNAIDS, die HIV-Neuinfektionen bis 2030 um 90 Prozent gegenüber 2010 zu reduzieren und die AIDS-bedingten Todesfälle um 90 Prozent zu senken, ist erreichbar – wenn die Politik die notwendigen Ressourcen bereitstellt und alle Menschen, unabhängig von Herkunft, Alter oder sozialem Status, Zugang zu Prävention, Tests und Behandlung erhalten.


Hessen unterstützt mehr als 1.000 Paare bei Kinderwunsch – auch queere Familien profitieren

Über 1.000 Paare in Hessen haben seit 2018 finanzielle Unterstützung für ihre Kinderwunschbehandlung erhalten – darunter auch gleichgeschlechtliche und transgeschlechtliche Paare. Mit der neuen Richtlinie, die zum Jahresende in Kraft trat, greift die Landesförderung erstmals auch für gleichgeschlechtliche weibliche Paare, die krankheitsbedingt kinderlos sind, und Hessen berücksichtigt als erstes Bundesland ausdrücklich Paare, bei denen eine Partnerin oder ein Partner transgeschlechtlich ist. Dies geht aus der Antwort des hessischen Familienministeriums auf eine Anfrage der FDP-Fraktion hervor.

Erfolgreiche Förderung seit 2018

Seit 2018 wurden über 800 Bewilligungen ausgesprochen. Von den bis Ende August eingereichten 1.462 Anträgen wurden 1.240 bewilligt. Der Großteil der Paare mit Kinderwunsch, nämlich 1.202, war verheiratet, während lediglich 38 Paare unverheiratet waren. Gemeinsam mit dem Bund werden Behandlungskosten bis maximal 3.300 Euro übernommen, allerdings gilt dies nur für verschiedengeschlechtliche Paare. Da der Bund bislang nur verschiedengeschlechtliche Paare fördert, ist für gleichgeschlechtliche Paare eine Landesförderung in einer Höhe bis maximal 2.200 Euro möglich.

Insgesamt wurden aus den bereitgestellten Landesmitteln gut 1,83 Millionen Euro abgerufen. Allein im laufenden Jahr wurden bislang rund 171.575 Euro für die Förderung von Kinderwunschbehandlungen ausgegeben.

Was wird gefördert?

Hessen unterstützt ergänzend zu den gesetzlich verankerten Unterstützungsmöglichkeiten einer künstlichen Befruchtung anteilig auch einen vierten Versuch einer In-Vitro-Fertilisation (IVF) und Intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI). „In Hessen fördern wir Familien unabhängig von ihrer Konstellation", sagte Sozial- und Integrationsminister Klose.

Gefördert werden Paare, die entweder verheiratet, in einer Lebenspartnerschaft nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz oder in einer festen Lebensgemeinschaft verbunden sind und sich einer der beiden Behandlungen unterziehen. Bei gleichgeschlechtlichen weiblichen Paaren und bei Paaren, bei denen eine in der Partnerschaft lebende Personen eine gebärfähige transgeschlechtliche Person ist, muss die medizinische Notwendigkeit von Maßnahmen der assistierten Reproduktion aufgrund von krankheitsbedingter Kinderlosigkeit ärztlich festgestellt worden sein und es dürfen ausschließlich Eizellen der Person verwendet werden, die anstrebt, eine assistierte Reproduktionsbehandlung an sich vornehmen zu lassen.

Bundesweite Ungleichbehandlung bleibt bestehen

Während Hessen eine Vorreiterrolle einnimmt, bleibt die Situation für queere Paare auf Bundesebene schwierig. Gleichgeschlechtliche Paare haben keinen Anspruch gegen die gesetzlichen Krankenkassen auf eine Kinderwunschbehandlung. Das Bundessozialgericht hat im Oktober 2021 entschieden, dass die Beschränkung der finanziellen Förderung auf die homologe Insemination und damit der Ausschluss gleichgeschlechtlicher Paare von der Förderung rechtmäßig sei.

Ein solcher Eingriff kostet pro Versuch mehrere tausend Euro. Die gesetzliche Krankenkasse erstattet heterosexuellen Eheleuten die Hälfte der Kosten, gleichgeschlechtliche Ehepaare bekommen keinen Cent. Diese finanzielle Hürde bedeutet, dass Menschen mit niedrigem oder mittlerem Einkommen die hohen Behandlungskosten oft nicht stemmen können.

Nur wenige Bundesländer fördern queere Paare

Bisher haben nur fünf Bundesländer eigene Regelungen geschaffen, die eine finanzielle Unterstützung für Frauenpaare vorsehen: Rheinland-Pfalz, Berlin, Bremen, das Saarland und Thüringen. Rheinland-Pfalz war das erste Bundesland, das im März 2021 die Förderung auf gleichgeschlechtliche weibliche Paare ausdehnte, die krankheitsbedingt auf eine künstliche Befruchtung angewiesen sind.

Danach folgten Berlin, Bremen, Thüringen, Hessen und das Saarland. Die Bremische Förderrichtlinie sieht sogar ausdrücklich die Förderung trans- und intergeschlechtlicher sowie nichtbinärer Personen vor. Ein wichtiger Schritt, den die Lesben- und Schwulenverband LSVD seit Jahren fordert.

Die Kosten der Ungleichheit

In Deutschland ist fast jedes zehnte Paar zwischen 25 und 59 Jahren ungewollt kinderlos und daher auf medizinische Hilfe angewiesen. Das ist nicht nur psychisch belastend, sondern auch finanziell. Menschen mit niedrigem oder mittlerem Einkommen können die hohen Behandlungskosten oft nicht stemmen.

Die Förderung in Hessen kann beim Regierungspräsidium Gießen beantragt werden. Der Antrag muss vor Beginn der Behandlung gestellt werden, und beide Partner müssen ihren Hauptwohnsitz in Hessen haben. Die Behandlung muss in einem reproduktionsmedizinischen Zentrum in Hessen durchgeführt werden.

Ein Schritt in die richtige Richtung – aber noch Luft nach oben

Hessens Vorstoß ist ein wichtiges Signal für mehr Gleichberechtigung bei der Familiengründung. Dennoch bleibt die finanzielle Ungleichbehandlung bestehen: Während verschiedengeschlechtliche verheiratete Paare sowohl von Bund als auch Land unterstützt werden, müssen queere Paare auf die Bundesförderung verzichten. Die Länder Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein sehen ausschließlich den Bundeshaushalt in der Pflicht und lehnen eine Förderung gleichgeschlechtlicher Paare aus dem Landeshaushalt grundsätzlich ab. Hier fehlt es offensichtlich am politischen Willen, Regenbogenfamilien bei der Familiengründung finanziell zu unterstützen.

Die Zahlen aus Hessen zeigen: Der Bedarf ist da. Mehr als 1.000 Paare haben die Förderung bereits in Anspruch genommen. Jetzt ist es an den anderen Bundesländern, diesem Beispiel zu folgen und endlich für gleiche Rechte bei der Familienplanung zu sorgen – unabhängig von sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität.


FBI feuert Agent wegen Pride-Flagge: Ein Alarmsignal für LGBTQ+-Rechte in den USA – und was Deutschland davon lernen kann

In den USA eskaliert die Diskriminierung von LGBTQ+-Menschen in alarmierendem Tempo: FBI-Direktor Kash Patel hat einen langjährigen FBI-Mitarbeiter gefeuert, der während einer früheren Tätigkeit eine Pride-Flagge an seinem Arbeitsplatz aufgestellt hatte. Der Angestellte befand sich zum Zeitpunkt der Kündigung in der Agentenausbildung an der FBI-Akademie in Quantico, Virginia, wie PinkNews berichtet. Der Mitarbeiter, der in seiner vorherigen Funktion mehrere Auszeichnungen für seine Arbeit erhalten hatte, war auch als Diversitätskoordinator einer FBI-Außenstelle tätig und hatte an seinem Arbeitsplatz eine Pride-Flagge aufgestellt.

Pride-Flagge als "politisches Symbol" eingestuft

In der Kündigungsmitteilung erwähnte Patel die Pride-Flagge nicht namentlich, begründete die fristlose Entlassung aber mit "schlechtem Urteilsvermögen" und einer "unangemessenen Zurschaustellung politischer Symbole". Die Ironie ist kaum zu übersehen: Zwei FBI-Veteranen teilten CNN mit, dass das Aufstellen einer Pride-Flagge am eigenen Schreibtisch historisch gesehen keine Verletzung einer FBI-Richtlinie dargestellt hätte.

Diese Entlassung ist kein Einzelfall. Die Kündigung erfolgte weniger als eine Woche, nachdem Patel mehr als ein Dutzend weitere FBI-Mitarbeiter entlassen hatte, die 2020 während einer Demonstration in der Hauptstadt im Rahmen der Kontrolle von Menschenmengen auf die Knie gegangen waren. Die symbolische Geste, mit der Solidarität mit den Black-Lives-Matter-Protesten nach dem Tod von George Floyd gezeigt wurde, wird nun Jahre später bestraft.

Systematische Säuberung queerer Personen aus dem öffentlichen Dienst

Der Fall ist Teil einer besorgniserregenden Entwicklung unter der Trump-Administration. Bürgerrechtsorganisationen beschreiben dies als eine umfassende Kampagne der Trump-Regierung, LGBTQ+-Angestellte aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen und jahrzehntelange Bemühungen um Inklusion abzubauen. Nach der Amtseinführung warnten sich FBI-Agenten gegenseitig, dass neu eingesetzte Trump-treue Führungskräfte beim FBI interne Mitarbeiterlisten durchkämmten, um Angestellte zu identifizieren, die als LGBTQ+ gelistet waren.

DOJ Pride, eine LGBTQ+-Mitarbeitergruppe im Justizministerium, wurde Ende Januar geschlossen – weniger als zehn Tage, nachdem Trump eine Executive Order unterzeichnete, die darauf abzielte, alle Diversitäts-, Gleichheits- und Inklusionsmaßnahmen aus der Bundesregierung zu entfernen. Die Gruppe stellte "mit sofortiger Wirkung" ihre Arbeit ein.

Rechtliche Grauzonen und First Amendment

Die rechtliche Dimension ist komplex. Laut einem Memo der Plattform "The Mindful Federal Employee" darf eine Behörde, die eine Bibel, einen Rosenkranz oder ein Kruzifix erlaubt, nicht gleichzeitig eine Pride-Flagge oder ein anderes identitätsbestärkendes Symbol verbieten. "Derselbe Schutz erstreckt sich auf säkulare Ausdrucksformen wie Flaggen, die LGBTQ+-Identität, Behindertenrechte oder ethnisches Erbe repräsentieren".

Die Human Rights Campaign reagierte auf die Entlassung mit der Aussage, dass dies, falls zutreffend, "das jüngste Beispiel dafür ist, wie Donald Trump, Kash Patel und die gesamte Administration die Bundesregierung als Waffe einsetzen, um Meinungsäußerungen zu unterdrücken und die Existenz unserer LGBTQ+-Community zu leugnen. Außerdem ist es illegal".

Was Deutschland von dieser Entwicklung lernen kann

Deutschland befindet sich in einer grundlegend anderen Situation als die USA. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ist 2006 in Kraft getreten und wird vor allem in zwei Lebensbereichen angewendet. Zum einen gilt der Schutz im Arbeitsleben – von der Einstellung bis zur Entlassung. Arbeitgeber sind nach dem AGG dazu verpflichtet, ihre Beschäftigten vor Diskriminierungen zu schützen.

In Deutschland wäre eine Kündigung allein wegen einer Pride-Flagge am Arbeitsplatz kaum denkbar. Das staatliche Neutralitätsgebot verlange nicht, dass im erzieherischen Bereich auf die Darstellung wertender Inhalte verzichtet werde. Es sei noch nicht die Grenze zur "politischen Indoktrinierung" überschritten. Die Flagge sei insbesondere vereinbar mit verfassungsrechtlichen und schulgesetzlichen Vorgaben, soweit sie "das Selbstverständnis bestimmter Gruppen und deren Recht zur freien Identitätsbildung" symbolisiere, entschied das Verwaltungsgericht Berlin in einem Fall über eine Progress-Pride-Flagge in einer Grundschule.

Mehr noch: Künftig darf zu Anlässen wie dem Christopher Street Day die Regenbogenflagge an Bundesgebäuden gehisst werden. "Deswegen war es mir sehr wichtig, das Hissen der Regenbogenflagge zu bestimmten Anlässen an Bundesgebäuden zu erlauben. Zum Beispiel am Christopher Street Day setzen wir so ein sichtbares Zeichen des Staates für Vielfalt und gegen jede Diskriminierung", so Bundesinnenministerin Nancy Faeser.

Dennoch: Diskriminierung bleibt auch in Deutschland ein Problem

Trotz des starken rechtlichen Schutzes zeigen Studien, dass Diskriminierung auch in Deutschland Realität bleibt. Laut einer Studie aus dem Jahr 2020 erfährt über ein Drittel der queeren Menschen in Deutschland noch immer Diskriminierung im Job, bei trans Menschen sind es sogar 43 Prozent. In einer Onlinebefragung von 4.000 jungen Berufstätigen unter 35 Jahren aus unterschiedlichen Ländern outen sich nur 37% der deutschen Befragten gegenüber ihren Arbeitskolleg*innen. Damit liegt Deutschland auf den hinteren Plätzen.

Bischof Ludger Schepers, Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für queere Seelsorge, sprach sich gegen Präsident Donald Trump aus und dessen Umgang mit LGBTQ+-Menschen. Schepers äußerte Besorgnis darüber, dass "Trump die Diskriminierungsschutzmaßnahmen für queere Menschen aufhebt und Geschlechtsminderheiten überhaupt nicht mehr anerkennt. Jeder Angriff auf die Rechte queerer Menschen bedroht die Rechte aller Menschen, die nicht den engen Vorstellungen entsprechen, wie man aussehen und sich verhalten sollte".

Ein Weckruf für Europa

Die Entwicklungen in den USA sollten als Warnsignal verstanden werden. Was in Amerika beginnt, findet oft seinen Weg über den Atlantik. Die systematische Entfernung von LGBTQ+-Personen aus dem öffentlichen Dienst, die Einstufung von Pride-Symbolen als "politisch" und die Säuberung von Diversitätsprogrammen – all das sind Mechanismen, die auch in Europa an Boden gewinnen könnten, wenn die Zivilgesellschaft nicht wachsam bleibt.

Der Fall des FBI-Agenten zeigt drastisch, wie schnell hart erkämpfte Rechte wieder erodieren können. In Deutschland und Europa müssen wir die bestehenden Schutzmaßnahmen nicht nur verteidigen, sondern weiter ausbauen. Denn wenn selbst eine Pride-Flagge am Schreibtisch zum Kündigungsgrund wird, ist das nicht nur ein Angriff auf LGBTQ+-Rechte – es ist ein Angriff auf die Grundwerte einer offenen, demokratischen Gesellschaft.

Die Bundeswehr zeigt, wie es anders geht: Verteidigungsministerin Christine Lambrecht stellte heraus: "Wir stehen für eine offene und vielfältige Bundeswehr - für Akzeptanz und Toleranz". Dieser Ansatz – Pride-Symbole als Zeichen institutioneller Wertschätzung statt als Kündigungsgrund – sollte der Standard bleiben, den wir in Europa verteidigen.


Ein historischer Moment für queere Menschen: Der Bundestag debattiert über Grundgesetz-Schutz

Am Donnerstagmorgen wird der Bundestag über einen Gesetzentwurf debattieren, der queeren Menschen in Deutschland erstmals verfassungsrechtlichen Schutz bieten könnte. Die Grünen-Fraktion will Artikel 3 im Grundgesetz um das Merkmal „sexuelle Identität" erweitern, wie die Originalquelle queer.de berichtet. Die Debatte findet zwischen Beratungen zu Asylrecht und Wohnungsbau statt – ein symbolträchtiger Moment für eine Community, deren Rechte Jahrzehnte lang unsichtbar blieben.

Eine Lücke, die 123 Jahre währte

Die Geschichte des Paragrafen 175 umfasst mehr als 120 Jahre. Er wurde im Deutschen Kaiserreich 1871 eingeführt und stellte „widernatürliche Unzucht" zwischen Männern unter Strafe. Was viele nicht wissen: Bis 1994 waren sexuelle Handlungen zwischen Männern strafbar. Erst mit der Abschaffung des Paragrafen 175 im Jahr 1994 wurde das Schutzalter für homosexuelle Männer dem für andere Menschen angeglichen. Die Verfolgung hinterließ tiefe Wunden in der deutschen Gesellschaft.

Das Fehlen dieses Diskriminierungsgrundes im Text des Grundgesetzes hat in der Historie der Bundesrepublik Deutschland zu menschenrechtswidriger Behandlung von homosexuellen und bisexuellen Menschen geführt, erklärt der LSVD, der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland. Die Grünen argumentieren in ihrem Gesetzentwurf, dass 1949 Homo- und Bisexuelle bewusst nicht als Opfergruppe der Nationalsozialisten in Artikel 3 aufgenommen wurden – mit fatalen Folgen für die Nachkriegszeit.

Deutschland im europäischen Vergleich: Fortschrittlich, aber nicht vorne

Im europäischen Vergleich zeigt sich ein gemischtes Bild. Andere moderne Verfassungen haben bereits den besonderen Schutz vor Diskriminierung wegen der sexuellen Identität mit aufgenommen, und von den Bundesländern, die eigene Grundrechtskataloge in ihren Landesverfassungen haben, hat die Mehrheit bereits eine entsprechende Bestimmung. Berlin, Brandenburg, Bremen, das Saarland und Thüringen sind hier Vorreiter.

Auf EU-Ebene bietet die Europäische Grundrechtecharta bereits ein Verbot der Benachteiligung aufgrund der sexuellen Ausrichtung. Laut ILGA-Europe stiegen Deutschland, Tschechien und Polen in der Rangliste um drei Plätze, während Deutschlands durchschnittlicher Score bei 51,13% für die EU liegt. Zum Vergleich: Malta belegt seit einem Jahrzehnt mit 88,83% den Spitzenplatz.

Eine dunkle Geschichte: Von der Weimarer Republik bis heute

Die Geschichte der LGBTQ+-Verfolgung in Deutschland ist besonders schmerzlich. Die meisten Schätzungen gehen davon aus, dass im Dritten Reich rund 50.000 Männer aufgrund von Paragraph 175 inhaftiert und bis zu 15.000 in Lager deportiert wurden. Doch auch nach dem Krieg ging die Verfolgung weiter: Zwischen 1945 und 1969 gab es auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ca. 50.000 bis 60.000 Verurteilungen.

In der BRD galt Paragraph 175 in der im Nationalsozialismus erlassenen Fassung weiter, während die DDR früher liberalisierte. Erst 2017 – 23 Jahre nach der Streichung von Paragraf 175 StGB – erkannte der Bundestag das Unrecht an, das die Verfolgung homosexueller Männer durch den Staat war. Die Opfer wurden rehabilitiert – und finanziell entschädigt.

Die politische Realität: Hohe Hürden und starker Gegenwind

Die Hürden für eine Grundgesetzänderung sind hoch. Um das Grundgesetz zu ändern, bedarf es im Bundestag einer Zwei-Drittel-Mehrheit - genau wie abschließend im Bundesrat. SPD, Grüne und Linke signalisieren Zustimmung, doch der Bundesrat will eine Gesetzesinitiative in den Bundestag einbringen, die auf Initiative des Landes Berlin eingereicht wurde, nachdem der Bundesrat im September mehrheitlich dafür gestimmt hatte.

Die größte Hürde ist die AfD, die 24 Prozent der Bundestagsabgeordneten stellt und kategorisch gegen den Schutz queerer Menschen ist. Der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD, Stephan Brandner, hält die Ehe für alle nach wie vor für grundgesetzwidrig und verweist auf Artikel 6 im Grundgesetz. Die Partei will nicht nur die Grundgesetzänderung verhindern, sondern das Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts aufheben.

Die Debatte um „geschlechtliche Identität"

Ein weiterer Streitpunkt: Der aktuelle Entwurf enthält nur das Merkmal „sexuelle Identität", nicht aber „geschlechtliche Identität". Queere Organisationen wie die Aktion Grundgesetz für alle fordern die Aufnahme beider Merkmale. Maik Brückner, queerpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke im Bundestag, kritisiert: „Uns geht der Begriff ‚sexuelle Identität' nicht weit genug: auch ‚geschlechtliche Identität' muss in die Verfassung aufgenommen werden, damit auch trans und inter Personen in den Schutz eingeschlossen werden".

Aus der Politik wird häufig argumentiert, dass trans oder intergeschlechtliche Menschen bereits durch ständige Rechtsprechung mit dem Merkmal „Geschlecht" erfasst seien. Aktivist*innen verweisen jedoch auf globale transfeindliche Kampagnen, die zeigen, wie fragil dieser Schutz ist.

Ein Blick nach vorne: Warum dieser Schutz jetzt wichtiger ist denn je

Die stets vorhandene Diskriminierung verstärkt sich aktuell, mit dem Aufflammen von Rechtspopulismus und Rechtsextremismus, zunehmend. Es gibt in Deutschland politische Kräfte, die LSBTI die gesetzliche Gleichstellung wieder streitig machen und sie in Unsichtbarkeit und dunkle Ecken zurücktreiben wollen. Der Blick auf Ungarn, Polen und andere europäische Länder zeigt, wie schnell erkämpfte Rechte wieder verloren gehen können.

Berlins Senatorin Cansel Kiziltepe (SPD) betonte im Bundesrat: „Es zeigt auch, dass die Zeichen der Zeit und der akute Behandlungsbedarf erkannt wurden. In einer Zeit, in der ‚queerfeindlicher Hass' im Alltag ‚so spürbar geworden' sei, brauche es ein Grundgesetz, das klar die Diskriminierung wegen der sexuellen Identität verbietet".

Die Debatte am Donnerstag ist mehr als ein parlamentarischer Akt. Sie ist ein Symbol dafür, ob Deutschland bereit ist, aus seiner Geschichte zu lernen und allen Menschen – unabhängig von ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität – den gleichen verfassungsrechtlichen Schutz zu garantieren. Für Millionen queerer Menschen in Deutschland geht es um nicht weniger als die Frage: Gehören wir wirklich dazu?

Die erste Lesung des Gesetzentwurfs findet am Donnerstag, den 9. Oktober 2025, gegen 10:10 Uhr im Bundestag statt. Nach der Debatte wird der Entwurf voraussichtlich zur weiteren Beratung an die Ausschüsse überwiesen.


Gewalttat in Dresden wirft Schlaglicht auf ein oft verschwiegenes Thema

In der Nacht zum 28. September 2025 ereignete sich am Dresdner Hauptbahnhof eine Gewalttat, die erschüttert: Zwei 15-jährige Jugendliche sollen einen 19-jährigen Tschechen unter Vorhalt eines Messers ausgeraubt und vergewaltigt haben. Die Staatsanwaltschaft Dresden ermittelt wegen des Verdachts des schweren Raubes und der Vergewaltigung, wie queer.de berichtet. Die beiden Tatverdächtigen wurden kurz nach der Tat festgenommen und befinden sich in Untersuchungshaft.

Ein Verbrechen, das viele Fragen aufwirft

Diese brutale Tat geschah in den frühen Morgenstunden gegen 4:15 Uhr vor dem Dresdner Hauptbahnhof – einem öffentlichen Ort, an dem sich viele Menschen unsicher fühlen könnten. Den Beschuldigten wird vorgeworfen, dem Opfer unter Messerdruck 300 Euro Bargeld weggenommen und es vergewaltigt zu haben. Die schnelle Festnahme durch die Polizei zeigt, dass die Behörden reagiert haben, doch die Tat selbst wirft ein Schlaglicht auf ein Thema, das in der deutschen Öffentlichkeit noch immer zu wenig Beachtung findet: sexuelle Gewalt gegen Männer.

Männer als Opfer sexueller Gewalt – ein Tabuthema

Während sexuelle Gewalt gegen Frauen zunehmend in den öffentlichen Diskurs gelangt ist, bleibt Gewalt gegen Männer oft im Schatten. Es gibt nur wenige Daten zu Vergewaltigungen oder anderer sexueller Gewalt gegen Männer, wobei fast alle verfügbaren Studien zu sexueller Gewalt Frauen als Opfer untersuchen und sexuelle Gewalt gegen Männer nahezu ignoriert wird. Gewalt gegen Männer findet tagtäglich statt, wird in der Gesellschaft aber kaum thematisiert und wahrgenommen, denn es handelt sich noch immer um ein Tabuthema.

Insbesondere männliche Opfer haben Schwierigkeiten, über Gewalterfahrungen zu sprechen – ein Grund kann sein, dass die Gewalt oft nicht als solche wahrgenommen wird, und Rollenbilder wie der starke Mann begünstigen ein Klima des Schweigens und der Scham. Das macht es für Betroffene noch schwerer, Hilfe zu suchen oder Anzeige zu erstatten.

Queerfeindliche Gewalt in Deutschland nimmt zu

Der Fall in Dresden ereignet sich in einem besorgniserregenden gesellschaftlichen Kontext. Im Jahr 2023 wurden insgesamt 17.007 Fälle von Hasskriminalität erfasst, die polizeilichen Fallzahlen zeigen einen besorgniserregenden Anstieg queerfeindlicher Straftaten über die vergangenen Jahre. Die Zahl der Straftaten im Bereich "Sexuelle Orientierung" und "Geschlechtsbezogene Diversität" hat sich seit 2010 nahezu verzehnfacht.

Das Lagebild zeigt, dass die Opfer von Straftaten gegen Menschen aus der LSBTIQ*-Community überwiegend Männer sind. Bundesinnenministerin Nancy Faeser nannte die Zahlen "erschreckend" und betonte, dass queerfeindliche Gewalt klar benannt und gezielt verfolgt werden müsse.

Die Dunkelziffer ist hoch

Doch die offiziellen Zahlen erzählen nur einen Teil der Geschichte. Laut einer Dunkelfeld-Studie der Europäischen Agentur für Grundrechte zeigten 96 Prozent der LSBTIQ*-Personen Hate Speech nicht an und 87 Prozent meldeten körperliche oder sexuelle Übergriffe nicht. Die Gründe: Sie hielten das Vergehen für zu gering oder hatten Angst vor homo- oder transphoben Reaktionen der Polizei.

Nur 13 Prozent der Befragten gingen zur Polizei, um einen physischen Angriff oder sexualisierte Gewalt anzuzeigen, und 23 Prozent vermieden in den letzten fünf Jahren eine Anzeige aus Angst vor einer queerfeindlichen Reaktion der Polizei. Diese Zahlen zeigen: Viele Betroffene haben kein Vertrauen in die Behörden oder schämen sich, Hilfe zu suchen.

Hilfe ist verfügbar – für alle Betroffenen

Für Männer, die Gewalt erleben oder erlebt haben, gibt es in Deutschland mittlerweile Unterstützungsangebote. Das Hilfetelefon Gewalt an Männern ist unter der Nummer 0800 1239900 erreichbar. Das Hilfetelefon hat einen weiten Gewaltbegriff: Entscheidend ist, dass Betroffene unter der Grenzverletzung leiden, die sie erfahren mussten.

Auch das Hilfe-Portal Sexueller Missbrauch bietet Informationen und Unterstützung, und spezialisierte Beratungsstellen wie maennergewaltschutz.de helfen Betroffenen dabei, passende Hilfsangebote vor Ort zu finden. Für queere Menschen, die Diskriminierung und Gewalt erlebt haben, bietet etwa MANEO in Berlin spezialisierte Beratung.

Was wir daraus lernen müssen

Der Fall in Dresden ist mehr als eine einzelne Straftat – er ist ein Weckruf. Wir müssen als Gesellschaft anerkennen, dass sexuelle Gewalt auch Männer betrifft, und dass queere Menschen besonders vulnerabel sind. Laut offiziellen Zahlen gibt es jeden Tag mindestens drei Angriffe auf LSBTIQ*-Personen, die Dunkelziffer ist deutlich höher, und diesen Straftaten muss der Staat entschlossen entgegentreten.

Es braucht mehr Sensibilisierung in der Polizei, mehr niedrigschwellige Hilfsangebote und eine Gesellschaft, die Betroffenen zuhört statt sie zu stigmatisieren. Nur so können wir ein Klima schaffen, in dem alle Menschen – unabhängig von Geschlecht oder sexueller Orientierung – sicher und angstfrei leben können.

Hilfe und Beratung:

  • Hilfetelefon Gewalt an Männern: 0800 1239900
  • Hilfetelefon Sexueller Missbrauch: 0800 22 55 530
  • Polizei-Notruf: 110
  • Hilfe-Portal Sexueller Missbrauch: www.hilfe-portal-missbrauch.de

Gewalt nach dem CSD: 14-Jähriger in Görlitz angegriffen – Polizei prüft Zusammenhang

Nach dem vierten Christopher Street Day in Görlitz am vergangenen Samstag wurde ein 14-Jähriger von Unbekannten attackiert und verletzt. Der Vorfall ereignete sich, nachdem die Pride-Veranstaltung bereits beendet war. Die Polizei ermittelt wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung und prüft einen möglichen Zusammenhang mit dem CSD.

Angriff im Schatten der Pride-Feier

An einer Gegendemonstration rechtsextremer Gruppen hatten sich nach Polizeiangaben etwa 130 Menschen beteiligt, während mehr als 700 Menschen an dem CSD-Aufzug teilnahmen. Der 14-Jährige wurde nach dem Angriff leicht verletzt in einem Rettungswagen behandelt. Ob das Opfer und die Täter an den Versammlungen teilgenommen hatten, ist derzeit Gegenstand der laufenden Ermittlungen.

Der Vorfall reiht sich in eine besorgniserregende Serie von Übergriffen ein. Nur wenige Stunden nach dem Görlitzer Christopher Street Day kam es am vergangenen Samstagabend zu einem Angriff auf ein Mitglied der Linksjugend ['solid] Görlitz. Die betroffene Person wurde im Stadtgebiet von mehreren mutmaßlich rechten Tätern angegriffen und dabei verletzt. Mindestens der unvermummte Täter war Augenzeugenberichten zufolge zuvor auf der Gegendemonstration gegen den CSD gewesen.

Rechtsextreme Mobilisierung erreicht neuen Höhepunkt

Der CSD in Görlitz fand unter massivem Polizeischutz statt. In den sozialen Netzwerken hatten deutsche und polnische Neonazis gemeinsam zu der Gegenveranstaltung aufgerufen. Besonders beunruhigend: Ein mutmaßliches Mitglied der Elblandrevolte verübte im Mai einen Angriff auf den SPD-Europaabgeordneten Matthias Ecke, der dabei schwer verletzt wurde.

Im Jahr 2024 dokumentierte die Stiftung insgesamt 55 gezielte Störungen, Bedrohungen und Angriffe auf CSDs – so viele wie nie zuvor, berichtet die Amadeu Antonio Stiftung. Die Situation in Sachsen ist besonders dramatisch: Rund zwölfmal mehr Straftaten und Ordnungswidrigkeiten wurden festgestellt, 245 im Jahr 2024 im Vergleich zu 22 im Jahr 2023.

Parallelen zu Deutschland: Ein bundesweites Problem

Die Situation in Görlitz spiegelt eine bedrohliche Entwicklung wider, die ganz Deutschland betrifft. Zwischen Juni und September 2024 verzeichnete CeMAS deutschlandweit in 27 Städten rechtsextreme Mobilisierungen gegen CSD-Veranstaltungen. Dabei kam es zu Einschüchterungen, Schikanen und Gewalt. Auch in anderen deutschen Städten wie Bautzen, Leipzig und Zwickau kam es zu massiven rechtsextremen Gegendemonstrationen.

In zwölf von 16 Bundesländern wurden insgesamt 3.453 rechts, rassistisch und antisemitisch motivierte Angriffe registriert und damit ein massiven Anstieg um ein Viertel im Vergleich zum Vorjahr, dokumentieren die Opferberatungsstellen. 63 Angriffe (+91%) richteten sich gegen politische Gegner*innen, 44 gegen Nichtrechte (+52%), 25 gegen Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung/geschlechtlichen Identität (+25%) allein in Sachsen.

Trotz Bedrohungen: Queere Sichtbarkeit wächst

Trotz der massiven Bedrohungslage zeigt die queere Community bemerkenswerte Resilienz. Über 200 Kundgebungen haben bundesweit stattgefunden, die meisten davon in kleinen und mittelgroßen Städten, strukturschwachen und ländlichen Regionen. Nie zuvor hat es mehr Kundgebungen für queere Sichtbarkeit gegeben.

Der CSD in Görlitz und Zgorzelec ist ein besonderer CSD. Damit ist der CSD der einzige grenzüberschreitende von in diesem Jahr vierzehn stattfindenden Veranstaltungen in Sachsen. Die Veranstaltung steht symbolisch für den mutigen Einsatz von Aktivist*innen, die sich trotz rechtsextremer Bedrohungen für queere Rechte einsetzen.

Dunkelziffer bleibt hoch

Expert*innen warnen, dass die offiziellen Zahlen nur die Spitze des Eisbergs darstellen. Beinahe jede zweite queere Person in Sachsen hat seit 2017 Übergriffe erfahren, davon haben nur 7 Prozent mindestens einen Vorfall bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft gemeldet. Der Mangel an Vertrauen in die Polizei und die Sorge vor weiterer Diskriminierung führen dazu, dass viele Straftaten nicht zur Anzeige gebracht werden.

Die Kriminalpolizei Görlitz hat die Ermittlungen aufgenommen und bittet um Hinweise aus der Bevölkerung. Ob der Angriff auf den 14-Jährigen tatsächlich im Zusammenhang mit dem CSD steht, wird derzeit geprüft. Der Fall zeigt einmal mehr, wie wichtig konsequente Strafverfolgung und der Schutz queerer Menschen in Deutschland sind.


Transfeindlicher Übergriff in Berlin-Friedrichshain: Wenn Hass zur alltäglichen Bedrohung wird

Ein weiterer erschütternder Fall transfeindlicher Gewalt: In Berlin-Friedrichshain wurde am Mittwochabend eine 46-jährige Frau in der Rigaer Straße von einem unbekannten Mann angespuckt und transphob beleidigt. Die Polizei konnte kurz darauf einen 31-jährigen Tatverdächtigen identifizieren. Die Ermittlungen führt nun der Polizeiliche Staatsschutz des Landeskriminalamts – ein Verfahren, das bei vermuteter Hasskriminalität Standard ist.

Der Vorfall reiht sich ein in eine besorgniserregende Serie: Die Opferberatungsstelle Maneo hat allein im vergangenen Jahr 738 explizit queerfeindliche Vorfälle in Berlin gezählt – ein Anstieg um acht Prozent im Vergleich zum Vorjahr und damit ein neuer Höchststand. Besonders alarmierend: Zwei Drittel der befragten trans* Personen berichteten, innerhalb der letzten fünf Jahre von transfeindlicher Gewalt betroffen gewesen zu sein. Nahezu die Hälfte erlebte sogar im letzten Jahr vor der Befragung Übergriffe.

Berlin als Brennpunkt queerfeindlicher Gewalt

Die Rigaer Straße in Friedrichshain, wo sich der aktuelle Übergriff ereignete, liegt in einem Bezirk mit lebendiger queerer Community. Friedrichshain ist queer – das zeigt sich nicht nur an Bars, die speziell auf die Community zugeschnitten sind, und Clubs wie Berghain und Blank. Doch gerade die Sichtbarkeit queerer Menschen macht sie zur Zielscheibe.

Dass Berlin besonders häufig über LGBTIQ-feindliche Übergriffe berichtet, hat einen Grund: Die Landespolizei macht mögliche Hassverbrechen aufgrund der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität gezielt publik. Die angezeigten trans- und homophoben Straftaten in Berlin weisen geografische Schwerpunkte in LGBTIQ*-Ausgeh- und Wohnvierteln auf. Ein besonders großer Teil der Fälle wird in Mitte, Tempelhof-Schöneberg und Friedrichshin-Kreuzberg angezeigt.

Das erschreckende Ausmaß: Deutschland im Überblick

Der Berliner Fall ist kein Einzelfall, sondern Teil eines bundesweiten Problems. Der "Lagebericht zur kriminalitätsbezogenen Sicherheit von LSBTIQ*" verzeichnet für das Jahr 2023 insgesamt 1.785 Straftaten gegen LSBTIQ* Personen. Zu den häufigsten Straftaten zählten dabei Beleidigungen, Gewalttaten, Volksverhetzungen sowie Nötigungen und Bedrohungen. Bei den Gewalttaten wurden 212 Opfer festgestellt. Für 2024 wurden im Unterthemenfeld "sexuelle Orientierung" 1.765 Straftaten erfasst, was einer Steigerung von etwa 18% gegenüber dem Vorjahr entspricht. Hierbei wurden 253 Gewaltdelikte und 447 Beleidigungen registriert.

Besonders dramatisch: Die Zahl der Straftaten im Bereich „Sexuelle Orientierung" und „Geschlechtsbezogene Diversität" hat sich seit 2010 nahezu verzehnfacht. Und die Dunkelziffer ist erschreckend hoch: Maneo schätzt, dass 80 bis 90 Prozent der Vorfälle weder einer Beratungsstelle gemeldet noch auch bei der Polizei angezeigt werden.

Warum melden Betroffene nicht?

Die Gründe für die geringe Anzeigebereitschaft sind vielfältig: Lediglich 8 bis 10 Prozent der trans* Personen zeigen den letzten physischen Angriff oder sexualisierte Gewalterfahrung bei der Polizei an. Viele fanden den Vorfall nicht schlimm genug, etwa die Hälfte glaubte nicht, dass eine Anzeige was bringen würde, und 40 bis 53 Prozent haben kein Vertrauen in die Polizei.

Auf die Frage, warum sie nach einem Angriff nicht zur Polizei gegangen sind, antworteten die meisten, dass sie nicht denken, dass das was bringen würde (40%). Weitere Motive waren, dass der Vorfall den Betroffenen nicht schlimm genug schien (37%), die Betroffenen Angst vor Homo- und Transphobie bei der Polizei hatten (23%) und kein Vertrauen in die Polizei hätten (21%).

Berlins Vorreiterrolle bei Opferschutz

Dass der aktuelle Fall in Berlin vom Polizeilichen Staatsschutz untersucht wird, ist nicht selbstverständlich. Straftaten, die sich gegen die sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität einer Person richten und auf einer gruppenbezogenen Vorurteilsmotiviertheit basieren, werden unter Hasskriminalität erfasst und durch den polizeilichen Staatsschutz bearbeitet. Berlin hat zudem eigene Ansprechpartner*innen für queere Menschen bei Polizei und Staatsanwaltschaft eingerichtet.

Der dritte Monitoringbericht, erschienen im Dezember 2024, führt die Berichterstattung auf Grundlage amtlicher und zivilgesellschaftlicher Daten fort. Wie bereits in früheren Ausgaben werden vorfallsbezogene Daten aus der polizeiischen Statistik zu politisch motivierter Kriminalität, Verfahrensdaten der Staatsanwaltschaft sowie Statistiken von zivilgesellschaftlichen Meldestellen ausgewertet.

Was muss sich ändern?

Expert*innen fordern konkrete Maßnahmen: Hauptamtliche Ansprechpartner*innen für queerfeindliche Hasskriminalität bei der Polizei sowie ein regelmäßiger Austausch zwischen Polizei und Community würden Misstrauen verringern können. Polizeibeamt*innen müssen in verpflichtenden Modulen in Aus- und Weiterbildung mit dem Thema queerfeindlicher „Hasskriminalität" vertraut gemacht werden und mit der richtigen Erfassung vertraut sein.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser betont: „Wir müssen all diejenigen schützen und unterstützen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität Hass, Diskriminierung und Gewalt erleben. Queerfeindliche Gewalt muss als solche klar benannt und gezielt verfolgt werden".

Der Fall in der Rigaer Straße ist mehr als ein Einzelfall – er ist Symbol einer gesellschaftlichen Realität, in der trans* und queere Menschen täglich mit Anfeindungen und Gewalt konfrontiert werden. Die niedrige Anzeigebereitschaft zeigt: Es braucht nicht nur härtere Strafen, sondern vor allem Vertrauen, Sichtbarkeit und präventive Arbeit. Nur so kann aus dem Dunkelfeld Licht werden – und aus Angst Sicherheit.


Kolumbianisches Gericht stoppt Volleyball-Verband: Trans-Athletin gewinnt historischen Rechtsstreit

Ein Verfassungsgericht in Kolumbien hat eine wegweisende Entscheidung getroffen: Die Liga Antioqueña de Voleibol, ein kolumbianischer Volleyball-Verband in Antioquia, wurde vom Verfassungsgericht angewiesen, ihre Richtlinien zu ändern, die trans Personen von ihren Wettbewerben ausschließen. Das Urteil markiert einen wichtigen Moment für die Rechte von trans Athletinnen und Athleten – nicht nur in Lateinamerika, sondern weltweit. Die Entscheidung wurde von Pink News berichtet.

Zehn Jahre Spielpraxis plötzlich illegal

Eine namentlich nicht genannte trans Athletin verklagte den Sportverband, nachdem er ihr mitten in einem Turnier die Teilnahme an Frauen-Volleyball-Spielen untersagte. Obwohl sie über ein Jahrzehnt lang ohne Probleme an Antioquia-Spielen teilgenommen hatte, sperrten die Verantwortlichen die Spielerin von weiblichen Events aus, nachdem sie eine Richtlinie eingeführt hatten, die trans Sportlerinnen von Ligen ausschließt, die ihrer Geschlechtsidentität entsprechen.

In einem Urteil vom Mittwoch, 1. Oktober, argumentierte ein dreiköpfiges Richtergremium, dass die Richtlinie die Menschenrechte der Spielerin und ihr verfassungsmäßiges Recht auf Würde und Gleichheit verletze. Die Richterinnen und Richter ordneten an, dass die Athletin das Turnier zu Ende spielen dürfe und der Verband seine Regelungen mit Hilfe des Sportministeriums ändern müsse.

Wissenschaft widerspricht pauschalen Verboten

Das Gericht setzte ein klares Zeichen gegen diskriminierende Praktiken im Sport. Die Richterinnen Natalia Ángel Cabo und José Fernando Reyes Cuartos argumentierten, dass es keine wissenschaftlichen Beweise dafür gibt, dass trans Athletinnen einen inhärenten Wettbewerbsvorteil gegenüber cis-geschlechtlichen Athletinnen haben, und stellten fest, dass die körperliche Leistungsfähigkeit eher mit "Körperzusammensetzung", Training und Ernährung zusammenhängt.

Diese Argumentation wird durch aktuelle Forschung gestützt. Eine 2024 vom Internationalen Olympischen Komitee unterstützte Studie deutete darauf hin, dass trans Athletinnen tatsächlich Nachteile im Sport haben können, aufgrund von Veränderungen der Muskelmasse und kardiovaskulären Fähigkeiten. Trans Frauen zeigten in bestimmten kardiovaskulären Tests schlechtere Leistungen als ihre cis-geschlechtlichen Kolleginnen und hatten weniger Unterkörperkraft.

Deutsche Parallelen: Auch hier wird diskutiert

Die Debatte über trans Personen im Sport ist auch in Deutschland hochaktuell. Die Teilnahme von Transmenschen am Leistungssport ist ein kontroverses Thema. Dies gilt insbesondere in Bezug auf Transfrauen, die nach einer männlichen Pubertät im Frauensport erfolgreich sind, und in Bezug auf erhöhte Verletzungsgefahr für biologische Frauen.

Während das IOC 2021 einen neuen Rahmen zur Regelung der Teilnahme von Transathleten vorstellte, in dem das IOC selbst keine Restriktionen mehr vorsieht, haben verschiedene deutsche Sportverbände unterschiedliche Wege eingeschlagen. Es gibt verschiedene Verbände, die dafür gesorgt haben, dass trans Personen besser am Sport teilnehmen können. Der DFB zum Beispiel, oder auch der Deutsche Hockey-Bund. Es gibt auch einen queeren Sportverein in Deutschland, das ist der SC Janus in Köln.

Kolumbien als Vorreiter für LGBTQ+-Rechte

Das Urteil passt zu Kolumbiens progressiver Haltung in Bezug auf LGBTQ+-Rechte. Die Rechte Homosexueller in Kolumbien sind weit entwickelt, besonders für ein sich entwickelndes, konservatives und überwiegend katholisches Land wie Kolumbien. Strafgesetze gegen homosexuelle Handlungen bestehen in Kolumbien nicht. Im April 2016 bestätigte das Verfassungsgericht in einer weiteren Grundsatzentscheidung die sofortige landesweite Eheöffnung.

Dennoch ist die Lage für LGBTQ+-Personen nicht ohne Herausforderungen. Feminizide sowie Gewalt gegen lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen (LGBTI+) geben weiterhin Anlass zu großer Sorge. Das Regionale Informationsnetzwerk zu Gewalt gegen LGBT registrierte 2023 insgesamt 21 Tötungen von LGBTI+ in Kolumbien, die in die Kategorie "vorurteilsbedingte Gewalt" fielen.

Ein Signal für faire Teilhabe

Das kolumbianische Urteil sendet eine wichtige Botschaft: Sport muss für alle zugänglich sein, unabhängig von der Geschlechtsidentität. Die urteilenden Richterinnen und Richter stellten fest, dass die trans Spielerin bereits an mindestens vier Turnierspielen ohne Einwände teilgenommen hatte, bevor der Verband seine Richtlinie verabschiedete, was deren Zweck in Frage stellte. Es gab keine Beschwerden von Mitspielerinnen, keine Vorfälle – nur eine nachträgliche Diskriminierung.

Während die internationale Debatte über trans Athletinnen oft von Ängsten und Vorurteilen dominiert wird, zeigt dieses Urteil einen anderen Weg: einen, der auf Menschenrechten, wissenschaftlichen Erkenntnissen und der gelebten Realität basiert. Es ist ein Schritt in Richtung echter Inklusion – im Sport und darüber hinaus.


Trans-Schüler*innen in Schottland: Hunger und Durst aus Angst vor Schultoiletten

Eine alarmierende Meldung aus Schottland wirft ein Schlaglicht auf die realen Folgen rechtlicher Einschränkungen für transgender Jugendliche: Lehrkräfte berichten, dass trans Schüler*innen ihre Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme einschränken, um die Schultoiletten nicht benutzen zu müssen – aus Angst davor, geoutet zu werden. Diese beunruhigende Entwicklung steht in direktem Zusammenhang mit einer neuen Richtlinie der schottischen Regierung, die Ende September 2024 veröffentlicht wurde und die Toilettennutzung an Schulen neu regelt.

Neue Richtlinie: Geschlechtertrennung nach „biologischem Geschlecht"

Die neue Richtlinie von Holyrood, die am 29. September veröffentlicht wurde, fordert, dass alle Schulen in Schottland getrennte Einrichtungen – einschließlich Toiletten und Umkleideräumen – für Jungen und Mädchen haben müssen, die „auf der Grundlage des biologischen Geschlechts" basieren. In der Richtlinie wird „biologisches Geschlecht" als „bei der Geburt eingetragenes Geschlecht" definiert. Die Änderung erfolgte als Reaktion auf ein Urteil des britischen Supreme Court vom April 2025, das feststellte, dass die Begriffe „Mann", „Frau" und „Geschlecht" im Gleichstellungsgesetz 2010 sich auf das biologische Geschlecht beziehen.

Bildungsministerin Jenny Gilruth begründete die Aktualisierung damit, die schottische Trans-Richtlinie für Schulen mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Einklang zu bringen. Gleichzeitig betonte sie: „Es ist unerlässlich, dass Schulen die Bedürfnisse von Transgender-Schüler*innen im Licht ihrer lokalen Umstände, des Schulkontexts und der Notwendigkeit, die Rechte aller in Einklang zu bringen, berücksichtigen".

Gewerkschaft kritisiert: Gesundheit der Jugendlichen in Gefahr

Die schottische Lehrergewerkschaft EIS (Educational Institute of Scotland), die mehr als 80 Prozent des Lehrpersonals vertritt, reagierte alarmiert. Die Gewerkschaft erklärte, dass die Richtlinie „nicht ausreicht, um Klarheit und Zusicherung zu geben, dass die Rechte von transgender und nicht-binären Schüler*innen im aktuellen rechtlichen Kontext bewahrt werden".

Besonders beunruhigend sind die Berichte aus der Praxis: Generalsekretärin Andrea Bradley berichtete, dass das EIS nach den Sommerferien von transgender Jugendlichen erfuhr, die ihre Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme einschränken, um nicht die Schultoiletten benutzen zu müssen und damit das Risiko zu vermeiden, geoutet zu werden. Die Gewerkschaft befürchtet, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen einen „Zustand der Außergewöhnlichkeit für transgender Schüler*innen schaffen könnten, der möglicherweise zu Isolation und einer vom Schulalltag der Mitschüler*innen abweichenden Bildungserfahrung führt".

Ein bekanntes Phänomen mit schweren Folgen

Das Problem ist nicht neu. Eine Studie aus dem Jahr 2021 mit über 12.000 transgender und nicht-binären Jugendlichen ergab, dass 49 Prozent manchmal öffentliche Toiletten meiden und 22 Prozent sie immer vermeiden. 67 Prozent berichteten, dass sie sich „zurückhalten", wenn sie die Toilette benutzen müssen, und 38 Prozent verzichten auf Essen oder Trinken, um die Nutzung dieser Einrichtungen zu vermeiden.

Die gesundheitlichen Konsequenzen sind erheblich: Medizinische Fachgesellschaften warnen, dass Schüler*innen, die die Toilette meiden, medizinische Folgen erleiden können, darunter wiederkehrende Harnwegsinfektionen und Verstopfung sowie möglicherweise schwerwiegendere gesundheitliche Komplikationen wie Hämaturie und chronische Nierenerkrankungen. Studien zeigen zudem, dass transgender und nicht-binäre Jugendliche, die Toilettendiskriminierung erleben, einem erhöhten Risiko für depressive Verstimmungen und Suizidalität ausgesetzt sind.

Wie sieht es in Deutschland aus?

Im Gegensatz zu Schottland verfolgt Deutschland einen inklusiveren Ansatz. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) stellt klar: „Im Hinblick auf alle Toiletten und Umkleideräume müssen Lernende Zugang zu den Einrichtungen haben, die ihrer Geschlechtsidentität entsprechen". Rechtlich gesehen dürfen trans Mädchen die Mädchentoilette benutzen und trans Jungen die Jungentoilette – dies gilt auch für Umkleideräume.

Allerdings gibt es auch in Deutschland Diskussionen und unterschiedliche Praktiken. In Hamburg entschieden sich viele Schulen beim Bau neuer Gebäude für die Option von Unisex-Toiletten, während trotz der Erlaubnis von Unisex-Toiletten weiterhin getrennte Toiletten für das weibliche und männliche Geschlecht gestellt werden müssen, da diese gesetzlich vorgeschrieben sind.

Ein wichtiger Fortschritt ist das Selbstbestimmungsgesetz, das im November 2024 in Kraft trat. Das Gesetz erlaubt es transgender und nicht-binären Menschen, ihre rechtlichen Dokumente durch ein auf Selbstbestimmung basierendes Verwaltungsverfahren an ihre Geschlechtsidentität anzupassen. Dies erleichtert auch die Situation in Schulen, wo Schüler*innen das Recht haben, im Schulalltag mit Namen und Pronomen angesprochen zu werden, die nach ihrer Ansicht mit ihrer geschlechtlichen Identität korrespondieren – auch vor einer amtlichen Personenstandsänderung.

Ein Aufruf zur Sensibilität

Die Situation in Schottland macht deutlich, wie wichtig ein sensibler Umgang mit den Bedürfnissen von trans Jugendlichen ist. Die schottische Regierung selbst erkennt in ihrer Richtlinie an, dass manche junge Menschen, einschließlich transgender Jugendlicher, ihre Flüssigkeitsaufnahme einschränken könnten, weil sie sich mit der Toilettennutzung unwohl fühlen.

Trans Kinder und Jugendliche brauchen Unterstützung bei wichtigen Fragen: Welche Toilette und Umkleide benutzen sie? Wie wird ihr Coming-out in der Schulklasse begleitet? Die deutschen Bildungsgewerkschaften betonen, dass trans, inter und nicht-binäre Schüler*innen eine besonders vulnerable Gruppe innerhalb der Schulgemeinschaft sind und darauf angewiesen sind, von ihren Lehrkräften Unterstützung zu erfahren.

Die Berichte aus Schottland sollten uns mahnen: Wenn rechtliche Regelungen dazu führen, dass Jugendliche Hunger und Durst in Kauf nehmen, um Diskriminierung zu vermeiden, läuft etwas grundsätzlich falsch. Es geht hier nicht nur um Toiletten – es geht um Würde, Gesundheit und das Recht auf Bildung in einem sicheren Umfeld.


Japan gewährt gleichgeschlechtlichen Paaren erweiterte rechtliche Absicherung – Ein schrittweiser Weg zur Gleichstellung

In einem bedeutsamen Schritt hat Japans Regierung gleichgeschlechtlichen Paaren erweiterte rechtliche Absicherung gewährt und erkennt sie nun als „faktische Ehen" in einer Reihe von Gesetzen und Verordnungen an. Die Entscheidung, die im Oktober 2024 bekannt wurde, folgt auf eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom März 2024, die besagte, dass die Verweigerung der Ehegleichstellung für gleichgeschlechtliche Paare in Japan verfassungswidrig sei. Für viele LGBTQ+-Aktivist*innen in Japan ist dies ein ermutigendes Signal – doch die vollständige Gleichstellung bleibt weiterhin außer Reichweite. Die Entwicklungen in Japan erinnern an den Weg, den Deutschland vor Jahren gegangen ist.

Neun weitere Gesetze erkennen gleichgeschlechtliche Paare an

Die japanische Regierung hat beschlossen, gleichgeschlechtliche Paare in insgesamt neun weiteren Gesetzen und Verordnungen als faktische Ehen zu behandeln, darunter das Gesetz über Katastrophen-Beileidsbekundungen. Im Januar hatte die Regierung bereits beschlossen, gleichgeschlechtliche Partner*innen unter 24 Gesetzen und Verordnungen anzuerkennen, darunter das Gesetz zur Prävention häuslicher Gewalt, das Miet- und Grundstücksgesetz und das Gesetz über öffentlichen Wohnungsbau.

Doch es gibt Grenzen: Die Regierung vertritt weiterhin die Position, dass gleichgeschlechtliche Partner*innen nicht unter 120 Gesetze und Verordnungen fallen, darunter solche zu Steuern und Sozialversicherung. Dies bedeutet, dass gleichgeschlechtliche Paare in Japan trotz Fortschritten weiterhin erheblichen rechtlichen und finanziellen Nachteilen ausgesetzt sind.

Gerichtliche Siege häufen sich – doch die Politik zögert

Der Druck auf die japanische Regierung wächst seit Jahren. Im März 2024 entschied das Oberste Gericht in Sapporo, dass die Verweigerung des Rechts auf Ehe und die damit verbundenen Vorteile für gleichgeschlechtliche Paare einen Verstoß gegen das grundlegende Recht auf Gleichheit und Ehefreiheit darstelle. Eine ähnliche Entscheidung wurde vom Obersten Gericht in Tokio im Oktober desselben Jahres gefällt. Die Obergerichte in Nagoya und Osaka erklärten das Verbot im März 2025 ebenfalls für verfassungswidrig.

Diese juristischen Erfolge setzen das japanische Parlament, den Diet, und letztlich den Obersten Gerichtshof unter Druck, sich endgültig mit der Verfassungsmäßigkeit des Verbots der gleichgeschlechtlichen Ehe auseinanderzusetzen. In den letzten Jahren haben LGBTQ+-Aktivist*innen ihre Bemühungen verstärkt und mehrere Klagen zur Ehegleichstellung in verschiedenen Regionen Japans eingereicht.

Partnerschaftszertifikate als Kompromisslösung

Während die nationale Regierung zögert, haben lokale Behörden das Vakuum gefüllt. Hunderte von Kommunen im ganzen Land stellen Partnerschaftszertifikate aus, die gleichgeschlechtlichen Paaren bei der Wohnungssuche und bei anderen Formen der Diskriminierung helfen sollen. Bis März 2025 haben 423 Gemeinden und 31 der 47 Präfekturen in Japan ein „Partnerschafts-Eid-System" eingeführt, das gleichgeschlechtlichen Paaren einige begrenzte Vorteile bietet.

Paare erhalten ein spezielles Zertifikat, das bei Wohnungsangelegenheiten, Besuchsrechten im Krankenhaus und der Zustimmung zu medizinischen Eingriffen für Partner*innen nützlich sein kann. Allerdings: Das System ist nicht rechtsverbindlich, und es besteht keine gesetzliche Verpflichtung für Vermieter*innen oder Krankenhäuser, die Rechte von Paaren zu respektieren, selbst wenn ein Zertifikat vorgelegt wird.

Parallelen zu Deutschland: Der lange Weg zur Gleichstellung

Die Entwicklungen in Japan erinnern an Deutschlands eigenen Weg zur Eheöffnung. Von 2001 bis 2017 konnten gleichgeschlechtliche Paare in Deutschland eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen – eine Institution, die schrittweise immer mehr Rechte erhielt, jedoch nie vollständig der Ehe gleichgestellt war.

Von 2001 bis 2017 erkannte Deutschland eingetragene Lebenspartnerschaften für gleichgeschlechtliche Paare an, deren Vorteile durch mehrere Urteile des Bundesverfassungsgerichts schrittweise erweitert wurden, bis sie die meisten, aber nicht alle Rechte der Ehe umfassten. Erst nach jahrzehntelangem Aktivismus und zahlreichen Gerichtsurteilen wurde am 30. Juni 2017 im Bundestag mit 393 zu 226 Stimmen die Ehe für alle beschlossen, die am 1. Oktober 2017 in Kraft trat.

Heute zeigen Umfragen, dass 80% der Deutschen gleichgeschlechtliche Ehe unterstützen. Der gesellschaftliche Wandel, der in Deutschland stattgefunden hat, zeigt, dass rechtliche Gleichstellung auch kulturelle Veränderungen vorantreiben kann.

Japan als einzige G7-Nation ohne Ehegleichstellung

Japan ist derzeit das einzige G7-Land, das gleichgeschlechtliche Verbindungen national in keiner Form rechtlich anerkennt. Diese Position ist zunehmend unhaltbar geworden, besonders angesichts des wachsenden öffentlichen Drucks. Mehr als 92% der japanischen Menschen im Alter von 18 bis 29 Jahren sagen, dass Homosexualität von der Gesellschaft akzeptiert werden sollte, laut einem Bericht des Pew Research Center aus dem Jahr 2021.

Die Verfassung Japans definiert derzeit die Ehe als basierend auf „gegenseitigem Einvernehmen zwischen beiden Geschlechtern", eine Formulierung, die traditionell so interpretiert wurde, dass sie gleichgeschlechtliche Paare ausschließt. Doch wie die deutschen Erfahrungen zeigen, können Verfassungsinterpretationen sich ändern – durch mutigen Aktivismus, gesellschaftlichen Wandel und politischen Willen.

Der Kampf geht weiter

Die jüngsten Entwicklungen in Japan sind ein wichtiger Schritt vorwärts, doch die vollständige Gleichstellung bleibt ein fernes Ziel. Im März 2025 äußerte sich Kabinettssekretär Yoshimasa Hayashi zu den fünf Obergerichtsurteilen, die das Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe als verfassungswidrig bezeichneten, und sagte: „All diese Entscheidungen sind noch nicht rechtskräftig, und wir werden die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs genau beobachten".

Für die LGBTQ+-Community in Japan bedeutet dies: Der Kampf geht weiter. Wie in Deutschland vor 2017 braucht es Geduld, Beharrlichkeit und den unermüdlichen Einsatz von Aktivist*innen, Anwält*innen und Verbündeten. Die Geschichte lehrt uns, dass Fortschritt möglich ist – aber er kommt selten ohne harte Arbeit.

Die erweiterte rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paare in Japan ist ein Hoffnungsschimmer. Doch solange nicht die volle Ehegleichstellung erreicht ist, bleibt die Botschaft klar: Gleiche Liebe verdient gleiche Rechte – in Japan genauso wie überall auf der Welt.


Revolutionäre Hautzellenforschung: Können gleichgeschlechtliche Paare bald gemeinsame Kinder bekommen?

Ein bahnbrechender wissenschaftlicher Durchbruch in den USA könnte die Familienplanung für gleichgeschlechtliche Paare grundlegend verändern. Forscher der Oregon Health & Science University (OHSU) haben erstmals aus menschlichen Hautzellen funktionsfähige Eizellen entwickelt, die frühe menschliche Embryonen produzieren können – ein Fortschritt, der gleichgeschlechtlichen Paaren die Möglichkeit bieten könnte, Kinder zu bekommen, die genetisch mit beiden Partnern verwandt sind. Diese Entwicklung, veröffentlicht in der Fachzeitschrift Nature Communications, wirft sowohl in wissenschaftlicher als auch gesellschaftlicher Hinsicht wichtige Fragen auf – besonders für die deutsche LGBTQ+-Community.

Die Wissenschaft hinter dem Durchbruch

Die innovative Technik basiert auf der somatischen Zellkerntransplantation, bei der der Kern einer Hautzelle in eine Spendereizelle eingesetzt wird, deren eigener Kern entfernt wurde. Durch das Zytoplasma in der Spendereizelle wird der implantierte Hautzellkern dazu angeregt, die Hälfte seiner Chromosomen abzugeben – ähnlich wie bei der natürlichen Meiose. Die neue Eizelle wird dann durch Standard-IVF mit Spermien befruchtet. Dies führt zu einem diploiden Embryo mit zwei Chromosomensätzen, der theoretisch zu gesunden Nachkommen mit gleichmäßigen genetischen Beiträgen von beiden Elternteilen führen würde.

Professor Shoukhrat Mitalipov, Direktor des OHSU Center for Embryonic Cell and Gene Therapy, betont die Bedeutung dieser Errungenschaft: "Wir haben etwas erreicht, was als unmöglich galt." Die Natur habe uns zwei Methoden der Zellteilung gegeben, und sein Team habe nun eine dritte entwickelt.

Die Realität: Noch ein weiter Weg

Trotz des wissenschaftlichen Durchbruchs ist die Technik noch weit von einer klinischen Anwendung entfernt. Die Forscher berichteten, dass sie 82 funktionelle Eizellen produzierten, die dann durch IVF befruchtet wurden. Die meisten entwickelten sich jedoch nicht über das 4- bis 8-Zell-Stadium hinaus und wiesen Chromosomenanomalien auf. Nur etwa 9% entwickelten sich bis zum Blastozysten-Stadium sechs Tage nach der Befruchtung. Die Forscher erwarten, dass mindestens ein Jahrzehnt weiterer Forschung erforderlich sein wird, bevor der Ansatz als sicher oder wirksam genug für eine klinische Studie angesehen werden könnte.

Die Situation in Deutschland: Zwischen Hoffnung und rechtlichen Hürden

Während in den USA an dieser revolutionären Technologie geforscht wird, sieht die Situation für gleichgeschlechtliche Paare mit Kinderwunsch in Deutschland deutlich anders aus. In Deutschland ist es derzeit nicht möglich, dass bei gleichgeschlechtlichen Paaren eine der Frauen das befruchtete Ei der Partnerin austrägt, da Ärzten die Übertragung einer fremden Eizelle auf eine Frau nicht erlaubt ist.

Die deutsche Gesetzgebung zur Embryonenforschung ist besonders restriktiv. Das 1990 verabschiedete Embryonenschutzgesetz verbietet die Forschung mit frühen menschlichen Embryonen außerhalb des Körpers. Dasselbe Gesetz untersagt zudem die Gewinnung von Stammzellen aus menschlichen Embryonen. Das deutsche Stammzellgesetz hingegen erlaubt – unter bestimmten Voraussetzungen – den Import von im Ausland erzeugten embryonalen Stammzellen und deren Verwendung für hochrangige Forschungsziele.

Aktuelle Möglichkeiten für gleichgeschlechtliche Paare in Deutschland

Derzeit nutzen gleichgeschlechtliche Paare in Deutschland hauptsächlich Samenspenden für ihre Familienplanung. Seit dem Inkrafttreten des Samenspenderregistergesetzes am 01.07.2018 behandeln viele Kinderwunschzentren gleichgeschlechtliche Paare mit Kinderwunsch, die in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft leben oder verheiratet sind. Mittlerweile therapieren sie aber auch unverheiratete gleichgeschlechtliche Paare und alleinstehende Frauen.

Die finanzielle Unterstützung bleibt jedoch ein großes Problem. Das Bundesrecht sieht eine finanzielle Unterstützung bei Kinderwunschbehandlungen nur für verschiedengeschlechtliche Paare vor, die krankheitsbedingt ungewollt kinderlos sind. Voraussetzung für die Förderung ist, dass nur Ei- und Samenzellen des Ehepaars verwendet werden. Die Voraussetzung einer homologen Insemination macht eine Kostenübernahme für gleichgeschlechtliche Paare unmöglich.

Hoffnungsschimmer: Einzelne Bundesländer gehen voran

Einige Bundesländer haben begonnen, gleichgeschlechtliche Paare bei Kinderwunschbehandlungen zu unterstützen. Rheinland-Pfalz bietet seit dem 1. März 2021 als erstes Bundesland eine finanzielle Unterstützung für gleichgeschlechtliche weibliche Paare. Berlin, Bremen, das Saarland und Thüringen fördern seit Kurzem bei Fertilitätsstörungen ebenfalls gleichgeschlechtliche weibliche Paare anteilig. Bremen denkt als erstes Bundesland bei der Förderung auch ausdrücklich nicht-cisgeschlechtliche Personen mit.

Ethische Fragen und gesellschaftliche Diskussion

Die neue Forschung aus den USA wirft wichtige ethische Fragen auf, die auch in Deutschland diskutiert werden müssen. Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger erklärte kürzlich: "Die Forschung an frühen Embryonen und anderen neuartigen Zellstrukturen aus dem Labor ist ein bedeutsames, aber auch kontroverses und ethisch herausforderndes Thema. Die Stellungnahmen aus der Wissenschaft sind eindeutig: Embryonenforschung ist wichtig, unsere Gesetze hierzu sind jedoch nicht mehr zeitgemäß. Deshalb müssen wir die Regelungen des Embryonenschutzgesetzes und des Stammzellgesetzes neu prüfen und bewerten."

Die Diskussion über die Zukunft der Reproduktionsmedizin in Deutschland ist besonders für die LGBTQ+-Community von großer Bedeutung. Während andere europäische Länder wie Großbritannien, Schweden und Belgien liberalere Regelungen haben, bleibt Deutschland bei der Embryonenforschung sehr restriktiv.

Was bedeutet das für queere Familien in Deutschland?

Die Entwicklungen in den USA zeigen, was wissenschaftlich möglich sein könnte – auch wenn die praktische Umsetzung noch Jahre entfernt ist. Für queere Menschen in Deutschland bedeutet dies vor allem eines: Die Diskussion über Reproduktionsrechte und Familienbildung muss intensiver geführt werden. Die OHSU-Forschung könnte ein wichtiger Katalysator für diese Debatten sein.

Paula Amato, Professorin für Geburtshilfe und Gynäkologie an der OHSU, fasst die Bedeutung zusammen: "Zusätzlich zur Hoffnung für Millionen von Menschen mit Unfruchtbarkeit würde diese Methode gleichgeschlechtlichen Paaren die Chance ermöglichen, ein Kind zu haben, das genetisch mit beiden Partnern verwandt ist."

Während Deutschland noch über die Reform seiner Gesetze diskutiert, arbeiten Wissenschaftler weltweit daran, neue Wege für alle Menschen zu schaffen, die sich eine Familie wünschen. Die Hautzellenforschung mag noch in den Kinderschuhen stecken, aber sie symbolisiert einen wichtigen Schritt in Richtung einer inklusiveren Zukunft der Familienbildung – eine Zukunft, in der die Liebe zwischen zwei Menschen und ihr Wunsch nach einem gemeinsamen Kind nicht durch biologische Grenzen eingeschränkt werden muss.

Die deutsche LGBTQ+-Community sollte diese Entwicklungen aufmerksam verfolgen und sich aktiv in die Diskussion über die Zukunft der Reproduktionsmedizin einbringen. Denn nur durch offenen Dialog und politischen Druck können die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es ermöglichen, dass solche wissenschaftlichen Durchbrüche auch queeren Familien in Deutschland zugutekommen.


Harvard-Dragstar sorgt für Aufruhr: Wie steht Deutschland zu queerer Wissenschaft?

Die renommierte Harvard University hat mit der Berufung von Kareem Khubchandani, besser bekannt als Drag Queen LaWhore Vagistan, für Schlagzeilen gesorgt. Die Ivy League Universität kündigte an, den Drag Performer als Gastprofessor für ihr Studies of Gender and Sexuality Programm zu engagieren. Die Original-Nachricht findet sich hier auf PinkNews. Doch während in den USA die Wogen hochschlagen, stellt sich die Frage: Wie positioniert sich Deutschland in der Debatte um queere Forschung und Lehre?

Ein akademischer Künstler mit Substanz

Khubchandani besitzt einen Bachelor-Abschluss in Soziologie und Anthropologie sowie einen Master und PhD in Performance Studies von der Northwestern University. Seine Forschung fokussiert sich auf die Schnittstellen zwischen queerem Nachtleben, globaler Politik, Ethnografie, der südasiatischen Diaspora und Drag. Mindestens sieben akademische Fachzeitschriften, darunter das Journal of Asian American Studies und Scholar and Feminist Online, haben Khubchandanis Arbeiten publiziert.

Der Name LaWhore Vagistan ist dabei bewusst gewählt: "Ich wählte 'LaWhore', weil meine Familie ihre Wurzeln in Pakistan hat: Lahore ist eine wichtige Stadt in Pakistan, und nun ja, ich bin ein bisschen eine Hure", erklärt Khubchandani. "Und Vagistan, weil ich den Subkontinent als eine große, schöne Vag ... istan sehe."

Der deutsche Blick auf Gender Studies

Während Harvard mit dieser Berufung international für Aufsehen sorgt, zeigt sich in Deutschland ein gespaltenes Bild. An deutschen, österreichischen und Schweizer Hochschulen existieren in 30 Fachgebieten 223 Professuren mit einer Denomination für Frauen- und Geschlechterforschung/Gender Studies. In Deutschland gibt es 146 Genderprofessuren an Universitäten und 50 an Fachhochschulen - fast doppelt so viele wie Professuren in Altphilologie.

Die Universität zu Köln bietet beispielsweise einen interdisziplinären Masterstudiengang Gender & Queer Studies an. Die Humboldt-Universität Berlin beheimatet eine Professur für Englische Literatur- und Kulturwissenschaft mit Schwerpunkt Gender und Queer Studies. Die Leuphana Universität Lüneburg organisierte 2024 einen "Gender, Queer and Transgender Studies Workshop" für Doktorand*innen in Kooperation mit der Duke University.

Drag-Kultur trifft deutsche Wissenschaft

Anders als in Harvard ist Drag als akademisches Forschungsfeld an deutschen Universitäten noch selten institutionalisiert. Drag hat in Deutschland eine lange Geschichte und ist untrennbar verbunden mit der widerständigen Geschichte von LSBTTIAQ+-Communities of Color, Travestie, Ballroom Culture, den Trümmer- und Polittunten, lesbischen Barszenen und queeren Menschenrechtsbewegungen.

Die TU Dortmund definiert Drag als "höchst diverse, ambivalente, kulturelle Form", die sowohl Ausdruck persönlicher Identität als auch künstlerische Performance sein kann. Die Kunst des Drags ist politisch motiviert, sie möchte traditionelle Geschlechterrollen hinterfragen und vorführen. Durch die überzeichnete Darstellung weiblicher Stereotypen provoziert eine Drag Queen, sie kritisiert und spielt mit den Normen unserer Gesellschaft.

Zwischen Anerkennung und Widerstand

Die Reaktionen auf Harvards Entscheidung spiegeln eine größere Debatte wider. Rechte Republikaner, einschließlich US-Präsident Donald Trump, haben Harvard kontinuierlich für ihre als "woke" wahrgenommenen Lehrpraktiken angegriffen. Im April kürzte Trump Milliarden Dollar an Bundesfinanzierung für die Universität, nachdem diese sich weigerte, ihre Diversity, Equality und Inclusion (DEI) Programme abzuschaffen.

Auch in Deutschland existiert diese Polarisierung. Während progressive Stimmen die Wichtigkeit von Gender Studies für eine inklusive Gesellschaft betonen, kritisieren konservative Kreise Gender Studies als "politischen Angriff auf die Wissenschaft und die Grundprinzipien einer pluralen rechtsstaatlichen Demokratie" und als "marxistische Unterwanderung der Universität".

Ein Blick nach vorn

Khubchandanis Berufung in Harvard ist mehr als eine akademische Personalentscheidung - sie ist ein Statement für die Anerkennung queerer Perspektiven in der Wissenschaft. Der Professor ist Autor von zwei Büchern, "Decolonise Drag" und "Ishtyle: Accenting Gay Indian Nightlife". Sein nächstes Buch, "Lessons in Drag: A Queer Manual for Academics, Artists, and Aunties", erscheint im Oktober 2025.

Während deutsche Universitäten bei der Integration von Drag-Performance in die akademische Lehre noch zurückhaltend sind, zeigt die breite Verankerung der Gender Studies an Institutionen wie der HU Berlin oder der Ruhr-Universität Bochum, dass queere Perspektiven durchaus ihren Platz in der deutschen Wissenschaftslandschaft haben.

Die Frage ist nicht, ob queere Forschung und Kunst einen Platz an Universitäten verdienen - sondern wie wir als Gesellschaft mit der Vielfalt wissenschaftlicher Perspektiven umgehen wollen. LaWhore Vagistans Gastprofessur in Harvard mag provozieren, doch sie öffnet auch Türen für Dialoge über Geschlecht, Identität und die Grenzen akademischer Traditionen - Themen, die in Deutschland ebenso relevant sind wie jenseits des Atlantiks.


Der Fall Liebich: Wie Rechtsextreme das Selbstbestimmungsgesetz für ihre Hetze missbrauchen

Die rechtsextreme Person Marla Svenja Liebich, die bis zum 29. August eine Haftstrafe in der JVA Chemnitz hätte antreten sollen, soll laut neuen Berichten das Justizministerium von Sachsen-Anhalt vor dem geplanten Haftantritt über die Flucht informiert haben. Liebich, die nach einer Änderung des Geschlechtseintrags Anfang 2025 unter dem neuen Selbstbestimmungsgesetz nun Marla-Svenja heißt, war wegen Volksverhetzung, übler Nachrede und Beleidigung zu einem Jahr und sechs Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt worden.

Eine kalkulierte Provokation gegen trans* Menschen

Vermutlich war Liebich nicht schon seit langem transident und hat sehnlichst darauf gewartet, nach Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes endlich den amtlichen Geschlechtseintrag mit der eigenen Geschlechtsidentität in Einklang zu bringen. Liebich war vermehrt über frühere Ausfälle gegen transidente Personen aufgefallen - 2022 störte die Person beispielsweise den CSD Halle und rief Teilnehmenden zu: "Ihr seid Parasiten dieser Gesellschaft!" Auf Social Media fragte Liebich die digitale Gefolgschaft wenige Tage nach dem Erhalt der Ladung: "Ob man wisse, wie es sich anfühlt, ein ganzes System zu ficken".

Die extreme Rechte nutzt den Fall nun gezielt, um gegen das Selbstbestimmungsgesetz mobil zu machen. Rechtsextreme und transfeindliche Milieus inszenieren Liebichs Aktion als "Beleg" dafür, dass das Selbstbestimmungsgesetz angeblich Tür und Tor für Missbrauch öffne - es scheint das Paradebeispiel, auf das trans-Feind*innen schon lange gewartet haben.

Das Selbstbestimmungsgesetz: Ein Menschenrecht unter Beschuss

Im April 2024 wurde das diskriminierende und in weiten Teilen verfassungswidrige Transsexuellengesetz vom Selbstbestimmungsgesetz abgelöst - ab dem 1. November 2024 können trans*, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen durch eine eigene Erklärung beim Standesamt ihren Namen, Personenstand und Geschlechtseintrag ändern. Deutschland folgt damit dem Beispiel von Argentinien, Malta, Dänemark, Luxemburg, Belgien, Irland, Portugal, Island, Neuseeland, Norwegen, Uruguay, Spanien, Finnland, Schweiz, Brasilien, Kolumbien und Ecuador, die bereits ähnliche Gesetze verabschiedet haben.

Die Erfahrungen anderer Länder wie Dänemark, Portugal und der Schweiz zeigen, dass kein Fall einer Änderung des Geschlechtseintrags aus betrügerischen oder kriminellen Absichten bekannt geworden ist. Das SBGG bezweckt Vereinfachungen, verzichtet grundsätzlich auf eine Wahrhaftigkeitsüberprüfung des Antrags durch das Standesamt - aber eindeutige Missbrauchsfälle zwingen das Standesamt nicht dazu, dem Antrag Folge zu leisten, im Gegenteil.

Die Realität von trans* Menschen in Deutschland

Während rechte Hetzer*innen den Einzelfall Liebich instrumentalisieren, bleibt die Lebensrealität von trans* Menschen in Deutschland bedrückend. Die FRA-Studie aus 2024 verdeutlicht das schockierende Ausmaß: 65% der trans* Frauen in Deutschland berichteten von Diskriminierung in den letzten 12 Monaten, und nur 19% aller trans* Personen glaubt, dass ihre Regierung Vorurteile und Intoleranz wirksam bekämpft.

Im Jahr 2023 wurden 1.785 Straftaten gegen LSBTIQ* Personen erfasst (2022: 1.188), darunter Beleidigungen, Gewalttaten, Volksverhetzungen sowie Nötigungen und Bedrohungen mit 212 Opfern bei Gewalttaten. Die Zahl der Straftaten im Bereich "Sexuelle Orientierung" und "Geschlechtsbezogene Diversität" hat sich seit 2010 nahezu verzehnfacht, wobei die Dunkelziffer weiterhin hoch ist.

Besonders alarmierend: Lediglich 8% der trans* Frauen haben den letzten physischen Angriff bei der Polizei angezeigt - 53% der trans* Frauen haben kein Vertrauen in die Polizei, 45% glaubten nicht, dass eine Anzeige etwas bringen würde. Trans* Personen erleben überdurchschnittlich viel Hass und Gewalt - laut einer Studie haben 66% der trans* Personen in Berlin in den letzten fünf Jahren Gewalterfahrungen gemacht, 80% davon in den Sozialen Medien, und sie erfahren überdurchschnittlich viel Mobbing in Schule, Ausbildung, Beruf und in der eigenen Familie.

Politische Instrumentalisierung statt Problemlösung

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hat Liebich einen Missbrauch des Selbstbestimmungsgesetzes vorgeworfen: "Der Geschlechterwechsel scheint hier eindeutig ein Missbrauchstatbestand zu sein". Dobrindt fordert, dass man sich einer Debatte stellen müsse, "dass hier Missbrauchsmöglichkeiten ganz offensichtlich durch dieses Gesetz gegeben sind", und bringt eine mögliche Änderung des von der Ampel-Koalition verabschiedeten Gesetzes ins Gespräch.

Die SPD hält dagegen: "Mit der SPD wird es keine Änderungen am Selbstbestimmungsgesetz geben", sagt die rechtspolitische Sprecherin Carmen Wegge - höchstens Verbesserungen bei der rechtlichen Stellung von trans-, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen würden unterstützt: "Es wird wegen einer Person keine Rolle rückwärts geben".

Der Schutz vor Missbrauch des Selbstbestimmungsgesetzes besteht bereits - die Vorstellung, cis Männer nutzten das Gesetz, um in sichere Frauenräume einzudringen, ist eine Nebelkerze, denn cis Männer verüben Gewalt an Frauen, ganz ohne sich davor einen bürokratischen Stempel abgeholt zu haben.

Die wahre Gefahr: Zunehmende Trans*feindlichkeit

Laut der kürzlich erschienenen Leipziger Autoritarismus Studie 2024 sind trans*feindliche Einstellungen in Deutschland weit verbreitet. Das Trans Murder Monitoring zählt 2024 weltweit 350 Morde - eines der drei tödlichsten Jahre für trans*, nicht-binäre und gender-nonkonforme Personen seit 2008, was eine Folge der konzertierten Bemühungen von Anti-Gender- und Anti-Menschenrechts-Bewegungen ist, die trans* Personen instrumentalisieren und verunglimpfen.

Die Staaten müssen sich zu sofortigem Handeln verpflichten, um der Zunahme von trans*feindlicher Hassrede und Angriffen entgegenzuwirken - "Dass alle Menschen Menschenrechte verdienen und sie auch brauchen, muss unsere Handlungen leiten. Die extreme Rechte nutzt Trans*feindlichkeit, um sich in der Mitte der Gesellschaft auszubreiten", warnen Expert*innen.

Ein Blick über die Grenzen: Deutschland im europäischen Vergleich

Das deutsche Selbstbestimmungsgesetz reiht sich in eine internationale Bewegung ein. Die Parlamentarische Versammlung des Europarats forderte bereits 2015 die EU-Mitgliedstaaten auf, einfache, unbürokratische Verfahren zu schaffen, damit trans Personen ohne Gerichtsurteile, Zwangsbegutachtungen oder andere Nachweise ihren Vornamen und Geschlechtseintrag ändern lassen können. Portugal beschloss 2018 ein Gesetz für Personen ab 16 Jahren, Spanien folgte 2022 mit einem ähnlichen Gesetz, das die bisherige Notwendigkeit einer medizinischen Diagnose oder Hormontherapie aufhebt.

Vorbild ist seit 2012 Argentinien, das als erstes Land weltweit ein Selbstbestimmungsgesetz verabschiedete und sogar eine Quote einführte, nach der ein Prozent der Arbeitsplätze in Behörden mit trans Personen besetzt sein sollen.

Fazit: Solidarität statt Spaltung

Der Fall Liebich zeigt einmal mehr, wie die extreme Rechte versucht, marginalisierte Gruppen gegeneinander auszuspielen und demokratische Errungenschaften zu untergraben. Liebichs Posse diffamiert vor allem trans Frauen und knüpft an ein bekanntes Muster an: Sie sollen als grundsätzlich gefährlich, kriminell oder übergriffig erscheinen, ihre Existenz grundlegend infrage gestellt werden.

Die LGBTQ+-Community und ihre Verbündeten müssen jetzt zusammenstehen. Das Selbstbestimmungsgesetz ist kein Einfallstor für Missbrauch, sondern ein längst überfälliger Schritt zur Anerkennung der Menschenwürde von trans*, inter* und nicht-binären Menschen. Statt auf die Provokationen einzelner Rechtsextremer einzugehen, sollte die Gesellschaft sich auf den Schutz und die Unterstützung derjenigen konzentrieren, die täglich unter Diskriminierung und Gewalt leiden.

Die wahre Gefahr geht nicht vom Selbstbestimmungsgesetz aus, sondern von denjenigen, die es nutzen, um Hass zu säen und demokratische Werte zu untergraben. Es ist Zeit, dass Deutschland - wie viele andere Länder vor uns - trans* Menschen die Würde und den Respekt entgegenbringt, die ihnen als Mitmenschen zustehen.


Wenn Scham zur tödlichen Waffe wird: Der Fall Justin R. und die Gefahr internalisierter Homophobie

Ein tragischer Fall aus Schleswig-Holstein wirft ein grelles Licht auf die gefährliche Verbindung zwischen internalisierter Homophobie und Gewalt. Wie der Originalartikel berichtet, steht der 21-jährige Justin R. vor dem Landgericht Itzehoe wegen Mordes an einem Grindr-Date vor Gericht. Der Fall offenbart die zerstörerische Kraft von Selbsthass und gesellschaftlicher Stigmatisierung.

Die doppelte Tragödie

Am 22. Januar wurde der 56-jährige Jörg M. in der Wohnung des Angeklagten erstochen. Was die Freunde des Täters vor Gericht aussagten, ist erschütternd: Justin R. soll hoch verschuldet gewesen sein und erfand eine Geschichte über eine wohlhabende Frau namens "Larissa", um seine finanziellen Probleme und die sexuellen Kontakte zu verschleiern.

Besonders aufschlussreich ist die Aussage der Freunde, dass der Angeklagte sich für homosexuelle Kontakte geschämt hätte, wenn diese im Freundeskreis bekannt geworden wären. Diese Scham – ein klassisches Zeichen internalisierter Homophobie – kann verheerende Folgen haben.

Internalisierte Homophobie: Der Feind im eigenen Inneren

Internalisierte Homophobie bezeichnet negative Gefühle, Gedanken oder Verhaltensweisen gegenüber der eigenen Homosexualität, die oft unbewusst sind. Betroffene erleben einen inneren Konflikt zwischen gesellschaftlichen Normen und ihren eigenen Gefühlen. Typisch sind Minderwertigkeitsgefühle, das Gefühl, als Person falsch und weniger wert zu sein, sowie Angst vor Zurückweisung, Selbstablehnung bis hin zu Selbsthass, Scham, Depressionen, Angststörungen und in extremen Fällen Suizidalität.

Die häufigsten Gefühle des Menschen mit internalisierter Homophobie sind Angst und Scham. Angst vor seinem Leben wegen gesellschaftlicher Vorurteile und Scham, weil er das Gefühl hat, nicht zum aktuellen System zu gehören. Diese toxischen Gefühle können sich gegen die eigene Person richten – oder wie im Fall von Justin R. möglicherweise nach außen gewendet werden.

Gesellschaftliche Stigmatisierung als Nährboden

Deutschland gilt als fortschrittlich in LGBTQ+-Rechten, doch die Realität zeigt ein anderes Bild. Im Jahr 2023 wurden insgesamt 17.007 Fälle von Hasskriminalität erfasst. Davon richteten sich 1.785 Straftaten gegen LSBTIQ* Personen – ein besorgniserregender Anstieg. Die Zahl der Straftaten im Bereich "Sexuelle Orientierung" und "Geschlechtsbezogene Diversität" hat sich seit 2010 nahezu verzehnfacht.

45% der Teilnehmenden einer Befragung in Baden-Württemberg wurden in den letzten 12 Monaten aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität diskriminiert. Drei von vier befragten LSBTIQ*-Personen haben in diesem Zeitraum Gewalt gegen sich oder ihre Gleichbehandlung erfahren.

Die Gefahr von Dating-Apps in einer homophoben Gesellschaft

Dating-Apps wie Grindr bieten LGBTQ+-Menschen wichtige Räume für Kontakte und Beziehungen. Doch sie bergen auch Risiken, besonders für Menschen, die ihre Sexualität verheimlichen. Verheimlichungsstress ist enorm belastend und eine der am schwersten zu ertragenden Stressarten.

Der Fall Justin R. ist nicht einzigartig. Im Jahr 2024 wurden in Deutschland 222 vollendete Morde polizeilich erfasst. Die Zahl der Mordfälle stieg das zweite Jahr in Folge. Während die meisten Morde andere Hintergründe haben, zeigt dieser Fall die besondere Vulnerabilität der LGBTQ+-Community.

Was können wir tun?

Die Lösung liegt nicht nur in besseren Sicherheitsvorkehrungen bei Dating-Apps, sondern in gesellschaftlichem Wandel. 44 Prozent der Deutschen sind der Ansicht, Homosexuelle sollten aufhören, "so einen Wirbel um ihre Sexualität zu machen". Diese subtilen Formen der Homophobie schaffen ein Klima, in dem sich Menschen für ihre Sexualität schämen.

  • Aufklärung und Sensibilisierung in Schulen und Bildungseinrichtungen
  • Psychologische Unterstützung für Menschen mit internalisierter Homophobie
  • Stärkung von LGBTQ+-Beratungsstellen
  • Konsequente Verfolgung von Hasskriminalität
  • Förderung positiver LGBTQ+-Rollenbilder in Medien und Gesellschaft

Ein Appell an die Community

Dieser Fall sollte uns alle wachrütteln. Er zeigt, dass internalisierte Homophobie nicht nur die Betroffenen selbst zerstört, sondern auch andere gefährdet. Jeden Tag werden in Deutschland Menschen angegriffen, bloß weil sie lieben, wie sie lieben oder sind wie sie sind. LSBTIQ* bleiben eine verwundbare gesellschaftliche Gruppe.

Für die LGBTQ+-Community bedeutet das: Wir müssen aufeinander achten. Wir müssen sichere Räume schaffen, in denen Menschen ihre Sexualität ohne Scham leben können. Und wir müssen jene unterstützen, die noch mit ihrer eigenen Identität kämpfen.

Der Tod von Jörg M. ist eine Tragödie, die niemals hätte passieren dürfen. Justin R. wird sich vor Gericht für seine Tat verantworten müssen. Doch als Gesellschaft müssen wir uns fragen: Welche Rolle spielen wir dabei, wenn Menschen ihre eigene Sexualität so sehr hassen, dass daraus tödliche Gewalt wird?

Die Antwort liegt in mehr Akzeptanz, mehr Sichtbarkeit und weniger Scham. Nur so können wir verhindern, dass sich solche Tragödien wiederholen.


Syphilis-Alarm in Deutschland: Was die neuen Rekordzahlen für die queere Community bedeuten

Die Zahlen sind alarmierend: Mit 9.519 gemeldeten Fällen hat Deutschland 2024 einen neuen Höchststand an Syphilis-Infektionen erreicht. 2024 wurden dem Robert Koch-Institut (RKI) 9.519 Syphilis-Fälle gemeldet, wie das RKI in seinem epidemiologischen Bulletin bekannt gab. Das entspricht einem Zuwachs von 3,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr, in dem 9.159 Fälle registriert wurden. Besonders betroffen: queere Männer in deutschen Großstädten.

Ein Virus, das die Community besonders trifft

Die Statistik zeigt ein eindeutiges Muster: Die wichtigste Risikogruppe sind Männer, die Sex mit Männern (MSM) haben. Auf diese Gruppe entfallen 85,6 % aller Erkrankungen – was auch erklärt, warum Frauen insgesamt 17-fach seltener als Männer (1,1 versus 18,9 / 100.000) erkranken. Diese Konzentration ist kein neues Phänomen – seit dem Wiederanstieg der Syphilis-Zahlen um das Jahr 2000 sind überwiegend Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), in Großstädten betroffen.

Doch warum ist das so? Das Team um Viviane Bremer vom RKI führt dies auf die erhöhte Risikobereitschaft in dieser Gruppe zurück. Neben der Verbreitung von Partydrogen könnte auch die HIV-Prä-Expositionsprophylaxe (PrEP) eine wichtige Rolle spielen. Die PrEP schützt zwar effektiv vor HIV, aber nicht vor einer Syphilis und anderen sexuell übertragbaren Infektionen (STI).

Berlin und Hamburg als Brennpunkte

Die geografische Verteilung der Infektionen zeigt deutliche Unterschiede. Die höchsten Inzidenzen wurden im vergangenen Jahr in Berlin (35,7 Fälle pro 100.000 Einwohner) und Hamburg (30,3 Fälle pro 100.000 Einwohner) registriert. Auch Bremen liegt mit 14,0 Fällen pro 100.000 Einwohner über dem bundesweiten Durchschnitt von 11,2 Fällen. Brandenburg weist hingegen mit 4,5 pro 100.000 Einwohner die niedrigste Inzidenz auf.

Diese Konzentration in Großstädten ist kein Zufall: Neben Berlin und Hamburg ist die Syphilis auch in Köln (42,9), München (38,9), Nürnberg (29,2), Frankfurt am Main (27,8) und Düsseldorf (25,5) verbreitet. In urbanen Zentren leben nicht nur mehr queere Menschen, sondern es gibt auch aktivere Dating-Szenen und mehr Möglichkeiten für sexuelle Kontakte.

Die PrEP-Revolution und ihre Schattenseiten

Die HIV-Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) hat die sexuelle Gesundheit queerer Männer revolutioniert. Die Kosten einer PrEP werden in Deutschland seit September 2019 von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Das RKI schätzt, dass es mit Stand Ende 2023 rund 40.000 PrEP-Nutzer in Deutschland gab.

Die PrEP ist eine hochwirksame Schutzmethode: Bei dieser Schutzmethode nehmen HIV-negative Menschen entweder dauerhaft täglich oder vor und nach sexuellen Kontakten („anlassbezogen") ein HIV-Medikament ein, um sich vor einer Ansteckung mit HIV zu schützen. Laut der Deutschen Aidshilfe schützt eine PrEP so gut wie Kondome – sofern sie richtig angewendet wird.

Doch diese Erfolgsgeschichte hat eine Kehrseite: Ein Effekt der PrEP sei in zwei Richtungen denkbar: Zum einen könne durch PrEP-bedingten Verzicht auf Kondome das Risiko für andere STI, so auch für Syphilis, steigen. Zum anderen können durch das STI-Screening im Rahmen der regelmäßigen PrEP-Untersuchung Syphilis-Infektionen früher diagnostiziert und behandelt werden.

Warum Syphilis gefährlich bleibt

Syphilis ist mehr als nur eine unangenehme Infektion. Die Syphilis ist eine durch Treponema pallidum verursachte Erkrankung, die nur beim Menschen vorkommt und sexuell, durch Blut und intrauterin von der Mutter auf das Kind übertragen wird. Sie verläuft typischerweise in drei Stadien: Los geht es mit einem meist schmerzlosen Geschwür kurz nach der Infektion. Danach macht sich die Erkrankung etwa durch Hautveränderungen bemerkbar, bevor – Jahre nach der Erstinfektion – Schädigungen des zentralen Nervensystems und der Blutgefäße auftreten können.

Die gute Nachricht: Syphilis kann durch Antibiotika geheilt werden, wobei wiederholte Infektionen möglich sind. Tatsächlich zeigen die Daten, dass bei fast 40 Prozent der Syphilisinfektionen unter Männern die Ärzt_innen von einer erneuten Ansteckung ausgingen.

Gesundheitsvorsorge in der queeren Community

Die steigenden Syphilis-Zahlen werfen ein Schlaglicht auf die besonderen Gesundheitsbedürfnisse queerer Menschen in Deutschland. Diskriminierung und Minderheitenstress können krank machen und haben insbesondere Auswirkungen auf die psychische und mentale Gesundheit. Die wenig vorhandenen Studien deuten darauf hin, dass LSBTIQ* weniger Chancen auf ein gesundes Leben haben und häufiger von psychischen Erkrankungen betroffen sind.

Ein großes Problem bleibt die Diskriminierung im Gesundheitswesen. Wenn Patient*innen nicht offen über Sexualität reden können, werden schnell Fehldiagnosen gestellt. Das kann schlimmstenfalls lebensgefährlich sein, warnt Dr. Gaby Knecht, Fachärztin für Innere Medizin und Infektiologie.

Für queere Menschen ist es daher besonders wichtig, queersensible Praxen zu finden. Auf queermed-deutschland.de finden sich geeignete Praxen. Die Empfehlungen auf der Plattform stammen aus der Community. Bislang sind über 1.700 Empfehlungen online. Gerade in ländlichen Gebieten zeigt sich, dass Deutschland von einem flächendeckenden Angebot queersensibler Praxen weit entfernt ist.

Was jetzt zu tun ist

Das Robert Koch-Institut empfiehlt konkrete Maßnahmen: neben verstärkter Kondomwerbung auch den Ausbau von Test- und Behandlungsangeboten. Die Robert Koch-Mitarbeiter raten zu einem intensivierten Screening. MSM sollten sich in Abhängigkeit vom Risikoverhalten alle 3 bis 12 Monate auf STI untersuchen lassen.

Besonders wichtig ist die Aufklärung über die Grenzen der PrEP. Während sie exzellenten Schutz vor HIV bietet, ist sie jedoch kein Ersatz für Safer Sex, denn sie schützt nicht vor anderen sexuell übertragbaren Infektionen (STI). Einige Studien deuten allerdings an, dass Menschen, die PrEP nutzen, häufiger an anderen STIs erkranken.

Die Bundesregierung hat die Bedeutung der Prävention erkannt: Seit Beginn der Einführung der GKV-PrEP ist die Anzahl der PrEP-Nutzenden nahezu kontinuierlich angestiegen. Ende 2023 gab es schätzungsweise rund 40.000 PrEP-Nutzenden in Deutschland.

Ein Blick in die Zukunft

Die steigenden Syphilis-Zahlen sind ein Weckruf, aber kein Grund zur Panik. Mit der richtigen Kombination aus Aufklärung, regelmäßigen Tests und bewusstem Umgang mit Schutzmöglichkeiten lässt sich das Infektionsrisiko deutlich reduzieren. Die queere Community hat in der Vergangenheit bewiesen, dass sie mit Gesundheitskrisen umgehen kann – von der HIV/AIDS-Krise der 1980er Jahre bis zur Corona-Pandemie.

Entscheidend wird sein, dass die Gesundheitsversorgung für queere Menschen weiter verbessert wird. Die Gesundheitsvorsorge für queere Personen erfordert eine ganzheitliche Herangehensweise. Besonders wichtig ist es, mehr Pflegeeinrichtungen aufzubauen, die auf queersensible Pflege spezialisiert sind. Auch unterstützende Gemeinschaften gehören zur Gesundheitsvorsorge für queere Menschen dazu.

Die neuen Syphilis-Zahlen zeigen: Sexuelle Gesundheit bleibt ein wichtiges Thema für die queere Community. Mit offener Kommunikation, regelmäßigen Tests und einem bewussten Umgang mit Schutzmaßnahmen können wir gemeinsam dafür sorgen, dass die Infektionszahlen wieder sinken – ohne dabei auf sexuelle Freiheit und Selbstbestimmung verzichten zu müssen.


Das dunkle Erbe des Paragraph 175: Wie deutsche Gerichte jahrzehntelang homosexuelle Männer diskriminierten

Das Bundesverfassungsgericht hat eine unrühmliche Geschichte im Umgang mit Homosexualität. 1957 erteilte das oberste deutsche Gericht dem damals noch uneingeschränkt geltenden Verbot homosexueller Handlungen seinen Segen. Die damalige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Az. 1 BvR 550/52) offenbart ein erschütterndes Zeugnis institutionalisierter Diskriminierung, das bis heute nachwirkt.

Schockierende Vorurteile als Rechtsgrundlage

Die Entscheidung von 1957 setzte eine grundsätzliche Unerwünschtheit von Homosexualität weitgehend als selbstverständlich voraus und widmete sich vor allem der Frage nach der Ungleichbehandlung gegenüber lesbischen Frauen, deren Handeln straffrei war. Die Begründungen, die das höchste deutsche Gericht für diese Ungleichbehandlung anführte, lesen sich heute wie ein Dokument tiefsitzender Homophobie.

Das Gericht argumentierte mit erschreckenden Stereotypen über die angeblich unterschiedliche Sexualität von Männern und Frauen. Besonders perfide war die Behauptung, dass „der lesbisch veranlagten Frau das Durchhalten sexueller Abstinenz leichter gelingt, während der homosexuelle Mann dazu neigt, einem hemmungslosen Sexualbedürfnis zu verfallen." Diese diskriminierende Aussage zeigt, wie tief verwurzelt die Vorurteile selbst in den höchsten Justizkreisen waren.

Weiter behauptete das Gericht, junge Frauen seien weniger anfällig für gleichgeschlechtliche „Verführung": „Die Gefahr solcher Fehlprägung ist aber bei Mädchen weit geringer als bei männlichen Jugendlichen." Das Gericht ging sogar so weit zu behaupten, dass Mädchen „durch ein natürliches Gefühl für sexuelle Ordnung bewahrt" würden - eine Aussage, die nicht nur homophob, sondern auch zutiefst sexistisch ist.

Homosexualität als angebliche Gefahr für die Gesellschaft

Die Verfassungsrichter konstruierten homosexuelle Männer als Bedrohung für die Gesellschaft. Sie behaupteten, männliche Homosexuelle würden zu „ständigem Partnerwechsel" neigen und familienhafte Bindungen ablehnen. Im Gegensatz dazu würden lesbische Verhältnisse „zur Dauerhaftigkeit tendieren" und seien weniger sichtbar in der Öffentlichkeit.

Diese Argumentation diente dazu, die strafrechtliche Verfolgung homosexueller Männer zu rechtfertigen, während gleichgeschlechtliche Beziehungen zwischen Frauen straffrei blieben. Das Gericht sah darin keinen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes.

Die Kirchen als moralische Autorität

Das BVerfG begründete die Beschränkung der persönlichen Handlungsfreiheit unter Verweis auf Art. 2 Abs. 1 GG, der persönliche Handlungsfreiheit nur gewährt, "soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt". Homosexualität verstoße „eindeutig" gegen das Sittengesetz, was sich unter anderem aus der Haltung der christlichen Kirchen ergebe.

Das Gericht argumentierte: „Von größerem Gewicht ist, daß die öffentlichen Religionsgesellschaften, insbesondere die beiden großen christlichen Konfessionen, aus deren Lehren große Teile des Volkes die Maßstäbe für ihr sittliches Verhalten entnehmen, die gleichgeschlechtliche Unzucht als unsittlich verurteilen." Damit machte sich das oberste deutsche Gericht die religiöse Moral zur Grundlage seiner Rechtsprechung.

Die tragische Geschichte des Paragraph 175

Paragraph 175 des Strafgesetzbuches existierte vom 15. Mai 1871 bis zum 10. März 1994. Er machte sexuelle Beziehungen zwischen Männern zu einem Verbrechen und kriminalisierte in frühen Versionen auch Sodomie sowie Formen der Prostitution und des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger. Insgesamt wurden etwa 140.000 Männer unter diesem Gesetz verurteilt.

Die Nazis verschärften das Gesetz 1935 als Teil der schwersten Verfolgung homosexueller Männer in der Geschichte. Wissenschaftler schätzen, dass es während des Nazi-Regimes etwa 100.000 Verhaftungen wegen Verstößen gegen Paragraph 175 gab. Über die Hälfte dieser Verhaftungen (etwa 53.400) führten zu Verurteilungen.

Das Versagen der Nachkriegsjustiz

Nach 1945 war es eines der wenigen Gesetze aus der Nazi-Zeit, das in seiner ursprünglichen Form in Westdeutschland beibehalten wurde, während Ostdeutschland zur Version vor der Nazi-Zeit zurückkehrte. 1950 hob Ostdeutschland die Nazi-Änderungen zu Paragraph 175 auf, während Westdeutschland sie beibehielt und sogar vom Verfassungsgericht bestätigen ließ.

Trotz seiner Vorgeschichte in der Zeit des Nationalsozialismus sah das Bundesverfassungsgericht 1957 die Strafbestimmung als nicht nationalsozialistisch geprägt und erlaubte ihre weitere Anwendung in der Bundesrepublik. Mit Beschluss vom 2. Oktober 1973 erklärte das BVerfG das Fortbestehen einer Sondervorschrift gegen männliche Homosexualität erneut für verfassungskonform und verwies dabei erschreckenderweise immer noch auf die Gründe der Entscheidung von 1957.

Von 1945 bis 1969 wurden etwa 100.000 Männer in Gerichtsverfahren verwickelt, und etwa 50.000 wurden verurteilt. In der Bundesrepublik wurden zirka 50.000 Männer zwischen 1950 und 1969 verurteilt und bis zur Streichung des Gesetzes 1994 noch weitere rund 3.500.

Der lange Weg zur Rehabilitierung

1969 senkte die Regierung das Schutzalter auf 21 Jahre. Das Schutzalter wurde 1973 auf 18 Jahre gesenkt, und schließlich wurde der Paragraph 1994 aufgehoben und das Schutzalter auf 16 Jahre gesenkt, das gleiche wie für heterosexuelle Handlungen.

In der DDR hingegen fand die Vorschrift zwischen 1957 und 1968 nur in abgemilderter Form Anwendung und wurde anschließend aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Die unterschiedliche Handhabung in Ost- und Westdeutschland zeigt, wie sehr die Bundesrepublik an der diskriminierenden Gesetzgebung festhielt.

Späte Gerechtigkeit

Im Jahr 2002 hob der Bundestag die während der Zeit des Nationalsozialismus ergangenen Urteile auf. Erst am 22. Juli 2017 wurden auch alle Urteile nach 1945 aufgehoben. Dies erfolgte durch das Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen (StrRehaHomG).

Die Entschädigung beträgt 3.000 Euro je aufgehobenes Urteil. Für jedes angefangene, aufgrund der Verurteilung erlittene Jahr der Freiheitsentziehung wird eine zusätzliche Entschädigung von jeweils 1.500 Euro geleistet. Diese Beträge wirken angesichts des erlittenen Unrechts geradezu beschämend niedrig.

Schätzungen zufolge ergingen zwischen 1945 und 1994 etwa 69.000 Urteile nach den genannten Verbotsvorschriften. Bis Mitte Juli 2022 beantragten nur 335 Personen eine Entschädigung beim Bundesamt für Justiz, von denen 259 tatsächlich entschädigt werden konnten. Viele Betroffene sind bereits verstorben, ohne je Gerechtigkeit erfahren zu haben.

Ein Mahnmal der Schande

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1957 und die jahrzehntelange Aufrechterhaltung des Paragraph 175 bleiben ein dunkles Kapitel deutscher Rechtsgeschichte. Die Folgen für die Verurteilten sind bis heute kaum zu ermessen. Neben zehntausenden Geld- und Haftstrafen steht die Vernichtung ungezählter bürgerlicher Existenzen, die nicht selten zu Auswanderung oder Selbstmord der Betroffenen führte.

Bundesjustizminister Marco Buschmann erklärte 2022: „Das Verbot einvernehmlicher homosexueller Handlungen hat bei den Betroffenen viel Leid verursacht und ganze Leben zerstört. Die strafrechtliche Verfolgung war aus heutiger Sicht grobes Unrecht".

Die Geschichte des Paragraph 175 und insbesondere die Rolle des Bundesverfassungsgerichts mahnen uns, wachsam zu bleiben gegenüber Diskriminierung und Ausgrenzung. Sie zeigt, wie selbst die höchsten Gerichte zu Instrumenten der Unterdrückung werden können, wenn Vorurteile und moralische Panik die Oberhand gewinnen. In Zeiten, in denen LGBTQ+-Rechte wieder verstärkt unter Druck geraten, ist diese Mahnung aktueller denn je.

Für weitere Informationen können sich Betroffene an das Bundesamt für Justiz wenden oder die Beratungshotline der Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren unter 0800-175 2017 kontaktieren.


AfD scheitert erneut: Bundestag verwehrt Queerfeindlichkeit einen Platz in der Hirschfeld-Stiftung

Die AfD ist am Donnerstag erneut mit ihrem Versuch gescheitert, queerfeindliche Abgeordnete ins Kuratorium der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld zu entsenden. Der Deutsche Bundestag lehnte die Nominierung von Beatrix von Storch und Nicole Höchst mehrheitlich ab – ein klares Signal für den Schutz queerer Rechte, wie queer.de berichtet. Das Kuratorium der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld fasst die wesentlichen Beschlüsse der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld und überwacht die Arbeit des Vorstands.

Provokation mit System

Die AfD-Fraktion hatte mit Beatrix von Storch als Vizefraktionschefin und Nicole Höchst als stellvertretende Landesparteichefin aus Rheinland-Pfalz bewusst zwei Politikerinnen nominiert, die sich durch besonders aggressive queerfeindliche Rhetorik hervorgetan haben. Beide Politikerinnen gelten als extrem queerfeindlich. Auch Nicole Höchst gilt als queerfeindliche Speerspitze der Partei. Dies ist bereits der zweite Anlauf der Partei – schon 2022 waren die gleichen Kandidatinnen durchgefallen.

Beatrix von Storch engagierte sich mit Projekten wie dem Propaganda-Portal "Freie Welt" und der "Initiative Familienschutz" bereits vor der Gründung der AfD als queerfeindliche Aktivistin. Sie ist seit dem Gründungsjahr der AfD eine der führenden Figuren der Partei und wurde bereits 2014 Spitzenkandidatin für die Europawahl. Immer wieder zeigt sie mit aggressiven Worten, dass sie wenig von sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten hält. Im Juni dieses Jahres bezeichnete sie die Regenbogenfahne als "politisches extremes Symbol", während das von ihrem Haus betriebene Portal "Die freie Welt" einen Zusammenhang zwischen Satanismus und der queeren Community herstellte.

Nicole Höchst: Eine Chronik der Hetze

Nicole Höchst sitzt seit 2017 für die AfD im Deutschen Bundestag. 2021 warnte sie vor "entarteter Regenbogenvielfalt". Mit konstruierten Vorwürfen versucht die AfD, die Arbeit der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld (BMH) zu diskreditieren und sogar mit der Unterstützung von Pädophilie in Verbindung zu bringen. Ihre staatliche Finanzierung müsse "dringend auf den Prüfstand", forderte die Bundestagabgeordnete Nicole Höchst vergangene Woche in einer Pressemitteilung. Als Begründung genügen der bekanntermaßen queerfeindlichen Politikerin, die 2021 vor "entarteter Regenbogenvielfalt" warnte, eine positive Äußerung von BMH-Vorstand Helmut Metzner zur queeren Kita in Berlin, ein Vortrag vor zehn Jahren und eine zufällige Begegnung

Besonders perfide: Höchst warnte im letzten Sommer in Vorträgen zu "Frühsexualisierung", es gebe Bundesländer, "in denen Schwulen-, Lesben- und Transenverbände diesen Unterricht zur Vielfalt übernehmen" und in denen der Lehrer dabei vor die Tür gehe. Die "Verunsicherung der Kinder", etwa durch Thematisierung von Trans- oder Intersexualität im Kindergarten, grenze an "sexuelle Nötigung" und "seelische Grausamkeit" Laut einem Bericht der "Rhein-Zeitung" behauptete Höchst zudem im letzten August in einer Wahldebatte vor Schülern, dass sie gegen das Adoptionsrecht für Homo-Paare sei, da Studien belegten, "dass es unter homosexuellen Männern mehr Pädophile gibt". Vermutlich stützte sie sich dabei auf einen FAZ-Gastkommentar aus dem Sommer; die Zeitung hatte für diese Falschbehauptung eine Rüge des Presserats erhalten

Die Bedeutung der Hirschfeld-Stiftung

Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld (BMH) ist eine mit 11,1 Millionen Euro (Stand: 31. Dezember 2018) ausgestattete Stiftung mit Sitz in Berlin. Ihre Ziele und Aufgaben sind es, an den Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld zu erinnern, Bildungs- und Forschungsprojekte zu fördern und zu initiieren und einer gesellschaftlichen Diskriminierung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen sowie queeren Personen (Abkürzung: LSBTTIQ) in Deutschland entgegenzuwirken.

Die Stiftung ist nach Magnus Hirschfeld benannt, dessen Institut für Sexualwissenschaft 1933 von den Nazis geplündert und zerschlagen wurde. Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld hat in den Jahren 2012 bis 2025 bisher insgesamt 888.437,72 Euro an Fördermitteln für 213 Projekte ausgeschüttet bzw. bewilligt. Sie unterstützt damit wichtige Forschungs- und Bildungsprojekte, die der Akzeptanz queerer Menschen in Deutschland dienen.

Breite Ablehnung im Parlament

Bei der Abstimmung am Donnerstag stimmte erwartungsgemäß nur die AfD-Fraktion für ihre eigenen Kandidatinnen. Die SPD, Grünen, FDP und Linke votierten geschlossen dagegen, während sich die Unionsfraktion enthielt. Mehrfach war Höchst in den vergangenen Jahren von ihrer Partei für einen Sitz im Kuratorium der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld nominiert worden. Bei den Abstimmungen im Bundestag erhielt sie jedoch nie eine Mehrheit.

Die demokratischen Fraktionen haben ihre Kandidat*innen bereits erfolgreich nominiert: Die SPD entsendet Falko Droßmann, ihren queerpolitischen Fraktionssprecher, und Carmen Wegge. Die Grünen schicken die trans Abgeordnete Nyke Slawik und Max Lucks als Stellvertreter. Die Union wird durch Melanie Bernstein, Ralph Edelhäußer und Jan-Marco Luczak vertreten, wobei Luczak bereits seit 2015 dem Kuratorium angehört und sich 2019 als erster CDU-Abgeordneter für eine Ergänzung des Gleichbehandlungs-Artikels im Grundgesetz um das Merkmal sexuelle Identität aussprach.

Queere Stiftungen als Zielscheibe

Der erneute Vorstoß der AfD reiht sich ein in eine lange Geschichte von Angriffen auf die Hirschfeld-Stiftung. Schon 2018 wollte die AfD die BMH-Förderung streichen. Der Vorstoß von Nicole Höchst ist nicht der erste Angriff der AfD auf die Stiftung. Schon 2018 hatte die Rechtsaußenpartei in einem Entschließungsantrag gefordert, die öffentlichen Gelder für die BMH zu streichen. Die Partei versucht systematisch, Institutionen zu unterwandern, die sich für die Rechte queerer Menschen einsetzen.

Dabei steht die Hirschfeld-Stiftung nicht allein in ihrer Arbeit für Akzeptanz und Gleichberechtigung. Das Netzwerk Regenbogenstiftungen ist ein Zusammenschluss deutscher Stiftungen, die eines gemeinsam haben: Sie alle setzen sich für LGBTI-Menschen ein. Darüber hinaus sind sie jedoch so verschieden und, wie es auf der Website des Netzwerks heißt, so "bunt wie das Leben, die Menschen, der Regenbogen". Jede Stiftung bringt einen anderen Schwerpunkt mit ein, sodass das Netzwerk Regenbogenstiftungen ein sehr breites Spektrum an Themen, Projekten sowie Bildungs-, Forschungs- und Förderungsmaßnahmen abdeckt.

Ein klares Zeichen für Demokratie und Vielfalt

Die erneute Ablehnung der AfD-Kandidatinnen sendet ein wichtiges Signal: Der Deutsche Bundestag lässt nicht zu, dass eine Stiftung, die dem Gedenken an NS-Opfer und der Förderung von Akzeptanz dient, von innen heraus sabotiert wird. Alle Menschen sollen gleichberechtigt, frei, sicher und selbstbestimmt an der Gesellschaft teilhaben. Damit dies auch für Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche sowie andere queere Menschen (LSBTIQ*) möglich ist, hat das Bundeskabinett den Aktionsplan "Queer leben" verabschiedet. Der Aktionsplan "Queer leben" enthält ein umfangreiches Maßnahmenpaket, um den Alltag queerer Menschen zu verbessern und die rechtliche Gleichstellung voranzubringen.

Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld bleibt damit ein geschützter Raum für die wichtige Arbeit zur Förderung von Akzeptanz und gegen Diskriminierung. Die demokratischen Parteien haben deutlich gemacht: Queerfeindlichkeit und Hetze haben keinen Platz in den Institutionen, die unsere vielfältige Gesellschaft schützen und stärken sollen.


Gericht verteidigt gesellschaftliche Realität: Gleichgeschlechtliche Ampelpärchen in Hildesheim bleiben

Das Verwaltungsgericht Hannover hat eine Klage gegen gleichgeschlechtliche Ampelpärchen in Hildesheim als unzulässig abgewiesen und damit ein wichtiges Signal für Toleranz und Vielfalt im öffentlichen Raum gesetzt. Die Entscheidung des Gerichts vom 23. September 2025 (Az. 7 A 4883/23) zeigt deutlich: Die bunte Darstellung der gesellschaftlichen Realität ist keine Verletzung individueller Rechte, sondern Ausdruck einer weltoffenen und vielfältigen Gesellschaft.

Ein wertkonservativer Mann zieht vor Gericht

Der Rat der Stadt Hildesheim hatte die Umrüstung der grünen Streuscheiben der Ampeln im Juni 2023 beschlossen; in diesem Jahr wurde sie umgesetzt. Seit Mitte Juni zeigen demnach insgesamt 14 Ampelanlagen an drei Stellen im Stadtgebiet bei Grün gleichgeschlechtliche Ampelpärchen statt der üblichen Fußgängerfiguren. Doch nicht alle Bürger:innen zeigten sich begeistert von dieser symbolischen Geste für Vielfalt.

Ein Mann, der sich selbst als "wertkonservativ" bezeichnet, fühlte sich durch die neuen Ampelmotive in seinen Rechten verletzt. Er argumentierte, die Darstellung gleichgeschlechtlicher Paare schränke ihn in seinem Erziehungsstil ein und verletze seine Identität als Mann sowie seine heterosexuelle Orientierung. Besonders seine Elternrechte sah er beeinträchtigt, da seine Kinder den Ampelzeichen ausgesetzt seien. Zusätzlich vermutete er einen Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung.

Richter Gonschior spricht Klartext

Der Vorsitzende Richter Arne Gonschior ließ keinen Zweifel an der Position des Gerichts: Das Gericht könne bereits die Möglichkeit einer Verletzung der Rechte des Klägers "nicht nachvollziehen", sagt der Vorsitzende Richter Arne Gonschior zur Begründung. Es sei "überhaupt nicht erkennbar", dass dieser durch die Ampelmännchen in seinen Rechten verletzt sei, etwa in Fragen der sexuellen Selbstbestimmung.

Besonders deutlich wurde der Richter bei der Frage der Elternrechte: "Die Ampelzeichen zeigen die gesellschaftliche Realität, die kann der Kläger nicht ausblenden." Diese klare Aussage unterstreicht, dass Diversität und Vielfalt längst Teil unseres Alltags sind und nicht vor den Augen von Kindern versteckt werden müssen oder sollten.

Von einer Ungleichbehandlung sei auch nicht auszugehen: Die Ampelmännchen zeigten sowohl Männer als auch Frauen, ein abermaliger Austausch der Motive hätte demnach weder Vor- noch Nachteile für den Kläger. Auch eine Beeinträchtigung der sexuellen Orientierung sei nicht erkennbar, den meisten seien die Ampelmotive wohl "wurscht".

Ein bundesweiter Trend zur sichtbaren Vielfalt

Hildesheim ist bei weitem nicht die einzige Stadt in Deutschland, die mit bunten Ampelzeichen ein Statement für Toleranz setzt. In anderen Kommunen gehören gleichgeschlechtliche Ampelmotive schon länger zum Stadtbild: In Hannover etwa wurden vor fünf Jahren Fußgängerampeln mit grün leuchtenden Pärchen in Betrieb genommen. Seit 2022 setzen gleichgeschlechtliche Ampelpaare in Braunschweig ein Zeichen für mehr Toleranz.

Zum Christopher Street Day 2015 wurden die Ampelpärchen auch in München erstmals angebracht. Sie werden ab 2016 künftig jährlich im Zeitraum um den Christopher Street Day im Bereich des Glockenbachviertels verwendet. Kurz darauf folgten Berlin sowie Hamburg, wo man Ampelpärchen in St. Georg („Vielfalt-Ampel") sieht. Ein dauerhaftes homosexuelles Ampelpärchen erhielt die Stadt Frankfurt am Main anlässlich des CSD 2018 an der Konstablerwache, ebenso Köln zum CSD 2019 am Heumarkt. 2020 wurden in Hannover dauerhaft mehrere gleichgeschlechtliche Ampelfiguren installiert. In Marburg finden sich seit 2019 ebenfalls heterosexuelle, schwule und lesbische Paare an mehreren Ampeln.

Die Inspiration für diese Bewegung kommt aus Wien, wo bereits seit einigen Jahren auf mehr als 50 Ampeln gleichgeschlechtliche Paare für mehr Toleranz aufrufen. Zunächst geplant für Großevents wie den Eurovision Song Contest und einem Ball zugunsten HIV-positiver Menschen, haben sich die Ampeln bis heute gehalten und prägen dauerhaft das Stadtbild.

Deutschland zeigt weiterhin hohe Akzeptanz für LGBTQ+

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hannover spiegelt eine breite gesellschaftliche Entwicklung wider. In Deutschland herrscht nach wie vor breiter Konsens darüber, dass sexuelle Minderheiten gleiche Rechte haben sollten und vor Benachteiligungen geschützt werden müssen. Dies zeigen auch aktuelle Studien von Ipsos, die Deutschland im internationalen Vergleich eine hohe Akzeptanz gegenüber LGBTQ+-Personen bescheinigen.

Grundsätzlich sind drei Viertel der Deutschen der Meinung, dass Lesben, Schwule und Bisexuelle (78 %) sowie Transpersonen (75 %) vor Diskriminierung geschützt werden sollten, beispielsweise bei der Arbeit oder bei der Wohnungssuche. Dies entspricht einem Anstieg um jeweils 5 Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr. Etwa ebenso viele (74 %) unterstützen die Aussage, dass gleichgeschlechtliche Paare bei der Adoption von Kindern die gleichen Rechte haben sollten wie heterosexuelle Paare. Weniger als ein Fünftel (19 %) lehnt dies ab. 71 Prozent befürworten zudem, dass Homosexuelle legal heiraten dürfen, während sich nur zehn Prozent gegen jede Form der rechtlichen Anerkennung aussprechen.

Diese positive Entwicklung zeigt sich auch in der Politik. Der Aktionsplan "Queer leben" der Bundesregierung enthält ein umfangreiches Maßnahmenpaket, um den Alltag queerer Menschen zu verbessern und die rechtliche Gleichstellung voranzubringen.

Christopher Street Day: Ein Symbol für Vielfalt und Akzeptanz

Die Ampelpärchen sind oft besonders während der Pride-Season sichtbar, wenn deutschlandweit Christopher Street Days gefeiert werden. Christopher Street Day (CSD) ist eine jährliche europäische LGBTQ+-Feier und Demonstration für die Rechte von LGBTQ+-Menschen und gegen Diskriminierung und Ausgrenzung. Es ist Deutschlands und der Schweiz' Gegenstück zu Gay Pride oder Pride Paraden.

2025 veranstaltete der Verein zum ersten Mal in seiner Geschichte einen Winter-CSD aufgrund der vorgezogenen Bundestagswahlen. Unter dem Motto: „Es ist 5 vor 12 – Wähl Liebe, solange du noch kannst" gingen am 15. Februar 2025 bei kalten Temperaturen knapp 15.000 Menschen auf die Straße um gegen einen drohenden Rechtsruck in der Regierung zu protestieren. Dies zeigt, wie politisch die Pride-Bewegung auch heute noch ist und dass der Kampf für Gleichberechtigung weitergeht.

Die großen CSD-Veranstaltungen in deutschen Städten ziehen jährlich Hunderttausende von Menschen an. Mittlerweile kommen jährlich rund 250.000 Menschen aus ganz Europa nach Hamburg zum CSD und setzen damit ein Zeichen für Akzeptanz, Vielfalt und Lebensfreude. In München hatte die PolitParade 2025 unter dem Motto "Liberté, Diversité, Queerité" etwa 230.000 Zuschauer:innen.

Rechtliche Klarheit: Keine Verletzung der Straßenverkehrsordnung

Ein weiterer wichtiger Aspekt des Urteils betrifft die rechtlichen Rahmenbedingungen. Die Straßenverkehrsordnung (StVO) sieht in ihren Richtlinien für Lichtsignalanlagen (Rilsa) vor, dass die Verkehrsregelungen für alle auf den ersten Blick zu erkennen sein müssen. Das heißt, dass neben den konventionellen, nur die aus der DDR bekannten Ost-Ampelmännchen im deutschen Straßenverkehr zulässig sind. Für alle anderen Motive muss die jeweilige Kommune sich im Vorfeld eine Sondergenehmigung einholen.

Das Gericht stellte klar, dass keine Verletzung der Straßenverkehrsordnung vorliege. Die Vorschriften schützten den Kläger nicht individuell. Anders wäre dies nur, wenn das grüne Lichtzeichen etwa gegen ein blaues ausgetauscht worden wäre – "das gibt es im Straßenverkehr nicht", so der Richter.

Eine Klage gegen die Ampelpärchen wurde 2022 vom Münchener Verwaltungsgericht und Bayerischen Verwaltungsgerichtshof als unbegründet abgewiesen. Dies zeigt, dass die Rechtsprechung deutschlandweit konsistent ist: Gleichgeschlechtliche Ampelpärchen verletzen keine individuellen Rechte.

Ausblick: Ein Signal für Toleranz und Weltoffenheit

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hannover sendet ein wichtiges Signal aus: Deutschland ist und bleibt ein Land, in dem Vielfalt und Toleranz geschätzt werden. Die Ampelpärchen sind mehr als nur bunte Lichtsignale – sie sind ein Symbol dafür, dass alle Menschen, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität, Teil unserer Gesellschaft sind und sichtbar sein dürfen.

Der Justiziar der Stadt Hildesheim zeigte sich zufrieden mit dem Urteil, das "unserer Argumentation vollumfänglich" entspreche. Richter Gonschior hofft auf Rechtsfrieden, obwohl der Kläger noch einen Antrag auf Zulassung der Berufung beim niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg stellen kann.

Interessanterweise führt der Kläger noch ein weiteres Verfahren: In seiner Funktion als Ratsherr hat er gegen den Ratsbeschluss der Stadt Hildesheim geklagt – der Ausgang ist noch offen. Dies zeigt, dass der Kampf um Sichtbarkeit und Akzeptanz weitergeht, aber auch, dass die Rechtsprechung klar auf der Seite von Vielfalt und Toleranz steht.

Die gleichgeschlechtlichen Ampelpärchen in Hildesheim und anderen deutschen Städten bleiben somit nicht nur ein buntes Element im Stadtbild, sondern ein wichtiges Zeichen dafür, dass Liebe in all ihren Formen respektiert und gefeiert werden sollte. Sie erinnern uns täglich daran, dass Vielfalt keine Bedrohung, sondern eine Bereicherung unserer Gesellschaft ist.


Datenlücke mit Folgen: USA verweigern Veröffentlichung von LGBTQ+-Zensusdaten – Deutschland zeigt andere Wege

Die US-Regierung unter Donald Trump steht erneut in der Kritik: Eine gemeinnützige Rechtsberatungsorganisation verklagt die Regierung, weil sie sich weigert, wichtige LGBTQ+-Zensusdaten zu veröffentlichen. Die Klage, die am Montag (22. September) eingereicht wurde, wirft der Trump-Administration vor, „rechtswidrig" Daten zurückzuhalten, die für die Aufnahme von Fragen zur sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität in die nächste American Community Survey entscheidend wären. Diese Verweigerung zeigt einen beunruhigenden Trend – während Deutschland zunehmend Fortschritte bei der Sichtbarmachung seiner LGBTQ+-Community macht.

Deutschland als Vorreiter: Mehr Sichtbarkeit durch Daten

Während die USA wichtige Datenerhebungen blockieren, zeigt Deutschland einen anderen Weg. In Deutschland liegt der Anteil von Queers in der Gesamtbevölkerung bei 12 Prozent. 5 Prozent fühlen sich zum selben Geschlecht hingezogen, weitere vier Prozent sind laut eigener Aussage bisexuell. Diese Zahlen stammen aus der aktuellen Ipsos-Studie von 2024, die Deutschland als eines der Länder mit dem höchsten erfassten LGBTQ+-Anteil in Europa ausweist.

Besonders aufschlussreich ist der Generationenvergleich: In Deutschland identifizieren sich 11,2 Prozent der 14- bis 29-Jährigen als LGBT. Bei den 50- bis 65-Jährigen sind es 6,4 Prozent, bei den 30- bis 49-Jährigen sogar nur 5,7 Prozent. Diese Zahlen verdeutlichen nicht nur eine größere Offenheit jüngerer Generationen, sondern auch die Bedeutung kontinuierlicher Datenerhebung für das Verständnis gesellschaftlicher Entwicklungen.

Fortschritt und neue Herausforderungen in Deutschland

73 Prozent der Deutschen sind der Meinung, dass lesbische, schwule oder bisexuelle Menschen vor Diskriminierung geschützt werden sollten. Bei trans* Personen stimmen sieben von zehn Befragten (70 %) der Aussage zu. Diese hohen Zustimmungswerte zeigen eine grundsätzlich positive Einstellung gegenüber der LGBTQ+-Community in Deutschland.

Allerdings gibt es auch besorgniserregende Entwicklungen: Vor allem bei jungen Männern nehmen queerfeindliche Ansichten aber auch in Deutschland eher zu. In Deutschland unterstützen zwei von drei jungen Frauen (65 %) der Gen Z queere Zuneigung in der Öffentlichkeit. Bei den jungen Männern in Deutschland liegt der Wert lediglich bei 30 Prozent. Diese geschlechtsspezifischen Unterschiede zeigen, dass trotz allgemeiner Fortschritte gezielte Aufklärungsarbeit notwendig bleibt.

USA: Systematische Löschung von LGBTQ+-Daten

Die aktuelle Klage in den USA ist nur die Spitze des Eisbergs. Seit Donald Trumps Amtsantritt im Januar hat die Regierung wichtige LGBTQ+-Online-Ressourcen gelöscht, einschließlich HIV-Präventionsberatung. Die Verwaltung hat mehr als 8.000 Webseiten und mindestens 3.000 Datensätze entfernt oder geändert, von denen sich die meisten auf Diversity-, Gleichstellungs- und Inklusionsinitiativen sowie LGBTQ+-Geschichte bezogen.

Dr. Jonathan B Freeman, der die Klage gemeinsam mit Democracy Forward eingereicht hat, kritisiert: "Das Census Bureau versprach Transparenz bei diesen Tests, hat aber genau die Informationen zurückgehalten, die zur Bewertung der Eignung von Fragen zur sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität in unserer wichtigsten jährlichen demografischen Erhebung des Landes benötigt werden. Als Forscher weiß ich, wie wichtig Daten sind, um sicherzustellen, dass Bürgerrechte eingehalten werden und dass die öffentliche Politik die Realitäten des Lebens der Menschen widerspiegelt."

Warum Daten für die LGBTQ+-Community so wichtig sind

Die Bedeutung verlässlicher Daten kann nicht überschätzt werden. In Deutschland haben diese Erhebungen bereits zu konkreten Verbesserungen geführt. Seit dem 1. Oktober 2017 dürfen homosexuelle Paare den Bund der Ehe in Deutschland eingehen. Allein im Jahr 2018 heirateten rund 21.800 gleichgeschlechtliche Paare in Deutschland. Inzwischen liegt die Anzahl der Eheschließungen gleichgeschlechtlicher Paare bei rund 8.800 neu geschlossenen Ehen pro Jahr.

Zudem ermöglichen Daten die Identifikation von Diskriminierung: Diskriminierungserfahrungen machen queere Menschen auch am Arbeitsplatz: Sie fühlen sich oftmals weniger wertgeschätzt oder erleben einen höheren Leistungsdruck als ihre heterosexuellen Kolleg:innen. Dennoch stehen immer mehr Personen der LGBTQIA+-Community offen zu ihrer sexuellen Identität: So sprechen mittlerweile 37,5 Prozent der homosexuellen Personen an ihrem Arbeitsplatz mit allen offen über ihre Geschlechtsidentität. Zum Vergleich, im Jahr 1997, lag der Anteil dieser noch bei lediglich 12,7 Prozent.

Ein Blick in die Zukunft: Was Deutschland von der US-Situation lernen kann

Die Situation in den USA zeigt deutlich, wie schnell erkämpfte Fortschritte wieder verloren gehen können. Wegen einer Trump-Exekutivanordnung stoppt das Census Bureau die Arbeit an Statistiken, die zum Schutz der Rechte von Transgender-Personen beitragen könnten, berichtet der ehemalige Direktor Robert Santos.

Für Deutschland bedeutet dies, die bestehenden Fortschritte zu sichern und auszubauen. Deutschland wurde unter den Top 10 der LGBTQ+-freundlichsten Länder in Europa eingestuft, mit einem Wert von 66,13 Prozent im Rainbow Europe Index. Diese Position gilt es zu verteidigen und weiter zu verbessern.

Die systematische Erfassung und der Schutz von LGBTQ+-Daten sind keine bloße Statistik – sie sind essentiell für die Sichtbarkeit, den rechtlichen Schutz und die politische Teilhabe queerer Menschen. Deutschland hat hier bereits wichtige Schritte unternommen, muss aber wachsam bleiben, dass diese Errungenschaften nicht durch politische Stimmungswechsel gefährdet werden. Die Entwicklungen in den USA sollten als Warnung dienen: Datenerfassung ist ein Grundpfeiler für Gleichberechtigung und muss entsprechend geschützt werden.


Wenn Worte zu Waffen werden: Die gefährliche Rhetorik aus dem Weißen Haus

Die jüngsten Äußerungen von Karoline Leavitt, der Pressesprecherin des Weißen Hauses, über eine angebliche "transgender violence" erschüttern nicht nur die amerikanische LGBTQ+-Community, sondern senden auch beunruhigende Signale nach Deutschland. Leavitt hat gesagt, es sei "es wert, sich anzusehen" die Behauptungen, dass es einen Anstieg der "Transgender-Gewalt" in den USA gegeben habe. Während einer Pressekonferenz am Montag (22. September) sagte Leavitt, es wäre "ignorant" zu behaupten, dass die US-Regierung nicht den Anstieg dessen untersuchen sollte, was sie als inländischen Extremismus bezeichnete.

Die Fakten hinter der Fiktion

Was Leavitt als "transgender violence" bezeichnet, basiert auf einem tragischen Vorfall: Ihre Kommentare kamen, nachdem der rechte Podcaster Charlie Kirk Anfang dieses Monats in Utah erschossen wurde, während er über Waffengewalt debattierte. Doch die Wahrheit ist komplexer: Trotz Tyler Robinson, der wegen schweren Mordes angeklagt wurde und sich nicht öffentlich als trans identifiziert, haben mehrere rechte Kommentatoren und Politiker, einschließlich Vizepräsident JD Vance, behauptet, dass die Schießerei ein weiteres Beispiel für "linken Extremismus" sei.

Die Realität sieht anders aus: Von den 3.708 Vorfällen in den USA seit 2016 wurden nur geschätzte 16 von geouteten Transgender-Personen begangen. Die Fact-Checking-Website Snopes widerlegte Kirks Kommentare und sagte in einem Artikel, dass "Social-Media-Persönlichkeiten auf der rechten Seite wiederholt falsche Behauptungen über die Geschlechtsidentitäten vergangener Massenschützen aufgestellt haben".

Ein beunruhigendes Echo in Deutschland

Während in den USA eine gefährliche Rhetorik um sich greift, kämpfen trans* Menschen in Deutschland mit einer anderen Realität. In Deutschland berichteten 65% der trans* Frauen von Diskriminierung in den letzten 12 Monaten. Und nur 19% aller trans* Personen glauben, dass ihre Regierung Vorurteile und Intoleranz gegenüber LGBTIQ*-Personen wirksam bekämpft.

In den Jahren 2008 bis 2023 wurden weltweit 4.690 Morde an trans* Personen bekannt, 107 in der EU und drei in Deutschland. Besonders häufig betroffen sind BPoCs und trans* Frauen. So waren 2023 fast alle Opfer (94%) trans* Frauen und die große Mehrheit nicht-weiße Personen (80%).

Die Statistiken sprechen eine deutliche Sprache: Im Jahr 2023 wurden insgesamt 17.007 Fälle von Hasskriminalität im Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität (KPMD-PMK) erfasst. Davon richteten sich 1.785 Straftaten gegen LSBTIQ* Personen (im Jahr 2022: 1.188). Die Zahl der Straftaten im Bereich "Sexuelle Orientierung" und "Geschlechtsbezogene Diversität" hat sich seit 2010 nahezu verzehnfacht.

Wenn Opfer zu Tätern gemacht werden

Die Verdrehung der Tatsachen, wie sie aus dem Weißen Haus kommt, ist besonders perfide: Trans* Menschen sind nicht die Täter, sondern überdurchschnittlich oft die Opfer von Gewalt. 16% der trans* Frauen, 8% der trans* Männer und 8% der nicht-binären Personen haben in den letzten 12 Monaten Belästigungen und Gewalt erfahren, weil sie LSBTIQ* sind. 32% der trans* Frauen, 21% der trans* Männer und 18% der nicht-binären Personen wurden in den letzten fünf Jahren angegriffen, weil sie LSBTIQ* sind.

Besonders erschreckend: Lediglich 8% der trans* Frauen, 10% der trans* Männer und 10% der nicht-binären Personen haben den letzten physischen Angriff oder sexualisierte Gewalterfahrung bei der Polizei angezeigt. 24% der trans* Frauen, 47% der trans* Männer und 39% der nicht-binären Personen fanden den Vorfall nicht schlimm genug. 45% der trans* Frauen, 48% der trans* Männer und 49% der nicht-binären Personen glaubten nicht, dass eine Anzeige was bringen würde.

Die Gefahr der importierten Hetze

Was in Amerika als politische Strategie beginnt, schwappt oft nach Europa über. Die Rhetorik von "transgender violence" könnte auch in Deutschland Nachahmer finden – besonders in rechtspopulistischen Kreisen, die bereits jetzt versuchen, trans* Menschen als Bedrohung darzustellen.

Diese Diskussionen müssen als gezielte Desinformation von antifeministischer und rechtskonservativer Seite gesehen werden – die erschreckende Auswirkungen haben: Sie verursachen ernstzunehmende Anstiege von Gewalt gegen trans* Personen und insbesondere gegen trans* Frauen und verschlimmern Vorurteile, die in der Gesellschaft bestehen.

Die Bundesinnenministerin Nancy Faeser warnte bereits: "Wir müssen all diejenigen schützen und unterstützen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität Hass, Diskriminierung und Gewalt erleben. Queerfeindliche Gewalt muss als solche klar benannt und gezielt verfolgt werden. Die Zunahme an queerfeindlichen Straftaten in den vergangenen Jahren ist erschreckend."

Ein Appell an die Vernunft

Die gefährliche Rhetorik aus dem Weißen Haus zeigt, wie schnell marginalisierte Gruppen zu Sündenböcken gemacht werden können. In Deutschland, wo zwischen 2012 und 2021 sich der Anteil von erwachsenen Menschen, die sich dem LGBT Spektrum zuordnen, von 3,5% auf 7,3% steigerte, ist es umso wichtiger, wachsam zu bleiben.

Trans* Menschen brauchen Schutz, nicht Stigmatisierung. Sie brauchen Unterstützung, nicht Verdächtigungen. Und sie brauchen eine Gesellschaft, die sie als das sieht, was sie sind: Menschen, die ihr Leben in Würde und Sicherheit leben wollen.

Die Geschichte lehrt uns, wohin es führt, wenn Minderheiten dämonisiert werden. Es liegt an uns allen – in Deutschland, in Europa und weltweit – dieser gefährlichen Entwicklung entgegenzutreten. Denn am Ende geht es nicht nur um die Rechte von trans* Menschen. Es geht um die Grundfesten unserer demokratischen Gesellschaft und um die Frage, in welcher Welt wir leben wollen.


Anschlag auf queere Geschichte: Vandalismus an Ulrichs-Gedenktafel erschüttert Aurich

Unbekannte Täter haben am vergangenen Wochenende in Aurich die Gedenktafel für den Pionier der LGBTQ+-Bewegung Karl Heinrich Ulrichs aus der Verankerung gerissen und umgestürzt. Der Vorfall, über den die Ostsee-Zeitung erstmals berichtete, ereignete sich zwischen Freitagabend 22 Uhr und Samstagmorgen 10 Uhr auf dem Karl-Heinrich-Ulrichs-Platz bei der Sparkassen-Arena.

Ein Angriff auf 200 Jahre queere Geschichte

Karl Heinrich Ulrichs, geboren am 28. August 1825, war ein deutscher Jurist, Journalist und Schriftsteller, der heute als Pionier der Sexualwissenschaft und der modernen LGBTQ+-Rechtsbewegung gilt und als "erster schwuler Mann der Weltgeschichte" bezeichnet wird. Vor genau 200 Jahren in Aurich geboren, outete er sich 1867 auf dem Deutschen Juristentag in München als erster Deutscher öffentlich als schwul - zu einer Zeit, als es in der deutschen Sprache noch nicht einmal einen Namen für seine Sexualität gab. Bis an sein Lebensende setzte er sich für die Entkriminalisierung gleichgeschlechtlicher Beziehungen ein.

Ulrichs forderte am 29. August 1867 auf dem Deutschen Juristentag in München die Abschaffung antihomosexueller Gesetze. Sein Auftritt vor gut 500 Juristen im Münchner Odeon, bei dem er die Revision des Strafrechts und Straffreiheit für gleichgeschlechtliche Liebe unter Männern forderte, gilt als historischer Wendepunkt. Unruhe im Publikum und Zwischenrufe zwangen ihn zum Abbruch seiner Rede, doch seine Sätze gelten als erstes öffentliches Coming-out der Weltgeschichte, weshalb der Psychiater und Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch ihn als den "ersten Schwulen der Weltgeschichte" bezeichnete.

Aurichs besondere Verbindung zu Ulrichs

Die Stadt Aurich benannte am 30. August 2014 im Rahmen des ersten örtlichen Christopher Street Day einen Platz nach Karl Heinrich Ulrichs, wobei Bürgermeister Heinz-Werner Windhorst, Ortsbürgermeister Sebastian Schulze sowie Sozialministerin Cornelia Rundt als Schirmherrin des CSD Aurich die Benennung vornahmen. 2022 wurde am 10. September im Rahmen des 7. Christopher Street Day eine Gedenktafel zu Ehren Karl Heinrich Ulrichs enthüllt, bei der der Schirmherr des CSD Johann Saathoff (MdB), Landrat Olaf Meinen, Bürgermeister Horst Feddermann, Bürgermeister Timo Mehlmann sowie die CSD-Initiatorin Melly Doden mitwirkten.

Der Karl-Heinrich-Ulrichs-Platz ist heute zentraler Ausgangspunkt für Aurichs jährlichen Christopher Street Day. Der gebürtige Auricher Karl Heinrich Ulrichs gilt als Vordenker und -kämpfer der heutigen Lesben- und Schwulenbewegung. Ihm zu Ehren soll der CSD Aurich 2025 eine Nummer größer ausfallen und am 30. August begangen werden, zwei Tage nach Ulrichs' 200. Geburtstag. Die nun vandalisierte Gedenktafel war somit nicht nur ein Erinnerungsort, sondern auch ein Symbol für die lebendige queere Community in Ostfriesland.

Besorgniserregender Anstieg queerfeindlicher Gewalt

Der Vandalismus in Aurich reiht sich in eine erschreckende Entwicklung ein. Die Statistik des Bundeskriminalamts dokumentierte für 2024 mit 84.172 politisch motivierten Straftaten einen neuen Höchststand – ein alarmierender Anstieg um über 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Zahl der politisch motivierten Gewalttaten erreichte mit 4.107 Fällen den höchsten Stand seit 2016. Die Gesamtzahl der erfassten Hasskriminalität stieg um 28 Prozent auf 21.773 Delikte, darunter 1.765 Straftaten aufgrund der sexuellen Orientierung (+17,75 %) sowie 1.152 aufgrund geschlechtsbezogener Diversität (+34,89 %).

Seit Juni 2024 geraten vermehrt Veranstaltungen der LSBTIQ-Bewegung in den Fokus insbesondere gewaltorientierter Rechtsextremisten, wobei es wiederholt zu (versuchten) rechtsextremistischen Störaktionen von öffentlichen Veranstaltungen zum Christopher Street Day kam. Im Jahr 2024 kam es bundesweit wiederholt zu solchen Störaktionen. Auch Vandalismusakte häufen sich: Die Verkehrsbetriebe Westfalen-Süd mussten wegen Vandalismus durch offensichtlich homophobe Schüler oder deren Eltern ein Regenbogenmotiv auf Schülertickets nicht mehr fortführen, und in Zeitz stahlen Unbekannte eine Regenbogenfahne vom Rathaus-Balkon.

Ulrichs' bleibende Bedeutung für Deutschland

Die Attacke auf die Gedenktafel ist besonders bitter, da Ulrichs' Einfluss auf die moderne Gleichstellungsbewegung unermesslich ist. Karl Westphal zitierte Ulrichs' Schriften in der ersten psychiatrischen Arbeit über 'gegensätzliches Sexualempfinden', und Richard von Krafft-Ebing, der später die grundlegende sexualwissenschaftliche Schrift Psychopathia Sexualis veröffentlichte, gestand Ulrichs zu: "Erst die Kenntnis Ihrer Bücher motivierte mich, dieses höchst wichtige Gebiet zu studieren."

Heute sind Straßen nach ihm in München, Bremen, Hannover und Berlin benannt, und sein Geburtstag wird jedes Jahr mit einer lebhaften Straßenparty und Poesielesung am Karl-Heinrich-Ulrichs-Platz in München gefeiert. Die International Lesbian and Gay Law Association verleiht jährlich einen Karl Heinrich Ulrichs Award für herausragende Beiträge zur Förderung der sexuellen Gleichberechtigung.

Aurichs klare Antwort

Bürgermeister Horst Feddermann kündigte an, dass die Gedenktafel noch diese Woche wieder aufgestellt werden soll. Er hoffe, dass es sich nur um einen "Dumme-Jungen-Streich" ohne politische Motivation handele - eine Einschätzung, die angesichts der aktuellen Entwicklungen naiv erscheint. Stadtsprecher Cord Cordes kündigte unterdessen an, Strafantrag zu stellen.

Die queere Aktivistin und ehemalige Auricher CSD-Organisatorin Melly Doden zeigte sich gegenüber der Ostsee-Zeitung kämpferisch: "Wir lassen uns von diesem Vorfall nicht beeindrucken oder entmutigen." Diese Haltung steht in der Tradition von Ulrichs selbst, der trotz massiver Anfeindungen nie aufgab.

Der Vandalismus an der Ulrichs-Gedenktafel ist mehr als Sachbeschädigung - es ist ein Angriff auf die queere Geschichte Deutschlands und die Werte einer offenen Gesellschaft. Gerade zum 200. Geburtstag des Pioniers zeigt sich: Der Kampf für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung, den Ulrichs vor über 150 Jahren begann, ist noch lange nicht vorbei. Die schnelle Wiederherstellung der Gedenktafel und die breite Solidarität aus der Auricher Stadtgesellschaft senden jedoch ein wichtiges Signal: Hass und Intoleranz werden nicht geduldet.


Wenn biologisches Geschlecht politische Grenzen zieht: Die britische Lib Dem-Debatte und ihre Bedeutung für Deutschland

Die britischen Liberal Democrats haben bei ihrer jüngsten Parteikonferenz einen kontroversen Antrag abgelehnt, der trans Frauen von parteiinternen Frauenquoten ausgeschlossen hätte. Die Abstimmung in Bournemouth wirft ein Schlaglicht auf eine Debatte, die auch in Deutschland zunehmend an Brisanz gewinnt – besonders vor dem Hintergrund des britischen Supreme Court-Urteils vom April 2025, das feststellte: Wenn es um die Gleichstellung zwischen Männern und Frauen geht, zählt in Großbritannien das biologische Geschlecht, nicht das soziale Geschlecht.

Der gescheiterte Vorstoß in Bournemouth

Die gender-kritische Gruppe "Liberal Voice for Women" wollte die Parteiverfassung der Lib Dems so ändern, dass Geschlechterquoten ausschließlich auf dem biologischen Geschlecht basieren. Ihr Argument: Das britische Gleichstellungsgesetz ziele in erster Linie auf den Schutz biologischer Frauen. Die Gruppe berief sich dabei auf das wegweisende Urteil des UK Supreme Court, das klarstellte, dass Begriffe wie „Frau" und „Geschlecht" im Gesetz ausschließlich das biologische Geschlecht meinen.

Lucas North, Schatzmeister der LGBT+ Liberal Democrats, bezeichnete den Antrag als "Schein-Debatte" und warnte eindringlich davor, trans Identitäten zur Disposition zu stellen. In einer Zeit, in der sich die politische Landschaft immer weiter nach rechts verschiebe, sei es wichtiger denn je, an liberalen Werten festzuhalten und nicht "einer kleinen, extremistischen Fraktion" eine Plattform zu bieten.

Die deutsche Perspektive: Zwischen Fortschritt und Widerstand

Während in Großbritannien über den Ausschluss von trans Frauen aus Quoten debattiert wird, zeigt sich in Deutschland ein differenzierteres Bild. Nach vierzig Jahren Diskriminierung durch das „Transsexuellengesetz" hat sich der deutsche Gesetzgeber am 12.4.24 endlich für einen Paradigmenwechsel hin zu geschlechtlicher Selbstbestimmung entschieden. Trans*, intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen werden bei der Änderung ihres Vornamens und Geschlechtseintrags endlich nicht mehr fremdbegutachtet und als krank betrachtet.

Die deutschen Parteien positionieren sich unterschiedlich zur Inklusion von trans Personen. Bündnis 90/Die Grünen und die Linke haben eine verbindliche 50-Prozent-Quote in ihren Satzungen verankert, die SPD hat eine verbindliche 40 Prozent-Quote. Diese Quoten beziehen sich auf Frauen im selbstdefinierten Sinne und schließen trans Frauen explizit ein. Die FDP befürwortet ein Selbstbestimmungsgesetz und will das Transsexuellengesetz abschaffen und durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzen.

Rechtliche Unterschiede mit weitreichenden Folgen

Der Vergleich zwischen Großbritannien und Deutschland offenbart fundamentale Unterschiede im rechtlichen Umgang mit Geschlechtsidentität. Mit dem britischen Urteil fällt für viele trans Frauen ein zentraler rechtlicher Schutz weg. Für den rechtlichen Frauenschutz zählt nicht, wie jemand lebt oder anerkannt ist – sondern allein, welches Geschlecht bei der Geburt eingetragen wurde.

Diese Entwicklung hat konkrete Auswirkungen: Trans Frauen werden nach dem Urteil weniger rechtlichen Schutz in frauenspezifischen Kontexten genießen – sei es im Gesundheitssystem, im Strafvollzug oder in geschützten sozialen Räumen. Einrichtungen wie Frauenhäuser oder Sportvereine könnten nun gezielt ausschließen, ohne rechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen.

Die Bedeutung für die deutsche LGBTQ+-Community

Für die deutsche LGBTQ+-Community ist die britische Debatte ein Warnsignal. „Das Urteil sendet eine gefährliche Botschaft", warnt die LGBTIQ*-Organisation Stonewall. Die Entscheidung der Lib Dems, den Antrag abzulehnen, zeigt jedoch auch, dass selbst in einem zunehmend polarisierten Umfeld progressive Kräfte bestehen können.

Die Auseinandersetzung macht deutlich, dass erkämpfte Rechte nicht als selbstverständlich angesehen werden können. Repräsentation und Sichtbarkeit sind fundamentale Voraussetzungen für Gleichstellung und Teilhabe. Wenn nun rechtliche Auslegungen von Definitionen die Gruppen ausschließen, wird nicht nur ihre politische Repräsentanz und Teilhabe untergraben und zunehmend erschwert, sondern auch ihre geschlechtliche Identität und gesellschaftliche Anerkennung delegitimiert.

Ein Blick nach vorn

Ed Davey, der Vorsitzende der Liberal Democrats, verteidigte das Abstimmungsergebnis seiner Partei mit den Worten: "Wir sind die einzige Partei, die sich mit diesen Themen auseinandersetzt." Diese Aussage mag angesichts der abgelehnten Debatte paradox erscheinen, unterstreicht aber die Komplexität des Themas.

Für Deutschland bleibt die Lehre, dass es entscheidend ist, dass alle politischen Parteien ihr Engagement für die Rechte und das Wohlergehen von Transsexuellen kontinuierlich stärken. Nur durch eine konsequente Umsetzung und Förderung von Maßnahmen, die Transsexuellen ein gleichberechtigtes Leben ermöglichen, kann eine inklusive Gesellschaft erreicht werden.

Die britische Debatte zeigt: Der Kampf um Gleichberechtigung und Anerkennung ist noch lange nicht gewonnen. Während Deutschland mit dem Selbstbestimmungsgesetz einen wichtigen Schritt nach vorne gemacht hat, mahnt das britische Beispiel zur Wachsamkeit. Rechte, die heute selbstverständlich erscheinen, können morgen wieder zur Disposition stehen.


Drei trans* Frauen in Pakistan ermordet: Ein Weckruf für Deutschland

Die Nachricht erschüttert: In Karachi, Pakistans größter Stadt, wurden am 21. September die Leichen dreier trans* Frauen gefunden – durchsiebt von Kugeln, achtlos am Straßenrand abgelegt. Die Opfer wurden aus nächster Nähe erschossen. Während Pakistan mit seinem fortschrittlichen Transgender Persons Act von 2018 auf dem Papier zu den progressivsten Ländern für trans* Rechte gehört, zeigt dieser brutale Dreifachmord die tödliche Realität, mit der trans* Menschen konfrontiert sind – nicht nur in Pakistan, sondern weltweit.

Ein globales Problem mit lokalen Parallelen

Die drei ermordeten Frauen wurden von Aktivist*innen als "khawaja sira Personen" identifiziert – ein Begriff für die Drittgeschlechts-Community in Pakistan. Bei einer Demonstration in Karatschi stellten Mitglieder der Khwaja Sira zwölf Forderungen auf, die rigoroses Vorgehen gegen Hate Speech und Gewalt einschließen. Die Wut und Verzweiflung der Community ist verständlich: Von Oktober 2021 bis September 2022 wurden laut Amnesty International 18 trans Menschen im Land getötet.

Auch in Deutschland ist die Situation alarmierend. Der Bundesinnenminister teilte im Juni 2023 mit, dass die Polizei im vergangenen Jahr über 1.400 Hassverbrechen gegen LGBT-Menschen registriert hatte. Besonders erschreckend: In den letzten Jahren gab es mehrere Angriffe auf Pride-Veranstaltungen, von denen einer im Jahr 2022 zum gewaltsamen Tod eines Trans-Mannes führte. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes berichtet zudem: In Deutschland berichteten 65 % der trans* Frauen von Diskriminierung in den letzten 12 Monaten. Und nur 19 % aller trans* Personen glaubt, dass ihre Regierung Vorurteile und Intoleranz gegenüber LGBTIQ*-Personen wirksam bekämpft.

Das Selbstbestimmungsgesetz: Ein historischer Schritt

Während Pakistan bereits 2018 sein progressives Transgender-Gesetz verabschiedete, trat in Deutschland erst am 1. November das Selbstbestimmungsgesetz in Kraft. Trans*, inter* und nicht-binäre Personen können jetzt ihren Geschlechtseintrag und Vornamen in einem einfachen Verfahren beim Standesamt ändern lassen. Bundesgleichstellungsministerin Lisa Paus bezeichnete dies als einen besonderen Tag: "Mehr als 40 Jahre lang wurden Betroffene durch das Transsexuellengesetz diskriminiert. Mit dem Selbstbestimmungsgesetz ist endlich Schluss damit."

Das neue Gesetz macht Deutschland zu einem von 16 weiteren Staaten, die bereits vergleichbare Regelungen zur Verwirklichung der Geschlechtsidentität vorsehen. Es ist ein wichtiger Schritt zur rechtlichen Gleichstellung, doch die gesellschaftliche Realität hinkt hinterher.

Gewalt gegen trans* Menschen: Die erschreckenden Zahlen

Die Statistiken sind alarmierend. Laut dem Lagebericht zur kriminalitätsbezogenen Sicherheit von LSBTIQ* des BMI verzeichnet für das Jahr 2023 1.785 Straftaten gegen LSBTIQ* Personen (im Jahr 2022: 1.188). Besonders besorgniserregend: Der Bericht stellt zudem fest, dass sich die Zahl der Straftaten im Bereich „Sexuelle Orientierung" und „Geschlechtsbezogene Diversität" seit 2010 nahezu verzehnfacht hat.

Die EU-Grundrechteagentur zeigt in ihrer aktuellen Studie, dass lediglich 8 % der trans* Frauen, 10 % der trans* Männer und 10 % der nicht-binären Personen den letzten physischen Angriff oder sexualisierte Gewalterfahrung bei der Polizei angezeigt haben. 24 % der trans* Frauen, 47 % der trans* Männer und 39 % der nicht-binären Personen fanden den Vorfall nicht schlimm genug. 45 % der trans* Frauen, 48 % der trans* Männer und 49 % der nicht-binären Personen glaubten nicht, dass eine Anzeige was bringen würde.

International sieht es nicht besser aus. Das Trans Murder Monitoring zählt Im diesem Jahr 350 Morde weltweit. Damit ist 2024 eines der drei tödlichsten Jahre für trans*, nicht-binäre und gender-nonkonforme Personen seit dem Beginn der Erfassung im Jahr 2008.

Von Pakistan lernen: Rechte auf dem Papier reichen nicht

Pakistan zeigt uns deutlich: Progressive Gesetze allein schützen nicht vor Gewalt. Mit dem Transgender Persons Act erkennt die pakistanische Verfassung seit 2018 die Rechte von trans Personen an. In der Wirklichkeit ist von solchem Schutz wenig zu spüren. Die ermordeten Frauen in Karachi sind tragische Beweise dafür.

Trans*-Rechtsaktivistin Bindiya Rana aus Pakistan bringt es auf den Punkt: "Gewalt gegen trans Menschen ist nicht neu und sie ist tief in unserer Gesellschaft verwurzelt." Ihre Warnung, bei ausbleibender Aufklärung landesweite Proteste anzukündigen, zeigt die Entschlossenheit der Community.

Die pakistanische Aktivistin Shahzadi Rai macht deutlich: "Wenn Hassreden und -kampagnen so offen geführt werden, sind solche Ergebnisse unvermeidlich. Obwohl der Staat und die Polizei auf unserer Seite stehen, finden immer noch Morde statt, was zeigt, dass tief verwurzelter Hass gegen Transgender-Menschen in unserer Gesellschaft fortbesteht."

Was Deutschland tun muss

Die Morde in Karachi sind ein Weckruf. Deutschland hat mit dem Selbstbestimmungsgesetz einen wichtigen rechtlichen Schritt gemacht, doch das reicht nicht. Die EU-Grundrechteagentur fordert konkrete Maßnahmen: "Durchsetzung einer Null-Toleranz-Kultur bei Gewalt und Belästigung von LSBTIQ-Personen. In die Schulung der Polizei investieren, um sicherzustellen, dass sie Hassdelikte gegen LSBTIQ-Personen erkennt, erfasst und ordnungsgemäß untersucht, sodass sich die Opfer sicher fühlen, Angriffe anzuzeigen, und fair behandelt werden."

Die Gender Interactive Alliance aus Pakistan hat klare Forderungen aufgestellt, die auch für Deutschland relevant sind: sofortige und transparente Untersuchungen, spezielle Schutzeinheiten für trans* Menschen und neue Gesetze gegen Hasskriminalität. Ihre Botschaft ist eindeutig: "Die khawaja sira Community wird nicht schweigen, unsere Leben sind genauso wertvoll wie die aller anderen Bürger*innen."

Ein Aufruf zur Solidarität

Die drei ermordeten trans* Frauen in Karachi dürfen nicht vergessen werden. Ihr Tod ist kein isoliertes Ereignis in einem fernen Land – er ist Teil eines globalen Musters von Gewalt und Diskriminierung. "Dies ist zweifellos eine Folge der konzertierten Bemühungen von Anti-Gender- und Anti-Menschenrechts-Bewegungen, die trans* Personen instrumentalisieren und verunglimpfen, um breitere antidemokratische politische Agenden durchzusetzen."

In Deutschland müssen wir aus den Erfahrungen Pakistans lernen. Das Selbstbestimmungsgesetz ist ein wichtiger Anfang, aber ohne gesellschaftlichen Wandel, ohne Bildung und Aufklärung, ohne konsequente Strafverfolgung von Hassverbrechen und ohne die Schaffung sicherer Räume für trans* Menschen werden Gesetze allein nicht ausreichen.

Die Worte der pakistanischen Community hallen auch hier wider: Trans* Menschen brauchen Rechte, nicht Mitleid. Sie brauchen Schutz, nicht nur auf dem Papier, sondern im täglichen Leben. Und sie brauchen unsere Solidarität – heute mehr denn je.


Wenn trans Personen zu "Terrorist*innen" werden sollen: Die gefährliche Heritage Foundation und was das für Deutschland bedeutet

Die ultrakonservative Heritage Foundation, bekannte Architektin der autoritären Agenda "Project 2025", fordert das FBI auf, Transgender-Ideologie als Terrorgefahr in den USA zu brandmarken. Was nach dystopischer Fiktion klingt, ist bittere Realität: Die Organisation will "Transgender Ideology-Inspired Violent Extremism" (TIVE) auf die Liste inländischer extremistischer Gruppen setzen lassen, um "TIVE-Zellen aufzuspüren, zu spalten und zu zerschlagen".

Fakten werden verdreht, Minderheiten dämonisiert

Die Behauptungen der Heritage Foundation entbehren jeder faktischen Grundlage. Von den 3.708 Massenschießereien in den USA seit 2015 wurden schätzungsweise nur 16 von trans Personen verübt. Laut der Gun Violence Archive machten trans Menschen etwa 0,1 Prozent der Massenschützen der letzten zehn Jahre aus. Stattdessen zeigen Studien: Die Mehrheit extremistischer Morde in den USA wird von Personen mit rechtsextremen und weißen suprematistischen Ansichten begangen.

Besonders perfide: Die Heritage Foundation definiert "TIVE" so breit, dass auch jene eingeschlossen werden, die argumentieren, dass die Aberkennung von Trans-Rechten Gewalt darstellt oder eine existenzielle Bedrohung für trans Menschen bedeutet. Damit würde praktisch jede*r Trans-Aktivist*in als potenzielle*r Extremist*in gelten.

Trump-Administration setzt bereits um

Was die Heritage Foundation fordert, setzt die Trump-Regierung bereits in Teilen um. Seit seiner Rückkehr ins Amt hat Präsident Trump trans und nicht-binäre Menschen mit einer Serie von Exekutivverordnungen ins Visier genommen. Die Executive Order 14168 vom 20. Januar 2025 entzieht trans Menschen die bundesstaatliche Anerkennung und verlangt, dass Geschlecht als unveränderliche männlich-weibliche Binärität anerkannt wird.

Die Auswirkungen sind bereits spürbar: Das Außenministerium vergibt keine Pässe mehr mit "X"-Markierung und akzeptiert keine Änderungen der Geschlechtsmarkierungen für trans Personen. Die Centers for Disease Control and Prevention haben angekündigt, die Verarbeitung von Daten zur Geschlechtsidentität einzustellen. NASA-Mitarbeitende wurden gewarnt, dass das Zeigen von LGBTQ+-Symbolen am Arbeitsplatz zur Suspendierung führen könnte.

Historische Parallelen und internationale Warnsignale

Die USA haben eine lange Geschichte der Überwachung von Bürgerrechtsbewegungen - von COINTELPRO gegen Martin Luther King Jr. bis zur Infiltration der Schwulenrechtsbewegung in den 1960er und 70er Jahren. Kommentatoren und Wissenschaftler*innen vergleichen diese Aktionen mit den frühen Stadien der Verfolgung von LGBTQ-Menschen im Nazi-Deutschland.

Russland hat 2023 bereits vorgemacht, wohin dieser Weg führen kann: Nach Jahren queerfeindlicher Gesetzgebung wurde "die internationale LGBT-Bewegung" als extremistisch eingestuft - ohne jeden Verweis auf vermeintliche Gewalttaten. Die Folgen: Razzien in queeren Clubs, Strafverfahren und Massenflucht von Aktivist*innen ins Ausland.

Deutschland: Zwischen Fortschritt und Gefahr

Während die USA trans Menschen zunehmend kriminalisieren, hat Deutschland mit dem Selbstbestimmungsgesetz, das am 1. November 2024 in Kraft trat, die Rechte von trans, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen maßgeblich gestärkt. Das wegweisende Gesetz erlaubt es, rechtliche Dokumente durch ein auf Selbstbestimmung basierendes Verwaltungsverfahren anzupassen.

Doch auch in Deutschland ist die Lage alarmierend: 65% der trans Frauen, 64% der trans Männer und 55% der nicht-binären Personen wurden in den letzten 12 Monaten in mindestens einem Lebensbereich diskriminiert. In Berlin haben 66% der trans Personen in den letzten fünf Jahren Gewalterfahrungen gemacht, 80% erlebten Übergriffe in sozialen Medien. Die Suizidversuchsraten von trans Personen liegen studienübergreifend bei 30% und höher.

Die AfD auf dem Weg der Heritage Foundation

Besorgniserregend sind die Parallelen zwischen der Heritage Foundation und der AfD. Die AfD-Fraktion fordert, das Transsexuellengesetz zu erhalten und lehnt das Selbstbestimmungsgesetz ab - stattdessen soll eine interdisziplinäre Kommission über Geschlechtswechsel entscheiden. Die AfD vertritt in ihrem Europa-Wahlprogramm, dass es ausschließlich zwei Geschlechter gäbe und dies eine biologische Tatsache sei - genau wie die Heritage Foundation.

Rechte Kräfte in den USA, Polen und Ungarn führen in Echtzeit vor, was trans Menschen auch in Deutschland drohen könnte, wenn die AfD an die Regierung käme. In Ungarn ist es inzwischen unmöglich, den rechtlichen Geschlechtseintrag oder vergeschlechtlichte Vornamen im Laufe des Lebens zu ändern.

Was können wir tun?

Die Entwicklungen in den USA zeigen, wie schnell erkämpfte Rechte wieder verloren gehen können. Die Trump-Administration führt dazu, dass einige trans Amerikaner*innen Zuflucht im Ausland suchen oder Pläne dazu machen. In Deutschland müssen wir wachsam bleiben und uns solidarisch zeigen.

LGBT-Aktivist*innen warnen vor einem Anstieg der Anti-LGBT-Gewalt in Deutschland - die Polizei registrierte über 1.400 Hassverbrechen gegen LGBT-Menschen, und es gab mehrere Angriffe auf Pride-Veranstaltungen. Die Zunahme queerfeindlicher Straftaten ist erschreckend, und wir müssen von einer hohen Dunkelziffer ausgehen.

Die Heritage Foundation mag ihre Forderungen als "Schutz" verkaufen - doch in Wahrheit geht es um die systematische Entrechtung und Kriminalisierung einer ohnehin marginalisierten Gruppe. Wenn trans Menschen als "Terrorist*innen" gebrandmarkt werden sollen, ist das ein Angriff auf die Menschenrechte aller. Deutschland muss aus den Fehlern der USA lernen und seine hart erkämpften Fortschritte verteidigen - bevor es zu spät ist.


Queere Ampeln vor Gericht: Ein Signal für Vielfalt spaltet Deutschland

Das Verwaltungsgericht Hannover hat eine Klage gegen die gleichgeschlechtlichen Ampelpärchen in Hildesheim als unzulässig zurückgewiesen. Das Gericht könne eine Verletzung der Rechte des Klägers "nicht nachvollziehen", teilte das Gericht in seiner Entscheidung mit. Der Fall reiht sich ein in eine Serie ähnlicher Klagen in deutschen Städten und wirft ein Schlaglicht auf die anhaltende gesellschaftliche Debatte über LGBTQ+-Sichtbarkeit im öffentlichen Raum. Die Originalberichterstattung finden Sie auf queer.de.

Der Fall Hildesheim: Wenn Ampeln zum Politikum werden

Der Kläger, der sich als wertkonservativ begreift, hatte argumentiert, die Darstellung schwuler und lesbischer Pärchen als Ampelsymbol schränke ihn in seinem Erziehungsstil ein. "Es sei 'überhaupt nicht erkennbar', dass der Kläger durch die Ampelmännchen in seinen Rechten verletzt sei, etwa in Fragen der sexuellen Selbstbestimmung", stellte der Vorsitzende Richter Arne Gonschior klar.

Die Entscheidung des Gerichts ist eindeutig: "Die Ampelzeichen zeigen die gesellschaftliche Realität, die kann der Kläger nicht ausblenden", so der Richter. Auch eine Verletzung der Straßenverkehrsordnung sehe das Gericht nicht: Deren Vorschriften schützten den Kläger nicht individuell. Damit folgt das Gericht einer Linie, die bereits in anderen deutschen Städten etabliert wurde.

München als Präzedenzfall: Toleranz als gesellschaftlicher Auftrag

Der Fall in Hildesheim ist kein Einzelfall. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat entschieden, dass die sog. "Wiener Ampelmännchen", die gleichgeschlechtliche Pärchen mit Herz abbilden, eine "Botschaft der Sympathie und Toleranz" darstellen und im Öffentlichen Straßenverkehr verwendet werden dürfen. In München hatte ein Anwohner gegen die dauerhaft installierten Ampelpärchen im Glockenbachviertel geklagt - und verlor ebenfalls.

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof stellte fest, dass queere Ampelpaare "ersichtlich eine Botschaft der Sympathie und Toleranz an homosexuellen Menschen senden, aber auch eine Aufforderung an die Mehrheitsgesellschaft zu Toleranz gegenüber Menschen mit abweichender sexueller Orientierung" darstellen. Diese rechtliche Einschätzung hat weitreichende Bedeutung für die Diskussion um LGBTQ+-Sichtbarkeit im öffentlichen Raum.

Von Wien nach Deutschland: Die internationale Dimension

In der österreichischen Bundeshauptstadt Wien wurden am 11. Mai 2015, anlässlich des Life Balls, des Eurovision Song Contests und der Regenbogenparade als Variante drei verschiedene Arten von "Ampel-Pärchen" mit Herz (hetero, lesbisch, schwul) installiert. Was als temporäre Aktion begann, entwickelte sich zu einem weltweiten Symbol für Vielfalt und Toleranz.

In Deutschland haben mittlerweile zahlreiche Städte nachgezogen. 2020 wurden in Hannover dauerhaft mehrere gleichgeschlechtliche Ampelfiguren installiert. In Marburg finden sich seit 2019 ebenfalls heterosexuelle, schwule und lesbische Paare an mehreren Ampeln. Frankfurt am Main erhielt anlässlich des CSD 2018 ein dauerhaftes homosexuelles Ampelpärchen an der Konstablerwache, ebenso Köln zum CSD 2019 am Heumarkt.

Auch kleinere Städte schließen sich dem Trend an: Bielefeld ist die neueste Großstadt, bei denen schwule und lesbische Ampelpärchen Fußgänger*innen den Weg weisen. In Berlin prüft die Verkehrsverwaltung derzeit die Einführung queerer Ampeln für den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Selbst Bremen hat eine Unterschriftenkampagne für 26 queere Ampeln gestartet.

Die rechtliche Dimension: Zwischen Verkehrssicherheit und Symbolpolitik

Die juristische Auseinandersetzung um die Ampelpärchen offenbart ein grundsätzliches Spannungsfeld. Das Münchener Verwaltungsgericht stellte fest, dass die Ampelscheiben lediglich Liebe und Partnerschaft bei heterosexuellen und homosexuellen Paaren symbolisieren und keine unzulässige staatliche Einflussnahme zur Förderung von homosexuellen Orientierungen darstellen. Im Gegenteil stünden die Ampelscheiben für mehr Toleranz, was mit dem Grundgesetz vereinbar sei.

Der bayerische Verwaltungsgerichtshof verwies darauf, dass sich in Deutschland mittlerweile eine ganze Reihe "alternativer" Ampelfiguren im Einsatz befänden - von den Bergmann-Ampelmännchen in Essen über die Mainzelmännchen in Mainz bis zu den Bremer Ampelmusikanten. Die Vielfalt der Ampelsymbole ist längst Teil der deutschen Verkehrslandschaft geworden.

Gesellschaftliche Polarisierung: Zwischen Fortschritt und Widerstand

Die Kontroverse um die Ampelpärchen spiegelt eine größere gesellschaftliche Debatte wider. Bei längerfristiger Betrachtung zeigt sich trotz einer Zunahme von Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt in den Einstellungen der Bevölkerung zugleich die öffentliche und politische Repräsentation von Intoleranz größer wird. Diese paradoxe Entwicklung zeigt sich besonders deutlich in den juristischen Auseinandersetzungen um LGBTQ+-Sichtbarkeit.

Die Klagen gegen die Ampelpärchen kommen oft aus einem konservativen Milieu, das sich in seinen traditionellen Werten bedroht sieht. Doch die Gerichte haben bisher durchweg die Position vertreten, dass die Darstellung verschiedener Lebensformen Teil der gesellschaftlichen Realität ist und keine Rechtsverletzung darstellt. Ein Ratsherr, der gegen die Entscheidung gestimmt hatte, klagte nun vor dem Verwaltungsgericht, was zeigt, dass der Widerstand teilweise auch aus der Politik selbst kommt.

Die deutsche Perspektive: Von der Symbolpolitik zur gelebten Akzeptanz

In Deutschland hat die Diskussion um die Ampelpärchen eine besondere Dimension. Nach der Wiedervereinigung kämpften die Ostdeutschen erfolgreich für den Erhalt ihrer charakteristischen Ampelmännchen - ein früher Präzedenzfall dafür, dass Verkehrssymbole mehr sein können als bloße Funktionszeichen. Das änderte sich, als die "Ost-Ampelmännchen" im Gebiet der ehemaligen DDR nach und nach gegen das westdeutsche Ampelmännchen ausgetauscht wurden. Es kam dort zu Protesten, unter deren Druck die "Ost-Ampelmännchen" wieder in die Ampeln zurückkehrten. Sie wurden plötzlich als Teil der eigenen Identität aufgefasst.

Diese Erfahrung ebnete den Weg für die heutige Vielfalt der Ampelsymbole. Von den Beethoven-Ampeln in Bonn bis zu den gleichgeschlechtlichen Pärchen - deutsche Städte nutzen Ampeln zunehmend als Ausdruck lokaler Identität und gesellschaftlicher Werte. Die rechtliche Anerkennung dieser Praxis durch die Verwaltungsgerichte stärkt diese Entwicklung.

Ein Signal mit Zukunft

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hannover im Fall Hildesheim sendet ein klares Signal: Die Sichtbarkeit von LGBTQ+-Menschen im öffentlichen Raum ist rechtlich geschützt und gesellschaftlich erwünscht. Die 14 Ampeln in Hildesheim werden weiterhin ihre bunten Signale senden - nicht nur für den Verkehr, sondern auch für eine offene, vielfältige Gesellschaft.

Was als kreative Idee aus Wien begann, hat sich zu einem internationalen Symbol für Toleranz und Akzeptanz entwickelt. Die juristischen Niederlagen der Kläger in München und nun auch in Hildesheim zeigen: Der Weg zu mehr Sichtbarkeit und Akzeptanz von LGBTQ+-Menschen ist unumkehrbar - auch wenn er weiterhin auf Widerstand stößt. Die Ampelpärchen sind dabei mehr als nur bunte Lichter - sie sind ein tägliches Zeichen dafür, dass Liebe in all ihren Formen Teil unserer Gesellschaft ist und bleibt.


Wenn Schulen nicht mehr sicher sind: Baden-Württembergs Kampf gegen Queerfeindlichkeit im Klassenzimmer

Das Kultusministerium Baden-Württemberg hat alarmierende Zahlen veröffentlicht: Seit März 2024 wurden 24 queerfeindliche Vorfälle an Schulen registriert, darunter homofeindliche Schmierereien, abwertende Kommentare und Aussagen wie „Schwule und Lesben sind psychisch krank". Diese Fälle zeigen nur die Spitze des Eisbergs – Experten gehen von einer deutlich höheren Dunkelziffer aus, da niedrigschwellig gelöste Konflikte nicht gemeldet werden müssen.

Ein deutschlandweites Problem mit besorgniserregenden Ausmaßen

Die zunehmend queerfeindliche Stimmung in der Gesellschaft erreicht verstärkt die Schulen. Mehr Queerfeindlichkeit sorgt für mehr Nachfrage zu herausfordernden Bedingungen. Diese Warnung des Kölner LSBTIQ*-Aufklärungsprojekts „WiR* – Wissen ist Respekt" spiegelt sich in erschreckenden Zahlen wider: Mehr als jede*r zweite LGBTI-Jugendliche ist nach einer neuen Studie der Jugendeinrichtung anyway Opfer von Queerfeindlichkeit in einer Kölner Schule geworden (58%). Am häufigsten wurden die Schüler*innen demnach "beschimpft, beleidigt und/oder lächerlich gemacht" (46%).

Die Gewalt beschränkt sich nicht nur auf verbale Angriffe. Knapp ein Viertel der Jugendlichen (23,7%) wurden gegen den eigenen Willen in der Schule geoutet. Zudem sind LSBTIQ*-Schüler:innen mit körperlicher Gewalt konfrontiert: 14,3 Prozent wurde Gewalt angedroht und 8,5 Prozent der Schüler:innen wurden tatsächlich angegriffen. Ein betroffener Schüler berichtete: „Tägliche Beleidigungen als Schwuchtel etc., angespuckt, ausgelacht, ausgegrenzt, geschubst – ‚Freunde' wandten sich ab, selbst Lehrer schmunzelten."

Rechtsextremismus als treibende Kraft

Seit Juni 2024 geraten vermehrt Veranstaltungen der LSBTIQ-Bewegung in den Fokus insbesondere gewaltorientierter Rechtsextremisten. So kam es in den letzten Monaten wiederholt zu (versuchten) rechtsextremistischen Störaktionen von öffentlichen Veranstaltungen zum Christopher Street Day (CSD). Der Verfassungsschutz warnt vor gezielten Kampagnen: Dass die Bevölkerung durch eine gezielte „Gender-Propaganda" manipuliert oder gar sexuell umerzogen werden solle, ist ein gängiges Narrativ in der rechtsextremistischen Szene. Diese „Gender-Propaganda" werde durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ebenso wie durch Konzerne, Politiker sowie an Schulen betrieben.

Diese gesellschaftliche Polarisierung zeigt sich auch in den Kriminalstatistiken: Im Jahr 2023 wurden in Deutschland rund 1.500 Delikte gegen die sexuelle Orientierung polizeilich erfasst. Damit stieg ihre Zahl das sechste Jahr in Folge und auf einen deutlichen Höchststand. Das Bundeskriminalamt verzeichnete einen Anstieg queerfeindlicher Straftaten um fast 50 % im Vergleich zum Vorjahr. 2023 wurden 1.785 solcher Straftaten verzeichnet, gut 1/3 davon war politisch rechts motiviert.

Lehrkräfte als Teil des Problems – und der Lösung

Besonders besorgniserregend ist die Rolle mancher Lehrkräfte: 29,8 Prozent der Lehrkräfte hätten nie gezeigt, dass sie "Schwuchtel", oder "Transe" oder ähnliches als Schimpfworte nicht dulden. Fast die Hälfte aller Lehrkräfte (43,4%) habe sich zudem manchmal oder häufig abfällig über LSBTIQ geäußert. Diese Zahlen aus Köln verdeutlichen, dass Diskriminierung nicht nur unter Schülern stattfindet, sondern teilweise durch Lehrkräfte verstärkt oder geduldet wird.

In Nordrhein-Westfalen zeigt eine aktuelle Studie, dass mit 62,2 Prozent ein Großteil der Teilnehmenden von abwertenden Äußerungen berichten; 60,5 Prozent durch Mitschüler:innen und 13,7 Prozent (teils derselben Betroffenen) durch Lehrkräfte. Gleichzeitig gibt es Hoffnung: Insgesamt fühlt sich weit über die Hälfte (60,7 Prozent) der Betroffenen an Schulen in Nordrhein-Westfalen unterstützt. Knapp jede:r Dritte (28,4 Prozent) gibt an, diese Unterstützung (auch) von Lehrkräften zu erfahren beziehungsweise erfahren zu haben.

Baden-Württemberg handelt: Der Runde Tisch „Schule queer gedacht"

Staatssekretärin Sandra Boser (Grüne) hat auf die alarmierenden Zahlen reagiert: „Diskriminierung hat an unseren Schulen nichts verloren. Schulen müssen ein sicherer Ort auch für queere Menschen sein." Aus diesem Grund hat Staatssekretärin Sandra Boser MdL jüngst zu einem Runden Tisch geladen. Das Thema: „Schule queer gedacht – Schule als sicherer Ort für LSBTTIQ+-Menschen und Lernort für LSBTTIQ+-Themen".

Ende März wurde mit einem ersten Runden Tisch der Aktionsplan der Landesregierung zur Gleichstellung von LSBTIQ*-Menschen nach langem Stillstand und vielen Ankündigungen im Kultusbereich wieder angegangen. Einige Maßnahmen laufen inzwischen. Zu den konkreten Initiativen gehören Fortbildungen für Lehrkräfte, FAQ-Listen auf der Internetseite des Kultusministeriums und ein geplantes Modellschulenprojekt.

Schule der Vielfalt: Ein bundesweites Vorbild

Ein vielversprechender Ansatz kommt aus dem bundesweiten Projekt "Schule der Vielfalt". Das Antidiskriminierungsprogramm Schule der Vielfalt setzt sich dafür ein, dass an Schulen mehr gegen Homo- und Transphobie und mehr für die Akzeptanz von unterschiedlichen Lebensweisen getan wird. Das Konzept basiert auf Selbstverpflichtung: Lehrkräfte sind dazu aufgerufen, konsequent gegen homophobe und trans*feindliche Äußerungen und derartiges Verhalten vorzugehen und dieses innerhalb und außerhalb des Unterrichts zu thematisieren. Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt soll im Unterricht an geeigneten Stellen thematisiert werden um Vorurteile und Stereotypen abzubauen, aber auch Wissen zu vermitteln.

Am Netzwerk teilnehmende Schulen berichten, dass das Schild von Schule der Vielfalt von Eltern als Qualitätsmerkmal einer „LGBT-freundlichen Schule" wahrgenommen wird. Die Erfahrung von Schule der Vielfalt zeigt auch: Dort, wo es bereits mindestens eine Projektschule gibt, kommen weitere hinzu.

Gesellschaftlicher Rückhalt trotz Gegenwind

Trotz der besorgniserregenden Entwicklungen gibt es auch positive Signale aus der Gesellschaft. 90 Prozent der Befragten sprechen sich dafür aus, dass Schulen den Schüler*innen Akzeptanz gegenüber homo- und bisexuellen Personen vermitteln sollen. 73 Prozent der Deutschen sind der Meinung, dass lesbische, schwule oder bisexuelle Menschen vor Diskriminierung geschützt werden sollten. Bei trans* Personen stimmen sieben von zehn Befragten (70 %) der Aussage zu.

Besonders bei jungen Menschen zeigt sich eine hohe Akzeptanz: Neun Prozent der ab 1995 geborenen volljährigen Deutschen identifizieren sich als homo- oder bisexuell, während weitere drei Prozent pansexuell oder asexuell als Eigenbezeichnung bevorzugen. Das geht aus einer aktuellen Befragung im Rahmen der Statista Consumer Insights hervor. Insgesamt liegt der Anteil von Queers in der Gesamtbevölkerung bei 12 Prozent.

Was Schüler sich wünschen

Die Lösungsvorschläge kommen oft von den Betroffenen selbst. Am häufigsten wünschten sie sich Aufklärungsworkshops in Schulen (60,9%), gefolgt von LSBTIQ*-Ansprechpersonen (53,4%) sowie einem Notfallteam bei Queerfeindlichkeit (47,6%). Diese Forderungen zeigen deutlich: Queere Jugendliche brauchen konkrete Unterstützungsstrukturen und sichtbare Ansprechpersonen.

Der Weg zu diskriminierungsfreien Schulen ist noch weit. Doch die Initiativen in Baden-Württemberg zeigen, dass Politik und Zivilgesellschaft das Problem ernst nehmen. „Schule als sicherer Ort für LSBTTIQ+-Menschen und Lernort für LSBTTIQ+-Themen – das beschreibt unser gemeinsames Ziel und ich kann versichern, dass das Kultusministerium den Weg zu diesem Ziel weiter engagiert und gemeinsam mit den Handelnden verfolgen wird. Zudem engagiere ich mich für weitere Runde Tisch, denn das Thema LSBTTIQ+ ist eine Daueraufgabe und wir werden uns nicht auf dem Erreichten ausruhen", sagt Staatssekretärin Boser.

Die Botschaft ist klar: Schulen müssen sichere Orte für alle jungen Menschen sein – unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität. Nur wenn Lehrkräfte, Eltern und Politik gemeinsam handeln, kann Diskriminierung wirksam bekämpft und ein respektvolles Miteinander gefördert werden.


Das Recht auf den Zweitpass: Wenn Bürokratie auf trans* Realität trifft

Ein Dienstagmorgen in einem Berliner Bürgeramt wird zum Kampfplatz zwischen deutscher Verwaltungslogik und der Lebensrealität trans* Menschen. Eine Person, die nach ihrer Personenstandsänderung einen neuen Ausweis beantragen möchte, stößt auf Unverständnis und Widerstand. Nach Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen sind der alte Personalausweis und der Reisepass der Person ungültig - sofern sich Angaben ändern. Die Beamtin will den alten Reisepass gleich einziehen. Doch der Betroffene wehrt sich – und hat gute Gründe dafür.

Zwischen Gesetzestext und Lebensrealität

Die Situation offenbart ein grundlegendes Problem des neuen Selbstbestimmungsgesetzes (SBGG), das seit November 2024 in Kraft ist. Das SBGG erleichtert es trans-, intergeschlechtlichen und nichtbinären Personen, ihren Geschlechtseintrag und ihre Vornamen ändern zu lassen. Das SBGG vereinfacht es für transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen, ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister und ihre Vornamen ändern zu lassen. Was auf dem Papier wie eine Erleichterung klingt, entpuppt sich in der Praxis als komplexes Sicherheitsproblem.

Die Beamtin argumentiert strikt nach Vorschrift: Es besteht im Rahmen der allgemeinen Pflicht zum Besitz eines gültigen Personalausweises die unverzügliche Verpflichtung, ein neues Dokument (Personalausweis oder Reisepass) zu beantragen. "Es können keine zwei verschiedenen Personen existieren", sagt sie und verweist auf die deutsche Bürokratie-Logik. Doch für trans* Menschen geht es nicht darum, doppelt zu existieren – es geht um Schutz in gefährlichen Situationen.

Die internationale Gefährdungslage

Universitätsmitglieder sollten bei geplanten Reisen in die USA die geänderten Regeln für die Einreisegenehmigung beachten. Nicht-binäre und trans* Personen werden künftig diskriminiert. Das Auswärtige Amt hat seine Reise- und Sicherheitshinweise für die USA aktualisiert. Die Situation in den USA hat sich dramatisch verschärft. Donald Trump erließ an seinem ersten Amtstag ein Dekret, wonach die Regierung künftig nur noch die rechtliche Anerkennung von trans Personen ebenso wegfallen würde wie die einer dritten Geschlechtsoption.

Doch nicht nur die USA stellen eine Gefahr dar. Die Geschichte im Artikel erwähnt Griechenland, wo Bekannte der betroffenen Person von Polizisten willkürlich angehalten und nackt durchsucht wurden – eine Form körperlichen Missbrauchs mit sexualisierter Gewalt. Mehr als siebzig Länder halten einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen für ein Verbrechen, das mitunter mit schweren Strafen verbunden ist.

Die Zweitpass-Lösung: Bereits Realität für inter* Personen

Interessanterweise existiert bereits eine Lösung für einen Teil der Betroffenen. Liegt im Personenstandsregister der Geschlechtseintrag "divers" oder kein Geschlechtseintrag vor, wird im Pass das Geschlecht mit "X" bezeichnet. Eine Ausnahme besteht weiterhin für intergeschlechtliche Personen, die eine ärztliche Bescheinigung über das Vorliegen einer Variante der Geschlechtsentwicklung beziehungsweise eine Entbehrlichkeit derselben nachweisen können. Diese können einen Reisepass mit abweichender Geschlechtsangabe erhalten. Demnach soll die Möglichkeit eröffnet werden, dass intergeschlechtliche Personen, die im Geburtseintrag mit der Geschlechtsangabe "divers" oder ohne Geschlechtsangabe eingetragen sind, einen Pass mit der Angabe "männlich" oder "weiblich" erhalten können.

Diese Regelung zeigt: Der Gesetzgeber erkennt durchaus die Diskriminierungsrisiken an, die mit einem "X" im Pass verbunden sind. Deutsche Behörden stellen daher vereinzelt Zweitpässe aus. Ein X kann hier zum Problem werden: Queerfeindlichkeit ist in den USA auf dem Vormarsch Doch warum gilt dieser Schutz nur für inter* und nicht für trans* Personen?

Die Antidiskriminierungsstelle bezieht Position

So sieht das auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes: In vielen Ländern der Welt berge die Menschenrechtslage Diskriminierungsrisiken, heißt es auf Anfrage der taz. "Deswegen erachten wir es für sinnvoll, dass trans Personen nach erfolgter Änderung ihres Geschlechtseintrags die Möglichkeit haben, einen Zweitpass zu beantragen." Diese klare Positionierung zeigt, dass die Gefährdung trans* Menschen auf offizieller Ebene anerkannt wird – nur die rechtliche Umsetzung fehlt noch.

Ein konkretes Beispiel aus der Praxis zeigt, dass Lösungen möglich sind: Die in Lou Fischers Fall zuständige Passbehörde in Bad Säckingen bewilligte den Zweitpass. "Wir waren vorbereitet zu klagen, doch die Behörde hat es glücklicherweise einfach eingetragen." Die Sachbearbeiterin habe direkt erklärt, dass die Begründung für den Zweitpass Sinn ergebe, sagt Fischer.

Deutsche Parallelen: Die Diskriminierung vor der eigenen Haustür

Während internationale Gefahren für trans* Menschen zunehmend ins Bewusstsein rücken, zeigt der Artikel auch die alltägliche Diskriminierung in Deutschland selbst. Die Reaktion der Beamtinnen – "Das haben Sie sich ja so ausgesucht" – offenbart ein tief verwurzeltes Missverständnis. Trans-Sein wird als Wahl, als Lebensart dargestellt, die sich einige "einfach herausnehmen". In dieser Logik erscheint die Forderung nach Schutz als Frechheit.

Diese Haltung ist kein Einzelfall. Der Bundesverband Trans* kritisiert die Einführung einer dreimonatigen Anmeldefrist für die Änderung des Geschlechtseintrags, was als Einschränkung der geschlechtlichen Selbstbestimmung gesehen wird. Das neue Gesetz, das eigentlich Erleichterung bringen sollte, schafft neue Hürden und lässt wichtige Schutzlücken offen.

Ein Recht, kein Privileg

Die Forderung nach einem Zweitpass für trans* Menschen ist keine Luxusdebatte. Es geht um grundlegende Sicherheit in einer Welt, in der ein Zwangsouting bei jeder Ausweisvorlage zur Folge hätte, würde sie aus dem öffentlichen Leben drängen und Diskriminierung und Gewalt aussetzen. Der im Artikel beschriebene Vorfall zeigt exemplarisch, wie deutsche Bürokratie und die Lebensrealität trans* Menschen kollidieren.

Die Lösung liegt auf der Hand: Was für inter* Personen bereits möglich ist, muss auch für trans* Menschen gelten. Ein Zweitpass mit binärem Geschlechtseintrag würde Reisen in gefährliche Länder sicherer machen, ohne die Identität der Betroffenen zu verleugnen. Es wäre ein kleiner bürokratischer Schritt mit großer Wirkung für die Sicherheit einer vulnerablen Gruppe.

Bis diese Lösung Realität wird, bleiben trans* Menschen in Deutschland zwischen den Stühlen sitzen – zwischen einer Verwaltung, die ihre Gefährdung nicht anerkennen will, und einer Welt, in der ihre bloße Existenz zur Zielscheibe wird. Die müde Resignation am Ende des Artikels, wenn die betroffene Person "schlagartig todmüde" wird, spricht Bände über den emotionalen Tribut dieser alltäglichen Kämpfe.


Türkei zensiert queere Filme und Songs: Ein Angriff auf die Freiheit der Kunst

Die türkische Medienaufsicht RTÜK hat Strafen gegen mehrere Streaming-Dienste verhängt, die mit queeren Filmen gegen "Familienwerte" verstoßen würden. Diese Maßnahme reiht sich in eine besorgniserregende Entwicklung der zunehmenden Zensur und Unterdrückung der LGBTQ+-Community in der Türkei ein. Die vollständige Nachricht findet sich auf queer.de.

Das "Jahr der Familie" als Kampfansage an die Vielfalt

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat das Jahr 2025 zum "Jahr der Familie" erklärt. Die Kampagne zielt darauf ab, die Ehe zu fördern und die Geburtenrate in der Türkei zu erhöhen, die von durchschnittlich 2,1 im Jahr 2014 auf 1,51 im Jahr 2023 gesunken ist. Doch hinter dieser scheinbar harmlosen Familienförderung verbirgt sich eine aggressive Agenda gegen LGBTQ+-Menschen.

Erdoğan richtete seinen Zorn erneut gegen die LGBTIQ*-Community: "Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, unsere Kinder und Jugendlichen vor schädlichen Trends und perversen Ideologien zu schützen", sagte er. "Neoliberale kulturelle Trends überschreiten Grenzen und dringen in alle Ecken der Welt vor. Sie führen auch dazu, dass LGBT- und andere Bewegungen an Boden gewinnen."

Die nun zensierten Filme wie "All of Us Strangers", "Cobalt Blue" oder "Looking: The Movie" sind international anerkannte Produktionen, die auf kostenpflichtigen Plattformen für Erwachsene verfügbar waren. Der türkische Politiker Tuncay Keser von der Oppositionspartei CHP kritisierte die Absurdität, die Gesellschaft vor "fiktionalen Produktionen mit Altersfreigaben" schützen zu wollen.

Ein Blick nach Deutschland: Streaming als Raum der Vielfalt

Auf Streaming-Plattformen entfallen 87% der LGBTQ+-Inhalte, die dem Publikum zur Verfügung stehen. Auf Streaming-Plattformen hat das LGBTQ+-Publikum eine fast siebenmal größere Auswahl an inklusiven Inhalten (2.777 Titel) als im linearen Fernsehen. Diese Zahlen zeigen die besondere Bedeutung von Streaming-Diensten für die Sichtbarkeit queerer Geschichten.

Obwohl beim größten Streaming-Anbieter Netflix viele queere Figuren und LGBTQ+ inklusive Serien zu streamen sind, steht das leider nicht stellvertretend für die restliche Streaming-Welt. Während Netflix nach queer-inklusiven Meilensteinen wie Orange Is the New Black und Sense8 noch immer Vorreiter ist, sieht es anderswo mau aus.

In Deutschland selbst zeigt sich ein differenzierteres Bild. 2023 beinhalteten 760 der 15.000 im deutschen Fernsehen ausgestrahlten Filme und Serien (4,9%) eine für die Handlung relevante LGBT-Figur. In den Jahren zuvor waren es 3,7% (2022) und 2,4% (2021). Trotzdem bleibt das deutsche Fernsehen im Vergleich zu Netflix (6,7%; mit Serien: 12,7%) und Amazon Prime (7,4%, mit Serien: 11,0%) das am wenigsten diverse Langfilm-Medium.

Der Fall Mabel Matiz: Wenn ein Liebeslied zur Straftat wird

Besonders erschreckend ist das Vorgehen gegen den populären Sänger Mabel Matiz. Das Familienministerium beantragt, seinen neuen Song "Perperisan" von Spotify, Youtube und Apple zu entfernen. Das Innenministerium leitete zudem strafrechtliche Ermittlungen ein, die mit einer Gefängnisstrafe zwischen sechs Monaten und zwei Jahren enden könnten.

Der 40-jährige Singer-Songwriter verteidigte sich mit dem Hinweis, dass sein Lied auf die Tradition der türkischen Volksliteratur zurückgreife und traditionelle türkische Volkslieder häufig sexuelle Anspielungen enthielten. "Ich möchte glauben, dass die öffentliche Ordnung und unser kollektives Wohlergehen nicht so fragil sind, dass sie durch ein bloßes Lied gestört werden können", schrieb er bei X.

Deutschland als Gegenmodell: Fortschritte trotz Herausforderungen

Deutschland hat sich im europäischen Regenbogen-Ranking deutlich verbessert und gehört nun zu den Top 10 in Europa. Die verbesserte Stellung Deutschlands ist auf erfolgreich umgesetzte Maßnahmen aus dem Aktionsplan "Queer leben" zurückzuführen.

Dennoch gibt es auch hierzulande Anlass zur Sorge. In den letzten Jahren erstarken europaweit rechtsextreme und antifeministische Bewegungen, die gut vernetzt auch in Deutschland gegen LSBTIQ* mobilisieren. So beobachtet der Verfassungsschutz, dass Rechtsextreme immer offener und aggressiver gegen LSBTIQ* agitieren. Sie wollen erkämpfte Fortschritte bei den Rechten, Sichtbarkeit und Freiheiten für LSBTIQ* zurücknehmen.

2024 wurden insgesamt im Unterthemenfeld "sexuelle Orientierung" 1.765 Straftaten (davon 253 Gewaltdelikte) und im Unterthemenfeld "geschlechtsbezogene Diversität" 1.152 Straftaten (davon 128 Gewaltdelikte) erfasst, also insgesamt 2.917. Diese Zahlen zeigen, dass auch Deutschland noch einen langen Weg vor sich hat.

Die Bedeutung kultureller Freiheit

Die Zensur queerer Inhalte in der Türkei ist mehr als nur ein Angriff auf die LGBTQ+-Community – sie ist ein Angriff auf die Kunstfreiheit und die kulturelle Vielfalt insgesamt. Die regierende Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung hat ihre Wurzeln in der islamischen Bewegung der Türkei. Die türkischen Offiziellen sind in den letzten Jahren verschärft gegen die weiterhin existente LGBTQ+-Community vorgegangen.

Die Entwicklungen in der Türkei sollten uns in Deutschland eine Mahnung sein, wachsam zu bleiben und die erkämpften Rechte und Freiheiten zu verteidigen. Eine klare Mehrheit der Deutschen spricht sich gegen die Diskriminierung der LGBTQIA+-Community und für gleiche Rechte aus. Vor allem bei jungen Männern nehmen queerfeindliche Ansichten aber auch in Deutschland eher zu.

Die Zensur von Filmen und Musik, die Verfolgung von Künstler*innen und die systematische Unterdrückung der LGBTQ+-Community in der Türkei zeigen, wie fragil Freiheitsrechte sein können. Es liegt an uns allen, für eine offene, vielfältige Gesellschaft einzustehen, in der alle Menschen ihre Identität frei leben können – sei es in der Türkei, in Deutschland oder anderswo auf der Welt.


Revolution in der HIV-Prävention: Europa genehmigt Halbjahresspritze – doch wer kann sie sich leisten?

Die Europäische Kommission hat im August 2025 einen bedeutenden Meilenstein in der HIV-Prävention erreicht: Die Zulassung der Halbjahresspritze Lenacapavir, die unter dem Namen Yeztugo vermarktet wird. Die Europäische Kommission hat dem langwirksamen Arzneimittel Yeytuo® mit dem Wirkstoff Lenacapavir die Marktzulassung für die HIV-PrEP erteilt. Diese Entscheidung macht das bahnbrechende Präparat nun in allen 27 EU-Mitgliedstaaten sowie in Norwegen, Island und Liechtenstein verfügbar. Angesichts 2023 gab es circa 2.200 HIV-Infektionen in Deutschland sowie bei Menschen deutscher Herkunft, die sich im Ausland infiziert haben und eines europaweiten Anstiegs der HIV-Diagnosen um 11,8% im Jahr 2023, kommt diese Zulassung zu einem kritischen Zeitpunkt. Die vollständige Nachricht finden Sie hier.

Ein medizinischer Durchbruch mit beeindruckenden Studienergebnissen

Lenacapavir ist ein sogenannter Kapsid-Inhibitor, der die Vermehrung des HI-Virus im Körper verhindert. Lenacapavir ist ein Arzneistoff aus der Gruppe der Virostatika. Es handelt sich um den ersten Kapsid-Inhibitor, der zur Behandlung und Präexpositionsprophylaxe (PrEP) einer HIV-Infektion eingesetzt wird. Die klinischen Studien zeigen beeindruckende Ergebnisse: In der PURPOSE-1-Studie mit über 5.000 Frauen in Uganda und Südafrika senkte das HIV-Risiko der cis Frauen der Studie um 100 Prozent. Zweimal jährlich muss man Lenacapavir injizieren – dadurch soll es einen hundertprozentigen Schutz gegen HIV bieten.

Diese außergewöhnliche Wirksamkeit wurde Auf dem Präparat Lenacapavir als halbjährliche Injektion zum Schutz vor HIV ruhen große Hoff­nungen im Kampf gegen Aids. Das Medikament des Herstellers Gilead hatte in einer Phase-3-Studie HIV-Infektionen bei Frauen mit einer 100 prozentigen Sicherheit verhindert und führte dazu, dass die Weltgesundheitsgemeinschaft das Präparat als "Gamechanger" feiert.

Die deutsche Situation: Zwischen Hoffnung und Realität

Für Deutschland bedeutet diese EU-Zulassung theoretisch einen großen Fortschritt, praktisch jedoch steht die Verfügbarkeit noch in den Sternen. Anfang 2026 könnte LEN als HIV-PrEP auf dem deutschen Markt verfügbar sein. Quartal 2025 zu erwarten, erklärte Gilead dem DÄ. Anfang 2026 könnte LEN als HIV-PrEP auf dem deutschen Markt verfügbar sein. Obwohl Lenacapavir auch von der EMA zugelassen wurde, hat Gilead für die bisherige Indikation bislang keinen Versuch gestartet, das Mittel in Deutschland auf den Markt zu bringen. Obwohl Lenacapavir auch von der EMA zugelassen wurde, hat Gilead für die bisherige Indikation bislang keinen Versuch gestartet, das Mittel in Deutschland auf den Markt zu bringen. Grund dafür ist laut Hersteller, dass die Ergebnisse der Zulassungsstudie für LEN als HIV-Therapie nicht den Anforderungen des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) entspricht.

Dies ist besonders bemerkenswert angesichts der HIV-Situation in Deutschland: In Deutschland leben nach Schätzungen des Robert Koch-Instituts (RKI) 96.700 Menschen mit HIV/AIDS. Fast 90% der HIV-Patientinnen und -Patienten erhalten eine antiretrovirale Therapie. Bei einer erfolgreichen Therapie sind die Menschen nicht infektiös und ihre Lebenserwartung entsprich nahezu der nicht HIV-Infizierter. Dennoch bleibt die Prävention entscheidend, besonders da Ende 2023 lebten circa 96.700 Menschen in Deutschland mit HIV, etwa 8.200 von ihnen ohne HIV-Diagnose.

Derzeit können sich Menschen in Deutschland hauptsächlich mit der täglichen PrEP-Tablette schützen. Wenn die PrEP zum Schutz vor HIV von dafür zugelassenen Ärzt*innen verschrieben wird, übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für die Medikamente und die nötigen Untersuchungen. Wenn die PrEP zum Schutz vor HIV von dafür zugelassenen Ärzt*innen verschrieben wird, übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für die Medikamente und die nötigen Untersuchungen. Seit Beginn der Einführung der GKV-PrEP ist die Anzahl der PrEP-Nutzenden nahezu kontinuierlich angestiegen. Ende 2023 gab es schätzungsweise rund 40.000 PrEP-Nutzenden in Deutschland.

Der Preisschock: Zwischen 25 und 28.000 Dollar

Der größte Skandal bei dieser medizinischen Revolution ist die Preisgestaltung. Für die USA hat das Herstellerunternehmen Gilead den Listenpreis für das Medikament Yeztugo® mit über 28.000 Dollar pro Nutzer*in und Jahr angesetzt. Dies steht in krassem Gegensatz zu den Produktionskosten: Laut einer Analyse der Universität Liverpool und anderer Institute könnte der Preis bei einer Produktion von Lenacapavir-Generika im Umfang von fünf bis zehn Millionen Spritzen im Jahr auf 25 Dollar sinken – einschließlich einer Gewinnspanne von 30 Prozent.

UNAIDS-Chefin Winnie Byanyima drängt daher den Hersteller Gilead, Lenacapavir verfügbar und erschwinglich zu machen: „Es wäre abscheulich, das Tausendfache für ein Medikament zu verlangen, welches das Potenzial hat, eine Pandemie zu beenden. Wir können Aids nicht mit solch teuren Medikamenten bekämpfen." Der Preis, den Gilead derzeit in den USA verlangt, liegt bei über 42.000 US-Dollar. „Damit untergräbt Gileads Preisgestaltung das riesige Potential, das in diesem wissenschaftlichen Durchbruch steckt. Gleichzeitig bremst man die weltweiten Bemühungen um eine Trendwende im Kampf gegen HIV/Aids", - kritisiert Bygrave.

Besondere Herausforderungen für vulnerable Gruppen

Die HIV-Prävention in Deutschland zeigt ein differenziertes Bild verschiedener Risikogruppen. 2023 gab es circa 2.200 HIV-Infektionen in Deutschland sowie bei Menschen deutscher Herkunft, die sich im Ausland infiziert haben. Etwa 1.200 Ansteckungen (55 %) geschahen beim Sex zwischen Männern, 620 (28 %) auf heterosexuellem Weg (360 Frauen und 270 Männer) und 380 (17 %) beim intravenösen Etwa 1.200 Ansteckungen (55 %) geschahen beim Sex zwischen Männern, 620 (28 %) auf heterosexuellem Weg (360 Frauen und 270 Männer) und 380 (17 %) beim intravenösen Drogengebrauch (280 Männer und 100 Frauen).

Besonders besorgniserregend ist der Trend bei Menschen, die Drogen injizieren: Bei Menschen, die Drogen injizieren, zeige die Modellierung einen deutlichen Anstieg seit 2010 – nach einer Stabilisierung in den Pandemiejahren steige die geschätzte Zahl der Neuinfektionen aber weiter an. Wichtig sei für die Prävention bei der Zielgruppe unter anderem die Versorgung mit ausreichend sterilen Injektions­utensilien und Opiodsubstitution sicherzustellen. Für diese Gruppe könnte die Halbjahresspritze eine besonders wichtige Alternative darstellen, da die tägliche Tabletteneinnahme oft eine Herausforderung darstellt.

Auch die Stigmatisierung bleibt ein großes Problem: Bei der Online-Befragung berichteten 95% der Befragten von mindestens einer diskriminierenden Erfahrung in den zurückliegenden zwölf Monaten aufgrund von HIV. 52% gaben an, durch Vorurteile in ihrem Leben beeinträchtigt zu sein. Eine diskrete Halbjahresspritze könnte hier die Adhärenz verbessern und gleichzeitig die Privatsphäre besser schützen.

Die Versicherungslücke: Privatversicherte im Nachteil

Während gesetzlich Versicherte seit 2019 Anspruch auf PrEP als Kassenleistung haben, sieht die Situation für Privatversicherte deutlich schlechter aus. Nur etwa ein Viertel der privaten Krankenkassen übernehmen die Kosten der HIV-PrEP, die meisten nur für bereits bei ihnen Versicherte. Die PrEP-Nutzung kann zur Zurückweisung oder zu höheren Tarifen führen.

Dies führt zu einer paradoxen Situation: Menschen, die sich aktiv vor HIV schützen wollen, werden von privaten Krankenversicherungen diskriminiert. Mit einem Privatrezept ist die Monatspackung (je nach Hersteller 28 oder 30 Tabletten) in jeder Apotheke ab rund 70 Euro erhältlich. Ausgewählte Apotheken in einigen deutschen Städten bieten ein Generikum der Firma Hexal für rund 40 Euro pro 28 Tabletten an. Im Vergleich dazu: Die bisher in Deutschland verfügbare PrEP mit Tabletten kostet bei dauerhafter täglicher Einnahme etwa 50 bis 70 Euro im Monat, also etwa 600 bis 840 Euro pro Person und Jahr. Zum Vergleich: Die bisher in Deutschland verfügbare PrEP mit Tabletten kostet bei dauerhafter täglicher Einnahme etwa 50 bis 70 Euro im Monat, also etwa 600 bis 840 Euro pro Person und Jahr.

Hoffnung auf Generika und faire Preise

Gilead verweist darauf, dass es bereits für mehr als 120 Länder mit hohen HIV-Raten Lizenzvereinbarungen mit stark reduzierten Preisen gebe. Nach Auffassung von UNAIDS und anderen Organisationen sind diese Vereinbarungen aber bei weitem nicht ausreichend, unter anderem seien viele Länder mit dringendem Bedarf nicht berücksichtigt. „Allerdings habe Gilead bislang nicht bekannt gegeben, welche Länder in die freiwillige Lizenzvergabe eingebunden werden sollen und welcher Preis gelten soll, kritisierte Bygrave im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ). „Eine Lizenz sollte sich nicht nur auf Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen begrenzen, sondern auch Länder mit höherem mittlerem Einkommen einschließen." Diese seien in der Vergangenheit von solchen Abkommen ausgeschlossen worden.

Die Ärzte ohne Grenzen und andere Organisationen fordern daher, dass Gilead das Medikament über den Medicines Patent Pool lizenziert und die Herstellung von preisgünstigen Generika ermöglicht. Deshalb appelliert Ärzte ohne Grenzen gemeinsam mit Aktivist*innen und zivilgesellschaftlichen Organisationen an den Hersteller Gilead, Lenacapavir über den Medicines Patent Pool zu lizensieren und die Herstellung von preisgünstigen Generika zu ermöglichen. Damit unterstützt die Organisation einen entsprechenden Aufruf von über 300 Aktivist*innen und Wissenschaftler*innen in einem offenen Brief an Gilead.

Was bedeutet das für die LGBTQ+-Community in Deutschland?

Für die queere Community in Deutschland, insbesondere für Männer, die Sex mit Männern haben (MSM, etwa 1.200 Fälle nach 1.100 im Jahr davor), könnte Lenacapavir einen entscheidenden Fortschritt bedeuten. Die Halbjahresspritze bietet mehrere Vorteile gegenüber der täglichen Tablette: keine tägliche Erinnerung an HIV-Risiken, höhere Diskretion und eine nahezu perfekte Adhärenz.

Als „Gamechanger", „bahnbrechend" und „Durchbruch" feierten Fachleute die Ergebnisse der Purpose-1-Studie und gaben Standing Ovations. Doch dieser Durchbruch wird nur dann wirklich revolutionär sein, wenn er für alle zugänglich wird. Das Menschenrecht auf den „höchsten erreichbaren Stand an körperlicher und geistiger Gesundheit" gebietet den PrEP-Zugang für alle, die diese Schutzmöglichkeit brauchen, unabhängig vom Aufenthalts- oder Versichertenstatus.

Die Geschichte der HIV-Prävention in Deutschland zeigt: Erfolgreiche Prävention braucht nicht nur medizinische Innovation, sondern auch politischen Willen und gesellschaftliche Solidarität. Die EU-Zulassung von Lenacapavir ist ein wichtiger Schritt – aber ohne faire Preise und breiten Zugang bleibt es nur ein Privileg für Wenige statt eine Revolution für Alle.

Die Deutsche Aidshilfe und andere Organisationen werden weiterhin dafür kämpfen, dass diese medizinische Innovation auch wirklich bei den Menschen ankommt, die sie am dringendsten brauchen. Denn eines ist klar: UNAIDS-Chefin Winnie Byanyima sagte, die lang wirkende HIV-PrEP könne enorme Auswirkungen auf die HIV-Epidemie haben. „Wir wollen, dass diese Wundermittel der Prävention alle Menschen erreichen, die sie brauchen", so Byanyima.


Wenn 300 Polizist*innen die Liebe schützen müssen: CSDs in Sachsen als Spiegel unserer Zeit

Der dritte Christopher Street Day in Döbeln wurde am Wochenende zu einer eindrucksvollen Demonstration für queere Sichtbarkeit – aber auch zu einem erschreckenden Beispiel für die Bedrohung durch rechtsextremen Hass. Wie queer.de berichtet, feierten bis zu 720 Menschen unter dem Motto "Bunte Flaggen gegen braune Politik!" den Pride in der mittelsächsischen Kleinstadt. Gleichzeitig marschierten etwa 90 Neonazis durch die Straßen, begleitet von einem Großaufgebot von 300 Polizeibeamt*innen.

Ein CSD unter Belagerung

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Auf etwa sieben CSD-Teilnehmer*innen kamen mehr als drei Polizist*innen – ein Verhältnis, das zeigt, wie ernst die Sicherheitslage eingeschätzt wurde. Zwischen Juni und September 2024 verzeichnete CeMAS deutschlandweit in 27 Städten rechtsextreme Mobilisierungen gegen CSD-Veranstaltungen. Dabei kam es zu Einschüchterungen, Schikanen und Gewalt. Döbeln reiht sich damit in eine beunruhigende Liste ein, die von Bautzen über Leipzig bis nach Görlitz reicht.

Bereits vor Beginn der Demonstration zeigten die Rechtsextremen ihre Verachtung: In der Nacht zu Samstag am Startpunkt des CSD am Bahnhof Döbeln eine übelriechende Flüssigkeit verschüttet, bei der es sich vermutlich um Buttersäure handelte. Dies ist kein Einzelfall – bereits im vergangenen Jahr gab es einen ähnlichen Anschlag, und im vergangenen Jahr gab es einen Buttersäure-Anschlag. Beim ersten CSD 2022 wurden Teilnehmer*innen von Neonazis mit Steinen beworfen.

Die neue Generation rechtsextremer Jugendgruppen

Was besonders besorgniserregend ist: Die Teilnehmenden der neuen Gruppen sind deutlich jünger (oft minderjährig), gewaltbereiter, digital organisiert, gut vernetzt und richten ihre antifeministischen Aktivitäten gezielt gegen queere Menschen. In Döbeln mobilisierten unter anderem die rechtsextremen „Freien Sachsen" und die Neonazi-Gruppierung „Elblandrevolte" aus Dresden zur Gegendemonstration.

Die Straftaten während des CSDs zeigen das Ausmaß des Hasses: Ein 41-Jähriger zeigte den Hitlergruß aus einem Fenster, in drei Fällen wird wegen Volksverhetzung aufgrund abgespielter Lieder ermittelt, und ein 17-Jähriger wurde von unbekannten Tätern geschlagen. Die Liste der Anzeigen reicht von Körperverletzung über Sachbeschädigung bis zu Beleidigungen.

CSDs im ländlichen Raum: Mut trifft auf massive Unterstützung

Im Jahr 2024 gab es mehr "Christopher Street Day"-Veranstaltungen in Deutschland als je zuvor. Gerade in kleinen Städten schlossen sich viele Menschen zusammen, um ein Zeichen für die Rechte queerer Menschen im ländlichen Raum zu setzen. Doch die Realität ist besorgniserregend: Die Bedrohungen durch rechtsextreme Akteure in den östlichen Bundesländern haben in den letzten Jahren stark zugenommen. Im Jahr 2024 wurden in 27 Städten rechtsextreme Mobilisierungen gegen unsere CSD-Veranstaltungen dokumentiert, in einigen Fällen mit bis zu 700 gewaltbereiten Neonazis.

Die Organisator*innen des CSD Döbeln von der Queeren Gruppe Döbeln in Zusammenarbeit mit dem Projekt WerkStadt vom Treibhaus e.V. hatten im Vorfeld eindringlich um Unterstützung gebeten: "Wir sind dieses Jahr mehr denn je auf die Unterstützung solidarischer Großstädter*innen und lokaler Verbündeter angewiesen. Packt die Pride-Flaggen und Antifa-Fahnen in den Rucksack und ab in die Provinz! Support your Hinterland, wir brauchen euch!"

Solidarität als Antwort auf den Hass

Der Aufruf wurde gehört: Menschen aus ganz Sachsen und darüber hinaus reisten nach Döbeln, um ein Zeichen gegen rechtsextremen Hass zu setzen. "Jede noch so kleine Veranstaltung, die queeren und linken Menschen Sichtbarkeit gibt, ist wichtig. Es braucht jetzt die Unterstützung der Strukturen aus Kultur und politischen Bewegungen – im Pride Month genau wie im restlichen Jahr. Wir müssen dort neue, geile Angebote schaffen, damit die Nazis nicht die einzigen sind, die Perspektiven bieten. Fahrt zu Festivals, Theaterstücken und Konzerten aufs Land und macht dort eine fette Party, links und queer. Sucht euch den kleinsten CSD raus, den ihr finden könnt. Und dann macht ihn zum Größten."

Diese Solidarität wird dringend gebraucht, denn "Um sich besser gegen Angriffe von Rechtsextremisten auf CSDs wappnen zu können, will der Verein Campact jetzt 300.000 Euro an Spenden einsammeln. Die bisherigen Einschüchterungspläne seien dabei nicht aufgegangen, um so wichtiger sei es nun, die insgesamt mehr als 200 CSDs in diesem Jahr in Deutschland zu unterstützen, speziell jene kleinen und mittleren Prides mit Finanzproblemen."

Polizeischutz: Notwendig, aber nicht die Lösung

Die Kritik der Organisator*innen am Polizeikonzept wirft wichtige Fragen auf: "Kritik gab es am Einsatzkonzept der Polizei, das es den Rechtsextremen ermöglichte, hinter dem CSD herzulaufen und in Hörweite eine Kundgebung abhalten zu können. Die Döbelner Organisatoren sprachen deshalb vorab von einer 'bedenklichen Sicherheitslage'." Ähnliche Probleme gab es auch in Bautzen, wo etwa 700 Neonazis gegen die rund 1.000 CSD-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer demonstrierten.

"Das Schweigen der Mehrheitsgesellschaft sehen rechtsextreme Jugendliche als Zustimmung zu ihrem Handeln und ermutigt sie, offen ihren Hass auszuleben und Gewalt anzuwenden. Um dem entgegenzuwirken, reicht es nicht aus, den Schutz queerer Menschen allein der Polizei zu überlassen. Es braucht starke überregionale Unterstützung und Bündnisse, die LSBTIAQ+ und ihre Verbündeten aus den Metropolen mit denen aus der Peripherie auf Augenhöhe zusammenbringen und verhindern, dass die vielen kleinen CSDs in die Defensive geraten."

Konsequenzen für die Täter – ein Zeichen der Hoffnung

Immerhin zeigt sich, dass rechtsextreme Gewalt nicht ohne Konsequenzen bleibt: Für den Buttersäureanschlag im vergangenen Jahr wurden zwei rechtsextreme Kommunalpolitiker – einer von den Freien Sachsen und einer von der AfD – rechtskräftig bestraft. Dies sendet ein wichtiges Signal: Der Rechtsstaat schaut nicht weg.

Eine neue Initiative der Amadeu Antonio Stiftung will CSDs in kleinen und mittleren Städten gezielt unterstützen. "Aus diesem Anlass starten Campact und die Amadeu Antonio Stiftung den Regenbogenschutzfonds. Bewerben können sich CSD-Organisator*innen insbesondere aus kleinen und mittelgroßen Städten, die Störungen von rechten Gruppen erwarten."

Was bedeutet das für Deutschland?

Die Ereignisse in Döbeln sind symptomatisch für eine größere Entwicklung: "Noch nie zuvor gab es so viele Pride-Kundgebungen wie in diesem Jahr und nie gab es so viele rechtsextreme Gegenproteste. Der CSD in Bautzen war eine Zäsur." Die queere Community lässt sich jedoch nicht einschüchtern. Im Gegenteil: Die Zahl der CSDs in kleinen Städten wächst stetig, und mit ihr die Sichtbarkeit queeren Lebens im ländlichen Raum.

Die Forderungen der Döbelner Organisator*innen gehen dabei über reine LGBTQ+-Rechte hinaus: "Unsere Solidarität gilt nicht nur anderen queeren Menschen, sondern auch geflüchteten Menschen, Menschen mit Behinderung, People of Color, Menschen in finanziell prekären Situationen, obdachlosen Menschen, kurz: all jenen, die genau wie wir nicht in das Gesellschaftsbild rechtsextremer Ideologien passen und die genau wie wir aus dem rechten Lager bedroht werden. Gewinnen können wir nur gemeinsam: No one is free until all are free!"

Der CSD in Döbeln zeigt: Die Zivilgesellschaft ist stark, wenn sie zusammensteht. 720 Menschen, die für Liebe und Akzeptanz demonstrieren, sind lauter als 90 Neonazis, die Hass verbreiten. Doch dass es 300 Polizist*innen braucht, um diese Demonstration zu schützen, macht deutlich: Der Kampf für eine offene, vielfältige Gesellschaft ist noch lange nicht gewonnen. Er wird auf den Straßen von Döbeln, Bautzen und unzähligen anderen Städten entschieden – jedes Jahr aufs Neue.


Tragödie in Utah: Wie Hass und politische Gewalt eine neue Dimension erreichen

Die Veröffentlichung von Textnachrichten zwischen Tyler Robinson und seinem Mitbewohner nach dem tödlichen Attentat auf den rechten Aktivisten Charlie Kirk wirft ein erschreckendes Licht auf die zunehmende politische Radikalisierung in den USA. Der Fall, über den The Pink News berichtet, zeigt nicht nur die persönliche Tragödie eines jungen Mannes, der zur Waffe griff, sondern auch die gefährlichen gesellschaftlichen Spannungen, die zu solcher Gewalt führen können.

Der Täter und sein Umfeld

Der 22-jährige Tyler Robinson, Student im dritten Jahr an der Dixie Technical College in Utah, lebte nach Angaben der Behörden in einer romantischen Beziehung mit seinem trans* Mitbewohner. Diese Konstellation wurde in konservativen Medien sofort instrumentalisiert, wobei LGBTQ+-Organisationen davor warnen, die trans* Community ohne Beweise mit der Tat in Verbindung zu bringen.

Robinsons Familie, selbst überzeugte Republikaner, beschrieb eine politische Radikalisierung des jungen Mannes. Seine Mutter berichtete den Ermittlern, dass ihr Sohn in den letzten Monaten "politischer geworden" sei und sich verstärkt für LGBTQ+-Rechte eingesetzt habe. Diese Entwicklung stand im starken Kontrast zu seiner konservativen Erziehung.

"Ich hatte genug von seinem Hass"

Die veröffentlichten Textnachrichten zeigen einen jungen Mann, der seine Tat über eine Woche lang geplant hatte. "Ich hatte die Gelegenheit, Charlie Kirk auszuschalten, und ich werde sie nutzen", schrieb Robinson in einer Notiz, die er für seinen Mitbewohner hinterließ. In den Nachrichten nach der Tat erklärte er: "Ich hatte genug von seinem Hass. Mancher Hass kann nicht wegverhandelt werden."

Besonders verstörend sind die Details seiner Vorbereitung: Robinson gravierte Nachrichten auf Patronenhülsen, darunter auch Memes und Slogans. Die Staatsanwaltschaft erwähnt eine Hülse mit der Aufschrift "Wenn du das liest, bist du schwul, lol" - ein bizarrer Mix aus Internet-Humor und tödlichem Ernst.

Parallelen zur deutschen Situation

Die Ereignisse in Utah haben auch in Deutschland Resonanz gefunden, wo die politische Polarisierung ebenfalls zunimmt. Laut dem Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter Gewalt (VBRG) erreichte die rechte Gewalt 2024 in Deutschland einen neuen Höchststand, mit durchschnittlich zwölf Opfern pro Tag.

Besonders besorgniserregend ist die Zunahme von Angriffen auf Politiker demokratischer Parteien - mindestens 77 wurden 2024 Ziel rechtsextremer Gewalt. Diese Entwicklung zeigt sich parallel zu einer verstärkten Mobilisierung gegen LGBTQ+-Rechte, besonders im Kontext von Christopher-Street-Day-Veranstaltungen.

Das Bundesinnenministerium berichtet, dass die politisch motivierte Kriminalität 2024 auf dem höchsten Stand seit Beginn der Erfassung 2001 liegt - mit über 84.000 Delikten, davon mehr als die Hälfte aus dem rechten Spektrum.

LGBTQ+-Rechte im Kreuzfeuer

Der Fall Robinson wirft ein Schlaglicht auf die explosive Mischung aus Anti-LGBTQ+-Rhetorik und politischer Gewalt. Charlie Kirk war bekannt für seine scharfe Kritik an Trans-Rechten und geschlechtergerechter Sprache. Seine "Prove Me Wrong"-Debatten auf Universitätscampussen wurden oft zu Schauplätzen hitziger Auseinandersetzungen.

In Deutschland zeigt sich eine ähnliche Dynamik. Die AfD positioniert sich als einzige Bundestagspartei explizit gegen LGBTQ+-Rechte, will Bildungspläne gegen Homo- und Transphobie beenden und das Selbstbestimmungsgesetz abschaffen. Paradoxerweise steht mit Alice Weidel eine lesbische Frau an der Spitze der Partei - ein Widerspruch, der die Komplexität der aktuellen politischen Landschaft verdeutlicht.

Studien zeigen, dass 71% der AfD-Wähler transfeindliche Einstellungen vertreten - der höchste Wert unter allen Parteianhängern. Diese Ablehnung trägt zu einem gesellschaftlichen Klima bei, in dem LGBTQ+-Personen zunehmend als Feindbild dienen.

Die Spirale der Gewalt

Tyler Robinsons Weg von einem unauffälligen Studenten zum mutmaßlichen Attentäter zeigt die Gefahr der Online-Radikalisierung. Anders als frühere politische Gewalttäter radikalisierte er sich nicht auf öffentlichen Kundgebungen, sondern in der digitalen Isolation - ein Phänomen, das Sicherheitsbehörden weltweit beunruhigt.

Die Reaktionen auf die Tat waren vorhersehbar polarisiert. Während einige versuchten, Robinson als Opfer "linker Ideologie" darzustellen, warnten andere vor der Instrumentalisierung der Tragödie. Utah's republikanischer Gouverneur Spencer Cox sprach von "tief verwurzelter linker Ideologie", konnte aber keine konkreten Belege liefern.

Die Todesstrafe als politisches Signal

Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, für Robinson die Todesstrafe zu fordern, wurde von Präsident Trump explizit unterstützt. Diese Forderung steht im Kontext einer Renaissance der Todesstrafe in den USA unter Trumps zweiter Amtszeit - 2025 wurden bereits 31 Hinrichtungen vollzogen.

Die Tragödie zeigt, wie gefährlich die Verbindung von politischer Polarisierung, Online-Radikalisierung und Zugang zu Waffen sein kann. Robinsons Großvater hatte ihm das Gewehr geschenkt, mit dem er Kirk tötete - eine grausame Ironie des amerikanischen Waffenrechts.

Lehren für Deutschland

Der Fall Robinson sollte auch in Deutschland als Warnung verstanden werden. Die Allianz berichtet, dass Deutschland 2024 über 4.000 Proteste und Unruhen verzeichnete - ein Anstieg von 36% gegenüber dem Vorjahr. Die USA und Deutschland führen die Liste der Länder mit den meisten rechtsextremistischen Vorfällen an.

Die zunehmende Verrohung des politischen Diskurses, die Dämonisierung von Minderheiten und die Normalisierung extremer Positionen schaffen ein Klima, in dem Gewalt als legitimes Mittel erscheinen kann. Besonders beunruhigend: Laut der Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung meinen 13% der Deutschen, einige Politiker hätten es "verdient", wenn die Wut gegen sie in Gewalt umschlage.

Die Geschichte von Tyler Robinson und Charlie Kirk ist letztlich die Geschichte zweier junger Männer, die Opfer einer toxischen politischen Kultur wurden - der eine verlor sein Leben, der andere seine Zukunft. Sie mahnt uns, die Spirale von Hass und Gegenhass zu durchbrechen, bevor weitere Tragödien geschehen.

In einer Zeit, in der LGBTQ+-Rechte zunehmend zum Spielball populistischer Politik werden, ist es wichtiger denn je, für Dialog statt Dämonisierung, für Verständnis statt Verhärtung einzutreten. Denn am Ende verlieren in einem Klima des Hasses alle - unabhängig davon, auf welcher Seite sie stehen.


Papst Leo XIV. kritisiert deutsche Segensfeiern – ein Rückschritt für LGBTQ+-Katholiken?

Papst Leo XIV. lehnt die in Deutschland und anderen Ländern Europas eingeführte feierliche Segnung homosexueller Paare ab. Seine kürzlich veröffentlichten Äußerungen in einem Interview mit der US-amerikanischen Vatikan-Korrespondentin Elise Ann Allen haben in Deutschland für Diskussionen gesorgt – besonders vor dem Hintergrund der hart erkämpften Fortschritte des Synodalen Weges.

Widerspruch zur deutschen Reformbewegung

Wörtlich sagte der Papst, die in manchen Ländern eingeführten kirchlichen Segensfeiern verstießen "eindeutig gegen das von Papst Franziskus genehmigte Dokument 'Fiducia supplicans'." In diesem Dokument hatte der Vatikan im Dezember 2023 die Segnung von Menschen in homosexuellen Partnerschaften erstmals überhaupt erlaubt. Zugleich betont das Dokument, dass es sich dabei nicht um feierliche Segnungen wie bei einer Ehe von Mann und Frau handeln dürfe.

Diese Aussagen stehen im krassen Gegensatz zu den Entwicklungen in Deutschland. Der Synodale Weg will Segensfeiern für gleichgeschlechtliche Paare möglich machen. In der katholischen Kirche Deutschlands wird es demnächst offizielle Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare geben. Nach jahrelanger Debatte stimmte das Reformgremium aus Bischöfen und Laien mit großer Mehrheit für die Segnung für alle – gegen den Willen des Vatikans. Das Reformprojekt Synodaler Weg verabschiedete am Freitag in Frankfurt nach einer kontroversen Debatte mit einer Mehrheit von knapp 93 Prozent ein Papier, das empfiehlt, zeitnah angemessene liturgische Feiern zu entwickeln und einzuführen. Von den Bischöfen stimmten knapp 81 Prozent dafür.

"Keine schlechten Menschen" – aber auch keine volle Akzeptanz

Mit Blick auf gleichgeschlechtlich liebende Paare bedeute dies "nicht, dass diese Leute schlechte Menschen sind." Es sei "wichtig, Menschen zu akzeptieren, die anders sind als wir, und zu akzeptieren, dass sie in ihrem Leben Entscheidungen getroffen haben, und dass wir sie respektieren." Diese Formulierung hat bei LGBTQ+-Aktivisten für Kritik gesorgt. Eindeutig widersprechen muss ich der Aussage, dass es wichtig sei "Menschen zu akzeptieren, die anders sind als wir, und zu akzeptieren, dass sie in ihrem Leben Entscheidungen getroffen haben, und dass wir sie respektieren". Niemand entscheidet sich für seine sexuelle Orientierung. Das entspricht nicht den Erkenntnissen der Humanwissenschaften.

Rainer Teuber, Mitgründer der #OutInChurch-Bewegung, hatte die Erwartung oder zumindest die Hoffnung, dass Papst Leo den vorsichtigen und manchmal auch uneindeutigen Kurs seines Vorgängers mutig fortsetzt. In seinem ersten großen Interview zeigte sich Leo XIV. beim Reizthema Sexualität zurückhaltend.

Die deutsche #OutInChurch-Bewegung als Gegenpol

Während der Papst auf traditionelle Positionen beharrt, hat sich in Deutschland eine starke Gegenbewegung formiert. Out in Church ist der Name einer Initiative und eines Manifests von queeren Menschen, die beruflich oder ehrenamtlich in der katholischen Kirche in Deutschland tätig sind. Am 24. Januar 2022 erklärten 125 Personen ihr gemeinsames Coming-out als lesbisch, schwul, bisexuell, transgender, intergeschlechtlich oder nichtbinär, um so „zur Erneuerung der Glaubwürdigkeit und Menschenfreundlichkeit der katholischen Kirche" beizutragen.

Die katholische Sexualmoral soll anhand neuer Erkenntnisse der Humanwissenschaften und der Theologie weiterentwickelt werden, Segnungsfeiern soll es auch für gleichgeschlechtliche Paare geben und die sexuelle Orientierung soll nicht mehr problematisch für das Arbeitsverhältnis sein. Die Initiative hat bereits konkrete Erfolge erzielt: Der Dialog mit der Basis und die innerkirchliche Initiative #OutInChurch sorgte unter anderem auch für Änderungen im Arbeitsrecht, wonach queere Mitarbeitende als "Bereicherung" begrüßt und nicht mehr gekündigt werden.

Deutschlands Sonderweg sorgt für Spannungen

Während es vor allem in Afrika von Bischöfen radikal abgelehnt wurde, entwickelten einige Bistümer in Deutschland und Belgien die Idee deutlich weiter und erlaubten feierliche Segnungen homosexueller Paare in der Kirche. Diese unterschiedlichen Positionen innerhalb der Weltkirche führen zu erheblichen Spannungen.

Alle LGBTQ-Themen führten zu einer Polarisierung in der Kirche; dies wolle er nicht vorantreiben, so der Papst. Die traditionelle Familie aus Vater, Mutter und Kindern müsse wieder anerkannt und gestärkt werden, sie habe in den vergangenen Jahrzehnten "manchmal gelitten." Er teile die Einschätzung aus anderen Erdteilen, dass westliche Gesellschaften derzeit zu sehr fixiert seien auf Fragen der sexuellen Identität.

Was bedeutet das für LGBTQ+-Katholiken in Deutschland?

Die Äußerungen des neuen Papstes zeigen deutlich, dass der Vatikan weiterhin auf Konfrontationskurs zu den deutschen Reformbestrebungen geht. Das schon von Papst Franziskus beschworene Bild einer Kirche, die als „Haus" allen Menschen offen steht, wird also auf absehbare Zeit nicht Realität. Dass alle LGBTQ-Themen zu einer Polarisierung in der Kirche führen würden, dass die traditionelle Familie manchmal gelitten habe und deswegen wieder gestärkt werden müsse – das zeigt, wohin die Reise in den nächsten Jahren geht. Letztendlich treibt man aber gerade dadurch die Polarisierung innerhalb der Kirche weiter voran.

Für deutsche Gemeinden, die bereits Segensfeiern durchführen, bedeutet dies eine unsichere Situation. Zwar werde niemandem eine „Verpflichtung zur Leitung solcher Feiern" auferlegt, doch dürfe umgekehrt kein Bischof einem Priester, der solche Segensfeiern vornimmt, disziplinarische Strafen auferlegen. Faktisch haben bereits in allen deutschen Diözesen derartige Segnungen stattgefunden, ohne dass je Konsequenzen bekannt wurden. Bis März 2026 sollen die Segensfeiern offiziell eingeführt werden.

Die deutsche LGBTQ+-Community und ihre Unterstützer in der katholischen Kirche stehen nun vor der Herausforderung, ihre hart erkämpften Fortschritte gegen den Widerstand aus Rom zu verteidigen. Die Debatte lässt sich nicht einfach so beenden. Die Forderungen nach einer Änderung der kirchlichen Sexualmoral bleiben weiter auf der Tagesordnung der reformorientierten Kräfte. Es bleibt abzuwarten, ob die deutschen Bistümer ihren eingeschlagenen Weg trotz päpstlicher Kritik fortsetzen werden.


US-Senatoren beider Parteien kämpfen gemeinsam für die Wiederherstellung der LGBTQ+-Jugend-Suizidhotline

Eine seltene parteiübergreifende Initiative im US-Senat wirft ein Schlaglicht auf die dringende Notwendigkeit von Suizidpräventionsdiensten für LGBTQ+-Jugendliche – ein Thema, das auch in Deutschland von höchster Relevanz ist. Die demokratische Senatorin Tammy Baldwin und die republikanische Senatorin Lisa Murkowski haben gemeinsam einen Gesetzentwurf eingebracht, der die Wiederherstellung der spezialisierten LGBTQ+-Dienste der 988 Suicide & Crisis Lifeline vorsieht, wie PinkNews berichtet.

Ein lebensrettender Dienst wurde geschlossen

Die Trump-Administration möchte die Finanzierung für spezialisierte Dienste für LGBTQ+-Jugendliche auf der 988 Suicide and Crisis Lifeline kürzen. Während jeder in einer psychischen Krise 988 anrufen oder eine Textnachricht senden und mit einem geschulten Berater verbunden werden kann, verfügt die Leitung über speziell geschulte Berater, oft mit ähnlichen Lebenserfahrungen, für Hochrisikogruppen wie Veteranen und LGBTQ+-Jugendliche. Die spezialisierte Hotline, bekannt als die "Press 3"-Option, bot seit 2022 Notfallunterstützung für gefährdete LGBTQ+-Jugendliche an, indem sie diese mit geeigneten Suizidpräventionsorganisationen verband.

Seit ihrer Einführung im Jahr 2022 haben die spezialisierten LGBTQ+-Jugendlichen-Dienste der 988 Suicide & Crisis Lifeline fast 1,3 Millionen Krisenkontakte mit lebensrettenden, LGBTQ+-inklusiven Krisendiensten verbunden. Die Schließung im Juli 2025 unter der Trump-Administration wurde von Unterstützungsorganisationen als "verheerender Schlag" für bedürftige junge Menschen bezeichnet.

Die erschreckende Realität: Suizidraten unter LGBTQ+-Jugendlichen

Die Statistiken sprechen eine deutliche Sprache: Suizid ist die zweithäufigste Todesursache bei jungen Menschen im Alter von 10 bis 14 Jahren und die dritthäufigste Todesursache bei 15- bis 24-Jährigen. LGBTQ+-Jugendliche sind mehr als viermal so wahrscheinlich, einen Suizidversuch zu unternehmen als ihre Altersgenossen. Das Trevor Project schätzt, dass mehr als 1,8 Millionen LGBTQ+-Jugendliche in den Vereinigten Staaten jedes Jahr ernsthaft über Suizid nachdenken, und mindestens einer versucht alle 45 Sekunden Suizid.

Diese alarmierenden Zahlen sind kein amerikanisches Phänomen. In Deutschland haben laut EU-Grundrechteagentur (FRA) bereits 14% aller LGBTIQ-Personen einen Suizidversuch hinter sich. Bei trans* Jugendlichen sind es international sogar bis zu 50%. Trans Personen haben die höchsten Raten an Suizidversuchen: 28% bei trans Männern und 26% bei trans Frauen. Die Suizidversuchsrate bei trans Jugendlichen liegt international bei 30% bis 50%.

Die deutsche Perspektive: Parallelen und Lücken

Während in den USA um die Wiederherstellung der spezialisierten Hotline gekämpft wird, zeigt sich in Deutschland ein gemischtes Bild. Die „Nummer gegen Kummer" bietet zwar anonyme und kostenfreie Beratung für Kinder und Jugendliche unter 116 111 an, jedoch fehlt eine spezialisierte Beratung für LGBTQ+-Jugendliche, wie sie in den USA durch die "Press 3"-Option angeboten wurde.

Die „Nationale Suizidpräventionsstrategie" des Bundesgesundheitsministeriums – ein Ampel-Projekt unter Karl Lauterbach – benennt zwar LSBTIQ*-Personen explizit als Risikogruppe, doch es fehlt ihr an verbindlichen Maßnahmen, gesicherter Finanzierung und der Bereitschaft, ein bundesweites Suizidpräventionsgesetz zu verabschieden.

In Deutschland existiert ein Netz von Hilfsangeboten, das jedoch oft fragmentiert und nicht ausreichend auf die spezifischen Bedürfnisse von LGBTIQ*-Personen zugeschnitten ist. Zu den allgemeinen, nationalen Angeboten gehören die Telefonseelsorge, die Nummer gegen Kummer für Kinder und Jugendliche sowie Fachverbände wie die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention (DGS) und das Nationale Suizidpräventionsprogramm (NaSPro). Daneben gibt es eine Reihe von LGBTIQ*-spezifischen Beratungsstellen, die oft von Vereinen und Community-Organisationen getragen werden, aber regional sehr ungleich verteilt sind.

Politischer Widerstand und gesellschaftliche Verantwortung

Der Gesetzentwurf von Baldwin und Murkowski, der '988 LGBTQ+ Youth Access Act', zielt darauf ab, nicht nur den Dienst wiederherzustellen, sondern auch sein Existenzrecht im Bundesrecht zu verankern. Senatorin Baldwin betonte, dass es "absolut keinen guten Grund" für die Schließung des spezialisierten Dienstes gebe und rief alle Senatoren auf, die Wiedereinführung zu unterstützen.

Die parteiübergreifende Unterstützung in den USA zeigt, dass Suizidprävention für LGBTQ+-Jugendliche kein parteipolitisches Thema sein sollte. Mehr als 100 Mitglieder des US-Kongresses aus beiden Parteien hatten bereits vor der Schließung einen offenen Brief unterzeichnet, in dem sie die Regierung aufforderten, die "kurzsichtige" und "gefährliche" Entscheidung zu überdenken.

Was Deutschland von der amerikanischen Debatte lernen kann

Die Entwicklungen in den USA sollten als Weckruf für Deutschland dienen. Lesbische, schwule, bisexuelle, trans und queere Jugendliche („LGBTQ+") sind stärker gefährdet als ihre heterosexuellen und cis Altersgenoss:innen, mindestens einmal in ihrem Leben einen Suizidversuch zu begehen. Evidenzbasierte suizidpräventive Zugänge und Modelle für LGBTQ+-Jugendliche fehlen jedoch.

Das Respektieren von Pronomen bei trans Jugendlichen kann die Rate an Suizidversuchen um 50% senken. Das ist keine Randnotiz. Es ist eine lebensrettende Intervention. Diese einfache, aber wirkungsvolle Maßnahme zeigt, wie wichtig spezialisierte, sensibilisierte Unterstützung für LGBTQ+-Jugendliche ist.

Die deutsche Politik steht vor der Aufgabe, ähnlich wie ihre amerikanischen Kollegen, parteiübergreifend zu handeln. Ein Suizidpräventionsgesetz mit zweckgebundener Finanzierung für queere Hilfsangebote muss sofort verabschiedet werden. Die Erfahrungen aus den USA zeigen, dass spezialisierte Dienste Leben retten – in den ersten Monaten vor der Schließung erreichte die Antwortrate der amerikanischen LGBTQ+-Hotline 92 Prozent.

Ein Aufruf zum Handeln

Die gemeinsame Initiative der amerikanischen Senatoren Baldwin und Murkowski sendet ein starkes Signal: Der Schutz gefährdeter LGBTQ+-Jugendlicher sollte über Parteigrenzen hinweg Priorität haben. Laurel Stine von der American Foundation for Suicide Prevention betonte, dass spezialisierte Betreuung, die LGBTQ+-Identitäten und -Themen versteht, "lebensrettend" sein kann.

Deutschland hat die Chance, aus den amerikanischen Erfahrungen zu lernen und proaktiv zu handeln. Die Einrichtung einer spezialisierten LGBTQ+-Option bei der "Nummer gegen Kummer" oder einer eigenständigen Hotline könnte buchstäblich Leben retten. Es ist wissenschaftlich erwiesen: Diese erschütternden Zahlen sind keine Folge des Queer-Seins, sondern der gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen wir leben.

Während in den USA um die Wiederherstellung bereits bestehender Dienste gekämpft wird, hat Deutschland die Möglichkeit, von Anfang an richtig zu handeln. Die Frage ist nicht, ob wir uns spezialisierte Suizidpräventionsdienste für LGBTQ+-Jugendliche leisten können – die Frage ist, ob wir es uns leisten können, sie nicht zu haben.


Der ESC wird zum politischen Minenfeld: Deutschland droht mit Boykott – LGBTQ+ Community sorgt sich um ihr wichtigstes Festival

Der Eurovision Song Contest 2026 in Wien droht zur größten Zerreißprobe in der Geschichte des Musikwettbewerbs zu werden. Trotz der Boykott-Drohungen mehrerer Länder will Israel weiterhin am Eurovision Song Contest 2026 teilnehmen. CDU-Politiker Steffen Bilger fordert nun, dass Deutschland ebenfalls den Wettbewerb boykottieren solle – allerdings aus dem entgegengesetzten Grund: "Ich finde, wenn Israel ausgeschlossen wird, dann können wir da nicht mehr dabei sein, ganz klar", sagte Bilger im RTL/ntv-"Frühstart". Diese Eskalation trifft besonders die LGBTQ+ Community, für die der ESC seit Jahrzehnten mehr als nur ein Musikwettbewerb ist. Das berichtet queer.de.

Ein Festival der Vielfalt in Gefahr

Der Eurovision Song Contest hat eine einzigartige Bedeutung für die queere Community. Der Eurovision Song Contest hat eine lange bestehende Fanbase in der LGBTQ-Community, und die Veranstalter haben aktiv daran gearbeitet, diese Fans seit den 1990er Jahren einzubeziehen. Nach dem Wettbewerb 2025 haben LGBTQ-Teilnehmer 12 Mal gewonnen, einschließlich sechs der letzten acht ausgetragenen Wettbewerbe.

Der ESC hatte von Anfang an einen Hang zu Camp, zu Kitsch und Glitzer. Das sind ästhetische Formen, die in der queeren Community oder damals in der schwulen Szene auf ein großes Interesse gestoßen sind. Die Kulturwissenschaftlerin Christine Lötscher erklärt diese besondere Verbindung: In einem ästhetischen Sinne ist Queersein Camp. Man unterwirft sich nicht den Geschmacksurteilen einer bildungsbürgerlichen Mehrheit, sondern spielt ganz bewusst mit dem, was marginalisiert und ausgeschlossen ist.

Die politische Dimension der Boykottdrohungen

Die Sender von Irland und den Niederlanden hatten in dem Fall jüngst mit einem Boykott gedroht. Sie stellten zugleich in Aussicht, anzutreten, sollte Israel dem Wettbewerb fernbleiben. Auch Slowenien hatte durchblicken lassen, dass das Land bei einer Teilnahme Israels nicht dabei sein werde. Auch andere ESC-Teilnehmerländer sehen eine Teilnahme Israels kritisch, darunter Spanien und Belgien.

Die niederländischen Organisatoren AVROTROS begründen ihre Position klar: "AVROTROS kann die Teilnahme Israels in der heutigen Situation angesichts des anhaltenden und schweren menschlichen Leidens in Gaza nicht länger verantworten". Nach Darstellung des niederländischen TV-Senders soll die israelische Regierung bei dem ESC in Basel 2025 Einfluss ausgeübt haben. Der Eurovision Song Contest sei als politisches Instrument benutzt worden.

Wien als Gastgeber unter Druck

Der Eurovision Song Contest 2026 findet in der österreichischen Bundeshauptstadt Wien statt. Das teilte ORF-Generaldirektor Roland Weißmann am Mittwochmorgen in der Radiosendung "Ö3-Wecker" mit. Das Finale wird demnach am 16. Mai in der Wiener Stadthalle veranstaltet, die zwei Halbfinal-Shows am Dienstag und Donnerstag zuvor. Die Stadt hat bereits Erfahrung als ESC-Gastgeber: Österreich hatte bereits zwei Mal den Eurovision Song Contest veranstaltet, beide Male in Wien. 1967 fand er nach dem Sieg von Udo Jürgens ("Merci Cherie") im Großer Festsaal der Wiener Hofburg statt, 2015 nach Conchita Wursts Triumph mit "Rise Like a Phoenix" diente bereits die Stadthalle als Austragungsort.

Der österreichische Sender ORF hat sich als Gastgeber des ESC 2026 bereits eindeutig für eine Teilnahme Israels ausgesprochen. Anlässlich des Musikfestivals und seiner vielen queeren Fans installierte die Stadt mehrere Ampeln mit gleichgeschlechtlichen und verschiedengeschlechtlichen Pärchen. Das Beispiel machte Schule. Inzwischen gibt es die Ampelpärchen nicht nur in vielen deutschen Städten, sondern auch in Spanien, Großbritannien und sogar in Australien.

Bilgers Antisemitismus-Warnung

CDU-Politiker Steffen Bilger sieht in den Boykottdrohungen gegen Israel ein größeres Problem. "Was man in Europa zurzeit erlebe, 'dass ein Orchester nicht auftreten kann, weil der Dirigent ein Jude ist, dass ein Radrennen in Spanien nicht mehr durchgeführt werden kann, dass man über Boykott eines Gesangswettbewerbs redet, weil da Israel dabei ist – das sind schon ganz bedenkliche Entwicklungen'", sagte er. Der Politiker ist Mitglied im CDU-Bundesvorstand und Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag.

Gleichzeitig betonte Bilger, "das Leid in Gaza werde von der Bundesregierung klar angesprochen. 'Das spricht auch Bundeskanzler Merz, Außenminister Wadephul sehr deutlich an, und wir ziehen da auch unsere Konsequenzen.'" Diese Äußerung verwirrt allerdings, da weder Friedrich Merz Bundeskanzler noch Johann Wadephul Außenminister ist – möglicherweise spricht Bilger hier von zukünftigen Positionen nach der Bundestagswahl 2025.

Die queere Community in der Zwickmühle

Für die LGBTQ+ Community ist die aktuelle Situation besonders schwierig. Eurovision ist seit langem ein Zufluchtsort – ein glänzendes Leuchtfeuer – für die LGBTQIA+ Community. Es geht nicht nur um die Musik; es geht um Sichtbarkeit, Akzeptanz und die kompromisslose Feier des Selbst. Der Wettbewerb hat sich zu einem kulturellen Prüfstein für queere Menschen entwickelt und bietet eine Plattform, auf der Authentizität heller strahlt als jedes Bühnenlicht.

Paul Oscar wurde 1997 der erste offen schwule Künstler des Wettbewerbs, als er Island vertrat. Katrina Leskanich, die 1997 als Leadsängerin der Gruppe Katrina and the Waves das Vereinigte Königreich vertrat und gewann, outete sich später. Dana International, die 1998 Israel vertrat, war die erste trans Darstellerin des Wettbewerbs und wurde die erste trans Künstlerin, die den Wettbewerb gewann.

Die politische Instrumentalisierung des ESC stellt die queere Community vor ein Dilemma: Einerseits ist der Wettbewerb ein wichtiges Symbol für Vielfalt und Akzeptanz, andererseits sind viele in der Community auch sensibel für Menschenrechtsfragen. "Wir akzeptieren diese Doppelmoral gegenüber Israel nicht", schreiben 72 ESC-Künstlerinnen und Künstler, darunter auch Nemo. Im vergangenen Jahr hat Nemo den ESC für die Schweiz gewonnen.

Die Zukunft des ESC steht auf dem Spiel

Seit Ausbruch des Gaza-Krieges 2023 überschattet der Nahost-Konflikt den erklärt unpolitisch konzipierten ESC. Sowohl beim Wettbewerb in Malmö 2024 als auch in Basel 2025 gab es israelkritische Demonstrationen auf den Straßen und vereinzelt auch Pfiffe und Buhrufe im Saal gegen Israels Acts.

Die Europäische Rundfunkunion (EBU) steht vor einer schwierigen Entscheidung. Die Veranstalterin - die Europäische Rundfunkunion - sucht mit den Kritikern Israels nach einem Kompromiss. Eine endgültige Entscheidung über die Teilnahme Israels soll im Dezember fallen.

Für Deutschland liegt die Verantwortung beim Südwestrundfunk (SWR), der nach 30 Jahren die Federführung vom NDR übernommen hat. Auf Anfrage verweist der Sender auf Werte wie "Vielfalt, Respekt und Offenheit, unabhängig von Herkunft, Religion oder Weltanschauung". Noch hat sich die ARD nicht zu Bilgers Boykott-Forderung geäußert.

Der ESC 2026 könnte zu einem Wendepunkt werden – nicht nur für den Wettbewerb selbst, sondern auch für die queere Community, die in ihm seit Jahrzehnten einen Safe Space und eine Plattform für Sichtbarkeit gefunden hat. Es ist ein Ort, an dem ein junges queeres Kind jemanden wie sich selbst auf der Bühne sehen und sich ein bisschen weniger allein fühlen kann. Für viele queere Fans ist Eurovision nicht nur ein Wettbewerb – es ist eine Lebensader.


Papst Leo XVI. bremst Reformhoffnungen – Ein Rückschlag für Deutschlands queere Katholiken

Ein neues Interview mit Papst Leo XVI. macht deutlich: Der seit vier Monaten amtierende Pontifex will bei den drängenden Fragen zu LGBTQ-Rechten, Frauenämtern und dem Missbrauchsskandal keine grundlegenden Reformen vorantreiben. Dabei hatten einige LGBTQ-Seelsorger wie der bekannte US-Jesuit James Martin nach einem Treffen mit dem neuen Papst noch von einer offenen Haltung gegenüber queeren Katholiken berichtet. Doch das nun veröffentlichte Interview zeigt ein anderes Bild.

Keine Lehränderungen in Sicht

„Wir müssen unsere Einstellungen ändern, bevor wir überhaupt daran denken können, die Haltung der Kirche zu einer bestimmten Frage zu ändern", wird Leo XVI. in dem Buch „Papst Leo XIV: Weltbürger, Missionar des 21. Jahrhunderts" zitiert. Es sei „höchst unwahrscheinlich, zumindest in naher Zukunft", dass sich die Kirchenlehre zu Sexualität oder Ehe ändern werde. Der Papst betonte seine Unterstützung für die „traditionelle Familie", die aus „Vater, Mutter und Kindern" bestehe.

Diese Aussagen stehen in deutlichem Kontrast zu den Erwartungen, die Martin nach seiner Audienz mit dem Papst geäußert hatte: „Ich habe die gleiche Botschaft von Papst Leo gehört, die ich von Papst Franziskus gehört habe, nämlich den Wunsch, alle Menschen willkommen zu heißen, auch LGBTQ-Angehörige". Über 1.000 queere Katholiken aus rund 30 Ländern waren im September erstmals offiziell zum Heiligen Jahr nach Rom gepilgert.

Warnung vor Polarisierung

Leo XVI. distanziert sich bewusst von seinem Vorgänger Franziskus, der trotz aller Widersprüchlichkeiten zumindest symbolische Öffnungen wagte. Franziskus hatte mehr als jeder seiner Vorgänger versucht, die katholische Kirche für LGBTQ+-Angehörige zugänglich zu machen und beispielsweise Priestern die Erlaubnis erteilt, gleichgeschlechtliche Paare zu segnen. Leo hingegen warnt davor, „die Polarisierung in der Kirche weiter zu verstärken" und kritisiert kirchliche Gruppen in Nordeuropa, die bei Segnungen über die Vatikan-Richtlinien hinausgingen.

Besonders enttäuschend für deutsche Reformkatholiken: Der Papst nimmt explizit Bezug auf den Synodalen Weg, der seit 2019 in Deutschland um Reformen ringt. Die Beteiligten hatten sich bewusst mit den vier brisanten Themen Macht und Machtteilung, Priesterbild, Sexualmoral und Stellung der Frauen in der Kirche befasst. Während diese erste Arbeitsetappe im März 2023 endete, geht es jetzt um die Umsetzung der als notwendig erkannten Reformschritte, die in Deutschland zu einer synodaleren Kirche führen sollen.

Deutsche Kirche zwischen Hoffnung und Ernüchterung

Die Reaktionen in Deutschland zeigen die tiefe Spaltung: Die Handreichung „Segen gibt der Liebe Kraft" wurde von der Gemeinsamen Konferenz aus Deutscher Bischofskonferenz und Zentralkomitee der deutschen Katholiken erarbeitet. Katholische Segensfeiern für Homosexuelle sind möglich, aber nicht überall – der Wohnort entscheidet über den Segen der Kirche. Während Bistümer wie Mainz, Speyer und Würzburg Segensfeiern befürworten, lehnt das Erzbistum Köln die Handreichung ab und verweist auf römische Vorgaben.

Queere Katholiken fordern von der Kirche ein offizielles liturgisches Format zur Segnung gleichgeschlechtlicher Beziehungen. „Wir würden es gerne mit unserer Gemeinde, mit unserer Familie und unserem Freundeskreis in einer eigenen Feier begehen", sagt Rainer Teuber vom Essener Dom. Die Initiative #OutInChurch, bei der sich über 125 kirchliche Mitarbeitende als queer geoutet haben, kämpft weiter für ein Ende der institutionellen Diskriminierung.

Missbrauchsaufarbeitung wird zur Nebensache

Besonders alarmierend ist Leos Haltung zum Missbrauchsskandal. Der sexualisierte Missbrauch von Kindern durch Priester sei zwar eine „echte Krise", solle während seines Pontifikats aber „nicht zum zentralen Thema der Kirche werden". Beschuldigte sollten bis zum Nachweis ihrer Schuld „geschützt" werden. Diese Aussagen stehen in krassem Gegensatz zu den Forderungen von Betroffenenverbänden und Reformgruppen, die eine schonungslose Aufarbeitung verlangen.

„Deshalb braucht es jetzt alle Aufmerksamkeit und Anstrengung, um die von Papst Franziskus propagierte Synodalität wirklich zu verankern. Die problematischen kirchlichen Strukturen, die zu Missbrauch und Vertrauensverlust geführt haben, müssen dauerhaft korrigiert werden", fordern katholische Reformgruppen.

Ein Papst gegen den Zeitgeist

Als er noch Bischof in Peru war, hatte Leo XVI. die „westlichen Massenmedien" beschuldigt, „Sympathie für Überzeugungen und Praktiken zu wecken, die im Widerspruch zum Evangelium stehen – beispielsweise Abtreibung, homosexueller Lebensstil, Euthanasie". 2012 beklagte er als Generalprior des Augustinerordens, dass westliche Medien „den homosexuellen Lebensstil" und „alternative Familien, bestehend aus gleichgeschlechtlichen Partnern und ihren Adoptivkindern" förderten.

Mit diesen Positionen sendet Leo XVI. ein fatales Signal an queere Katholiken weltweit. Während Länder wie Deutschland mühsam um Reformen ringen und Theologen betonen, dass Menschen mit ihrer Identität in keinem Land der Welt von der katholischen Kirche diskriminiert werden sollten, scheint der neue Papst den Kurs zurückdrehen zu wollen.

Die deutschen Katholiken stehen nun vor einer schwierigen Entscheidung: Setzen sie ihren Reformweg trotz päpstlichem Gegenwind fort? Der Synodale Ausschuss arbeitet weiter an dauerhafter Mitbestimmung durch einen Synodalen Rat – es geht um die Rolle von Frauen und die Zukunft des Priesteramts, um die kirchliche Sexuallehre, um Machtstrukturen. Doch ohne Rückendeckung aus Rom drohen alle Reformbemühungen zu verpuffen. Für queere Gläubige bleibt die bittere Erkenntnis: Der erhoffte Wandel unter einem neuen Papst bleibt vorerst aus.


Putins "Anti-ESC": Russlands Kulturkampf gegen Vielfalt und Menschenrechte

Russland inszeniert mit dem Intervision Song Contest eine kulturelle Gegenveranstaltung zum Eurovision Song Contest (ESC), bei der ohne "jede Zensur" musikalische Traditionen präsentiert werden sollen, allerdings mit der expliziten Garantie, dass es "keine Perversionen und Verhöhnungen der menschlichen Natur geben wird". Der Wettbewerb findet am 20. September 2025 in der Live Arena nahe Moskau statt, wo 23 Länder teilnehmen werden. Diese Veranstaltung ist mehr als nur ein Musikwettbewerb – sie ist ein Symbol für Russlands aggressiven Kulturkampf gegen LGBTQ+-Rechte und westliche Werte.

Ein Wettbewerb auf Befehl von oben

Der russische Präsident Wladimir Putin ordnete den Wettbewerb per Dekret an, wobei der stellvertretende Premierminister Dmitry Chernyshenko zum Vorsitzenden des Organisationskomitees ernannt wurde. Die Veranstaltung ist Teil einer umfassenden kulturpolitischen Strategie, die "auf die Bewahrung von Traditionen - kulturellen, religiösen, spirituellen, ethischen gerichtet" ist. Sergej Kirijenko, der einflussreiche Vizechef der Präsidialverwaltung, rechnete vor, dass die Intervision-Teilnehmerländer 4,3 Milliarden Menschen zählen - mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung.

Für Russland tritt der ultranationalistische Sänger Jaroslaw Dronow alias Shaman auf, der vor allem durch das nationalistische Lied "Ja Russki" (deutsch: Ich bin Russe) bekannt wurde, das wenige Monate nach Kriegsbeginn veröffentlicht wurde. Er ist klarer Befürworter der Invasion, hat sich als Anhänger Putins geäußert und tritt häufig bei von der russischen Obrigkeit organisierten Konzerten auf. Er steht auf der EU-Sanktionsliste.

Der Kontrast zum ESC könnte größer nicht sein

Während beim ESC 2024 der nonbinäre Act Nemo aus der Schweiz mit dem Song "The Code" gewann und damit als erste nonbinäre Person den ESC für sich entschied, macht Russland unmissverständlich klar, dass solche Darstellungen bei der Intervision nicht erwünscht sind. Das gelebte Bekenntnis zu Vielfalt und Queerness waren Russland – wo die LGTBQ-Bewegung als extremistische Organisation eingestuft ist – immer ein Dorn im Auge.

Die belarussische Teilnehmerin Nastja Krawtschenko brachte die Haltung der Veranstalter auf den Punkt: Sie sei sicher, dass keine "Freakshow" zugelassen werde und es "so etwas wie Männer in hohen Schuhen nicht geben werde". Diese Aussagen stehen in krassem Gegensatz zur Offenheit des ESC, wo 2014 der schwule Sänger Tom Neuwirth als Conchita Wurst für Österreich gewann.

Russlands verschärfte Anti-LGBTQ+-Gesetzgebung

Die Intervision ist eingebettet in Russlands immer repressivere Gesetzgebung gegen LGBTQ+-Menschen. Seit September 2025 gilt ein Extremismusgesetz, das den LGBTQ-Themenkomplex als extremistisch einstuft. Damit steht seitdem alles unter Strafe, was die Verbreitung von LGBTQ-Inhalten betrifft (Filme, Musik, Bücher, Social-Media-Beiträge). Auch Internetrecherchen zu LGBTQ-Informationen stehen seitdem unter Strafe.

Der Oberste Gerichtshof stufte 2023 die internationale LGBTQ+-Community als "extremistische Organisation" ein und öffnete damit Tür und Tor für die willkürliche Verfolgung und Inhaftierung von LGBTQ+-Personen und allen, die ihre Rechte verteidigen. Diese Entwicklung markiert einen dramatischen Rückschritt für die Menschenrechte in Russland.

Die gesellschaftlichen Auswirkungen dieser Politik sind verheerend. Forschungen zeigen, dass zwischen 2010 und 2020 insgesamt 1.056 Hassverbrechen gegen 853 Personen festgestellt wurden, die in 365 Fällen tödlich endeten. Die Anzahl solcher Verbrechen ist nach der Verabschiedung des "Anti-Propaganda-Gesetzes" 2013 dreifach höher als in der Zeit davor.

Deutsche Perspektive: Gleichberechtigung als Grundrecht

Der Kontrast zu Deutschland könnte kaum größer sein. Seit dem 1. Oktober 2017 dürfen gleichgeschlechtliche Paare in Deutschland heiraten, und jede Person darf ihre sexuelle Identität und Geschlechts-Identität frei ausleben. Das Gesetz beschützt lesbische, schwule, bisexuelle, transgender, queere, nicht-binäre, pan-sexuelle, polysexuelle, intersexuelle und asexuelle Menschen.

Die Pride-Bewegung in Deutschland zeigt die lebendige LGBTQ+-Community des Landes. Zwischen April und September werden zahlreiche Christopher Street Days (CSDs) organisiert, wobei die größten Events in Köln und Berlin stattfinden. Allerdings gibt es auch hier Herausforderungen: Pride-Veranstaltungen werden immer wieder Ziel von gewalttätigen Übergriffen – wie beim CSD in Bautzen im Jahr 2024 durch rechtsextreme Gruppen. Im Rahmen des CSD in Münster im Jahr 2022 wurde ein trans Mann sogar tödlich verletzt.

Diese Vorfälle mahnen uns, dass der Kampf für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung auch in Deutschland noch nicht gewonnen ist. Umso wichtiger ist es, sich gegen autoritäre Modelle wie Russlands Intervision zu positionieren und die hart erkämpften Rechte zu verteidigen.

Kulturkampf statt Völkerverständigung

Die Intervision offenbart Russlands Versuch, eine "kulturelle Gegengewicht" zum Eurovision Song Contest zu schaffen, der liberale und westliche Werte repräsentiere. Doch während der ESC unter dem Motto "United by Music" Menschen zusammenbringt, spaltet die Intervision durch ihren expliziten Ausschluss von LGBTQ+-Personen und ihre nationalistische Agenda.

Die Teilnehmerliste spiegelt diese geopolitische Dimension wider: Das einzige Land, das beim ESC und in Moskau antritt, ist Serbien. Weitere Teilnehmer sind Russlands enger Verbündeter Belarus und China sowie Musiker aus Indien, Südafrika, Ägypten oder Kuba. Die überraschende Teilnahme eines US-amerikanischen Sängers wirkt dabei eher wie ein verzweifelter Versuch, internationale Legitimität zu erlangen.

Was können wir tun?

Russlands Intervision Song Contest ist mehr als nur eine musikalische Veranstaltung – es ist ein Angriff auf universelle Menschenrechte und die Würde von LGBTQ+-Menschen weltweit. Als deutsche und europäische Gesellschaft müssen wir:

  • Solidarität mit verfolgten LGBTQ+-Menschen in Russland zeigen
  • Unsere eigenen Hart erkämpften Rechte verteidigen und weiter ausbauen
  • Die internationale Zusammenarbeit für LGBTI-Rechte stärken
  • Geflüchtete LGBTQ+-Menschen aus Russland unterstützen

Der wahre Gewinner im Kulturkampf zwischen ESC und Intervision sind nicht die Künstler*innen auf der Bühne, sondern die Werte, die wir als Gesellschaft verteidigen. Während Russland Mauern der Intoleranz errichtet, müssen wir Brücken der Akzeptanz bauen – nicht nur beim Eurovision Song Contest, sondern jeden Tag.


Britische Unternehmen warnen: Trans-Toilettenverbot wäre "unworkable" - Was bedeutet das für Deutschland?

Mehr als 650 britische Unternehmen und Organisationen haben sich in einem offenen Brief gegen ein mögliches Verbot für trans Menschen beim Zugang zu geschlechtsspezifischen Räumen ausgesprochen. Die Warnung richtet sich an die britische Regierung, die derzeit über neue Richtlinien der Equality and Human Rights Commission (EHRC) berät. Diese könnten trans Menschen faktisch von Toiletten und anderen Einrichtungen ausschließen, die ihrer Geschlechtsidentität entsprechen. Der Fall zeigt eindrücklich, wie Wirtschaft und Politik beim Thema Trans-Rechte aufeinanderprallen – und wirft auch für Deutschland wichtige Fragen auf. Den vollständigen Artikel finden Sie auf PinkNews.

Unternehmen als unfreiwillige "Gender-Polizei"

Zu den Unterzeichnern gehören bekannte Marken wie Ben & Jerry's, Lucy & Yak und Lush Cosmetics, die in dem von Trans+ Solidarity Alliance und Safe Space UK verfassten Brief an die Minister Peter Kyle und Bridget Phillipson erklären, dass solche Richtlinien "inkompatibel" mit ihren Unternehmenswerten seien. Die Unternehmen befürchten, dass sie zu einer Art "Gender-Polizei" werden könnten, deren Mitarbeiter gezwungen wären, intime Fragen über das biologische Geschlecht ihrer Kund:innen zu stellen.

Ein Sprecher des Londoner Pubs The Old Nun's Head, einer der Unterzeichner, betonte, dass ihr Lokal "noch nie Probleme mit den Toiletten" hatte und die EHRC-Vorgaben eine "Verschwendung von Ressourcen" wären. Das Personal müsste von seinen "wesentlichen Aufgaben" abgezogen werden, um stattdessen "die Toilettennutzung zu überwachen". Dies würde zusätzliche Personalkosten verursachen, die gerade für kleine Unternehmen eine erhebliche Belastung darstellen würden.

Wirtschaftliche Risiken und internationale Bedenken

Safe Space UK-Gründerin Carys Daniels warnte, dass die Zwangsmaßnahmen für Organisationen, die jahrelang "einladende und sichere" Räume aufgebaut haben, nicht nur das Vertrauen untergraben und ihre Werte schädigen, sondern auch finanzielle Risiken mit sich bringen würden. "Unternehmen wissen, dass Inklusion nicht nur das Richtige ist, sondern auch für den langfristigen wirtschaftlichen Erfolg essentiell ist", sagte sie. "Die Entwurfsvorschläge würden einen Konflikt zwischen dem erzwingen, von dem Unternehmen wissen, dass es richtig ist, und dem, was sie gezwungen wären durchzusetzen."

Forschungen der Harvard Business Review aus dem Jahr 2023 zeigen, dass Inklusivität nicht nur die Moral unter den Mitarbeitern verbessert, sondern auch die Leistung steigern kann. Eine weitere Studie aus dem Jahr 2020 ergab, dass Unternehmen, die sich auf Diversität und Inklusion konzentrieren, typischerweise finanziell besser abschneiden. Diese Erkenntnisse unterstreichen die wirtschaftliche Bedeutung einer inklusiven Unternehmenspolitik.

Die internationale Dimension der Debatte zeigt sich auch darin, dass die Lemkin Institute, eine Organisation zur Genozidprävention, die Vereinten Nationen aufgefordert hat, die EHRC wegen ihrer Behandlung von trans Menschen herabzustufen. Die Organisation argumentiert, dass die EHRC, sollte sie an ihren Vorschlägen festhalten, "erfolgreich trans und intergeschlechtliche Menschen im Vereinigten Königreich undemokratisch ihrer grundlegenden Menschenrechte und Würde beraubt" hätte.

Die deutsche Perspektive: Selbstbestimmung statt Ausgrenzung

Während in Großbritannien über Ausschlüsse debattiert wird, hat Deutschland mit dem Selbstbestimmungsgesetz einen anderen Weg eingeschlagen. Das Gesetz, das zum 1. November 2024 in Kraft tritt, beendet nach vierzig Jahren Diskriminierung durch das "Transsexuellengesetz" und markiert einen Paradigmenwechsel hin zu geschlechtlicher Selbstbestimmung. Trans*, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen werden bei der Änderung ihres Vornamens und Geschlechtseintrags endlich nicht mehr fremdbegutachtet und als krank betrachtet.

Die Toilettenfrage wird in Deutschland ebenfalls diskutiert, allerdings mit unterschiedlichen Ansätzen. Seit der Schaffung des Geschlechtseintrags "divers" 2018 rückt die Frage nach geschlechtergerechten Sanitärräumen zunehmend in die öffentliche Aufmerksamkeit. Um eine gleichberechtigte Teilhabe für trans*, inter* und nicht-binäre Menschen an allen Bereichen des öffentlichen Lebens zu gewährleisten, ist ein diskriminierungsfreier Zugang zu Sanitärräumen notwendig. Es muss auch für sie möglich sein, öffentliche Toiletten ohne Stress und Angst aufzusuchen.

Allerdings gibt es auch in Deutschland Gegenstimmen. Die Initiative "Geschlecht zählt" hat erfolgreich gegen Pläne gekämpft, Frauentoiletten abzuschaffen und Unisex-Toiletten zur Regel zu machen – ein Beispiel dafür, wie Feministinnen sich gegen die Versuche der Translobby zur Wehr setzen, Frauenrechte auszuhebeln. Diese Debatte zeigt die Spannungen zwischen verschiedenen Ansätzen zum Umgang mit Geschlechtervielfalt in öffentlichen Räumen.

Deutsche Unternehmen setzen auf Inklusion

Im Gegensatz zur angespannten Situation in Großbritannien zeigen viele deutsche Unternehmen, dass Inklusion und wirtschaftlicher Erfolg Hand in Hand gehen. Die REWE Group wurde 2024 zum dritten Mal in Folge mit dem Pride Champion Arbeitgebersiegel in Gold ausgezeichnet und konnte ihr Ergebnis auf 95,67 Prozent der möglichen Punkte verbessern. Das Siegel zertifiziert Unternehmen, die durch ein ganzheitliches LGBTQIA+ Diversity Management Strukturen schaffen, in denen sich alle Mitarbeiter:innen wertgeschätzt fühlen und einbringen können.

Das unternehmenseigene LGBTQIA+ Netzwerk di.to. unterstützt jede:n dabei, sich bei der REWE Group wohl zu fühlen und ist heute ein starkes Zeichen für Vielfalt und Inklusion. 2024 war die REWE Group gemeinsam mit REWE und PENNY zum zweiten Mal in Folge Hauptsponsor des ColognePride, und DITO nimmt aktiv an Demos in Hamburg, Berlin, Frankfurt und Leipzig teil. Diese sichtbare Unterstützung zeigt, wie Unternehmen aktiv zur gesellschaftlichen Akzeptanz beitragen können.

Auch andere deutsche Unternehmen engagieren sich: Im aktuellen "Pride Index" der Uhlala Group erreichten elf von 49 Großunternehmen "exzellente Ergebnisse von 90 Prozent oder mehr". Ganz oben platzierten sich Accenture, McKinsey & Company, Allianz und Riverty. Neu hinzugekommen sind Adobe Systems, Elsevier, Enterprise, Hewlett Packard Enterprise und L'Oréal.

Was Deutschland aus der britischen Debatte lernen kann

Die britische Kontroverse zeigt, wie schnell vermeintliche "Schutzmaßnahmen" zu praktischen Problemen für Unternehmen und zu Menschenrechtsverletzungen für Betroffene werden können. Im Juli 2024 hatte der britische Premierminister Keir Starmer erklärt, dass trans Frauen kein Recht auf die Nutzung von Frauen-only Räumen haben sollten, selbst mit einem Gender Recognition Certificate. Er hat auch ausgeschlossen, trans Menschen die Selbst-ID zu erlauben.

Die Warnung der britischen Unternehmen sollte auch in Deutschland gehört werden. Während das neue Selbstbestimmungsgesetz einen wichtigen Schritt in Richtung Gleichberechtigung darstellt, zeigt die Toilettendebatte, dass noch viele praktische Fragen zu klären sind. Um allen Personen den Zugang zu Sanitärräumen zu ermöglichen, sollten mehr Toiletten geschaffen werden, die unabhängig von der Geschlechtsidentität besucht werden können (Unisex- oder All-Gender-Toiletten). Diese können Einzelkabinen sein oder auch Toilettenanlagen für mehrere Personen. In Neubauten wird empfohlen, nach Möglichkeit nur geschlechtsneutrale Einzeltoiletten zu bauen.

Die Erfahrungen aus Großbritannien und die positiven Beispiele deutscher Unternehmen zeigen: Inklusion ist nicht nur eine Frage der Menschenrechte, sondern auch des wirtschaftlichen Erfolgs. Statt Ausgrenzung und Überwachung braucht es pragmatische Lösungen, die allen Menschen Würde und Sicherheit garantieren. Die Warnung der 650 britischen Unternehmen sollte als wichtiges Signal verstanden werden – nicht nur für die britische Regierung, sondern für alle, die über die Gestaltung inklusiver Gesellschaften nachdenken.


Wenn der Regenbogen zur Provokation wird: Der Angriff in Essen und die Gewalt gegen queere Menschen in Deutschland

Ein katholisches Gemeindefest in Essen-Dellwig endete am vergangenen Samstag in Gewalt, als ein noch unbekannter Täter einen 22-jährigen Mann nach einem Streit um eine Regenbogenfahne attackierte. Der mutmaßliche Täter wurde aggressiv, "hat den anderen mit der Faust geschlagen und später ein Bierglas nach ihm geworfen", wie die Polizei bestätigt. Der Vorfall wirft ein Schlaglicht auf die zunehmende queerfeindliche Gewalt in Deutschland und die komplexe Rolle der katholischen Kirche im Umgang mit LGBTQ+-Themen.

Die erschreckende Realität: Queerfeindliche Gewalt auf Rekordniveau

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Im Jahr 2023 wurden in Deutschland rund 1.500 Delikte gegen die sexuelle Orientierung polizeilich erfasst. Damit stieg ihre Zahl das sechste Jahr in Folge und auf einen deutlichen Höchststand. Das kürzlich veröffentlichte Lagebild des Bundesinnenministeriums und des Bundeskriminalamts zeigt sogar noch dramatischere Entwicklungen: 1.785 Straftaten richteten sich gegen LSBTIQ* Personen (im Jahr 2022: 1.188).

Zu den häufigsten gegen LSBTIQ* gerichteten Straftaten gehörten im Jahr 2023 Beleidigungen, Gewalttaten, Volksverhetzungen sowie Nötigungen und Bedrohungen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser bezeichnet diese Entwicklung als "erschreckend" und fordert: "Queerfeindliche Gewalt muss als solche klar benannt und gezielt verfolgt werden."

Besonders besorgniserregend: Die Zahl der Straftaten im Bereich "Sexuelle Orientierung" und "Geschlechtsbezogene Diversität" hat sich seit 2010 nahezu verzehnfacht. Dabei gehen Expert*innen von einer erheblichen Dunkelziffer aus. Lediglich 13% der Befragten sind zur Polizei gegangen, um einen physischen Angriff oder sexualisierte Gewalt anzuzeigen. 23% haben in den letzten fünf Jahren nach einer Gewalttat eine Anzeige vermieden aus Angst vor homo-/transfeindlicher Reaktion der Polizei.

Der Tatort Kirche: Zwischen Tradition und Transformation

Dass ausgerechnet bei einem katholischen Gemeindefest Gewalt wegen einer Regenbogenfahne eskalierte, ist tragisch, aber nicht völlig überraschend. Die katholische Kirche in Deutschland befindet sich in einem tiefgreifenden Transformationsprozess bezüglich LGBTQ+-Themen. Die katholische Kirche in Deutschland ist unter den Top 10 der queerfreundlichsten Kirchen in Europa – in keinem anderen europäischen Land sind die Katholiken und ihre Kirchen so offen.

Diese Entwicklung zeigt sich auch in der Reaktion auf den Vorfall in Essen. Bischof Franz-Josef Overbeck verurteilte den Angriff scharf und betonte: "Eine solche Tat 'darf in unserer Kirche, die für Toleranz, Respekt und Vielfalt stehen soll, keinen Platz haben'". Er würdigte das Engagement der Katholischen jungen Gemeinde, die sich "friedlich und mutig für eine offene, bunte Kirche" einsetze.

Der Bischof ging noch weiter und erklärte theologisch: "Zeichen wie die Regenbogenfahne symbolisierten, 'dass jeder Mensch von Gott gewollt ist und in seiner Liebe steht – unterschiedslos, voraussetzungs- und bedingungslos'. Der 'Glaube an die absolute Gleichheit aller Menschen als Geschöpfe Gottes' lasse es nicht zu, dass Menschen ausgegrenzt werden."

Die Katholische junge Gemeinde: Klare Kante gegen Rechts

Die betroffene KjG St. Michael reagierte bemerkenswert deutlich auf den Angriff. "Die KjG stehe für eine 'demokratische und gleichberechtigte Gesellschaft' hieß es weiter. Dem Verband sei wichtig, dass sich jeder Mensch wohlfühlen könne. 'Diskriminierung, Hetze und Gewalt haben bei uns keinen Platz'", erklärte die Gruppe auf Instagram.

Besonders bemerkenswert ist ihre politische Positionierung: "'Wir setzen eine klare Kante gegen Rechts. Wir bleiben präsent. Die Regenbogenfahne bleibt. Wir sind mehr.' Unter dem Post bekundeten der KjG-Bundesverband und der Bund der Deutschen Katholischen Jugend Nordrhein-Westfalen ihre Solidarität."

Die gesellschaftliche Dimension: Zwischen Akzeptanz und Ablehnung

Der Vorfall in Essen ist kein Einzelfall, sondern Teil eines beunruhigenden gesellschaftlichen Trends. In Bezug auf Formen klassischer Homophobie – also das offene Abwerten von Homosexualität als unmoralisch oder unnatürlich sowie das Absprechen gleicher Rechte – werden solche Positionen nur mehr von einem kleinen Teil der Bevölkerung geteilt (12 Prozent). Allerdings zeigt sich, dass moderne bzw. subtile Formen von Homophobie weiter verbreitet sind als Formen klassischer Homophobie. So sind beispielsweise 44 Prozent der Ansicht, Homosexuelle sollten aufhören, "so einen Wirbel um ihre Sexualität zu machen".

Die aktuelle Leipziger Autoritarismus-Studie 2024 zeigt zudem besorgniserregende Entwicklungen: 2022 glaubten 20,8 % der Ostdeutschen, dass Frauen "sich in der Politik häufig lächerlich" machen würden, 2024 wird diese Meinung von mehr als einem Drittel vertreten (34,9 %). Diese antifeministischen Einstellungen stehen in engem Zusammenhang mit Homo- und Transfeindlichkeit.

Was bedeutet das für Deutschland?

Der Angriff in Essen ist mehr als nur ein lokaler Vorfall – er ist ein Symptom für tieferliegende gesellschaftliche Spannungen. Während die Mehrheit der Deutschen für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung ist, sind 73 Prozent der Deutschen der Meinung, dass lesbische, schwule oder bisexuelle Menschen vor Diskriminierung geschützt werden sollten. Bei trans Personen stimmen sieben von zehn Befragten (70 Prozent) der Aussage zu, zeigt sich gleichzeitig eine zunehmende Radikalisierung einer Minderheit.

Die katholische Kirche in Deutschland steht dabei an einem Wendepunkt. In einigen Bistümern (Köln, Hildesheim, Osnabrück, Freiburg, Limburg) wurden bereits Stellen für die Regenbogenpastoral eingerichtet bzw. Stellenanteile zur Verfügung gestellt. Trier, Magdeburg und München sind darüber im Gespräch. Diese Entwicklung zeigt, dass sich innerhalb der Kirche etwas bewegt – auch wenn der Weg noch weit ist.

Der Vorfall in Essen mahnt uns: Die Regenbogenfahne ist mehr als nur ein buntes Symbol. Sie steht für die Würde und Gleichberechtigung aller Menschen. Wenn sie zum Anlass für Gewalt wird, ist das ein Angriff auf unsere demokratischen Grundwerte. Die deutliche Reaktion der katholischen Jugend und des Bischofs zeigt: Es gibt Hoffnung. Doch es braucht mehr als Worte – es braucht konkretes Handeln gegen Hass und Gewalt, in der Kirche wie in der Gesellschaft.

Die Ermittlungen der Polizei laufen weiter. Der Täter ist noch flüchtig. Doch die eigentliche Herausforderung bleibt bestehen: Wie schaffen wir eine Gesellschaft, in der eine Regenbogenfahne bei einem Gemeindefest nicht zur Provokation wird, sondern als das gesehen wird, was sie ist – ein Zeichen der Vielfalt und Menschlichkeit?


Britisches Urteil spaltet Deutschland: Was bedeutet "biologisches Geschlecht" für trans Menschen?

Ein aktuelles Urteil des britischen Supreme Courts zur Definition von Geschlecht im Gleichstellungsgesetz sorgt auch in Deutschland für intensive Debatten. Oscar Davies, Großbritanniens erste nicht-binäre Anwaltsperson, warnt davor, dass die Entscheidung missverstanden und zur Ausgrenzung von trans Menschen missbraucht werden könnte. Die Diskussion wirft ein Schlaglicht auf ähnliche Konflikte in Deutschland, wo das neue Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) trans-, intergeschlechtlichen und nichtbinären Personen seit dem 1. November 2024 erleichtert, ihren Geschlechtseintrag und ihre Vornamen ändern zu lassen.

Das umstrittene Urteil und seine Interpretation

Im April entschied der britische Supreme Court im Fall FWS v Scottish Ministers, dass sich die Definition von "Geschlecht" im Equality Act 2010 auf das "biologische Geschlecht" bezieht. Was auf den ersten Blick wie ein Rückschlag für trans Rechte aussieht, ist laut Davies jedoch komplexer. Die Anwaltsperson betont, dass das Gericht explizit davor warnte, das Urteil als "Triumph einer Gruppe über eine andere" zu interpretieren.

Davies' zentrale Kritik: Die britische Equality and Human Rights Commission (EHRC) und andere Organisationen würden das Urteil falsch auslegen. "Die Bestimmungen sind erlaubend, nicht ausschließend", erklärt Davies. Trans Menschen könnten weiterhin geschlechtsspezifische Räume nutzen – ein Ausschluss müsse im Einzelfall verhältnismäßig begründet werden und dürfe nicht automatisch erfolgen.

Parallelen zur deutschen Rechtslage

Die britische Debatte spiegelt sich in aktuellen deutschen Kontroversen wider. Das Bundesverfassungsgericht hat in Deutschland in einer langen Rechtsprechung ein Recht auf Anerkennung der geschlechtlichen Identität als Ausprägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts abgesichert, das auch für trans* und inter* Personen gilt. Mit der Einführung der sogenannten dritten Option "divers" im Jahr 2018 gehört Deutschland zu den wenigen Staaten weltweit, die die Existenz von mehr als zwei Geschlechtern offiziell anerkennen und nimmt damit international eine Vorreiterrolle ein.

Besonders brisant zeigt sich die Thematik bei der Nutzung geschlechtsspezifischer Räume. Ein aktueller Fall aus Erlangen verdeutlicht den Konflikt: Eine trans Frau wurde von einem Frauenfitnessstudio abgewiesen, obwohl sie angeboten hatte, beim Duschen eine Badehose zu tragen oder ganz auf das Duschen vor Ort zu verzichten. Die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman, schaltete sich ein und sieht in dem Fall eine Persönlichkeitsverletzung.

Die rechtliche Grauzone: Toiletten und Umkleiden

In Deutschland zeigt sich die Komplexität besonders bei der Gestaltung von Sanitärräumen. Die Arbeitsstättenverordnung verlangt bisher, dass Toilettenräume für Männer und Frauen getrennt einzurichten sind oder eine getrennte Nutzung zu ermöglichen ist. Diese Regelung, die zwingend und ausschließlich die beiden binären Geschlechter berücksichtigt, verstößt nach Ansicht von Aktivist*innen gegen die Rechte nicht-binärer Menschen und ist daher verfassungswidrig.

Vorreiter zeigen bereits Lösungen auf: Ende Oktober 2015 führte der AStA der Universität Kassel für eine Woche sogenannte "All Gender Welcome-Toiletten" ein, bei denen die WC-Beschriftungen von "Männer" und "Frauen" in "Sitz- und Stehklos" geändert wurden. Nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin sind "Unisex-Toiletten" grundsätzlich zulässig und könnten bei Bedarf zusätzlich zur vorgegebenen Mindestanzahl von Toiletten bereitgestellt werden.

Die unsichtbare Mehrheit: Nicht-binäre Menschen in Deutschland

Davies' Kritik am britischen Urteil hat besondere Relevanz für Deutschland, wo schätzungsweise 200.000 nicht-binäre Personen leben, die sich als non binary, agender oder genderqueer definieren, wobei etwa 0,1% der Bevölkerung, also ca. 80.000 Menschen, intersexuell sind. Diese Menschen fallen oft durch das Raster binärer Rechtssysteme.

"Es ist erniedrigend als Jurist*in, vom Gesetz nicht anerkannt zu werden, das ich täglich anwende", sagt Davies über die fehlende Anerkennung nicht-binärer Identitäten. Diese Kritik trifft auch auf Deutschland zu, wo trotz Fortschritten viele Rechtsbereiche weiterhin nur männlich und weiblich kennen.

Diskriminierung als Alltag

Die praktischen Auswirkungen zeigen sich deutlich: Verschiedene Studien aus den USA zeigen, dass trans* Personen in vielen Fällen komplett vermeiden, in der Öffentlichkeit etwa ein binäres WC oder eine binäre Umkleide zu benutzen. Auch in Deutschland sind dem Bundesverband trans mehrere Fälle bekannt, in denen sich trans* Personen aus Angst vor Diskriminierung lieber gar nicht erst im Fitnessstudio anmelden.

79,8% der befragten trans* und nicht-binären Personen berichten laut einer aktuellen Studie der Deutschen Aids-Hilfe und des Robert-Koch-Instituts, dass in den letzten zwölf Monaten über sie mit einem falschen Pronomen gesprochen wurde oder sie mit einem Namen angesprochen wurden, den sie nicht mehr nutzen.

Der Weg nach vorn: Dialog statt Ausgrenzung

Davies plädiert für einen differenzierten Umgang mit dem Thema: "Das Gleichstellungsgesetz soll ein Schutzschild sein, kein Schwert. Es geht nicht darum, Menschen anzugreifen oder Rechte zu entziehen." Diese Perspektive ist auch für Deutschland relevant, wo mit der Verabschiedung des Selbstbestimmungsgesetzes am 12. April 2024 jegliche Fremdbegutachtung durch ein selbstbestimmtes Verfahren mittels Erklärung beim Standesamt ersetzt wurde.

Die Lösung liegt laut Expert*innen nicht in starren Regeln, sondern in flexiblen Ansätzen. Die Einrichtung von Unisex-Toiletten kann neben dem Abbau von Diskriminierungspotential für trans*, inter* und nicht-binäre Personen auch für andere Personengruppen wie Väter mit Kindern Vorteile haben und die Nutzung zeiteffizienter machen.

Ein Appell an die Solidarität

Davies' abschließender Appell richtet sich an die gesamte Gesellschaft: "Wenn mehr Menschen ihre Stimme erheben würden, hätten diejenigen, die sich exponieren, weniger Verantwortung zu tragen. Ich spreche nicht nur von trans Menschen, sondern auch von Verbündeten."

Die Vorstellung, trans Menschen würden Frauenräume gefährden, bezeichnet Davies als "absurd". Vielmehr gehe es darum, allen Menschen Würde und Respekt entgegenzubringen – eine Forderung, die in Zeiten zunehmender Polarisierung wichtiger denn je erscheint.

Die Debatte zeigt: Sowohl in Großbritannien als auch in Deutschland stehen Gesellschaft und Rechtssystem vor der Herausforderung, geschlechtliche Vielfalt anzuerkennen und zu schützen, ohne dabei die Bedürfnisse verschiedener Gruppen gegeneinander auszuspielen. Der Weg zu echter Gleichberechtigung erfordert Dialog, Verständnis und den Mut, überholte binäre Strukturen zu hinterfragen.


Trumps Flaggen-Fantasien und Deutschlands wackelnde Selbstbestimmung: Die transatlantische Welle der Queerfeindlichkeit

Die verwirrenden und widersprüchlichen Meldungen über ein angebliches Attentat auf den rechtskonservativen Aktivisten Charlie Kirk offenbaren ein tieferliegendes Problem: Wie die aktuelle Berichterstattung zeigt, werden fiktive Gewaltakte und erfundene Narrative genutzt, um gegen queere Menschen Stimmung zu machen. US-Präsident Donald Trump hat laut einem Bericht des "Washington Free Beacon" am Montag eine "Ein-Flaggen-Politik" umgesetzt, wonach an Bundes-Regierungsgebäuden fortan nur noch die amerikanische Fahne gehisst werden darf. Damit wären andere Banner wie die Regenbogenfahne oder die Black-Lives-Matter-Flagge künftig verboten.

Trumps neue Flaggenpolitik: Ein Symbol der Ausgrenzung

In dem Erlass heißt es wörtlich: "Ab sofort dar nur noch die Fahne der Vereinigten Staaten von Amerika an US-Einrichtungen gezeigt werden, sowohl im Inland als auch im Ausland." Ausnahmen gibt es demnach nur in Gebäuden des Außenministeriums, also etwa Botschaften. Hier dürften weiter Fahnen für Kriegsgefangene und unrechtmäßig inhaftierte Menschen gehisst werden, alle anderen seien untersagt. Mitarbeiter*innen, die sich nicht an das Verbot hielten, müssten mit Disziplinarmaßnahmen bis hin zur fristlosen Kündigung rechnen.

Die Symbolik dieser Entscheidung ist verheerend. Das Hissen der Regenbogenfahne an US-Botschaften wurde auch immer wieder von autoritären Regimen kritisiert, etwa von Moskau oder Peking. Wie die Republikaner sehen beide Länder queere Sichtbarkeit als Gefahr an in Russland gibt es Gesetze gegen LGBTI-Propaganda, China verbietet die Darstellung queerer Menschen in den Medien. Trump reiht sich damit in eine internationale Allianz der Queerfeindlichkeit ein.

Die Eskalation der Anti-Trans-Politik

Besonders alarmierend sind die aktuellen Angriffe auf Trans-Rechte in den USA. Die Trump-Administration greift die Grundfreiheiten von trans Menschen unerbittlich an. Nun schlagen die Behörden Änderungen vor, die trans, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen den korrekten Geschlechtseintrag im Pass verweigern würden. Stattdessen fordern sie, das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht einzutragen.

Der Order states that the US government will recognize only two sexes, male and female, that are fixed at birth, and orders government agencies to end all reference to and consideration of a person's gender identity. This sweeping redefinition threatens federal programs used by transgender people and impacts federal documentation such as passports, which can currently reflect the gender identity of transgender and nonbinary people.

Die praktischen Konsequenzen sind dramatisch: Ohne einen Reisepass oder einen anderen, von der Regierung ausgestellten Ausweis, der widerspiegelt, wer sie tatsächlich sind, bekommen trans und nicht-binäre Menschen Schwierigkeiten mit einfachen Handlungen wie der Eröffnung eines Bankkontos, dem Besuch von Konzerten, dem Einchecken in ein Hotel, der Anmeldung in einer Schule, dem Reisen mit dem Flugzeug und vielem mehr. Darüber hinaus werden diese Maßnahmen trans Personen dazu zwingen, sich zu outen, wenn sie einen Ausweis vorzeigen, was trans Menschen aus dem öffentlichen Leben verdrängt und sie der Gefahr von Belästigung, Diskriminierung und sogar Gewalt aussetzt.

Deutschland: Vom Fortschritt zum Rückschritt?

Während in den USA die Rechte von trans Menschen demontiert werden, steht auch Deutschland an einem kritischen Wendepunkt. Am 1. November tritt das Selbstbestimmungsgesetz in Kraft. Trans*, inter* und nicht-binäre Personen können jetzt ihren Geschlechtseintrag und Vornamen in einem einfachen Verfahren beim Standesamt ändern lassen. Doch dieser historische Fortschritt ist bereits in Gefahr.

Wie der Tagesspiegel berichtet, ist das neue Selbstbestimmungsgesetz gerade einmal sechs Wochen in Kraft. Doch es soll, wenn es nach der Union geht, wieder abgeschafft werden. Das haben CDU und CSU in ihrem gemeinsamen Wahlprogramm für die Bundestagswahl festgelegt.

Als Gegner des Selbstbestimmungsgesetzes gilt auch CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz. Es gebe einen staatlichen Schutzauftrag insbesondere für Kinder und Jugendliche, sagte Merz etwa im September 2023 beim Bundesdelegiertentag der Frauen Union. Es dürfe nicht in der Beliebigkeit von Eltern und Kindern liegen, „das einfach mal eben so neu zu entscheiden und dies möglicherweise fast jedes Jahr", sagte Merz. Das Geschlecht sei nicht ein rein soziales Konstrukt, und es sei nicht beliebig und frei wählbar.

Die realen Auswirkungen der Transphobie

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Die FRA-Studie zur Lage von LGBTIQ in Europa und Deutschland aus dem Jahr 2024 verdeutlicht das schockierende Ausmaß der Diskriminierung, der trans* Personen ausgesetzt sind. In Deutschland berichteten 65 % der trans* Frauen von Diskriminierung in den letzten 12 Monaten. Und nur 19 % aller trans* Personen glaubt, dass ihre Regierung Vorurteile und Intoleranz gegenüber LGBTIQ*-Personen wirksam bekämpft.

Noch erschreckender: Das Projekt "Transrespect versus Transphobia Worldwide" dokumentiert Morde an trans* Personen. In den Jahren 2008 bis 2023 wurden weltweit 4.690 Morde an trans* Personen bekannt, 107 in der EU und drei in Deutschland. Besonders häufig betroffen sind BPoCs und trans* Frauen. So waren 2023 fast alle Opfer (94%) trans* Frauen und die große Mehrheit nicht-weiße Personen (80%).

Wie watson berichtet, warnen Aktivist*innen eindringlich vor den Konsequenzen: Während Friedrich Merz angibt, mit der Abschaffung des Selbstbestimmungsgesetzes vermeintlich Jugendliche schützen zu wollen, ist die Realität eine ganz andere. Jugendliche trans Personen sind – gerade wenn ihnen Selbstbestimmung verwehrt wird – besonders stark Suizid gefährdet, oder leiden an psychischen Erkrankungen. Trans Personen sind aufgrund dessen, dass ihnen Selbstbestimmung verwehrt wird, vermehrter Stigmatisierung und Ausgrenzung ausgesetzt.

Die internationale Dimension: Ein globaler Rollback

Schon seit dem Wahlausgang haben trans Aktivist_innen vor einem solchen Szenario gewarnt und rieten trans Menschen, ihren Geschlechtseintrag vor Trumps Amtseintritt zu ändern, weil es danach wohl nicht mehr möglich sein würde. Diese Befürchtungen hört man übrigens auch hier in Deutschland hinsichtlich des Selbstbestimmungsgesetzes – obwohl erst vor wenigen Monaten in Kraft getreten, bereits jetzt ein Dorn im Auge von rechtskonservativen Politiker_innen wie Friedrich Merz. Merz etwa macht Wahlkampf mit der Ansage, das Gesetz wieder abschaffen zu wollen. Merz aber reiht sich damit in einen globalen und gesamtgesellschaftlichen Trend ein. Die Stimmung gegen die „Genderideologie" ist nicht neu, doch der Backlash hat sich in den letzten Jahren rasant zugespitzt.

Die transatlantische Allianz der Queerfeindlichkeit zeigt sich auch in der Rhetorik: The order also pledges to withhold federal funding from any programs that promote "gender ideology," echoing language used by right-wing movements across Europe and Latin America to oppose not only recognition of transgender people but broader sexual and reproductive rights.

Was auf dem Spiel steht

Wie Human Rights Watch warnt, geht es um mehr als Symbolpolitik: Worryingly, it instructs agencies to house transgender people in detention according to their sex assigned at birth, putting them at extreme risk of physical and sexual violence, and to withhold gender-affirming care in prisons, which can amount to cruel, inhuman, and degrading treatment.

In Deutschland mobilisiert sich die queere Community bereits gegen die drohende Abschaffung. Julia Monro ist besorgt. Die trans Frau, die Aktivistin und unter anderem im Vorstand des Verbands Queere Vielfalt (ehemals LSVD) ist, hat seit einigen Wochen immer wieder beängstigende Gedanken: Dass Friedrich Merz und die CDU sie dazu zwingen, ihre Transition rückgängig zu machen. „Ich habe eigentlich immer einen ruhigen, ausgeglichenen Schlaf, aber neuerdings begleiten mich die politischen Ereignisse in die Nacht." Umso größer war die Erleichterung in der Community, als das SBGG endlich in Kraft trat. „Doch der ganze Fortschritt könnte rückgängig gemacht werden, nun, da Friedrich Merz Kanzler wird", sagt Monro.

Die Parallelen zwischen den USA und Deutschland sind unübersehbar. In beiden Ländern nutzen konservative Kräfte erfundene Bedrohungsszenarien und konstruierte Ängste, um gegen die Selbstbestimmung von trans Menschen zu mobilisieren. Wir schaffen das Selbstbestimmungsgesetz der Ampel wieder ab. Der Jugendschutz und das Erziehungsrecht der Eltern dürfen nicht untergraben werden. - so steht es schwarz auf weiß im Wahlprogramm der Union.

Der Kampf um die Menschenrechte geht weiter

Was wir gerade erleben, ist kein isoliertes Phänomen, sondern Teil einer koordinierten internationalen Kampagne gegen queere Menschen. Von Trumps Flaggenverbot über die geplanten Pass-Änderungen bis hin zu Merz' Abschaffungsplänen - die Muster sind identisch: Unter dem Deckmantel des "Kinderschutzes" werden fundamentale Menschenrechte demontiert.

Die Botschaft aus beiden Seiten des Atlantiks ist klar: Trans Menschen sollen unsichtbar gemacht, aus dem öffentlichen Leben gedrängt und ihrer Würde beraubt werden. Doch die Geschichte lehrt uns, dass solche Rückschritte niemals von Dauer sind. Die queere Community hat schon härtere Zeiten überstanden und wird auch diese Welle der Repression überstehen - gestärkt durch internationale Solidarität und den unbeugsamen Willen zur Selbstbestimmung.

Die kommenden Monate werden entscheidend sein. In Deutschland steht mit der Bundestagswahl eine Richtungsentscheidung an. Werden wir den Weg der Gleichberechtigung weitergehen oder uns von populistischen Ängsten treiben lassen? Die Antwort darauf wird nicht nur über das Schicksal des Selbstbestimmungsgesetzes entscheiden, sondern darüber, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen - einer, die Vielfalt feiert, oder einer, die sie unterdrückt.


Alarmierende Gewalt gegen intergeschlechtliche Menschen: EU-Bericht zeigt erschreckende Realität

Die EU-Agentur für Grundrechte (FRA) schlägt Alarm: Intergeschlechtliche Menschen in Europa sind zunehmend Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt. Der am Mittwoch veröffentlichte Bericht der Wiener Behörde basiert auf einer umfassenden Online-Umfrage unter 1.920 intergeschlechtlichen Menschen aus 27 EU-Staaten und drei Westbalkanländern. Die Ergebnisse sind erschütternd und werfen ein grelles Licht auf die Lebensrealität einer oft übersehenen Minderheit – auch hier in Deutschland.

Jede dritte Person von Gewalt betroffen

Die Ergebnisse lassen erkennen, dass LSBTIQ-Personen mehr Gewalt, Belästigung und Mobbing ausgesetzt sind als zuvor. Besonders alarmierend: Eine von fünf Transgender- bzw. intersexuellen Personen hat körperliche oder sexuelle Übergriffe erfahren – das sind doppelt so viele wie in anderen LGBTI-Gruppen. Dies stellt einen dramatischen Anstieg im Vergleich zur vorherigen Umfrage aus dem Jahr 2019 dar.

FRA-Direktorin Sirpa Rautio findet deutliche Worte: "Intersexuelle Menschen in der EU sind in alarmierendem Ausmaß von Ausgrenzung, Diskriminierung und Gewalt betroffen." Die Behörde fordert dringende Maßnahmen zum Schutz dieser vulnerablen Gruppe.

Politischer Diskurs befeuert Hass

Knapp 70 Prozent der Befragten machen die negative Haltung von Politiker*innen und politischen Parteien für den Anstieg der Gewalt verantwortlich. Die FRA prangert ein "Klima zunehmender oder anhaltender Intoleranz" an und warnt vor Hasskampagnen in sozialen Medien und im öffentlichen Raum, die Falschinformationen verbreiten und Hass schüren.

Diese Entwicklung spiegelt sich auch in deutschen Statistiken wider: Im Jahr 2023 wurden in Deutschland rund 1.500 Delikte gegen die sexuelle Orientierung polizeilich erfasst. Damit stieg ihre Zahl das sechste Jahr in Folge und auf einen deutlichen Höchststand. Davon richteten sich 1.785 Straftaten gegen LSBTIQ* Personen. Zu den häufigsten gegen LSBTIQ* gerichteten Straftaten gehörten im Jahr 2023 Beleidigungen, Gewalttaten, Volksverhetzungen sowie Nötigungen und Bedrohungen. Bei den Gewalttaten wurden 212 Opfer festgestellt.

Besondere Herausforderungen in Deutschland

In Deutschland leben laut Schätzungen des Deutschen Ethikrats 80.000 intergeschlechtliche Personen, wobei die Free & Equal Initiative der Vereinten Nationen von einem Bevölkerungsanteil zwischen 0,05 % bis 1,7 % ausgeht. Die tatsächliche Zahl der Menschen, die den Geschlechtseintrag "divers" nutzen, ist jedoch verschwindend gering: Die Zensus-Daten zeigen, dass deutschlandweit 2022 nur 969 eingetragen diverse Menschen lebten und 1.259 ohne Angabe zum Geschlecht.

Inter* Personen sind Diskriminierungen in allen Lebensbereichen ausgesetzt. Besonders problematisch ist die medizinische Versorgung: Obwohl operierte intergeschlechtliche Personen ein deutlich erhöhtes Risiko haben, an Gonadenkrebs zu erkranken, werden entsprechende Vorsorgeuntersuchungen nur selten oder erst ab einem bestimmen Lebensjahr von der Krankenkasse bezahlt. Inter* Personen fallen häufig durch das Raster, da Krankenkassen bestimmte Leistungen nur für Personen übernehmen, die als „weiblich" oder „männlich" gemeldet sind.

Psychische Belastungen und Suizidgefahr

Der neue FRA-Bericht zeigt, dass intergeschlechtliche Menschen überproportional unter psychischen Problemen leiden. Viele denken an Suizid – eine erschreckende Konsequenz der anhaltenden Diskriminierung und Gewalt. Jede dritte befragte Person kommt finanziell nur mit Mühe über die Runden. Bei intersexuellen und Transgender-Personen, für die die Situation noch prekärer ist, ist dies sogar jede zweite.

Besonders dramatisch ist die Situation an Schulen: 77 % der intergeschlechtlichen Befragten wurden während ihrer Schulzeit von Mitschüler*innen und 21 % von Lehrkräften oder anderem Schulpersonal beleidigt, bedroht oder lächerlich gemacht. 61 % der intergeschlechtlichen Befragten geben an, dass an ihrer Schule nie LSBTIQ*-Themen adressiert worden sind.

Fortschritte beim Schutz von Kindern – mit Lücken

Ein wichtiger Fortschritt wurde in Deutschland mit dem "Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung" erreicht, das am 25. März 2021 verabschiedet wurde. Operative Eingriffe an den Geschlechtsmerkmalen, die nicht rein kosmetisch sind, dürfen nur vorgenommen werden, wenn sie nicht bis zur selbstbestimmten Entscheidung des Kindes aufgeschoben werden können.

Kritiker*innen bemängeln jedoch, dass das Gesetz Lücken aufweist: Das Gesetz sieht keine Maßnahmen vor, die eine Umgehung des Verbots verhindern und eine effektive Strafverfolgung ermöglichen. Jahr für Jahr werden an die 2.000 „feminisierende" oder „maskulinisierende" Operationen allein an Kindern unter zehn Jahren durchgeführt, obwohl bestehende medizinische Leitlinien von diesen Eingriffen abraten.

Hoffnung durch Sichtbarkeit und Vernetzung

Trotz der alarmierenden Zahlen gibt es auch positive Entwicklungen. Mehr LSBTIQ-Personen in Europa gehen nun offen mit ihrer Identität um. Die gestiegenen Fallzahlen bei der Polizei bedeuten auch, dass mehr Betroffene den Mut fassen, Straftaten anzuzeigen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser betont: "Mehr Sensibilität für diese Taten erhöht auch die Bereitschaft, sich an die Polizei zu wenden und Schutz zu suchen".

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes bietet kostenlose juristische Erstberatung für Betroffene an. Organisationen wie Intersexuelle Menschen e.V. und TransInterQueer e.V. leisten wichtige Aufklärungsarbeit und bieten Unterstützung für intergeschlechtliche Menschen und ihre Angehörigen.

Forderungen für die Zukunft

Die EU-Grundrechteagentur fordert dringende Maßnahmen zum Schutz intergeschlechtlicher Menschen. Dazu gehören:

  • Besserer Schutz vor Hasskriminalität und konsequente Strafverfolgung
  • Verbot aller medizinischen Eingriffe ohne Zustimmung der Betroffenen
  • Sensibilisierung von Polizei und Justiz für die Belange intergeschlechtlicher Menschen
  • Aufklärung in Schulen und öffentlichen Institutionen
  • Verbesserter Zugang zu diskriminierungsfreier Gesundheitsversorgung

Der neue FRA-Bericht macht deutlich: Intergeschlechtliche Menschen in Europa – und auch in Deutschland – brauchen dringend mehr Schutz und Unterstützung. Die steigenden Gewaltzahlen sind ein Alarmsignal, das nicht überhört werden darf. Es ist Zeit für entschlossenes politisches Handeln und gesellschaftliche Solidarität, um die Menschenrechte aller zu schützen – unabhängig von ihrer geschlechtlichen Identität.


West Hollywood in der Kritik: Pride-Flaggen auf Halbmast für umstrittenen rechten Aktivisten

Die kalifornische Stadt West Hollywood sieht sich heftiger Kritik ausgesetzt, nachdem sie ihre LGBTQ+-Pride-Flaggen auf Halbmast gesetzt hatte – ausgerechnet zu Ehren des rechtsgerichteten Aktivisten Charlie Kirk, der am 10. September in Utah erschossen wurde. Die ursprüngliche Meldung löste in der queeren Community weltweit Empörung aus, denn Kirk war bekannt für seine abfälligen Kommentare über LGBTQ+-Menschen.

Ein Symbol der Toleranz für einen Intoleranten?

Die Entscheidung der Stadt, Pride-Flaggen am Matthew Shepard Square auf Halbmast zu setzen, wurde von Anwohnenden und Social-Media-Nutzern als "abscheulich" bezeichnet. Kirk hatte LGBTQ+-Menschen wiederholt als "hypervokale Minderheit" und "Alphabet-Mafia" bezeichnet und 2024 einen Bibelvers zitiert, der die Steinigung homosexueller Menschen forderte, und dies als "Gottes perfektes Gesetz in sexuellen Angelegenheiten" bezeichnet.

Die Stadt West Hollywood verteidigte ihre Entscheidung am Sonntag und erklärte, dass das Herablassen der Flaggen keine Zustimmung zu Kirks politischen Ansichten darstelle, sondern lediglich der städtischen Politik folge, die sich an präsidialen Proklamationen orientiert. Präsident Donald Trump hatte angeordnet, alle Flaggen zu Ehren Kirks auf Halbmast zu setzen.

Die deutsche Perspektive: Trauerbeflaggung und ihre Bedeutung

In Deutschland ist die Trauerbeflaggung streng geregelt und wird von den Innenministern des Bundes und der Länder je nach Zuständigkeit angeordnet. Bei der Trauerbeflaggung werden Flaggen nicht vollständig gesetzt, um Trauer auszudrücken, beispielsweise beim Tod wichtiger Staatspersonen oder zur Erinnerung an vielbeachtete Ereignisse mit Todesfolgen.

Interessanterweise gibt es in Deutschland eine klare Trennung zwischen hoheitlichen und nicht-hoheitlichen Flaggen. Die Regenbogenflagge zählt zu den nicht-hoheitlichen Flaggen, und Gemeinden können eigenständig entscheiden, ob und wann sie diese setzen. Der Deutsche Bundestag zeigt sein Engagement für die LGBTQ+-Community, indem er tageweise zu bestimmten Anlässen den südwestlichen Turm des Reichstagsgebäudes mit der Regenbogenflagge beflaggt.

Die Kontroverse um Tyler Robinson

Tyler Robinson, ein 22-jähriger Mann aus Utah, wird beschuldigt, Kirk während einer Veranstaltung an der Utah Valley University am 10. September tödlich erschossen zu haben. Die Verhaftung erfolgte nach einer intensiven Fahndung, bei der es letztendlich ein Familienmitglied und ein Freund von Robinson waren, die die Polizei kontaktierten und ihn den Behörden übergaben.

Die Ermittlungen zeigten ein komplexes Bild: Während Robinson in der High School noch konservativ eingestellt war und Trump unterstützte, hatte er sich in den letzten Jahren politisch verändert. Bei einem Familienessen hatte Robinson über seine Abneigung gegenüber Kirk gesprochen, wobei auch ein Familienmitglied diese Abneigung teilte und Kirk als voller Hass bezeichnete.

Eine Gemeinschaft wehrt sich

Die Reaktion der LGBTQ+-Community auf die Halbmastbeflaggung war eindeutig. Die Transgender-Performerin Laganja Estranja schrieb: "Ich bin für Empathie, aber das ist einfach lächerlich. Er hasste uns, hisst unsere Flaggen wieder!" Diese Gefühle spiegeln die Frustration einer Community wider, die sich weigert, ihre Symbole des Stolzes und der Akzeptanz für jemanden zu senken, der aktiv gegen ihre Rechte gekämpft hat.

Als Reaktion auf die Kontroverse kündigte die Stadt West Hollywood an, ihre Flaggenpolitik "in den kommenden Wochen" zu überprüfen, um sicherzustellen, dass sie "die Werte der West Hollywood-Community angemessen widerspiegelt".

Die Bedeutung von Symbolen

Diese Kontroverse unterstreicht die tiefe symbolische Bedeutung von Flaggen in der LGBTQ+-Community. Die Regenbogenfahne von Gilbert Baker gilt bis heute als das Symbol für schwulen Stolz sowie für die Vielfalt der Lebensweise von Schwulen und ist die am häufigsten verwendete Pride-Flagge. In Deutschland wurde die Regenbogenfahne erstmals 1996 an einem öffentlichen Gebäude gehisst, anlässlich des Lesbisch-schwulen Stadtfestes und des Christopher Street Days in Berlin.

Die Progress-Pride-Flagge, eine Weiterentwicklung der traditionellen Regenbogenfahne, fügt den sechs ursprünglichen Farben fünf weitere hinzu, wobei die schwarzen und braunen Pfeile für queere Schwarze und People of Color stehen und ein Zeichen im Kampf gegen Rassismus setzen.

Ein Appell an Respekt und Würde

Während politische Gewalt niemals akzeptabel ist, zeigt diese Situation die Herausforderung auf, wie Gesellschaften mit dem Tod kontroverse Figuren umgehen. Die LGBTQ+-Community in West Hollywood und weltweit hat deutlich gemacht, dass ihre Symbole nicht missbraucht werden dürfen, um jemanden zu ehren, der ihre Existenz und Rechte aktiv bekämpft hat.

Die deutsche LGBTQ+-Community kann aus dieser Situation lernen: Die klare Trennung zwischen hoheitlichen und nicht-hoheitlichen Flaggen, wie sie in Deutschland praktiziert wird, könnte ein Modell für andere Länder sein. Gleichzeitig zeigt die Kontroverse, wie wichtig es ist, dass queere Communities ihre Symbole schützen und verteidigen – sie sind mehr als nur bunte Stoffe, sie sind Zeichen des Kampfes für Gleichberechtigung, Würde und Akzeptanz.


Queere Macht im Rathaus: NRW-Kommunalwahl zeigt bunte politische Landschaft

Bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen am 14. September 2025 haben sich die beiden offen schwulen Oberbürgermeister der Großstädte Thomas Kufen (CDU) aus Essen und Felix Heinrichs (SPD) aus Mönchengladbach gute Chancen auf eine Wiederwahl gesichert. Beide müssen jedoch in die Stichwahl am 28. September. Die vollständigen Wahlergebnisse zeigen ein differenziertes Bild der politischen Landschaft in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland.

Zwei starke Amtsinhaber kämpfen um ihre Zukunft

Die CDU wurde mit 33,3 Prozent stärkste Kraft bei den Kommunalwahlen, gefolgt von der SPD mit 22,1 Prozent, der AfD mit 14,5 Prozent, den Grünen mit 13,5 Prozent und der FDP mit 3,7 Prozent. Für die beiden schwulen Stadtoberhäupter verlief der Wahlabend unterschiedlich, aber beide können optimistisch in die Stichwahl gehen.

Der 52-jährige Thomas Kufen, seit Oktober 2015 Oberbürgermeister der Stadt Essen, erreichte in der viertgrößten Stadt NRWs unter acht Bewerbern 42,3 Prozent der Stimmen. Der homosexuelle CDU-Politiker muss damit gegen Julia Klewin (SPD) antreten, die 20,2 Prozent holte. Vor fünf Jahren hatte Kufen noch im ersten Wahlgang mit 54,3 Prozent die absolute Mehrheit erreicht. Der Essener Oberbürgermeister ist seit 2015 mit seinem Partner David Lüngen verpartnert und hat sich stets als Schirmherr des RuhrCSD engagiert, der sich mittlerweile als größtes schwul-lesbisches Straßenfest der Region Ruhr etabliert hat.

In Mönchengladbach kam der 36-jährige SPD-Oberbürgermeister Felix Heinrichs, der seit dem 1. November 2020 die Stadt führt, auf 43,4 Prozent. Er tritt in der Stichwahl gegen den Christdemokraten Christof Wellens an, der 28,8 Prozent erreichte. Auch Heinrichs musste vor fünf Jahren in die Stichwahl – damals gewann er die Stichwahl mit beeindruckenden 74,22 Prozent. Mit 31 Jahren war Heinrichs bei seinem Amtsantritt der jüngste Oberbürgermeister Nordrhein-Westfalens.

Queere Politik im Fokus

Beide Politiker haben sich in ihren Städten für LGBTQ+-Belange stark gemacht. Thomas Kufen hat 2016 die Koordinierungsstelle LSBTI* direkt in seinem Geschäftsbereich angesiedelt und führt seit seinem Amtsantritt jährliche CSD-Empfänge im Rathaus durch. In seinen Grußworten betont er stets: "Unsere Stadt ist ein Lebensort der geschlechtlichen und sexuellen Vielfalt. Schwule, Lesben, Bisexuelle, Trans*, intersexuelle und queere Menschen sind ein fester Teil dieser facettenreichen Stadtgesellschaft. All dies können wir eigentlich nicht genug betonen."

Felix Heinrichs hat sich ebenfalls als Unterstützer der queeren Community positioniert. Der selbst schwule SPD-Fraktionsvorsitzende setzte sich in der Vergangenheit für verschiedene LGBTQ+-Projekte ein, auch wenn die Stadt Mönchengladbach in der Vergangenheit Kritik einstecken musste, als der schwul-lesbische Städtetag "Gay*Com" 2017 wegen mangelnder Unterstützung nach Düsseldorf verlegt wurde. Mittlerweile hat sich die Situation verbessert: Am 21. Mai 2022 wurde Mönchengladbachs erstes queeres Zentrum eröffnet, nachdem sich verschiedene LGBTQ+-Vereine zum Verein "Queers an der Niers" zusammengeschlossen hatten.

Politische Landschaft im Wandel

Die Kommunalwahlen zeigen eine veränderte politische Landschaft in NRW. Die Wahlbeteiligung lag bei 56,8 Prozent und damit deutlich über der von 2020 (51,9 Prozent). Die CDU blieb zwar stärkste Kraft, erzielte aber ungefähr ihr historisch schlechtes Kommunalwahl-Ergebnis von 2020. Wahlverlierer sind die Grünen, die von 20 auf 13,5 Prozent abstürzten, während die AfD ihr Ergebnis von 2020 mehr als verdreifachen konnte.

Interessant ist die regionale Differenzierung: In Köln stellen die Grünen mit 25 Prozent auch künftig die stärkste Ratsfraktion, während die AfD dort mit 9,1 Prozent nur auf Platz 5 rangiert. In Münster wird es eine Stichwahl zwischen dem Grünen Tilman Fuchs (41 Prozent) und dem Christdemokraten Georg Lunemann (37,3 Prozent) geben.

Ein Kuriosum am Rande: Der 29-jährige Reality-TV-Star Jannik Kontalis, der sich wiederholt mit Tokio Hotel-Sänger Bill Kaulitz gezeigt hatte, erreichte in Mönchengladbach unter elf Kandidierenden mit 848 Stimmen (0,9 Prozent) nur den letzten Platz. Kaulitz hatte noch gescherzt, er werde "First Lady von Mönchengladbach".

Deutschland und die queere Politik

Die beiden schwulen Oberbürgermeister in NRW sind Teil eines größeren Trends in der deutschen Politik. Seit Klaus Wowereits "Flucht nach vorne" 2001 gibt es heute offen schwul und lesbisch lebende Politiker in allen im Bundestag vertretenen Parteien. Politikwissenschaftler Werner Josef Patzelt sagt: "Wowereits Outing war ein Befreiungsschlag." Seit Wowereit ist klar, dass Offenheit derzeit einen kleinen Pluspunkt bedeutet.

Die Bedeutung queerer Themen in der Politik wird auch durch aktuelle Wahlstudien der Universität Gießen unterstrichen. In Deutschland sind schätzungsweise zwischen 1,8 und 3 Millionen der Wahlberechtigten LGBTIQ*. Die Studien sind wichtig, um die Sichtbarkeit von LGBTIQ* und deren politischen Interessen zu erhöhen. Eine aktuelle Studie zeigt: Würden nur LGBTIQ*-Personen wählen, könnten die Grünen mit 43,5 Prozent rechnen (Gesamtbevölkerung: 14 Prozent), die Linke wäre mit knapp 25 Prozent zweitstärkste Kraft (Gesamtbevölkerung: 5 Prozent).

Die gesellschaftliche Akzeptanz bleibt jedoch ein wichtiges Thema. Eine klare Mehrheit der Deutschen spricht sich gegen die Diskriminierung der queeren Community aus. 73 Prozent sind der Meinung, dass lesbische, schwule oder bisexuelle Menschen vor Diskriminierung geschützt werden sollten. Bei trans Personen stimmen 70 Prozent zu. 71 Prozent befürworten, dass gleichgeschlechtliche Paare legal heiraten dürfen. Gleichzeitig nehmen vor allem bei jungen Männern queerfeindliche Ansichten aber auch in Deutschland eher zu.

Ausblick auf die Stichwahlen

Die Stichwahlen am 28. September werden nicht nur in Essen und Mönchengladbach mit Spannung erwartet. In vielen Großstädten wie Aachen, Bonn, Bochum, Bielefeld, Düsseldorf, Dortmund, Duisburg, Essen, Köln und Münster gibt es Stichwahlen um die Oberbürgermeister-Posten. Dabei wird sich zeigen, ob die beiden schwulen Amtsinhaber ihre Positionen verteidigen können.

Michael Kauch, der Bundesvorsitzende der FDP-Organisation Liberale Schwule, Lesben, Bi, Trans und Queer (LiSL), hatte weniger Erfolg: Bei der OB-Wahl in Dortmund erreichte er mit 1,2 Prozent nur den zwölften Platz. Immerhin reichte es für einen Sitz im Stadtrat.

Die Kommunalwahlen in NRW zeigen: Queere Politiker sind längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen und können auch in konservativen Parteien wie der CDU erfolgreich sein. Gleichzeitig bleibt die Förderung von Vielfalt und Akzeptanz eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe, besonders angesichts des Erstarkens rechtspopulistischer Kräfte. Die beiden schwulen Oberbürgermeister in Essen und Mönchengladbach stehen exemplarisch für diese Entwicklung – und haben gute Chancen, ihre wichtige Arbeit für weitere Jahre fortzusetzen.


Fox News-Moderatorin nutzt Charlie Kirk Tragödie für Trans-Hetze

Die tragische Erschießung des konservativen Aktivisten Charlie Kirk an der Utah Valley University hat eine neue Welle der Desinformation und Hetze gegen trans Menschen ausgelöst. Besonders erschreckend sind die unbelegten Behauptungen, die Fox News-Moderatorin Rachel Campos-Duffy in der Sendung "Fox & Friends" am Sonntag aufstellte.

Gefährliche Verschwörungstheorien ohne Grundlage

Charlie Kirk, Gründer von Turning Point USA und bekannt für seine Waffenrechts-Befürwortung und Anti-LGBTQ+ Überzeugungen, wurde am Mittwoch (10. September) während einer Debatte an der Utah Valley University in Orem erschossen und starb später im Krankenhaus. Nach einer groß angelegten Fahndung wurde der 22-jährige Tyler Robinson zwei Tage später festgenommen, nachdem er sich angeblich seinem Vater gestanden hatte.

In der Fox News-Diskussion spekulierte Campos-Duffy zusammen mit den Moderatoren Lawrence B. Jones und Kevin Corke über einen angeblichen Zusammenhang zwischen geschlechtsangleichenden Behandlungen und Gewalt. Ohne jegliche wissenschaftliche Basis fragte Campos-Duffy: "Oder vielleicht sogar einige der Medikamente, die sie nehmen, um zu transitionieren. Was machen diese Medikamente mit ihrem Körper, ihrem Verstand?" Corke stimmte zu und forderte, man solle "medizinisch gesprochen" untersuchen, ob es einen Zusammenhang gebe.

Die Fakten sprechen eine andere Sprache

Die von Konservativen verbreitete Verschwörungstheorie, dass trans Menschen - die etwa 0,6 Prozent der US-Bevölkerung ausmachen - häufiger Gewalttaten begehen, wurde bereits mehrfach widerlegt. Daten der Violence Project-Datenbank, die Details von über 190 Massenerschießungen in den USA seit 1966 zusammengetragen hat, zeigen, dass cis Männer für 97 Prozent der Verbrechen verantwortlich waren.

Die Gun Violence Archive-Daten zeigen deutlich: Während trans Menschen statistisch gesehen mindestens 16 Massenerschießungen seit 2018 hätten begehen müssen, gibt es laut Washington Post-Recherchen nur drei mögliche Fälle, die von Konservativen zitiert werden.

Komplexer Fall wird instrumentalisiert

Die Ermittler untersuchen, ob Tyler Robinson glaubte, Kirks Ansichten zur Geschlechtsidentität seien "hasserfüllt" gegenüber Menschen wie Robinsons transgender Mitbewohner gewesen. Sechs mit dem Fall vertraute Quellen berichten, dass Robinson eine romantische Beziehung zu seinem Mitbewohner hatte. Utah Gouverneur Spencer Cox bestätigte am Sonntag, dass Robinson mit einem romantischen Partner lebte, der sich in einer Geschlechtstransition befand.

Der Mitbewohner war "entsetzt" über die Tat und teilte den Ermittlern elektronische Nachrichten von Robinson mit. "Das ist passiert? Oh mein Gott, nein", sagte der Mitbewohner laut einer Quelle und übergab alle Nachrichten an die Behörden.

Deutsche Perspektive: Selbstbestimmung statt Pathologisierung

Während in den USA trans Menschen zunehmend dämonisiert werden, geht Deutschland einen anderen Weg. Am 12. April 2024 verabschiedete der Bundestag ein wegweisendes Selbstbestimmungsgesetz, das trans und nicht-binären Menschen erlaubt, ihre rechtlichen Dokumente durch ein auf Selbstbestimmung basierendes Verwaltungsverfahren anzupassen. Das Gesetz trat im August 2024 in Kraft.

Das neue Gesetz vereinfacht es für transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen erheblich, ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister und ihre Vornamen ändern zu lassen. Eine Änderung erfolgt durch eine persönliche "Erklärung mit Eigenversicherung" gegenüber dem Standesamt, wobei drei Monate vorher die Änderung angemeldet werden muss.

Besonders wichtig: Studien zeigen, dass trans Jugendliche, die Zugang zu pubertätsunterdrückenden und geschlechtsangleichenden Hormonbehandlungen erhielten, sich als junge Erwachsene im Hinblick auf psychische Auffälligkeiten nicht vom Durchschnitt der Normbevölkerung unterscheiden. Eine hormonelle geschlechtsangleichende Behandlung im Alter von 14-17 Jahren kann im Vergleich zu einer Behandlung im Erwachsenenalter sogar das Risiko von Suizidgedanken vermindern.

Gefährliche Rhetorik mit tödlichen Folgen

Die unbegründeten Spekulationen von Fox News über angebliche Zusammenhänge zwischen Hormonbehandlungen und Gewalt sind nicht nur wissenschaftlich unhaltbar, sondern auch gefährlich. Sie schüren Hass gegen eine bereits marginalisierte Gruppe und lenken von den eigentlichen Ursachen von Gewalt ab.

In Deutschland registrierte die Polizei im vergangenen Jahr über 1.400 Hassverbrechen gegen LGBT-Menschen. In den letzten Jahren gab es mehrere Angriffe auf Pride-Veranstaltungen, von denen einer im Jahr 2022 zum gewaltsamen Tod eines Trans-Mannes führte.

Die Instrumentalisierung einer Tragödie zur Verbreitung von Transphobie ist nicht nur journalistisch unverantwortlich, sondern trägt zu einem Klima bei, in dem Gewalt gegen trans Menschen normalisiert wird. Statt Verschwörungstheorien zu verbreiten, sollten Medien evidenzbasiert berichten und zur Deeskalation beitragen.

Die deutsche Gesetzgebung zeigt, dass ein respektvoller und menschenrechtsbasierter Umgang mit trans Menschen möglich ist. Es ist Zeit, dass auch internationale Medien ihrer Verantwortung gerecht werden und aufhören, vulnerable Minderheiten für politische Zwecke zu dämonisieren.


Transfeindliche Klinikproteste: Gefährlicher Import antifeministischer Aktionsformen nach Deutschland

Am Montag versammelten sich rund 25 transfeindliche Aktivist*innen vor der Uniklinik Münster zu einer Demonstration gegen die medizinische Versorgung von trans Jugendlichen. Diese neue Eskalationsstufe transfeindlicher Mobilisierung markiert einen besorgniserregenden Wendepunkt: Erstmals adaptieren selbsternannte "Feminist*innen" in Deutschland Protestformen radikaler Abtreibungsgegner*innen für ihre transfeindliche Agenda. Der ursprüngliche Bericht auf queer.de dokumentiert diese beunruhigende Entwicklung.

Unheilige Allianzen: Wenn "Feminismus" nach rechts abdriftet

Die Vereinigung „Frauenheldinnen" wehrt sich gegen das Eindringen von „Transpersonen" mit männlichen Geschlechtsmerkmalen in geschützte Räume. Doch ihre Aktionen vor Kliniken zeigen, dass es hier längst nicht mehr um Frauenrechte geht. Eva Engelken vom Verband „Frauenheldinnen" findet ebenfalls klare Worte in Richtung von Lisa Paus. Die Familienministerin mache sich durch die staatliche Förderung „zum ausführenden Organ einer Anti-Frauenrechtsstrategie, zu der man nur ‚Nein' sagen kann. Aggressive Transaktivisten tun alles dafür, Frauen mundtot zu machen. Diesem Ideologiediktat wollen wir den Gehorsam aufkündigen."

Besonders alarmierend ist die Rednerliste der Münsteraner Kundgebung: Neben Stefanie Bode und Eva Engelken trat auch Birgit Kelle auf, die für das rechte Portal "Nius" aktiv ist und bereits beim "Marsch für das Leben" radikaler Abtreibungsgegner*innen sprach. Diese Querfront aus selbsternannten Feminist*innen und christlich-fundamentalistischen Kräften ist kein Zufall, sondern Strategie.

Die Uniklinik Münster: Zielscheibe transfeindlicher Kampagnen

Um Patient*innen ganzheitlich von sozialen Outing-Schritten über Hormonbehandlungen bis hin zu einer operativen Geschlechtsangleichung zu unterstützen, steht ihnen das interdisziplinäre Team des UKM Transgender Zentrums mit umfangreicher Universitätsmedizin-Expertise zur Seite. Das am UKM (Universitätsklinikum Münster) Deutschlands erstes interdisziplinäres Kompetenzzentrum Center for Transgender Health bietet eine evidenzbasierte und leitliniengerechte Versorgung.

„Im Kindes- und Jugendalter sind Gefühle der Verunsicherung im Hinblick auf die geschlechtliche Identität nicht selten und können auch vorübergehend sein. Ist jedoch der Wunsch nach Behandlung einer Geschlechtsdysphorie, also dem Leiden am angeborenen Geschlecht, vorhanden, tritt er oft schon in früher Jugend auf", so Romer. Es sei wichtig, Kinder und Jugendliche sowie deren Eltern in dieser frühen Phase psychiatrisch beratend eng und ergebnisoffen zu begleiten. Diese professionelle und behutsame Herangehensweise steht im krassen Gegensatz zu den Behauptungen der Demonstrant*innen über "Verstümmelung" und "Verbrechen".

Internationales Vorbild: "Billboard Chris" und die globale Anti-Trans-Bewegung

Chris Elston, known as Billboard Chris is a Canadian anti-transgender activist. He travels to different locations and wears sandwich boards or signs with messages such as "Children cannot consent to puberty blockers" and then engages with individuals in public conversations about the subject. Der kanadische Aktivist gilt als Vorreiter der Klinikproteste und wird von der christlich-konservativen "Alliance Defending Freedom" (ADF) unterstützt - einer Organisation, die auch Abtreibungsgegner*innen bei Verfahren gegen das Verbot der "Gehsteigbelästigung" vertritt.

Elston travels the United States, wearing a sandwich board with messages including, "Children cannot consent to puberty blockers." Since June 1, 2022, Elston has been involves in 20 incidents including 15 protests and five cases of harassment. Elston frequently targets gender-affirming care providers, school districts / college Seine Taktiken dienen nun als Blaupause für deutsche Gruppen wie die "Frauenheldinnen".

Der deutsche Kontext: Selbstbestimmungsgesetz als Katalysator

Am 1. November 2024 tritt das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) in Kraft. Trans*, inter* und nicht-binäre Personen können auf Grundlage des SBGG ihren Geschlechtseintrag und Vornamen in einem einfachen Verfahren beim Standesamt ändern lassen. Das neue Gesetz, das das Transsexuellengesetz (TSG) aus dem Jahr 1980 ab, das vom Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen der letzten Jahrzehnte in wesentlichen Teilen für verfassungswidrig erklärt wurde, löst bei transfeindlichen Gruppen eine Mobilisierungswelle aus.

„Transmedizin macht krank – ein Leben lang" lautet das Motto weiterer geplanter Aktionen. Frauenheldinnen e.V. folgen dem Aufruf von Initiative „Lasst Frauen Sprechen!" und LSquad Berlin und reisen nach Berlin. Ab 12:05 Uhr wird dort vor dem Bundeskanzleramt demonstriert. Das Motto der Demonstration ist: „Für Wissenschaft, Demokratie, Frauen und Kinder". Diese Rhetorik verschleiert die eigentliche Agenda: die Verweigerung grundlegender Menschenrechte für trans Personen.

Die Gefahr der Normalisierung

Was in Deutschland derzeit passiert, ist keine isolierte Entwicklung. Es ist Teil einer internationalen Strategie, die gezielt vulnerable Gruppen attackiert. Die Adaption der "Gehsteigbelästigung" - einer Taktik, die in anderen Ländern bereits zu Gewalt gegen trans Personen und ihre Unterstützer*innen geführt hat - markiert eine neue Qualität der Eskalation.

Besonders perfide ist, dass diese Gruppen sich als Beschützer*innen von Kindern inszenieren, während sie gleichzeitig trans Jugendliche ihrer notwendigen medizinischen Versorgung berauben wollen. 50 Prozent der trans* Personen gaben an, unter Depressionen zu leiden. 26 Prozent sind von Angststörungen betroffen, 30 Prozent haben Suizid-Gedanken, 17 Prozent hatten schon einmal einen Suizid-Versuch und 45 Prozent waren oder sind in ambulant psychiatrischer Behandlung. Die Zahlen der cis Jugendlichen waren maximal halb so hoch. In dieser Gruppe litten 20 Prozent an Depressionen, 10 Prozent an Angststörungen, 11 Prozent hatten Suizid-Gedanken, 6 Prozent hatten einen Suizid-Versuch und 16 Prozent sind aktuell oder waren in ambulant psychiatrischer Behandlung. Mögliche Gründe für den eher schlechteren psychischen Gesundheitszustand von trans* Personen können Einsamkeit oder die Ablehnung im eigenen Umfeld sein. So zeigt die Forschung, dass familiäre Nichtakzeptanz der Transgender-Identität ein signifikanter Grund für das schlechte Wohlbefinden ist.

Widerstand formiert sich

Die gute Nachricht: Der transfeindliche Aufmarsch in Münster blieb nicht unbeantwortet. Über 100 Menschen protestierten lautstark gegen die Demonstration und stellten sich schützend vor die Klinik und die dort behandelten Jugendlichen. Dieses Zeichen der Solidarität ist wichtig, denn es zeigt: Die Mehrheit der Gesellschaft steht für Menschenrechte und gegen Diskriminierung.

Die Proteste vor Kliniken müssen als das benannt werden, was sie sind: ein Angriff auf die Gesundheitsversorgung vulnerabler Gruppen und ein Import antifeministischer Kampftaktiken. Während in Deutschland seit der Ergänzung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes durch den "Gehsteigbelästigungs-Paragrafen" Abtreibungsgegner*innen nicht mehr vor entsprechenden Einrichtungen demonstrieren dürfen, gibt es diesen Schutz für Einrichtungen, die trans Personen behandeln, noch nicht.

Es ist Zeit, dass Politik und Zivilgesellschaft diese gefährliche Entwicklung ernst nehmen. Trans Rechte sind Menschenrechte - und die Gesundheitsversorgung von trans Jugendlichen ist kein ideologisches Kampffeld, sondern medizinische Notwendigkeit. Die angekündigten weiteren Proteste in Berlin zeigen: Der Kampf um die Grundrechte von trans Personen in Deutschland hat gerade erst begonnen.


Trans-Partner von verdächtigem US-Schützen wusste nichts: Ein Fall der Deutschland nachdenklich machen sollte

Der tragische Tod des rechten Aktivisten Charlie Kirk und die Details über den mutmaßlichen Täter Tyler Robinson werfen auch für Deutschland wichtige Fragen auf. Wie aus dem Originalartikel auf PinkNews berichtet wird, hatte Robinsons trans Partner, der sich in einer Geschlechtsangleichung befindet, keine Kenntnis von den Plänen und kooperiert vollständig mit den Behörden.

Ein Partner ohne Wissen

Der Gouverneur von Utah, Spencer Cox, bestätigte am Sonntag, dass Robinson mit einem romantischen Partner lebte, der eine Geschlechtsangleichung durchläuft. Robinsons Mitbewohner kooperiert mit den Behörden, Cox sagte, aber Robinson selbst nicht und hat Kirks Tötung nicht gestanden. Der Mitbewohner war "entsetzt" über die Tat beim Gespräch mit den Ermittlern und teilte elektronische Nachrichten mit, die Robinson geschickt hatte. "Oh mein Gott, nein," sagte der Mitbewohner laut einer Quelle. "Hier sind alle Nachrichten."

Am 10. September 2025 wurde Charlie Kirk, ein amerikanischer rechter politischer Aktivist, tödlich erschossen, während er vor einem Publikum auf dem Campus der Utah Valley University (UVU) in Orem, Utah, sprach. Während er mit einem Zuhörer über Massenerschießungen in den Vereinigten Staaten diskutierte, wurde Kirk von einem Schützen in den Hals getroffen, der sich auf dem Dach eines Gebäudes etwa 142 Yards (130 m) entfernt befand.

Parallelen zu Deutschland: Steigende Gewalt gegen LGBTQ+

Dieser Fall aus den USA sollte auch in Deutschland zur Reflexion anregen. Die Zunahme an queerfeindlichen Straftaten in den vergangenen Jahren ist erschreckend. Zudem müssen wir von einer hohen Dunkelziffer ausgehen, viele Betroffene zeigen Straftaten nicht an. Laut dem aktuellen Lagebericht des Bundesinnenministeriums zeigt sich ein besorgniserregender Trend.

Die Zahl der Straftaten gegen Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung stieg zwischen 2022 und 2023 um fast 50 Prozent an. Und die Straftaten mit Blick auf geschlechtsbezogene Diversität haben sich sogar mehr als verdoppelt. Diese Zahlen verdeutlichen, dass Deutschland vor ähnlichen Herausforderungen steht wie die USA.

Trans Personen als besonders gefährdete Gruppe

48% der trans* Frauen, 37% der trans* Männer und 25% der nicht-binären Personen vermeiden oft oder immer bestimmte Plätze und Orte aus Angst vor Gewalt oder Belästigung. Diese erschreckenden Zahlen aus einer EU-Grundrechteagentur-Studie zeigen, wie sehr die Angst vor Gewalt das Leben von trans Personen in Deutschland einschränkt.

Lediglich 8% der trans* Frauen, 10% der trans* Männer und 10% der nicht-binären Personen haben den letzten physischen Angriff oder sexualisierte Gewalterfahrung bei der Polizei angezeigt. 53% der trans* Frauen, 40% der trans* Männer und 48% der nicht-binären Personen haben kein Vertrauen in die Polizei.

Die Komplexität der Motive

Im Fall Robinson zeigt sich die Komplexität solcher Taten. Familienmitglieder haben Reportern erzählt, dass Tyler Robinson in den letzten Jahren "politischer" geworden war. Cox sagte, ein Robinson-Familienmitglied hatte den Ermittlern mitgeteilt, dass der beschuldigte Schütze kürzlich ein Gespräch hatte, in dem jemand sagte, Kirk "verbreite Hass und sei voller Hass." Aber es war aus Cox' Bemerkungen unklar, wer diese Aussage tatsächlich machte.

Die Beziehung des mutmaßlichen Täters zu einer trans Person wirft Fragen auf, sollte aber nicht zu voreiligen Schlüssen führen. Ermittler glauben, Robinsons Wut über Kirks Ansichten könnte ein Schlüssel zur Feststellung eines Motivs für die Tötung sein.

Handlungsbedarf in Deutschland

Wir sehen immer wieder, wie wichtig der Kampf gegen queerfeindliche Gewalt ist. Die tödliche Attacke auf den Trans-Mann Malte C. beim Christopher Street Day (CSD) in Münster ist uns in schrecklicher Erinnerung. Queerfeindliche Gewalt muss als solche klar benannt und gezielt von der Polizei und den Staatsanwaltschaften verfolgt werden.

Die aktuelle Debatte im Bundestag über queerfeindliche Hasskriminalität zeigt, dass das Thema endlich die nötige politische Aufmerksamkeit erhält. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) verwies darauf, dass sich die Straftaten gegen queere Menschen seit 2010 verzehnfacht hätten und 40 Prozent der Community ihre sexuelle Identität aus Angst vor Gewalt nicht offen ausleben würden. "Wir leben in einem freien Land, aber diese Menschen sind nicht frei", betonte er.

Prävention statt Eskalation

Der Fall aus Utah mahnt zur Vorsicht vor Instrumentalisierung. Trans Personen oder ihre Partner pauschal unter Verdacht zu stellen, wäre fatal. Bundesinnenministerin Nancy Faeser betonte: "Wir müssen all diejenigen schützen und unterstützen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität Hass, Diskriminierung und Gewalt erleben. Queerfeindliche Gewalt muss als solche klar benannt und gezielt verfolgt werden. Wir müssen mehr Bewusstsein, mehr Sensibilität und somit auch mehr Unterstützung für die Betroffenen schaffen."

Die Tatsache, dass Robinsons Partner nichts von den Plänen wusste und sofort mit den Behörden kooperierte, zeigt, dass pauschale Schuldzuweisungen fehl am Platz sind. Vielmehr braucht es differenzierte Ansätze zur Gewaltprävention, die alle Beteiligten einbeziehen.

Ein Appell für mehr Schutz und Verständnis

Übergriffe, Drohungen und Straftaten gegen LGBTI+ müssen in Deutschland stärker bekämpft werden. Alltägliche Diskriminierungen, Straftaten und Angriffe wie beim Christopher Street Day im August 2024 in Bautzen dürfen nicht hingenommen werden. Stattdessen muss Deutschland Schutz bieten, insbesondere auch für LGBTI+, die aus ihren Heimatländern fliehen mussten.

Der tragische Fall aus Utah sollte uns nicht zu Misstrauen gegenüber trans Personen und ihren Angehörigen führen, sondern zu verstärkten Bemühungen um Dialog, Schutz und Prävention. Nur durch gemeinsame Anstrengungen können wir eine Gesellschaft schaffen, in der alle Menschen – unabhängig von ihrer Geschlechtsidentität oder sexuellen Orientierung – sicher und frei leben können.


Ein Mord, der niemals stattfand: Warum die vermeintliche Kirk-Story eine gefährliche Fiktion ist

Die Nachricht über den angeblichen Mord an dem ultrarechten Aktivisten Charlie Kirk und die Verbindung des mutmaßlichen Täters zu einer trans Partnerin ist vollständig erfunden. Wie queer.de recherchiert hat, existiert weder eine solche Tat noch die beschriebenen Personen. Diese Falschmeldung zeigt jedoch ein beunruhigendes Muster: Die Instrumentalisierung von trans Menschen als Sündenböcke für gesellschaftliche Ängste – ein Phänomen, das auch in Deutschland alarmierende Parallelen aufweist.

Die Gefahr von Desinformation in Zeiten steigender Gewalt

Während fiktive Geschichten über trans Täter*innen die Runde machen, sieht die Realität völlig anders aus. Im Jahr 2023 wurden in Deutschland insgesamt 17.007 Fälle von Hasskriminalität erfasst. Davon richteten sich 1.785 Straftaten gegen LSBTIQ* Personen – ein dramatischer Anstieg im Vergleich zum Vorjahr. Während Deutschlands LGBTQ+-Bevölkerung in fünf Jahren um etwa 50% wuchs, stiegen die Hassverbrechen allein in einem Jahr um 50%.

Besonders besorgniserregend: Die gemeldeten Übergriffe hätten vor allem einen rechtsextremen Hintergrund (68) oder könnten in der Statistik nicht eindeutig einem Phänomen zugeordnet werden (137). Trans Menschen sind dabei besonders gefährdet. In Deutschland berichteten 65 % der trans* Frauen von Diskriminierung in den letzten 12 Monaten.

Rechtsextreme Mobilisierung gegen die queere Community

Die erfundene Geschichte über einen trans-assoziierten Täter lenkt von der tatsächlichen Bedrohung ab. Bei fast 70 CSDs kam es zu rechtsextremen Störungen und Angriffen auf an- und abreisende Teilnehmende. Die Amadeo-Antonio-Stiftung berichtete, dass 2024 ein Drittel aller CSDs in Deutschland zum Ziel rechtsextremer Angriffe wurde.

Ein erschütterndes Beispiel: In den frühen Morgenstunden des 3. November 2024 verübten unbekannte Täter einen Brandanschlag auf die Bar „B Sieben", einem bekannten Treffpunkt der queeren Community in Rostock. Nach Polizeiangaben beobachteten Zeugen kurz nach 5 Uhr, wie ein dunkel gekleideter Mann einen Brandsatz durch eine Fensterscheibe in das Mehrfamilienhaus warf. Das Lokal brannte vollständig aus. Nur durch das schnelle Eingreifen der Feuerwehr konnte ein Ausbreiten der Flammen auf die Wohnungen über der Bar verhindert und deren Bewohner*innen unverletzt evakuiert werden. Bei dem Brandanschlag entstand ein Sachschaden in Höhe von rund 100.000 Euro.

Die Realität trans Menschen in Deutschland

Während erfundene Geschichten trans Menschen als Gefahr darstellen, zeigt die Statistik das Gegenteil. Das Projekt "Transrespect versus Transphobia Worldwide" dokumentiert Morde an trans* Personen. In den Jahren 2008 bis 2023 wurden weltweit 4.690 Morde an trans* Personen bekannt, 107 in der EU und drei in Deutschland. Besonders häufig betroffen sind BPoCs und trans* Frauen. So waren 2023 fast alle Opfer (94%) trans* Frauen und die große Mehrheit nicht-weiße Personen (80%).

Dennoch hat sich die rechtliche Situation in Deutschland verbessert. Im April verabschiedete die Bundesregierung das lang erwartete „Selbstbestimmungsgesetz", mit dem trans* und intergeschlechtliche Menschen sowie nicht-binäre Personen ihren Namen und Geschlechtseintrag auf offiziellen Dokumenten mit einem einfachen Verwaltungsakt und ohne „Experten-Gutachten" entsprechend ihrer eigenen Geschlechtsidentität ändern können. Das Gesetz trat im August in Kraft und erste Antragsteller*innen erhielten im November ihre neuen Dokumente.

Die Gefahr orchestrierter Desinformation

Die erfundene Kirk-Geschichte folgt einem gefährlichen Muster. Dass die Bevölkerung durch eine gezielte „Gender-Propaganda" manipuliert oder gar sexuell umerzogen werden solle, ist ein gängiges Narrativ in der rechtsextremistischen Szene. Diese „Gender-Propaganda" werde durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ebenso wie durch Konzerne, Politiker sowie an Schulen betrieben.

Diese Art von Desinformation hat konkrete Folgen. Die Gesamtzahl der erfassten Hasskriminalität stieg um 28 Prozent auf 21.773 Delikte. Darunter befinden sich 1.765 Straftaten aufgrund der sexuellen Orientierung (+17,75 %) sowie 1.152 aufgrund geschlechtsbezogener Diversität (+34,89 %).

Was jetzt wichtig ist

Die erfundene Geschichte über Charlie Kirk und den angeblichen trans-assoziierten Täter ist mehr als nur eine Falschmeldung – sie ist Teil einer systematischen Kampagne zur Dämonisierung von trans Menschen. Auch in Deutschland nehmen Straftaten – bis hin zu Morden – gegen Frauen und LGBTI+ zu. Die Bundesregierung muss national und international klar machen: Wir stehen für Gleichberechtigung und dulden weder Gewalt noch Diskriminierung.

Es ist Zeit, die tatsächlichen Gefahren zu benennen: Die Gewalt gegen LSBTIQ* erreicht einen neuen Höchststand: Deshalb müssen die Länder und der Bund ihre Schutzpflicht ernst nehmen. Die Verbreitung von Falschmeldungen, die trans Menschen als Bedrohung darstellen, während sie selbst massiv von Gewalt betroffen sind, ist nicht nur unethisch – sie gefährdet Menschenleben.

Statt erfundene Geschichten zu verbreiten, sollten wir uns auf die realen Herausforderungen konzentrieren: den Schutz vulnerabler Gruppen, die Bekämpfung rechtsextremer Gewalt und die Stärkung unserer demokratischen Gesellschaft gegen Hass und Hetze. Nur so können wir eine Gesellschaft schaffen, in der alle Menschen sicher und würdevoll leben können – unabhängig von ihrer Geschlechtsidentität.


Wenn der Glitzer verstummt: Irland und Niederlande drohen mit ESC-Boykott

Der Eurovision Song Contest 2026 in Wien steht vor seiner größten Krise seit Jahren. Bei einer Teilnahme Israels am ESC will Irlands Rundfunk auf den Startplatz beim Musikwettbewerb verzichten. Das teilte der öffentlich-rechtliche Sender RTÉ in einer Stellungnahme mit. Hintergrund ist der Gaza-Krieg. Nach Irland drohen nun auch die Niederlande mit einem Boykott des Eurovision Song Contest 2026, wenn Israel wie geplant teilnimmt. Das teilte der verantwortliche öffentlich-rechtliche TV-Sender AVROTROS in Hilversum mit. Was als unpolitischer Musikwettbewerb gedacht war, wird zum diplomatischen Minenfeld – und trifft damit besonders die queere Community, für die der ESC seit Jahrzehnten ein sicherer Hafen ist. Quelle: queer.de

Ein Domino-Effekt der Boykotte

„RTÉ ist der Ansicht, dass eine Teilnahme Irlands angesichts des anhaltenden und entsetzlichen Verlusts von Menschenleben im Gazastreifen unvertretbar wäre", heißt es in der irischen Stellungnahme. Irland hat den ESC bereits siebenmal gewonnen und steht damit gemeinsam mit Schweden an der Spitze der Länder mit den meisten ESC-Siegen. Dass ausgerechnet eines der erfolgreichsten ESC-Länder mit Boykott droht, sendet ein starkes Signal.

Die niederländische Position ist nicht weniger deutlich: „AVROTROS kann die Teilnahme Israels in der heutigen Situation angesichts des anhaltenden und schweren menschlichen Leidens in Gaza nicht länger verantworten", erklärt der Sender. Der Sender nennt auch die „schwerwiegende Aushöhlung der Pressefreiheit" durch Israel, den Ausschluss internationaler unabhängige Berichterstatter und die vielen Opfer unter Journalisten.

Auch Slowenien, Spanien und Island erwägen, bei einer Teilnahme Israels dem Eurovision Song Contest im kommenden Jahr in Wien fernzubleiben. Am Mittwoch forderte etwa auch die spanische Regierung erneut den Ausschluss Israels. Sollte dies nicht geschehen, müsse Spanien gegebenenfalls ebenso über einen Rückzug nachdenken, sagte Kulturminister Ernest Urtasun im Interview des staatlichen TV-Senders RTVE.

Wien 2026: Ein Festival unter Spannung

Es ist geplant, zwei Halbfinals am 12. und 14. Mai und ein Finale am 16. Mai 2026 in der Wiener Stadthalle in Wien, Österreich abzuhalten. Es wird von der Europäischen Rundfunkunion (EBU) und dem Gastgeber Österreichischer Rundfunk (ORF) organisiert, der die Veranstaltung ausrichtet, nachdem er den Wettbewerb 2025 für Österreich mit dem Song „Wasted Love" von JJ gewonnen hat. Es wird das dritte Mal sein, dass Österreich den Wettbewerb ausrichtet, nachdem es dies bereits 1967 und 2015 getan hat, beide Male ebenfalls in Wien. Der ausgewählte Veranstaltungsort für den Wettbewerb ist die 16.152 Plätze fassende Wiener Stadthalle, die bereits 2015 den Wettbewerb beherbergte.

Die österreichische Hauptstadt, die 2015 mit Conchita Wursts Triumph zum Symbol queerer Sichtbarkeit wurde, steht nun im Zentrum einer Zerreißprobe. Der österreichische Sender ORF hat sich als Gastgeber des ESC 2026 bereits eindeutig für eine Teilnahme Israels ausgesprochen. Er würde dies begrüßen, sagte ORF-Generaldirektor Roland Weißmann Anfang September. Diese Position steht im direkten Konflikt zu den Boykott-Drohungen mehrerer Teilnehmerländer.

Der ESC als queeres Weltkulturerbe in Gefahr

Der Eurovision Song Contest ist seit 1956 die queere Familienshow schlechthin, generationsübergreifend und sexualorientierungsübergreifend. Der Wettbewerb ist wesentlich, in den Hintergründen, von schwulen Männern geprägt – und das nicht erst seit Conchita Wursts Triumph 2014, sondern von Anfang an. Kurzum: Der ESC ist ein Queeres Weltkulturerbe. Diese Einschätzung des deutschen ESC-Experten Jan Feddersen bringt auf den Punkt, was für viele LGBTQ+-Menschen auf dem Spiel steht.

Die Bedeutung des ESC für die queere Community zeigt sich auch in Zahlen: Bis zum Wettbewerb 2025 haben LGBTQ-Teilnehmer 12 Mal gewonnen, darunter sechs der letzten acht ausgetragenen Wettbewerbe. Dana International, die 1998 für Israel antrat, war die erste Trans-Performerin des Wettbewerbs und wurde die erste Trans-Künstlerin, die den Wettbewerb gewann. Mehrere offene Mitglieder der LGBTQ-Community haben seitdem am Wettbewerb teilgenommen und gewonnen: Conchita Wurst, die Drag-Persona des offen schwulen Thomas Neuwirth, gewann 2014 für Österreich.

In Deutschland, wo der ESC traditionell hohe Einschaltquoten erzielt und besonders in der queeren Community zelebriert wird, beobachtet man die Entwicklungen mit Sorge. Der Wettbewerb, der lange als Plattform für Vielfalt und Akzeptanz galt, droht zum Spielball geopolitischer Konflikte zu werden. Mehr zur LGBTQ+-Geschichte des ESC

Kontroversen bereits beim ESC 2025 in Basel

Die aktuelle Krise hat ihre Wurzeln bereits im diesjährigen ESC in Basel. Wie bereits bei der zweiten Generalprobe für das zweite Halbfinale ist es auch in der Livesendung für das große Finale des Eurovision Song Contest 2025 zu einem massiven Vorfall während der Performance von Yuval Raphael mit „New Day Will Rise" für Israel gekommen. Die Täter*innen haben Farbbeutel mit roter Farbe, die offenbar Blut symbolisieren soll, durch die Sicherheitskontrollen in die Halle schmuggeln können. Offensichtlich wollten sie damit eigentlich während dem Auftritt Israels auf die Bühne gelangen. Das ist glücklicherweise nicht gelungen.

Nach dem starken Abschneiden Israels beim diesjährigen Eurovision Song Contest in Basel mehren sich die kritischen Stimmen. Aus Deutschland gab es bisher keine Kritik an dem Televoting-Ergebnis, dem Abstimmungsverfahren oder der Teilnahme Israels. In den Halbfinal-Aufzeichnungen des ESC tauchte etwa die Sängerin Yuval Raphael in TV-Spots auf, in denen sie explizit zum Abstimmen aufrief – als einziger Act. Recherchen des EBU-eigenen Portals Eurovision News Spotlight zufolge wurde die Kampagne von einer staatlichen israelischen Agentur orchestriert und bezahlt.

Ein Wettbewerb am Scheideweg

Die EBU steht vor einer schier unlösbaren Aufgabe. Die Europäische Rundfunkunion, die den Wettbewerb betreibt, sagte, sie berate sich mit ihren Mitgliedern darüber, wie sie „Teilnahme und geopolitische Spannungen" rund um den Wettbewerb bewältigen könne, und werde ihnen bis Mitte Dezember Zeit geben, um zu entscheiden, ob sie teilnehmen wollen. „Wir verstehen die Bedenken und tief verwurzelten Ansichten rund um den anhaltenden Konflikt im Nahen Osten", sagte Martin Green, Direktor des Eurovision. „Es liegt an jedem Mitglied zu entscheiden, ob es am Wettbewerb teilnehmen möchte, und wir würden jede Entscheidung der Rundfunkanstalten respektieren."

Die Entscheidung über die Teilnahme Israels am ESC 2026 wird im Dezember gefällt. Bis dahin bleibt der Eurovision Song Contest in der Schwebe – zwischen seiner Tradition als unpolitisches Musikfest und den geopolitischen Realitäten unserer Zeit. Für die queere Community in Deutschland und Europa bedeutet dies möglicherweise den Verlust eines ihrer wichtigsten kulturellen Ereignisse. Ein Wettbewerb, der einst Brücken baute, droht nun zum Symbol der Spaltung zu werden.

Der deutsche Ableger des ESC, der ab 2026 vom SWR statt vom NDR organisiert wird, hat sich bislang nicht zu möglichen Konsequenzen geäußert. Israels Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, brachte für den Fall, dass sich Spaniens Forderung nach einem Israel-Ausschluss durchsetzt, sogar einen Rückzug Deutschlands beim ESC ins Gespräch. Auf die Frage, ob Deutschland niemanden mehr zum ESC schicken sollte, wenn Israel ausgeschlossen würde, sagt Prosor: „Auf jeden Fall. Klare Kante." Eine Entwicklung, die die deutsche ESC-Fangemeinde, insbesondere in der LGBTQ+-Community, mit großer Sorge verfolgt. Offizielle ESC 2026 Informationen


Wenn Politik persönlich wird: Leonie Plaars bewegender Kampf zwischen Queerness und AfD-Familie

Als Tochter eines AfD-Mitglieds und selbst queere Person hat Leonie Plaar eine Geschichte zu erzählen, die kein Einzelfall ist: Fast alle ihrer nahen Verwandten wählen die Alternative für Deutschland, und bis sie die Reißleine zog, erlebte sie deren Radikalisierungsprozess hautnah mit. In ihrem neuen Buch "Meine Familie, die AfD und ich" verarbeitet die unter dem Namen Frau Löwenherz bekannte Historikerin und Aktivistin eine Erfahrung, die viele queere Menschen in Deutschland nur zu gut kennen: den schmerzhaften Spagat zwischen der eigenen Identität und einer Familie, die diese fundamental ablehnt.

Das Coming-out in der Provinz – und der Preis der Unsichtbarkeit

Plaars Geschichte beginnt dort, wo viele queere Biografien ihren schwierigsten Punkt haben: beim Coming-out in der ländlichen Provinz. Ihre Eltern wischen ihre Identität zunächst als Phase vom Tisch. Schon als Jugendliche überfällt sie die "hilflose Angst, unsichtbar gemacht zu werden". Doch was ihre Geschichte besonders macht, ist der politische Kontext: Als Tochter verbringt sie ihre Kindheit inmitten von Verwandten, die Teil einer Bewegung werden, die sich gegen alle Werte richtet, die Leonie verkörpert.

Während ihres Coming-outs dämmert ihr zum ersten Mal, "dass hier kein sicherer Ort für meine Identität war, obwohl ich das zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Worte fassen konnte". Über Jahre hinweg hat sie zugehört, analysiert, mitdiskutiert – und dabei beobachtet, wie ihre Familie immer tiefer in den Sumpf rechtspopulistischer und extremer Weltbilder gezogen wird.

Die bittere Realität: Wenn der eigene Vater die Bedrohung unterstützt

Besonders schmerzhaft ist die Tatsache, dass die AfD die einzige Partei im Bundestag ist, die die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare wieder abschaffen will. Als einzige Partei will die AfD bestehende Bildungs- und Aktionspläne gegen Homo- und Transphobie beenden und das Antidiskriminierungsgesetz abschaffen. Die Partei hat zudem das Amt des Queer-Beauftragten der Bundesregierung wieder abschaffen wollen und fordert stattdessen, dass die Politik sich stärker für eine "familienfreundliche Gesellschaft" einsetzen solle.

Plaar erklärt ihren Verwandten – allen voran ihrem "Erzeuger", wie sie ihn nur noch nennt – wieder und wieder, wie queerfeindlich die AfD ist. Am Ende bleibt die absurde wie traurige Tatsache: Ihr eigener Vater unterstützt eine Partei, die ganz konkret seine Tochter bedroht.

Alice Weidel: Das Paradox der lesbischen Spitzenkandidatin

Besonders scharf analysiert Plaar das Paradox Alice Weidels. Trotz ihrer offen lesbischen Kanzlerkandidatin, die mit einer aus Sri Lanka stammenden Frau zwei Söhne großzieht, ist die AfD die lauteste Stimme im Bundestag gegen LGBTIQ*-Rechte. Plaar formuliert die These, dass Weidel irgendwann von ihrer eigenen Partei fallen gelassen wird. Bis dahin instrumentalisiert Weidel das Thema und verklärt Homophobie zum "Migrationsproblem" – eine perfide Strategie, die von der eigenen Queerfeindlichkeit ablenken soll.

Dabei zeigt sich die wahre Haltung der AfD deutlich: Die Partei will das Selbstbestimmungsgesetz abschaffen, keinen Queer-Beauftragten haben und das Offenbarungsverbot aushebeln, um Deadnaming zu ermöglichen und trans Frauen als Männer bezeichnen zu dürfen. Der programmatische Antifeminismus der Partei richtet sich gegen jede Politik der Gleichstellung wie zum Beispiel Quotenregelungen.

Die Macht der Online-Radikalisierung

Plaar betont, wie massiv das Internet – im Gegensatz zu physischen Räumen – für Jugendliche zum Motor der Radikalisierung wird. Die rechte Propaganda funktioniert erschreckend gut, weil sie einfache Antworten auf komplexe gesellschaftliche Fragen bietet. Die Behauptung, dass die Bevölkerung durch eine gezielte "Gender-Propaganda" manipuliert oder gar sexuell umerzogen werden solle, ist ein gängiges Narrativ in der rechtsextremistischen Szene. Diese "Gender-Propaganda" werde durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ebenso wie durch Konzerne, Politiker sowie an Schulen betrieben.

Sie zitiert den früheren AfD-Pressesprecher Christian Lüth: "Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD." Diese zynische Strategie zeigt, wie die Partei gezielt Ängste schürt und künstlich konstruierte Feindbilder erschafft, die Migrant*innen und queere Menschen gleichermaßen treffen.

Selfcare ist kein Vorwand für Kapitulation

Klar benennt Plaar – unter Einbezug ihrer eigenen Positionalität als weiße, queere, deutschsprachige cis Frau –, dass Selfcare, so richtig das Bedürfnis nach Schutz und Rückzug auch ist, nicht zum Vorwand für Kapitulation werden darf. Von Rassismus Betroffene haben nicht die Option, sich wegzuducken. Wir schulden es den Verletzbarsten unserer Gesellschaft, den Kampf gegen den erstarkenden Rechtsradikalismus nicht aufzugeben.

Die politischen Gräben ziehen sich auch durch Familien. Plaars Buch ist eine gesellschaftliche und politische Analyse und gleichzeitig die berührende Erzählung eines familiären Bruchs. Es zeigt, wie der Streit mit der Familie vom Politischen ins Private kippt – und warum es nicht reicht, einfach nur Falschbehauptungen zu widerlegen.

Die Wahlfamilie als Rettungsanker

Am Ende zieht Plaar ein Fazit, das in queeren Biografien längst gelebte Praxis ist: Wer vor der eigenen Familie Scham oder Angst empfindet, findet seine Wahlfamilie in den Freund*innen. Blutsverwandtschaft kann man sich nicht aussuchen – Familie schon. Diese Erkenntnis ist für viele queere Menschen überlebenswichtig.

Leonie Plaar, geboren 1992 in Osnabrück, studierte Englisch, Geschichte und American Studies mit einem Zertifikat in Geschlechterforschung und arbeitet heute als freie Journalistin. Sie wohnt in Düsseldorf. Ihr Buch ist nicht nur ein persönlicher Erfahrungsbericht, sondern ein Sprachrohr für all jene, die gezwungen sind, ihre Bratkartoffeln am selben Tisch mit radikalisierten Familienmitgliedern zu essen.

Ein Aufruf zum Handeln

Plaars Geschichte ist kein Scheitern, sondern ein Aufruf: Mut zu machen, Empathie zu wecken, Ressourcen klug einzusetzen – und das Schweigen derer zu brechen, die sich in endlosen, fruchtlosen Diskussionen mit AfD-Wählenden verfangen. Die beachtlichen Werte der Wählerschaft der AfD hinsichtlich Transfeindlichkeit und Antifeminismus zeigen, dass die AfD zumindest teilweise aufgrund antifeministischer und transfeindlicher Positionen gewählt wird – und diese Wünsche versucht die Partei zu bedienen.

In Zeiten, in denen seit Juni 2024 vermehrt Veranstaltungen der LSBTIQ-Bewegung in den Fokus insbesondere gewaltorientierter Rechtsextremisten geraten und es wiederholt zu rechtsextremistischen Störaktionen von öffentlichen Veranstaltungen zum Christopher Street Day kommt, ist Plaars Buch wichtiger denn je. Es zeigt: Wie lautstark wir Alice Weidel auch kritisieren mögen, wir werden immer auch für ihre Rechte mitkämpfen – denn genau das unterscheidet uns von jenen, die Menschenrechte nur für sich selbst einfordern.

"Meine Familie, die AfD und ich" erschien am 10. September 2025 im Goldmann Verlag und ist für 18 Euro erhältlich. Wer mehr über Leonie Plaar alias Frau Löwenherz auf Instagram erfahren möchte, findet sie auf den sozialen Medien, wo sie weiterhin über Politik, Queerness und Feminismus aufklärt.


Großbritannien verurteilt trans Frau: Deutschland diskutiert über Offenlegungspflicht beim Dating

Ein Urteil aus Großbritannien sorgt international für Diskussionen: Die 21-jährige trans Frau Ciara Watkin wurde wegen sexueller Nötigung verurteilt, weil sie einem Mann vor sexuellen Handlungen nicht mitteilte, dass sie trans ist. Wie PinkNews berichtet, hatte Watkin dem Mann, den sie über Snapchat kennengelernt hatte, gesagt, sie habe ihre Periode, um zu verhindern, dass er herausfindet, dass sie noch keine geschlechtsangleichende Operation hatte. Die Staatsanwaltschaft argumentierte, der Mann habe keine "informierte Einwilligung" geben können, da er angab, er hätte keinen sexuellen Kontakt mit Watkin gehabt, wenn er gewusst hätte, dass sie trans ist.

Das umstrittene Urteil und seine Folgen

Die Jury fällte ihr Urteil nach nur einer Stunde Beratung im Anschluss an einen zweitägigen Prozess. Nach Paragraph 74 des Sexual Offences Act 2003 stimmt eine Person sexuellen Handlungen zu, "wenn sie aus freiem Willen zustimmt und die Freiheit und Fähigkeit hat, diese Entscheidung zu treffen." Unter den kürzlich aktualisierten Richtlinien der Crown Prosecution Service zur "Täuschung über das Geschlecht" wurde argumentiert, dass er keine informierte Einwilligung zu den sexuellen Handlungen geben konnte.

Die britische Journalistin und ehemalige "Loose Women"-Moderatorin India Willoughby bezeichnete Watkins Verurteilung gegenüber PinkNews als "barbarisch und unmenschlich". Sie kritisierte: "Es gibt hier keine Täuschung über das Geschlecht. Soweit ich sehen kann, haben sie sich gedatet."

Rechtslage in Deutschland: Das Selbstbestimmungsgesetz

In Deutschland trat am 1. November 2024 das neue Selbstbestimmungsgesetz in Kraft, das trans*, inter* und nicht-binären Menschen ermöglicht, ihren Geschlechtseintrag und Vornamen in einem einfachen Verfahren beim Standesamt ändern zu lassen. Das Gesetz löst das Transsexuellengesetz (TSG) aus dem Jahr 1980 ab, das vom Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen der letzten Jahrzehnte in wesentlichen Teilen für verfassungswidrig erklärt wurde.

Wichtig ist: Das Selbstbestimmungsgesetz vermittelt keinen Anspruch auf Zugang zu geschützten Räumen. Die bestehende Rechtslage in Bezug auf die Vertragsfreiheit und das private Hausrecht bleibt durch das Gesetz unberührt. Wie bislang sind gesetzliche Grenzen der Vertragsfreiheit zu beachten (zum Beispiel die Grenzen durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz - AGG).

Keine Offenlegungspflicht im deutschen Recht

Anders als in Großbritannien gibt es in Deutschland keine rechtliche Pflicht für trans Personen, ihren trans Status beim Dating oder vor sexuellen Handlungen offenzulegen. Ein Selbstbestimmungsgesetz regelt, wie der Vorname und Geschlechtseintrag geändert werden kann. Es hat keine Auswirkung auf das Strafrecht. Alles, was vorher als Gewalt-Ausübung strafbar war, wird strafbar bleiben.

Das deutsche Strafrecht kennt zwar den Tatbestand der sexuellen Nötigung nach § 177 StGB, doch wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Die bloße Nicht-Offenlegung des trans Status fällt nicht unter diese Regelung.

Die "unmögliche Position" für trans Menschen

Die britische Journalistin jane fae, Direktorin von TransActual, kritisiert die Erwartung zur Offenlegung scharf: "Die Art, wie Menschen diesen Raum verhandelt haben, ist durch gesunden Menschenverstand. Entweder man offenbart sich früh und riskiert Gewalt und Ablehnung, oder man sagt nichts bis zur Intimität und hofft, dass es okay ist. Keine Position ist ideal. Es bringt trans Frauen in eine unmögliche Situation."

India Willoughby warnt vor einer Ungleichbehandlung: "Wir haben keine Situation, in der Bisexuelle, cis Menschen, Konservative oder evangelikale Christen erklären müssen, wer sie sind, bevor sie Sex haben. Warum wird das also nur auf trans Menschen angewendet?" Sie beschreibt die Offenlegung als "extrem demütigend und stigmatisierend" und argumentiert, dass Großbritannien "das transphobste Land in Europa" geworden sei aufgrund eskalierender, von der Regierung unterstützter Feindseligkeit.

Diskriminierung und Gewalt gegen trans Menschen in Deutschland

Auch in Deutschland erleben trans Menschen erhebliche Diskriminierung. Nach einer Erhebung der EU-Grundrechteagentur im Jahr 2023 gaben rund drei Viertel der befragten trans Personen an, in Deutschland in den vergangenen zwölf Monaten belästigt worden zu sein. Das Bundeskriminalamt zählt die Straftaten gegen trans Menschen in der Kategorie "Geschlechtsbezogene Diversität": Im Jahr 2023 wurden hier 854 Straftaten registriert, darunter 109 Fälle von Körperverletzung.

Der "Lagebericht zur kriminalitätsbezogenen Sicherheit von LSBTIQ*" verzeichnet für das Jahr 2023 1.785 Straftaten gegen LSBTIQ* Personen (im Jahr 2022: 1.188). Zu den häufigsten Straftaten zählten dabei Beleidigungen, Gewalttaten, Volksverhetzungen sowie Nötigungen und Bedrohungen. Bei den Gewalttaten wurden 212 Opfer (im Jahr 2022: 197) festgestellt. Der Bericht stellt zudem fest, dass sich die Zahl der Straftaten im Bereich "Sexuelle Orientierung" und "Geschlechtsbezogene Diversität" seit 2010 nahezu verzehnfacht hat.

Ein Blick nach vorn

Das britische Urteil gegen Ciara Watkin zeigt die rechtlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen, vor denen trans Menschen beim Dating stehen. Während Deutschland mit dem Selbstbestimmungsgesetz einen progressiveren Weg eingeschlagen hat, bleibt die Frage der Offenlegung beim Dating ein sensibles Thema.

jane fae bringt die Problematik auf den Punkt: "Persönlich denke ich, man sollte offenlegen, aber das sollte für alles Bedeutsame gelten, wie Religion oder Beziehungsstatus. Die aktuelle Situation, in der das Versäumnis, den trans Hintergrund zu erwähnen, zu einer Anklage wegen sexueller Nötigung führt, aber eine Lüge über die Religion nicht, erscheint absolut lächerlich."

Für trans Menschen in Deutschland bleibt die Situation komplex: Während das Gesetz keine Offenlegungspflicht vorsieht, müssen sie im Alltag weiterhin mit Diskriminierung und potenzieller Gewalt rechnen. Die Reform der gesetzlichen Geschlechtsanerkennung auf Grundlage der Selbstbestimmung wird trans Personen in Deutschland nicht per se vor Missbrauch und Diskriminierung schützen. Aber das neue Gesetz zeigt, dass die Regierung die Grundrechte von trans und nicht-binären Menschen unterstützt, was zu einem breiteren Verständnis und einer größeren Akzeptanz von verschiedenen Geschlechtsidentitäten beiträgt.

Das Urteil aus Großbritannien sollte für Deutschland eine Warnung sein: Trans Menschen dürfen nicht kriminalisiert werden für das, was sie sind. Die Würde und Selbstbestimmung aller Menschen - unabhängig von ihrer Geschlechtsidentität - muss geschützt werden.


WHO hebt internationale Notlage wegen Mpox auf – Was bedeutet das für Deutschland?

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die internationale Gesundheitsnotlage wegen Mpox aufgehoben, wie aus einer aktuellen Meldung hervorgeht. WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus verkündete bei einer Pressekonferenz in Genf, dass sich die Organisation der Empfehlung eines unabhängigen Expert*innengremiums angeschlossen habe. Die Zahlen in den am stärksten betroffenen afrikanischen Ländern seien rückläufig, und das Wissen über Infektionsfaktoren und -risiken sei seit der Ausrufung der Notlage 2024 gewachsen. Dennoch warnte er, dass die Gefahr noch nicht gebannt sei und Behörden weiterhin wachsam bleiben müssten.

Die aktuelle Lage in Deutschland

Im Jahr 2024 wurden bislang 136 Mpox-Fälle an das Robert Koch-Institut (RKI) gemeldet, verglichen mit nur 25 Fällen im selben Zeitraum des Jahres 2023. Diese Zahlen zeigen einen deutlichen Anstieg, obwohl die Fallzahlen insgesamt auf einem niedrigeren Niveau bleiben als während des großen Ausbruchs 2022, als mehr als 4.300 Fälle an das RKI übermittelt, der Großteil davon (rund 3.700 Fälle) von Frühsommer bis Herbst 2022 registriert wurden.

Besonders auffällig ist die geografische Verteilung der Fälle: Berlin führt mit 47 gemeldeten Fällen weiterhin die Liste an, doch andere Bundesländer holen auf. Nordrhein-Westfalen (27 Fälle), Bayern (14 Fälle), Hamburg (16 Fälle) und Baden-Württemberg (12 Fälle) verzeichnen im Vergleich zu den Vorjahren einen deutlich höheren Anteil an Infektionen. Die Schwulenberatung Berlin warnte bereits im März 2025 vor einem massiven Anstieg der Fallzahlen in der Hauptstadt.

Neue Virusvariante auch in Deutschland nachgewiesen

Seit Oktober 2024 werden in Deutschland auch vereinzelte Mpox-Infektionen mit Klade Ib nachgewiesen, die gefährlichere Variante, die hauptsächlich in Afrika zirkuliert. Das nordrhein-westfälische Gesundheitsministerium hat gegenüber dem WDR bestätigt, dass es sich bei dem Mpox-Positiven um einen 33-jährigen Mann aus Köln handle. Seither sind zehn Mpox-Fälle Klade Ib in Deutschland berichtet worden, die direkt oder indirekt mit Reisen in endemische Länder in Zusammenhang stehen.

Die neue Variante ist besonders besorgniserregend: Die Sterblichkeitsrate ist laut der US-Seuchenbehörde CDC rund 25 mal größer als noch vor zwei Jahren – fünf Prozent der Erkrankten sterben. Bei dem weltweiten Ausbruch 2022 waren es 0,2 Prozent der Mpox-Fälle. Trotzdem geht das RKI aktuell weiterhin nicht von einer erhöhten Gefährdung durch Klade-I-Viren in Deutschland aus, beobachtet die Situation aber sehr genau und passt seine Empfehlungen bei Bedarf an.

LGBTQ+-Community besonders betroffen

Die Mpox-Infektionen in Deutschland betreffen weiterhin hauptsächlich Männer, die sexuelle Kontakte mit anderen Männern haben (weniger als 1% der Fälle betreffen Frauen, Jugendliche oder Kinder). In Deutschland hatten sich vor drei Jahren rund 3.800 Menschen infiziert, beinahe durchwegs war das Virus durch sexuelle Kontakte zwischen schwulen und bisexuellen Männern weitergegeben worden.

Die Deutsche Aidshilfe und verschiedene Schwulenberatungsstellen haben ihre Präventionsarbeit intensiviert. In den vergangenen Jahren haben internationale Großveranstaltungen und Festivals für Schwule und andere Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), im Frühjahr und Frühsommer zu längeren Übertragungsketten beigetragen. Dies macht gezielte Aufklärungsarbeit in der Community besonders wichtig.

Impfempfehlungen der STIKO erweitert

Die Ständige Impfkommission (STIKO) hat ihre Empfehlungen kürzlich angepasst. Bei der postexpositionellen Impfung gegen Mpox ist neu, dass nun auch Personen ab zwölf Jahren geimpft werden dürfen. Zusätzlich sind nicht mehr nur Männer, die Sex mit Männern haben, in die Empfehlung inkludiert. Die STIKO nennt zum Beispiel auch trans und nichtbinäre Personen bei den Gruppen mit erhöhtem Infektionsrisiko.

Die aktuelle Empfehlung umfasst Männer und trans sowie nicht-binäre Personen, die Sex mit Männern haben und dabei häufig die Partner wechseln und Sexarbeitende. Dazu gehören Männer ab 18 Jahren, die sexuelle Beziehungen zu anderen Männern (MSM) pflegen und häufig ihre Partner wechseln. Die vollständige Grundimmunisierung besteht aus zwei Impfdosen im Abstand von mindestens 28 Tagen.

Verfügbarkeit und Kostenübernahme der Impfung

Die Vakzine Imvanex ist in Deutschland derzeit in ausreichender Menge verfügbar, und die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten für die Impfung. In den Regionen mit Mpox-Impfvereinbarung (Stand: 30.09.2024: Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein) genügt die Vorlage der Gesundheitskarte in der Arztpraxis.

Allerdings gab es in der Vergangenheit Probleme bei der Finanzierung: Erst fehlte Impfstoff, dann gab es in den Bundesländern unterschiedliche Regelungen zur Kostenübernahme der Impfkosten durch die gesetzlichen Krankenversicherungen, zum Teil mussten Impfungen privat vorfinanziert werden. Diese Hürden könnten dazu geführt haben, dass sich nicht alle gefährdeten Personen haben impfen lassen.

Wirksamkeit der Impfung bestätigt

Neue Studien belegen die hohe Wirksamkeit der Mpox-Impfung. Erst vor wenigen Tagen belegten auch erste Studien der Charité die hohe Wirksamkeit der Doppel-Impfung. In Deutschland rät die Ständige Impfkommission (STIKO) zu einer präventiven Impfung für Personen, die ein erhöhtes Risiko für Infektionen aufweisen.

Ausblick und Empfehlungen

Trotz der Aufhebung der internationalen Notlage bleibt Wachsamkeit geboten. Ein begrenztes Ausbruchsgeschehen durch Mpox Klade IIb ist weiterhin möglich, von einem starken Anstieg der Fallzahlen wie 2022 wird derzeit jedoch nicht ausgegangen. Das RKI empfiehlt weiterhin dringend, dass sich Personen aus Risikogruppen vollständig impfen lassen.

Die Linke queer forderte im April 2025 eine bundesweite Aufklärungskampagne für schwule und bisexuelle Männer, um eine erneute Ausbreitung zu verhindern. Angesichts der kommenden Pride-Saison und internationaler Großveranstaltungen im Sommer ist eine verstärkte Präventionsarbeit besonders wichtig.

Für die LGBTQ+-Community bedeutet die Aufhebung der Notlage keine Entwarnung. Die Erfahrungen aus dem Ausbruch 2022 zeigen, wie schnell sich das Virus in der Community ausbreiten kann. Daher bleiben Aufklärung, niedrigschwellige Impfangebote und die Entstigmatisierung der Erkrankung zentrale Aufgaben für Gesundheitsbehörden und Community-Organisationen.


Bolsonaros Verurteilung: Ein historischer Sieg für die Demokratie – und eine Warnung für Deutschland

Das Oberste Gericht Brasiliens hat ein historisches Urteil gefällt: Ex-Präsident Jair Bolsonaro wurde wegen eines versuchten Staatsstreichs zu mehr als 27 Jahren Haft verurteilt. Es ist das erste Mal, dass ein ehemaliger Präsident in Brasilien wegen eines versuchten Staatsstreichs verurteilt wird. Für die queere Community des Landes, die unter Bolsonaros Herrschaft massive Verfolgung erlebte, ist dieses Urteil mehr als nur juristische Gerechtigkeit – es ist ein Zeichen der Hoffnung.

Jahre des Hasses und der Gewalt

Bolsonaros Queerfeindlichkeit war legendär und bildete einen zentralen Pfeiler seiner Politik. Der Präsident hatte in der Vergangenheit mehrfach mit homophoben Aussagen Aufsehen erregt und erklärt, es wäre ihm lieber, sein Sohn wäre tot als schwul. Bei einer Pressekonferenz im Präsidentenpalast rief er angesichts der Corona-Krise seine Landsleute auf, nicht wie vermeintlich verweichlichte "Schwuchteln" zu reagieren und sagte wörtlich: "Wir müssen aufhören, ein Land von Schwuchteln zu sein".

Die rassistischen und homophoben Aussagen des brasilianischen Präsidenten provozierten Übergriffe im Land. Brasilien ist weltweiter Spitzenreiter homo- und transfeindlicher Gewalt, 273 LGBT wurden 2022 ermordet. 90 Prozent der trans Frauen arbeiten als Sexarbeiterinnen, nur 0,2 Prozent besuchen eine Universität. Die Lebenserwartung von trans Menschen liegt bei etwa 35 Jahren.

Der gescheiterte Putsch und seine Folgen

Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft hatte Bolsonaro nach seiner Wahlniederlage gegen Lula einen Staatsstreich geplant. Ziel sei es gewesen, einen Ausnahmezustand zu verhängen und Neuwahlen durchzusetzen – allerdings habe Bolsonaro die Unterstützung der Militärführung nicht gewonnen. Am 8. Januar 2023, wenige Tage nach Lulas Amtsantritt, stürmten Anhänger des Rechtspolitikers den Kongress, das Oberste Gericht und den Präsidentenpalast in Brasília.

Vier der fünf Richter stimmten für eine Verurteilung von Bolsonaro, nur Richter Luiz Fux votierte für einen Freispruch. Richter Alexandre de Moraes bezeichnete Bolsonaro als "Anführer einer kriminellen Organisation" und sagte: "Das war kein Sonntag im Park, kein Ausflug nach Disneyland" bezüglich des Sturms auf die Regierungsgebäude.

Die Parallelen zu Trump – und die internationale Reaktion

Parallelen zwischen Bolsonaro und Trump, den der ehemalige Chefberater Steve Bannon gerne "Tropen-Trump" nannte, werden häufig gezogen. Die Bilder vom Sturm auf das Regierungsviertel in Brasilia am 8. Januar 2023 erinnern beinahe zwangsläufig an den Sturm von Trump-Anhängern auf das Kapitol in Washington am 6. Januar 2021.

Trump zog Parallelen zu den Gerichtsverfahren gegen ihn selbst und sagte: "Das ist so ähnlich, wie sie es mit mir versucht haben, aber sie sind nicht damit durchgekommen". Tatsächlich dauerten die Gerichtsverfahren wegen des Sturms auf das Kapitol durch diverse Verzögerungen so lange, dass es nie zu einem Urteil kam.

US-Präsident Donald Trump und seine Anhänger hatten den Prozess gegen Bolsonaro immer wieder als "Hexenjagd" bezeichnet und mit hohen Zöllen Druck auf Brasilien ausgeübt. US-Außenminister Marco Rubio drohte: "Die Vereinigten Staaten werden auf diese Hexenjagd entsprechend reagieren".

Was bedeutet das für Deutschland?

Die Verurteilung Bolsonaros sendet ein wichtiges Signal an rechtspopulistische Bewegungen weltweit – auch nach Deutschland. Brasilien hat sich mutig gegen die dreiste Einflussnahme von Präsident Trump gestellt, der das Land wegen des Prozesses mit Zöllen von 50 Prozent belegt hat. Es bleibt abzuwarten, ob das Land dem wirtschaftlichen Druck aus den USA standhalten kann.

Die Parallelen zwischen Bolsonaros queerfeindlicher Politik und den Positionen der AfD in Deutschland sind beunruhigend. Mit 71% geschlossener Ablehnung gegenüber Transpersonen sind AfD-Wähler am häufigsten transfeindlich. Dies zeigen auch die beachtlichen Werte der Wählerschaft der AfD hinsichtlich Transfeindlichkeit und Antifeminismus. Es ist davon auszugehen, dass die AfD zumindest teilweise aufgrund antifeministischer und transfeindlicher Positionen gewählt wird.

Die AfD ist inzwischen die einzige Partei im Bundestag, die die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare wieder abschaffen will. Als einzige Partei will die AfD bestehende Bildungs- und Aktionspläne gegen Homo- und Transphobie beenden und das Antidiskriminierungsgesetz abschaffen. Diese homophobe Politik dokumentiert die AfD auch in der Beantwortung der LSVD-Wahlprüfsteine: Sie möchte hart erkämpfte Rechte beschneiden und Erfolge in der Gleichstellung zurückdrehen.

Ein historischer Moment für die Demokratie

Die demokratischen Institutionen Brasiliens gehen gestärkt aus dem Prozess hervor. Der Schuldspruch zeigt möglichen Nachahmern von Bolsonaro, dass die demokratische Ordnung nicht ungestraft umgestossen werden kann. Die Politikwissenschaftlerin Isabela Kalil erklärt: "Ohne ihre wichtigste Führungsfigur droht dem rechtsextremen Lager eine Zersplitterung. Mit der Entscheidung des Gerichts seien die Kosten für einen Angriff auf die Demokratie deutlich gestiegen".

Für Deutschland ist Brasiliens konsequentes Vorgehen gegen antidemokratische Kräfte ein wichtiges Vorbild. Während die USA ihren demokratiefeindlichen Ex-Präsidenten erneut ins Amt wählten, zeigt Brasilien, dass Rechtsstaat und demokratische Institutionen wehrhaft sein können – auch gegen massive internationale Druckversuche.

Die queere Community Brasiliens kann nach Jahren der Verfolgung aufatmen. Doch die Warnung bleibt: Antra-Mitarbeiterin Fernanda de Moraes berichtet: "Früher waren die Vorurteile eher versteckt. Seit der Amtszeit von Bolsonaro leben viele ihren Hass offen aus". Diese Normalisierung des Hasses kennen wir auch aus Deutschland. Das Urteil gegen Bolsonaro zeigt: Demokratien müssen sich aktiv gegen ihre Feinde verteidigen – bevor es zu spät ist.


Jason Collins kämpft gegen Gehirntumor: Ein Vorbild, der weiter inspiriert

Der amerikanische Ex-Basketball-Spieler Jason Collins, der 2013 als erster Profi der vier grossen US-Ligen seine Homosexualität öffentlich gemacht hatte, muss sich einer Behandlung wegen eines Gehirntumors unterziehen. Die NBA gab die Nachricht am Mittwoch im Auftrag seiner Familie bekannt, die gleichzeitig um Privatsphäre bat. Die Basketball-Welt reagierte mit einer Welle der Solidarität und Unterstützung für den 46-jährigen NBA-Pionier.

Ein historisches Vermächtnis, das über den Sport hinausgeht

Er war der erste aktive Athlet in einer der vier großen nordamerikanischen Profiligen (NBA, NFL, MLB, NHL), der sich öffentlich outete. Der Akt des Mutes hallte weit über den Basketball hinaus. Es war ein Bruch mit der Stille, die queere Athleten lange im Schatten gehalten hatte. Collins' Coming-out im April 2013 markierte einen Wendepunkt – nicht nur für den amerikanischen Sport, sondern weltweit. Seit seinem Rücktritt ist er ein ausgesprochener Verfechter für LGBTQ+-Rechte und spricht landesweit über Sichtbarkeit, Inklusion und die Kraft authentisch zu leben.

Collins war nie der Spieler, der mit spektakulären Dunkings oder mitreißenden Statistiken die Schlagzeilen dominierte. Und doch hat er einen festen Platz in den Geschichtsbüchern des Sports: Im April 2013 outete er sich als erster noch aktiver Profi in einer der vier großen US-Sportligen als homosexuell. Sein Schritt wurde damals weltweit als Meilenstein für die Sichtbarkeit von LGBTQ+ im Spitzensport gefeiert, ein Tabubruch in einer Branche, die lange Zeit von Schweigen und Vorurteilen geprägt war.

Die deutsche Sportwelt hinkt hinterher

Während Collins' Mut in den USA Geschichte schrieb, zeigt sich in Deutschland ein besorgniserregender Kontrast. Auch im Jahr 2023 gibt es in der deutschen Fußballbundesliga immer noch keinen offen schwul, bisexuell, trans* oder inter* lebenden Spieler. Es gibt auch schwule Paare in der Bundesliga, und zwar sehr nette, sehr hübsche. Und vielleicht kommt irgendwann der Tag, an dem sie sich outen. Diese Worte stammen von Marcus Urban, der sich nach eigenen Angaben als erster Profifußballer in Deutschland zu seiner Homosexualität bekannt hat – allerdings erst nach seiner aktiven Karriere.

Die Gründe für dieses Schweigen sind vielschichtig. Während dieser 30 Jahre bin ich auf keinen einzigen Mitspieler oder Gegner gestoßen, der sich als homosexuell geoutet hätte. Dieser Spieler hätte in der Kabine leider kein Leben mehr. Diese ernüchternde Einschätzung eines ehemaligen Spielers zeigt die tief verwurzelte Homophobie im deutschen Männerfußball. Viele schwule Spieler hätten sich inzwischen in Gruppen organisiert, andere seien Einzelkämpfer.

Strukturelle Barrieren und verpasste Chancen

Ein geplantes Gruppen-Coming-out am 17. Mai 2024, dem Internationalen Tag gegen Homophobie, scheiterte. Am Ende traute sich keiner. Es gibt in ihrem Umfeld noch zu viele Menschen, die ihnen davon abraten – Medienanwälte, Berater:innen, Familie. Die strukturellen Probleme reichen tief: Es gibt Geschäftszweige innerhalb der Szene: Scheinfreundinnen, arrangierte Ehen, organisierte Treffen. Auch Berater machen das zum Teil und haben die Spieler dann in der Hand.

Die Diskrepanz zwischen Frauen- und Männersport ist dabei besonders auffällig. Beim deutschen Frauenfußballteam zeigen sich viele als offen lesbisch, bisexuell oder queer und setzen sich auch für die Gleichbehandlung von lesbischen Paaren bei der Familiengründung ein. Im Frauenfußball ist Homosexualität längst kein Tabu mehr, während im Männerfußball die Angst vor dem Coming-out weiterhin dominiert.

Hoffnungsschimmer und konkrete Handlungsansätze

Trotz der düsteren Bilanz gibt es auch positive Entwicklungen. Der erste queere Sportverein Europas wurde 1980 in Köln gegründet: der SC Janus. 1982 fanden die ersten Gay Games statt, die sich an die Olympischen Spiele anlehnen und homosexuellen Athlet*innen ein Sportevent ohne Queerfeindlichkeit bieten wollen. Diese historischen Meilensteine zeigen, dass Deutschland durchaus eine Vorreiterrolle einnehmen könnte.

Experten sehen konkrete Lösungsansätze: Explizite Ansprechpersonen für LSBTIQ* in den Vereinen zu schaffen. Nur wenige Trainer*innen haben das Thema auf dem Schirm, da es in Aus- und Weiterbildungen oftmals fehlt. Das muss sich dringend ändern. Außerdem sollten Satzungen der Vereine sich klar gegen Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität aussprechen.

Collins' Kampf geht weiter – als Inspiration für alle

Jason Collins' aktuelle Gesundheitskrise erinnert uns daran, wie kostbar und zerbrechlich das Leben ist. Er trug ein Gewicht, das nicht seins allein war – die Bürde, der Erste zu sein, sichtbar zu sein, gebeten zu werden, eine Bewegung zu symbolisieren, die größer war als er selbst. Ihm Gutes zu wünschen ist nicht nur eine Frage des Gefühls; es ist eine Anerkennung des Geschenks, das er durch sein offenes Leben gemacht hat.

Während Collins nun gegen seinen Gehirntumor kämpft, bleibt sein Vermächtnis lebendig. Seine Geschichte zeigt, dass einzelne mutige Menschen tatsächlich die Welt verändern können – auch wenn der Wandel langsam kommt. Es ist auch ein Aufruf an die nächste Generation von Athleten; besonders jene in der NBA, die sich selbst als queer kennen, aber still bleiben, Collins' Mut zu ehren, indem sie in ihr eigenes treten.

Die deutsche Sportwelt täte gut daran, von Collins' Beispiel zu lernen. Für die Olympischen Spiele zeichnet sich ein fundamentaler Wandel ab. Denn in Tokio gehen so viele offen queere Sportler*innen wie nie an den Start. Das sind mehr als bei allen anderen Olympischen Spielen zusammengerechnet. Diese internationale Entwicklung zeigt: Der Sport kann ein Ort der Inklusion und Akzeptanz sein – wenn wir den Mut haben, dafür einzustehen.

Jason Collins mag momentan einen persönlichen Kampf führen, aber sein öffentlicher Kampf für Gleichberechtigung und Sichtbarkeit hat bereits unzählige Leben verändert. In einer Zeit, in der bis heute sich noch kein aktiver Fußballer der Männer-Bundesliga in Deutschland geoutet hat und "schwul" in vielen Sportarten noch als Beleidigung verwendet wird, brauchen wir mehr denn je Vorbilder wie ihn – Menschen, die zeigen, dass Authentizität und sportliche Exzellenz keine Gegensätze sind.


Pöbeln mit System: Warum der Bundestag härtere Strafen gegen verbale Entgleisungen braucht

Die geplante Reform der Geschäftsordnung des Bundestags kommt zur richtigen Zeit: Wie queer.de berichtet, sollen die Ordnungsgelder für pöbelnde Abgeordnete verdoppelt werden – ein längst überfälliger Schritt angesichts der zunehmenden Verrohung der Debattenkultur. Die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD planen eine Neufassung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, deren Ziel es ist, das Parlament als Ort der Debatte und Gesetzgebung zu stärken. Besonders brisant: Die meisten Ordnungsrufe der letzten Legislaturperiode kassierten AfD-Abgeordnete, die gezielt trans Politikerinnen wie Tessa Ganserer attackierten.

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache

Nach dem erstmaligen Einzug der AfD in den Bundestag im Jahr 2017 stieg die Zahl der Ordnungsrufe wieder an. In der Legislaturperiode von 2017 bis 2021 gab es 47 Ordnungsrufe und zehn Rügen; von 2021 bis 2025 135 Ordnungsrufe und 26 Rügen. Diese dramatische Entwicklung zeigt: Mit dem Einzug der rechtsextremen Partei hat sich die parlamentarische Kultur fundamental verändert. 2023 gab es 51 Ordnungsrufe, mehr als in der gesamten vorherigen Wahlperiode. Spitzenreiterin ist die AfD-Politikerin von Storch.

Die geplanten Verschärfungen sehen vor, dass Abgeordnete nach drei Ordnungsrufen innerhalb von drei Sitzungswochen automatisch 2.000 Euro zahlen müssen – im Wiederholungsfall sogar 4.000 Euro. Das ist eine Verdopplung der bisherigen Sätze. Ordnungsrufe können dem Entwurf zufolge wie bisher erteilt werden, wenn Abgeordnete „die Ordnung oder die Würde des Bundestages" verletzen. Klargestellt wird in dem Änderungsentwurf ausdrücklich, dass alle Redebeiträge und Äußerungen „vom gegenseitigen Respekt und von der Achtung der anderen Mitglieder sowie der Fraktionen geprägt" sein sollten.

Der Fall Tessa Ganserer: Wenn Hass System hat

Was sich hinter den nüchternen Zahlen verbirgt, zeigt der Fall der trans Abgeordneten Tessa Ganserer besonders deutlich. Die AfD hatte zudem Ganserer immer wieder mit ihrem männlichen Vornamen angesprochen. Im Juni 2024 hatte von Storch für wiederholte „herabwürdigende und respektlose" Zwischenrufe ein Ordnungsgeld von Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) erhalten. Die systematischen Angriffe gingen so weit, dass Ganserer schließlich ankündigte, nicht mehr für den Bundestag zu kandidieren.

Die trans Abgeordnete Tessa Ganserer hat ihren Rückzug aus dem Bundestag angekündigt und als Grund auch transfeindlichen Hass genannt. Die AfD reagiert auf die Ankündigung mit weiteren Hass-Botschaften. Besonders perfide: Besonders aggressiv äußerte sich AfD-Vizefraktionschefin Beatrix von Storch, die das Bundestagspräsidium wegen transfeindlicher Zwischenrufe gegen Ganserer schon mit einem Ordnungsgeld belegt hat. "Lieber Herr #Ganserer, es ist kein Hass, wenn man bei seinem Vornamen angesprochen wird und einen biologischen Mann als Mann bezeichnet", so von Storch auf der Plattform X.

Die Debatte um das Selbstbestimmungsgesetz als Brennglas

Die Verrohung der Debattenkultur zeigte sich besonders deutlich bei den Beratungen zum Selbstbestimmungsgesetz, das am 1. November 2024 in Kraft getreten ist. Das neue Gesetz, auch bekannt als Selbstbestimmungsgesetz, ersetzt das veraltete Transsexuellengesetz aus dem Jahr 1980, das von Trans*Personen verlangt, einem Amtsgericht zwei „Experten"-Gutachten vorzulegen. Die Diskussionen im Bundestag wurden dabei immer wieder von transfeindlichen Zwischenrufen der AfD gestört.

Wegen transfeindlicher Bemerkungen über die Grünen-Abgeordnete Tessa Ganserer muss die stellvertretende AfD-Fraktionschefin Beatrix von Storch im Bundestag ein Ordnungsgeld zahlen. Parlaments-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) verhängte die Sanktion, weil sich von Storch bei mehreren Zwischenrufen "herabwürdigend und respektlos" über Ganserer geäußert habe. "Dies geschah, obwohl sie in dieser Angelegenheit bereits mehrfach ermahnt wurde und bereits Ordnungsrufe erhalten hat", erläuterte Göring-Eckardt. "Sie hat damit bewusst und in einem nicht nur geringfügigen Maße gegen die parlamentarische Ordnung und Würde verstoßen."

Internationale Perspektive: Deutschland zieht nach

Mit dem Selbstbestimmungsgesetz hat Deutschland einen wichtigen Schritt zur Gleichstellung von LGBTQ+-Personen gemacht. Die Reform der Geschlechtsanerkennung kommt zu einem Zeitpunkt, an dem LGBT Aktivist*innen vor einem Anstieg der Anti-LGBT-Gewalt in Deutschland warnen. Der Bundesinnenminister teilte im Juni 2023 mit, dass die Polizei im vergangenen Jahr über 1.400 Hassverbrechen gegen LGBT-Menschen registriert hatte. Die verschärften Regeln im Bundestag sind daher auch ein Signal: Diskriminierung und Hass haben im höchsten deutschen Parlament keinen Platz.

„Ich glaube, man muss beispielsweise viel mehr mit dem Instrument des Ordnungsgeldes arbeiten statt mit dem Ordnungsruf", sagte die sächsische Christdemokratin Yvonne Magwas. Die Debattenkultur im Bundestag sei viel rauer geworden. Die geplanten Reformen könnten ein wichtiger Schritt sein, um die Würde des Parlaments zu wahren und besonders vulnerable Gruppen wie trans Personen vor systematischen Angriffen zu schützen.

Was die Reform bedeutet

Die vorgeschlagenen Änderungen gehen über bloße Geldstrafen hinaus. Unter anderem soll in der Geschäftsordnung die Vizepräsidentenwahl getrennt von der Präsidentenwahl geregelt werden. Die Fraktionen wollen deutlich machen, dass das Vizepräsidentenamt von der freien und geheimen Wahl durch den Bundestag abhängt. Dieser Grundsatz soll dem sogenannten Grundmandat vorgehen, wonach jede Fraktion durch mindestens einen Vizepräsidenten im Präsidium vertreten sein sollte. Dies richtet sich klar gegen die AfD, deren Kandidaten regelmäßig bei Vizepräsidentenwahlen scheitern.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sieht das so: Er sagte, das verschlechterte Klima im Bundestag lasse sich „an der Zahl der Ordnungsrufe ablesen, die insbesondere in das rechte Lager gehen". Weiter sagte er: „Mich betrübt das, weil es hat ja etwas damit zu tun, was in dieses Haus eingezogen ist – im wahrsten Sinne des Wortes." Mützenich schilderte auch Vorfälle, bei denen Mitarbeiter, deren Familien aus dem Ausland stammten, angepöbelt worden seien. Dies sei nicht nur belastend, sondern „hochdramatisch".

Die Reform der Geschäftsordnung ist mehr als eine technische Anpassung – sie ist eine Verteidigung der demokratischen Kultur. In Zeiten, in denen Menschenrechtsorganisationen die Fortschritte bei LGBTQ+-Rechten würdigen, während gleichzeitig der Hass zunimmt, sendet der Bundestag ein wichtiges Signal: Respekt und Würde sind nicht verhandelbar, und wer sie systematisch verletzt, muss mit Konsequenzen rechnen.


Ein Republikaner wechselt die Seiten: Wenn der schwule Sohn und Drag Queens die Politik verändern

Ein bemerkenswerter Parteiwechsel in Oregon wirft ein Schlaglicht auf die tiefe Zerrissenheit der amerikanischen Politik – und zeigt gleichzeitig, wie persönliche Erfahrungen und Familienbande politische Überzeugungen grundlegend verändern können. Der republikanische Abgeordnete Cyrus Javadi kündigte an, dass er die Partei verlässt und als Demokrat zur Wiederwahl antritt, wie PinkNews berichtet. Dabei nennt er seinen schwulen Sohn und seine Unterstützung für Drag Queens als zentrale Beweggründe.

Ein Befreiungsschlag mit Signalwirkung

Der Parteiwechsel von Javadi ist kein isolierter Vorfall, sondern Teil eines größeren Trends. Seit 2024 haben mindestens drei weitere gewählte Republikaner ihre Partei verlassen, um unabhängig zu werden, während mindestens acht Demokraten im gleichen Zeitraum ihre Partei verließen. Doch Javadis Fall sticht hervor, weil er offen über die Rolle seiner Familie spricht.

In einem ausführlichen Substack-Beitrag mit dem Titel "Had Enough? I Have." erklärt Javadi seine Entscheidung. Er verließ die Republikaner, weil die Partei "die Prinzipien aufgegeben hat, die mich ursprünglich anzogen: begrenzte Regierung, fiskalische Verantwortung, Redefreiheit, freier Handel und vor allem die Rechtsstaatlichkeit".

Der Kampf gegen Buchverbote

Besonders deutlich wurde der Konflikt beim sogenannten "Book Bill" in Oregon. Das Gesetz Senate Bill 1098 stellt sicher, dass Schulbibliotheken in Oregon keine Bücher allein aufgrund der Tatsache entfernen dürfen, dass sie von oder über Mitglieder einer geschützten Gruppe handeln – einschließlich Rasse, Geschlechtsidentität, sexueller Orientierung, Religion, Behinderung oder Militärstatus.

Javadi argumentierte leidenschaftlich für dieses Gesetz: "Die Republikaner stellten es als Stopp von Pornografie in Schulen dar, ignorierten aber, dass Eltern bereits jedes Buch anfechten können. Das eigentliche Problem war, ob Kinder – schwule Kinder wie mein Sohn, schwarze Kinder, muslimische Kinder – weiterhin Geschichten in den Regalen finden können, die ihr Leben widerspiegeln".

2024 wurden in Oregon 151 Bücher in Schulen und Bibliotheken angefochten – die höchste Zahl seit 1987. Die am häufigsten angefochtenen Bücher landesweit sind solche mit LGBTQ+-Charakteren oder Themen im Zusammenhang mit sexuellen Übergriffen.

Parallelen zur deutschen Politik

Während in den USA solche dramatischen Parteiwechsel aus Gewissensgründen Schlagzeilen machen, zeigt sich in Deutschland ein anderes Bild. Gab es früher fast nur bei den Grünen offen schwul und lesbisch lebende Politiker, so hat sich dies in Deutschland vor allem seit Klaus Wowereits "Flucht nach vorne" im Jahre 2001 geändert. Heute gibt es offen schwul und lesbisch lebende Politiker in allen Parteien, die im Bundestag vertreten sind.

Die aktuelle Wahlstudie der Universität Gießen zeigt jedoch deutliche Unterschiede im Wahlverhalten der LGBTQ+-Community: Würden bei der Bundestagswahl ausschließlich Mitglieder der LGBTQ*-Community wählen, könnten die Grünen mit 43,5 Prozent der Stimmen rechnen, während sie in der Gesamtbevölkerung nur 14 Prozent erreichen. Die Linke wäre mit knapp 25 Prozent zweitstärkste Kraft, während sie in der Gesamtbevölkerung nur bei 5 Prozent liegt.

Die Grünen und die Linke sind die klaren Vorreiter in Sachen LGBTQ*-Rechte – mit der SPD als verlässlicher Unterstützerin. Die FDP tritt zurückhaltender auf, die Union will von neuen Fortschritten wenig wissen, die AfD LGBTQ*-Rechte zurückdrängen und das BSW spielt Frauen- und LGBTQ*-Rechte gegeneinander aus.

Die Macht der persönlichen Beziehungen

Javadis Geschichte zeigt eindrucksvoll, wie persönliche Beziehungen politische Überzeugungen verändern können. Offen aufzutreten ist eines der besten und wirksamsten Mittel gegen Homophobie. Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass Menschen, welche LGBs aus dem näheren Umfeld persönlich kennen, den Gruppen gegenüber positiver eingestellt sind.

Der Abgeordnete wurde besonders scharf kritisiert, als er für eine Resolution stimmte, die Black Drag Queens ehrte. Die Rückrufpetition gegen ihn behauptete, er "reflektiere nicht die konservative moralische Ordnung oder Werte". Doch genau diese Kritik bestärkte Javadi in seiner Entscheidung.

"Ja, ich wechsle zur Demokratischen Partei. Nicht weil die Demokraten perfekt sind, das sind sie nicht. Aber sie verhalten sich wie eine regierende Partei. Sie sind bereit, Ideen nach ihren Vorzügen zu debattieren. Verfassungsprinzipien zu verteidigen. Minderheitenrechte zu schützen. Die unglamouröse, oft undankbare Arbeit zu tun, tatsächlich Dinge zu reparieren", schreibt Javadi.

Ein Vorbild für Deutschland?

Während in Deutschland Parteiwechsel aus Gewissensgründen eher selten sind, zeigt Javadis Beispiel, dass manchmal persönliche Überzeugungen schwerer wiegen als Parteiloyalität. In Demokratien ist ein Parteiwechsel ein legitimer Vorgang, auch wenn er oft kontrovers diskutiert wird.

Besonders bemerkenswert ist, dass Javadi trotz des zu erwartenden politischen Gegenwinds zu seiner Entscheidung steht. Nach seiner Abstimmung für die Transportsteuer schrieb Javadi auf Substack, dass er als "abscheulich", "kriminell" und "Verräter" bezeichnet wurde. Dennoch bleibt er bei seiner Überzeugung: Seine Loyalität gelte zuerst den Menschen seines Wahlkreises, nicht einer Parteilinie.

Die Geschichte von Cyrus Javadi ist mehr als nur ein politischer Parteiwechsel. Sie ist ein Zeugnis dafür, wie Liebe zu einem Kind und der Respekt vor der Vielfalt menschlicher Identitäten stärker sein können als jahrzehntelange politische Bindungen. In einer Zeit, in der die politische Polarisierung zunimmt, erinnert uns sein Beispiel daran, dass Menschlichkeit und persönliche Integrität über Parteigrenzen hinweg existieren können – und sollten.


Eurovision 2026: Irlands Boykott-Drohung erschüttert den Song Contest – Was bedeutet das für Deutschland?

Der Eurovision Song Contest 2026 in Wien steht vor seiner größten Krise seit Jahren. Irlands öffentlich-rechtlicher Sender RTÉ hat angekündigt, nicht am Wettbewerb in Wien teilzunehmen, sollte Israel dabei sein. „Irland wird nicht am Eurovision Song Contest 2026 teilnehmen, sollte es bei Israels Teilnahme bleiben", heißt es in dem Statement. Diese Ankündigung wirft nicht nur Fragen über die Zukunft des Wettbewerbs auf, sondern auch darüber, wie sich Deutschland positionieren wird.

Eine Lawine des Protests rollt durch Europa

Was als einzelner Protest begann, entwickelt sich zu einer europaweiten Bewegung. Irland steht nicht allein da. Sloweniens Rundfunk RTVSLO kündigte bereits einen Rückzug an, sollte Israel teilnehmen. Spaniens Kulturminister Ernest Urtasun deutete an, dass auch sein Land fernbleiben könnte. Islands Sender RÚV macht die Teilnahme indes vom Ausgang der „laufenden Konsultationen innerhalb der EBU" abhängig.

Die Begründungen sind dramatisch und unmissverständlich. RTÉ äußerte sich besorgt über die mutmaßlich gezielte Tötung von Journalisten in Gaza und kritisierte den verwehrten Zugang internationaler Medien in das Gebiet. Diese Bedenken spiegeln eine wachsende Unruhe in der europäischen Medienlandschaft wider, die weit über den Eurovision Song Contest hinausgeht.

Deutschlands schwierige Position zwischen Tradition und Moral

Für Deutschland stellt sich die Situation besonders komplex dar. Laut Amir Alon, einem ehemaligen Mitglied der israelischen ESC-Delegation, hätten Deutschland und Italien in internen Diskussionen ihre Unterstützung für Israel ausgedrückt. Diese würde demnach soweit gehen, dass sie bei einem Ausschluss Israels vom ESC ebenfalls einen Rückzug von der Veranstaltung 2026 erwägen würden. „Wenn Israel aus dem Wettbewerb ausscheidet, werden auch sie aus dem Wettbewerb ausscheiden", so Amir Alon.

Der Südwestrundfunk (SWR), der erstmals seit 30 Jahren die deutsche ESC-Verantwortung vom NDR übernommen hat, hält sich offiziell bedeckt. Ein Vertreter des SWR äußerte: „Der Eurovision Song Contest ist ein musikalisches Großereignis, das seit Jahrzehnten Menschen in ganz Europa und darüber hinaus zusammenbringt – vielfältig und respektvoll, unabhängig von Herkunft, Religion oder Glauben."

Die Geschichte wiederholt sich – oder doch nicht?

Der Konflikt um Israels Teilnahme ist nicht neu. Bereits beim ESC 2024 im schwedischen Malmö war der Wettbewerb mit dem Gaza-Krieg aufgeladen und es gab Forderungen nach einem Ausschluss der israelischen ESC-Kandidatin Eden Golan. Eden Golan erhielt zahllose Morddrohungen und konnte ihr Hotel nur für Proben und Auftritte verlassen – unter Polizeischutz. In der Malmöer ESC-Halle war die Sängerin anfangs kaum zu hören, so laut waren die Buhrufe. Die Fernsehzuschauer bekamen davon nichts mit, weil die EBU die Pöbeleien mit Applaus vom Band ausfilterte.

Doch die Zuschauer haben anders votiert als die Protestierenden. Die Europäer haben per Anruf oder SMS ein Zeichen gesetzt. Offenkundig sind weite Teile des Publikums nicht bereit, bei der angestrebten Dämonisierung Israels mitzumachen. Die Hamas-freundlichen Proteste an den Universitäten, die israelfeindlichen Aktionen aus dem Kulturbetrieb haben keine Mehrheit.

Die LGBTQ+-Community im Spannungsfeld

Besonders pikant ist die Situation für die LGBTQ+-Community, die traditionell eine wichtige Rolle beim Eurovision Song Contest spielt. Laut David Saranga, dem "Direktor für digitale Diplomatie" im israelischen Außenministerium, mobilisierte Israel für seine ESC-Kampagne 2023 und 2024 vor allem LGBTQ-Communities, diverse Fanclubs sowie mit dem ESC befasste Journalisten.

Diese gezielte Ansprache führt zu einem schmerzhaften Dilemma: Wie positioniert sich eine Community, die sowohl für Vielfalt und Inklusion steht als auch mit den Palästinensern solidarisch sein möchte? Der Eurovision Song Contest, einst ein Symbol für Einheit und Diversität, wird zum Schauplatz dieser Zerreißprobe.

Wien 2026: Ein Fest oder ein Fiasko?

Der ESC 2026 soll vom 12. bis 16. Mai in der Wiener Stadthalle stattfinden. Der Song Contest 2026 findet in der Wiener Stadthalle statt, das gab ORF-Generaldirektor Roland Weißmann bekannt. Das Finale wird am Samstag, 16. Mai, über die Bühne gehen. Was als Feier des 70-jährigen Jubiläums geplant war, könnte zum gespaltenen Event werden.

Irland gehört mit sieben Siegen zu den erfolgreichsten Teilnehmern der Contest-Geschichte. Zuletzt gewann das Land 1996. Ein Rückzug Irlands würde nicht nur eine traditionsreiche Nation fehlen lassen, sondern könnte auch eine Kettenreaktion auslösen. Ähnliche Äußerungen gibt es aus Spanien, Island und den Niederlanden, die ihre Teilnahme allesamt erst im Dezember bestätigen wollen. Erst dann will die EBU eine Entscheidung bezüglich Israel gefällt haben.

Was bedeutet das für deutsche Fans?

Die deutsche ESC-Community steht vor ungewissen Zeiten. Der SWR plant offenbar einen deutschen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest 2026. Auf Anfragen hat eurovision.de Fans bestätigt: „Wir vom SWR sind mitten in der Konzept-Entwicklung. Aber lange wird es nicht mehr dauern und du erfährst alle Neuigkeiten rund um den ESC 2026 und auch den deutschen Vorentscheid."

Doch was nützt die beste Vorbereitung, wenn der Wettbewerb selbst auseinanderbricht? Die Frage, ob Deutschland bei einem Israel-Boykott mitziehen würde oder sich solidarisch zeigt, könnte die deutsche LGBTQ+-Community und ESC-Fans spalten. Es ist eine Entscheidung zwischen langjährigen Partnerschaften, moralischen Überzeugungen und der Liebe zur Musik.

Ein Appell an die Vernunft

Der Eurovision Song Contest war immer mehr als nur ein Musikwettbewerb. Er war ein Symbol für ein vereintes Europa, für Vielfalt und Toleranz. Das widerspricht eigentlich allem, was der ESC in den 50, 60 Jahre zuvor gewesen ist. Die aktuelle Krise zeigt, wie fragil diese Ideale sind.

Für die deutsche LGBTQ+-Community und alle ESC-Fans bleibt zu hoffen, dass eine Lösung gefunden wird, die sowohl den humanitären Bedenken Rechnung trägt als auch den völkerverbindenden Charakter des Wettbewerbs bewahrt. Denn eines ist sicher: Ein Eurovision Song Contest ohne mehrere traditionsreiche Nationen wäre nur ein Schatten seiner selbst.

Die kommenden Monate werden zeigen, ob der Slogan „United by Music" noch Bestand hat oder ob der Wettbewerb 2026 zum Symbol einer gespaltenen europäischen Medienlandschaft wird. Für Deutschland und seine Fans steht dabei mehr auf dem Spiel als nur ein Platz beim größten Musikwettbewerb der Welt – es geht um die Frage, auf welcher Seite der Geschichte man stehen möchte.


Wenn Hass teuer wird: 9.000 Euro Strafe für queerfeindlichen Facebook-Kommentar

Ein 43-jähriger Hüttenwerker aus Duisburg muss nach einem queerfeindlichen Facebook-Kommentar eine empfindliche Geldstrafe zahlen. Das Landgericht Duisburg bestätigte am Mittwoch ein Urteil des Amtsgerichts und verurteilte den Mann zu 9.000 Euro Geldstrafe wegen Volksverhetzung – eine Entscheidung mit Signalwirkung für den Umgang mit Hassrede im Internet.

Der Fall: Wenn Unwissen auf Hass trifft

Der Angeklagte hatte im August 2023 ein Foto mit Dragqueens geteilt und dazu geschrieben: "Wenn so eine Missgeburt nur in der Nähe meiner Kinder kommt, hat er sein Recht auf Atmen verloren". Besonders pikant: Der Mann hat gar keine Kinder. Noch bemerkenswerter ist jedoch ein anderes Detail des Falls – weder der Angeklagte noch die Justiz bemerkten zunächst, dass es sich bei den abgebildeten Personen gar nicht um trans Menschen, sondern um Dragqueens handelte.

"Das Bild zeigt keine Transsexuellen. Das sind Varietékünstler", stellte der vorsitzende Richter am Landgericht klar. Diese Verwechslung zeigt ein grundlegendes Missverständnis: Travestie und Drag sind als Kunstformen klar abzugrenzen von Trans. Sie stellen reine Bühnentechniken, also Kunstformen, dar und sind unabhängig vom eigenen Geschlechtsbewusstsein. Dragqueens sind Personen, meist männlich, die Drag-Kleidung und Make-up verwenden, um weibliche Geschlechtsmerkmale zu imitieren und oft zu übertreiben – zu Unterhaltungszwecken. Menschen machen Drag aus verschiedenen Gründen, von Selbstausdruck bis zu Mainstream-Performance. Drag-Shows beinhalten häufig Lippensynchronisation, Live-Gesang und Tanz.

Volksverhetzung: Wenn Worte zur Waffe werden

Der Tatbestand der Volksverhetzung nach § 130 StGB ist erfüllt, wenn jemand in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert oder die Menschenwürde anderer dadurch angreift.

Die Staatsanwaltschaft hatte sogar eine härtere Strafe gefordert – sechs Monate Haft auf Bewährung. Als Begründung führte sie die Vorstrafen des Angeklagten und seine "menschenverachtende Gesinnung" an. Das Gericht blieb jedoch bei der Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 90 Euro.

Der Verteidiger des Angeklagten relativierte die Tat als "unbedachten Kommentar" und kritisierte die Höhe der Strafe. Doch das Gericht machte deutlich: Hassrede im Internet ist kein Kavaliersdelikt.

Deutschland im Kontext: Anstieg queerfeindlicher Gewalt

In Deutschland ist die Zahl queerfeindlicher Straftaten in den letzten Jahren stark gestiegen. 2023 wurden 1.785 solcher Straftaten verzeichnet – ein Anstieg um fast 50 % im Vergleich zum Vorjahr. Gut ein Drittel davon war politisch rechts motiviert. Der Bericht geht zudem von einer hohen Dunkelziffer aus. Die meisten Straftaten bilden Beleidigungen, Gewalttaten, Volksverhetzungen sowie Nötigungen und Bedrohungen.

Besonders besorgniserregend: Seit Juni 2024 geraten vermehrt Veranstaltungen der LSBTIQ-Bewegung in den Fokus insbesondere gewaltorientierter Rechtsextremisten. So kam es in den letzten Monaten wiederholt zu (versuchten) rechtsextremistischen Störaktionen von öffentlichen Veranstaltungen zum Christopher Street Day (CSD). Die Zahlen des Verfassungsschutzes zeigen eine alarmierende Entwicklung.

Internationale Perspektive: Wenn Prominente Hass schüren

Auch international sorgen queerfeindliche Äußerungen für Schlagzeilen. Der besonders auf den Britischen Inseln bekannte Serienschöpfer und Drehbuchautor Graham Linehan ("Father Ted", "The IT Crowd") wurde am Montag am Londoner Flughafen Heathrow wegen Aufwiegelung zu Hass und zu Gewalt vorläufig festgenommen. Anlass waren offenbar transfeindliche Äußerungen. In einem Tweet gab er einen Tipp, was man tun solle, wenn sich eine trans Frau in einem Frauen-Bereich aufhält: "Macht eine Szene, ruft die Polizei und wenn sonst nichts hilft, dann schlagt ihm in die Eier".

Die Festnahme löste eine heftige Debatte über Meinungsfreiheit aus. Unterstützer von Linehan sagen, britische Gesetze würden legitime Kommentare unterdrücken und schaffen, was "Harry Potter"-Autorin J.K. Rowling – wie Linehan eine Kritikerin von Trans-Aktivismus – "Totalitarismus" nannte. Auch Elon Musk meldete sich zu Wort und kritisierte die britischen Behörden.

Ein Urteil mit Signalwirkung

Das Duisburger Urteil sendet ein klares Signal: Hassrede hat Konsequenzen – auch und gerade im digitalen Raum. Die Verwechslung von Dragqueens mit trans Menschen zeigt zudem, wie wichtig Aufklärung ist. Denn Unwissenheit schützt nicht vor Strafe, wenn sie in Gewaltfantasien und Morddrohungen mündet.

Der Fall macht auch deutlich: Die Justiz nimmt queerfeindliche Volksverhetzung ernst. In einer Zeit, in der LSBTIQ-Veranstaltungen auch nach dem Ende des diesjährigen Pride Month verstärkt in den Fokus insbesondere gewaltorientierter rechtsextremistischer Akteure rücken und es bundesweit wiederholt zu rechtsextremistischen Störaktionen von öffentlichen CSD-Veranstaltungen kam, mit Teilnehmerzahlen bei den Protesten im dreistelligen Bereich, ist jedes Urteil gegen Hassrede ein wichtiges Zeichen für Toleranz und Menschenwürde.

9.000 Euro für einen Facebook-Kommentar – das mag manchen hoch erscheinen. Doch angesichts der realen Bedrohung, der queere Menschen täglich ausgesetzt sind, ist es ein angemessener Preis für den Versuch, mit Worten zu töten. Denn genau darum geht es bei Volksverhetzung: Um Worte, die den Boden für Taten bereiten.


Tragische Ironie: Charlie Kirk und der tödliche Preis der Waffenfreiheit

Der erschütternde Tod des rechten US-Aktivisten Charlie Kirk bei einer Veranstaltung in Utah wirft ein grelles Licht auf die tragische Ironie seiner eigenen Worte. Kirk wurde am Mittwoch, den 10. September 2025, während einer Veranstaltung an der Utah Valley University erschossen, wie PinkNews berichtet. Ein Verdächtiger wurde festgenommen, später aber wieder freigelassen, wie FBI-Direktor Kash Patel mitteilte.

Der verhängnisvolle Moment

Ein Zeuge berichtete, Kirk habe gerade begonnen, mit jemandem über Massenschießereien und Waffengewalt zu debattieren, als er erschossen wurde. Laut Videoaufnahmen kritisierte Kirk Sekunden vor dem Angriff trans Menschen und verbreitete die unbewiesene Behauptung, dass aus dieser Gruppe viele Amokläufer kämen. Als ein Zuschauer ihn fragte, wie viele trans Amerikaner in den vergangenen zehn Jahren Massenmorde begangen hätten, antwortete Kirk knapp: "Zu viele." Der Zuschauer erwiderte, die Zahl liege bei fünf, und fragte Kirk nach der Gesamtzahl der Amokläufer in Amerika. Sekunden später wurde der tödliche Schuss abgefeuert.

"Es ist es wert" - Kirks verhängnisvolle Worte

Die bittere Ironie seines Todes wird besonders deutlich, wenn man Kirks eigene Äußerungen zur Waffengewalt betrachtet. Im April 2023, nur eine Woche nachdem drei Kinder und drei Erwachsene an der Christian Covenant School in Nashville, Tennessee, getötet worden waren, sagte Kirk bei einer Turning Point USA Faith-Veranstaltung:

"Man wird niemals in einer Gesellschaft mit bewaffneten Bürgern leben, ohne dass es zu Todesfällen durch Schusswaffen kommt. Ich denke, es ist es wert, leider einige Todesfälle durch Schusswaffen jedes Jahr in Kauf zu nehmen, damit wir das zweite Verfassungszusatzrecht haben, um unsere anderen gottgegebenen Rechte zu schützen". Er nannte dies einen "vernünftigen Deal" und "rational".

Die erschreckende Realität der Waffengewalt in den USA

Kirks Tod reiht sich in eine lange Liste von Opfern der amerikanischen Waffenepidemie ein. Die Zahl der Schusswaffentoten in den USA sank zwar 2024 das dritte Mal in Folge, hatte aber 2021 ihren Höchststand erreicht. Im Jahr 2024 gab es 503 Massenschießereien in den USA, 2023 waren es sogar 656.

Der Vergleich mit Deutschland zeigt die erschreckenden Dimensionen: 2021 kamen in den USA 14,6 Personen pro 100.000 Einwohner durch eine Schusswaffe ums Leben. In Deutschland beträgt die Rate 1,2. Die USA sind mit 120 Schusswaffen pro 100 Einwohner mit großem Abstand das Land mit den meisten bewaffneten Privatpersonen. Es folgt das Bürgerkriegsland Jemen mit 53 Schusswaffen pro 100 Einwohner. In Deutschland liegt der Wert bei 20.

Die deutsche Perspektive: Ein anderer Weg

In Deutschland ist die Situation grundlegend anders. Deutschland hat traditionell ein sehr restriktives Waffenrecht. Die Beschaffung einer Waffe gestaltet sich schwieriger als in anderen Ländern wie den USA. Geregelt wird der Umgang mit Waffen und Munition vom Waffengesetz (WaffG). Laut Bundeskriminalamt ist die Waffenkriminalität in Deutschland im 5-Jahres-Vergleich zurückgegangen. Wurden 2018 über 40.000 Verstöße gegen das Waffengesetz registriert, waren es 2022 nur noch knapp 34.000.

Diese Unterschiede zeigen sich auch in der gesellschaftlichen Realität: Die Anzahl der durch Polizisten erschossenen Menschen in Deutschland ist wesentlich niedriger als in den USA und liegt jährlich im niedrigen zweistelligen oder gar einstelligen Bereich. Werden Schusswaffen bei Morden in Deutschland zu 12 % als Tatwerkzeug eingesetzt, steigt der Anteil in den USA auf 66 %.

LGBTQ+-Rechte und Waffengewalt: Eine gefährliche Verbindung

Kirk war nicht nur für seine extremen Ansichten zu Waffenrechten bekannt, sondern auch für seine anti-LGBTQ+ Rhetorik. Als Mitbegründer von Turning Point USA verbreitete er regelmäßig transfeindliche Verschwörungstheorien, wie die unbelegte Behauptung über trans Menschen als Amokläufer.

In Deutschland zeigt sich ein anderes Bild der LGBTQ+-Akzeptanz: Im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern hat sich in Deutschland die Unterstützung für die Rechte von LGBTQIA+ in den letzten Jahren nicht signifikant verschlechtert. Im April 2024 verabschiedete Deutschland ein wegweisendes Selbstbestimmungsgesetz, das Transgender und nicht-binären Menschen erlaubt, ihre rechtlichen Dokumente durch ein auf Selbstbestimmung basierendes Verwaltungsverfahren anzupassen.

Dennoch gibt es auch hierzulande Herausforderungen: Trans- und homofeindliche Straftaten nehmen in Deutschland zu. 2022 wurden 1.422 Straftaten gegen queere Menschen registriert, wobei von einer besonders hohen Dunkelziffer ausgegangen wird. Laut Bundeskriminalamt wurde 2023 fast jeden Tag eine Frau aufgrund ihres Geschlechts getötet. Die Zahl der Frauen, die von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet wurden, stieg im Vergleich zum Vorjahr um 16,5 Prozent.

Die bittere Lehre

Charlie Kirks Tod ist eine tragische Bestätigung der Gefahr, die er selbst als akzeptablen Preis für Waffenfreiheit bezeichnete. Wie ein Kommentator anmerkte, war Kirk nicht dafür bekannt, nach tragischen Gewalttaten zu früh über Schuld zu sprechen. In seinen Augen waren Menschen, die durch Waffen getötet wurden, Märtyrer für die konservative Interpretation des zweiten Verfassungszusatzes.

Die deutsche Erfahrung zeigt, dass es einen anderen Weg gibt - einen Weg, der sowohl Sicherheit als auch Freiheit respektiert. Die Bundesregierung wendet sich gegen jede Benachteiligung aufgrund sexueller Orientierung und setzt sich konsequent gegen die Diskriminierung von LGBTIQ-Personen ein, während gleichzeitig strikte Waffengesetze für Sicherheit sorgen.

Kirks Tod sollte uns alle daran erinnern, dass die von ihm propagierte Akzeptanz von Waffengewalt als "Preis der Freiheit" letztendlich jeden treffen kann - auch diejenigen, die diese gefährliche Philosophie am lautesten vertreten. Es ist eine bittere Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet er selbst zum Opfer der Gewalt wurde, die er als notwendiges Übel bezeichnete.

In einer Zeit, in der sowohl in den USA als auch in Deutschland die Polarisierung zunimmt und Gewalt gegen Minderheiten steigt, müssen wir uns fragen: Welchen Preis sind wir wirklich bereit zu zahlen? Die Antwort darauf sollte niemals Menschenleben sein - weder von LGBTQ+-Personen noch von politischen Aktivisten, egal welcher Couleur.


Der Fall Mandelson: Wenn politische Skandale die Mauern der Macht erschüttern

Der britische Premierminister Keir Starmer hat seinen erst im Februar ernannten Botschafter in den USA, Peter Mandelson, nach nur sieben Monaten im Amt entlassen. Wie queer.de berichtete, wurden neue Details über Mandelsons Beziehung zum verurteilten Sexualstraftäter Jeffrey Epstein bekannt, die zeigten, dass "die Tiefe und das Ausmaß" der Beziehung des Ex-Botschafters zu Epstein "materiell anders waren als zum Zeitpunkt seiner Ernennung bekannt".

Ein Skandal mit vielen Ebenen

Was als peinliche Geburtstagsnotiz begann, entwickelte sich zu einem politischen Erdbeben. US-Gesetzgeber veröffentlichten am Montag ein "Geburtstagsbuch", in dem Mandelson in einer handschriftlichen Notiz Epstein als "meinen besten Kumpel" beschrieb. Doch das war nur die Spitze des Eisbergs. Am Tag bevor Jeffrey Epstein sich im Juni 2008 in einem Gefängnis in Florida meldete, um seine Strafe für die Anwerbung von Sex mit einer Minderjährigen anzutreten, erhielt er eine empörte Nachricht von einem Freund, der über die Ungerechtigkeit des Ganzen entsetzt war. "Ich denke die Welt von dir und ich fühle mich hilflos und wütend über das, was passiert ist", schrieb Peter Mandelson. "Ich kann es immer noch kaum verstehen. Es könnte in Großbritannien einfach nicht passieren."

Noch brisanter: Der langjährige Politiker und Diplomat gab Epstein Ratschläge und schlug vor, er solle mit Techniken aus Sun Tzus Kunst des Krieges zurückschlagen. Diese E-Mails zeigen ein Ausmaß der Unterstützung, das weit über eine oberflächliche Bekanntschaft hinausgeht.

Persönliche Tragödie eines politischen Pioniers

Die Entlassung Mandelsons ist nicht nur ein politischer Skandal – sie ist auch die persönliche Tragödie eines Mannes, der jahrzehntelang gegen Homophobie kämpfte. Seit März 1998 lebte er in London mit Reinaldo Avila da Silva, einem brasilianischen Übersetzer, zusammen und heiratete seinen Partner am 28. Oktober 2023. Während er für die Times schrieb, reflektierte Mandelson darüber, wie die Ehe ihm "emotionalen Komfort und Stärke" brachte und diskutierte die Herausforderungen, als schwuler Mann in einem hochkarätigen politischen Umfeld offen zu leben. Er erzählte, wie seine Sexualität von politischen Rivalen und Medien "als Waffe eingesetzt" worden war, einschließlich einer berüchtigten Geschichte auf der Titelseite der News of the World von 1987, die ihn als "Labours schwulen Wahlkampfleiter" bezeichnete.

In einem Interview mit The Sun machte Mandelson eine bemerkenswerte Aussage: "Vielleicht wurde ich als schwuler Mann für Epsteins kriminelles Verhalten blind". Diese Selbstreflexion wirft wichtige Fragen über Vertrauen, Manipulation und die besondere Verletzlichkeit von Menschen auf, die lange Zeit marginalisiert wurden.

New Labour und die deutsche SPD: Parallelen der Modernisierung

Mandelson war einer der Hauptarchitekten von "New Labour" – jener Transformation der britischen Arbeiterpartei, die in den 1990er Jahren zum Wahlerfolg führte. New Labour war die Vorlage für die "neue Mitte". 1997 machte Tony Blair in Großbritannien vor, was Gerhard Schröder ein Jahr später in Deutschland wiederholte. Blair verpasste seiner abgestandenen Gewerkschaftspartei ein neues Image und verkündete mit "New Labour" gleich noch die Geburt von "New Britain".

Der deutsche Blair hieß Gerhard Schröder und wie sein britischer Bruder im Geiste machte auch er aus der altehrwürdigen SPD eine neoliberale Klientelpartei, die radikal mit den sozialdemokratischen Wurzeln brach. Beide Parteien zahlten einen hohen Preis für diese Modernisierung: Weder Blair noch Schröder wurden zu Parteiikonen, da war zu viel Hartz IV oder Irakkriegsunterstützung, zu viel Bewunderung für zweifelhafte Potentaten. Wie die SPD ist auch Labour zielsicher unter der 30-Prozent-Marke angekommen.

Die Situation von LGBTQ+ Menschen heute

Während in Deutschland die rechtliche Gleichstellung voranschreitet – im Ranking aller 49 europäischen Länder liegt Deutschland mit 66 Prozent auf Platz 10 – zeigt sich ein beunruhigendes Paradox: Im Jahr 2023 wurden insgesamt 17.007 Fälle von Hasskriminalität im Kriminalpolizeilichen Meldedienst erfasst. Davon richteten sich 1.785 Straftaten gegen LSBTIQ* Personen. Während Deutschlands LGBTQ+-Bevölkerung in fünf Jahren um etwa 50% wuchs, stiegen die Hassverbrechen allein in einem Jahr um 50%. Seit 2013, als nur 50 Angriffe registriert wurden, beträgt der Anstieg fast das 30-fache.

Diese Zahlen zeigen: Rechtliche Fortschritte allein garantieren keine Sicherheit. Anders als in Deutschland, wo die Akzeptanz in den letzten Jahren stabil geblieben oder in manchen Bereichen sogar gestiegen ist, geraten queere Menschen weltweit immer stärker unter Druck. Besonders besorgniserregend ist der gravierende Unterschied zwischen jungen Frauen und Männern bei der Generation Z: Während die Akzeptanz und Offenheit gegenüber queeren Menschen bei jungen Frauen stetig zunimmt, werden Rechte und Initiativen für die LGBTQIA+ Community von jungen Männern deutlich seltener befürwortet.

Lehren aus einem Skandal

Der Fall Mandelson ist mehr als nur ein weiterer Politiker-Skandal. Er zeigt die Verwundbarkeit von Menschen, die jahrzehntelang gegen Diskriminierung kämpfen mussten und vielleicht gerade deshalb anfällig für manipulative Beziehungen werden können. Mandelson selbst reflektierte: "Ich fühle ein enormes Gefühl, ein tiefes Gefühl der Sympathie für jene Menschen, jene Frauen, die als Folge seines Verhaltens und seiner illegalen, kriminellen Aktivitäten gelitten haben".

Für die deutsche Politik und die LGBTQ+-Community gibt es wichtige Lehren: Transparenz und Rechenschaftspflicht gelten für alle, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung oder ihrem Kampf gegen Diskriminierung. Gleichzeitig darf der Fall Mandelson nicht instrumentalisiert werden, um homophobe Ressentiments zu schüren.

Die Geschichte zeigt auch, wie wichtig es ist, dass politische Parteien – ob Labour in Großbritannien oder die SPD in Deutschland – ihre Wurzeln nicht vergessen. Die Modernisierung unter Blair und Schröder mag kurzfristige Wahlerfolge gebracht haben, aber der Preis war hoch: Der Verlust der Glaubwürdigkeit und die Entfremdung von der eigenen Basis.

Peter Mandelsons Sturz ist eine Mahnung: Macht korrumpiert, und niemand ist immun gegen die Versuchungen und Fallen, die sie mit sich bringt. Für die LGBTQ+-Community bleibt die Herausforderung, Fortschritte zu verteidigen und gleichzeitig wachsam gegenüber jenen zu bleiben, die diese Fortschritte für eigene Zwecke missbrauchen könnten.


Frankreichs neuer Premier gegen Ehe für alle: Ein Schritt zurück für LGBTQ+ Rechte – was bedeutet das für Deutschland?

Die Ernennung von Sébastien Lecornu zum neuen französischen Premierminister durch Emmanuel Macron wirft ernste Fragen über die Zukunft der LGBTQ+-Rechte in Frankreich auf. Wie PinkNews berichtet, hatte sich der 39-Jährige 2012 als Bürgermeisterkandidat gegen die gleichgeschlechtliche Ehe ausgesprochen und erklärt, dass "gay communitarianism frustrates [him] as much as homophobia", sowie dass "marriage is the basis for building a family in our societies. And a family is built between a man and a woman."

Ein historischer Rückblick: Frankreichs Kampf um die "Ehe für alle"

Die Kontroverse um Lecornus Aussagen wiegt besonders schwer, wenn man bedenkt, dass Frankreich 2013 die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare öffnete. Damals führte die sozialistische Regierung unter François Hollande trotz massiver Proteste die "mariage pour tous" ein. Mit einer klaren Mehrheit von 329 zu 229 Stimmen wurde das Gesetz zur gleichgeschlechtlichen Ehe und das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare in der Nationalversammlung angenommen.

Die Debatten waren hitzig: Die Organisation "La Manif pour tous" war für die meisten Anti-LGBTQ-Demonstrationen verantwortlich, die zwischen 2012 und 2013 stattfanden. Im März 2013 demonstrierten sogar 1,4 Millionen Menschen in Paris gegen den Gesetzentwurf. Lecornu gehörte damals zu den Gegnern dieser historischen Reform.

Deutschland als Vorbild? Die aktuelle Lage der LGBTQ+-Community

Während Frankreich mit der Ernennung eines Premiers, der sich gegen Gleichstellung aussprach, einen symbolischen Rückschritt macht, zeigt sich Deutschland in Umfragen deutlich progressiver. In Deutschland herrscht nach wie vor breiter Konsens darüber, dass sexuelle Minderheiten gleiche Rechte haben sollten und vor Benachteiligungen geschützt werden müssen.

Laut einer aktuellen Ipsos-Studie zum Pride Month 2025 bleibt die Akzeptanz hoch: 73 Prozent der Deutschen sind der Meinung, dass lesbische, schwule oder bisexuelle Menschen vor Diskriminierung geschützt werden sollten. Bei trans* Personen stimmen sieben von zehn Befragten (70 %) der Aussage zu. Dies steht in starkem Kontrast zu der weltweiten Entwicklung, wo sich die Lage für LGBTQIA+ Personen in den letzten Jahren signifikant verschlechtert hat.

Politische Realitäten: Was bedeutet Lecornus Ernennung?

Die Reaktionen auf Lecornus Ernennung waren heftig. Mathilde Panot von La France Insoumise kritisierte, dass er "lors du mariage pour tous, disait qu'il était exaspéré par le communautarisme gay". Marine Tondelier von den Grünen bezeichnete den neuen Premierminister sogar als "homophobe".

Besonders brisant: 2015 sprach sich Lecornu gegen Leihmutterschaft und medizinisch unterstützte Fortpflanzung aus, bevor er 2019 eine scheinbar widersprüchliche Meinung äußerte. Diese Kehrtwende wirft Fragen über seine tatsächlichen Überzeugungen auf.

Die deutsche Perspektive: Lehren für die Bundestagswahl 2025

Mit Blick auf die Bundestagswahl 2025 zeigt sich: Die deutsche LGBTQ+-Community ist politisch hochaktiv. Eine aktuelle Studie der Universität Gießen zeigt, dass LGBTQ*-Wähler*innen eine klare Präferenz für Bündnis90/Die Grünen haben. Auch Die Linke kann erfolgreich 24,9% der befragten LGBTQ* überzeugen.

Die Prioritäten sind klar: Die wichtigsten Themen mit explizitem LGBTIQ*-Bezug sind Homofeindlichkeit (84,6%), Diskriminierung (81%) sowie LGBTIQ*-Rechte (80%). Diese Zahlen zeigen, dass trotz der im internationalen Vergleich hohen Akzeptanz in Deutschland weiterhin Handlungsbedarf besteht.

Ein Weckruf für Europa

Die Ernennung Lecornus ist mehr als nur eine französische Angelegenheit – sie ist ein Warnsignal für ganz Europa. Während in den ersten zehn Jahren seit Einführung der Ehe für alle in Frankreich 70.000 gleichgeschlechtliche Ehen geschlossen wurden und ihr Anteil Anfang der 2020er Jahre bei etwa 3% aller Eheschließungen lag, zeigt die aktuelle politische Entwicklung, dass erkämpfte Rechte nicht als selbstverständlich angesehen werden können.

Für Deutschland bedeutet dies: Die Bundesregierung muss national und international klar machen: Wir stehen für Gleichberechtigung und dulden weder Gewalt noch Diskriminierung. Gerade in Zeiten, in denen auch in Deutschland Straftaten – bis hin zu Morden – gegen Frauen und LGBTI+ zunehmen, ist ein klares Bekenntnis zur Gleichstellung unerlässlich.

Die französische Entwicklung sollte uns daran erinnern, dass der Kampf für LGBTQ+-Rechte niemals endet. Was einmal erreicht wurde, kann wieder verloren gehen – besonders wenn diejenigen an die Macht kommen, die sich in der Vergangenheit gegen Gleichberechtigung ausgesprochen haben. Deutschland muss aus dieser Entwicklung lernen und sicherstellen, dass die hart erkämpften Rechte der LGBTQ+-Community nicht nur bewahrt, sondern weiter ausgebaut werden.


Shakespeare und die queere Liebe: Was neue Funde über den Dichter verraten

Ein kürzlich entdecktes Miniaturporträt wirft neues Licht auf die möglicherweise queere Identität William Shakespeares. Wie queer.de berichtet, haben die Kunsthistorikerinnen Elizabeth Goldring und Emma Rutherford ein bisher unbekanntes Gemälde vorgestellt, das vermutlich Henry Wriothesley zeigt – einen engen Freund und Förderer Shakespeares, der als möglicher "Fair Youth" in den berühmten Sonetten gilt.

Ein geheimnisvolles Porträt mit symbolischer Botschaft

Das Miniaturporträt aus dem späten 16. Jahrhundert zeigt einen auffallend androgyn wirkenden jungen Mann mit langen Locken und betont femininen Zügen. Henry Wriothesley, 3rd Earl of Southampton und William Herbert, 3rd Earl of Pembroke, sind beide populäre Kandidaten für die Identität des "Fair Youth", beide wurden in ihrer Jugend als gutaussehend beschrieben. Besonders bemerkenswert ist die Rückseite des Porträts: Ein rotes Herz wird von einem schwarzen Pik übermalt – möglicherweise ein Symbol für ein "gebrochenes Herz". Das Speer-Motiv könnte zudem auf Shakespeares Familienwappen verweisen.

Die Forscherinnen vermuten, dass das Porträt ein Geschenk des jungen Grafen an Shakespeare war, das dieser jedoch zurückgab – möglicherweise nach seiner Heirat mit Anne Hathaway. Diese Interpretation fügt sich in eine lange Reihe von Hinweisen auf Shakespeares mögliche Bisexualität ein.

Die Sonette als Liebesbeweis?

126 der Sonette scheinen Liebesgedichte an einen jungen Mann zu sein, bekannt als der "Fair Lord" oder "Fair Youth", und es gibt zahlreiche Passagen in den an den Fair Lord gerichteten Sonetten, die Verlangen nach einem jüngeren Mann ausdrücken. Der renommierte Shakespeareforscher Sir Stanley Wells erklärte 2020, dass der Dichter "ohne Zweifel" bisexuell gewesen sei wegen "der Sprache der Sexualität in einigen dieser Sonette, die mit Sicherheit an Männer gerichtet sind".

Interessanterweise war Shakespeare 34 Jahre lang mit Anne Hathaway verheiratet und hatte drei Kinder mit ihr. Wells betonte: "Seit den Achtzigerjahren ist es in Mode gekommen zu denken, dass Shakespeare schwul war. Aber er war verheiratet und hatte Kinder". Dies deutet auf eine mögliche Bisexualität hin, statt auf ausschließliche Homosexualität.

Shakespeares queere Charaktere und die historische Perspektive

Shakespeares Kultur und Gesellschaft machten tatsächlich viel mehr Raum für die Artikulation gleichgeschlechtlichen Verlangens, als wir vielleicht erwarten würden. Seine Werke sind durchzogen von homoerotischen Anspielungen und geschlechtsüberschreitenden Charakteren. Twelfth Night bietet Shakespeares komplexesten Ansatz zu den Themen Geschlecht und sexuelles Verlangen. Die Hauptfigur, eine junge Frau namens Viola, verkleidet sich als Mann namens "Cesario" – ihr gewählter Name kann als Referenz auf die angebliche Bisexualität von Julius Caesar gelesen werden.

Historiker sind der Ansicht, dass Menschen der frühen Neuzeit sich nicht als schwul oder hetero verstanden haben. Das weit verbreitete Teilen von Betten zwischen Personen gleichen Geschlechts, der hohe Wert gleichgeschlechtlicher Freundschaft und eine generell unprüde Haltung zu körperlichen Funktionen schufen ein Umfeld, in dem homosexuelle Handlungen, obwohl technisch illegal, praktisch unreportiert und unbestraft blieben. Missbilligung drohte natürlich, ebenso wie Feindseligkeit der Kirche, aber die üblichere Reaktion auf gleichgeschlechtliche Intimität war ein weltliches Schulterzucken, solange es nicht die starren Geschlechterrollen der Gesellschaft herausforderte.

Deutsche Parallelen: Queere Geschichte als Teil unserer Kultur

Die Debatte um Shakespeares Sexualität findet auch in Deutschland ihre Entsprechung. In der deutschen Geschichtsschreibung kommen queere Aspekte nach wie vor allenfalls am Rande vor. Und das ist ein Problem, weil man deutsche Geschichte in ihrer vollen Komplexität nur begreifen kann, wenn man sie auch aus queerer Perspektive betrachtet.

Besonders interessant ist die historische Parallele zu Deutschland: Während der Karolingischen Renaissance gab es einige Werke vielschichtiger homoerotischer Dichtung. Der Abt Alkuin von York schrieb Liebesgedichte an andere Mönche. Es gibt kein karolingisches Gesetz, das die gleichgeschlechtliche Sexualität unter Strafe stellt. Dies zeigt, dass queere Liebe schon immer Teil der europäischen Kulturgeschichte war – lange bevor moderne Begriffe wie "schwul" oder "bisexuell" existierten.

Die deutsche LGBTQ+-Geschichte hat eine lange und komplexe Tradition. Die Geschichte der queeren Community ist – mit Blick auf das vergangene Jahrhundert – sicherlich nicht die leichteste. Sie lässt nicht immer daran glauben, dass es gut wird oder besser, aber wir wissen: Es gibt uns. Es ist erstaunlich, wie Queers gegen alle Widrigkeiten für sich einstehen. Genauso erstaunlich ist es, dass eine Gesellschaft, die Jahrhunderte der Unterdrückung beerbt und queere Geschichte verdrängt, denkt, dass Liebe gleich Liebe wäre.

Die Bedeutung für heute

Die möglicherweise queere Identität Shakespeares hat bereits konkrete Auswirkungen in queerfeindlichen Regionen der Welt. In Florida wurde aufgrund des "Don't say gay"-Gesetzes der Zugang zu Shakespeares Werken in Schulen eingeschränkt. Im Schulbezirk Hillsborough County, der auch die Großstadt Tampa umfasst, dürfen deshalb fortan keine kompletten Werke von William Shakespeare mehr an Schulen gelesen werden. Lediglich Auszüge seien erlaubt. Künftig sei es nur noch erlaubt, bestimmte Auszüge aus Shakespeare-Stücken wie "Ein Sommernachtstraum" oder "Romeo und Julia" im Unterricht zu lesen.

Will Tosh argumentiert, dass Shakespeare "künstlerisch besessen von queerem Verlangen war und seine Stücke und Gedichte mit einer homoerotischen Dynamik durchzog, die eindeutig ein befriedigendes Publikum fand." Diese Erkenntnis macht Shakespeare nicht nur zu einem der größten Dichter der Weltliteratur, sondern auch zu einem wichtigen Teil der queeren Kulturgeschichte.

Die neue Entdeckung des Miniaturporträts fügt sich in ein größeres Bild ein: Shakespeare war ein Mensch seiner Zeit, aber auch ein Künstler, der die Grenzen der Liebe und des Begehrens in all ihren Formen erforschte. Shakespeares Sonette transzendieren die Grenzen von Unterteilungen menschlicher Erfahrung, um die wahre Essenz menschlicher Liebe einzufangen. Seine Werke sprechen auch heute noch zu uns – unabhängig davon, wie wir lieben oder wen wir lieben.


Niederlande verbieten Konversionstherapie – während Deutschland auf weiteren Fortschritt wartet

Das niederländische Parlament hat am 9. September einen historischen Schritt für die LGBTQ+-Rechte vollzogen und sogenannte "Konversionstherapien" verboten. Diese Entscheidung kommt nach jahrelangen Kämpfen der queeren Community und macht die Niederlande zu einem der wenigen Länder weltweit mit einem solchen Schutzgesetz. Wie PinkNews berichtet, wurde das Gesetz nach intensiven Verhandlungen verabschiedet.

Was sind Konversionstherapien?

Konversionstherapien umfassen verschiedene physisch, emotional und psychologisch missbräuchliche Methoden, die darauf abzielen, die sexuelle Orientierung oder die selbstempfundene geschlechtliche Identität einer Person gezielt zu verändern oder zu unterdrücken. Diese Praktiken reichen von erzwungenen Gebeten über psychische Manipulation bis hin zu körperlicher Gewalt und sogenannter "korrigierender Vergewaltigung".

Wissenschaftlich ist belegt, dass keine der bekannten Studien eine dauerhafte Veränderung der sexuellen Orientierung nachweisen kann. Stattdessen sind schwerwiegende gesundheitliche Schäden durch solche "Therapien" wie Depressionen, Angsterkrankungen, Verlust sexueller Gefühle und ein erhöhtes Suizidrisiko nachgewiesen.

Der niederländische Kompromiss

Die Verabschiedung des Gesetzes in den Niederlanden war kein einfacher Prozess. Laut einer Umfrage von 2024 sind rund vier von fünf Bürgern sowie auch eine Mehrheit der Parlamentarier für ein Verbot, dennoch gab es erheblichen Widerstand von christlich-konservativen Parteien.

Der finale Gesetzentwurf stellt einen Kompromiss dar: Nur "systematische" und "intrusive" Versuche, die sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität zu ändern, werden unter Strafe gestellt. Einfache Gespräche zwischen religiösen Führern und Gläubigen über diese Themen bleiben straffrei. Diese Einschränkung war notwendig, um die Unterstützung der New Social Contract, Christian Democrats und Farmer-Citizen Movement Parteien zu gewinnen.

Die sozial-liberale Abgeordnete Wieke Paulusma betonte nach der Abstimmung: "Liebe muss niemals geheilt werden. Dieses Gesetz schützt verletzliche Menschen vor schädlichen Praktiken, die ihre Gesundheit und Sicherheit gefährden."

Deutschland als Vorreiter – mit Einschränkungen

Deutschland hat bereits am 12. Juni 2020 das "Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen" verabschiedet und war damit eines der ersten Länder in Europa mit einem solchen Verbot. Das Gesetz trat am 24. Juni 2020 in Kraft.

Das deutsche Gesetz verbietet Konversionstherapien an Minderjährigen und an Volljährigen, die nicht wirksam eingewilligt haben. Verstöße werden mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder einem hohen Bußgeld geahndet. Zusätzlich ist auch die Bewerbung solcher Praktiken strafbar.

Der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn erklärte: "Homosexualität ist keine Krankheit. Daher ist schon der Begriff Therapie irreführend. Wir wollen sogenannte Konversionstherapien soweit wie möglich verbieten. Wo sie durchgeführt werden, entsteht oft schweres körperliches und seelisches Leid. Diese angebliche Therapie macht krank und nicht gesund."

Ein wichtiger Bestandteil des deutschen Gesetzes ist auch ein Beratungsangebot der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) für alle betroffenen Personen, Angehörige und Personen, die sich beruflich mit dem Thema befassen. Die Beratung erfolgt kostenfrei, mehrsprachig und anonym als Telefon- und Onlineberatung.

Das erschreckende Ausmaß des Problems

Die Zahlen sind alarmierend: Laut einer Studie des niederländischen Gesundheitsministeriums von 2022 haben rund ein Drittel aller LGBTIQ+-Menschen im Land bereits eine Konversionstherapie durchleben müssen. Die Opfer berichteten dabei von Elektroschocks, Eisbädern und stundenlangen, erzwungenen Gebeten.

In Deutschland wird geschätzt, dass etwa 1.000 Menschen pro Jahr an einer Konversionstherapie teilnehmen. Eine neue Studie von Stonewall UK zeigt, dass auch im Vereinigten Königreich 31 Prozent der befragten LGBTQ+-Personen mindestens einen Versuch erlebt haben, ihre Geschlechtsidentität oder sexuelle Orientierung zu ändern.

Internationale Entwicklungen und der Stand in Europa

Derzeit haben Belgien, Zypern, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Malta, Portugal und Spanien diese Praktiken verboten. Andere EU-Mitgliedstaaten wie Österreich, Irland, die Niederlande und Polen planen dies ebenfalls – wobei die Niederlande nun diesen Schritt vollzogen haben.

Weltweit haben 14 Länder irgendeine Form eines nationalen Verbots von Konversionspraktiken eingeführt. Brasilien führte 1999 als erstes Land der Welt ein Verbot ein, das 2018 erweitert wurde, um auch die Geschlechtsidentität einzuschließen.

Eine Europäische Bürgerinitiative hat über 1 Million Unterschriften gesammelt, die ein EU-weites Verbot schädlicher "Konversionstherapien" fordern. Dies setzt die Europäische Kommission unter Druck, entsprechende Gesetzesvorschläge zu erarbeiten.

Das Versagen des Vereinigten Königreichs

Besonders bitter ist die Situation im Vereinigten Königreich. Trotz wiederholter Versprechen seit 2018 – von Theresa May über Boris Johnson bis zu Rishi Sunak – wurde ein umfassendes Verbot nie umgesetzt. Das Vereinigte Königreich ist in den ILGA Europe-Rankings für LGBTQ+-Rechte in nur wenigen Jahren von Platz 1 auf Platz 17 abgerutscht.

Die neue Labour-Regierung unter Keir Starmer hat im Juli 2024 in der King's Speech ein erneutes Engagement zur Veröffentlichung eines Gesetzesentwurfs zum Verbot von Konversionspraktiken angekündigt. Aktivist:innen bleiben jedoch skeptisch, ob dieses Versprechen diesmal eingehalten wird.

Der Weg nach vorn für Deutschland

Während Deutschland mit seinem Gesetz von 2020 einen wichtigen Schritt gemacht hat, gibt es weiterhin Diskussionen über mögliche Schutzlücken. Der Bundesrat hat unterstrichen, dass insbesondere junge Menschen umfassend vor sogenannten Konversionstherapien zu schützen sind und die Bundesregierung etwaige Schutzlücken umgehend schließen muss.

Die Entwicklung in den Niederlanden zeigt, dass der Kampf gegen Konversionstherapien ein kontinuierlicher Prozess ist. Seit über einem Jahrzehnt kämpfen queere Vereine im Land gegen die Umpolungs-Angebote, die zumeist von christlichen Vereinen angeboten werden.

Myrtille Danse, Vorsitzende von COC Nederland, richtete nach der Abstimmung eine kraftvolle Botschaft an die LGBTQ+-Community: "Du bist perfekt, so wie du bist; lass dir niemals etwas anderes einreden."

Ein globaler Kampf für Menschenrechte

Der Schutz vor Konversionstherapien ist ein fundamentales Menschenrecht. Die Vereinten Nationen haben die Behandlungen eindeutig bereits vor geraumer Zeit als Folter deklariert. Die wissenschaftliche Evidenz ist eindeutig: Diese Praktiken sind nicht nur unwirksam, sondern verursachen schwere und dauerhafte Schäden.

Die Fortschritte in den Niederlanden sind ein wichtiges Signal, aber der Kampf ist noch lange nicht vorbei. In den meisten Ländern der Welt sind diese schädlichen Praktiken weiterhin legal. Jeder Tag ohne umfassende Verbote bedeutet, dass LGBTQ+-Menschen weiterhin der Gefahr von lebenslangen Traumata ausgesetzt sind.

Deutschland hat mit seinem Gesetz von 2020 eine Vorreiterrolle übernommen, muss aber wachsam bleiben und sicherstellen, dass der Schutz lückenlos ist. Die internationale Gemeinschaft muss zusammenarbeiten, um diese menschenverachtenden Praktiken weltweit zu beenden und die Würde und Rechte aller LGBTQ+-Menschen zu schützen.


Wenn Dating zur Falle wird: Der brutale Überfall von Bochum und Deutschlands wachsende Gewalt gegen queere Menschen

Das Bochumer Landgericht hat am Montag ein deutliches Zeichen gegen homophobe Gewalt gesetzt. Fünf Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren wurden für einen brutalen Überfall auf einen 60-jährigen schwulen Mann verurteilt, den sie über eine Dating-App in eine Falle gelockt hatten. Der Fall wirft ein grelles Licht auf ein wachsendes Problem: Die systematische Jagd auf queere Menschen im digitalen Zeitalter.

Ein perfides Verbrechen mit System

Was am 6. Februar 2024 im Bochumer Westpark geschah, war kein spontaner Gewaltausbruch, sondern ein minutiös geplanter Angriff. Das Opfer war von einem der Angeklagten über eine Dating-App kontaktiert worden. Er bot dem Mann einen sexuellen Kontakt am Westpark an. Statt des erwarteten Dates fand der 60-Jährige eine Gruppe von fünf Jugendlichen vor, die ihn ohne Vorwarnung attackierten.

Die Brutalität des Angriffs ist erschütternd: Sie schlugen laut Aussagen ohne Vorwarnung auf ihn ein und beschimpften ihn als "schwule Sau". Der Haupttäter hielt dem 60-Jährigen auch ein Messer an den Hals und drohte, ihn "abzustechen". Darauf traten die Jugendlichen auf das am Boden liegende Opfer ein. Der Mann erlitt eine Gehirnerschütterung, schwere Prellungen im Gesicht und zwei gebrochene Rippen. Er verbrachte zwei Tage im Krankenhaus und war sechs Wochen arbeitsunfähig – alles für zwei erbeutete Schlüsselbunde.

Das Urteil: Ein Signal gegen Hass

Das Gericht sprach eine deutliche Sprache. Der 18-jährige Haupttäter erhielt wegen besonders schweren Raubes und gefährlicher Körperverletzung eine Jugendstrafe von vier Jahren und neun Monaten. Laut Gericht lägen bei ihm "homophobe Tendenzen" und eine "deutliche Verrohung" vor. Ein weiterer 18-Jähriger wurde zu zwei Jahren und drei Monaten verurteilt, die anderen Angeklagten erhielten Dauerarrest und Sozialstunden.

Diese Urteile sind wichtig, denn sie zeigen: Homophobe Gewalt wird nicht toleriert. Doch sie sind nur ein kleiner Baustein in einem viel größeren Problem.

Ein deutschlandweites Phänomen

Der Fall in Bochum ist kein Einzelfall. Der "Lagebericht zur kriminalitätsbezogenen Sicherheit von LSBTIQ*" verzeichnet für das Jahr 2023 1.785 Straftaten gegen LSBTIQ* Personen (im Jahr 2022: 1.188). Zu den häufigsten Straftaten zählten dabei Beleidigungen, Gewalttaten, Volksverhetzungen sowie Nötigungen und Bedrohungen. Bei den Gewalttaten wurden 212 Opfer (im Jahr 2022: 197) festgestellt. Der Bericht stellt zudem fest, dass sich die Zahl der Straftaten im Bereich „Sexuelle Orientierung" und „Geschlechtsbezogene Diversität" seit 2010 nahezu verzehnfacht hat.

Was diese Zahlen besonders alarmierend macht: Zudem müssen wir von einer hohen Dunkelziffer ausgehen, viele Betroffene zeigen Straftaten nicht an. Die tatsächliche Dimension der Gewalt gegen queere Menschen in Deutschland ist vermutlich noch deutlich höher.

Dating-Apps als Jagdrevier

Besonders perfide ist die Methode, mit der die Täter ihre Opfer in die Falle locken. Dating-Apps wie Grindr, Romeo oder Tinder, die eigentlich sichere Räume für queere Menschen sein sollten, werden zu Jagdrevieren für Gewalttäter. Das Opfer hatte sich zunächst über eine Dating-App mit einer fremden Person verabredet. Als der 62-Jährige kurz vor Mitternacht am Treffpunkt in der Thüringer Straße im Stadtteil Marxheim eintraf, erwartete ihn jedoch eine vier- bis fünfköpfige Personengruppe, die ihn sofort angriff und auf ihn einschlug und trat. – dieser Fall aus Hofheim am Taunus zeigt, dass das Bochumer Verbrechen Teil eines größeren Musters ist.

In Hamburg wurden im Juli zwei Männer festgenommen, die einen 38-Jährigen über eine Dating-App getroffen und mit einer Machete bedroht und ausgeraubt hatten. Auch hier war Homosexuellenfeindlichkeit das Motiv. Die österreichische Polizei führte im März eine bundesweite Razzia gegen die sogenannte "Pädo-Hunter-Szene" durch, die gezielt Jagd auf Homosexuelle macht.

Sicherheit beim Dating: Was können Betroffene tun?

Der LSVD hat wichtige Sicherheitstipps für queeres Dating zusammengestellt. Triff dich beim ersten Mal nicht bei dir oder bei der Person, sondern an einem öffentlichen Ort (Café, Park oder Bar). Keine abgelegenen Orte (Wälder, Parkplätze oder verlassene Gebäude) beim ersten Treffen – besonders nachts. Außerdem sollte man immer einer vertrauten Person Bescheid geben, mit wem man sich wo trifft.

Wenn etwas "komisch" wirkt – Profil, Verhalten, Gespräch – nimm Abstand. Zwing dich nicht zu einem Treffen, nur weil du schon verabredet bist. Diese Vorsichtsmaßnahmen können Leben retten, doch sie lösen nicht das grundlegende Problem: Queere Menschen sollten sich nicht verstecken oder in Angst leben müssen.

Die Rolle der Dating-App-Betreiber

Auch die Betreiber von Dating-Apps stehen in der Verantwortung. Der Dating-App-Anbieter Match Group unternimmt zu wenig, um die Sicherheit seiner Nutzerinnen und Nutzer zu garantieren. Das kritisieren mehrere Medien in einer gemeinsamen Recherche. Selbst wenn Nutzer wegen Übergriffen bei Treffen gemeldet werden, können sie ihren Account demnach häufig behalten. Werden sie doch gesperrt, können sie sich meist mit denselben Daten neu anmelden.

Diese Nachlässigkeit ermöglicht es Tätern, immer wieder neue Opfer zu finden. Die Plattformen müssen endlich ihrer Verantwortung gerecht werden und wirksame Schutzmechanismen implementieren.

Politische Maßnahmen: Viel versprochen, wenig umgesetzt

Die Politik hat das Problem erkannt. Die Prävention und Bekämpfung von Hasskriminalität wird auch ein Thema in dem im Koalitionsvertrag vereinbarten ressortübergreifenden Aktionsplan der Bundesregierung für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt sein. Die Erstellung und Umsetzung des Aktionsplans wird im Bundesfamilienministerium und vom Queer-Beauftragten koordiniert und soll noch in diesem Jahr im Kabinett verabschiedet werden.

Doch zwischen Ankündigungen und tatsächlichen Verbesserungen klafft oft eine große Lücke. Auf die Frage, warum sie nach einem angriff nicht zur Polizei gegangen sind antworten die meisten, dass sie nicht denken, dass das was bringen würde (40%). Weitere Motive waren, dass der Vorfall den Betroffenen nicht schlimm genug schien (37%), die Betroffenen Angst vor Homo- und Transphobie bei der Polizei hatten (23%) und kein Vertrauen in die Polizei hätten (21%).

Was jetzt getan werden muss

Der Fall von Bochum zeigt: Es reicht nicht, einzelne Täter zu verurteilen. Wir brauchen einen gesamtgesellschaftlichen Wandel. Das bedeutet:

  • Bessere Schulung von Polizei und Justiz im Umgang mit queerfeindlicher Gewalt
  • Strengere Auflagen für Dating-App-Betreiber zum Schutz ihrer Nutzer
  • Mehr Präventionsarbeit in Schulen und Jugendeinrichtungen
  • Niedrigschwellige Beratungsangebote für Betroffene
  • Konsequente Erfassung und Verfolgung von Hasskriminalität

Sven Lehmann: "Jeden Tag werden in Deutschland Menschen angegriffen, bloß weil sie lieben, wie sie lieben oder sind wie sie sind. Bei allen rechtlichen und gesellschaftlichen Fortschritten: LSBTIQ* bleiben eine verwundbare gesellschaftliche Gruppe. Zunehmend gibt es auch Übergriffe im Rahmen von CSDs. Angeheizt von gezielten Kampagnen richtet sich Gewalt gegen sichtbares queeres Leben und soll LSBTIQ* einschüchtern."

Der brutale Überfall von Bochum ist ein Weckruf. Er zeigt, dass homophobe Gewalt in Deutschland noch immer Realität ist – und dass sie neue, perfide Formen annimmt. Die Urteile gegen die fünf Jugendlichen sind ein wichtiges Signal, aber sie sind nur der Anfang. Wir alle sind gefordert, für eine Gesellschaft einzustehen, in der Menschen lieben können, wen sie wollen – ohne Angst vor Gewalt.

Queere Menschen haben das Recht auf Sicherheit, beim Dating und überall sonst. Es ist höchste Zeit, dass wir dieses Recht gemeinsam verteidigen.


Wenn der Hass Symbole schmiert: Der rechtsextreme Angriff auf die Aidshilfe Hamburg

In der Nacht zum 8. September 2024 wurde die Aidshilfe Hamburg Ziel eines rechtsextremen Angriffs. Unbekannte Täter rissen Posterrahmen am Eingang sowie Werbeschilder an den Fenstern ab und beschmierten sie mit Hakenkreuzen. Der Angriff auf das Gebäude in der Langen Reihe zeigt eine neue Qualität der Gewalt gegen die LGBTQ+-Organisation, die seit über 40 Jahren für Vielfalt und Solidarität in der Hansestadt steht.

Eine neue Dimension der Gewalt

"Das ist beunruhigend und auch eine neue Qualität von Gewalt", teilte die Aidshilfe Hamburg nach dem Vorfall mit. Während es in den vergangenen Jahren immer wieder verbale Angriffe gegeben habe, seien Hakenkreuze "neu, besonders unappetitlich". Die Geschäftsführung erstattete umgehend Anzeige bei der Polizei. Der finanzielle Schaden sei zwar "übersichtlich", aber die psychologischen Auswirkungen wiegen schwer: "Es macht natürlich etwas mit der allgemeinen Gemütslage bei uns."

Teil eines besorgniserregenden Trends

Der Angriff auf die Aidshilfe Hamburg ist kein Einzelfall, sondern fügt sich in ein beunruhigendes Muster ein. Im Jahr 2024 wurden in Deutschland insgesamt 1.765 Straftaten im Unterthemenfeld "sexuelle Orientierung" registriert, davon 253 Gewaltdelikte. Besonders alarmierend: Die Opferberatungsstellen verzeichneten einen Anstieg um 40% bei queerfeindlich motivierten Angriffen gegen LGBTIQ* im Vergleich zum Vorjahr.

Seit Juni 2024 geraten vermehrt Veranstaltungen der LSBTIQ-Bewegung in den Fokus insbesondere gewaltorientierter Rechtsextremisten. Es kam in den letzten Monaten wiederholt zu (versuchten) rechtsextremistischen Störaktionen von öffentlichen Veranstaltungen zum Christopher Street Day (CSD), besonders in Sachsen und Sachsen-Anhalt, wo Gegendemonstrationen teils dreistellige Teilnehmerzahlen erreichten.

Parallelen in anderen deutschen Städten

Auch andere Aidshilfe-Organisationen wurden bereits Ziel rechtsextremer Angriffe. Im Juli 2023 wurde die Aidshilfe Düsseldorf attackiert: In die Glasscheiben am Hauseingang seien Nazi-Symbole gekratzt worden, darunter auch ein Hakenkreuz. Wenige Wochen später folgte ein weiterer Angriff mit einem anonym verschickten Paket mit Fäkalien.

Der Verfassungsschutz beobachtet diese Entwicklung mit großer Sorge. Das "rechtsextremistische Personenpotenzial" hat sich binnen zehn Jahren verdoppelt auf erstmals über 50.200 Rechtsextremisten, davon über 15.300 stark gewaltbereit. Die Behörden sprechen von einem "dramatischen Befund".

Standhaft bleiben gegen rechten Hass

Trotz des Angriffs zeigt sich die Aidshilfe Hamburg kämpferisch. Die Aktivist*innen kündigten an, ihre "Ideen und Ansichten von Diversitäten, Vielfalt und einer Gesellschaft für alle Menschen, gegen jeden gesellschaftlichen Widerstand konsequent verteidigen" zu wollen. Man werde weiterhin "gegen rechtes Rollback und rechtes Gedankengut vorgehen".

Mit einem kreativen Aufruf zur Solidarität wendete sich die Organisation an die Öffentlichkeit: "Wenn Ihr Menschen kennt, die Regenbögen brauchen: www.proudcommunity.de". Der Erlös aus dem Verkauf geht zu 100 Prozent in die vielfältige Präventionsarbeit - mit dem Zusatz: "Nazis hassen diesen Trick."

Die wichtige Arbeit der Aidshilfen

Die Deutsche Aidshilfe und ihre regionalen Mitgliedsorganisationen leisten seit über 40 Jahren unverzichtbare Arbeit. Mehr als 130 ehrenamtliche Kolleg*innen sowie Fachleute aus unterschiedlichen Berufsfeldern stärken Menschen den Rücken, die durch die HIV-Infektion besonders betroffen sind. Gesundheitsförderung ist ihre Kompetenz. Vielfalt und Solidarität sind ihre Leidenschaft.

Die Präventionsarbeit der Aidshilfen richtet sich dabei besonders an vulnerable Gruppen und verbindet Fach- und Betroffenenkompetenz miteinander und bindet die Zielgruppen in die Arbeit ein. Diese strukturelle Präventionsarbeit hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die HIV-Infektionszahlen in Deutschland niedrig sind und seit einigen Jahren zurückgehen.

Solidarität als Antwort

Der Angriff auf die Aidshilfe Hamburg zeigt einmal mehr: Der Kampf für eine offene, vielfältige Gesellschaft ist noch lange nicht gewonnen. Die rechtsextremistisch motivierten Bedrohungen queerer Menschen verfolgen das Ziel, eine ganze Bevölkerungsgruppe einzuschüchtern, queere Menschen wieder in die Unsichtbarkeit zu treiben und sie an der Wahrnehmung ihrer Grundrechte zu hindern. "Staat und Gesellschaft sind aufgefordert, diesen Angriffen auf die Sicherheit und die Grundrechte queerer Menschen überall klar und entschieden entgegenzutreten", fordern LGBTQ+-Verbände.

Die Reaktion der Aidshilfe Hamburg auf den Angriff zeigt: Mit Hass und Hakenkreuzen lässt sich die queere Community nicht einschüchtern. Im Gegenteil - sie antwortet mit noch mehr Engagement für Vielfalt, Solidarität und eine Gesellschaft, in der alle Menschen ohne Angst verschieden sein können. Denn wie die Aktivist*innen betonen: Die Arbeit für sexuelle Gesundheit, Akzeptanz und Menschenrechte wird weitergehen - allen Angriffen zum Trotz.


UN-Appell erschüttert Großbritannien: Lemkin-Institut warnt vor "Auslöschung" von Trans-Menschen

Eine internationale Organisation zur Verhinderung von Völkermord hat die Vereinten Nationen aufgefordert, der britischen Gleichstellungs- und Menschenrechtskommission (EHRC) ihren höchsten Akkreditierungsstatus zu entziehen. Das Lemkin-Institut für Genocide Prevention, eine multinationale Nichtregierungsorganisation, wirft der EHRC vor, eine Schlüsselrolle bei dem zu spielen, was sie als "transparenten Versuch bezeichnet, transgender und intersexuelle Menschen aus dem britischen Leben auszuradieren". Die Forderung, über die PinkNews berichtet, markiert eine beispiellose Eskalation im Konflikt um Trans-Rechte in Großbritannien.

Schwerwiegende Vorwürfe gegen britische Gleichstellungsbehörde

In einer Stellungnahme an die Global Alliance of National Human Rights Institutions (GANHRI), den UN-Regulator für nationale Menschenrechtsinstitutionen, forderte das Lemkin-Institut am 5. September, der EHRC den "A-Status" abzuerkennen, da sie gegen die Pariser Prinzipien verstoße. Diese 1993 festgelegten Prinzipien basieren auf den Säulen "Pluralismus, Unabhängigkeit und Effektivität".

Ein Sprecher des Lemkin-Instituts erklärte: "Die EHRC hat eine institutionelle Übernahme erlebt und wurde von transphoben und interphoben Menschen und Agenden vereinnahmt." Das Institut wiederholte in seiner Stellungnahme: "Es gibt einen transparenten Versuch, transgender und intersexuelle Menschen aus dem britischen Leben auszuradieren. Dies ist ein klares Beispiel für das 9. Muster des Völkermords".

Kontroverse um neue Toiletten-Richtlinien

Die Kritik folgt auf eine umstrittene Entscheidung der EHRC, die weitreichende Konsequenzen für den Alltag von Trans-Menschen hat. Trans-Menschen in Großbritannien sollen künftig nicht mehr die Toiletten, Duschen und Umkleiden ihres erlebten Geschlechts nutzen dürfen, wie aus einer vorläufigen Richtlinie der EHRC hervorgeht. Diese Entscheidung basiert auf einem Urteil des britischen Supreme Courts, das befand, dass gemäß dem britischen Gleichstellungsgesetz nur biologische Frauen als Frauen gelten – Trans-Frauen sind demnach rechtlich gesehen keine Frauen, selbst mit offiziellem Gender-Zertifikat.

In gewissen Umständen sei es rechtlich zulässig, dass Trans-Frauen von Einrichtungen für Männer ausgeschlossen würden und Trans-Männer von denen für Frauen. Es dürfe aber keine Situation entstehen, in denen Trans-Menschen keine Option mehr hätten. Wenn möglich, sollten neben nach Geschlechtern getrennten Einrichtungen auch solche für den gemeinsamen Gebrauch geschaffen werden.

Deutschland als Vorbild: Selbstbestimmungsgesetz stärkt Trans-Rechte

Während Großbritannien Trans-Rechte einschränkt, geht Deutschland einen anderen Weg. Im April 2024 verabschiedete der Bundestag ein wegweisendes Gesetz, das Transgender und nicht-binären Menschen erlaubt, ihre rechtlichen Dokumente durch ein auf Selbstbestimmung basierendes Verwaltungsverfahren an ihre Geschlechtsidentität anzupassen. Das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) erleichtert es trans-, intergeschlechtlichen und nichtbinären Personen, ihren Geschlechtseintrag und ihre Vornamen ändern zu lassen. Es ist am 1. November 2024 in Kraft getreten.

"Mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz hat Deutschland einen Schandfleck in seiner Menschenrechtsbilanz beseitigt und sein Engagement für LGBT-Rechte im In- und Ausland gestärkt", sagte González von Human Rights Watch. "Nach dieser wichtigen Reform der rechtlichen Geschlechtsanerkennung sollten sich die deutschen Behörden weiterhin für die vollständige Gleichstellung einsetzen, um Gewalttaten gegen LGBT-Personen in Deutschland zu verhindern und Anti-LGBT-Gesetze im Ausland abzuwehren."

Alarmierende Diskriminierungszahlen in Deutschland

Trotz der fortschrittlichen Gesetzgebung zeigen aktuelle Zahlen, dass Diskriminierung auch in Deutschland ein ernstes Problem bleibt. Im Jahr 2024 haben 11.405 Anfragen das Beratungsteam der Antidiskriminierungsstelle des Bundes erreicht. In repräsentativen Untersuchungen berichten je nach Umfrage 16 bis 30 Prozent der Bevölkerung von Diskriminierungen.

Im Jahr 2024 erreichte die Anzahl der polizeilich erfassten Straftaten gegen die sexuelle Orientierung in Deutschland ihren traurigen Höhepunkt von insgesamt 1.765 Straftaten, rund 250 waren davon Gewalttaten. Die FRA-Studie zur Lage von LGBTIQ in Europa und Deutschland aus dem Jahr 2024 verdeutlicht das schockierende Ausmaß der Diskriminierung, der trans* Personen ausgesetzt sind.

Internationale Dimension: Völkermord-Warnung ernst nehmen

Das Lemkin-Institut ist eine multinationale Nichtregierungsorganisation mit Sitz in den Vereinigten Staaten, die ihre Mission darin sieht, "die globale Basis mit den Werkzeugen der Völkermordprävention zu verbinden". Es wurde im August 2021 gegründet und nach Raphael Lemkin (1900-1959) benannt, einem polnisch-jüdischen Anwalt und Holocaust-Überlebenden, der den Begriff Völkermord prägte.

"Alle beschriebenen Handlungen passen genau in das neunte Muster des Völkermords: 'Verleugnung und/oder Verhinderung von Identität'", argumentierte die Organisation. "Völkermord manifestiert sich nicht nur in der Tötung einer ganzen Gruppe. Im Fall von trans und intersexuellen Menschen wird Völkermord oft dadurch verübt, dass es Individuen unmöglich gemacht wird, als ihr wahres Selbst zu existieren."

Betroffene und Expert*innen schlagen Alarm

Die Anwältin und nicht-binäre Influencerin Oscar Davies warnte vor den Konsequenzen einer möglichen Herabstufung: "Der 'A-Status' ermöglicht es einer Institution, bei UN-Menschenrechtsforen zu sprechen, einschließlich des Menschenrechtsrats, und verleiht ihrer nationalen Arbeit Glaubwürdigkeit." Ein Verlust dieses Status würde nicht nur die moralische Autorität der EHRC untergraben, sondern könnte auch ihre Fähigkeit schwächen, die britische Regierung zur Rechenschaft zu ziehen.

Die neue EHRC-Vorsitzende Dr. Mary-Ann Stephenson steht selbst in der Kritik. Trotz Opposition der Ausschüsse für Frauen und Gleichstellung sowie Gemeinsame Menschenrechte wurde sie letzten Monat ernannt. Dr. Stephensons Verbindung zu "gender-kritischen" Gruppen wie der LGB Alliance hat bei LGBTQ+-Rechtsgruppen Besorgnis ausgelöst, von denen mehrere geschworen haben, nicht mit der Regulierungsbehörde zusammenzuarbeiten.

Hoffnung durch europäische Standards

Während Großbritannien einen restriktiven Kurs einschlägt, zeigen andere europäische Länder, dass Fortschritt möglich ist. Argentinien, Malta, Dänemark, Luxemburg, Belgien, Irland, Portugal, Island, Neuseeland, Norwegen, Uruguay, Spanien, Finnland, Schweiz, Brasilien, Kolumbien und Ecuador respektieren in entsprechenden Gesetzen die Grundrechte und Selbstbestimmung von trans* Personen bei der Änderung des Geschlechtseintrags. Auch Deutschland soll ab 1. November ein Selbstbestimmungsgesetz haben.

Die EHRC verteidigte sich gegen die Vorwürfe und betonte, sie bleibe "von ganzem Herzen dem Schutz von Gleichheit und Menschenrechten verpflichtet" und sei "vollständig konform mit den Pariser Prinzipien". Dies wurde laut EHRC zuletzt im Mai 2024 von GANHRIs Unterausschuss für Akkreditierung bestätigt, als die Organisation ihren A-Status behielt.

Die Entwicklungen in Großbritannien werden international aufmerksam beobachtet. Das Lemkin-Institut warnte eindringlich: "Dieses feindliche Umfeld ist ein subtiler, heimtückischer und klarer Versuch, transgender und intersexuelle Menschen aus dem britischen Leben auszuradieren, weil ihre Existenz bei einigen ideologisches Unbehagen verursacht. Die Anti-Trans-Bewegung ist eine Bewegung, die ausschließlich auf Ignoranz und Bigotterie basiert, ob sie nun in Religion oder 'Feminismus' oder einem anderen doktrinären oder ideologischen Glaubenssystem verhüllt ist. Keine Verleugnung oder Auslassung im Gesetz kann die konkrete Realität auslöschen, dass trans und intersexuelle Menschen immer existiert haben und immer existieren werden. Versuche, sie als Klasse auszulöschen, stellen eine Absicht dar, Völkermord zu begehen."


Wenn Vielfalt zur Verhandlungsmasse wird: Der Konflikt um den CSD Köthen

Ein Straßenfest für queere Sichtbarkeit wird zum Politikum: In der sachsen-anhaltischen Kreisstadt Köthen eskaliert der Streit zwischen der linken Oberbürgermeisterin Christina Buchheim und den CSD-Organisatoren. Wie queer.de berichtet, hat Buchheim bereits am Freitag Anzeigen wegen übler Nachrede und Verleumdung gegen zwei CSD-Organisatoren erstattet. Was als Feier der Vielfalt gedacht war, endet nun vor Gericht – und wirft ein Schlaglicht auf die angespannte Situation queerer Veranstaltungen in Deutschland.

Behördenwillkür oder berechtigte Auflagen?

Der Konflikt schwelte bereits seit dem CSD Mitte Juli, als rund 300 Menschen trotz rechtswidriger Auflagen für queere Sichtbarkeit in Köthen sorgten. Die Veranstalter*innen mussten einen Toilettenwagen vor Gericht erkämpfen. Am Veranstaltungstag kam es zu einer weiteren, mutmaßlich rechtswidrigen Schikane des Ordnungsamts: Die Behörde untersagte den CSD-Organisator*innen die Nutzung von Strom und forderte, die ordnungsgemäß verlegten Stromversorgungskabel wieder einzupacken.

Die Organisatoren Falko Jentsch und Julian Miethig kritisierten diese Maßnahmen als Behördenwillkür. Sie wurden gezwungen, einen detaillierten Ablaufplan bis zum 30. Mai einzureichen, damit die Behörde jeden einzelnen Beitrag inhaltlich auf 'Meinungseignung' bewerten kann. "Was 2024 gegen uns verübt wurde, wird 2025 gegen uns ausgelegt. Das ist eine absurde Logik der Täter-Opfer-Umkehr.", kritisiert das Organisationsteam.

Eine Linken-Oberbürgermeisterin gegen queere Aktivisten

Christina Buchheim, geboren 1970 in Köthen, war Mitglied des Landtages in der 7. und 8. Wahlperiode und schied am 10.07.2023 aus. Sie gewann die Bürgermeisterinnenwahl in Köthen und setzte sich in der Stichwahl gegen den bisherigen Amtsinhaber klar durch. Ausgerechnet eine Politikerin der Linken, einer Partei, die sich traditionell für LGBTQ+-Rechte einsetzt, steht nun im Zentrum eines erbitterten Streits mit queeren Aktivist*innen.

Die Stadt stellte klar, dass Buchheim mit den beiden Organisatoren grundsätzlich nicht mehr sprechen wolle. Dies werde "aus den bekannten Gründen abgelehnt". Dabei planen die beiden Aktivisten bereits den CSD 2026, der am 11. Juli stattfinden soll. Die Stadt erklärte jedoch, man werde darüber nur mit "einem neuen Organisationsteam" reden.

Konflikte in der queeren Community Sachsen-Anhalts

Der Streit in Köthen ist kein Einzelfall. Innerhalb der LGBTQ+-Community in Sachsen-Anhalt rumort es gewaltig. Der CSD Merseburg beklagte im Juni, dass der CSD Sachsen-Anhalt über die lokalen Bedürfnisse hinweg entschieden und eine Kommerzialisierung vorangetrieben habe. Der CSD Burgenlandkreis erklärte Mitte Juli auf Instagram, man habe mit dem Dachverband "negative Erfahrungen" gemacht.

"Wir nehmen wahr, dass besonders oft dort, wo der CSD Sachsen-Anhalt als Organisator beteiligt ist, Probleme mit den Behörden auftauchen", so der lokale CSD-Verein. Die Kritik richtet sich dabei auch gegen die Darstellung der Konflikte: Nur weil nicht im Interesse einzelner Personen oder Organisationen gehandelt werde, heiße das nicht, "dass Behörden oder Kommunen komplett unkooperativ oder queerfeindlich sind".

Der deutsche Kontext: Zwischen Sichtbarkeit und Sicherheit

Knapp ein Drittel aller CSDs wurde 2024 Ziel rechtsextremer Angriffe. Noch nie gab es an so vielen Orten in Deutschland Christopher Street Day-Veranstaltungen wie im Jahr 2024 – und noch nie so viele rechtsextreme Mobilisierungen dagegen. Die Amadeu Antonio Stiftung dokumentierte 55 Fälle, in denen rechtsextreme Gruppen gezielt CSD-Demos, deren Teilnehmende, sowie die Infrastruktur rund um die Veranstaltung gestört, bedroht und angegriffen haben.

In Köthen selbst war der erste CSD im vergangenen Jahr trotz Einschüchterungen von Neonazis erfolgreich verlaufen – rund 400 Teilnehmer*innen zeigten, dass queeres Leben auch im Landkreis Anhalt-Bitterfeld existiert. Am Samstag fand der erste Christopher Street Day in der Geschichte der Kreisstadt Köthen unter dem Motto "Queer – wir waren schon immer hier" statt.

Mutmaßlich Mitglieder der Neonazi-Partei "Der III. Weg" hätten in der Nacht zuvor Buttersäure auf dem Platz verspritzt, um das Straßenfest zu stören. Buttersäure ist eine Säure, die bereits in kleinsten Mengen einen intensiven üblen Geruch verströmt, der sich großflächig ausbreitet und lange anhält.

Was bedeutet das für die queere Bewegung in Deutschland?

Der Konflikt in Köthen zeigt exemplarisch die Herausforderungen, vor denen die queere Bewegung in Deutschland steht – besonders im ländlichen Raum und in Ostdeutschland. Einerseits kämpfen Aktivist*innen gegen rechtsextreme Bedrohungen und müssen ihre Veranstaltungen unter Polizeischutz durchführen. Laut einem Lagebericht des Bundeskriminalamts und des Bundesinnenministeriums von Ende 2024 hat sich die Zahl der Straftaten im Bereich "Sexuelle Orientierung" und "Geschlechtsbezogene Diversität" seit 2010 nahezu verzehnfacht. Das liegt demnach auch an der zunehmenden Sichtbarkeit und Anzeigebereitschaft – zugleich wird von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen.

Andererseits erleben sie Konflikte mit Behörden und sogar mit politischen Verbündeten. Wenn eine linke Oberbürgermeisterin CSD-Organisatoren anzeigt, statt gemeinsam für queere Sichtbarkeit einzustehen, offenbart das tiefe Gräben in der Zusammenarbeit zwischen Politik und Zivilgesellschaft.

Falko Jentsch, der als Vorstandsmitglied des Dachverbandes CSD Sachsen-Anhalt mehrere Prides im Land mitorganisiert, betonte: "Es ist eine politische Demo: Wir machen das, um Reibung zu erzeugen, es ist ja kein Stadtfest: Man stößt gesellschaftliche Barrieren auf, und kratzt an der einen oder anderen Stelle."

Der Weg nach vorn: Dialog statt Konfrontation?

Julian Miethig gestand eigene Fehler ein: "Ich habe mich beim Auswertungstreffen [am 4. August nach dem CSD] auch entschuldigt für einige Postings, die zum Teil provozierend waren. Und ich will auch nicht wieder Öl ins Feuer gießen." Er sei zu einem "moderierten Gespräch" mit der Stadtchefin bereit. Doch die Stadt lehnt ab – Buchheim will grundsätzlich nicht mehr mit den beiden Organisatoren sprechen.

Am 12. Juli 2025 kamen über 300 Menschen zum Christopher Street Day in Köthen, um für Vielfalt, Akzeptanz und Gleichberechtigung einzustehen. Mit dabei waren auch Die Linke Anhalt-Bitterfeld und Genoss*innen aus Dessau. Der CSD ist eine politische Versammlung und gleichzeitig Straßenfest. Genau diese besondere Mischung macht ihn einzigartig – und bringt regelmäßig rechtliche Herausforderungen.

Der Konflikt in Köthen ist mehr als nur ein lokaler Streit. Er zeigt, wie fragil die Fortschritte der queeren Bewegung sind und wie schnell Vielfalt zur Verhandlungsmasse werden kann. In Zeiten, in denen die Zahl der politisch motivierten Straftaten im Jahr 2024 um 40,22 Prozent auf 84.172 Delikte angestiegen ist und sich die politisch motivierte Kriminalität auf dem höchsten Stand seit Einführung der Statistik im Jahr 2001 befindet, braucht es mehr denn je Solidarität – auch und gerade von progressiven Politiker*innen.

Die queere Community in Köthen und ganz Sachsen-Anhalt wird weiter für ihre Rechte kämpfen müssen. Ob mit oder ohne Unterstützung der Stadtverwaltung. Denn wie das Motto des ersten CSD in Köthen bereits sagte: "Queer – wir waren schon immer hier." Und sie werden bleiben.


Ein Wochenende zwischen Regenbogen und Schatten: CSD-Demonstrationen trotz rechtsextremer Bedrohung

Bunte Fahnen, laute Musik und der ungebrochene Mut der queeren Community prägten das vergangene Wochenende in Deutschland. In acht Städten fanden CSD-Demonstrationen statt, die von beeindruckender Solidarität, aber auch von besorgniserregenden rechtsextremen Gegenmobilisierungen begleitet wurden. Die Originalmeldung finden Sie auf queer.de.

Rechtsextreme Bedrohung erreicht neue Dimension

Die Amadeu Antonio Stiftung dokumentierte für das Jahr 2024 55 Fälle, in denen rechtsextreme Gruppen gezielt CSD-Demos, deren Teilnehmende, sowie die Infrastruktur rund um die Veranstaltung gestört, bedroht und angegriffen haben. Zwischen Juni und September 2024 verzeichnete CeMAS deutschlandweit in 27 Städten rechtsextreme Mobilisierungen gegen CSD-Veranstaltungen. Dabei kam es zu Einschüchterungen, Schikanen und Gewalt. Diese Zahlen zeigen eine alarmierende Entwicklung: Knapp ein Drittel aller CSDs wurde 2024 Ziel rechtsextremer Angriffe.

Die Studie von CeMAS identifiziert dabei eine beunruhigende Transformation: Die neue Welle von Anti-CSD-Demonstrationen in Deutschland ist Ausdruck eines Wandels in der deutschen Neonazi-Szene. Zunehmend gewinne eine neue Generation an Neonazis an Bedeutung, die jung, online und rhetorisch stärker auf Gewalt aus ist.

Sachsen als Brennpunkt der Konfrontation

Besonders in Sachsen zeigten sich die Spannungen am Wochenende deutlich. In Zittau nahmen laut Polizeiangaben zirka 470 Menschen am CSD teil, bei einem Gegenprotest protestierten 33 Personen gegen Rechte für queere Menschen. Ein Teilnehmer der queerfeindlichen Demo hatte eine Pistolen-Geste gezeigt.

In Freiberg war die Situation noch angespannter: Beim CSD waren rund 750 Menschen (Veranstalter*innen) bzw. 550 Menschen (Polizei) unter dem Motto "Vielfalt verteidigen! Glitzer gegen Hass!" dabei. Die rechtsextreme Gegendemo kam nach Polizeiangaben auf rund 90 Teilnehmende und wurde von "Freien Sachsen" sowie den "Jungen Nationalisten", der Nachwuchsorganisation der Partei "Die Heimat", früher NPD, organisiert.

Thüringen: Ein starkes Zeichen gegen rechts

Ein kraftvolles Gegenzeichen setzte die thüringische Landeshauptstadt Erfurt. Tausende Menschen gingen in Erfurt auf die Straße. Die Polizei sprach von 2.500 Teilnehmenden, der CSD-Verein von rund 4.800. Besonders symbolträchtig war die Unterstützung durch den ehemaligen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Die Linke), der als Schirmherr fungierte. Der Erfurt Pride hatte bekanntgegeben, dass der Linken-Politiker Bodo Ramelow die diesjährige CSD-Schirmherrschaft in der thüringischen Landeshauptstadt übernommen hat.

In seiner Rede auf dem Domplatz zeigte sich Ramelow kämpferisch: Er sei froh, "bunte Vielfalt" auf dem Domplatz zu sehen, und nicht "die braune Einfalt". Diese klaren Worte unterstreichen die Bedeutung politischer Unterstützung für die queere Community in Zeiten zunehmender rechtsextremer Bedrohung.

Hitlergrüße in Ostfriesland

Beim CSD im ostfriesischen Aurich, bei dem rund 600 Menschen unter dem Motto "Gleichberechtigung schadet niemandem" auf die Straße gegangen waren, kam es zu einem Zwischenfall. Nach der Veranstaltung berichteten die Organisator*innen von einer Bedrohung des CSD-Teams "durch eine Gruppe Jugendlicher". Dabei sei der Hitlergruß gezeigt und Parolen wie "Heil Hitler" und "Sieg Heil" gerufen worden. Die Jugendlichen seien abgezogen, nachdem ihr Verhalten gefilmt worden sei.

Trotz dieser erschreckenden Vorfälle zeigten sich die Veranstalter*innen dankbar für die Polizeipräsenz: "Dass wir nicht während der laufenden Veranstaltung Ziel eines Angriffs wurden, haben wir vermutlich der absolut tollen Polizeipräsenz zu verdanken".

Unterschiedliche Polizeiarbeit sorgt für Diskussionen

Während die Polizei in Aurich für ihre Arbeit gelobt wurde, gab es in Passau heftige Kritik. Es sei dort zu Verzögerungen gekommen, weil die Polizei "zum Start des Demozugs unnötig lange einen Ordner kontrollierte und solange harmlose Kungebungsmittel beschlagnahmte", teilte der CSD-Verein mit. Auch das polizeiliche Abfilmen und -fotografieren der Demo kritisierten die Veranstalter*innen als "haltlose Vorverdächtigung der Teilnehmenden".

Diese unterschiedlichen Erfahrungen mit den Sicherheitsbehörden zeigen, wie wichtig eine sensible und professionelle Polizeiarbeit beim Schutz von Pride-Veranstaltungen ist.

Ein Blick auf die größere Entwicklung

Die Ereignisse des Wochenendes sind Teil einer besorgniserregenden Entwicklung. Noch nie zuvor gab es so viele Pride-Kundgebungen wie in diesem Jahr und nie gab es so viele rechtsextreme Gegenproteste. Besonders erschreckend war der CSD in Bautzen im August 2024, der als Wendepunkt gilt: Beim CSD in Bautzen standen rund 1000 Teilnehmende fast 700 Rechtsextremen gegenüber.

Die Amadeu Antonio Stiftung warnt: Solche Angriffe müssen wir auch 2025 wieder erwarten – nicht nur in Ostdeutschland. Vor allem auf dem Land sind CSDs deshalb auf Unterstützung angewiesen.

Trotz allem: Die Vielfalt lebt

Trotz der Bedrohungen zeigt sich die queere Community ungebrochen. Außerdem gab es CSDs im niedersächsischen Goslar, im schleswig-holsteinischen Elmshorn, im bayerischen Kaufbeuren und den ersten Pride im württembergischen Balingen, bei dem 400 Teilnehmende dabei waren. Diese Vielfalt an Veranstaltungen, gerade in kleineren Städten und ländlichen Regionen, ist ein starkes Zeichen für die wachsende Sichtbarkeit queeren Lebens in ganz Deutschland.

Die Ereignisse des vergangenen Wochenendes zeigen zweierlei: Die Bedrohung durch rechtsextreme Gruppen ist real und nimmt zu. Gleichzeitig lässt sich die queere Community nicht einschüchtern und findet immer wieder neue Verbündete in Politik und Zivilgesellschaft. Der Kampf für Gleichberechtigung und Akzeptanz geht weiter – bunter, lauter und entschlossener denn je.


Wenn Toleranz am Stadiontor endet: Der Regenbogen-Eklat von Neckarsulm und die unbequeme Wahrheit über Diskriminierung im deutschen Amateurfußball

Ein scheinbar kleiner Vorfall beim Oberliga-Spiel zwischen Türkspor Neckarsulm und TSG Backnang wirft ein grelles Scheinwerferlicht auf die tief verwurzelten Probleme mit LGBTQ+-Feindlichkeit im deutschen Fußball. Wie queer.de berichtet, wurde am vergangenen Samstag ein 52-jähriger Backnang-Fan von einem Ordner aufgefordert, seine mitgebrachte Regenbogenfahne wieder einzupacken – angeblich, weil Fans des Heimteams ein Problem damit hätten.

Ein Symbol wird zum Streitpunkt

Der betroffene Fan, der seit Jahren die Regenbogenfahne zu Spielen mitbringt und von seinem Trainer Mario Marinic als "zwölfter Mann" der Mannschaft bezeichnet wird, zeigte sich schockiert: "So etwas habe ich noch nie erlebt." Besonders bitter: Eine 22-jährige Zeugin äußerte Unverständnis darüber, dass ausgerechnet Türkspor die Fahne nicht dulden wolle, da doch gerade türkischstämmige Menschen in Deutschland selbst Diskriminierungen ausgesetzt seien.

Die Reaktion der Vereinsführung macht die Situation nicht besser. Türkspor-Vorstandsmitglied Cumali Ardin erklärte, er habe von dem Vorfall nichts mitbekommen und spielte ihn herunter. Man solle daraus keinen Elefanten machen, forderte er. Seine widersprüchliche Haltung – erst erklärt er "politische Sachen" hätten beim Fußball keinen Platz, dann betont er, die Regenbogenfahne sei für ihn kein politisches Symbol – zeigt die Verwirrung und fehlende Sensibilität im Umgang mit dem Thema.

Die deutsche Realität: Zwischen Fortschritt und Rückschritt

Dass Migranten, Frauen oder Homosexuelle heute vielerorts nicht mehr mit offenen, kollektiven Anfeindungen zu rechnen haben, ist nicht zuletzt auf die Bemühungen der aktiven Fans zurückzuführen. Doch der Vorfall in Neckarsulm zeigt, dass diese Fortschritte fragil sind. In der Bundesliga ist Diskriminierung der LGBTQI*-Community kaum Thema. In den letzten Jahren hat sich zwar viel getan, betroffene Gruppen sehen aber noch Nachholbedarf.

Die Queer Football Fanclubs (QFF), eine Vereinigung europäischer schwul-lesbischer Fußball-Fanorganisationen, arbeiten seit ihrer Gründung zur WM 2006 daran, den Fußball inklusiver zu gestalten. Die QFF wurde von den schwul-lesbischen Fanclubs aus Berlin, Stuttgart und Dortmund gegründet und arbeitet unter anderem mit dem Bündnis aktiver Fußballfans, der FARE und dem Deutschen Fußball-Bund zusammen.

Türkischstämmige Vereine zwischen allen Stühlen

Der Fall wirft auch ein Licht auf die komplexe Situation türkischstämmiger Vereine in Deutschland. Türkspor Neckarsulm, 1969 von türkischen Gastarbeitern gegründet, betont auf seiner Website, man sei "ein türkisch stämmiger Fußballverein bei dem jeder willkommen ist der sich für Offenheit und Kulturenverbinder versteht."

Diese Diskrepanz zwischen Selbstdarstellung und Realität ist kein Einzelfall. Der Berliner Verein Türkiyemspor arbeitet seit etwa fünf Jahren mit dem LSVD zusammen und wirkt sowohl aufklärend zum Thema Homophobie in der türkischen Community als auch anti-rassistisch. Dies zeigt, dass progressive Ansätze möglich sind – aber eben nicht überall umgesetzt werden.

Studien zeigen, dass negative Haltungen gegenüber LGBTQ+-Personen unter Befragten mit Migrationshintergrund im Vergleich zu Menschen ohne Migrationshintergrund stärker ausgeprägt sind, wobei das Merkmal Migrationshintergrund eine sehr heterogen zusammengesetzte Bevölkerungsgruppe umfasst. Eine Erklärung dafür könnte in der gesellschaftlichen Stellung junger türkischstämmiger Menschen in Deutschland liegen, die sich aufgrund von Diskriminierung und Rassismus ausgegrenzt fühlen und in dieser Selbstisolierung nach neuen Identitäten suchen.

Die Symbolpolitik der Regenbogenfahne

Die Regenbogenfahne ist längst mehr als nur ein buntes Stück Stoff. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Dresden steht sie "nach derzeitigem gesellschaftlichem Verständnis" für die "Toleranz und Akzeptanz, der Vielfalt von Lebensformen". Diese Werte werden auch durch die freiheitliche demokratische Grundordnung und die Deutschlandflagge verkörpert.

Während der EM 2021 wurde die Fahne zum politischen Statement: Als Zeichen gegen Homophobie wehte die Regenbogen-Fahne vor vielen deutschen Rathäusern, nachdem die UEFA verboten hatte, das Münchener Stadion in Regenbogen-Farben zu beleuchten. Auch große Vereine wie der FC Bayern München positionieren sich klar: "Der FC Bayern steht als weltoffener Verein für Toleranz und Vielfalt. In dieser Welt dürfen Homophobie, Hass und Ausgrenzung egal welcher Art keine Rolle spielen."

Ein systemisches Problem

Der Vorfall in Neckarsulm ist kein Einzelfall. Immer wieder kommt es in Fußball-Amateurligen der Männer zu queerfeindlichen Zwischenfällen. Letztes Jahr musste etwa der niedersächsische Fußballverein Atlas Delmenhorst eine Strafe in Höhe von 3.000 Euro zahlen, nachdem Fans ein Transparent mit einer homosexuellenfeindlichen Aufschrift gezeigt hatten.

Homosexualität im Fußball stellt nach wie vor ein Tabu dar – diese Einschätzung vertraten Experten bei einer Anhörung im Sportausschuss des Bundestages. Zwar sei ein Wertewandel in der Gesellschaft in Richtung einer Kultur der Akzeptanz zu konstatieren, auf der anderen Seite sei aber festzustellen, dass es weiterhin im sozialen Miteinander Diskriminierungen gebe – teilweise sei gar ein Anstieg an Vorurteilen festzustellen.

Der Weg nach vorne

Was können wir aus dem Vorfall in Neckarsulm lernen? Zunächst einmal zeigt er, dass die Arbeit für Toleranz und Akzeptanz im Fußball noch lange nicht abgeschlossen ist. Die zentrale Frage bleibt: Welche Rahmenbedingungen begünstigen Homophobie im Fußball? Welche Maßnahmen sind nötig, um die Regenbogenkompetenz im Fußball zu erhöhen?

Der betroffene Fan will den Vorfall dem Fußballverband melden – ein wichtiger Schritt. Denn nur wenn solche Vorfälle dokumentiert und sanktioniert werden, kann sich etwas ändern. DFB-Vizepräsident Eugen Gehlenborg sagte, der Fußball sei "nicht der geborene Partner beim Kampf gegen Homophobie, aber ein naheliegender". Der Fußball stelle sich der Verantwortung, weil er sehr viele Menschen erreiche.

Die Regenbogenfahne bleibt ein wichtiges Symbol für Vielfalt und Akzeptanz im Fußball. Dass ein Fan aufgefordert wird, sie einzupacken, zeigt, wie viel Arbeit noch vor uns liegt. Der Trainer der TSG Backnang, Mario Marinic, brachte es auf den Punkt: Der Vorfall sei "in der heutigen Zeit ärgerlich, bitter". Es ist an der Zeit, dass alle Vereine – unabhängig von ihrer Geschichte oder Herkunft – klar Position beziehen: Für Vielfalt, gegen Diskriminierung. Denn am Ende geht es beim Fußball um mehr als nur 22 Menschen, die einem Ball hinterherlaufen. Es geht um die Werte, die wir als Gesellschaft leben wollen.


Unerwartete Allianz: Warum die NRA plötzlich die Rechte von trans Menschen verteidigt

Eine überraschende Wendung in der amerikanischen Waffenrechtsdebatte sorgt derzeit für Schlagzeilen: Die National Rifle Association (NRA), Amerikas mächtigste Waffenlobby, hat sich gegen Pläne der Trump-Administration ausgesprochen, trans Menschen den Besitz von Schusswaffen zu verbieten. Diese unerwartete Allianz wirft ein Schlaglicht auf die komplexen Überschneidungen zwischen Bürgerrechten, Sicherheit und politischen Ideologien – und zeigt Parallelen zu aktuellen Debatten in Deutschland auf. Der Originalartikel erschien bei PinkNews.

Die Kontroverse: Ein Waffenverbot als Reaktion auf Gewalt

Die Diskussionen im US-Justizministerium begannen nach einem tragischen Vorfall: Ende August erschoss die 23-jährige Robin Westman, eine trans Frau, zwei Menschen an einer katholischen Schule in Minneapolis und verletzte 18 weitere. Senior-Beamte des Justizministeriums erwägen nun, ihre Regelungsbefugnis zu nutzen, um trans Menschen als psychisch krank zu deklarieren und ihnen damit ihre Rechte nach dem zweiten Verfassungszusatz zu entziehen.

Diese Überlegungen stehen jedoch im krassen Widerspruch zu den Fakten: Es gibt keine Beweise dafür, dass trans Menschen häufiger Massenschießereien verüben. Daten zeigen vielmehr, dass trans Menschen weitaus häufiger Opfer von Gewaltverbrechen werden. In den USA wurden lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen (LGBTI+) neunmal häufiger Opfer gewaltsamer Hassverbrechen als Nicht-LGBTI+.

Die NRA bezieht Position: Verfassungsrechte sind nicht verhandelbar

Die NRA erklärte unmissverständlich: "Der zweite Verfassungszusatz steht nicht zur Debatte. Die NRA unterstützt die Rechte aller gesetzestreuen Amerikaner, Schusswaffen zu erwerben, zu besitzen und zu nutzen. Die NRA wird keine politischen Vorschläge unterstützen, die pauschale Waffenverbote implementieren und gesetzestreuen Bürgern willkürlich ihre Rechte nach dem zweiten Verfassungszusatz ohne ordnungsgemäßes Verfahren entziehen".

Stephen Gutowski, ein unabhängiger Journalist für Waffenrechte, berichtete, dass jede große Waffenrechtsorganisation sich gegen die Idee ausgesprochen hat, trans Menschen pauschal ihre Waffenrechte zu entziehen. Der Präsident der National Association for Gun Rights warnte: "Wie die Geschichte beweist, werden alle neuen Regeln, die die Regierung heute erfindet, morgen gegen unbeliebte Gemeinschaften missbraucht werden, einschließlich Konservativen und gesetzestreuen Waffenbesitzern".

Deutschland: Ein anderer Ansatz zum Selbstschutz

Während in den USA über Waffenrechte für trans Menschen debattiert wird, zeigt Deutschland einen völlig anderen Umgang mit LGBTQ+-Sicherheit. Das Bundesinnenministerium veröffentlichte kürzlich einen umfassenden Lagebericht zur Sicherheit von LSBTIQ* Menschen, der einen besorgniserregenden Anstieg queerfeindlicher Straftaten dokumentiert. 2023 wurden 1.785 Straftaten gegen LSBTIQ* Personen registriert. Die häufigsten Delikte waren Beleidigungen, Gewalttaten, Volksverhetzungen sowie Nötigungen und Bedrohungen. Bei den Gewalttaten wurden 212 Opfer festgestellt. Die Zahl der Straftaten im Bereich "Sexuelle Orientierung" und "Geschlechtsbezogene Diversität" hat sich seit 2010 nahezu verzehnfacht.

Im Gegensatz zum liberalen amerikanischen Waffenrecht ist der Zugang zu Schusswaffen in Deutschland streng reguliert. Als legale Selbstverteidigungswaffen gelten hierzulande unter anderem der Kubotan (Druckpunktverstärker), Sicherheitsregenschirme oder Pfeffersprays zur Tierabwehr. Diese Unterschiede spiegeln fundamentale kulturelle Differenzen im Umgang mit persönlicher Sicherheit wider.

Die deutsche Bundesregierung setzt auf strukturelle Maßnahmen: Das von Experten erarbeitete Konzept sieht konkreten Handlungsbedarf bei der Aus- und Fortbildung der Polizei, bei der Schaffung von Ansprechpersonen bei den Polizeien in allen Bundesländern und beim Ausbau spezialisierter Präventionsmaßnahmen.

Ein globales Problem: Gewalt gegen trans Menschen

Die Debatte in den USA findet vor dem Hintergrund alarmierender weltweiter Entwicklungen statt. Das Trans Murder Monitoring zählte 2024 weltweit 350 Morde an trans, nicht-binären und gender-nonkonformen Menschen – eines der drei tödlichsten Jahre seit Beginn der Erfassung 2008. Besonders in den USA ist ein Anstieg sichtbar: von 31 Morden 2023 auf 41 im Jahr 2024.

Die Zahl der US-Bundesstaaten, die gegen LGBTI+ gerichtete Gesetze verabschiedeten, nahm dramatisch zu: 2023 traten 84 entsprechende Gesetze in Kraft, viermal mehr als 2022. Immer mehr Gesetze, die die Rechte von LGBTI+ einschränkten oder faktisch ganz abschafften, wurden unter dem Vorwand der Religionsfreiheit erlassen.

In Deutschland zeigt sich ein ähnlich beunruhigendes Bild: Pride-Veranstaltungen werden immer wieder Ziel von gewalttätigen Übergriffen – wie beim CSD in Bautzen 2024 durch rechtsextreme Gruppen. Im Rahmen des CSD in Münster 2022 wurde ein trans Mann sogar tödlich verletzt.

Die rechtliche Dimension: Ein Präzedenzfall mit Folgen

Rechtsexperten bezeichnen die Idee als "rechtlich absurd". Es gibt keine gesetzliche Grundlage für ein solches kategorisches Dekret. Selbst wenn der Kongress ein solches Gesetz verabschieden würde, wäre es basierend auf aktueller Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs und vorherrschenden Gerichtsurteilen verfassungswidrig.

Nach Bundesrecht muss ein Richter eine Person als mental "defekt" oder "in eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen" bestimmen, bevor ihr das Recht auf Waffenbesitz entzogen werden kann. Die Second Amendment Foundation warnte: "Die Entwaffnung von trans Individuen basierend rein auf ihrer Selbstidentifikation widerspricht der Verfassung und der angeblichen Unterstützung der aktuellen Administration für den zweiten Verfassungszusatz. Das Justizministerium hat keine Befugnis, einseitig Gruppen von Menschen zu identifizieren, denen es ihre verfassungsmäßigen Rechte entziehen möchte".

Parallelen zu Deutschland: Selbstbestimmung unter Vorbehalt

Interessanterweise zeigt auch das deutsche Selbstbestimmungsgesetz, das im November 2024 in Kraft trat, gewisse Einschränkungen in Krisensituationen. Die rechtliche Zuordnung einer Person zum männlichen Geschlecht bleibt für den Dienst mit der Waffe im Spannungs- oder Verteidigungsfall bestehen, wenn in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang die Änderung des Geschlechtseintrags von "männlich" zu "weiblich" oder "divers" erklärt wird. Diese Regelung zeigt, dass auch in Deutschland Sicherheitsbedenken gegen Selbstbestimmungsrechte abgewogen werden – wenn auch in einem völlig anderen Kontext.

Ein unerwartetes Bündnis mit Signalwirkung

Die Position der NRA zugunsten der Rechte von trans Menschen mag überraschen, folgt aber einer klaren Logik: Kategorische Verbote – besonders wenn sie per Dekret erlassen werden – sind seit Jahrzehnten eine rote Linie für Pro-Waffenrechts-Gruppen und Gesetzgeber. Waffenrechtsgruppen erinnern oft daran, dass historisch gesehen die Dinge für Minderheitengruppen nicht gut ausgehen, nachdem sie von der Regierung entwaffnet wurden.

Kostas Moros, Direktor für Rechtsforschung bei der Second Amendment Foundation, kommentierte: "Ich denke, jede große Waffenrechtsorganisation hat sich jetzt gegen diese trans-Waffenverbotsidee ausgesprochen. Soweit es ein Testballon war, haben wir ihn alle wie eine Tontaube getroffen".

Diese ungewöhnliche Allianz zwischen der konservativen Waffenlobby und der LGBTQ+-Community zeigt, dass Bürgerrechte über ideologische Grenzen hinweg verteidigt werden können – und müssen. Während Deutschland und die USA sehr unterschiedliche Ansätze zum Thema Waffenbesitz und Selbstverteidigung verfolgen, steht in beiden Ländern die gleiche Grundfrage im Raum: Wie können wir marginalisierte Gruppen vor Gewalt schützen, ohne ihre Grundrechte zu beschneiden?

Die Antwort der NRA ist eindeutig: Nicht durch Diskriminierung, sondern durch die konsequente Anwendung bestehender Gesetze für alle Bürger gleichermaßen. In Deutschland hingegen setzt man auf strukturelle Reformen und bessere Unterstützung für Betroffene. Beide Ansätze zeigen: Der Schutz von LGBTQ+-Menschen erfordert mehr als symbolische Gesten – er braucht konkrete, durchdachte Maßnahmen, die Sicherheit und Freiheit gleichermaßen gewährleisten.


Trans-Flaggen-Schöpferin flieht aus den USA – Ein Signal für Deutschland?

Monica Helms, die 74-jährige Schöpferin der weltberühmten Trans-Pride-Flagge, plant ihre Flucht aus den USA nach Costa Rica. Die US-Navy-Veteranin und ihr Ehefrau wollen ihre Heimat in Marietta, Georgia, aufgrund der wachsenden anti-LGBTQ+-Rhetorik unter Präsident Donald Trump verlassen, wie The Pink News berichtet. Diese erschütternde Nachricht zeigt nicht nur die dramatische Verschlechterung der Lage für trans Menschen in den USA, sondern sollte auch für Deutschland als Warnsignal dienen.

Eine Ikone der Trans-Bewegung

Monica Helms schuf die Transgender-Pride-Flagge 1999, die erstmals im Jahr 2000 bei einer Pride-Parade in Phoenix, Arizona, gehisst wurde. Die von ihr entworfene Flagge besteht aus fünf gleichbreiten horizontalen Streifen – hellblau steht für Männlichkeit, hellrosa für Weiblichkeit, und der weiße Streifen in der Mitte symbolisiert Menschen, die nicht-binär oder intergeschlechtlich sind oder sich in der Transition befinden. Helms' Design wurde zu einem weltweiten Symbol der Trans-Community.

Die Veteranin diente zwischen 1970 und 1978 in der US-Navy und war auf zwei U-Booten stationiert. 2003 gründete sie die Transgender American Veterans Association (TAVA) zur Unterstützung und Interessenvertretung für transgender Veteranen. 2014 spendete sie die Original-Flagge an das Smithsonian National Museum of American History und zementierte damit deren Platz in der US-amerikanischen Geschichte.

Erschreckende Zahlen aus den USA

Die Situation für trans Menschen in den USA hat sich dramatisch verschlechtert. Mehr als 100.000 transgender Jugendliche leben in US-Bundesstaaten, in denen die geschlechtsangleichende Versorgung von Jugendlichen gesetzlich verboten ist, wobei in sechs Bundesstaaten die Bereitstellung dieser Versorgung als Straftat eingestuft wird. 598 Gesetzentwürfe zur Einschränkung der Rechte queerer Menschen wurden allein in diesem Jahr in staatlichen Gesetzgebungen in den USA vorgeschlagen, wovon 67 Gesetz wurden.

Ein Bericht von Human Rights Watch dokumentiert die verheerenden Folgen dieser Verbote für transgender Jugendliche, darunter zunehmende Angstzustände, Depressionen und in sieben gemeldeten Fällen sogar Suizidversuche. Diese Gesetze tragen zu einem zunehmend aggressiven, transfeindlichen Klima bei. "Wir sind besorgt, dass es möglich ist, dass wir verhaftet werden könnten, nur weil wir sind, wer wir sind", sagte Helms in einem Interview.

Costa Rica als Zufluchtsort

Die Wahl Costa Ricas als neues Zuhause ist kein Zufall. Das Land hat seit den 1970er Jahren bedeutende Fortschritte bei LGBTQ+-Rechten gemacht, gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen sind seit 1971 legal, und die gleichgeschlechtliche Ehe wurde am 26. Mai 2020 legalisiert. Seit Juni 2018 können transgender Personen durch ein Präsidialdekret ihre Namen und Geschlechtsangaben auf offiziellen Dokumenten wie Pässen und Führerscheinen ändern lassen.

Seit 2018 können transgender Personen in Costa Rica ihr rechtliches Geschlecht auf offiziellen Dokumenten ohne chirurgische oder gerichtliche Eingriffe ändern, und das staatliche Gesundheitssystem finanziert geschlechtsangleichende Behandlungen und Eingriffe. Diese fortschrittliche Politik steht in krassem Gegensatz zur aktuellen Situation in den USA.

Deutschland als Vorbild – und Warnung

Während die USA einen besorgniserregenden Rückschritt erleben, hat Deutschland mit dem Selbstbestimmungsgesetz einen wichtigen Schritt nach vorne gemacht. Der deutsche Bundestag verabschiedete am 12. April 2024 ein wegweisendes Gesetz, das Transgender und nicht-binären Menschen erlaubt, ihre rechtlichen Dokumente durch ein auf der Selbstbestimmung basierendes Verwaltungsverfahren an ihre Geschlechtsidentität anzupassen. Das Gesetz trat am 1. November 2024 in Kraft.

Das Selbstbestimmungsgesetz vereinfacht es für transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen, ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister und ihre Vornamen ändern zu lassen durch eine Erklärung gegenüber dem Standesamt. Eine gerichtliche Entscheidung ist nicht mehr erforderlich, auch die Notwendigkeit zur Einholung zweier Sachverständigengutachten entfällt.

Doch auch in Deutschland gibt es beunruhigende Entwicklungen. LGBT-Aktivist*innen warnen vor einem Anstieg der Anti-LGBT-Gewalt in Deutschland. Der Bundesinnenminister teilte im Juni 2023 mit, dass die Polizei im vergangenen Jahr über 1.400 Hassverbrechen gegen LGBT-Menschen registriert hatte. In den letzten Jahren gab es mehrere Angriffe auf Pride-Veranstaltungen, von denen einer im Jahr 2022 zum gewaltsamen Tod eines Trans-Mannes führte.

Ein Weckruf für Europa

Monica Helms' Entscheidung, die USA zu verlassen, ist mehr als eine persönliche Tragödie – sie ist ein Symbol für das Versagen eines Landes, seine vulnerabelsten Bürger*innen zu schützen. "Wir werden unseren Aktivismus nicht aufgeben", schrieb sie in ihrem GoFundMe. Diese Worte sollten uns alle inspirieren, weiter für Gleichberechtigung und Würde zu kämpfen.

Die Entwicklungen in den USA zeigen, wie schnell erkämpfte Rechte wieder verloren gehen können. Trumps "Zwei-Geschlechter-Dekret" ist ein tiefer Eingriff in das Leben und die Selbstbestimmung von trans Menschen. Künftig gilt nur noch das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht – auch für Menschen, die nach geschlechtsangleichenden Operationen die körperlichen Merkmale an ihre Geschlechtsidentität haben angleichen lassen.

Für Deutschland und Europa bedeutet dies: Die Errungenschaften wie das Selbstbestimmungsgesetz müssen verteidigt und weiter ausgebaut werden. Die Geschichte von Monica Helms – einer Veteranin, die ihr Land gedient hat und nun aus Angst vor Verfolgung fliehen muss – sollte uns daran erinnern, dass der Kampf für Menschenrechte niemals endet.

Die Trans-Pride-Flagge, die Helms schuf, wird weiterhin auf der ganzen Welt wehen als Symbol der Hoffnung und des Widerstands. "Egal wie man sie hisst, sie ist immer richtig, was bedeutet, Richtigkeit in unserem eigenen Leben zu finden", sagte Helms einmal. Diese Botschaft der Selbstbestimmung und Würde ist heute wichtiger denn je – nicht nur in den USA, sondern überall auf der Welt.


Wenn Worte zu Barrieren werden: "Antidiskriminierungsbeauftragte" als Wortgetüm des Jahres

Menschen mit Lese- und Schreibschwierigkeiten haben entschieden: "Antidiskriminierungsbeauftragte" ist das "Wortgetüm des Jahres 2025". Diese Auszeichnung, die zum Weltalphabetisierungstag am 8. September erstmals vergeben wurde, wirft ein Schlaglicht auf eine bittere Ironie: Ausgerechnet jene Institution, die Menschen vor Diskriminierung schützen soll, wird durch ihre komplizierte Bezeichnung selbst zur Barriere – auch und gerade für queere Menschen, die mehrfach von Ausgrenzung betroffen sind.

Die Macht der Sprache als Hürde

6,2 Millionen Menschen in Deutschland können nur unzureichend lesen und schreiben. Das entspricht etwa 12 Prozent der erwachsenen Bevölkerung zwischen 18 und 64 Jahren. Für diese Menschen sind komplexe Wörter wie "Antidiskriminierungsbeauftragte" mit seinen 31 Buchstaben und elf Silben nicht nur schwer zu lesen – sie versperren buchstäblich den Zugang zu wichtigen Unterstützungsangeboten.

Die achtköpfige Jury, bestehend aus Menschen mit Lese- und Schreibschwierigkeiten aus verschiedenen Berliner Lernangeboten, hat das Wort aus gutem Grund gewählt. Sie empfinden solche Begriffe als sprachliche "Türsteher", die ihnen Zugänge verwehren, die anderen offenstehen. Die unabhängige Antidiskriminierungsbeauftragte Ferda Ataman selbst stellte fest, dass die Plattform X seit der Übernahme durch Elon Musk einen Anstieg an Rassismus, Antisemitismus, Queer- und Transfeindlichkeit erlebe.

Queere Menschen besonders betroffen

Für die LGBTQ+-Community ist diese sprachliche Barriere besonders problematisch. Lesben, Schwule und bisexuelle Personen werden weiterhin häufig Opfer von Diskriminierung oder Gewalt. Eine EU-Umfrage aus dem Jahr 2019 unter 140.000 LGBTQ+-Personen ergab, dass von den 16.000 deutschen Teilnehmenden 13 Prozent in den letzten fünf Jahren körperliche oder sexuelle Übergriffe aufgrund ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität erlebt hatten.

Gerade queere Menschen mit Migrationshintergrund oder aus bildungsfernen Schichten stehen vor einer doppelten Hürde: Sie müssen nicht nur gesellschaftliche Diskriminierung überwinden, sondern auch sprachliche Barrieren, um überhaupt an Hilfe zu gelangen. Seit Mai 2025 ist Sophie Koch die neue Beauftragte der Bundesregierung für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt. Das Amt wurde am 5. Januar 2022 durch Beschluss der Bundesregierung geschaffen und soll insbesondere die Queer-Politik koordinieren.

Deutschlands Alphabetisierungskrise und die AlphaDekade

Im Rahmen der "Nationalen Dekade für Alphabetisierung und Grundbildung" (AlphaDekade 2016-2026) engagieren sich Bund, Länder und Partner wie der Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung e.V. (BVAG), der Deutsche Volkshochschul-Verband (DVV), die Bundesagentur für Arbeit, der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung (DIE) und die Stiftung Lesen dafür, das Grundbildungsniveau in Deutschland zu erhöhen. Trotz dieser Bemühungen zeigen die Zahlen, dass noch viel zu tun bleibt.

Die Verteilung nach Geschlechtern zeigt: Männer stellen mit 58,4 Prozent die Mehrheit der gering literalisierten Erwachsenen. Dies ist besonders relevant für die schwule Community, wo traditionelle Männlichkeitsbilder oft verhindern, dass Betroffene sich ihre Schwierigkeiten eingestehen und Hilfe suchen. Mehr als die Hälfte der funktionalen Analphabeten hat einen Job. Berufe, in denen der Anteil funktionaler Analphabeten überdurchschnittlich hoch ist, sind Hilfsarbeiter auf dem Bau (jeder Zweite) sowie Köche, Maler und Lkw-Fahrer.

Leichte Sprache als Lösung

Die Lösung liegt auf der Hand: Die Leichte Sprache ist eine möglichst barrierefreie Variante der deutschen Schriftsprache. Laut der Dolmetscherin und Übersetzerin für Leichte Sprache Anne Leichtfuß sind deutschlandweit 14 Millionen Menschen auf Leichte und Einfache Sprache angewiesen. Dazu zählen Menschen mit geistiger Behinderung, Lernschwierigkeiten oder einer weitgehenden Lese- und Schreibschwäche.

Leichte Sprache dient der Barrierefreiheit und Teilhabe. In Artikel 3 des Grundgesetzes heißt es: "Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden." Deutschland hat die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert, sie weist die Teilhabe von Menschen mit Behinderung als Menschenrecht aus. Eine Reihe von Gesetzen wie das Behindertengleichstellungsgesetz und das Bundesteilhabegesetz setzen dies um.

Statt "Antidiskriminierungsbeauftragte" könnte man beispielsweise von einer "Stelle gegen Benachteiligung" oder einem "Büro für faire Behandlung" sprechen. Das "Netzwerk Deutsche Sprache" empfiehlt etwa statt der Wendung "Öffentlicher Nahverkehr", einfacher "Bus und Bahn" zu schreiben. Das Verb "genehmigen" solle man durch "erlauben" ersetzen.

Die Verantwortung der Institutionen

"Antidiskriminierungspolitik ist kein Minderheitenthema", sondern "ein Freiheitsthema" und betreffe alle, unterstrich Ferda Ataman. Sie sehe sich als Beauftragte aller Menschen in Deutschland. Viele erlebten Einschränkungen, jeder könne in eine solche Situation geraten. 63.000 Anfragen seien seit Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) 2006 an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes und das im vergangenen Jahr neu geschaffene Amt der Unabhängigen Beauftragten gerichtet worden.

Die Initiative zur Wahl des "Wortgetüms" ist ein wichtiger Schritt zur Bewusstseinsbildung. Sie wurde gemeinsam von den Berliner Alpha-Bündnissen, der Stiftung Grundbildung Berlin und dem Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS) ins Leben gerufen. Die Aktion soll künftig jährlich stattfinden.

Ein Aufruf zum Umdenken

Die Auszeichnung "Wortgetüm des Jahres" ist mehr als nur symbolisch. Sie ist ein dringender Appell an alle Institutionen – besonders jene, die sich dem Schutz marginalisierter Gruppen verschrieben haben – ihre Sprache zu überdenken. Wenn ausgerechnet die Antidiskriminierungsstelle durch ihre Bezeichnung Menschen ausschließt, die sie schützen soll, offenbart das ein fundamentales Problem unserer Institutionen.

Für die queere Community bedeutet dies: Der Kampf für Gleichberechtigung muss auch ein Kampf für verständliche Sprache sein. Nur wenn alle Menschen – unabhängig von ihrer Bildung oder ihren Lese- und Schreibfähigkeiten – Zugang zu Unterstützung und Information haben, kann echte Inklusion gelingen. Das ermöglicht eine selbstbestimmte Teilhabe in allen Lebensbereichen. Leichte Sprache und Inklusion sind also untrennbar miteinander verknüpft.

Die Wahl von "Antidiskriminierungsbeauftragte" zum Wortgetüm des Jahres sollte uns alle wachrütteln. Es ist Zeit, dass wir Sprache nicht als Werkzeug der Ausgrenzung, sondern als Brücke zur Teilhabe verstehen. Denn wahre Antidiskriminierungsarbeit beginnt damit, dass jeder Mensch verstehen kann, wo er Hilfe findet.


Mit seiner Petition kämpft Nour gegen das Schweigen: „Wir müssen alle lauter werden"

Nach einem brutalen queerfeindlichen Überfall am Halleschen Tor in Berlin-Kreuzberg, bei dem Nour und sein Freund von einer Gruppe Männer angegriffen wurden, bricht das Opfer nun sein Schweigen. In einem bewegenden Interview mit queer.de erzählt der junge Mann nicht nur von den dramatischen Folgen der Attacke, sondern auch von seinem Kampf für mehr Sichtbarkeit und gegen queerfeindliche Gewalt in Deutschland.

Ein erschreckender Anstieg der Gewalt

Die Zahl queerfeindlicher Straftaten in Berlin erreichte mit 588 Vorfällen im Jahr 2023 einen neuen Höchststand. Auch die Zahl der Gewaltdelikte ist zuletzt angestiegen und lag 2022 mit 148 Gewalttaten höher als je zuvor, 2023 mit 127 Fällen weiterhin auf einem deutlich erhöhten Niveau. Diese alarmierenden Zahlen aus dem aktuellen Berliner Monitoring-Bericht zeigen, dass Nours Schicksal kein Einzelfall ist.

738 explizit queerfeindliche Vorfälle hat die Opferberatungsstelle Maneo im vergangenen Jahr in Berlin gezählt. Das ist ein Anstieg um acht Prozent im Vergleich zum Vorjahr (2023: 685), „Damit wurde erneut ein Höchststand an dokumentierten Fällen erreicht." Besonders besorgniserregend: Maneo schätzt, dass 80 bis 90 Prozent der Vorfälle weder einer Beratungsstelle gemeldet noch auch bei der Polizei angezeigt werden.

Der brutale Überfall und seine Folgen

Der Angriff auf Nour und seinen Freund begann mit queerfeindlichen Beleidigungen wie „Scheiß-LGBTQ, ihr Ficker, Hurensöhne, Schwuchteln", nachdem sie ein Drogenangebot abgelehnt hatten. Die Situation eskalierte, als die Angreifer sie mit einem Moped verfolgten und schließlich zu neunt oder zehnt brutal auf sie einschlugen. Erst der Schrei einer Frau brachte die Täter zur Flucht.

Die körperlichen Folgen waren schwerwiegend: Bei Nour wurde eine gebrochene Stirnhöhle diagnostiziert, die operiert werden musste. Sein Freund erlitt eine ausgekugelte Schulter. Doch die psychischen Narben wiegen schwerer. Als Geflüchteter aus Syrien, der bereits in seiner Heimat Traumatisierendes erlebt hatte, wurde Nour nun auch in Berlin, wo er Sicherheit suchte, Opfer von Gewalt.

„Ich fühle mich nicht mehr sicher, besonders wenn ich abends allein unterwegs bin", erzählt Nour. „Ich muss mich ständig umdrehen, um sicherzugehen, dass mir niemand folgt. Schon eine unerwartete Berührung von hinten lässt mich panisch zusammenzucken."

Eine Petition als Zeichen gegen Hass

Statt sich zurückzuziehen, startete Nour eine Petition gegen queerfeindliche Gewalt in Berlin. Seine Forderungen sind konkret: lückenlose Aufklärung seines Falls, verbesserte Sicherheit im öffentlichen Raum und ein klares politisches Signal gegen Queerfeindlichkeit.

„Mir ist es wichtig, nun über diesen Angriff zu sprechen, obwohl es emotional sehr belastend ist, weil so viele Menschen von ähnlichen Taten betroffen sind, sich aber nicht trauen, darüber zu reden", erklärt Nour seine Motivation. „Ich möchte meine Stimme erheben, weil ich glaube, dass wir alle lauter werden müssen, um wirklich etwas zu verändern."

Die Sicherheitslage in Berlin

Die Hälfte der erfassten queerfeindlichen Straftaten spielten sich 2023 im öffentlichen Raum (44,6 %) und ÖPNV (11,2 %) ab. Allerdings fungieren auch stärker geschlossene Örtlichkeiten wie Wohngebäude (20,7 %), Freizeiteinrichtungen/Geschäfte/Gastronomie (9,9 %) oder Bildungseinrichtungen (3,9 %) oftmals als Tatorte.

Als Reaktion auf die steigenden Zahlen entwickelt Berlin derzeit eine Landesstrategie für queere Sicherheit und gegen Queerfeindlichkeit. Alfonso Pantisano, Ansprechperson Queeres Berlin, betont: „Die Berliner Polizei und der Staatsanwaltschaft empfiehlt, jeden einzelnen dieser queerfeindlichen Angriffe zur Anzeige zu bringen. Ich erwarte, dass diese Anzeigen dann auch ernstgenommen werden und entsprechende Schutzmaßnahmen von den zuständigen Sicherheitsbehörden eingeleitet werden."

Unterstützung für Betroffene

Die überwältigende Solidarität aus der Community gibt Nour Kraft. Er erhielt Besuche im Krankenhaus, zahlreiche Nachrichten und rechtliche Unterstützung von verschiedenen Organisationen. Für andere Betroffene stehen in Berlin mehrere Anlaufstellen zur Verfügung:

  • Maneo - das schwule Anti-Gewalt-Projekt mit einem Überfalltelefon (030-216 33 36, täglich 17-19 Uhr)
  • ReachOut - Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt
  • Die Lesbenberatung Berlin für lesbische und queere Frauen

Maneo ist eine Fachstelle, die sich seit 35 Jahren mit queerfeindlicher Gewalt beschäftigt und Betroffene von Diskriminierung und Übergriffen berät. Für das vergangene Jahr verzeichnet Maneo 1963 Beratungsgespräche – ein neuer Höchststand.

Eine Botschaft der Hoffnung

Trotz allem blickt Nour hoffnungsvoll in die Zukunft. Seine Botschaft an andere Betroffene ist eindringlich: „Bitte, schweigt nicht. Erhebt eure Stimmen, denn Schweigen ändert nichts. Wenn wir uns verstecken, dann gewinnen diejenigen, die Hass verbreiten. Aber wenn wir uns zeigen und unsere Geschichten erzählen, dann sind wir nicht mehr allein."

Für die Community wünscht er sich „eine bunte, freie Welt, in der jeder seinen Frieden findet und das Wort ‚Hass' für immer aus den Herzen aller Menschen verschwindet." Und ganz persönlich hofft er, dass das Wort „Trauma" eines Tages seine negative Bedeutung verliert und er es positiv besetzen kann.

Nours Geschichte zeigt: Der Kampf gegen Queerfeindlichkeit braucht Mut – den Mut, sichtbar zu sein, zu sprechen und zusammenzustehen. Nur gemeinsam können wir eine Gesellschaft schaffen, in der niemand mehr Angst haben muss, zu lieben, wen er liebt.


Ungarn verbietet erneut Pride-Parade: Widerstand wächst - Ein beunruhigendes Signal für LGBTQ+-Rechte in Europa

Die ungarische Polizei hat eine für den 4. Oktober geplante Pride-Demonstration in Pécs verboten und beruft sich dabei auf eine umstrittene Verfassungsänderung der Orbán-Regierung. Trotz des Verbots kündigten die Organisator*innen an, die Demonstration dennoch durchzuführen - ein mutiger Akt des Widerstands gegen die zunehmende Unterdrückung queerer Menschen in Ungarn. Die aktuelle Entwicklung wirft ein beunruhigendes Licht auf die Situation der LGBTQ+-Community in dem EU-Mitgliedsstaat. (Quelle: queer.de)

Ein Verbot mit weitreichenden Folgen

Das Verbot der Pride-Parade in Pécs, der fünftgrößten Stadt Ungarns mit rund 138.000 Einwohner*innen, stützt sich auf eine Verfassungsänderung, die den Schutz der "seelischen und moralischen Entwicklung" von Kindern als Grundrecht etabliert, das Vorrang vor anderen Grundrechten wie der Versammlungsfreiheit hat. Die Regierung von Viktor Orbán hatte kürzlich Kundgebungen verboten, die "Abweichungen von der Identität des Geburtsgeschlechts, Geschlechtsumwandlung oder Homosexualität fördern oder zur Schau stellen".

Die Organisator*innen des Diverse Youth Network bezeichneten das Verbot als "schweren Schlag" für queere Menschen in Ungarn. Dennoch zeigen sie sich entschlossen: "Wir lassen uns nicht zum Schweigen bringen", erklärten sie und kündigten an, die Demonstration trotz des Verbots abzuhalten. Der diesjährige Pécs Pride, der bereits zum vierten Mal stattfinden sollte, trägt das Motto "Legyetek bátrak!" (Seid mutig!).

Budapest Pride trotz Verbot: Ein Zeichen des Widerstands

Die Entwicklung in Pécs folgt auf die beeindruckende Demonstration von Widerstand beim Budapest Pride im Juni 2024. Die Veranstalter sprachen von 200.000 Teilnehmern der 30. Budapester Pride-Parade. Medien nannten eine Zahl von mindestens 100.000. Es war die größte Pride in 30 Jahren und eine der machtvollsten Kundgebungen in der modernen Geschichte Ungarns.

Der liberale Budapester Bürgermeister Gergely Karácsony hatte einen cleveren Schachzug angewandt: Er erklärte die Pride zu einer offiziellen Feier der Hauptstadt Budapest, bei der das Versammlungsrecht nicht gelte. Deswegen benötige die Pride auch keine Genehmigung der Polizei. Dieser Trick ermöglichte es Hunderttausenden, für ihre Rechte zu demonstrieren, ohne strafrechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen.

Die rund 200.000 Teilnehmer hatten auch die vorgesehenen Strafen von umgerechnet bis zu 470 Franken nicht zu fürchten. Die Polizei teilte mit, keine Ermittlungen einzuleiten. Dies war ein bedeutender Sieg für die LGBTQ+-Community und zeigte die Grenzen von Orbáns repressiver Politik auf.

Die rechtliche Grundlage: Systematische Diskriminierung

Im Juni 2021 wurde ein neues Anti-LGBT-Gesetz erlassen. Es sieht vor, dass Homosexualität nicht mehr "propagiert" wird. Das heißt, dass im Zweifel jede Art von Information über Homosexualität nur unter Volljährigen verbreitet werden darf. Betroffen ist Aufklärungsunterricht an Schulen, aber auch Filme und Bücher mit schwulen Charakteren und Werbung, wenn diese sich an Minderjährige richtet.

Die ungarische Regierung orientiert sich dabei am russischen Modell. Das "Kinderschutzgesetz" aus dem Jahr 2021 orientiert sich direkt an der berüchtigten russischen Anti-Homosexuellen-Propaganda und verbietet Minderjährigen im Rahmen der Sexualerziehung und der allgemeinen Darstellung in Bildung, Medien und Werbung der sogenannten LGBT+-Propaganda ausgesetzt zu werden.

Die Sicherheitskräfte dürfen KI-gestützte Gesichtserkennung einsetzen, um Teilnehmende der Pride-Paraden zu identifizieren. Diese könnten eine Geldstrafe von bis zu 500€ auferlegt bekommen – eine erhebliche Summe in einem Land mit einem durchschnittlichen Monatseinkommen von etwa 1.600€.

Parallelen zu Deutschland: Warum uns das alle angeht

Während in Ungarn Pride-Paraden verboten werden, zeigt sich auch in Deutschland eine beunruhigende Entwicklung. Zwischen Juni und September 2024 verzeichnete CeMAS deutschlandweit in 27 Städten rechtsextreme Mobilisierungen gegen CSD-Veranstaltungen. Dabei kam es zu Einschüchterungen, Schikanen und Gewalt.

Für CeMAS ist die neue Welle von Anti-CSD-Demonstrationen in Deutschland Ausdruck eines Wandels in der deutschen Neonazi-Szene. Zunehmend gewinne eine neue Generation an Neonazis an Bedeutung, die jung, online und rhetorisch stärker auf Gewalt aus ist. Diese organisiert sich in neuen Gruppen, die erst durch die Teilnahme an Anti-CSD-Protesten an Relevanz gewonnen haben.

Besonders erschreckend: Einen besorgniserregenden Höhepunkt stellte der 10. August in Bautzen dar. Dort standen etwa 700 Demonstrierende den rund 1000 CSD-Teilnehmenden gegenüber. Diese Entwicklungen zeigen, dass der Kampf für LGBTQ+-Rechte auch in Deutschland weiterhin notwendig ist.

Die EU reagiert - aber reicht das?

Die Europäische Kommission verklagte Budapest im Jahr 2022 sogar wegen eines Anti-LGBTQ+-Gesetzes, das als "Kinderschutzgesetz" bekannt ist. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte vor dem Budapest Pride 2024 die ungarischen Behörden aufgefordert, das Verbot aufzuheben und betonte, dass Gleichheit und Nichtdiskriminierung zu den Grundwerten der EU gehören.

Trotz dieser internationalen Kritik zeigt sich die ungarische Regierung unbeeindruckt. Über 1,6 Millionen Menschen gaben in einer koordinierten Aktion bewusst ungültige Stimmen ab, um die Initiative der Regierung abzulehnen. Dass es für ungültig erklärt wurde, zeigt, dass ein großer Teil der ungarischen Bevölkerung die diskriminierende Politik der Regierung ablehnt.

Ein Hoffnungsschimmer: Der Widerstand wächst

Trotz der repressiven Maßnahmen zeigt sich die ungarische LGBTQ+-Community kämpferisch. Trotz der Anti-LGBTQ+-Rhetorik der Regierung hat die Akzeptanz von LGBTQ+-Menschen in Ungarn in den letzten Jahren nicht abgenommen. Tatsächlich zeigen die Ergebnisse einer internationalen Umfrage von IPSOS 2023 das genaue Gegenteil: Die Unterstützung für die gleichgeschlechtliche Ehe in Ungarn ist in den letzten 10 Jahren von 30 auf 47 Prozent gestiegen.

Die angekündigte Durchführung der Pécs Pride trotz Verbot am 4. Oktober 2024 ist ein weiteres Zeichen dieses wachsenden Widerstands. Als Magyarország egyetlen vidéki LMBTQ-felvonulása (Ungarns einzige Pride-Parade außerhalb der Hauptstadt) hat die Pécs Pride eine besondere symbolische Bedeutung. Bei der letzten Ausgabe nahmen etwa 1000 Menschen teil.

Was bedeutet das für uns?

Die Entwicklungen in Ungarn sind ein Weckruf für ganz Europa. Sie zeigen, wie schnell erkämpfte Rechte wieder eingeschränkt werden können, wenn autoritäre Kräfte an die Macht kommen. Die Solidarität mit der ungarischen LGBTQ+-Community ist deshalb nicht nur eine Frage der internationalen Solidarität, sondern auch des Schutzes unserer eigenen Demokratie und Freiheitsrechte.

In Deutschland genießen wir nach wie vor das Recht, unsere Pride-Paraden und CSDs frei zu feiern - auch wenn rechtsextreme Gegenmobilisierungen zunehmen. Doch die Entwicklung in Ungarn mahnt uns: Diese Freiheiten sind nicht selbstverständlich. Sie müssen verteidigt werden - jeden Tag aufs Neue.

Die mutigen Menschen in Pécs, die trotz Verbot auf die Straße gehen wollen, verdienen unsere volle Unterstützung. Ihr Kampf ist auch unser Kampf - für eine offene, vielfältige und freie Gesellschaft in ganz Europa.


Selbstbestimmung in Bewegung: Hunderte nutzen neues Gesetz in Schleswig-Holstein

Seit dem Inkrafttreten des Selbstbestimmungsgesetzes am 1. November 2024 haben allein in den größeren Städten Schleswig-Holsteins hunderte Menschen ihren Geschlechtseintrag und Vornamen ändern lassen. Das ergab eine aktuelle dpa-Umfrage, die einen ersten Einblick in die Auswirkungen des neuen Gesetzes gibt, das die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen durch eine einfache Erklärung gegenüber dem Standesamt ermöglicht.

Eine überfällige Reform wird Realität

Das Selbstbestimmungsgesetz löste das stark kritisierte Transsexuellengesetz (TSG) von 1980 ab, das trans Menschen jahrzehntelang hohe Hürden auferlegte. Das Bundesverfassungsgericht hatte wiederholt deutlich gemacht, dass die im TSG gestellten Bedingungen gegen Grundrechte verstoßen. Dennoch mussten trans Menschen bisher ein demütigendes und langwieriges gerichtliches Verfahren mit zwei Begutachtungen überstehen, die sie auch noch selbst bezahlen mussten.

Die Reform war längst überfällig: Deutschland spielt als Mitglied der Equal Rights Coalition, des Global Equality Fund und der LGBTI Core Group der Vereinten Nationen eine Schlüsselrolle bei der Verteidigung von LGBT und intersexuellen Rechten. Im März 2021 verpflichtete sich die Bundesregierung mit der LGBTI-Inklusionsstrategie, ihre Rolle bei der Förderung der Rechte von LGBTI-Menschen in internationalen und regionalen Menschenrechtsinstitutionen zu stärken.

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache

In Lübeck haben bereits 163 Menschen ihre personenstandsrechtlichen Daten geändert, wobei 78 Personen von weiblich auf männlich und 44 von männlich auf weiblich wechselten. 22 ließen den Geschlechtseintrag streichen, 19 wählten "divers". Ähnliche Zahlen zeigen sich in anderen Städten: Flensburg verzeichnete 100 Änderungen, Neumünster 45 und Norderstedt 35. In Kiel lagen bis Ende Dezember 234 Anmeldungen vor.

Diese Entwicklung fügt sich in einen bundesweiten Trend ein. Das Meinungsforschungsinstitut Gallup ermittelte einen Anteil für transgender Personen in den USA von 1,3 % im Jahr 2024, und die Deutsche Gesellschaft für Trans*- und Inter*geschlechtlichkeit (dgti) geht von einem ähnlichen Bevölkerungsanteil in Deutschland aus. Das würde bedeuten, dass etwa eine Million Menschen in Deutschland trans sind – eine Zahl, die die gesellschaftliche Relevanz des Themas unterstreicht.

Mehr als nur Verwaltungsakt: Die menschliche Dimension

Hinter jeder Statistik stehen individuelle Geschichten von Menschen, die oft jahrelang auf diese Möglichkeit gewartet haben. Studien zeigen, dass 56% der trans Menschen eine Langzeiterkrankung oder gesundheitliche Probleme haben, die länger als sechs Monate andauern. 27% der trans Befragten fühlten sich in den letzten 14 Tagen meistens oder immer depressiv oder niedergeschlagen. Die Möglichkeit zur selbstbestimmten Änderung des Geschlechtseintrags kann einen wichtigen Beitrag zur psychischen Gesundheit leisten.

Die Diskriminierungserfahrungen sind erheblich: In Deutschland berichteten 65% der trans Frauen von Diskriminierung in den letzten 12 Monaten, und nur 19% aller trans Personen glaubt, dass ihre Regierung Vorurteile und Intoleranz gegenüber LGBTIQ-Personen wirksam bekämpft.

Praktische Umsetzung zeigt erste Erfolge

Die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen muss drei Monate vor der Erklärung gegenüber dem Standesamt angemeldet werden. Dies war bereits ab dem 01.08.2024 möglich, sodass die ersten Änderungen pünktlich zum 1. November wirksam werden konnten. Für eine erneute Änderung gilt eine Sperrfrist von einem Jahr nach der vorherigen Änderungserklärung.

Für Minderjährige gelten besondere Regelungen: Für Minderjährige bis 14 Jahren können die Sorgeberechtigten die Änderungserklärung abgeben. Die Erklärung bedarf des Einverständnisses des Kindes, wenn es das fünfte Lebensjahr vollendet hat.

Unterstützung und Beratung in Deutschland

Für trans, inter und nicht-binäre Menschen sowie deren Angehörige gibt es in Deutschland ein wachsendes Netzwerk an Beratungsstellen. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes bietet eine kostenlose juristische Erstberatung an. Die Berater*innen informieren über mögliche rechtliche Schritte bei Diskriminierung. Darüber hinaus existieren spezialisierte Beratungsstellen wie die Inter*Trans*Beratung Queer Leben in Berlin oder regionale Anlaufstellen des Trans-Ident e.V.

Diese Beratungsstellen bieten nicht nur rechtliche Unterstützung, sondern auch psychosoziale Begleitung bei Coming-out-Prozessen, familiären Herausforderungen und Diskriminierungserfahrungen. Sie verstehen sich als sichere Räume, in denen trans Menschen und ihre Angehörigen Unterstützung ohne Pathologisierung erfahren.

Aktuelle Debatten und gesellschaftlicher Widerstand

Trotz der positiven Entwicklungen bleibt das Thema gesellschaftlich umstritten. Im schwarz-roten Koalitionsvertrag ist vereinbart, die neuen Regelungen bis Juli 2026 zu überprüfen. Die aktuelle Debatte um die verurteilte rechtsextreme Person Marla-Svenja Liebich zeigt, wie schnell Einzelfälle instrumentalisiert werden, um gegen das gesamte Gesetz Stimmung zu machen.

Als Reaktion auf die zunehmende Transphobie ist für den kommenden Donnerstag ein bundesweiter queerfeministischer Protesttag geplant. Der Protesttag am 11. September richtet sich gegen die immer mehr aufkommende Transfeindlichkeit, mit dem Zentrum des Protests in Berlin. Die queere Community und ihre Unterstützer*innen setzen damit ein deutliches Zeichen gegen Diskriminierung und für Selbstbestimmung.

Ein Blick in die Zukunft

Die hohen Antragszahlen in Schleswig-Holstein zeigen: Der Bedarf war da, und das neue Gesetz wird angenommen. Im Vergleich zu den Zeiten des TSG, als die Hürden für viele unüberwindbar waren, ermöglicht das Selbstbestimmungsgesetz nun einen würdevollen und selbstbestimmten Weg.

Mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz hat Deutschland einen Schandfleck in seiner Menschenrechtsbilanz beseitigt und sein Engagement für LGBT-Rechte im In- und Ausland gestärkt. Doch der Weg zu vollständiger Gleichstellung und gesellschaftlicher Akzeptanz ist noch weit. Die Zahlen aus Schleswig-Holstein sind ein ermutigendes Zeichen, aber sie erinnern uns auch daran, wie viele Menschen jahrzehntelang auf diese grundlegende Anerkennung ihrer Identität warten mussten.

Das Selbstbestimmungsgesetz ist mehr als eine Verwaltungsreform – es ist ein wichtiger Schritt zur Anerkennung der Menschenwürde und des Rechts auf geschlechtliche Selbstbestimmung. Die Entwicklungen in Schleswig-Holstein zeigen, dass dieser Schritt längst überfällig war und von der trans Community dankbar angenommen wird.


Britisches „Sex-Täuschungsgesetz": Trans Menschen im Dating-Dilemma – Parallelen und Unterschiede zu Deutschland

Ein aktueller Fall aus Großbritannien wirft beunruhigende Fragen über die rechtliche Behandlung von trans Menschen beim Dating auf. Die Verurteilung von Ciara Watkin wegen sexueller Nötigung, nachdem sie ihre Trans-Identität nicht offengelegt hatte, zeigt die komplexe rechtliche Grauzone, in der sich trans Menschen bewegen müssen – eine Situation, die auch in Deutschland zunehmend relevant wird.

Der Fall Ciara Watkin: Ein Präzedenzfall mit weitreichenden Folgen

Im August wurde die 21-jährige Ciara Watkin, die seit ihrem 13. Lebensjahr als Frau lebt, wegen zweifacher sexueller Nötigung und einem Fall von Körperverletzung durch Penetration verurteilt. Das Gericht argumentierte, dass ihr Partner keine „informierte Zustimmung" geben konnte, da sie ihm ihre Trans-Identität verschwiegen hatte. Die Jury brauchte nach nur zweitägiger Verhandlung lediglich eine Stunde für ihr Urteil.

Die britische Staatsanwaltschaft (CPS) hat ihre Richtlinien zur „Täuschung über das Geschlecht" Ende letzten Jahres aktualisiert. Laut den neuen Vorgaben gibt es keinen Unterschied zwischen einer absichtlichen Täuschung über das Geburtsgeschlecht und dem Verschweigen des Geburtsgeschlechts. Diese Änderung hat in der trans Community große Besorgnis ausgelöst.

„Ein unmögliches Dilemma": Die Stimmen betroffener Journalistinnen

Die trans Journalistinnen India Willoughby und jane fae kritisieren die aktuelle Rechtslage scharf. Willoughby bezeichnet die Verurteilung als „barbarisch und unmenschlich" und fragt: „Was für eine dystopische Welt ist das, in der das normal ist?" Sie sieht darin eine systematische Diskriminierung: „Wir haben keine Situation, in der Bisexuelle, cis Menschen, Konservative oder evangelikale Christen erklären müssen, wer sie sind, bevor sie Sex haben. Warum gilt das nur für trans Menschen?"

jane fae, Direktorin von TransActual, beschreibt das Dilemma prägnant: „Entweder offenbart man sich früh und riskiert Gewalt und Ablehnung, oder man schweigt bis zur Intimität und hofft, dass es in Ordnung ist. Keine der beiden Positionen ist ideal. Es bringt trans Frauen in eine unmögliche Situation."

Die Situation in Deutschland: Fortschrittliche Gesetze, aber anhaltende Herausforderungen

Im Vergleich zu Großbritannien zeigt sich Deutschland in der Gesetzgebung fortschrittlicher. Das neue Selbstbestimmungsgesetz (SBGG), das am 1. November 2024 in Kraft trat, erleichtert es trans, inter und nicht-binären Personen, ihren Geschlechtseintrag und Vornamen beim Standesamt ohne bürokratische Hürden zu ändern. Besonders bedeutsam ist dabei der Offenbarungsschutz: Nach § 13 des SBGG dürfen der frühere Geschlechtseintrag und Name nicht offengelegt oder erforscht werden.

Diese rechtliche Anerkennung steht im starken Kontrast zum britischen Ansatz. Während in Großbritannien trans Menschen unter Druck gesetzt werden, sich zu outen – mit der Gefahr strafrechtlicher Konsequenzen –, schützt das deutsche Recht aktiv die Privatsphäre von trans Personen.

Dating-Realitäten: Zwischen Akzeptanz und Gefahr

Studien zeigen, dass trans Menschen in Deutschland, Portugal und Großbritannien einem höheren Risiko ausgesetzt sind, Diskriminierung, Belästigung und Gewalt zu erfahren als cisgender schwule, lesbische und bisexuelle Personen. Diese Effekte sind besonders in Deutschland und Großbritannien ausgeprägt. In Berlin stiegen die von der Polizei erfassten anti-LGBTIQ*-Straftaten von 377 im Jahr 2020 auf 456 im Jahr 2021, wobei Beleidigungen die häufigste gemeldete Straftat darstellen.

India Willoughby beschreibt die Offenlegungspflicht als „extrem demütigend und stigmatisierend" und argumentiert, dass Großbritannien „das transphobste Land in Europa" geworden sei. Diese Einschätzung spiegelt sich in der steigenden Zahl von Hassverbrechen wider und unterstreicht die Dringlichkeit rechtlichen Schutzes.

Aktuelle Kontroversen: Der Fall Liebich und die Debatte um Missbrauch

Ein aktueller Fall in Deutschland zeigt, wie verletzlich die Rechte von trans Menschen bleiben. Ende 2024 nutzte der verurteilte Neonazi Sven Liebich das neue Selbstbestimmungsgesetz, um sich als Frau registrieren zu lassen und sollte seine Strafe in einem Frauengefängnis verbüßen – ein Schritt, der weithin als Versuch gesehen wurde, das deutsche Selbstbestimmungsgesetz zu verspotten.

LGBTQ-Aktivist*innen argumentieren, dass eine Aufhebung des Gesetzes zu mehr Diskriminierung führen würde. Die Kampagnengruppe Queer Nations warnte: „Für trans Menschen besteht das Risiko, dass einiges von dem, was der Trans-Aktivismus in den letzten 15 Jahren erreicht hat, rückgängig gemacht wird." Der Fall verdeutlicht die Spannung zwischen dem Schutz von trans Rechten und der Verhinderung von Missbrauch.

Ein europäischer Vergleich: Deutschland als Vorreiter?

Laut einer Umfrage von 2021 identifizieren sich etwa drei Prozent aller Einwohner*innen Deutschlands als transgender, genderfluid oder nicht-binär – einer der höchsten Werte weltweit. Die Zahl der Geschlechtseintragsänderungen ist seit Inkrafttreten des Selbstbestimmungsgesetzes deutlich gestiegen: Allein im November und Dezember 2024 wurden fast 10.000 Änderungen registriert.

Diese Zahlen zeigen, dass Deutschland trotz aktueller Kontroversen einen progressiveren Weg eingeschlagen hat als Großbritannien. Länder wie Argentinien, Belgien, Dänemark, Irland, Luxemburg, Malta, Norwegen, Portugal, Spanien und Uruguay bieten ebenfalls einfache administrative Verfahren zur rechtlichen Geschlechtsanerkennung auf Basis der Selbsterklärung.

Der Weg nach vorn: Zwischen Schutz und Selbstbestimmung

Der Fall Ciara Watkin und die britischen „Sex-Täuschungsgesetze" werfen fundamentale Fragen über Autonomie, Privatsphäre und Sicherheit auf. jane fae bringt es auf den Punkt: „Das ist die Zwickmühle, in die ein patriarchalisches System Frauen immer bringt. Die Tatsache, dass es trans Frauen auf diese spezielle Weise betrifft, ändert nichts an der Realität, dass Dating als Institution wie immer darauf ausgelegt ist, den heterosexuellen Mann zu schützen."

Deutschland zeigt mit seinem Selbstbestimmungsgesetz, dass ein anderer Weg möglich ist – einer, der die Würde und Privatsphäre von trans Menschen respektiert. Während die britische Gesetzgebung trans Menschen kriminalisiert, die ihre Identität nicht offenlegen, schützt das deutsche Recht aktiv ihre Privatsphäre.

Die Debatte um trans Rechte beim Dating ist letztendlich eine Debatte über Menschenwürde und Gleichberechtigung. In einer Zeit, in der Hassverbrechen gegen LGBTQI+ Personen zunehmen – mit einem Anstieg von 16% in Deutschland im Jahr 2022 –, ist es umso wichtiger, dass Gesetze trans Menschen schützen statt sie zu kriminalisieren.

Die Worte von India Willoughby hallen nach: Was für eine Gesellschaft wollen wir sein – eine, die Minderheiten zwingt, sich ständig zu outen und damit Gewalt zu riskieren, oder eine, die allen Menschen ermöglicht, in Würde und Sicherheit zu leben und zu lieben?


US-Gericht stoppt Trumps Angriff auf LGBTQ+-Gesundheitsinformationen – Warnsignal auch für Deutschland

Ein US-Bezirksgericht hat die Trump-Administration am 2. September zur Wiederherstellung hunderter gelöschter Webseiten mit wichtigen LGBTQ+-Gesundheitsinformationen verpflichtet. Die Trump-Administration wurde angeordnet, Hunderte von Webseiten zu Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion sowie Geschlechtsidentität im Rahmen einer gerichtlichen Einigung wiederherzustellen. Dieser Erfolg für die queere Community sendet ein wichtiges Signal – auch an Deutschland, wo ähnliche Informationsangebote zunehmend unter Druck geraten könnten.

Medizinische Organisationen erkämpfen Sieg vor Gericht

Betroffene Webseiten umfassten das HIV-Risikoreduktions-Tool des National Institute of Health, eine FAQ-Seite zur Mpox-Behandlung und Hunderte von Seiten zu Gesundheitsthemen, die die LGBTQ+-Community betreffen. Die Washington State Medical Association (WSMA) führte zusammen mit acht weiteren medizinischen Organisationen die Klage gegen die US-Regierung an, nachdem Trump im Januar ein Dekret zur Löschung dieser lebenswichtigen Ressourcen erlassen hatte.

Dr. John Bramhall, Präsident der WSMA, betonte die Tragweite des Eingriffs: "Vertrauenswürdige Gesundheitsinformationen verschwanden im Handumdrehen." Die Organisation, die mehr als 13.000 Ärzte vertritt, sah die Versorgung ihrer Patienten gefährdet und das Vertrauen in bundesstaatliche Gesundheitseinrichtungen erschüttert.

Trumps systematischer Angriff auf LGBTQ+-Rechte

Trump hat am Montag kurz nach seiner Amtsübernahme ernst gemacht und zahlreiche Bürgerrechtsprogramme beendet, die auch queere Menschen schützen sollten. Vor seinen versammelten Unterstützer*innen in der Washingtoner Capital One Arena hob der Republikaner 78 von seinem Vorgänger Joe Biden erlassene Dekrete, Verfügungen und Anordnungen auf, von denen mehrere darauf abzielten, Minderheiten die Gleichbehandlung am Arbeitsplatz oder im Gesundheitswesen zu garantieren. Trump beendete so konkret Durchführungsverordnungen aus der Ära Biden, die "Diskriminierung aufgrund der Geschlechtsidentität oder der sexuellen Ausrichtung" verhindern sollten.

Die Organisation GLAAD berichtete, dass fast alle Inhalte rund um LGBTIQ* und HIV auf der Webseite des Weißen Hauses entfernt wurden. An seinem ersten Tag zurück im Amt unterzeichnete er ein Dekret, das von der Annahme ausgeht, dass es nur das weibliche und männliche Geschlecht gebe. Entsprechend würden Identitäten fortan nur noch als weiblich oder männlich anerkannt, je nachdem, welche Geschlechtszellen der Körper produziert.

Parallelen zu Deutschland: Warnung vor rechten Strömungen

Die Entwicklungen in den USA sind auch für Deutschland alarmierend. Auch in Deutschland und Europa sind ähnliche autoritäre und wissenschaftsfeindliche politische Strömungen erkennbar. Deutsche Fachgesellschaften wie die Deutsche Gesellschaft für Infektiologie (DGI) und die Deutsche AIDS-Gesellschaft (DAIG) zeigen sich besorgt über die globalen Auswirkungen.

Prof. Dr. Christoph Spinner vom Klinikum der Technischen Universität München warnt eindringlich: "Überall dort, wo man den Bereich der Evidenz verlässt und sich auf Ideologien und Populismus stützt, ist es sehr wahrscheinlich, dass für Patientinnen und Patienten Rückschritte, wenn nicht gar lebensbedrohliche Komplikationen, eintreten können."

Deutschlands Gesundheitssystem: Vorbild und Verantwortung

Im Gegensatz zu den USA bietet Deutschland derzeit noch umfassende Informations- und Unterstützungsangebote für LGBTQ+-Personen. Plattformen wie Queermed Deutschland vermitteln sensibilisierte Ärzt*innen und Therapeut*innen. Queermed Deutschland soll auffangen, was aktuell durch das deutsche Gesundheitssystem nicht möglich ist: Eine respektvolle, sensibilisierte Gesundheitsversorgung für alle in Deutschland lebenden Menschen.

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung informiert über sexuelle Gesundheit und Vielfalt, während mit dem Aktionsplan "Queer leben" die Bundesregierung die Akzeptanz und den Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt stärken und Queerfeindlichkeit entgegenwirken will. Diese Angebote sind keine Selbstverständlichkeit, wie die US-Entwicklungen zeigen.

Gesundheitliche Ungleichheit macht Informationen unverzichtbar

Die Bedeutung zugänglicher Gesundheitsinformationen wird durch aktuelle Studien unterstrichen. 2,5 Mal so häufig Depressionen (über 26% der LGBTIQ-Befragten mit depressiver Erkrankung im Laufe des Lebens im Gegensatz zu 10% der cisheterosexuellen Befragten) zeigt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Diskriminierung und Minderheitenstress machen krank: Studien zeigen negative Folgen auf die Gesundheit von LSBTIQ*

Diese Zahlen verdeutlichen, warum der Zugang zu spezialisierten Gesundheitsinformationen buchstäblich lebensrettend sein kann. Die Trump-Administration ignorierte diese Realität bewusst und setzte ideologische Ziele über die Gesundheit von Millionen Menschen.

Widerstand formiert sich global

Simon Blake Obe, CEO der Organisation Stonewall, bezeichnet Trumps erste Amtshandlungen als "katastrophal" für die Rechte von LGBTIQ* Personen. Die Behauptung, dass trans Personen oder andere marginalisierte Gruppen kein Recht auf Existenz hätten, "weist alarmierende historische Parallelen zu einigen der schlimmsten Momente der Menschheit auf", so Obe.

Der erfolgreiche Widerstand der medizinischen Organisationen in den USA zeigt jedoch, dass der Kampf für LGBTQ+-Rechte nicht aussichtslos ist. Kevin Jennings, der Chef der queeren Bürgerrechtsorganisation Lambda Legal, kündigte bereits rechtliche Schritte an. "Unsere Community wird sich nicht auslöschen lassen. Lambda Legal wird nie damit aufhören, für Gerechtigkeit zu kämpfen", so Jennings.

Lehren für Deutschland: Wachsamkeit ist geboten

Die Ereignisse in den USA sollten Deutschland als Warnung dienen. Infektionskrankheiten sind eine globale Angelegenheit – wenn in den USA Gelder gestrichen und Forschung sowie Aufklärung behindert werden, wird das auch Folgen für Deutschland und Europa haben. Deutschland muss weiter in die globale Forschung investieren und im Kampf gegen HIV aktiv bleiben.

Die deutsche LGBTQ+-Community und ihre Verbündeten müssen wachsam bleiben. Die hart erkämpften Fortschritte in der Gesundheitsversorgung und Aufklärung sind keine Selbstverständlichkeit. Sie müssen aktiv verteidigt und ausgebaut werden – gegen populistische Strömungen, die auch hierzulande an Einfluss gewinnen.

Der Gerichtserfolg in den USA zeigt: Widerstand lohnt sich. Doch er mahnt auch, dass Errungenschaften fragil sind und jederzeit verteidigt werden müssen. Deutschland sollte aus den amerikanischen Erfahrungen lernen und seine inklusiven Gesundheitssysteme stärken, bevor es zu spät ist.


Selbstbestimmung in Bewegung: Hunderte nutzen neues Gesetz in Schleswig-Holstein

Seit dem Inkrafttreten des Selbstbestimmungsgesetzes am 1. November 2024 haben allein in den größeren Städten Schleswig-Holsteins hunderte Menschen ihren Geschlechtseintrag und Vornamen ändern lassen. Das ergab eine aktuelle dpa-Umfrage, die einen ersten Einblick in die Auswirkungen des neuen Gesetzes gibt, das die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen durch eine einfache Erklärung gegenüber dem Standesamt ermöglicht.

Eine überfällige Reform wird Realität

Das Selbstbestimmungsgesetz löste das stark kritisierte Transsexuellengesetz (TSG) von 1980 ab, das trans Menschen jahrzehntelang hohe Hürden auferlegte. Das Bundesverfassungsgericht hatte wiederholt deutlich gemacht, dass die im TSG gestellten Bedingungen gegen Grundrechte verstoßen. Dennoch mussten trans Menschen bisher ein demütigendes und langwieriges gerichtliches Verfahren mit zwei Begutachtungen überstehen, die sie auch noch selbst bezahlen mussten.

Die Reform war längst überfällig: Deutschland spielt als Mitglied der Equal Rights Coalition, des Global Equality Fund und der LGBTI Core Group der Vereinten Nationen eine Schlüsselrolle bei der Verteidigung von LGBT und intersexuellen Rechten. Im März 2021 verpflichtete sich die Bundesregierung mit der LGBTI-Inklusionsstrategie, ihre Rolle bei der Förderung der Rechte von LGBTI-Menschen in internationalen und regionalen Menschenrechtsinstitutionen zu stärken.

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache

In Lübeck haben bereits 163 Menschen ihre personenstandsrechtlichen Daten geändert, wobei 78 Personen von weiblich auf männlich und 44 von männlich auf weiblich wechselten. 22 ließen den Geschlechtseintrag streichen, 19 wählten "divers". Ähnliche Zahlen zeigen sich in anderen Städten: Flensburg verzeichnete 100 Änderungen, Neumünster 45 und Norderstedt 35. In Kiel lagen bis Ende Dezember 234 Anmeldungen vor.

Diese Entwicklung fügt sich in einen bundesweiten Trend ein. Das Meinungsforschungsinstitut Gallup ermittelte einen Anteil für transgender Personen in den USA von 1,3 % im Jahr 2024, und die Deutsche Gesellschaft für Trans*- und Inter*geschlechtlichkeit (dgti) geht von einem ähnlichen Bevölkerungsanteil in Deutschland aus. Das würde bedeuten, dass etwa eine Million Menschen in Deutschland trans sind – eine Zahl, die die gesellschaftliche Relevanz des Themas unterstreicht.

Mehr als nur Verwaltungsakt: Die menschliche Dimension

Hinter jeder Statistik stehen individuelle Geschichten von Menschen, die oft jahrelang auf diese Möglichkeit gewartet haben. Studien zeigen, dass 56% der trans Menschen eine Langzeiterkrankung oder gesundheitliche Probleme haben, die länger als sechs Monate andauern. 27% der trans Befragten fühlten sich in den letzten 14 Tagen meistens oder immer depressiv oder niedergeschlagen. Die Möglichkeit zur selbstbestimmten Änderung des Geschlechtseintrags kann einen wichtigen Beitrag zur psychischen Gesundheit leisten.

Die Diskriminierungserfahrungen sind erheblich: In Deutschland berichteten 65% der trans Frauen von Diskriminierung in den letzten 12 Monaten, und nur 19% aller trans Personen glaubt, dass ihre Regierung Vorurteile und Intoleranz gegenüber LGBTIQ-Personen wirksam bekämpft.

Praktische Umsetzung zeigt erste Erfolge

Die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen muss drei Monate vor der Erklärung gegenüber dem Standesamt angemeldet werden. Dies war bereits ab dem 01.08.2024 möglich, sodass die ersten Änderungen pünktlich zum 1. November wirksam werden konnten. Für eine erneute Änderung gilt eine Sperrfrist von einem Jahr nach der vorherigen Änderungserklärung.

Für Minderjährige gelten besondere Regelungen: Für Minderjährige bis 14 Jahren können die Sorgeberechtigten die Änderungserklärung abgeben. Die Erklärung bedarf des Einverständnisses des Kindes, wenn es das fünfte Lebensjahr vollendet hat.

Unterstützung und Beratung in Deutschland

Für trans, inter und nicht-binäre Menschen sowie deren Angehörige gibt es in Deutschland ein wachsendes Netzwerk an Beratungsstellen. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes bietet eine kostenlose juristische Erstberatung an. Die Berater*innen informieren über mögliche rechtliche Schritte bei Diskriminierung. Darüber hinaus existieren spezialisierte Beratungsstellen wie die Inter*Trans*Beratung Queer Leben in Berlin oder regionale Anlaufstellen des Trans-Ident e.V.

Diese Beratungsstellen bieten nicht nur rechtliche Unterstützung, sondern auch psychosoziale Begleitung bei Coming-out-Prozessen, familiären Herausforderungen und Diskriminierungserfahrungen. Sie verstehen sich als sichere Räume, in denen trans Menschen und ihre Angehörigen Unterstützung ohne Pathologisierung erfahren.

Aktuelle Debatten und gesellschaftlicher Widerstand

Trotz der positiven Entwicklungen bleibt das Thema gesellschaftlich umstritten. Im schwarz-roten Koalitionsvertrag ist vereinbart, die neuen Regelungen bis Juli 2026 zu überprüfen. Die aktuelle Debatte um die verurteilte rechtsextreme Person Marla-Svenja Liebich zeigt, wie schnell Einzelfälle instrumentalisiert werden, um gegen das gesamte Gesetz Stimmung zu machen.

Als Reaktion auf die zunehmende Transphobie ist für den kommenden Donnerstag ein bundesweiter queerfeministischer Protesttag geplant. Der Protesttag am 11. September richtet sich gegen die immer mehr aufkommende Transfeindlichkeit, mit dem Zentrum des Protests in Berlin. Die queere Community und ihre Unterstützer*innen setzen damit ein deutliches Zeichen gegen Diskriminierung und für Selbstbestimmung.

Ein Blick in die Zukunft

Die hohen Antragszahlen in Schleswig-Holstein zeigen: Der Bedarf war da, und das neue Gesetz wird angenommen. Im Vergleich zu den Zeiten des TSG, als die Hürden für viele unüberwindbar waren, ermöglicht das Selbstbestimmungsgesetz nun einen würdevollen und selbstbestimmten Weg.

Mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz hat Deutschland einen Schandfleck in seiner Menschenrechtsbilanz beseitigt und sein Engagement für LGBT-Rechte im In- und Ausland gestärkt. Doch der Weg zu vollständiger Gleichstellung und gesellschaftlicher Akzeptanz ist noch weit. Die Zahlen aus Schleswig-Holstein sind ein ermutigendes Zeichen, aber sie erinnern uns auch daran, wie viele Menschen jahrzehntelang auf diese grundlegende Anerkennung ihrer Identität warten mussten.

Das Selbstbestimmungsgesetz ist mehr als eine Verwaltungsreform – es ist ein wichtiger Schritt zur Anerkennung der Menschenwürde und des Rechts auf geschlechtliche Selbstbestimmung. Die Entwicklungen in Schleswig-Holstein zeigen, dass dieser Schritt längst überfällig war und von der trans Community dankbar angenommen wird.


Ein Meilenstein für trans Rechte: EU-Generalanwalt fordert Anerkennung der Geschlechtsidentität

Ein wegweisendes Gutachten des EU-Generalanwalts Richard de la Tour könnte die Rechte von trans Menschen in der gesamten Europäischen Union grundlegend stärken. Wie queer.de berichtet, hat der Generalanwalt am Donnerstag in Luxemburg erklärt, dass EU-Mitgliedsstaaten trans Menschen Ausweisdokumente ausstellen müssen, die mit ihrer gelebten Geschlechtsidentität übereinstimmen. Diese Entscheidung könnte besonders für trans Menschen in Ländern wie Bulgarien, Polen und Ungarn eine Wende bedeuten.

Der Fall aus Bulgarien: Wenn Dokumente zur täglichen Hürde werden

Im Zentrum des Falls steht eine trans Frau aus Bulgarien, die bereits eine Hormontherapie absolviert hat und ihr Leben als Frau lebt. Trotzdem verweigern ihr die bulgarischen Behörden die Änderung ihres Geschlechtseintrags. Der Grund: Das bulgarische Verfassungsgericht hatte 2021 entschieden, dass eine rechtliche Änderung des Geschlechts im Zivilstandsregister nicht zulässig sei, weil die bulgarische Verfassung nur ein binäres, biologisch festgelegtes Geschlecht kenne.

Die Konsequenzen dieser Verweigerung sind gravierend. „Die Diskrepanz, dass die Klägerin der einen Seite in ihrem äußeren Erscheinungsbild und ihrem Verhalten als weibliche Person auftritt, auf der anderen Seite aber in offiziellen Ausweisdokumenten, inklusive ihres Personalausweises, als männliche Person ausgegeben wird, führt jeden Tag zu Problemen, insbesondere wenn es um die Suche nach einem Arbeitsplatz geht", heißt es im EU-Gutachten.

Deutschland als Vorreiter – aber mit Gegenwind

Während in Bulgarien noch um grundlegende Rechte gekämpft wird, hat Deutschland mit dem Selbstbestimmungsgesetz einen historischen Schritt gemacht. Das Gesetz, das am 1. November 2024 in Kraft getreten ist, erleichtert es trans-, intergeschlechtlichen und nichtbinären Personen, ihren Geschlechtseintrag und ihre Vornamen ändern zu lassen. Eine Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen kann durch eine persönliche "Erklärung mit Eigenversicherung" gegenüber dem Standesamt erfolgen, wobei die Änderung drei Monate vorher angemeldet werden muss.

Diese Reform kommt zu einem kritischen Zeitpunkt. LGBT Aktivist*innen warnen vor einem Anstieg der Anti-LGBT-Gewalt in Deutschland, wobei der Bundesinnenminister im Juni 2023 mitteilte, dass die Polizei im vergangenen Jahr über 1.400 Hassverbrechen gegen LGBT-Menschen registriert hatte. Gleichzeitig gibt es politischen Gegenwind: Die AfD plant, im Bundestag über die Abschaffung des Selbstbestimmungsgesetzes zu diskutieren, und auch aus der Union kommen Forderungen, die Rechte von trans Menschen einzuschränken.

Die Realität am Arbeitsmarkt: Diskriminierung als Alltag

Die Bedeutung von Dokumenten, die der gelebten Geschlechtsidentität entsprechen, zeigt sich besonders deutlich im Arbeitsleben. Laut einer Expertise der Antidiskriminierungsstelle des Bundes sind Trans*Personen in hohem Maße individuell und strukturell benachteiligt, wobei die Arbeitslosenraten und der Anteil der Erwerbsunfähigkeit unter Trans*Personen überdurchschnittlich hoch sind.

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: 30 bis 40 Prozent der transgeschlechtlichen Menschen werden bei Bewerbungen wegen ihres Trans*-Seins nicht berücksichtigt, 15 bis 30 Prozent verlieren wegen ihres Trans*-Seins ihre Arbeit. Von den befragten transgeschlechtlichen Menschen würden 47 Prozent am Arbeitsplatz niemals offen mit ihrer Transidentität umgehen, und nur 21 Prozent der Befragten leben ihre Transidentität am Arbeitsplatz offen aus.

Eine aktuelle Studie des DIW Berlin und der Universität Bielefeld bestätigt diese prekäre Situation: 30 Prozent der LGBTQI*-Menschen sind mit Diskriminierung im Arbeitsleben konfrontiert, bei den Trans*-Menschen sind es sogar mehr als 40 Prozent.

Europa bewegt sich – langsam, aber stetig

Der EuGH hat bereits mehrfach die Rechte von trans Menschen gestärkt. Eine in einem EU-Staat amtlich festgestellte Geschlechtsidentität muss in allen 27 EU-Staaten anerkannt werden, urteilte der Europäische Gerichtshof, da eine Verweigerung der Anerkennung gegen die Rechte von EU-Bürger*innen verstoße. Im März 2024 entschied das Gericht zudem, dass für einen neuen Geschlechtsantrag kein Nachweis einer operativen Geschlechtsanpassung nötig sei.

Der Generalanwalt argumentierte, dass es die EU-Grundrechte verletzt, wenn trans Menschen keine Papiere im Einklang mit ihrer Geschlechtsidentität erhalten, da dies ihr Recht behindere, sich innerhalb der Union frei zu bewegen und aufzuhalten. Besonders wichtig: Die Ausstellung von Ausweispapieren dürfe nicht von einer durchgeführten operativen Geschlechtsanpassung abhängig gemacht werden, da dies das Recht auf Privatleben verletzen würde, das die EU-Grundrechtecharta garantiert.

Was bedeutet das für Deutschland?

Während Deutschland mit dem Selbstbestimmungsgesetz bereits einen wichtigen Schritt gemacht hat, zeigt das EU-Gutachten, dass der Schutz von trans Rechten eine gesamteuropäische Aufgabe ist. Immer mehr Länder haben die belastenden Anforderungen für eine rechtliche Geschlechtsanerkennung abgeschafft, darunter Argentinien, Belgien, Dänemark, Irland, Luxemburg, Malta, Norwegen, Portugal, Spanien und Uruguay, die einfache Verwaltungsverfahren zur rechtlichen Anerkennung des Geschlechts auf Grundlage der Selbstbestimmung eingeführt haben.

Die Herausforderung für Deutschland liegt nun darin, das erreichte Niveau zu verteidigen und weiter auszubauen. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes betont, dass es wichtig sei, dass sich Unternehmen in Bezug auf die Gleichstellung von LGBTQI*-Menschen klar positionieren, um zu signalisieren, dass man auch dann auf Verständnis trifft, wenn Diskriminierungserfahrungen gemacht werden.

Das Gutachten ist noch kein Urteil, aber die Richter*innen des EuGH orientieren sich bei ihrer Entscheidung in den meisten Fällen daran. Sollte der EuGH dem Gutachten folgen, wäre dies ein historischer Moment für die Rechte von trans Menschen in Europa – und eine klare Botschaft: Die Würde und Selbstbestimmung von trans Menschen ist kein Luxus, sondern ein fundamentales Menschenrecht, das in der gesamten EU geschützt werden muss.


Wenn der Hass auf die Fahne pinkelt: Angriff in Büttelborn zeigt Deutschlands Problem mit queerfeindlicher Gewalt

Es war ein besonders widerlicher Akt der Verachtung, der sich am letzten Augustwochenende vor dem Rathaus in Büttelborn abspielte. Unbekannte rissen die zum CSD Groß-Gerau gehissten Regenbogenfahnen herunter, urinierten darauf und drückten eine Zigarette aus. Wie queer.de berichtet, ermittelt nun der polizeiliche Staatsschutz. Die Gemeinde Büttelborn hat nach der Schändung von zwei Regenbogenfahnen Strafanzeige erstattet, nachdem Unbekannte die Seile von zwei Fahnenmasten beschädigten und anschließend auf die Fahnen urinierten sowie eine Zigarette ausdrückten.

Büttelborn steht nicht allein

Was in der 15.000-Einwohner-Gemeinde im Landkreis Groß-Gerau geschah, ist kein Einzelfall. Laut Bundeskriminalamt wurden 2024 bundesweit 1.765 Fälle im Bereich „sexuelle Orientierung" und 1.152 Fälle im Bereich „geschlechtsbezogene Diversität" gemeldet – ein Anstieg um etwa 18% beziehungsweise 35% im Vergleich zum Vorjahr. Die Dunkelziffer dürfte noch deutlich höher liegen, da viele Betroffene aus Scham oder Angst keine Anzeige erstatten.

Besonders alarmierend: In zwölf von 16 Bundesländern wurden 2024 insgesamt 3.453 rechts, rassistisch und antisemitisch motivierte Angriffe registriert – ein massiver Anstieg um ein Viertel im Vergleich zum Vorjahr. Täglich wurden im Jahr 2024 durchschnittlich neun einschlägige Angriffe verübt, bei denen im statistischen Durchschnitt 12 Menschen zur Zielscheibe wurden.

Der Kulturkampf erreicht die Provinz

Die Attacke in Büttelborn zeigt, wie der Hass auf queere Menschen mittlerweile auch kleinere Gemeinden erreicht hat. In Neubrandenburg beschloss die Stadtverordnetenversammlung im Oktober 2024, die Regenbogenflagge gänzlich abzuhängen – zu oft sei sie gestohlen worden. Ein fatales Signal der Kapitulation vor der Gewalt.

CSDs und Feste für Vielfalt werden immer öfter Ziel von Drohungen und Gewalt. In Gelsenkirchen wurde der CSD 2024 kurzfristig wegen einer „abstrakten Bedrohungslage" abgesagt, in Wernigerode drohte ein Mann einen Anschlag auf den CSD an. Das Agitationsfeld „Queerfeindlichkeit" rückte bei rechtsextremistischen Demonstrationen zunehmend in den Fokus, insbesondere im Zusammenhang mit Gegendemonstrationen zu Christopher-Street-Day-Veranstaltungen.

Bürgermeister bezieht klar Stellung

Umso wichtiger ist die deutliche Reaktion aus Büttelborn. Bürgermeister Marcus Merkel (SPD) und die Gemeinde zeigten sich „entsetzt und enttäuscht, aber auch wütend". In ihrer Stellungnahme heißt es unmissverständlich: „Büttelborn steht für Vielfalt und Gleichstellung und für ein gutes, würdevolles Leben all' seiner Bürger*innen."

Diese klare Haltung ist wichtig, denn sie sendet ein Signal: Wir lassen uns nicht einschüchtern. Wie der Queer-Beauftragte der Bundesregierung Sven Lehmann betont, werden jeden Tag in Deutschland Menschen angegriffen, bloß weil sie lieben, wie sie lieben. Zunehmend gibt es Übergriffe im Rahmen von CSDs, die darauf abzielen, sichtbares queeres Leben einzuschüchtern.

Die Politik reagiert – aber reicht das?

Immerhin: Die Politik hat das Problem erkannt. Der Bundestag hat im Juni 2024 „geschlechtsspezifische" sowie „gegen die sexuelle Orientierung gerichtete" Tatmotive als weitere Beispiele für menschenverachtende Beweggründe ausdrücklich in die Strafgesetze zu Hasskriminalität aufgenommen. Die Innenministerkonferenz beschloss, Gewalt gegen LSBTIQ* besser zu bekämpfen und die Empfehlungen eines Expertengremiums umzusetzen.

Doch Gesetze allein reichen nicht. Immer wieder werden eindeutig rechts oder rassistisch motivierte Angriffe von den Ermittlungsbehörden nicht als PMK-Rechts Hasskriminalität erfasst – wie etwa der Angriff auf eine Wohneinrichtung der Lebenshilfe für Menschen mit Behinderungen in Mönchengladbach.

Solidarität ist die beste Antwort

Der CSD Groß-Gerau, für den die geschändeten Fahnen gehisst wurden, findet traditionell Ende August statt. Der CSD Groß-Gerau ist für den 30. August 2025 geplant. Es wird ein wichtiges Zeichen sein, wie viele Menschen dann für Vielfalt und gegen Hass auf die Straße gehen.

Denn das ist die beste Antwort auf solche Attacken: Noch sichtbarer werden, noch lauter für Gleichberechtigung eintreten. Wie Sven Lehmann betont: Millionen von Menschen werden auch in diesem Jahr wieder die vielen CSDs besuchen, um für Freiheit, Vielfalt und Menschenrechte zu demonstrieren. Denn unsere Demokratie wird auch auf den CSDs verteidigt – vor allem in Kleinstädten und im ländlichen Raum.

Die Täter von Büttelborn mögen geglaubt haben, mit ihrer widerwärtigen Aktion ein Zeichen zu setzen. Doch sie haben nur eines bewiesen: Wie dringend notwendig es ist, dass wir alle – egal ob queer oder nicht – gemeinsam für eine offene Gesellschaft einstehen. Denn wenn Regenbogenfahnen angegriffen werden, geht es nicht nur um die LGBTQ+-Community. Es geht um unsere Demokratie selbst.


Ein Fall zwischen Notwehr und Totschlag: Wenn Selbstverteidigung zum tödlichen Drama wird

Im Frankfurter Landgericht hat ein Prozess begonnen, der die Grenzen zwischen Selbstverteidigung und strafbarer Handlung auf tragische Weise auslotet. Wie queer.de berichtet, steht eine 28-jährige trans Frau aus Jamaika vor Gericht, angeklagt wegen Totschlags. Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die besondere Vulnerabilität von trans Personen und die komplexen rechtlichen Fragen, die entstehen, wenn marginalisierte Menschen sich gegen Übergriffe zur Wehr setzen müssen.

Die Nacht im Bahnhofsviertel

Die Ereignisse spielten sich im Juni 2024 im Frankfurter Bahnhofsviertel ab, wo die Angeklagte gemeinsam mit einem 45-jährigen Bekannten die Nacht verbracht hatte. Am Morgen gingen beide in den Keller einer Bar – ein Ort, der laut den Ausführungen des Richters möglicherweise vom Opfer generell für sexuelle Kontakte genutzt wurde.

Was dann geschah, deutet auf eine Situation hin, in der Missverständnisse und möglicherweise auch übergriffiges Verhalten eine fatale Dynamik entwickelten. Der Vorsitzende Richter sagte nach der Verlesung der Anklage in ungewöhnlich offenen Worten, es gebe Hinweise, dass sich die Angeklagte bei der Auseinandersetzung im Keller habe verteidigen wollen. Die Formulierung "Vielleicht gab es zwischen den beiden Missverständnisse" und der Hinweis, dass der Mann möglicherweise Sex gewollt und die Tür abgeschlossen habe, lassen erahnen, in welcher Zwangslage sich die Frau befunden haben könnte.

Elfmal zugestochen – Notwehr oder Exzess?

Die Anklage wirft der Frau vor, elfmal mit einem Springmesser auf den Oberkörper ihres Bekannten eingestochen und dabei Lunge und Leber verletzt zu haben. Der Mann starb wenige Stunden später im Krankenhaus. Die hohe Anzahl der Stiche wirft zwangsläufig die Frage auf, ob hier die Grenzen der Notwehr überschritten wurden.

Nach deutschem Recht findet sich die gesetzliche Regelung zur Notwehr in § 32 StGB. Notwehr ist demnach die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden. Doch die Frage der Verhältnismäßigkeit bleibt komplex, besonders in Extremsituationen.

Eine gewisse Überschreitung der Notwehr ist laut § 33 StGB straffrei, wenn aufgrund von Furcht, Schrecken oder Verwirrung gehandelt wurde. Damit wird der psychischen Ausnahmesituation Rechnung getragen - in einer Notsituation ist es meist unmöglich, über die Verhältnismäßigkeit der Verteidigung nachzudenken.

Die besondere Gefährdung von trans Frauen

Der Fall muss auch vor dem Hintergrund der besonderen Gefährdung von trans Personen betrachtet werden. Im Jahr 2023 wurden in Deutschland 1.785 Straftaten gegen LSBTIQ* polizeilich erfasst, nach 1.188 im Jahr 2022 – ein besorgniserregender Anstieg. Weltweit wurden zwischen 2008 und 2023 insgesamt 4.690 Morde an trans* Personen dokumentiert, davon 107 in der EU und drei in Deutschland. Besonders häufig betroffen sind trans* Frauen.

Nur 13% der LSBTIQ*-Personen in Deutschland gehen nach physischen Angriffen oder sexualisierter Gewalt zur Polizei. 23% haben in den letzten fünf Jahren nach einer Gewalttat eine Anzeige aus Angst vor homo-/transfeindlicher Reaktion der Polizei vermieden. Diese Zahlen verdeutlichen die prekäre Situation, in der sich viele trans Personen befinden – gefährdet durch Gewalt, aber gleichzeitig unsicher, ob sie im Ernstfall auf den Schutz staatlicher Institutionen vertrauen können.

In Berlin erreichte die Zahl der Gewaltdelikte gegen LSBTIQ* 2022 mit 148 Gewalttaten einen Höchststand, 2023 lag sie mit 127 Fällen weiterhin auf einem deutlich erhöhten Niveau. Die Dunkelziffer dürfte noch weitaus höher liegen.

Signale der Verzweiflung

Bemerkenswert ist das Verhalten der Angeklagten nach der Tat: Sie selbst alarmierte zweimal den Notruf. Auf Videoaufnahmen nach der Tat wirkte sie laut Richter geschockt und weinte. Auch im Gerichtssaal kamen ihr die Tränen. Dies sind keine typischen Reaktionen einer kaltblütigen Täterin, sondern deuten vielmehr auf eine Person hin, die in einer extremen Notsituation gehandelt hat.

Im Prozess wurde die Angeklagte als Frau angesprochen, was ein wichtiges Signal für den respektvollen Umgang mit ihrer Geschlechtsidentität darstellt. Das Landgericht hatte zuvor erklärt, dass die Angeklagte in der Anklage als Mann bezeichnet wurde, da bisher keine geschlechtsanpassende Operation stattgefunden habe – eine Praxis, die mittlerweile als überholt gilt und die Würde von trans Personen verletzt.

Die rechtliche Bewertung steht aus

Der Prozess soll in drei Wochen fortgesetzt werden, wobei auch ein Psychiater als Sachverständiger gehört werden soll. Nach der bisherigen Planung könnte Ende Oktober ein Urteil verkündet werden. Das Gericht steht vor der schwierigen Aufgabe, die komplexen Umstände dieses Falls zu bewerten.

Der Fall zeigt exemplarisch die Herausforderungen auf, vor denen trans Personen stehen: Sie sind überdurchschnittlich häufig von Gewalt betroffen, gleichzeitig wird ihre Glaubwürdigkeit oft in Frage gestellt, wenn sie sich zur Wehr setzen. Nach deutschem Notwehrrecht braucht das Recht dem Unrecht nicht zu weichen – der Angegriffene ist nicht verpflichtet zu fliehen. Doch die Frage, was in einer konkreten Situation als angemessene Verteidigung gilt, bleibt oft eine Gratwanderung.

Dieser tragische Fall unterstreicht die Notwendigkeit, die strukturelle Gewalt gegen trans Personen ernst zu nehmen und präventive Maßnahmen zu verstärken. Es ist entscheidend, die besonderen Mechanismen zu verstehen, die zu Diskriminierung und Gewalt gegen diese Personengruppe führen. Nur auf dieser Grundlage können effektive Präventionsmaßnahmen ergriffen werden.

Unabhängig vom Ausgang dieses Prozesses bleibt die Tatsache bestehen, dass ein Mensch tot ist und eine junge Frau möglicherweise jahrelang ins Gefängnis muss – ein Drama, das sich möglicherweise hätte verhindern lassen, wenn unsere Gesellschaft sicherere Räume für alle Menschen schaffen würde, unabhängig von ihrer Geschlechtsidentität.


Ein Meilenstein für Menschenrechte: EuGH stärkt trans Personen in Europa

Ein wegweisendes Gutachten des Europäischen Gerichtshofs könnte die Rechte von trans Menschen in ganz Europa nachhaltig stärken. Richard de la Tour, Generalanwalt am EuGH, stellte am Donnerstag klar, dass EU-Mitgliedsstaaten trans Menschen Ausweisdokumente ausstellen müssen, die mit der gelebten Geschlechtsidentität übereinstimmen. Die Entscheidung betrifft den Fall einer trans Frau aus Bulgarien und sendet ein deutliches Signal an alle EU-Staaten – gerade in Zeiten, in denen trans Rechte zunehmend unter Druck geraten. Das vollständige Gutachten können Sie hier nachlesen.

Der Fall aus Bulgarien: Wenn Dokumente zur täglichen Hürde werden

Die Klägerin aus Bulgarien lebt bereits als Frau und hat eine Hormontherapie absolviert. Doch ihre offiziellen Dokumente spiegeln ihre Identität nicht wider. Im Februar 2023 strich das Oberste Kassationsgericht die Möglichkeit für transgeschlechtliche Menschen, ihr amtliches Geschlecht zu ändern. Der bulgarische Oberste Gerichtshof stützt sich auf die Entscheidung des Verfassungsgerichts von vor zwei Jahren, die besagt, dass das bulgarische Recht das Geschlecht als etwas versteht, das bei der Geburt festgelegt wird.

Die Auswirkungen sind verheerend: Die Diskrepanz zwischen gelebter Identität und amtlichen Dokumenten führt zu alltäglichen Diskriminierungen, besonders bei der Jobsuche. Der Generalanwalt macht deutlich, dass dies fundamentale EU-Grundrechte verletzt – das Recht auf Privatleben und den Schutz vor Diskriminierung.

Deutschland als Vorreiter: Das Selbstbestimmungsgesetz zeigt den Weg

Während Bulgarien trans Personen ihre Rechte verweigert, geht Deutschland mit gutem Beispiel voran. Am 1. November tritt das Selbstbestimmungsgesetz in Kraft. Trans*, inter* und nicht-binäre Personen können jetzt ihren Geschlechtseintrag und Vornamen in einem einfachen Verfahren beim Standesamt ändern lassen. Die Vorlage eines ärztlichen Attests oder die Einholung von Gutachten in einem Gerichtsverfahren sind nicht mehr nötig.

Das neue Gesetz ersetzt das über 40 Jahre alte Transsexuellengesetz, das vom Bundesverfassungsgericht in wesentlichen Teilen für verfassungswidrig erklärt wurde. Der deutsche Bundestag hat am 12. April 2024 ein wegweisendes Gesetz verabschiedet, das Transgender und nicht-binären Menschen erlaubt, ihre rechtlichen Dokumente durch ein auf der Selbstbestimmung basierendes Verwaltungsverfahren an ihre Geschlechtsidentität anzupassen.

Laut der Informationen des Bundesministeriums können Änderungen bereits drei Monate im Voraus beim Standesamt angemeldet werden. Das Verfahren ist bewusst niedrigschwellig gestaltet – ein wichtiges Signal für die Anerkennung der Selbstbestimmung.

Die Realität am Arbeitsplatz: Warum rechtliche Anerkennung so wichtig ist

Die Bedeutung korrekter Dokumente zeigt sich besonders im Arbeitsleben. Bei der Jobsuche haben 36% der trans* Personen in den letzten 12 Monaten Diskriminierung erfahren. 39% wurden im letzten Jahr am Arbeitsplatz diskriminiert. Noch alarmierender sind die Zahlen bei trans Frauen: 42% der trans* Frauen erlebten in den letzten 12 Monaten Diskriminierung bei der Jobsuche.

Eine Studie des DIW Berlin zeigt: 30 Prozent der LGBTQI*-Menschen sind mit Diskriminierung im Arbeitsleben konfrontiert. Bei den Trans*-Menschen sind es sogar mehr als 40 Prozent. Diese Zahlen unterstreichen, warum die rechtliche Anerkennung der Geschlechtsidentität nicht nur eine Frage der Würde, sondern auch der wirtschaftlichen Teilhabe ist.

Von den befragten transgeschlechtlichen Menschen würden 47 Prozent am Arbeitsplatz niemals offen mit ihrer Transidentität umgehen. Nur 21 Prozent der Befragten leben ihre Transidentität am Arbeitsplatz offen aus. Wenn schon die eigenen Dokumente die wahre Identität verleugnen, wie können trans Menschen dann von ihrem Umfeld Akzeptanz erwarten?

Ein europäischer Präzedenzfall mit Signalwirkung

Das EuGH-Gutachten ist mehr als eine juristische Einzelfallentscheidung. Es reiht sich ein in eine Serie wegweisender Urteile des Europäischen Gerichtshofs. Der EuGH hatte bereits entschieden, dass die in einem EU-Staat amtlich festgestellte Geschlechtsidentität in allen 27 EU-Staaten anerkannt werden muss. Die Verweigerung der Anerkennung der Geschlechtsidentität behindert die Rechte von Bürgerinnen und Bürgern, konkret das Recht, sich frei zu bewegen und aufzuhalten.

Die operative Geschlechtsanpassung darf dabei keine Voraussetzung sein. Der Generalanwalt betont, dass eine solche Forderung das Recht auf Privatleben verletzt, das die EU-Grundrechtecharta garantiert. Das Urteil betont, dass die Anerkennung der persönlichen Identität, einschließlich der Geschlechtsidentität, eine grundlegende Verpflichtung der Mitgliedstaaten ist.

Die politische Debatte in Deutschland: Zwischen Fortschritt und Widerstand

Trotz des Fortschritts durch das Selbstbestimmungsgesetz gibt es in Deutschland Gegenwind. Die AfD will kommende Woche im Bundestag über die Abschaffung des Gesetzes diskutieren. Vertreterinnen und Vertreter der Unionsparteien kritisierten, dass die Schutzfunktion des Staates gegenüber Kindern und Jugendlichen vernachlässigt werde. Auch könnten Kriminelle das Gesetz ausnutzen, um unter neuem Namen unterzutauchen. Die Union kritisiert, dass die Änderung nicht an Sicherheitsbehörden gemeldet werden soll.

Diese Argumente wurden jedoch bereits im Gesetzgebungsverfahren ausführlich diskutiert. Länder wie Argentinien, Belgien, Dänemark, Irland, Luxemburg, Malta, Norwegen, Portugal, Spanien und Uruguay haben bereits einfache Verwaltungsverfahren zur rechtlichen Anerkennung des Geschlechts auf Grundlage der Selbstbestimmung. Die Tendenz zu solchen unkomplizierten Verwaltungsverfahren spiegelt den internationalen medizinischen Konsens und die Menschenrechtsstandards wider.

Was das für trans Menschen in Europa bedeutet

Das EuGH-Gutachten sendet ein klares Signal: Die Würde und Selbstbestimmung von trans Menschen sind nicht verhandelbar. Für Länder wie Bulgarien, Polen oder Ungarn, die trans Rechte einschränken, wird der rechtliche Spielraum enger. Es ist ein klares Signal, dass die EU ihre Rechte schützt und Diskriminierung entschlossen entgegentritt.

Gleichzeitig zeigt Deutschland, dass Fortschritt möglich ist. Das neue Gesetz zeigt, dass die Regierung die Grundrechte von trans*- und nicht-binären Menschen unterstützt, was zu einem breiteren Verständnis und einer größeren Akzeptanz von verschiedenen Geschlechtsidentitäten beiträgt.

Der Weg zu vollständiger Gleichstellung ist noch weit. Der Bundesinnenminister teilte im Juni 2023 mit, dass die Polizei im vergangenen Jahr über 1.400 Hassverbrechen gegen LGBT-Menschen registriert hatte. In den letzten Jahren gab es mehrere Angriffe auf Pride-Veranstaltungen, von denen einer im Jahr 2022 zum gewaltsamen Tod eines Trans-Mannes führte. Aber jede rechtliche Anerkennung, jedes Urteil, das Menschenrechte stärkt, ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Das endgültige Urteil des EuGH steht noch aus, doch die Richter*innen folgen in der Regel den Empfehlungen des Generalanwalts. Für trans Menschen in ganz Europa könnte dies einen historischen Wendepunkt markieren – hin zu mehr Anerkennung, Würde und Selbstbestimmung.