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Wenn Lügen zur Waffe werden: Brigitte Macrons Kampf gegen transphobe Hetze

Die Worte ihrer Tochter vor Gericht sind eindringlich: "Es vergeht nicht eine Woche, ohne dass jemand sie auf diese Gerüchte anspricht", beschreibt Tiphaine Auzière die Folgen der jahrelangen Cybermobbing-Kampagne gegen ihre Mutter Brigitte Macron. In Paris müssen sich derzeit zehn Personen wegen systematischen Cybermobbings verantworten, weil sie die transphobe Verschwörungstheorie verbreitet haben, Frankreichs First Lady sei als Mann geboren worden. Was zunächst absurd klingt, offenbart bei genauerer Betrachtung ein gefährliches Muster, das Frauen in Machtpositionen weltweit trifft – und das auch in Deutschland nicht unbekannt ist.

Die Pariser Staatsanwaltschaft klagt die Angeklagten an, zahlreiche bösartige Bemerkungen über Macrons Geschlecht und Sexualität gemacht und den Altersunterschied von 24 Jahren zu ihrem Ehemann Emmanuel mit "Pädophilie" gleichgesetzt zu haben. Im Gerichtssaal bezeichnen mehrere Angeklagte ihre Äußerungen als "Satire" oder von der Meinungsfreiheit gedeckt – eine Verteidigungsstrategie, die an die Charlie-Hebdo-Tradition erinnern soll. Doch Auzière beschreibt, wie ihre Mutter systematisch darauf achten müsse, wie sie sich kleide, welche Gesten sie mache, um die Verdrehungen und Verleumdungen nicht anzuheizen.

Die Anatomie einer Verschwörungstheorie

Die ursprüngliche Quelle der Verschwörungserzählung lässt sich zurückverfolgen: Die selbsternannte "Journalistin und Whistleblowerin" Delphine J. verbreitete das Gerücht, dass Brigitte Macron nie existiert habe und ihr Bruder Jean-Michel diese Identität nach seiner "Geschlechtsumwandlung" angenommen habe. Eine groteske Behauptung, die leicht zu widerlegen ist – Auzière kommentierte vor Gericht trocken: "Ich habe meinen Onkel vor ein paar Wochen gesehen, ihm geht es sehr gut" (Quelle: queer.de).

Dennoch gewann die Falschinformation an Fahrt. Die transphoben Gerüchte verbreiteten sich in den USA wie ein Lauffeuer, wo das französische Präsidentenpaar im Sommer ein Gerichtsverfahren gegen die rechtsextreme Influencerin Candace Owens einleitete. Diese transphobe Desinformation hat sich seit der Wahl von Emmanuel Macron 2017 international verbreitet, besonders in den USA.

"Transvestigations": Ein globales Muster frauenfeindlicher Hetze

Brigitte Macron steht nicht allein. Viele andere Frauen des öffentlichen Lebens, wie die ehemalige First Lady der USA Michelle Obama, die ehemalige Premierministerin Neuseelands Jacinda Ardern, und die ehemalige Vizepräsidentin der USA Kamala Harris, sind ebenfalls Opfer ähnlicher transphober Kampagnen in den sozialen Medien geworden, die von Wissenschaftlern als "Transvestigations" bezeichnet werden.

Laut Lexi Webster, außerordentliche Professorin für digitale Kultur an der Universität Southampton, sind Transvestigations in den sozialen Medien entstanden, weil Einzelpersonen versuchen, eine Art versteckte Transgender-Identität bei Prominenten aufzudecken. Die Nutzer posten Bilder, auf denen sie "die Größe und Form der Schultern, des Schädels und des Kiefers, aber auch den Gang und die Genitalien einer Person untersuchen".

Falsche Behauptungen über die Geschlechtsidentität von starken Frauen in Machtpositionen dienen dazu, sie zu diffamieren und zu entmenschlichen. Diese Angriffe basieren auf tief verwurzelten trans- und frauenfeindlichen Vorurteilen. Auch in Deutschland sind solche Mechanismen nicht unbekannt: Sogar Britta Ernst, Ehefrau von Olaf Scholz, wurde bei Telegram transvestigiert, wie eine Analyse der Friedrich-Naumann-Stiftung aufzeigt.

Rechtliche Grauzone in Deutschland

Während in Frankreich nun ein Präzedenzfall geschaffen werden könnte – den Angeklagten drohen bis zu drei Jahre Haft und eine Geldstrafe von 45.000 Euro – stellt sich die Frage: Wie würde Deutschland mit solchen Fällen umgehen?

In Deutschland existiert bis dato kein eigenständiger Straftatbestand für Cybermobbing. Trotzdem können viele zum Cybermobbing gehörige Handlungen nach geltendem Recht strafbar sein, da sie das im Grundgesetz verankerte allgemeine Persönlichkeitsrecht betreffen. Transgender Personen sind in Deutschland durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geschützt, das Diskriminierung aufgrund von Geschlechtsidentität verbietet. Dies schließt auch diffamierende Aussagen oder Hassreden im Internet ein.

Dennoch besteht eine Schutzlücke. Fast zwei Drittel finden, dass die aktuellen strafrechtlichen Regelungen nicht ausreichen, um Betroffene effektiv zu schützen. Rund 64 Prozent halten die Einführung eines eigenen Straftatbestands für Cybermobbing für die wirksamste Maßnahme. Queere Menschen sind online vermehrt Gewaltandrohungen und Beleidigungen ausgesetzt.

Die tieferen Motive hinter der Hetze

Was treibt Menschen an, solche Verschwörungstheorien zu verbreiten? Die gefälschten Behauptungen haben sich zum Teil deshalb so sehr verbreitet, weil sie auf der Wahrnehmung aufbauen, dass Politiker von Natur aus betrügerisch sind. Weitere Faktoren sind "das verschwörerische Element, das transphobisch ist und von Diskursen untermauert wird, dass es eine Art Trans-Kabale gibt, die versucht, die Macht über bestimmte Branchen zu übernehmen".

Gender- und Sexualitätsforscher sagen, die Verschwörungstheorie über Michelle Obama als trans Frau gedeiht seit mehr als einem Jahrzehnt und wurzelt in Rassismus, Transphobie und Misogynie sowie in den Vorstellungen einiger Amerikaner darüber, wie eine First Lady Rasse-, Klassen- und Geschlechternormen verkörpern sollte.

Ein Signal für die Zukunft

Der Prozess in Paris ist mehr als nur eine juristische Auseinandersetzung. Er ist ein Kampf darum, welche Grenzen die Meinungsfreiheit hat, wenn sie zur Waffe gegen Einzelne wird. Die jahrelangen Verleumdungen "verschlechtern die Lebensbedingungen und die Gesundheit" von Brigitte Macron.

Für die LGBTQ+-Community hat dieser Fall eine zusätzliche Dimension: Die transphoben Verschwörungstheorien perpetuieren die gefährliche Vorstellung, dass trans-Identitäten etwas Täuschendes, Betrügerisches seien. Laut Forschenden des RESIST-Projekts ist Transfeindlichkeit "in allen untersuchten Kontexten eine etablierte Form sozialer Gewalt", die durch einen medialen und politischen Fokus in den letzten Jahren verstärkt wurde.

Während das Pariser Gericht noch berät, bleibt eine zentrale Erkenntnis: Die Behauptungen über Brigitte Macron und Michelle Obama sind unbegründete Verschwörungstheorien, die darauf abzielen, Frauen in Machtpositionen zu diskreditieren. Sie basieren auf keinerlei Fakten und wurden mehrfach widerlegt. Und doch zeigen sie, wie wirksam digitale Desinformation sein kann – und wie dringend wir in Deutschland und Europa einheitliche rechtliche Instrumente brauchen, um Betroffene zu schützen.


Influencerin flieht vor Regenbogenfahne: Wenn Toleranz an Grenzen stößt

Eine Geschichte, die nachdenklich macht: Die syrische Influencerin Salma Naddaf mit Millionen Followern verlässt Dänemark, weil sie mit den Regenbogenfahnen an den Schulen ihrer Kinder nicht leben kann. Die 36-Jährige kehrt nach Syrien zurück – in ein Land, in dem nach wie vor instabile Verhältnisse herrschen und Homosexualität illegal ist und mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden kann. Wie die schwedische Boulevardzeitung Expressen zuerst berichtete, begründet Naddaf ihre Entscheidung mit der Sichtbarkeit queerer Symbole im dänischen Bildungssystem (queer.de berichtete).

Ein Paradox der Toleranz

In einem emotionalen Abschiedsvideo erklärt Naddaf, sie halte die Präsenz der Pride-Flagge an Schulen für ein Signal, das nicht zu ihren Wertvorstellungen passt, betont aber gleichzeitig, sie respektiere andere Lebensentwürfe – wolle ihre Kinder jedoch „anders erziehen". Bemerkenswert: Im gleichen Atemzug, in dem sie von ihrer erlernten „Toleranz" in Europa spricht, offenbart sich die Grenze dieser Toleranz. Für queere Menschen reichte ihr neu gewonnenes Verständnis offensichtlich nicht.

Die Ironie der Situation ist bitter: Dänemark gehört laut dem aktuellen LGBTQ+ Rechte-Ranking von ILGA Europe zu den fünf bestplatzierten Ländern in Europa und steht für rechtliche Sicherheit und gesellschaftliche Akzeptanz. Homosexualität ist in Dänemark heute gesetzlich und gesellschaftlich weitgehend akzeptiert, und das Land war 1989 weltweit das erste, in dem die Eintragung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften möglich war. Genau diese Fortschrittlichkeit, die vielen queeren Menschen Sicherheit bietet, wird nun zum Fluchtgrund – allerdings in die entgegengesetzte Richtung.

Die Realität in Syrien

Was erwartet Naddaf und ihre Kinder in Syrien? Homosexualität wird im Strafgesetzbuch aus dem Jahr 1949, Artikel 520, als „widernatürliche sexuelle Beziehung" mit bis zu drei Jahren Gefängnis geahndet. Homosexuelle konnten sich in Damaskus vor dem Krieg nur in privaten Häusern treffen, und selbst dort waren sie in Gefahr: Die Sittenpolizei konnte jederzeit eingreifen. Für queere Syrer*innen bedeutet das Leben in ihrer Heimat Angst, Verstecken und die permanente Gefahr von Verfolgung.

Als der sogenannte Islamische Staat Ende 2013 die Stadt Rakka besetzte, wurden dort Homosexuelle – oder vermeintliche Homosexuelle – hingerichtet, indem sie von den Dächern hoher Häuser in den Tod gestoßen wurden. Auch wenn das Assad-Regime mittlerweile gestürzt ist, bleibt die Situation für LGBTQ+-Personen lebensbedrohlich. Eine Aufhebung des Anti-Homosexualitäts-Gesetzes durch die neuen islamischen Machthaber ist nicht zu erwarten, denn es waren gerade islamistische Gruppierungen, die zuletzt in vielen Ländern des Nahen Ostens die Verfolgung von queeren Menschen verschärft haben.

Deutschland: Ähnliche Debatten, andere Dimensionen

Auch in Deutschland gibt es Diskussionen um Regenbogenfahnen an Schulen – allerdings in einem völlig anderen Kontext. Im Landtag von Sachsen-Anhalt scheiterte die AfD im März 2025 mit einem Antrag, Regenbogenfahnen von Schulen zu verbannen – alle anderen Fraktionen lehnten den Vorstoß ab. Die rechte Fraktion behauptete, die Fahne sei ein „politisches Bekenntnis zur LGBTQ-Bewegung" und für Heranwachsende „in höchstem Maße schädlich", angeblich mit dem Ziel, das „natürliche und traditionelle Familienbild der Mehrheit" zu dekonstruieren.

Die demokratischen Parteien widersprechen dieser Sichtweise entschieden. Landesbildungsministerin Eva Feußner (CDU) erklärte, dass Schulen Kinder und Jugendliche zur „Achtung der Würde des Menschen" erziehen sollten und gehalten seien, „Kenntnisse und Fähigkeiten und Werthaltungen zu vermitteln, welche die Gleichachtung und Gleichberechtigung der Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht und ihrer Identität fördern."

Interessant ist: Niemand verpflichtet Schulen dazu, Regenbogenfahnen aufzuhängen – dem muss also ein Entscheidungsprozess vor Ort vorausgegangen sein, im Idealfall eingebettet in die Wertevermittlung der Schule, während eine verordnete Flagge kein Diskussionsgegenstand ist. Die Sichtbarkeit queerer Symbole ist das Ergebnis bewusster pädagogischer Entscheidungen, keine staatliche Zwangsmaßnahme.

Queere Geflüchtete: Die andere Fluchtrichtung

Während Naddaf vor Regenbogenfahnen aus Dänemark flieht, gibt es zahlreiche Menschen, die genau in die entgegengesetzte Richtung fliehen müssen. In Sammelunterkünften sind queere Geflüchtete häufig Anfeindungen ausgesetzt – nicht selten durch Mitbewohner*innen, deren Sozialisation von Intoleranz gegenüber LGBTQI geprägt ist. Experten zufolge kommen besonders viele LGBT-Geflüchtete nach Berlin, die Schwulenberatung Berlin schätzt ihre Zahl auf 3.500 bis 7.000.

In Deutschland hat sich die Situation für queere Asylsuchende in den letzten Jahren verbessert: Im Asylverfahren ist bei der Prüfung der Gefährdung von queeren Geflüchteten in ihren Herkunftsstaaten seit Oktober 2022 immer davon auszugehen, dass die sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität offen gelebt wird, und es werden Schulungen durchgeführt, um Entscheider*innen für die Schicksale queerer Schutzsuchender zu sensibilisieren. Diese Schutzmaßnahmen sind notwendig, weil Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung ein anerkannter Asylgrund ist.

Was sagt uns diese Geschichte?

Der Fall Salma Naddaf wirft grundlegende Fragen auf: Was bedeutet Integration? Wo sind die Grenzen der Toleranz – und wessen Grenzen müssen respektiert werden? Die Influencerin, die in ihrem Video von „Toleranz" spricht, zeigt gleichzeitig, dass diese Toleranz enden kann, sobald es um die Sichtbarkeit queeren Lebens geht. Sie nutzt ihre Freiheit, Dänemark zu verlassen – eine Freiheit, die queere Menschen in Syrien nicht haben.

Die Geschichte macht auch deutlich, wie privilegiert die Position ist, aus der heraus sie handelt. Mit über 10 Millionen Followern auf verschiedenen Social-Media-Plattformen hat Naddaf Ressourcen und Reichweite, die den meisten Menschen nicht zur Verfügung stehen. Ihre Entscheidung ist eine bewusste Ablehnung der Werte, für die Dänemark und andere nordeuropäische Länder jahrzehntelang gekämpft haben: Gleichberechtigung, Sichtbarkeit und Schutz von Minderheiten.

Während Naddaf zurück nach Syrien geht, sitzen zur gleichen Zeit in Deutschland, Österreich und anderen europäischen Ländern queere Geflüchtete aus Syrien in Angst und hoffen auf Schutz – Menschen, die genau vor der Gesellschaft fliehen, in die Naddaf nun „für die Zukunft ihrer Kinder" zurückkehrt. Diese Gleichzeitigkeit zeigt die Absurdität und Tragik der Situation.

Für die queere Community in Dänemark und Europa ist diese Geschichte ein Weckruf: Die Sichtbarkeit, die durch Regenbogenfahnen an Schulen symbolisiert wird, ist nicht selbstverständlich. Sie ist hart erkämpft und muss verteidigt werden – nicht nur gegen politische Angriffe von rechts, sondern auch gegen gesellschaftliche Strömungen, die Vielfalt und Akzeptanz ablehnen, unabhängig von ihrer Herkunft.


Historischer Moment: Queerer Gottesdienst im ZDF erreicht fast 700.000 Zuschauer*innen

Am vergangenen Sonntag schrieb das deutsche Fernsehen Geschichte: Erstmals übertrug das ZDF einen queeren katholischen Gottesdienst – aus der katholischen St.-Anna-Kirche in Münster. Fast 700.000 Menschen verfolgten die Live-Übertragung, eine Zuschauerzahl, die laut ZDF etwas höher ausfiel als üblich. Die Originalquelle zu diesem bemerkenswerten Ereignis findet sich auf queer.de. Für die queere Community in Deutschland bedeutet diese Ausstrahlung weit mehr als nur eine Fernsehsendung – sie ist ein kraftvolles Signal der Sichtbarkeit und Akzeptanz.

Eine Premiere mit historischer Bedeutung

Der Gottesdienst wurde von der Queergemeinde Münster vorbereitet, die zu den ältesten ihrer Art in Deutschland gehört. Die Queergemeinde Münster wurde 1999 von einer Gruppe schwuler Theologen gegründet. Seit über 25 Jahren bietet sie Menschen, die lesbisch, schwul, bisexuell, trans, queer oder inter sind, einen sicheren Raum, ihren Glauben zu leben.

"Für uns als Queergemeinde Münster ist das ein riesiger Moment: Zum ersten Mal wird ein Queergottesdienst im Fernsehen gezeigt! Seit über 25 Jahren schaffen wir Raum für queeren Glauben, Akzeptanz und Gemeinschaft - und jetzt dürfen wir diese Botschaft mit ganz Deutschland teilen", schrieb die Gemeinde auf Instagram. Die Feier fand unter erhöhten Sicherheitsmaßnahmen statt, was die gesellschaftliche Brisanz des Themas unterstreicht.

"Wer bin ich – für dich?" – Eine Botschaft der Annahme

Unter dem Motto "Wer bin ich – für dich?" wurde der Gottesdienst mit Pfarrer Karsten Weidisch gefeiert. Das Motto nahm eine Aussage des verstorbenen Papsts Franziskus auf. Auf die Frage zum Umgang der Kirche mit homosexuellen Menschen hatte er geantwortet: "Wer bin ich, ihn zu verurteilen?" Diese berühmten Worte aus dem Jahr 2013 hatten damals weltweit für Aufsehen gesorgt und vielen queeren Katholik*innen Hoffnung gegeben.

In seiner Predigt bezog sich Pfarrer Weidisch auf das Gleichnis vom Pharisäer und vom Zöllner aus dem Lukasevangelium, das die klare Botschaft habe: "Sei du selbst, stehe zu Dir!" Er lobte die Queergemeinde Münster als einen Ort, an dem queere Menschen "mit Freude, ohne Anfeindung in aller Öffentlichkeit und ohne Diskriminierung den befreienden Glauben leben können".

Bewegende Glaubenszeugnisse und persönliche Geschichten

Der Gottesdienst beinhaltete Glaubenszeugnisse von queeren Christen*innen, die sehr persönlich und sehr bewegend waren. Ein Gemeinde-Mitglied berichtete, dass ihn der christliche Glauben von Kindesbeinen an begleitet habe. Es sei ein wunderbares Gefühl, "wenn dich dein Glaube trägt im Leben". Eine "einseitige kirchliche Entscheidung" habe dann jedoch dazu geführt, dass er die Ausbildung als Diakon nicht habe fortführen können. In der Queergemeinde habe er Ermutigung erlebt.

Jan Diekmann von der Queergemeinde kam zum Ende des Gottesdienstes zu Wort und erklärte: "Viele, gerade queere Menschen, haben in unserer Kirche ein schweres Kreuz tragen – Anfeindung, Ablehnung, Ausgrenzung." Gott wolle nicht, "dass wir unter der Last des Kreuzes zerbrechen". Das Kreuz zu tragen bedeute Solidarität, gegenseitige Hilfe und Unterstützung.

Deutschland als Vorreiter für queere Akzeptanz in der Kirche

Diese TV-Premiere ist kein Zufall, sondern Ausdruck einer bemerkenswerten Entwicklung. Während Deutschland 2020 laut dem "Rainbow Index of Churches in Europe" noch Rang 10 belegte, liegt es in diesem Jahr auf Platz 1. In keinem anderen europäischen Land ist die katholische Kirche so offen gegenüber queeren Menschen wie in Deutschland. Die katholische Kirche in Deutschland erreicht 25 von 47 möglichen Punkten und kann als eine Kirche betrachtet werden, "die gute Beispiele für eine Bewegung hin zu mehr Inklusion darstellen".

Als Gründe für das verhältnismäßig gute Abschneiden führt das Ranking die besondere Struktur an: "Die duale Struktur der Kirche, in der zur klerikalen Hierarchie auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken als Vertretung der Laien und die Verbände kommen, bewirken eine lebendige Diskussion darüber, wie die Kirche auf Schwule und Lesben einladender und positiver zugehen kann".

Ähnliche Entwicklungen auch in anderen deutschen Städten

Die Queergemeinde Münster steht nicht allein: In Deutschland gibt es mittlerweile zahlreiche queere Gottesdienstangebote. In München feiert eine LGBTI*-queere Gemeinde kontinuierlich seit März 2002 römisch-katholische Gottesdienste. Auch in Stuttgart gibt es seit 1996 katholische Gottesdienste für queere Menschen. Diese Gemeinden bieten sichere Räume, in denen queere Gläubige ihren Glauben ohne Diskriminierung leben können.

Die Entwicklung erinnert an die lange Geschichte queerer Emanzipation in Deutschland, die auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen Fortschritte gemacht hat – von der Einführung der Ehe für alle bis hin zu verbesserten Antidiskriminierungsgesetzen.

Polarisierung und Debatten

Das Ereignis sorgte für Begeisterung und heftige Debatten zugleich – zwischen Regenbogen-Emojis und Bibelzitaten. Der Gottesdienst hat auf jeden Fall erreicht, dass er polarisiert, aufmerksam macht und dazu auffordert, sich mit dem Thema "LGBTQ und katholische Kirche" aktiv auseinanderzusetzen.

Während viele Menschen in sozialen Medien mit Regenbogen-Emojis und positiven Kommentaren reagierten, gab es auch ablehnende Stimmen. Gegenstimmen wiesen jedoch auf Doppelmoral hin, wenn in den Kommentaren so viel Hass statt Nächstenliebe verbreitet wird.

Ein langer Weg mit Hindernissen

Der Weg der Queergemeinde Münster war nicht immer einfach. Im Jahr 2000 hatte die Bistumsleitung ein Eucharistieverbot für die "queeren" Gottesdienste ausgesprochen. Dies habe zur Folge gehabt, dass die Hälfte der Gläubigen weggebrochen sei. Nach fünf Monaten hätten sich jedoch erneut Priester bereit erklärt, mit der Gemeinde die Eucharistie zu feiern. Heute sei die "Queergemeinde" im Bistum Münster voll akzeptiert.

Der emeritierte Münsteraner Weihbischof Dieter Geerlings sagte bei einem ökumenischen Gottesdienst: "Die Herabwürdigung queerer Menschen, auch durch die offizielle Kirche in ihrer Lehre, war menschenverachtend." Inzwischen hätten die Bischöfe Veränderungen, etwa im kirchlichen Arbeitsrecht, in Kraft gesetzt; "aber das heißt nicht, dass alles im Lot ist – es braucht revolutionäre Geduld".

Bedeutung für die LGBTQ+-Community

Für viele queere Gläubige bedeutet diese Fernsehübertragung einen Wendepunkt. "Wir wollen niemanden provozieren, sondern zeigen, dass wir als queere Christinnen und Christen ebenso gläubig sind und unseren Glauben ausleben möchten", betont Jan Diekmann. Für ihn und die Gemeinde sei die Live-Übertragung "eine große Chance und ein Zeichen für mehr Akzeptanz innerhalb der Kirche".

Der Gottesdienst ist weiterhin in der ZDF-Mediathek abrufbar und bietet damit auch nachträglich die Möglichkeit, diesen historischen Moment nachzuerleben. Der Queer-Gottesdienst Münster ist Teil der Reihe katholischer Fernsehgottesdienste, die das ZDF seit 1979 sonntags im Wechsel mit evangelischen Feiern überträgt.

Diese TV-Premiere sendet eine klare Botschaft: Queere Menschen sind ein selbstverständlicher Teil der Kirche und der Gesellschaft. Ihr Glaube, ihre Liebe und ihre Identität verdienen Respekt und Anerkennung – nicht trotz, sondern genau so, wie sie sind.


Rechtsextreme Gewalt gegen CSDs erreicht neuen Höchststand in Deutschland

Die Bedrohung gegen queere Sichtbarkeit in Deutschland hat eine neue, alarmierende Dimension erreicht. Im Jahr 2024 dokumentierte die Amadeu Antonio Stiftung insgesamt 55 gezielte Störungen, Bedrohungen und Angriffe auf CSDs – so viele wie nie zuvor. Ein neuer Sicherheitsreport der Amadeu Antonio Stiftung, der kürzlich veröffentlicht wurde, offenbart das erschreckende Ausmaß rechtsextremer Queerfeindlichkeit bei Christopher-Street-Day-Veranstaltungen im gesamten Bundesgebiet.

Systematische Dokumentation der Bedrohungslage

Der umfassende Report beleuchtet erstmals systematisch, wie organisierte rechte Gruppen gezielt Veranstaltungen der queeren Community angreifen. Diese erschreckende Bilanz betrifft Veranstaltungen in Städten wie Berlin, Leipzig, Köln, Dresden, Magdeburg, Görlitz oder Essen – mit einem Schwerpunkt auf Ostdeutschland und ländlichen Regionen im Westen. Die 20-seitige Publikation "Queerfeindlichkeit sichtbar machen – Sicherheitsreport zu rechtsextremen Angriffen auf CSDs" basiert auf Medien- und Social-Media-Monitoring, einer Umfrage unter CSD-Veranstalter*innen sowie Analysen der Forschungsstellen CeMAS und democ.

Die Täter agierten häufig organisiert, traten aggressiv auf, skandierten queerfeindliche und rassistische Parolen und verübten körperliche Gewalt. Die Forschung zeigt ein beunruhigendes Muster: Zwischen Juni und September 2024 verzeichnete CeMAS deutschlandweit in 27 Städten rechtsextreme Mobilisierungen gegen CSD-Veranstaltungen. In Bautzen konnten circa 700 Teilnehmende mobilisiert werden.

Eine neue Generation von Neonazis

Besonders alarmierend ist die Rolle junger Rechtsextremer. „Antifeministische und queerfeindliche Kampagnen bilden zunehmend das ideologische Rückgrat rechtsextremer Mobilisierung. Junge, brutale und extrem gewaltorientierte Jugendliche sozialisieren sich über diese gezielte Ansprache in rechtsextremen Kontexten und sammeln erste Gewalterfahrungen", erklärt Selina Alin, die das Monitoring der Angriffe auf CSDs bei der Amadeu Antonio Stiftung betreut.

Insgesamt steigt die Zahl queerfeindlicher Straftaten seit Jahren an – aktuell von etwa 1.785 Fällen im Jahr 2023 auf 2.917 Fälle im Jahr 2024. Noch drastischer zeigt sich die Entwicklung bei queer- und transfeindlichen Gewalttaten: Besonders gravierend ist auch der Anstieg queer- und transfeindlicher Gewalttaten um 40% im Vergleich zum Vorjahr: (2024: 354 / 2023: 245).

Besonders bedrohlich: Ländliche Regionen im Fokus

Die Amadeu Antonio Stiftung betont, dass CSDs gerade in ländlichen Regionen wichtige Orte der demokratischen Zivilgesellschaft sind. Von den queeren Hochburgen Berlin und Köln bis hin zu kleinen Dörfern wie Ketsch in Baden-Württemberg oder Stollberg in Sachsen verbrannten Rechtsextreme Flaggen, versprühten Buttersäure und organisierten Aufmärsche. Knapp ein Drittel aller CSDs wurde 2024 Ziel rechtsextremer Angriffe.

Die regionale Verteilung der Angriffe zeigt ein klares Muster: Bei rund zwei Dritteln der 62 in Ostdeutschland stattgefundenen CSD-Demonstrationen gab es Störungen wie körperliche Angriffe, Sachbeschädigungen, Einschüchterungen und Anfeindungen vor, nach und während der Veranstaltungen. In Westdeutschland habe die Quote bei 37 Prozent gelegen.

Parallelen zu Deutschland: Internationale Bedrohungslage

Die Entwicklung in Deutschland ist Teil eines besorgniserregenden internationalen Trends. Auch in anderen europäischen Ländern nehmen rechtsextreme und queerfeindliche Mobilisierungen zu. Die Forschungsorganisation CeMAS dokumentiert, dass sich die etablierte rechtsextreme Szene und junge Neonazi-Gruppen nun verbünden: „Dieser Schulterschluss ist jetzt offenkundig vollzogen worden."

Die ideologischen Grundlagen dieser Angriffe sind tief verwurzelt: Antisemitische Verschwörungsmythen wie der sogenannte „Kulturmarxismus" oder der „große Austausch" behaupten, dass eine globale Elite – oft als jüdisch markiert – durch Feminismus und Einwanderungspolitik gezielt unsere Gesellschaft, unsere Kinder und die traditionelle Familie unterwandern wolle.

Solidarität trotz Bedrohung

Trotz der massiven Bedrohungslage zeigt sich eine beeindruckende Gegenbewegung: Über 180 CSDs fanden 2024 bundesweit statt – so viele wie nie zuvor. Vera Ohlendorf, Leiter*in der Projektförderung bei der Amadeu Antonio Stiftung, erklärt: „CSDs sind heute nicht nur Orte queerer Sichtbarkeit, sondern auch zentrale Schauplätze im Kampf um demokratische Räume."

Die Stiftung hat konkrete Unterstützung geschaffen: Seit Jahren unterstützt die Amadeu Antonio Stiftung CSDs in besonders gefährdeten Regionen durch Beratung, Begleitung und gezielte Finanzierung von Sicherheitsmaßnahmen. Schon 2024 wurden CSDs in Städten wie Zwickau, Altenburg, Sonneberg, Itzehoe und Görlitz mit Sicherheitsberatung und finanzieller Hilfe unterstützt. Über den Regenbogenschutzfonds können CSD-Organisator*innen Unterstützung für Sicherheitsmaßnahmen beantragen.

Forderungen an die Politik

Der Sicherheitsreport enthält klare Handlungsempfehlungen für Politik und Zivilgesellschaft. Die Stiftung fordert: Sicherheitskonzepte und Schutzmaßnahmen bei Pride-Veranstaltungen – auch für An- und Abreisende. Ordnungsbehörden und Verwaltungen müssen für queerfeindliche und rechtsextreme Bedrohungslagen geschult werden. Politische Rückendeckung durch Kommunen und Landesregierungen sowie gezielte Förderungen für Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt. Zudem sei konsequente Strafverfolgung bei queerfeindlichen Angriffen, auch im digitalen Raum, sowie Erhalt und Ausbau von Beratungsstellen für Betroffene rechtsextremer Gewalt notwendig.

Der vollständige Sicherheitsreport ist als kostenloses PDF verfügbar und bietet eine umfassende Chronik der Angriffe sowie konkrete Empfehlungen für CSD-Veranstalter*innen. Die Dokumentation macht deutlich: Queere Sichtbarkeit und demokratische Räume müssen entschlossen verteidigt werden – gegen eine rechtsextreme Bedrohung, die systematischer und gefährlicher geworden ist als je zuvor.


Manchester Pride in der Insolvenz: Wenn einer der größten Prides Europas zusammenbricht

Die Nachricht traf die LGBTQ+ Community wie ein Schock: Manchester Pride Ltd ist mit „enormer Traurigkeit" in die freiwillige Liquidation gegangen, nachdem die Organisation als finanziell nicht mehr tragfähig eingestuft wurde. Künstler*innen und Lieferant*innen schuldet die Organisation noch „Tausende" an unbezahlten Honoraren, während die ursprüngliche Meldung von Pink News die Zukunft eines der größten Pride-Events im Vereinigten Königreich in Frage stellt.

Wenn Künstler*innen auf ihr Geld warten

Die Probleme zeichneten sich bereits im September ab. Künstler*innen, darunter RuPaul's Drag Race UK Staffel-6-Star Zahirah Zapanta, meldeten sich in den sozialen Medien zu Wort, weil sie für ihre Auftritte im August nicht bezahlt wurden. Das Festival, bei dem Stars wie Nelly Furtado, Olly Alexander und Billy Porter auftraten und das Tausende von Besucher*innen anzog, hatte sein 40-jähriges Jubiläum gefeiert – doch hinter den Kulissen brach die finanzielle Struktur zusammen.

Karen Lockney von der Gewerkschaft Equity North West berichtete, dass einige Performer*innen um Tausende betrogen wurden. „Wir hörten beunruhigende Geschichten von Menschen, die unsicher sind, ob sie ihre Miete, medizinische Rezepte und andere lebensnotwendige Dinge bezahlen können", erklärte sie in einer Stellungnahme. Eine freiberufliche Eventmanagerin, Abbie Ashall, schuldet die Organisation £2.000, nachdem ihr Zahltag im September verpasst wurde.

Die perfekte Sturm: Steigende Kosten, sinkende Einnahmen

Eine Kombination aus steigenden Kosten, rückläufigen Ticketverkäufen und einer erfolglosen Bewerbung um die Ausrichtung der EuroPride führte dazu, dass das gesamte Personal von Manchester Pride entlassen wird. Die öffentlichen Konten zeigen, dass Manchester Pride Ltd im Jahr 2023 einen Verlust von £467.000 verzeichnete. Historisch gesehen sind solche Probleme nicht neu: Als Amsterdam 1994 die EuroPride ausrichtete, wurde es zu einem finanziellen Desaster mit Schulden von etwa 450.000 Euro.

Auch in Deutschland stehen Pride-Veranstaltungen unter zunehmendem finanziellen Druck. Der Berliner CSD berichtete, dass etwa 200.000 Euro an geplanten Einnahmen fehlen, weil viele Sponsoren die Veranstaltung in diesem Jahr nicht unterstützen. US-amerikanische Unternehmen haben ihre Aktivitäten im Bereich Diversity, Equity & Inclusion (DEI) nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland massiv zurückgefahren, erklärte CSD-Vorstand Thomas Hoffmann gegenüber dem Tagesspiegel.

Deutschland spürt den Gegenwind

Die Parallelen zur deutschen Pride-Landschaft sind besorgniserregend. Den CSDs brechen wichtige Einnahmen weg – aus den Beiträgen, die Firmen bisher zahlten, damit ihre queeren Mitarbeiter*innennetzwerke mit eigenen Wagen beim CSD präsent waren, sowie aus indirektem und direktem Sponsoring. Gleichzeitig sind die Kosten für den CSD stark gestiegen, was unter anderem Kosten für Infrastruktur, sanitäre Einrichtungen, Technik, den Bühnenbau, das Personal und vor allem auch die Sicherheit betrifft.

Der Berliner CSD stand kurz vor der Pride-Saison vor einer existenziellen Herausforderung, nachdem mehrere (internationale) Unternehmen ihre Unterstützung deutlich reduziert hatten. Die Amadeu Antonio Stiftung, die gegen Rechtsextremismus kämpft, startete im Mai einen „Regenbogenschutzfonds" von 100.000 Euro, um Sicherheitsmaßnahmen bei den diesjährigen Pride-Märschen zu finanzieren, die auch mit einem Verlust an Unternehmensunterstützung konfrontiert sind.

Die Zukunft: Hoffnung trotz Unsicherheit

Trotz der düsteren Aussichten gibt es Hoffnung. Die Leiterin des Stadtrats von Manchester, Bev Craig, hat versprochen, lokale Unternehmen und Manchesters queere Community zu unterstützen und versichert, dass die Veranstaltung im nächsten Jahr stattfinden wird: „Pride ist viel mehr als die Organisation, die es betreibt". Andrew Underwood, Miteigentümer mehrerer Lokale im Gay Village, sagte: „Die Village-Unternehmen werden zusammen mit LGBT-Wohltätigkeitsorganisationen dafür sorgen, dass es im nächsten Jahr eine Form von Veranstaltung gibt, um die Community zu feiern und zu unterstützen".

Die Geschichte von Manchester Pride ist eine Warnung für die gesamte europäische Pride-Bewegung. In Zeiten, in denen kriminelle Straftaten gegen LGBTQ+-Personen 2023 mit 1.785 gemeldeten Vorfällen einen neuen Höchststand erreichten und Pride-Märsche zunehmend von Rechtsextremen und Neonazi-Demonstranten in Deutschland ins Visier genommen werden, sind finanzielle Stabilität und Community-Unterstützung wichtiger denn je.

Die Insolvenz von Manchester Pride zeigt deutlich: Pride ist kein selbstverständliches Gut. Es braucht nachhaltige Finanzierung, gesellschaftliche Solidarität und das Engagement aller – von der Politik über die Wirtschaft bis zur Community selbst. Nur so können wir sicherstellen, dass die Regenbogenfahnen auch in Zukunft wehen.


ESC 2026: Österreichs Kanzler steht klar zu Israel – Europas größtes Musikfest vor historischer Zerreißprobe

Der Eurovision Song Contest 2026 in Wien droht zur größten politischen Krise in der fast 70-jährigen Geschichte des Wettbewerbs zu werden. Österreichs Kanzler Christian Stocker (ÖVP) hat sich klar für die Teilnahme Israels am Eurovision Song Contest (ESC) im Mai 2026 in Wien ausgesprochen, wie er in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur erklärte. "Ich würde es für einen fatalen Fehler halten, Israel auszuschließen. Schon aufgrund unserer Geschichte würde ich das niemals befürworten", betonte Stocker mit Blick auf Österreichs historische Mitverantwortung am Holocaust.

Ein Streit, der Europa spaltet

Die Debatte um Israels Teilnahme am ESC 2026 hat eine internationale Dimension erreicht, die an die Grundfeste des Wettbewerbs rührt. Der Streit um die Teilnahme von Israel beim Eurovision Song Contest 2026 in Wien eskaliert weiter – mehrere Länder drohten einen Boykott an, wenn dem Land die Teilnahme nicht verweigert wird. Länder wie Spanien, Irland, die Niederlande, Slowenien und Island betonten die „anhaltenden und entsetzlichen Verluste an Menschenleben in Gaza" und drohten mit einem Boykott des internationalen Musikwettbewerbs.

Für deutsche Leser*innen ist diese Entwicklung besonders relevant: Bundeskanzler Merz machte klare Kante: Israel müsse beim ESC 2026 mitmachen, anderenfalls solle Deutschland den Musikwettbewerb boykottieren. Im jüngsten ARD-Deutschlandtrend spricht sich inzwischen eine Mehrheit von 65 Prozent der Bundesbürger dafür aus, Israel teilnehmen zu lassen, was die öffentliche Meinung in Deutschland widerspiegelt.

Die queere Community in der Zwickmühle

Besonders schmerzhaft ist diese Debatte für die LGBTQ+-Community, die seit Jahrzehnten eine besondere Verbindung zum ESC pflegt. Der Wettbewerb wurde nach dem Sieg der Transgender-Künstlerin Dana International 1998 für Israel und spätestens nach Conchita Wursts Triumph 2014 zu einem Symbol queerer Sichtbarkeit. Ein Jahr nach dem Sieg von Nemo für die Schweiz und elf Jahre nach dem Triumph von Conchita Wurst hat Österreich mit dem Countertenor Johannes Pietsch alias JJ erneut einen queeren ESC-Sieger.

Doch genau dieser Sieger, JJ, der sich selbst als queer bezeichnet und sich freut, "die Community zu repräsentieren und ihr eine Stimme zu geben", als "die Stimme der queeren Community aus Österreich", sorgte für zusätzliche Kontroversen. Der diesjährige ESC-Gewinner sprach sich gegen die Teilnahme des jüdischen Staates aus, was in Österreich breite Kritik hervorrief, auch vom Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen.

Die EBU vor einer historischen Entscheidung

Die Europäische Rundfunkunion (EBU) steht vor einer Zerreißprobe. Die EBU informierte ihre Mitglieder, "dass eine Abstimmung über die Teilnahme am Eurovision Song Contest 2026 im Rahmen einer außerordentlichen Sitzung der EBU-Generalversammlung stattfinden wird, die Anfang November online abgehalten wird". Darin wird auf die "beispiellose Meinungsvielfalt" der EBU-Mitglieder bezüglich der Teilnahme Israels Bezug genommen. Weil keine einvernehmliche Position zu erreichen sei, setze man auf eine breitere, demokratische Entscheidungsgrundlage in einer Abstimmung.

Der historische Kontext ist dabei entscheidend: Länder argumentieren meist damit, dass auch Russland 2022 nach dem Überfall auf die Ukraine ausgeschlossen wurde. Damals ging es allerdings vor allem um die Rolle der russischen Partnermedien, die sich der Kreml-Propaganda unterworfen hatten – was dem israelischen Sender Kan nicht vorgeworfen wird.

Ein queeres Dilemma: Zwischen Solidarität und Realität

Die Debatte berührt einen wunden Punkt innerhalb der LGBTQ+-Community. Einerseits gibt es die Bewegung "Queers for Palestine", andererseits ist die Situation für queere Menschen in den palästinensischen Gebieten dramatisch. Israel hingegen gilt als eines der LGBTQ+-freundlichsten Länder im Nahen Osten – Tel Aviv richtet eine der größten Pride-Paraden der Welt aus.

Diese Komplexität spiegelt sich auch in Deutschland wider. Während queere Aktivist*innen unterschiedliche Positionen vertreten, bleibt unstrittig, dass LGBTQ+-Personen in Gaza und im Westjordanland systematischer Verfolgung ausgesetzt sind. In einem offenen Brief rufen unter anderem mehrere Bundestagsabgeordnete und LGBTI-Aktivist*innen die Bundesregierung dazu auf, sich mehr um das Schicksal von queeren Menschen im Westjordanland und im Gaza-Streifen zu kümmern. "In Palästina ist die Situation für Schwule, Lesben und Transgender bedrückend, die Region belegt weltweit einen der letzten Plätze bei den Menschenrechten von Schwulen, Lesben und Transgender", heißt es in dem Papier.

Wien 2026: Mehr als nur ein Musikwettbewerb

Nach dem Sieg des österreichischen Countertenors JJ mit seinem Song „Wasted Love" im vergangenen Jahr beim ESC in Basel findet der 70. ESC in Wien statt. Der öffentlich-rechtliche Österreichische Rundfunk (ORF) organisiert das größte Musikevent der Welt. Kanzler Stocker betont: "Wir werden uns gerne als ein weltoffenes Gastgeberland präsentieren".

Doch die Frage bleibt: Kann ein Wettbewerb, der unter dem Motto "united in music" steht, dieser Vision noch gerecht werden? Österreichs Außenministerin Beate Meinl-Reisinger argumentiert, ein Boykott würde "die Möglichkeiten für einen wichtigen Dialog zwischen Künstlern und der Bevölkerung verunmöglichen - ohne die Lage vor Ort in Israel und Gaza zu verbessern".

Die Entscheidung, die im Dezember fallen soll, wird weitreichende Konsequenzen haben – nicht nur für den ESC 2026, sondern für die Zukunft eines der größten Kulturevents Europas. Für die queere Community in Deutschland und Europa bedeutet sie eine schmerzhafte Gratwanderung zwischen unterschiedlichen Formen der Solidarität, zwischen historischer Verantwortung und aktuellen humanitären Anliegen. Der ESC, einst als verbindendes Element nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet, steht vor seiner größten Bewährungsprobe.


München: Nazi-Parolen und queerfeindliche Schmierereien an Zentren der LGBTIQ*-Community

In München haben Unbekannte zwischen dem 19. und 22. Oktober 2025 queere Einrichtungen mit Nazi-Symbolen und queerfeindlichen Schmierereien attackiert. Bei queerfeindlichen Schmierereien in München entstand in der vergangenen Woche ein Sachschaden von mehreren tausend Euro. Die Polizei München ermittelt nun wegen Sachbeschädigung und bittet die Öffentlichkeit um Mithilfe. (Quelle: queer.de)

Angriff auf das Herz der Community

Betroffen von den Angriffen sind zentrale Anlaufstellen der Münchner LGBTIQ*-Community im Glockenbachviertel, dem historischen Zentrum queeren Lebens in der bayerischen Landeshauptstadt. Die Täter sprühten nicht nur queerfeindliche Parolen, sondern auch "Zeichen mit Bezug zum Nationalsozialismus" an die Außenfassade eines Zentrums für queere Personen in der Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt.

Zusätzlich wurden an einem Stromkasten und einer Taxirufsäule vor einem weiteren LGBTIQ*-Treffpunkt ähnliche Schmierereien entdeckt. Die betroffenen Standorte – die Blumen- und Müllerstraße – beherbergen wichtige Community-Einrichtungen wie das Sub (Schwules Kommunikations- und Kulturzentrum) in der Müllerstraße 14 und das Diversity Café in der Blumenstraße, das als Begegnungsort für junge queere Menschen dient.

Teil eines besorgniserregenden Trends

Diese Attacke ist kein Einzelfall. Bereits an mehreren Orten in München sind über einen längeren Zeitraum Schmierereien in gleicher Handschrift aufgetaucht. Erst im Jahr 2024 wurden queere Kulturzentren in München Ziel von Hassangriffen, darunter Mordaufrufe gegen trans Menschen, die an Einrichtungen gesprüht wurden.

Die jüngsten Vorfälle in München fügen sich in einen bundesweiten Trend zunehmender queerfeindlicher Gewalt ein. Im Jahr 2023 wurden insgesamt 17.007 Fälle von Hasskriminalität erfasst. Davon richteten sich 1.785 Straftaten gegen LSBTIQ*. Die Zahl der Straftaten im Bereich „Sexuelle Orientierung" und „Geschlechtsbezogene Diversität" hat sich seit 2010 nahezu verzehnfacht.

In diesem Jahr wurden vermehrt Angriffe gewaltorientierter Rechtsextremist/-innen auf queere Veranstaltungen verzeichnet, insbesondere in Sachsen und Sachsen-Anhalt. Die Kombination von Nazi-Symbolen mit queerfeindlichen Parolen in München zeigt, dass rechtsextreme Akteure queere Menschen zunehmend ins Visier nehmen.

Zwischen Fortschritt und Gefahr

Die Situation in Deutschland ist paradox: Während rechtliche Gleichstellung voranschreitet, steigt die Gewalt gegen LGBTIQ*-Menschen drastisch an. Queerfeindliche Gewalt muss als solche klar benannt und gezielt verfolgt werden. Die Zunahme an queerfeindlichen Straftaten in den vergangenen Jahren ist erschreckend. Zudem müssen wir von einer hohen Dunkelziffer ausgehen, viele Betroffene zeigen Straftaten nicht an.

Wenn sich der Trend der vergangenen Jahre fortsetzt, werden die Angriffe auf Pride-Demonstrationen weiter zunehmen. Besonders alarmierend: Zunehmend gibt es auch Übergriffe im Rahmen von CSDs. Angeheizt von gezielten Kampagnen richtet sich Gewalt gegen sichtbares queeres Leben und soll LSBTIQ* einschüchtern.

Polizei sucht Zeugen

Die Münchner Polizei hat die Ermittlungen aufgenommen und sucht dringend nach Zeugen, die im Zeitraum vom Sonntag, 19. Oktober, gegen 23:55 Uhr bis Mittwoch, 22. Oktober, gegen 22 Uhr im Bereich der Blumen- und Müllerstraße verdächtige Beobachtungen gemacht haben. Hinweise nimmt das Polizeipräsidium München, Kommissariat 45, unter der Telefonnummer (089) 2910-0 oder jede andere Polizeidienststelle entgegen.

Die betroffenen Community-Zentren sind nicht nur Treffpunkte, sondern auch wichtige Beratungsstellen und sichere Räume für LGBTIQ*-Menschen in München. Gerade in Zeiten zunehmender Anfeindungen erfüllen sie eine unverzichtbare Funktion – als Orte der Solidarität, des Empowerments und der gegenseitigen Unterstützung.

Solidarität statt Einschüchterung

Die Schmierereien zielen darauf ab, queere Menschen einzuschüchtern und aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen. Doch die Münchner Community lässt sich nicht zum Schweigen bringen. Die Stadt, die einst als "eine der wichtigsten Schwulenmetropolen weltweit" galt, verfügt über eine starke und vernetzte LGBTIQ*-Szene, die sich gemeinsam gegen Hass und Hetze stellt.

Der Vorfall unterstreicht die Notwendigkeit, queerfeindliche Gewalt konsequent zu benennen, zu verfolgen und präventiv zu bekämpfen. Nur durch Solidarität, Aufklärung und das entschlossene Handeln von Zivilgesellschaft, Politik und Sicherheitsbehörden kann der besorgniserregenden Entwicklung Einhalt geboten werden.


Rekord-Teilnahme trotz rechtsextremer Gewalt: CSD Cottbus trotzt den Nazis

Über 800 Menschen setzten am Samstag in Cottbus ein kraftvolles Zeichen für queere Sichtbarkeit und Vielfalt – so viele wie noch nie beim Christopher Street Day der südbrandenburgischen Stadt (queer.de berichtete). Doch die bunte, friedliche Demonstration fand unter massivem Polizeischutz statt, nachdem die queere Community in den Tagen zuvor mit Einschüchterungsversuchen und einem mutmaßlichen Brandanschlag auf das Regenbogenkombinat konfrontiert worden war.

Wenn Hass auf Solidarität trifft

Die Bilder aus Cottbus sprechen eine deutliche Sprache: Die Polizei sprach nach einer ersten vorsichtigen Schätzung von rund 90 Teilnehmern bei der rechtsextremen Gegendemonstration – weit übertroffen von den über 800 CSD-Teilnehmenden. Mit Transparenten wie "Kein Bock auf Nazis" und "Sei ein Mensch" zogen die Demonstrierenden unter dem Motto "Vereint in Frieden und Vielfalt" durch die Stadt. Auf der Gegenseite zeigten Rechtsextreme ihre Verachtung mit Fahnen und Bannern, auf denen "Nein zum CSD! Unsere Stadt bleibt hetero!" zu lesen war.

Die verstärkten Polizeikräfte mussten mehrfach eingreifen: Zwei Personen wurden aus der Anti-CSD-Kundgebung ausgeschlossen, weil sie im Verdacht standen, zu Straftaten aufgerufen zu haben. Zudem wurde ein Platzverweis erteilt. Mit Fahnen der rechtsextremen Jugendorganisation „Junge Nationalisten": Die rechte Szene protestiert gegen den Christopher Street Day in Cottbus.

Brandanschlag als Eskalation der Gewalt

Am Montagnachmittag stand plötzlich die Papiertonne im Hinterhof in Flammen und brannte ein beachtliches Loch in die hellblaue Fassade des Gebäudes, berichtet die taz über den Vorfall beim Regenbogenkombinat. Jetzt hat der Polizeiliche Staatsschutz Ermittlungen zu dem Vorfall aufgenommen. Die Behörden halten eine rechtsextrem motivierte Brandstiftung für möglich.

Für Christian Müller, Vorstandsmitglied des CSD Cottbus e.V., ist die Botschaft klar: "Das ist kein Zufall." Bereits seit Monaten stünden Aktivitäten des Cottbuser Pride-Teams unter massiven verbalen Angriffen, auch habe es in der Vergangenheit bereits Vandalismus-Vorfälle am RKB gegeben. Besonders erschreckend: Der Brand am Tag stattfand, während sich Menschen im Gebäude aufhielten.

Brandenburg: Ein Brennpunkt queerfeindlicher Gewalt

Die Ereignisse in Cottbus sind kein Einzelfall. Laut der für Cottbus verantwortlichen Polizeidirektion sei Südbrandenburg ein „Hotspot des Rechtsextremismus". Die Zahlen sind alarmierend: Im Jahr 2024 seien 75 Straftaten gegenüber Personen wegen ihrer sexuellen Orientierung und 43 Straftaten wegen geschlechtlicher Identität festgestellt worden.

In letzter Zeit kam es vermehrt zu rechten Angriffen auf links-alternative Orte und queere Veranstaltungen in Brandenburg. Nachdem bereits 2024 eine neue Generation junger, militanter Neonazis besonders bei CSDs in Ostdeutschland beobachtet werden konnte, spitzen sich die rechten Anfeindungen dieses Jahr weiter zu. Im Frühjahr wurden Jugendklubs in Senftenberg und Spremberg attackiert, im Mai griff eine Neonazi-Gruppe das Hausprojekt Zelle79 in Cottbus mit Steinen und Brandsätzen an.

Ein bundesweites Phänomen erreicht neuen Höhepunkt

Mit dem CSD in Cottbus und dem CSD in Weimar endete die Pride-Saison 2025 – ein Jahr, das als das gewaltsamste in die Geschichte der deutschen LGBTQ+-Bewegung eingehen könnte. Deutschlandweit gab es noch nie so viele Gegendemonstrationen und Störversuche aus der rechtsextremen Szene wie in diesem Jahr.

Im Jahr 2024 registrierte die Amadeu Antonio Stiftung 55 Angriffe von rechtsextremen Gruppen auf CSDs. Eine Studie des Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) dokumentiert, dass zwischen Juni und September 2024 deutschlandweit in 27 Städten rechtsextreme Mobilisierungen gegen CSD-Veranstaltungen verzeichnet wurden. Dabei kam es zu Einschüchterungen, Schikanen und Gewalt.

Besonders besorgniserregend: In Bautzen konnten circa 700 Teilnehmende mobilisiert werden. Nachfolgende Proteste konnten teilweise 200 bis 460 Teilnehmende mobilisieren. Diese Zahlen markieren einen Wendepunkt. Noch nie zuvor gab es so viele Pride-Kundgebungen wie in diesem Jahr und nie gab es so viele rechtsextreme Gegenproteste.

Sicherheit als zentrales Thema

Die CSD-Organisator*innen in Cottbus mussten auf die Bedrohungslage reagieren. Um rechte Gewalt gegen die Teil­neh­me­r*in­nen des am Samstag stattfindenden CSD zu vermeiden, habe man in Cottbus die „Sicherheitsvorkehrungen hochgeschraubt", sagt Christian Müller zur taz. Es würden Shuttle-Busse bereitstehen, um den De­mons­tran­t*in­nen eine sichere Abreise zu ermöglichen und Konfrontationen mit den Neonazis zu vermeiden.

Die Amadeu Antonio Stiftung und Expert*innen fordern dringend Maßnahmen zum Schutz der Community: Zudem müsse die Sicherheit von CSD-Veranstaltungen gewährleistet werden. Das könne durch eine stärkere Polizeipräsenz bei der An- und Abreise rechtsextremer Gruppen, Schulungen von Sicherheitsbehörden und Kommunen über Queerfeindlichkeit und mögliche rechtsextreme Mobilisierungen sowie einen weiteren Ausbau von Betroffenenberatungsstellen gewährleistet werden.

Ein Zeichen der Hoffnung

Trotz aller Widrigkeiten bleibt die Botschaft aus Cottbus klar: Die queere Community lässt sich nicht einschüchtern. Die Rekord-Teilnahme beim CSD zeigt, dass Solidarität und Zivilcourage stärker sind als Hass. Ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, Hochschulen und zivilgesellschaftlichen Initiativen stellte sich demonstrativ hinter die queere Community und setzte ein Zeichen gegen Rechtsextremismus in der Lausitz.

Doch die Situation bleibt angespannt. Mit dem Erstarken antidemokratischer Phänomene im gesellschaftlichen und politischen Raum steigt zunehmend das Risiko für queere Menschen, Opfer von Mobbing, Ausgrenzung und Gewalt zu werden. Der CSD Cottbus 2025 wird als Symbol für Widerstandskraft in Erinnerung bleiben – aber auch als Mahnung, dass der Kampf für Akzeptanz und Sicherheit queerer Menschen in Deutschland noch lange nicht gewonnen ist.


Homofeindlicher Angriff in Frankfurt: "Es ist erschreckend, dass Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung Gewalt erfahren"

In der Nacht zu Samstag wurde Frankfurt erneut Schauplatz eines queerfeindlichen Angriffs. Vor einem Kiosk in der Großen Friedberger Straße schlug ein 21-Jähriger gegen 01:55 Uhr zwei Personen mit der Faust ins Gesicht, nachdem er sie zuvor homophob beleidigt hatte. Die Polizei ermittelt wegen Körperverletzung und Beleidigung – ein weiterer Fall in einer alarmierenden Serie von Angriffen auf queere Menschen in der Mainmetropole.

Frankfurt: Brennpunkt queerfeindlicher Gewalt

Die jüngste Attacke reiht sich ein in eine besorgniserregende Entwicklung. Die Zahl queerfeindlicher Strafverfahren in Frankfurt ist dramatisch gestiegen: Von 26 Verfahren im Jahr 2022 auf 88 im Jahr 2024 – allein im ersten Quartal 2025 kamen 25 neue Fälle hinzu. Bei der Polizei selbst wurden 2023 insgesamt 45 queerfeindliche Straftaten registriert, 2024 waren es bereits 56.

Doch was steckt hinter diesem Anstieg? Carsten Gehrig von der Aidshilfe Frankfurt erklärt: "Die Leute trauen sich mehr, selbst bei verbalen Sachen". Die erhöhte Anzeigebereitschaft zeigt einerseits wachsendes Vertrauen in die Behörden, andererseits aber auch: Die Polizei geht von einem großen Dunkelfeld aus, da viele Betroffene solche Taten noch immer nicht anzeigen.

Hessen und Deutschland: Ein alarmierender Trend

Die Situation in Frankfurt spiegelt einen bundesweiten Trend wider. In ganz Hessen wurde 2023 eine Steigerung um 33 Fälle auf 83 queerfeindliche Straftaten im Vergleich zum Vorjahr festgestellt – ein Anstieg von 66 Prozent innerhalb eines Jahres. Besonders erschreckend: Unter den 83 Fällen waren 25 Körperverletzungen, darunter auch 10 schwere Körperverletzungen.

Bundesweit ist die Lage noch dramatischer. Im Jahr 2023 richteten sich 1.785 Straftaten gegen LSBTIQ* Personen – gegenüber 1.188 im Jahr 2022. Die Zahl der Straftaten im Bereich „Sexuelle Orientierung" und „Geschlechtsbezogene Diversität" hat sich seit 2010 nahezu verzehnfacht. Zu den häufigsten Straftaten gehören Beleidigungen, Gewalttaten, Volksverhetzungen sowie Nötigungen und Bedrohungen.

Das Dunkelfeld: Viele Fälle bleiben ungemeldet

Die offiziellen Zahlen zeigen nur einen Bruchteil der Realität. Lediglich 13% der Befragten gingen zur Polizei, um einen physischen Angriff oder sexualisierte Gewalt anzuzeigen, so eine EU-weite Erhebung. Die Gründe sind vielfältig: 40% denken nicht, dass eine Anzeige etwas bringen würde, 37% fanden den Vorfall nicht schlimm genug, und 23% hatten Angst vor Homo- und Transphobie bei der Polizei.

Ein weiteres Problem: Selbst wenn Anzeige erstattet wird, wird das queerfeindliche Motiv nicht immer erkannt oder dokumentiert. Die Polizei hat erst ab 2023 begonnen, solche Vorfälle gezielt zu erfassen.

Politische Reaktionen: Zwischen Worten und Taten

Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) spricht von einem "deutlichen Warnsignal" und betont: "Es darf nicht sein, dass Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität Ziel von Hass, Hetze und Gewalt werden". Das Land Hessen hat reagiert: Seit Juli verfolgt ein spezieller Beauftragter bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main queerfeindliche Angriffe.

Doch reicht das aus? Projekte wie die Polizeisprechstunde im Switchboard, einem Treffpunkt für queere Menschen in Frankfurt, sorgen dafür, dass sich mehr Betroffene trauen, Anzeige zu erstatten und direkte Hilfe zu bekommen. Dennoch mahnt die Community: Mehr Präventionsarbeit, bessere Schulungen für Polizei und Justiz sowie konsequente Strafverfolgung sind dringend nötig.

Was queere Menschen jetzt wissen müssen

Wer Opfer oder Zeuge eines queerfeindlichen Angriffs wird, sollte nicht zögern, Anzeige zu erstatten. Seit 2010 gibt es Ansprechpersonen für LSBTIQ in allen hessischen Polizeipräsidien. Zusätzlich bieten Organisationen wie die Aidshilfe Frankfurt und das Switchboard Unterstützung und Beratung.

Der Fall in der Großen Friedberger Straße ist kein Einzelfall – er ist Teil eines gefährlichen Musters. In mehreren Fällen lockten Täter queere Männer über Dating-Apps zu Treffen und überfielen sie anschließend, unter anderem vergangenes Jahr in Darmstadt und Anfang dieses Jahres im Main-Taunus-Kreis. Wachsamkeit und gegenseitige Solidarität in der Community sind wichtiger denn je.

Die Ermittlungen im aktuellen Fall dauern an. Doch eines ist klar: Jeder einzelne Angriff ist einer zu viel. Die Zahlen mögen steigen – das Schweigen darüber darf nicht länger hingenommen werden.


Irland setzt Zeichen für Inklusion: Neuer Leitfaden für trans und inter Menschen im Sport

Am 23. Oktober präsentierte TENI (Trans Equality Network Ireland) im Outhouse LGBTQ+ Centre in Dublin einen bahnbrechenden Leitfaden zur Inklusion von trans und intergeschlechtlichen Menschen im Sport. Die Veranstaltung, moderiert von James Curry, Sports Inclusion Coordinator bei TENI, brachte Athlet*innen, Trainer*innen und Aktivist*innen zusammen – und inspirierte mit einer klaren Botschaft: Sport ist für alle da.

Ein Werkzeug gegen Desinformation und Ausschluss

Sport Ireland veröffentlichte bereits im März 2024 ein eigenes Guidance-Dokument, doch TENIs neuer Policy Guide geht noch einen Schritt weiter. Der Leitfaden soll der trans Community in Irland den Zugang zu Informationen über die Teilnahme am Sport erleichtern und die Community ermutigen, sich mehr im Sport zu engagieren. Daire Dempsey, Geschäftsführer*in von TENI, erklärt die Notwendigkeit deutlich: „Wir haben in den letzten Jahren eine Zunahme von Desinformation über trans Menschen im Sport erlebt, und dieser Leitfaden, der auf internationaler Evidenz, Forschung und Best Practice basiert, arbeitet daran, dies zu korrigieren."

Der Leitfaden ist Teil eines umfassenden Sports Digital Toolkit, das auch spezifische Anleitungen für Schulen und Sportvereine sowie einen Policy Tracker für die Regelungen irischer Sportverbände enthält. TENI betont, dass Community-Engagement ein wesentlicher Teil ihrer Identität ist.

Die menschliche Seite: Wenn Sport zum Zufluchtsort wird

Die emotionalsten Momente der Veranstaltung kamen von den Betroffenen selbst. Jenny Behan, ehemalige Trainerin bei den Special Olympics und aktuelle Trainerin bei Shamrock Síoga, beschrieb eindrücklich, was Ausschluss bedeutet: „Sie verstehen nicht, welche Auswirkungen es auf uns hat." Bei Shamrock Síoga könne sie endlich „einfach hingehen und ich selbst sein, einfach Jenny sein".

Die Panelist*innen waren sich einig: Sport ist weit mehr als körperliche Betätigung. Es geht um psychische Gesundheit, um Zugehörigkeit, um Gemeinschaft. Fionn Collins von Sporting Pride wies darauf hin, dass trans Jugendliche besonders häufig mit Beginn der Pubertät den Sport aufgeben – ein Zeitpunkt, an dem Sport für das Wohlbefinden besonders wichtig wäre.

Inter* Perspektiven: Über Würde und echte Wege zur Teilhabe

Sorcha Ní Fhaolín von Intersex Ireland brachte eine oft übersehene Perspektive ein: „Ich weiß aus erster Hand, wie viel Sport gibt – und wie schnell sich Türen schließen können, wenn Richtlinien uns nicht sehen. Dieser Leitfaden ist wichtig, weil er Würde, Evidenz und gelebte Erfahrung in den Mittelpunkt stellt und echte Wege von der Basis bis zum Wettkampf aufbaut, anstatt bei ‚Willkommen' zu stoppen."

Tatsächlich hatte Intersex Ireland bemängelt, dass bei der Konsultation zu Sport Irelands Leitfaden im März 2024 ihre Organisation nicht einbezogen wurde, obwohl LGBTQIA+ NGOs generell konsultiert wurden. TENIs neuer Leitfaden versucht, diese Lücke zu schließen.

Die Wurzeln der Diskriminierung: Misogynie im Sportsystem

Deborah Madden, Equality, Diversity and Inclusion Managerin bei Golf Ireland, brachte eine radikale Perspektive in die Diskussion: Der Ausschluss von trans Menschen im Sport scheine in Misogynie verwurzelt zu sein. Sie hinterfragte die Logik strikter Geschlechterbinarität im Sport und schlug sogar vor, die Geschlechtertrennung gänzlich abzuschaffen.

Die Panelist*innen stimmten überein: Die Vorstellung, dass Frauen mit Männern konkurrieren könnten, bedrohe männliche Identität und Dominanz. Paradoxerweise führten die jüngsten Versuche, trans Menschen vom Sport auszuschließen, auch zur Diskriminierung von cis Frauen. Erzwungene Hormon- und Geschlechtstests zielen darauf ab, alle auszuschließen, die nicht in patriarchale und unwissenschaftliche Geschlechterbinaritäten passen.

Parallelen zu Deutschland: Zwischen Fortschritt und Herausforderungen

Die irische Initiative kommt zu einem Zeitpunkt, an dem auch in Deutschland die Debatte um trans Menschen im Sport intensiv geführt wird. Mit dem Selbstbestimmungsgesetz, das am 1. November 2024 in Kraft trat, wurde ein „Paradigmenwechsel" eingeleitet, der es trans, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen erleichtert, ihren Geschlechtseintrag zu ändern.

Aktivist*innen betonen, dass es bei der Inklusion von trans Menschen vor allem um die Basis geht, und dass der Jugend- und Breitensport offen für alle sein muss. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes empfiehlt bei Breitensportwettbewerben, dass inter* und trans* Teilnehmende die jeweilige Startklasse selbst wählen sollten.

Auch deutsche Verbände haben Schritte unternommen: Der Deutsche Fußball-Bund führte eine Regelung ein, die es Spieler*innen mit dem Geschlechtsstatus 'divers' oder trans* Spieler*innen ermöglicht, selbst zu entscheiden, ob sie für eine Frauen- oder Männermannschaft spielen möchten. Dennoch bleibt die Situation komplex: Eine Studie der Deutschen Sporthochschule Köln ergab, dass 16% der aktiven LSBT*-Sportler*innen in den letzten 12 Monaten persönlich negative Erfahrungen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität gemacht haben – bei trans* Personen waren es sogar 40%.

Hoffnung für die Zukunft

Tara Hewitt, ehemalige Universitätsathletin, fasste die Bedeutung des Leitfadens zusammen: „Es gibt mir Hoffnung, dass mehr Menschen in der Lage sein werden, die Freude zu teilen, die mir Sport über mein ganzes Leben hinweg gebracht hat." Jenny Behan fügte hinzu: „Diese Richtlinie wird einen langen Weg gehen und ein brillanter Start sein [...], um Menschen zu bilden, dass wir einfach normale Menschen sind."

An der Veranstaltung nahmen Vertreter*innen zahlreicher Organisationen teil, darunter Sporting Pride, Intersex Ireland, Sport Ireland, Emerald Warriors und Mammies for Trans Rights. Ihre Präsenz unterstrich: Inklusion im Sport ist keine Randnotiz, sondern eine gemeinsame Verantwortung – besonders auf Amateur- und Community-Ebene, wo Sport für die meisten Menschen stattfindet.

Der vollständige Transgender & Intersex Sports Inclusion Policy Guide ist nun online verfügbar und bietet Verbänden, Vereinen und Schulen praktische Anleitungen für eine inklusivere Sportkultur. Ein Schritt in die richtige Richtung – nicht nur für Irland, sondern als Inspiration für ganz Europa.


Fünf Jahre Sperre: Schwimmerin Hannah Caldas verweigert Geschlechtstest – „Meine Privatsphäre wurde genug verletzt"

Die 48-jährige US-Schwimmerin Hannah Caldas wurde von World Aquatics für fünf Jahre gesperrt, nachdem sie sich weigerte, sich einem chromosomalen Geschlechtstest zu unterziehen. Caldas sagt, wenn die Sperre der Preis sei, den sie zahlen müsse, um ihre "intimsten medizinischen Informationen zu schützen", dann sei sie "glücklich, diesen Preis zu zahlen".

Der Fall wirft grundlegende Fragen über medizinische Privatsphäre, Menschenrechte und die Teilnahme von trans Personen im Sport auf – Themen, die auch in Deutschland intensiv diskutiert werden.

Der Fall Hannah Caldas: Zwischen Hobbysport und politischem Kampf

Caldas, die auch als Ana bekannt ist, nahm 2024 an den World Aquatics Masters Championships in Doha teil, wo sie in ihrer Altersklasse den ersten Platz im 100-Meter-Freistil der Frauen belegte. Sie trat auch bei den Spring Nationals der US Masters Swimming (USMS) in San Antonio, Texas, im April an und gewann mehrere Wettbewerbe.

Die Situation eskalierte, als der republikanische Gouverneur Ken Paxton eine Untersuchung gegen die Organisation startete und in einer Klage behauptete, sie habe gegen das Deceptive Trade Practices Act von Texas verstoßen, indem sie trans Teilnahme erlaubte. Paxtons Büro startete die Untersuchung im Mai, nachdem zwei trans Frauen an einem Schwimmwettbewerb in San Antonio im April teilnehmen durften und einige der Wettbewerbe gewannen.

Besonders bemerkenswert: Im August erklärte USMS Caldas für die weibliche Kategorie berechtigt, wobei ein Bericht zu ihrer Berechtigung feststellte, dass "die von der Schwimmerin eingereichten Dokumente alle belegen, dass ihr bei der Geburt das weibliche Geschlecht zugewiesen wurde und dass sie sich als weiblich identifiziert, obwohl sie bei USMS-Veranstaltungen 2002-2004 in der männlichen Kategorie schwamm".

„Chromosomale Tests sind invasiv und teuer"

World Aquatics entschied jedoch, die 48-Jährige bis Oktober 2030 für fünf Jahre zu sperren, nachdem sie es ablehnte, einen Geschlechtsverifikationstest durchzuführen, und ihre Schwimmergebnisse der letzten drei Jahre – zwischen Juni 2022 und Oktober 2024 – zu disqualifizieren.

Caldas begründete ihre Weigerung damit, dass "chromosomale Tests invasive und teure Verfahren sind". "Meine Versicherung weigert sich, einen solchen Test zu übernehmen, weil er medizinisch nicht notwendig ist. Kein US-Bundesstaat verlangt Gentests für Freizeitsportveranstaltungen wie diese", erklärte sie.

"Aber wenn eine fünfjährige Sperre der Preis ist, den ich zahlen muss, um meine intimsten medizinischen Informationen zu schützen, dann ist es ein Preis, den ich gerne zahle – für mich selbst und für jede andere Frau, die sich nicht hochinvasiven medizinischen Tests unterziehen möchte, nur um in einem Wettbewerb für ältere Erwachsene zu schwimmen", so Caldas weiter.

"Mein Leben und meine Privatsphäre wurden genug verletzt", erklärte sie. "Es ist Zeit, meine Gesundheit und persönliche Sicherheit zu priorisieren".

Die umstrittene World Aquatics-Politik

2022 stimmte World Aquatics für die Einführung von Regeln, die trans Frauen vom Wettbewerb in Elite-Rennen ausschließen, wenn sie irgendeine männliche Pubertät durchlaufen haben. Der Internationale Schwimmverband World Aquatics beschloss 2023, dass Transfrauen nur dann an Frauenwettbewerben teilnehmen dürfen, wenn sie nachweisen können, dass sie keinen Teil der männlichen Pubertät über das Tanner-Stadium 2 hinaus oder vor dem Alter von 12 Jahren durchlaufen haben, je nachdem, was später eintritt.

Die Entscheidung von World Aquatics betrifft auch den Masters-Bereich – eine Kategorie für Hobbyschwimmer über 25 Jahren, bei der es keine Preisgelder gibt und die Teilnehmer ihre Reisen selbst finanzieren.

Die Debatte in Deutschland: Zwischen Inklusion und Fairness

Die Diskussion um trans Personen im Sport ist auch in Deutschland hochaktuell. Die Vorschriften zu sogenannten "Geschlechtsüberprüfungen" verletzen die Rechte von meist aus dem Globalen Süden kommenden Athletinnen und schaden ihnen, so Human Rights Watch. Die Vorschriften zielen auf Athletinnen bei Laufwettbewerben ab und zwingen die betroffenen Frauen, sich medizinischen Eingriffen zu unterziehen oder andernfalls von Wettkämpfen ausgeschlossen zu werden.

Auf internationaler Ebene (International Olympic Committee und World Athletics) sind "Transgender"-Richtlinien geschaffen worden. Diese Richtlinien knüpfen die Teilnahme von transgeschlechtlichen Menschen in der Geschlechterkategorie der Frauen nicht an geschlechtsangleichende Operationen, sondern maßgeblich an ihre Testosteronwerte.

Im deutschen Sport gibt es verschiedene Ansätze: Der Westdeutsche Fußballverband (WDFV) ermöglicht die geregelte Teilhabe von trans und inter Menschen seit Beginn der Saison 2021/2022 durch eine Änderung der WDFV-Spielordnung. Durch diese Regelungen setzt der WDFV ein wichtiges Zeichen für den Fußball und zur Unterstützung der betroffenen Spieler*innen in NRW.

LSBTIQ+ im deutschen Sport: Diskriminierung bleibt ein Problem

Studien zeigen, dass queere Menschen im Sport weiterhin Diskriminierung erfahren. Die Studie Outsport der Sporthochschule Köln von 2019 kam zu dem Ergebnis, dass 16% der aktiven Sportler*innen in den letzten 12 Monaten persönliche negative Erfahrungen im Sport aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität gemacht haben. Trans Personen fühlen sich insgesamt deutlich häufiger ausgeschlossen (56%).

In einem Sportsystem, das geprägt ist von einer binären Geschlechterordnung und Geschlechterstereotypen, fühlen sich LGBTI*-Personen verunsichert und teilweise diskriminiert, sodass sie an der aktiven Teilnahme am Sport oftmals gehindert werden.

Deutsche Sportorganisationen arbeiten an Lösungen: In der sogenannten "Bremer Erklärung" beschließen die Sportminister, dass der Sport in Deutschland inklusiv sein soll und die Teilhabe aller Menschen am aktiven Sport und sportlichen Veranstaltungen gewährleisten soll. Der Beschluss regt an, dass Vereine und Verbände ihre Regelwerke so fassen sollen, dass ein diskriminierungsfreier Umgang mit Sporttreibenden gefördert wird.

Der Fall Lia Thomas und die internationale Dimension

Unter dieser Politik wurde die trans ehemalige University of Pennsylvania-Schwimmerin Lia Thomas, die 2022 als erste trans Frau eine National Collegiate Athletic Association-Schwimmmeisterschaft gewann, vom Schwimmverband verbannt.

Thomas reichte im September 2023 eine rechtliche Auseinandersetzung gegen die World Aquatics-Politik beim International Court of Arbitration for Sport (CAS) in der Schweiz ein. Das Gericht wies jedoch ihre Behauptung zurück, dass die Politik diskriminierend sei.

Eine Frage der Menschenwürde

Der Fall Hannah Caldas zeigt die Komplexität der Debatte: Auf der einen Seite stehen Forderungen nach Fairness im Sport, auf der anderen das Recht auf körperliche Selbstbestimmung und Schutz der Privatsphäre. Diese Praktiken verletzen grundlegende Rechte auf Privatsphäre, Gesundheit und Nichtdiskriminierung, so Human Rights Watch.

Caldas' Entscheidung, ihre medizinische Privatsphäre über ihre Karriere im Schwimmsport zu stellen, wirft wichtige Fragen auf: Wie weit dürfen Sportorganisationen gehen, um "Fairness" zu garantieren? Und zu welchem Preis für die betroffenen Personen?

Die Diskussion wird weitergehen – in den USA, in Deutschland und weltweit. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass einfache Lösungen in einem Bereich, der Menschenwürde, medizinische Ethik und sportliche Integrität berührt, nicht zu finden sind.


Britische Gleichstellungsbehörde steht vor Abstufung: Trans-Organisationen fordern internationale Untersuchung wegen "alarmierender" Menschenrechtsverletzungen

Eine Koalition aus Trans- und Menschenrechtsorganisationen hat die oberste britische Gleichstellungsbehörde wegen ihrer Haltung zu Trans-Rechten zur Herabstufung aufgerufen. In Eingaben an die Global Alliance of National Human Rights Institutions (GANHRI) forderten LGBTQ+- und Menschenrechtsorganisationen TransActual, Amnesty International, Trans+ Solidarity Alliance, Equality Network, Scottish Trans und das Trans Advocacy & Complaints Collective (TACC) eine sofortige Untersuchung der Behörde, die sie als "nicht geeignet" bezeichneten. Die ursprüngliche Berichterstattung von PinkNews wirft ein Schlaglicht auf eine Entwicklung, die auch für Deutschland relevant ist.

Was genau wirft man der EHRC vor?

Nach dem Urteil des britischen Supreme Court im April – das entschied, dass die Definition von "Frau" im Gleichstellungsgesetz 2010 auf biologischem Geschlecht basiert – begann die EHRC mit der Überarbeitung ihres Verhaltenskodex. Die Revisionen würden, wenn umgesetzt, Trans-Personen den Zugang zu Einrichtungen wie Toiletten und Umkleideräumen entsprechend ihrer Geschlechtsidentität verbieten. Eine ursprüngliche Version ihrer Interimsleitlinien, die die EHRC inzwischen zurückgezogen hat, verbot Trans-Personen komplett den Zugang zu öffentlichen Einrichtungen.

Tammy Hymas, Policy-Leiterin von TransActual, erklärte: "Die sogenannte Menschenrechtsaufsicht des Vereinigten Königreichs versagt bei ihren Pflichten, die Rechte aller Menschen in unserem Land zu wahren. Nach Jahren politisierter Ernennungen und einer obsessiven Kampagne, um Trans-Personen unsere Grundrechte zu entziehen, versucht die EHRC nun, eine gewählte Regierung zur Umsetzung eines Toilettenverbots für Trans-Personen zu drängen."

Internationale Kritik nimmt zu

Die Koalition der Menschenrechtsgruppen wies darauf hin, dass mehrere nationale und internationale Menschenrechtsgremien, darunter 18 unabhängige UN-Experten, der Menschenrechtskommissar des Europarats und die Schottische Menschenrechtskommission, die Handlungen der EHRC kritisiert haben. Selbst Gleichstellungsministerin Bridget Phillipson kritisierte das Vorgehen der EHRC, nachdem deren Vorsitzende Kishwer Falkner die Regierung drängte, die Leitlinien "mit Geschwindigkeit" umzusetzen. Die Ministerin sagte, es sei "enttäuschend zu sehen, wie die EHRC öffentlich dazu Stellung nimmt".

GANHRI hat bereits früher die Herabstufung von nationalen Menschenrechtsinstitutionen in Ägypten und im Irak wegen Verstößen gegen die Pariser Prinzipien empfohlen. Der "A-Status" bedeutet vollständige Einhaltung der Pariser Prinzipien – internationale Standards, die die Mindestanforderungen an Unabhängigkeit, Pluralismus und effektives Funktionieren von Menschenrechtsgremien definieren. Institutionen mit A-Status können vollständig an UN-Menschenrechtsmechanismen teilnehmen, einschließlich Rederechten im UN-Menschenrechtsrat.

Was bedeutet das für Deutschland?

Die Situation im Vereinigten Königreich steht im krassen Gegensatz zur jüngsten Entwicklung in Deutschland. Während die EHRC Trans-Personen systematisch ausgrenzen will, hat Deutschland 2024 mit dem Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) einen progressiven Weg eingeschlagen.

Das SBGG, das am 1. November 2024 in Kraft trat, erleichtert es trans-, intergeschlechtlichen und nichtbinären Personen, ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister und ihre Vornamen ändern zu lassen. Die Änderung erfolgt durch eine Erklärung gegenüber dem Standesamt. Das Gesetz ersetzt das diskriminierende Transsexuellengesetz von 1980.

Auch bei der Frage öffentlicher Toiletten unterscheiden sich die Ansätze fundamental. Während die EHRC Trans-Personen von geschlechtsspezifischen Räumen ausschließen will, betont die Antidiskriminierungsstelle des Bundes: Anbieter wie Schwimmbäder oder Saunen entscheiden unabhängig vom Geschlechtseintrag weiterhin selbst über den Eintritt, dürfen aber wie bisher nicht diskriminieren. Es kann gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verstoßen, Menschen nur aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität pauschal den Zugang zu verweigern – ob im Schwimmbad, im Fitnessstudio oder in der Sauna.

Deutsche Gleichstellungsbeauftragte setzen auf Inklusion

In Deutschland spielen Gleichstellungsbeauftragte eine wichtige Rolle beim Schutz aller Geschlechter. Eine Gleichstellungsbeauftragte ist eine Funktion innerhalb einer Behörde, einer sozialen Einrichtung, einer Gemeinde oder eines Unternehmens, die sich mit der Förderung und Durchsetzung der Chancengleichheit, Gleichberechtigung und Gleichstellung von Frauen, Männern und Diversen befasst.

Expert*innen warnen deutsche Gleichstellungsbeauftragte davor, sich instrumentalisieren zu lassen, wenn Arbeitgeber Frauenrechte und die Rechte von diversen Personen in Opposition stellen, als ob sich nur das eine oder das andere verwirklichen ließe. Es geht nicht darum, einer marginalisierten Gruppe etwas wegzunehmen, um es der anderen zu geben. Vielmehr sollte es gemeinsam darum gehen, die ungleichen Strukturen aufzubrechen.

Was steht auf dem Spiel?

Der Verlust des A-Status würde die Autorität der EHRC sowohl in Großbritannien als auch international massiv untergraben. Vic Valentine, Manager von Scottish Trans, erklärte: "Gerade jetzt stehen wir vor der realen Möglichkeit, dass Trans-Personen täglich von Dienstleistungen und Arbeitsplätzen ausgeschlossen und segregiert werden. Anstatt dass die EHRC versucht, dies zu verhindern, drängt sie aktiv darauf, dass es geschieht."

Chiara Capraro, Direktorin des Programms für Geschlechtergerechtigkeit bei Amnesty International UK, warnte: "Dies ist eindeutig ein Notfall für Trans-Personen, aber die Pflichtverletzung der EHRC könnte sich auf andere marginalisierte Gruppen ausweiten. Zu einer Zeit, in der menschenrechtsfeindliche Kräfte in Großbritannien und weltweit zunehmen, können wir uns keine nationale Menschenrechtsinstitution leisten, die nicht zweckmäßig ist."

Die Entwicklung zeigt: Während Deutschland mit dem Selbstbestimmungsgesetz internationale Anerkennung für den Schutz von Trans-Rechten erhält, droht Großbritannien genau das Gegenteil – eine Herabstufung seiner wichtigsten Menschenrechtsbehörde wegen systematischer Diskriminierung. Die Entscheidung von GANHRI wird weitreichende Folgen haben, nicht nur für Trans-Personen in Großbritannien, sondern für Menschenrechtsstandards weltweit.


Württemberg bleibt hart: Keine Trauung für gleichgeschlechtliche Paare

Die Evangelische Landeskirche in Württemberg hat sich erneut gegen die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare entschieden. Mit knapper Mehrheit – 56 Ja-Stimmen bei notwendigen 60 – scheiterte am Freitag der Gesetzesentwurf, der Segnungsgottesdienste künftig als "Trauungen" bezeichnen wollte. Es gab 31 Nein-Stimmen und zwei Enthaltungen, sodass der Kompromiss aus dem Jahr 2019 bestehen bleibt, der lediglich Segnungsgottesdienste für gleichgeschlechtliche Paare vorsieht – ohne die rechtliche und liturgische Gleichstellung mit der klassischen Trauung.

Eine konservative Ausnahme in Deutschland

Die Entscheidung macht Württemberg zu einer der letzten evangelischen Landeskirchen in Deutschland, die queeren Paaren die volle Gleichstellung verweigert. Bei der Mehrzahl der 20 evangelischen Landeskirchen sind gleichgeschlechtliche und heterosexuelle Paare inzwischen komplett gleichgestellt, darunter die Evangelische Kirche im Rheinland, Baden, Hannover, die Pfalz und Berlin-Brandenburg. Erst im April 2025 beschloss die bayerische Landeskirche nach jahrelangem Ringen die "Trauung für alle" – ein symbolischer Meilenstein für queere Christ*innen in Bayern.

Für viele queere Menschen in Württemberg ist das Abstimmungsergebnis eine schmerzhafte Enttäuschung. Synodale des liberalen Gesprächskreises "Offene Kirche" forderten die begriffliche Gleichstellung, um queere Paare endlich als gleichwertig anzuerkennen. Synodalpräsidentin Sabine Foth appellierte: "Als Christinnen und Christen haben wir ein gemeinsames Fundament. Lassen Sie uns das bei aller Enttäuschung nicht vergessen."

Der Kompromiss von 2019: Segen nur in ausgewählten Gemeinden

Laut dem Kompromiss von 2019 entscheiden Kirchengemeinden selbst, ob sie Segnungsgottesdienste für gleichgeschlechtliche Paare anbieten wollen. Dafür müssen im Gemeinderat drei Viertel der Mitglieder und unter den Pfarrern einer Gemeinde ebenfalls drei Viertel zustimmen. Maximal ein Viertel aller württembergischen Kirchengemeinden dürfen solche Feiern anbieten. Aktuell bieten lediglich 147 der 1039 Kirchengemeinden in Württemberg Segnungsgottesdienste an – weit unter der erlaubten Quote.

Matthias Hanßmann vom theologisch konservativen Gesprächskreis "Lebendige Gemeinde" verteidigte den Status quo: "Wir haben uns bewegt, wir haben einen Kompromiss", sagte er. Doch für queere Paare bedeutet dieser "Kompromiss" weiterhin Ausgrenzung und die Botschaft, ihre Liebe sei nicht gleichwertig.

Ein Blick nach Deutschland und darüber hinaus

Während Württemberg zögert, zeigen andere Landeskirchen, wie es anders geht. Die Evangelische Landeskirche in Baden war 2016 die erste, die die "Gleichwertigkeit gleichgeschlechtlicher Liebe, Sexualität und Partnerschaft" anerkannte und gleichgeschlechtliche Paare in einem öffentlichen Gottesdienst trauen lässt. In der Evangelischen Kirche im Rheinland ist seit 2016 die kirchliche Trauung für homo- und heterosexuelle Paare gleichermaßen möglich – auch für Menschen mit diversen Geschlechteridentitäten.

Eine aktuelle Studie des European Forum of LGBTI+ Christian Groups zeigt, dass die Evangelische Kirche in Deutschland mit 44 von 52 Punkten auf Platz sechs der queerfreundlichsten Kirchen in Europa liegt – ein deutliches Zeichen, dass die evangelische Kirche nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der gelebten Realität vielfach offen für queere Menschen geworden ist.

Warum diese Entscheidung schmerzt

Für queere Menschen in Württemberg bedeutet die Ablehnung mehr als nur einen bürokratischen Akt. Es geht um Anerkennung, um Würde, um das Gefühl, in der eigenen Kirche willkommen zu sein. Pfarrer Christoph Doll, der 2020 den ersten Segnungsgottesdienst für ein schwules Paar in Stuttgart hielt, sagte damals: "Ich bin sehr froh, dass ich künftig lesbische und schwule Ehepaare nicht mehr wegschicken muss. Für die bisher sehr hartherzige Linie der Landeskirche habe ich mich oft geschämt."

Die theologischen Argumente der Konservativen klingen für viele queere Christ*innen hohl. Aus evangelischer Sicht gibt es keinen theologischen Unterschied zwischen der Trauung eines heterosexuellen Paares und der Segnung eines homosexuellen Paares – bei beiden Feiern empfangen sie den gleichen Segen des einen Gottes, wie die bayerische Landeskirche betont. Warum dann die Unterscheidung?

Ausblick: Der Kampf geht weiter

Die Abstimmung zeigt, dass die württembergische Landeskirche tief gespalten ist. Die Synodalen des konservativen Gesprächskreises "Lebendige Gemeinde" hatten geschlossen gegen das Gesetz gestimmt oder sich enthalten, bei der zweiten Lesung wurde geheim abgestimmt. Mit nur vier fehlenden Stimmen zur notwendigen Zweidrittelmehrheit ist die Hoffnung auf Veränderung jedoch nicht verloren.

Die Kirche steht vor einer grundlegenden Frage: Will sie ein Ort sein, an dem alle Menschen – unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung – gleichwertig willkommen sind? Oder bleibt sie eine Institution, die queeren Menschen sagt: "Ihr seid anders, ihr seid weniger"? Für die 147 Gemeinden, die bereits Segnungsgottesdienste anbieten, ist die Antwort klar. Für den Rest Württembergs bleibt der Kampf um Gleichberechtigung weitergehen.

Andere Landeskirchen wie die EKHN haben bereits ein Schuldbekenntnis gegenüber queeren Menschen ausgesprochen: "Lesben, Schwule, Trans- und Intersexuelle haben in Gemeinden und Einrichtungen Diskriminierung erfahren", heißt es dort. "Die Kirche habe die Würde von Gottes Geschöpfen verletzt". Wann wird Württemberg diesem Beispiel folgen?


Brandenburg: Homophobie und Rassismus – Zwei Polizeianwärter vor Entlassung

An der Polizeihochschule Brandenburg in Oranienburg droht zwei Kommissaranwärtern wegen homofeindlicher, rassistischer und staatsfeindlicher Äußerungen die Entlassung. Der Fall wirft ein Schlaglicht auf ein Problem, das weit über Brandenburg hinausgeht: Diskriminierung und Extremismus in den Reihen der Polizei, wie die Originalquelle auf queer.de berichtet.

Die Vorwürfe: Volksverhetzung während der Ausbildung

Die beiden 21-jährigen Anwärter im Vorbereitungsdienst für den gehobenen Polizeivollzugsdienst sollen sich in Lehrveranstaltungen abfällig über dunkelhäutige Menschen, homosexuelle Personen und den Verfassungsschutz geäußert haben. Mitschüler*innen protokollierten die Vorfälle. Im Juli 2024 leitete die Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen des Verdachts der Volksverhetzung ein, im August wurde das Entlassungsverfahren eingeleitet. Die Anhörungen dauern derzeit noch an.

Zunächst wurden die beiden Auszubildenden suspendiert, doch das Dienstverbot erlosch am 24. Juli wieder, da sich die Ermittlungen als aufwendiger als erwartet herausstellten. Was als Disziplinarverfahren begann, ist mittlerweile zu einem Entlassungsverfahren eskaliert.

Kein Einzelfall: Brandenburg kämpft mit Rechtsextremismus

Der aktuelle Fall reiht sich in eine besorgniserregende Serie ähnlicher Vorfälle ein. 2024 dokumentierte die Opferperspektive Brandenburg insgesamt 273 rechte, rassistische und antisemitische Gewalttaten im Land, wobei Rassismus mit 130 erfassten Angriffen das häufigste Tatmotiv blieb. Auch innerhalb der Polizei gab es in der Vergangenheit bereits Ermittlungen: 2022 wegen Fotos mit SS-Uniformen, 2019 wegen eines Bildes mit rechtsextremem Schriftzug.

Laut Verfassungsschutzbericht 2024 ist das rechtsextremistische Personenpotenzial in Brandenburg auf 3.650 Personen gestiegen, wobei rund 40 Prozent als „gewaltorientiert" gelten. Mehr als die Hälfte aller politisch motivierten Straftaten in Brandenburg stammen aus dem rechten Spektrum.

Homophobie in der Polizei: Ein deutschlandweites Problem

Die homofeindlichen Äußerungen der Brandenburger Anwärter sind symptomatisch für ein tieferliegendes Problem. Eine Studie zu LSBT*-Polizist*innen zeigte, dass fast alle interviewten LGBT*-Polizist*innen von Exklusionserfahrungen am Arbeitsplatz berichteten – von der Verweigerung der Schichtübernahme mit schwulen Kollegen bis zu sexistischen Äußerungen.

Eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes kam zum Ergebnis: „Trotz der zunehmenden Akzeptanz von LSBTIQ-Personen in vielen Gesellschaften sind Homophobie und homophobe Einstellungen unter Polizeibeamt*innen international immer noch ein Problem." In nahezu allen Bereichen der polizeilichen Arbeit besteht das Risiko von Diskriminierungen.

Ein Berliner Kriminalhauptkommissar berichtete in seinem Buch, dass Ausdrücke wie „Homo" und „Schwuchtel" in der Polizei „keine Einzelerscheinungen" seien. Die Vereinigung lesbischer und schwuler Polizeibediensteter (VelsPol) kämpft seit Jahren gegen diese Strukturen.

Queerfeindliche Gewalt nimmt zu

Im Jahr 2023 wurden bundesweit 1.785 Straftaten gegen LSBTIQ*-Personen erfasst – ein Anstieg gegenüber 1.188 Fällen im Jahr 2022. Die Zahl der Straftaten in den Bereichen „Sexuelle Orientierung" und „Geschlechtsbezogene Diversität" hat sich seit 2010 nahezu verzehnfacht.

In Brandenburg wurden queerfeindliche Attacken rund um CSDs als Teil rechter Gewaltstrategien dokumentiert, mit denen Täter*innen das Ziel verfolgen, Menschen einzuschüchtern und in ihren Handlungsspielräumen einzuschränken. Laut einer EU-Studie zeigten 96 Prozent der LSBTIQ*-Personen Hate Speech nicht an, 23 Prozent hatten Angst vor homo- oder transphoben Reaktionen der Polizei.

Was muss sich ändern?

Expert*innen fordern mehr Sensibilisierung der Polizeikräfte für das Thema Diskriminierung, entsprechende Schulungen sowie den Ausbau von Beschwerde- und Ombudsstellen. Zudem sollten Diskriminierungsvorfälle verpflichtend erfasst werden.

Grit Merker, Ansprechperson für LSBTTI bei der Polizei Sachsen-Anhalt, betonte: „Wir müssen empathischer werden und handeln." Sie bietet Aus- und Fortbildungsschulungen an, fordert aber, dass diese regelmäßiger stattfinden sollten, „so wie Erste-Hilfe-Schulungen".

Der Brandenburger Fall zeigt: Die Polizei muss nicht nur gegen Diskriminierung in der Gesellschaft vorgehen, sondern auch in den eigenen Reihen aufräumen. Nur so kann sie das Vertrauen aller Menschen gewinnen – unabhängig von sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität oder Herkunft. Die beiden Kommissaranwärter in Oranienburg hätten niemals die Chance bekommen dürfen, mit solchen Einstellungen Menschen zu schützen, die sie offensichtlich verachten.


Historisches Urteil in Minnesota: Trans-Gewichtheberin JayCee Cooper gewinnt gegen Diskriminierung im Sport

In einem wegweisenden Urteil hat der Oberste Gerichtshof von Minnesota entschieden, dass die Richtlinie von USA Powerlifting, die JayCee Cooper vom Wettbewerb in der Frauenklasse ausschließt, "offensichtlich diskriminierend" ist – eine Entscheidung, die weit über die Grenzen des US-Bundesstaates hinaus Beachtung findet. Das Urteil vom 22. Oktober 2025 könnte auch in Deutschland neue Impulse für die Debatte um Trans-Athletinnen im Sport setzen.

Ein siebenjähriger Kampf für Gleichberechtigung

USA Powerlifting lehnte Coopers Antrag 2018 ab, in der Frauenklasse anzutreten. Was folgte, war ein langwieriger juristischer Kampf: Cooper reichte 2021 Klage ein, und das erstinstanzliche Gericht entschied zu ihren Gunsten. Doch der Weg war damit noch nicht zu Ende – das Berufungsgericht wies den Fall an die untere Instanz zurück, bevor er schließlich vor dem höchsten Gericht des Bundesstaates landete.

Das Gericht stützte seine Entscheidung auf den Minnesota Human Rights Act, der trans Personen vor Diskriminierung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung schützt. Minnesota war 1993 der erste US-Bundesstaat, der ein Antidiskriminierungsgesetz verabschiedete, das ausdrücklich die Diskriminierung von trans Personen verbietet – bereits Minneapolis hatte dies 1975 als erste Stadt getan.

Ein differenziertes Urteil mit Signalwirkung

Trotz des grundsätzlichen Erfolgs für Cooper ist das Urteil nicht eindimensional: Die Richter verwiesen darauf, dass das Gesetz eine Ausnahme für "legitime geschäftliche Zwecke" vorsieht, und sagten, es gebe eine "echte Streitfrage", ob "die Gewährleistung fairer Wettbewerbsbedingungen im Sport" diesem Test entspricht. Ein Teil des Falles wurde daher an das ursprüngliche Gericht zurückverwiesen.

Dennoch bewerten Coopers Anwältinnen das Urteil als vollständigen Sieg. Cooper gewann bei der Klage wegen Diskriminierung gemäß der Bestimmungen über öffentliche Einrichtungen – "wir haben bei der öffentlichen Unterkunft gewonnen", betonte Jess Braverman von Gender Justice. Die Gruppe erklärte auch, dass das Urteil weiter geht und alle trans Personen in Minnesota vor Diskriminierung schützen wird.

Parallelen zur Situation in Deutschland

Die Debatte um trans Athletinnen im Sport ist auch in Deutschland hochaktuell. Im Juni 2022 verabschiedete der Deutsche Fußball-Bund (DFB) eine Neuregelung zum Spielrecht für trans, inter und nicht-binäre Spieler*innen im Amateurfußball, die zur Spielzeit 2022/2023 in Kraft trat. Der LSVD begrüßte, dass der DFB als einer der wichtigsten Sportverbände in Deutschland sein Spielrecht geöffnet hat und die geschlechtliche Selbstbestimmung im deutschen Amateurfußball gestärkt wird.

Rechtlich sind trans Personen in Deutschland durch mehrere Gesetze geschützt: Nach § 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) sollen Benachteiligungen aus Gründen des Geschlechts und der sexuellen Identität verhindert oder beseitigt werden. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes empfiehlt, bei Sportwettbewerben zunächst zu prüfen, ob eine Geschlechtertrennung überhaupt notwendig ist – handelt es sich um einen Wettbewerb, bei dem die Leistung im Vordergrund steht, oder um eine Veranstaltung im Breitensport, bei denen das gemeinsame Erlebnis und der Spaß im Vordergrund stehen?

Internationale Aufmerksamkeit und Kontroverse

Das intensive Interesse an dem Fall in Minnesota zeigt sich daran, dass zahlreiche Athletinnen und Organisationen beider Seiten Stellungnahmen als Freunde des Gerichts einreichten, darunter die ehemalige Tennis-Championin Martina Navratilova, die Teil einer Gruppe von 83 weiblichen Athletinnen war, die die Position von USA Powerlifting unterstützten.

Die Richter ordneten an, dass das erstinstanzliche Gericht nun prüfen muss, ob USA Powerlifting eine Verteidigung hat, basierend auf der Behauptung, "dass faire Wettkampfmöglichkeiten für ähnlich gestellte Athletinnen ein legitimer geschäftlicher Grund sind, dass ihre Interpretation von Fairplay auf einzigartigen Erwägungen des Gewichthebens basiert", und auf Beweisen, die nach Angaben der Gruppe zeigen, dass trans Gewichtheberinnen Kraftvorteile genießen.

Was bedeutet das Urteil für die Zukunft?

Da die rechtlichen Argumente weitgehend darauf basierten, wie die Gerichte das Gesetz von Minnesota interpretieren sollten, schafft die Entscheidung keinen bindenden Präzedenzfall für andere Bundesstaaten – Gerichte anderswo, die mit ähnlichen Fragen konfrontiert sind, könnten sich jedoch dafür entscheiden, sich auf die rechtliche Begründung zu stützen.

Auf die Frage, ob Cooper plane, weiterhin bei USA Powerlifting anzutreten, hielt sich Braverman zurück und verwies darauf, dass sieben Jahre vergangen seien, seit Cooper zuletzt versucht habe, in der Organisation zu wetteifern: "Wir müssen das mit ihr besprechen".

Das Urteil aus Minnesota zeigt: Der Kampf um Gleichberechtigung im Sport ist noch lange nicht entschieden. Doch es sendet ein klares Signal, dass Diskriminierung – egal wie sie begründet wird – vor Gericht Bestand haben muss. Für trans Athletinnen weltweit ist das ein wichtiger Schritt in Richtung Anerkennung und Teilhabe.


CDU-Justizministerinnen instrumentalisieren rechtsextremen Fall Liebich: Angriff auf trans Rechte und Selbstbestimmung

Drei CDU-Justizministerinnen nutzen den Fall eines rechtsextremen Straftäters, um gegen das Selbstbestimmungsgesetz Stimmung zu machen. Constanze Geiert (Sachsen), Franziska Weidinger (Sachsen-Anhalt) und Beate Meißner (Thüringen) fordern von der Bundesregierung eine "Prüfung und Überarbeitung" des erst seit November 2024 geltenden Gesetzes. Der Vorwand: Der rechtsextreme Straftäter Marla Svenja Liebich, der seinen Geschlechtseintrag Anfang des Jahres ändern ließ, ist nach wie vor flüchtig.

Ein vorgeschobenes Argument

Die Argumentation der Ministerinnen ist so durchsichtig wie fadenscheinig: Das am 12. April 2024 vom Bundestag verabschiedete Selbstbestimmungsgesetz erlaubt trans, inter und nichtbinären Menschen, ihren Geschlechtseintrag und den Vornamen durch ein auf der Selbstbestimmung basierendes Verwaltungsverfahren beim Standesamt ändern zu lassen. Liebich, der wegen Volksverhetzung, übler Nachrede und Beleidigung zu einer Haftstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt wurde, nutzte diese Möglichkeit offenbar, um die deutsche Justiz vorzuführen. Doch unklar bleibt, wie die Ministerinnen erklären wollen, warum eine gesuchte Person mit einem anderen Geschlechtseintrag besser auffindbar sein sollte.

Justizministerin Geiert behauptet, dass Menschen ihren Personenstand ohne Prüfung ändern können, sei in ihrem Bundesland eine "erhebliche Belastung". Sie fordert, dass "Personal mit spezieller Sachkunde in besonderen Fällen" entscheiden solle. Damit würde Deutschland jedoch genau zu jenen entwürdigenden Verfahren zurückkehren, die das Bundesverfassungsgericht in zahlreichen Entscheidungen als verfassungswidrig erklärt hat, weil sie massiv gegen die Grundrechte von trans Personen verstoßen.

Die Realität im Justizvollzug

Was die CDU-Ministerinnen verschweigen: Die Unterbringung in Justizvollzugsanstalten richtet sich nicht automatisch nach dem geänderten Geschlechtseintrag. Wie Legal Tribune Online berichtet, wird vom Grundsatz der getrennten Unterbringung im Einzelfall unter Berücksichtigung der Persönlichkeit und der Bedürfnisse der Gefangenen, der Erreichung des Vollzugsziels und der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt abgewichen. Die endgültige Entscheidung liegt bei der jeweiligen Justizvollzugsanstalt, die in einem Aufnahmegespräch prüft, ob eine Gefahr für "Sicherheit und Ordnung" besteht. Eine Verlegung wäre problemlos möglich.

Dass die drei Ministerinnen von einer "einstelligen Zahl" von Fällen in Sachsen-Anhalt sprechen, in denen Menschen nach Änderung des Geschlechtseintrags die Unterbringung in einem Frauengefängnis beantragt haben, zeigt: Es handelt sich um eine verschwindend geringe Zahl. Ein Bericht aus dem Jahr 2022, der bestehende Selbstbestimmungsmodelle in verschiedenen Ländern untersucht hat, zeigt, dass kein Fall einer Änderung des Geschlechtseintrags aus betrügerischen oder kriminellen Absichten bekannt geworden ist.

Ein historischer Fortschritt unter Beschuss

Mehr als 40 Jahre lang wurden Betroffene durch das Transsexuellengesetz diskriminiert. Mit dem Selbstbestimmungsgesetz ist endlich Schluss damit, erklärte Bundesgleichstellungsministerin Lisa Paus bei der Verabschiedung. Kein Mensch sollte langwierige Gerichtsverfahren und psychiatrische Gutachten über sich ergehen lassen müssen, nur um seinen Geschlechtseintrag ändern zu können.

Das alte Transsexuellengesetz von 1980 verlangte zwei Gutachten, eine mindestens dreijährige Lebensphase im gewünschten Geschlecht und setzte für die Änderung des Geschlechtseintrags vorherige Sterilisierung, geschlechtsangleichende Operation und, falls verheiratet, Scheidung voraus. Diese menschenverachtenden Bedingungen wurden vom Bundesverfassungsgericht Stück für Stück als verfassungswidrig kassiert – dennoch blieb das Gesetz jahrzehntelang in Kraft.

Politisches Kalkül statt Sachpolitik

Die SPD machte bereits im Bundestag deutlich, dass sie "dieses Gesetz mit aller Kraft" verteidigen werde. Queere Organisationen wie der LSVD warnen davor, in die Zeit von "Fremdbestimmung oder Misstrauen" zurückzukehren. Der LSVD kritisierte im gesamten Prozess, dass sich sowohl in die Gesetzesbegründung als auch in einzelne Regelungen diskriminierende und misstrauische Haltungen insbesondere gegenüber trans Frauen wiederfinden, die wahrscheinlich auf die massive Desinformations- und Dämonisierungskampagne zurückzuführen sind.

Dass die drei Ministerinnen auch gleich das Cannabisgesetz auf den Prüfstand stellen wollen, entlarvt ihre wahren Motive: Es geht nicht um Sachpolitik oder berechtigte Sicherheitsbedenken, sondern um parteipolitisches Kalkül gegen vermeintlich progressive Gesetze der ehemaligen Ampel-Regierung. Die Union will laut ihrem Wahlprogramm das gerade einmal sechs Wochen alte Selbstbestimmungsgesetz wieder abschaffen, begründet mit dem Kinder- und Jugendschutz.

Deutschland im internationalen Vergleich

In Ländern wie Argentinien, Belgien, Dänemark, Irland, Luxemburg, Malta, Norwegen, Portugal, Spanien und Uruguay gibt es einfache Verwaltungsverfahren zur rechtlichen Anerkennung des Geschlechts auf Grundlage der Selbstbestimmung. Die Tendenz zu solchen unkomplizierten Verwaltungsverfahren spiegelt den internationalen medizinischen Konsens und die Menschenrechtsstandards wider. Deutschland hat mit dem Selbstbestimmungsgesetz lediglich einen längst überfälligen Schritt vollzogen.

Die instrumentalisierung des Falls Liebich durch die drei CDU-Ministerinnen ist nicht nur zynisch, sondern gefährlich. Sie schürt Vorurteile gegen eine vulnerable Minderheit und untergräbt ein Gesetz, das Menschenrechte schützt und Würde wiederherstellt. Trans, inter und nichtbinäre Menschen verdienen Selbstbestimmung – nicht erneute Stigmatisierung durch politische Stimmungsmache.


Klare Kante statt Wahlkampf: CSD Weimar verbietet Parteien

Der CSD Weimar geht einen mutigen Schritt: Beim diesjährigen Christopher Street Day am Samstag dürfen politische Parteien nicht mehr als Aussteller oder mit eigenen Ständen teilnehmen. Das Organisationsteam begründet den Ausschluss damit, dass sich manche Parteien zwar auf CSDs als Unterstützerinnen der queeren Community darstellten, ohne dies später durch konsequentes Handeln zu belegen. "Der CSD ist kein Ort für Symbolpolitik, sondern für echtes Engagement", heißt es in der Erklärung.

Von Regenbogenflaggen zu echten Taten

Die Entscheidung der Weimarer Organisator*innen ist keine Einzelerscheinung mehr in Deutschland. Der Bochumer CSD schließt bereits seit seiner Wiederbelebung 2019 "Werbung von politischen Parteien" aus, und auch der CSD Kassel hat beschlossen, dass klassischen politischen Parteien keine Sonderstellung mehr gewährt werden soll. Die Debatte ist aktueller denn je: Während der CSD Bremen die FDP in diesem Jahr ausschloss, weil der Parteichef vor "Gender-Unsinn" an Schulen gewarnt hatte, durfte die CSU in München 2023 und 2024 nicht mitfahren, unter anderem weil die Partei ein Verbot von Dragqueen-Auftritten gefordert hatte.

Der Weimarer CSD findet unter dem Motto "Nie wieder still – jetzt erst recht!" statt – eine unmissverständliche Ansage in Zeiten, in denen 2024 Rechtsextreme 32 angemeldete Kundgebungen gegen CSDs in Deutschland organisierten und für die kommende Saison sogar mit mehr Gewalt gerechnet werden muss, nicht nur in Ostdeutschland. Die Demo beginnt am Samstag um 13 Uhr vor dem Weimarer Hauptbahnhof, gefolgt von einem Straßenfest und einer Aftershowparty mit Dragshow.

Symbolpolitik versus echte Unterstützung

Die Kritik am "Pinkwashing" – also der oberflächlichen Zurschaustellung von LGBTQ+-Freundlichkeit ohne entsprechende Taten – wird in der queeren Community immer lauter. Politische Parteien brüsten sich auf dem CSD gerne mit queerfreundlichen Forderungen und Reformen, um Stimmen zu gewinnen, machen jedoch in der Regierung eine Politik gegen große Teile der Community. Ein Blick nach Deutschland zeigt: Wann immer es um queere Rechte ging, stand die Union bisher auf der Bremse. Eine CDU/CSU-geführte Regierung hat nie proaktiv aus eigenem Antrieb queere Rechte gestärkt. Jeder Fortschritt musste erkämpft, erstritten oder vom Bundesverfassungsgericht erzwungen werden.

Sophie Koch, Queerbeauftragte der Bundesregierung, setzt zwar auf leise Diplomatie statt auf laute Symbolpolitik, wartet aber seit Juli auf ein Gespräch mit Kanzler Merz. Die Diskrepanz zwischen Sonntagsreden und tatsächlichem politischem Handeln könnte kaum größer sein. Die Versprechen der Koalitionen, Deutschland sicherer für queere, trans, inter und nichtbinäre Personen zu machen, müssen sich in konkreten politischen Entscheidungen widerspiegeln – es reicht nicht, bei Symbolpolitik wie dem Hissen der Regenbogenfahne oder einem Besuch des CSD stehenzubleiben.

Eine Debatte mit zwei Seiten

Nicht alle in der Community teilen die Kritik am Parteienverbot. Einige argumentieren, dass Pride-Demos die Vielfalt des queeren gesellschaftlichen Lebens abbilden sollten – dazu gehörten auch die demokratischen Parteien, und ein Ausschluss verhindere notwendige Diskussionen und schade dem Fortschritt. Die Gegenposition ist jedoch eindeutig: Kritische Stimmen argumentieren, es gehe lediglich um Symbolpolitik, die konkrete Verbesserungen im Alltag queerer Menschen nicht ersetzen könne.

Der CSD Weimar fordert von der Politik klare Taten: "Wir fordern, dass Unterstützung nicht durch Logos und Stände, sondern durch konkrete politische Maßnahmen gezeigt wird." In einer Zeit, in der 2024 in Deutschland 1.765 Straftaten gegen die sexuelle Orientierung polizeilich erfasst wurden, rund 250 davon Gewalttaten, ist diese Forderung mehr als berechtigt.

Thüringen im Fokus

Gerade in Thüringen, wo politische Spannungen besonders deutlich werden, ist der Ausschluss von Parteien beim CSD ein starkes Statement. Die queere Community in Thüringen kämpft nicht nur um Sichtbarkeit, sondern zunehmend auch um grundlegende Sicherheit. Der Weimarer CSD sendet damit ein klares Signal: Queere Rechte sind nicht verhandelbar, und wer sie auf der Straße unterstützen will, muss sie auch im Parlament verteidigen.

Die Veranstalter*innen appellieren an alle: "Komm vorbei und setze mit uns ein starkes Zeichen für Akzeptanz, Respekt und Solidarität in unserer Stadt. Gemeinsam zeigen wir: Wir sind viele, wir sind stolz und wir sind hier, um gesehen zu werden." Eine Botschaft, die gerade in der klassischen Kulturstadt Weimar – mit ihrer wechselvollen Geschichte von Aufklärung und Dunkelheit – besondere Bedeutung hat.


Japans erste Premierministerin – Ein historisches Amt, doch kein Fortschritt für LGBTQ+-Rechte

Japan hat einen historischen Moment erlebt: Sanae Takaichi wurde vom Parlament in Tokio zur ersten Premierministerin Japans gewählt, wie Pink News berichtet. Doch für die LGBTQ+-Community des Landes bedeutet diese Premiere keinen Grund zum Feiern. In der Vergangenheit sprach Takaichi sich zum Beispiel gegen gleichgeschlechtliche Ehen aus, und ihre ultrakonservativen Positionen deuten auf schwierige Zeiten für queere Menschen in Japan hin.

Konservativ und gegen Gleichberechtigung

Nach mehr als 30 Jahren in der Politik hat sie es geschafft: Sanae Takaichi ist Japans erste Premierministerin, die vor allem für ihre ultrakonservative Haltung bekannt ist. Die 64-Jährige, die sich gerne als Japans "Eiserne Lady" bezeichnet und eine bekennende Bewunderin der britischen „Eisernen Lady" Margaret Thatcher ist – auch unter ihr hatten britische Homosexuelle in den 1980er Jahren nichts zu lachen, macht keinen Hehl aus ihren Ansichten: Die 64-Jährige ist strikte Gegnerin der Ehe für homosexuelle Paare.

Während Takaichi 2023 bei Diskussionen um Japans LGBT-Verständnisgesetz erklärte, es solle keine Vorurteile gegen sexuelle Orientierung geben, beschrieb sie die gleichgeschlechtliche Ehe an anderer Stelle als "sehr schwieriges Problem". Ihre gesellschaftspolitischen Positionen reichen weit: Sie sieht feministische Reformen, Gleichstellungspolitik oder anderweitige Rechte für Frauen kritisch. Außerdem hält sie auch an der männlichen Thronfolge fest.

Japan als letztes G7-Land ohne Eheöffnung

Die Situation für LGBTQ+-Menschen in Japan ist paradox. Japan ist das einzige G7-Land, in dem gleichgeschlechtliche Paare nicht heiraten dürfen – geht es nach Takaichi, bleibt das auch so. Dabei zeigen Umfragen ein anderes Bild: Eine Umfrage von 2023 zeigt, dass 72 Prozent der Befragten für eine Änderung des Gesetzes sind.

Aktuell ist Japan das einzige Land der G7, das die gleichgeschlechtliche Ehe noch nicht anerkannt hat. Mehrere Gerichte haben das Verbot inzwischen als verfassungswidrig eingestuft – ein japanisches Obergericht entschied, dass die fehlende rechtliche Anerkennung gegen die Verfassung verstößt. Das Gericht begründet dies damit, dass das Verbot gegen das in der Verfassung verankerte Recht auf Gleichheit verstößt. Doch die Gerichte können das Gesetz nicht eigenständig ändern. Obwohl die Regierung aufgefordert wird, das Recht auf Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zu gewährleisten, kann dies vorerst weiterhin verwehrt bleiben.

Parallelen zu Deutschland – und große Unterschiede

Während Deutschland 2017 die "Ehe für alle" einführte, warten LGBTQ+-Menschen in Japan weiter auf rechtliche Anerkennung. Interessanterweise hat Homosexualität in Japan historisch eine erstaunlich liberale Geschichte: Obwohl Japan das letzte G7-Land ist, das gleichgeschlechtliche Ehen noch nicht anerkennt, zählt die Auffassung von Sexualitäten in Japan zu den liberalsten der Welt. Es gab Zeiten in Japan, in denen Liebe zwischen Männern als "reiner" zählte als die in heterosexuelle Beziehungen. Das liegt daran, dass Sexualität in Japan ohne Moral bewertet wird. Sex ist hier keine "Sünde", da es dieses Prinzip im Shintoismus, der vorherrschenden Religion, nicht gibt. Aus diesem Grund waren nicht-heterosexuelle Beziehungen schon immer anerkannt.

Doch während in Deutschland queere Menschen umfassenden rechtlichen Schutz genießen, sind "Konversionstherapien" in Japan noch immer legal, auch nichtbinäre Menschen sind rechtlich nicht anerkannt. Das im Juni 2023 in Kraft getretene „Gesetz zur Förderung des öffentlichen Verständnisses von Vielfalt in Bezug auf sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität" verpflichtet die Regierung einen Basisplan zu formulieren, der Maßnahmen enthalten soll, die das öffentliche Verständnis für Homosexualität verbessern. Human Rights Watch kritisiert, dass es sich bei dem Gesetz um eine reine Absichtserklärung handle und keinen Schutz vor Diskriminierung biete. Daher fordert die Menschenrechtsorganisation die Einführung eines tatsächlichen Antidiskriminierungsgesetzes.

Politischer Stillstand befürchtet

Takaichi regiert jetzt an der Spitze einer Minderheitsregierung und ist auf Partnerschaften mit anderen Parteien angewiesen, darunter auch zwei rechtspopulistische Parteien. Ihre neue Koalition mit der rechtsgerichteten Ishin-Partei lässt wenig Hoffnung auf Fortschritte bei LGBTQ+-Rechten. Mit Ishibas Rücktritt ist der grundsätzliche Beschluss, die Verfassung zu ändern und die Ehe für Homosexuelle zu öffnen, höchstwahrscheinlich in weite Ferne gerückt.

Der LGBTIQ+-Community droht politischer Stillstand, so die Einschätzung vieler Beobachter. Als Schützling des ermordeten ehemaligen Premierministers Shinzo Abe wird erwartet, dass Takaichi dessen Politik nacheifern und Militär und die Wirtschaft stärken sowie die pazifistische Verfassung Japans überarbeiten wird.

Die Community gibt nicht auf

Trotz der düsteren Aussichten kämpft Japans LGBTQ+-Community weiter. Zehntausende feierten das 30. Jubiläum des Tokyo Rainbow Pride unter dem Motto "Nicht aufgeben, Japan verändern". "Wir wollen eine Gesellschaft verwirklichen, in der alle Menschen, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität, ihr Leben auf ihre eigene Weise leben können, ohne Diskriminierung oder Vorurteilen ausgesetzt zu sein", erklärten die Organisator*innen.

Sanae Takaichis Ernennung zur Premierministerin ist zwar ein historischer Moment für Japan – doch für die LGBTQ+-Community bedeutet er einen herben Rückschlag. Mit einer Regierungschefin, die fundamental gegen die Ehe für alle ist und konservative Geschlechterrollen vertritt, rückt die rechtliche Gleichstellung in weite Ferne. Während Deutschland und andere europäische Länder längst vorangeschritten sind, bleibt Japan das Schlusslicht unter den großen Industrienationen – und das wird sich unter Takaichi wohl kaum ändern.


Nürnberger Jugendtrainer setzt Homosexuelle mit Rassisten gleich – Ein weiterer Fall von Homophobie im deutschen Fußball

Der deutsche Fußball hat erneut ein Homophobie-Problem: Enrico Valentini, ehemaliger Kapitän und heute U14-Trainer des 1. FC Nürnberg, hat in einem Podcast homosexuelle Menschen mit Rassisten verglichen und seine Ablehnung von Homosexualität öffentlich gemacht. Der 36-jährige evangelikale Christ erklärte im Club-Podcast "Ka Depp", dass er Homosexualität aufgrund seines Glaubens für "falsch" halte – eine Aussage, die in der queeren Community und darüber hinaus für Empörung sorgt.

Der problematische Vergleich und seine Bedeutung

Die Äußerungen von Valentini im Podcast waren problematisch zu Homosexualität, insbesondere sein direkter Vergleich: "Wenn der [Homosexuelle] sich jetzt beleidigt fühlt dafür, dass ich das nicht für gut heiße, was er tut, das ist genauso, wenn ich einem Rassisten sage: 'Hey, das, was du machst, ist falsch.' Das ist genau dieselbe Geschichte." Dieser Vergleich stellt eine sexuelle Orientierung, die ein unveränderlicher Teil der Identität eines Menschen ist, auf eine Stufe mit rassistischem Verhalten – eine Gleichsetzung, die viele Expert*innen als zutiefst diskriminierend bewerten.

Die Haltung wirkt schwierig vereinbar mit dem weltoffenen und toleranten Selbstverständnis des Vereins, zumal Valentini über viele Jahre Kapitän des 1. FC Nürnberg war und heute als U14-Trainer eine prägende Rolle im Nachwuchsbereich spielt. Seine Position als Trainer von bis zu 14-jährigen Nachwuchsspielern macht seine Äußerungen besonders problematisch, da er direkten Einfluss auf die Entwicklung junger Menschen hat.

Halbherzige Entschuldigung und Vereinsposition

Auf Anfrage der Nürnberger Nachrichten bot Valentini eine vage Entschuldigung an: "Wenn ich mit meinen davon geprägten Aussagen, vor allem in der Art und Weise, wie ich sie formuliert habe, jemanden verletzt habe oder sich jemand dadurch angegriffen gefühlt hat, möchte ich hiermit um Entschuldigung bitten." Diese Form der Entschuldigung, die sich auf die Formulierung und nicht auf den Inhalt bezieht, wird oft als unzureichend kritisiert.

Der Verein betonte, dass der FCN ein klares Leitbild und klare Werte hat und in seiner Satzung einen Wertekompass definiert, "der vorsieht, dass alle Menschen gleich behandelt werden". Dennoch stellte sich der Club hinter seinen Trainer und beschrieb ihn als "offenen und toleranten Menschen". Inwiefern die im Podcast getätigten Aussagen von Enrico Valentini mit den Werten des 1. FC Nürnbergs in Einklang gebracht werden können, ließ der Verein unbeantwortet.

Ein systemisches Problem im deutschen Fußball

Valentinis Äußerungen reihen sich ein in eine besorgniserregende Serie homophober Vorfälle im deutschen Fußball. In Deutschland hat sich bislang noch kein aktiver Fußballprofi als homosexuell geoutet, obwohl statistische Wahrscheinlichkeit und Insiderberichte nahelegen, dass es homosexuelle Spieler in allen Proficlubs gibt. 46 Prozent der sehr an Fußball interessierten Menschen in Deutschland sehen Homophobie im Profifußball als ernsthaftes Problem an.

Besonders bedenklich: 16 % der aktiven Sportler*innen haben in den letzten 12 Monaten persönliche negative Erfahrungen im Sport aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität gemacht, das gilt insbesondere für trans* Personen (40 %). Überdurchschnittlich viele der queeren Jugendlichen nehmen nicht am Vereinssport teil – aus Angst vor Diskriminierung.

Zwischen Glauben und Diskriminierung

Valentini ist nicht der erste Fußballer, der sich auf seinen christlichen Glauben beruft, um homophobe Ansichten zu rechtfertigen. 2023 teilte der BVB-Spieler Felix Nmecha ein transfeindliches Video eines amerikanischen Rechtsextremisten und verwies ebenfalls auf seinen christlichen Glauben. Im Juli 2024 likte der frühere deutsche Nationaltorwart Bernd Leno ein KI-Video, in dem ein Autoattentat auf CSD-Besucher*innen verübt wird.

Ironischerweise hatte Valentini selbst 2020 eine ganz andere Position vertreten: In einem Appell zur Unterstützung homosexueller Profis wurde er wie folgt zitiert: "Dass Homosexualität im Fußball oder allgemein im Sport überhaupt thematisiert werden muss, zeigt aber, dass vieles nur leere Worthülsen sind."

Was muss sich ändern?

Expert*innen fordern seit Jahren konkrete Maßnahmen. Laut einer Studie der Sporthochschule Köln halten 96% der Befragten Homosexuellen- und Trans*feindlichkeit für ein großes Problem in Sportvereinen. Wie wichtig es sei, auch auf die Sprache und den Umgang in Vereinen und auf dem Platz zu achten, betonen Fachleute, denn durch die Sprache werden oft auch Werte und eben auch Anfeindungen transportiert.

Besonders problematisch ist Valentinis Rolle als Jugendtrainer: Nur wenige Trainer*innen haben das Thema auf dem Schirm, da es in Aus- und Weiterbildungen oftmals fehlt. Das muss sich dringend ändern. Vereine sollten explizite Ansprechpersonen für LSBTIQ* schaffen und ihre Satzungen klar gegen Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität aussprechen.

Der Fall Valentini zeigt einmal mehr: Der deutsche Fußball hat bei der Akzeptanz sexueller Vielfalt noch einen weiten Weg vor sich. Während im Frauenfußball viele Spielerinnen offen lesbisch leben, bleibt Homosexualität im Männerfußball ein Tabu – mit realen Konsequenzen für betroffene Spieler, Trainer und vor allem für junge Menschen, die in diesem Umfeld aufwachsen und sich an Vorbildern orientieren.


USA verbieten dritten Geschlechtseintrag beim Fliegen – was bedeutet das für Deutschland?

Eine neue Richtlinie aus den USA sorgt für Verunsicherung bei nichtbinären und trans Menschen weltweit: Fluglinien sind in den Vereinigten Staaten laut einem Bericht der "New York Times" ab sofort gezwungen, bei internationalen Flügen nur noch die Geschlechtseinträge "weiblich" und "männlich" zu akzeptieren (queer.de). Die Maßnahme ist Teil der umfassenden Anti-Trans-Politik der Trump-Regierung und hat direkte Auswirkungen auf Reisende aus aller Welt – auch aus Deutschland.

Was genau hat sich geändert?

Fluggesellschaften müssen bei der Meldung ihrer Fluggäste an die US-Grenzschutzbehörde CBP nun den Geschlechtseintrag F (weiblich) oder M (männlich) auswählen. Reisepässe, die Einträge wie "X" für intergeschlechtliche oder nichtbinäre Menschen enthalten, sind zwar weiterhin gültig. Allerdings müssen sich die Reisenden entscheiden, ob sie als männlich oder weiblich registriert werden wollten. Noch problematischer: Wenn im Reisepass kein Geschlechtseintrag steht oder ein X angegeben ist, sollen die Fluggesellschaften selber entscheiden, welches Geschlecht sie eintragen.

Eigentlich gilt diese Regelung schon seit dem 14. Juli, Fluggesellschaften hatten aber 90 Tage Zeit, um die Anordnung umzusetzen. Seit letzter Woche gibt es nun keine Ausnahmen mehr. Die Maßnahme ist eine direkte Folge von Trumps Dekret vom Januar 2025, das die Anerkennung von Geschlechtern in den USA auf „männlich" und „weiblich" beschränkt.

Auswirkungen für deutsche Reisende

Deutschland gehört zu den Ländern, die seit 2018 einen dritten Geschlechtseintrag anerkennen. Neben den Geschlechtseintragungen „männlich" und „weiblich" gibt es auch – als so genannte „dritte Option" – den Eintrag „divers". Außerdem kann der Eintrag offen gelassen werden. Im deutschen Reisepass wird für eine Person, die weder männlich ("M") noch weiblich ("F") ist, in der visuell lesbaren Zone ein "X" eingetragen.

Das Auswärtige Amt warnt bereits seit längerem vor Schwierigkeiten. Auf der AA-Webseite zu US-Reisehinweisen heißt es: "Aufgrund einer Executive Order vom 20. Januar 2025 müssen Einreisende in die USA in Zukunft bei ESTA- oder Visumanträgen entweder das Geschlecht 'männlich' oder 'weiblich' angeben; relevant ist hierbei der Geschlechtseintrag der antragstellenden Person zum Zeitpunkt der Geburt". Betroffene Personen sollen einen Auszug aus dem Geburtenregister oder ihre Geburtsurkunde auf ihre USA-Reise mitnehmen, schreibt das Auswärtige Amt.

Das Problem mit der „Lösung"

Die Situation ist für viele Betroffene mehr als nur bürokratisch kompliziert – sie kann gefährlich werden. Ein zweiter Pass ist keine Lösung für Personen, deren äußeres Erscheinungsbild nicht mit dem bei Geburt eingetragenen Geschlecht übereinstimmt. Wenn das für die Grenzschutzbeamten nicht übereinstimmt oder keinen Sinn ergibt, könnten Diskriminierungen folgen.

Zwar können Personen in Deutschland unter besonderen Umständen einen zweiten Reisepass mit einem F oder M Eintrag ausstellen lassen. Um mögliche Formen der Diskriminierung beim Grenzübertritt zu vermeiden, kann eine Person, die eine Variante der Geschlechtsentwicklung aufweist und dies mittels einer ärztlichen Bescheinigung nachweist, beantragen, dass die vormalige männliche oder weibliche Geschlechtsangabe in ihrem Pass eingetragen wird. Doch diese Option steht nicht allen offen und löst das grundsätzliche Problem nicht.

Teil einer größeren Strategie

Die Flugverbotsregelung ist nur ein Element in Trumps umfassender Anti-Trans-Agenda. Unter neuen Politiken wird das US-Außenministerium nur Pässe ausstellen, die männlich oder weiblich sagen und die dem Geschlecht des Antragstellers bei der Geburt entsprechen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International spricht von einem systematischen Versuch, "trans, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen unsichtbar zu machen".

All dies ist Teil der umfassenden Versuche der Regierung, trans Personen unsichtbar zu machen und ihnen gleiche Rechte vor dem Gesetz zu verweigern. Die Heritage Foundation, deren Politik Trump derzeit umsetzt, fordert sogar die Einstufung von "Transgender-Ideologie" als Terrorismus.

Was bedeutet das für Deutschland?

Deutschland hat seit 2018 erhebliche Fortschritte in der rechtlichen Anerkennung geschlechtlicher Vielfalt gemacht. Mit dem Selbstbestimmungsgesetz, das seit November 2024 in Kraft ist, können transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister und ihre Vornamen durch eine Erklärung gegenüber dem Standesamt ändern lassen – ohne Gutachten oder Gerichtsverfahren.

Die US-Regelung zeigt jedoch, dass rechtliche Fortschritte in einem Land durch Maßnahmen anderer Staaten ausgehöhlt werden können. Die neuen Regelungen markieren einen symbolischen Bruch mit der „Wertegemeinschaft" und werfen Fragen zu Gleichstellung und Menschenrechten auf. Für nichtbinäre und trans Menschen aus Deutschland bedeutet das: Selbst mit korrekten Dokumenten müssen sie bei USA-Reisen mit Diskriminierung, Zwangsouting und bürokratischen Hürden rechnen.

Die internationale LGBTQ+-Community beobachtet diese Entwicklung mit großer Sorge. Was in den USA geschieht, hat oft Signalwirkung – auch wenn in Deutschland und Europa weiterhin an der Anerkennung geschlechtlicher Vielfalt festgehalten wird. Der Kampf für die Rechte von trans, inter und nichtbinären Menschen ist längst nicht gewonnen.


Reform UK ernennt Gegner der gleichgeschlechtlichen Ehe als Berater von Nigel Farage

Die rechtspopulistische britische Partei Reform UK hat einen Anti-Abtreibungs- und Anti-Gleichstellungs-Verfechter als Berater von Nigel Farage ernannt. James Orr, ein ehemaliger Unternehmensanwalt und außerordentlicher Professor für Religionsphilosophie an der Universität Cambridge, wurde am Sonntag (19. Oktober) in einem Post auf X/Twitter vom Leiter der Parteipolitik, Zia Yusuf, als leitender Berater von Farage vorgestellt (Quelle: PinkNews).

Wer ist James Orr?

Orr hat die Trump-Administration beeinflusst und ist ein enger Freund des US-Vizepräsidenten JD Vance. Der US-Vizepräsident JD Vance hat Orr als seinen "britischen Sherpa" bezeichnet. Die Ernennung signalisiert eine strategische Verschiebung für Reform UK, die internationale Verbindungen zur amerikanischen konservativen Bewegung stärkt.

In seinen öffentlichen Äußerungen hat Orr deutlich gemacht, wo er steht: In einem Interview mit der Coalition for Marriage 2023 erklärte er, dass die gleichgeschlechtliche Ehe "sehr wichtige nachgelagerte Auswirkungen" habe. Die Coalition for Marriage ist eine Dachorganisation von Einzelpersonen und Organisationen in Großbritannien, die die traditionelle Ehe unterstützen und sich ihrer Neudefinition widersetzten.

Extreme Positionen zu Migration und LGBTQ+-Themen

Orrs Rhetorik geht weit über die Ablehnung der Ehegleichheit hinaus. In einem Interview mit The European Conservative beschrieb er Asylsuchende als "Invasoren". Er bezeichnete die LGBTQ+-Community als "sogenannte Regenbogenmenschen, hyperliberale sexuelle Progressive, die Identitätspolitik vorantreiben" und hat geschlechtsangleichende Versorgung für trans Jugendliche als "Verstümmelung von Kindern" bezeichnet.

Orr lehnt Abtreibung in jedem Stadium der Schwangerschaft ab, auch in Fällen von Vergewaltigung. Zudem glaubt er, dass Vielfalt Nationen schwächt und hält den Sturm auf das US-Kapitol am 6. Januar 2021 für von der "globalen Linken" übertrieben.

Parallelen zu Deutschland: Reform UK und die AfD

Die Entwicklung in Großbritannien erinnert an Dynamiken in Deutschland. Reform UK hat die Konservativen inzwischen bei den Mitgliederzahlen überholt und verzeichnet über 130.000 Mitglieder bei einem Umfragewert von 24 Prozent. Nigel Farage, Architekt des Brexits und enger Vertrauter von Donald Trump, gilt in Umfragen als Favorit für das Amt des Premierministers.

Ähnlich wie die AfD in Deutschland positioniert sich Reform UK gegen LGBTQ+-Rechte, insbesondere gegen trans Personen. In ihrem Wahlmanifest erklärt die Partei, "Transgender-Indoktrination verursache irreversiblen Schaden bei Kindern" und will "Transgender-Ideologie" – ein weithin als anti-trans Hundepfeife betrachteter Begriff – sowohl in Grund- als auch in weiterführenden Schulen verbieten.

In Deutschland zeigen Studien des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD), dass unter den Anhängern der AfD die Gruppe mit geschlossen antifeministischen und sexistischen Einstellungen knapp unter der 50-Prozent-Marke bleibt, während 71 Prozent der AfD-Wähler am häufigsten transfeindlich sind. Mit Russland verbindet die AfD die Haltung zu Migration und Islam, die Ablehnung der Vielfalt der Geschlechter und Skepsis gegenüber der LGBTQ-Bewegung.

Reform UKs LGBTQ+-feindliche Politik

Reform UK-Chef Nigel Farage erklärte während eines Live-Telefonats auf LBC, dass die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe "falsch" gewesen sei. Nach den Kommunalwahlen im Mai kündigte Reform an, dass die zehn von ihr kontrollierten Räte in ganz England – Durham, Kent, Lancashire, Staffordshire, Nottinghamshire, Derbyshire, Doncaster, North Northamptonshire, West Northamptonshire und Lincolnshire – das Hissen der Pride-Flagge verbieten würden.

Im Jahr 2013, als Farage Vorsitzender der UKIP war, sagte er, er würde Mitglieder nicht ausschließen, die "altmodische" Ansichten über Homosexualität äußern, einschließlich derer, die sie als "ekelhaft" bezeichnen. Im folgenden Jahr erklärte er: "Ich unterstütze die gleichgeschlechtliche Ehe nicht... solange wir unter der Schirmherrschaft des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte stehen".

Internationale Verbindungen zur extremen Rechten

Orr war ein Freund des rechten Podcasters Charlie Kirk, bekannt für seine Befürwortung von Waffenrechten und für die Äußerung anti-LGBTQ+-Ansichten, der im vergangenen Monat während einer überfüllten öffentlichen Debatte mit Universitätsstudenten tödlich erschossen wurde.

Als Universitätsdozent in Cambridge ist Orr eine wichtige Figur beim Centre for a Better Britain, einem neuen Think Tank, der von Freunden von Farage finanziert wird und Politiken für eine mögliche Reform UK-Regierung entwickeln wird. Orr scheint sich an der Heritage Foundation zu orientieren, dem MAGA-Giganten, der Trumps Agenda für die zweite Amtszeit entwarf – durch ein 900-seitiges Dokument namens "Project 2025". In einem BBC-Interview sagte Orr, dass andere britische Think Tanks "Schwierigkeiten haben, die Lichter anzuhalten", während die Heritage Foundation etwa 100 Millionen Dollar jährlich einnimmt.

Was bedeutet das für LGBTQ+-Rechte in Europa?

Die Ernennung von James Orr ist ein besorgniserregendes Signal für die LGBTQ+-Community sowohl in Großbritannien als auch in Europa. Sie zeigt die wachsenden transatlantischen Verbindungen zwischen rechten Bewegungen und ihre gemeinsame Agenda gegen LGBTQ+-Rechte, insbesondere gegen trans Personen.

Während in Deutschland Parteien wie die Grünen und die Linke sich für umfassende LGBTQ+-Rechte einsetzen, verfolgen rechtspopulistische Parteien wie die AfD ähnliche Strategien wie Reform UK: Sie mobilisieren gegen sogenannte "Gender-Ideologie" und "Woke-Kultur", während sie die Rechte von trans Personen gezielt angreifen.

Für die LGBTQ+-Community in Deutschland ist die Entwicklung in Großbritannien eine Mahnung: Die erkämpften Rechte sind nicht selbstverständlich und müssen kontinuierlich verteidigt werden. Die internationale Vernetzung rechter Bewegungen erfordert eine ebenso starke Solidarität und gemeinsame Verteidigung von Menschenrechten über Ländergrenzen hinweg.


Hinterhalt auf dem Schulhof: Wenn Dating-Apps zur tödlichen Falle werden

Es sollte ein harmloses Date werden – doch stattdessen endete der Abend für einen 24-jährigen schwulen Politiker aus Lüneburg auf einem dunklen Schulhof in einem brutalen Albtraum. Über eine Dating-App in einen Hinterhalt gelockt, wurde der JU-Schatzmeister Simon Schmidt im Dezember 2024 von einer Gruppe junger Männer zusammengeschlagen, mit Messern bedroht und homophob beleidigt. Nur einen Tag später ereignete sich ein weiterer mutmaßlich schwulenfeindlich motivierter Angriff in Lüneburg – nach demselben Muster. Nun, Monate nach den Taten, hat die Staatsanwaltschaft Lüneburg Anklage gegen drei damals 14- und 15-jährige Jugendliche erhoben. Lesen Sie die vollständige Meldung auf queer.de.

Die perfide Masche: Dating-Apps als Waffe gegen Schwule

Die Vorgehensweise war in beiden Fällen erschreckend ähnlich: Über Dating-Apps wurden die Opfer an abgelegene Orte gelockt – anstatt eines Dates erwartete sie dort ein Schlägertrupp. Der Angriff auf Schmidt ereignete sich gegen 18:15 Uhr auf dem Schulhof der Gesamtschule in der Graf-Schenk-von-Stauffenberg-Straße in Lüneburg-Kaltenmoor, beide Opfer erlitten schwere Gesichtsverletzungen und mussten mehrfach operiert werden. Was diese Attacken besonders beunruhigend macht: Sie zeigen, wie digitale Plattformen, die eigentlich sichere Räume für queere Menschen sein sollten, zu Tatwaffen umfunktioniert werden können.

Diese Angriffsmethode ist kein Einzelfall. Weltweit werden LGBTQ+-Menschen gezielt über Dating-Apps gedoxxt und bloßgestellt – wie 2020 in Marokko, wo eine Influencerin ihre Follower ermutigte, Fake-Profile anzulegen und schwule Männer zu outen, was zu Todesdrohungen und Zwangsräumungen führte. Auch in Deutschland wächst die Besorgnis über die Online-Sicherheit für LGBTQ+-Menschen.

Drei Tatverdächtige identifiziert – weitere Täter auf der Flucht

Nach intensiven Ermittlungen konnten drei Tatverdächtige identifiziert werden – zwei damals 15-Jährige und ein 14-Jähriger. Bei Wohnungsdurchsuchungen stellten die Ermittler mehrere Handys sicher; auf mindestens einem Gerät fanden sie ein Video, das eine der Taten dokumentiert. Doch damit ist der Fall noch lange nicht abgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass höchstens sechs Personen beteiligt waren – die anderen Täter sind noch immer nicht identifiziert.

Die Anklage wirft den Jugendlichen vor, ihre Opfer "mittels eines gefährlichen Werkzeugs, mittels eines hinterlistigen Überfalls und mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich körperlich misshandelt und an der Gesundheit geschädigt zu haben". Hinzu kommt der Vorwurf, "eine Bildaufnahme, die die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellt, unbefugt hergestellt zu haben". Ein Prozessbeginn wird erst nach dem Jahreswechsel 2026 erwartet – eine quälend lange Wartezeit für die Opfer.

Teil einer alarmierenden Entwicklung in Deutschland

Die Lüneburger Angriffe sind Teil einer besorgniserregenden bundesweiten Entwicklung. Im Jahr 2023 richteten sich 1.785 Straftaten gegen LSBTIQ*-Personen – ein dramatischer Anstieg gegenüber 1.188 im Jahr 2022. Zu den häufigsten Delikten gehörten Beleidigungen, Gewalttaten, Volksverhetzungen sowie Nötigungen und Bedrohungen. Die Zahl der Straftaten im Bereich "Sexuelle Orientierung" und "Geschlechtsbezogene Diversität" hat sich seit 2010 nahezu verzehnfacht.

Nach der EU-Grundrechteagentur haben in Deutschland 16 Prozent der LGBTQ+-Menschen Gewalterfahrungen erlebt – bei inter* Menschen sogar über ein Drittel. Die aktuellen Zahlen des Bundesinnenministeriums bestätigen: Die Zunahme an queerfeindlichen Straftaten in den vergangenen Jahren ist erschreckend, zudem muss von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden, da viele Betroffene Straftaten nicht anzeigen.

Sicherheitsrisiko Dating-Apps: Wenn die Community verwundbar wird

Die Angriffe in Lüneburg werfen ein grelles Licht auf ein oft unterschätztes Problem: die Sicherheit von LGBTQ+-Dating-Apps. Erst im März 2025 erschütterte ein massives Datenleck mehrere iOS-Dating-Apps: Insgesamt 1,5 Millionen private Nutzerfotos der Apps BDSM People, Chica, Translove, Pink und Brish wurden kompromittiert, darunter explizite Bilder aus privaten Chats. Die Sicherheitsexperten von Cybernews warnten eindringlich vor den Folgen.

Cybernews wies darauf hin, dass ein erhebliches Risiko entstehe – kriminelle Hacker könnten Betroffene mit sensiblen Bildern erpressen, und für queere Menschen in homophoben Ländern bestehe eine große, teilweise lebensbedrohliche Gefahr. Auch ohne technische Datenlecks machen die Lüneburger Fälle deutlich: Dating-Apps können zu Waffen werden, wenn sie gezielt für homophobe Hassverbrechen missbraucht werden.

Was können queere Menschen tun?

Die Fälle aus Lüneburg sind eine schmerzhafte Erinnerung daran, dass Dating für LGBTQ+-Menschen mit besonderen Risiken verbunden sein kann. Expert*innen raten zu erhöhter Vorsicht: Treffen Sie sich beim ersten Date an belebten, öffentlichen Orten. Informieren Sie Freund*innen über Ihr Treffen. Achten Sie auf Warnsignale wie Druck zu einem Ortswechsel an abgelegene Stellen. Vertrauen Sie Ihrem Bauchgefühl.

Doch die Verantwortung darf nicht allein bei den potenziellen Opfern liegen. Die Gesellschaft muss queere Menschen besser schützen – durch konsequente Strafverfolgung, durch Präventionsarbeit und durch eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Homophobie. Die Lüneburger Fälle zeigen: Schwulenfeindlichkeit ist kein Relikt der Vergangenheit, sondern eine reale, alltägliche Bedrohung im Jahr 2025.

Hinweise zu den Taten nimmt die Polizei Lüneburg unter der Telefonnummer 04131/8306-2215 entgegen.


Europarat mahnt Großbritannien: Trans-Rechte sind Menschenrechte

Der Menschenrechtskommissar des Europarates, Michael O'Flaherty, hat die britische Regierung in einem offiziellen Schreiben eindringlich vor der Erosion der Rechte von trans Menschen gewarnt. Nach einem Urteil des Supreme Court, wonach sich trans Frauen in Großbritannien nicht auf das Gleichstellungsgesetz berufen können, mahnt O'Flaherty, dass das Land weiterhin an die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) gebunden sei. Die Entwicklung in Großbritannien wirft auch für Deutschland wichtige Fragen auf – gerade jetzt, wo das im April 2024 vom Bundestag beschlossene Selbstbestimmungsgesetz trans-, intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen endlich aus der jahrzehntelangen Diskriminierung durch das Transsexuellengesetz befreit.

Menschenrechte keine Verhandlungssache

Die Europäische Menschenrechtskonvention garantiert trans Menschen ausdrücklich verschiedene Grundrechte: Das Recht auf Achtung des Privatlebens (Art. 8 EMRK) und das Diskriminierungsverbot (Art. 14 EMRK) spielen dabei eine zentrale Rolle. O'Flaherty warnte eindringlich davor, die Anerkennung von Menschenrechten als Nullsummenspiel zu betrachten – die Beschneidung der Rechte von trans Frauen also als Sieg für die Rechte cisgeschlechtlicher Frauen zu werten. Dies fördere Vorurteile und schaffe ein gefährliches gesellschaftliches Klima.

Besonders besorgniserregend: Der irische Jurist betonte, dass trans Menschen in geschlechtergetrennten Räumen nicht gezwungen werden dürfen, sich stets zu outen. „Neben Fragen der Privatsphäre könnte die Vorgabe, das eigene Geschlecht bei der Geburt kundtun zu müssen, auch die Gefahr von Belästigungen, Missbrauch und sogar Gewalt vergrößern", heißt es in seinem Brief.

Trans-Panik im Vereinigten Königreich

Das einstimmige Urteil des Supreme Court im November 2024 entschied, dass die Begriffe „Frau" und „Geschlecht" im Equality Act das biologische Geschlecht meinen – Personen, die bei Geburt als weiblich eingetragen wurden, werden rechtlich als Frauen anerkannt, andere nicht. Die Folgen sind weitreichend: Nach einer neuen Richtlinie der britischen Kommission für Gleichstellung und Menschenrechte dürfen trans Personen nicht mehr die Toiletten, Duschen und Umkleiden ihres erlebten Geschlechts nutzen.

Die gesellschaftliche Stimmung hat sich dramatisch verschärft. Harry-Potter-Autorin J.K. Rowling rief im August zum Boykott einer großen Kaufhauskette auf, weil diese trans Menschen beschäftigt. Auch Premierminister Keir Starmer erklärte, dass er trans Frauen künftig nicht mehr als Frauen ansehe. Besonders schockierend: Eine trans Frau wurde zu 21 Monaten Haft in einem Männergefängnis verurteilt, weil sie ihrem Partner vor sexuellen Handlungen nicht von ihrer Transidentität erzählt hatte.

Deutschland auf einem anderen Weg

Während Großbritannien die Rechte von trans Menschen abbaut, hat Deutschland im vergangenen Jahr einen wichtigen Schritt nach vorne gemacht. Das Grundgesetz schützt die geschlechtliche Selbstbestimmung im Rahmen der Persönlichkeitsrechte. Mit dem Selbstbestimmungsgesetz können trans-, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen ihren Geschlechtseintrag und ihre Vornamen ab dem 1. November 2024 vor dem Standesamt ändern.

Das neue Gesetz löst das Transsexuellengesetz (TSG) aus dem Jahr 1980 ab, das vom Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen in wesentlichen Teilen für verfassungswidrig erklärt wurde. Ein Begutachtungs- und Gerichtsverfahren ist somit nicht mehr erforderlich. Deutschland reiht sich damit in eine wachsende Liste von Ländern wie Argentinien, Belgien, Dänemark, Irland, Luxemburg, Malta, Norwegen, Portugal, Spanien und Uruguay ein, die einfache Verwaltungsverfahren zur rechtlichen Anerkennung des Geschlechts auf Grundlage der Selbstbestimmung haben.

Gewalt und Diskriminierung auch in Deutschland

Doch auch in Deutschland ist die Lage ernst. Eine Studie der EU-Grundrechteagentur von 2024 zeigt, dass 65 % der trans Frauen in Deutschland von Diskriminierung in den letzten 12 Monaten berichteten. Im Jahr 2023 wurden 1.785 Straftaten gegen LSBTIQ* Personen erfasst, bei den Gewalttaten wurden 212 Opfer festgestellt. Die Zahl der Straftaten im Bereich „Sexuelle Orientierung" und „Geschlechtsbezogene Diversität" hat sich seit 2010 nahezu verzehnfacht, wobei die Dunkelziffer weiterhin hoch ist.

Die Reform der Geschlechtsanerkennung kommt zu einem Zeitpunkt, an dem LGBT-Aktivist*innen vor einem Anstieg der Anti-LGBT-Gewalt in Deutschland warnen. Im vergangenen Jahr registrierte die Polizei über 1.400 Hassverbrechen gegen LGBT-Menschen, 2022 führte ein Angriff zum gewaltsamen Tod eines Trans-Mannes.

Europarat unter Druck

Der seit 1949 aktive Europarat fördert Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und Demokratie in ganz Europa. Deutschland gehört zusammen mit Frankreich, Großbritannien und Italien zu den Hauptbeitragszahlern. Der Europarat spielte in der Vergangenheit eine entscheidende Rolle bei LGBTI-Rechten im Königreich: 1981 entschied der Menschenrechtsgerichtshof, Nordirland müsse sein Homosexuellenverbot aufheben. Auch das Verbot von Homosexuellen in den britischen Streitkräften wurde nach Entscheidungen des Straßburger Gerichts 1999 aufgehoben.

Doch jetzt ist die Institution selbst unter Beschuss. Die konservativen Tories und die rechtspopulistische Partei Reform UK von Nigel Farage setzen sich für den Austritt Großbritanniens aus dem Europarat ein, mit dem Argument der Einschränkung britischer Souveränität, insbesondere in der Migrations- und Asylpolitik. Ein Austritt hätte schwerwiegende Folgen für Minderheitenrechte, die internationale Reputation und bestehende Verträge wie das Friedensabkommen in Nordirland.

Ein Weckruf für Europa

Die Warnung des Europarates an Großbritannien ist mehr als ein diplomatisches Signal. Sie ist ein Weckruf für ganz Europa. Das Urteil birgt die Gefahr, Antigenderismus sowie trans- und queerfeindliche Politiken nicht nur in Großbritannien, sondern auch in anderen Ländern weiter zu befeuern. In Zeiten, in denen rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien an Einfluss gewinnen und geschlechtliche Vielfalt zunehmend als Feindbild instrumentalisiert wird, ist das besonders alarmierend.

Deutschland hat mit dem Selbstbestimmungsgesetz gezeigt, dass ein anderer Weg möglich ist. Die Reform der gesetzlichen Geschlechtsanerkennung zeigt, dass die Regierung die Grundrechte von trans- und nicht-binären Menschen unterstützt, was zu einem breiteren Verständnis und einer größeren Akzeptanz von verschiedenen Geschlechtsidentitäten beiträgt. Doch Gesetze allein reichen nicht – es braucht gesellschaftliche Solidarität, konsequenten Schutz vor Gewalt und eine klare Haltung gegen jede Form von Diskriminierung.

Die Entwicklung in Großbritannien zeigt, wie schnell hart erkämpfte Rechte wieder unter Druck geraten können. Umso wichtiger ist es, dass Institutionen wie der Europarat ihre Stimme erheben und klarstellen: Trans-Rechte sind Menschenrechte. Ohne Wenn und Aber.


Wenn christlich-konservative Organisationen Trans-Rechte bekämpfen: Der Fall der Darlington-Krankenschwestern

In Großbritannien beginnt am Montag ein Gerichtsverfahren, das weit über einen lokalen Arbeitsrechtsstreit hinausgeht. Acht Krankenschwestern des Darlington Memorial Hospital klagen gegen den County Durham and Darlington NHS Foundation Trust, weil ihre trans Kollegin Rose Henderson die Damenumkleide nutzt. Was diesen Fall besonders brisant macht: Die Klage wird von einer anti-LGBTQ+ und abtreibungsfeindlichen christlichen Rechtsorganisation, dem Christian Legal Centre, unterstützt. Wie Pink News berichtet, wirft der Fall grundlegende Fragen über Trans-Rechte, Arbeitsplatzpolitik und den Einfluss religiös-konservativer Lobbygruppen auf.

Hinter den Kulissen: Wer steckt hinter dem Christian Legal Centre?

Das Christian Legal Centre wurde von Andrea Minichiello Williams gegründet, einer Rechtsanwältin und Geschäftsführerin von Christian Concern. Eine Channel-4-Dokumentation aus dem Jahr 2008 enthüllte, dass Williams Abtreibung für illegal erklärt haben möchte und glaubt, dass Homosexualität eine Sünde sei und die Welt nur 4.000 Jahre alt. Die Organisation hat eine lange Geschichte der Unterstützung von Fällen gegen LGBTQ+-Rechte: vom Verklagen von Behörden wegen trans-freundlicher Zebrastreifen über die Unterstützung einer Mutter, die die Grundschule ihres Sohnes wegen einer Pride-Veranstaltung verklagte, bis hin zu einem Mitarbeiter, der nach Facebook-Posts gegen LGBTQ+-Inklusion entlassen wurde.

Auf einer Webseite zum Fall der Darlington-Krankenschwestern behauptet das Christian Legal Centre, dass „radikale Gender-Ideologie die Wahrheit und biblische Lehren zerstört" und dass „Christen frei sein müssen, Gottes Design für Männer und Frauen aufrechtzuerhalten". Die Organisation beschreibt Trans-Rechte als "extremen und kontroversen Gender-Ideologie", die die Rechte von Frauen untergrabe.

Der Fall: Was genau wird vorgeworfen?

Die Richtlinien des Trusts erlauben es trans Mitarbeitern, geschlechtsspezifische Umkleideräume, Toiletten und Duschen zu nutzen, die ihrer Geschlechtsidentität entsprechen. Die Krankenschwestern haben Klage wegen angeblicher sexueller Belästigung, Diskriminierung und Viktimisierung eingereicht und behaupten, der Trust habe es versäumt, ihr Recht auf Privatsphäre gemäß Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention zu respektieren. Sie sagen, sie fühlten sich in der Umkleide „unsicher".

26 Krankenschwestern in Darlington äußerten Bedenken gegenüber ihrem Arbeitgeber über das „einschüchternde" und „verstörende" Verhalten einer trans Kollegin in den Damenumkleideräumen. Die Krankenschwestern behaupteten, ihre Kollegin sei nur in Unterwäsche herumgelaufen und habe sie „angestarrt und Gespräche initiiert", während sie sich umzogen. Der Trust unternahm nichts, als die Bedenken erstmals 2023 geäußert wurden, teilte den Krankenschwestern aber nach einer schriftlichen Beschwerde 2024 mit, dass „das Krankenhaus ihre trans Kollegin zu 150 % unterstützt" und dass die Beschwerdeführenden „umerzogen" werden und ihren „Horizont erweitern" müssten.

Deutsche Perspektive: Trans-Rechte am Arbeitsplatz im Vergleich

Während in Großbritannien dieser heftige Rechtsstreit tobt, hat Deutschland in den letzten Monaten einen ganz anderen Weg eingeschlagen. Der deutsche Bundestag hat am 12. April 2024 ein wegweisendes Gesetz verabschiedet, das trans und nicht-binären Menschen erlaubt, ihre rechtlichen Dokumente durch ein auf der Selbstbestimmung basierendes Verwaltungsverfahren an ihre Geschlechtsidentität anzupassen. Das Selbstbestimmungsgesetz trat am 1. November 2024 in Kraft und ermöglicht Erwachsenen die Selbstbestimmung zur Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen im Personenstandsregister.

Doch auch in Deutschland bleibt die Frage der Umkleideräume und geschützten Räume komplex. In bestimmten Fällen, wie dem Zugang zu geschlechtsspezifischen Toiletten, Umkleideräumen, Saunen oder Sportvereinen, ist der eingetragene Geschlechtseintrag nicht der entscheidende Faktor. Stattdessen müssen Hausrecht und andere Kriterien, wie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), berücksichtigt werden. Öffentliche Einrichtungen wie Fitnessstudios und Umkleideräume haben weiterhin das Recht zu entscheiden, wen sie hereinlassen.

Arbeitgeber sind grundsätzlich verpflichtet, Toilettenräume und gegebenenfalls Waschräume und Umkleideräume bereitzustellen. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verpflichtet Arbeitgeber, durch präventive Maßnahmen ein diskriminierungsfreies Arbeitsumfeld zu gewährleisten. Anders als in Großbritannien, wo ideologisch motivierte christliche Organisationen aggressiv gegen Trans-Rechte kämpfen, hat Deutschland mit dem Selbstbestimmungsgesetz ein Signal für Menschenrechte und Selbstbestimmung gesetzt.

Trans-Gesundheitsversorgung: Europa im Kampf gegen Diskriminierung

Der Fall aus Darlington ist Teil eines größeren Musters der Diskriminierung, das trans Menschen in ganz Europa erleben. Laut der jüngsten Umfrage der EU-Grundrechteagentur aus dem Jahr 2024 berichteten 39 Prozent der trans Menschen in der EU, dass sie Diskriminierung durch medizinisches Personal erlebt haben. Trans Personen stehen vor Barrieren wie langen Wartezeiten und unzureichender Versicherungsdeckung.

Der Europarat hat in einem Bericht vom Dezember 2024 deutlich gemacht: Es gibt erhebliche gesundheitliche Ungleichheiten zwischen LGBTI-Personen und der Allgemeinbevölkerung, einschließlich erhöhter Raten psychischer Gesundheitsprobleme, die hauptsächlich durch weit verbreitete Diskriminierung und Marginalisierung verursacht werden. Die FRA-Umfrage von 2020 ergab, dass 16% der LGBTI-Menschen Diskriminierung im Gesundheitswesen erlebten; bei trans Befragten stieg dieser Indikator auf 34%.

Das größere Bild: Kulturkrieg um Trans-Rechte

Der Darlington-Fall ist kein isoliertes Ereignis. Er ist Teil eines orchestrierten Angriffs auf Trans-Rechte durch religiös-konservative Organisationen, die Trans-Identitäten als "Ideologie" bezeichnen und wissenschaftliche Erkenntnisse über Geschlechtsidentität ablehnen. Laut ILGA-Europe hat das Vereinigte Königreich in den Rankings für LGBTI-Rechte erheblich an Boden verloren – von Platz 1 in Europa im Jahr 2015 auf Platz 22 im Jahr 2025. Insbesondere die anti-trans Rhetorik in britischen Medien wird als „zunehmend und vitriolic" seit 2016 beschrieben und als „super-charged" seit 2018.

Während Deutschland mit dem Selbstbestimmungsgesetz einen progressiven Schritt nach vorne gemacht hat, zeigt der Fall aus Darlington, wie wichtig es ist, wachsam zu bleiben. Die Geschichte lehrt uns, dass hart erkämpfte Rechte schnell wieder verloren gehen können, wenn religiös-fundamentalistische Gruppen die Gerichte nutzen, um Diskriminierung zu legitimieren.

„Mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz hat Deutschland einen Schandfleck in seiner Menschenrechtsbilanz beseitigt und sein Engagement für LGBT-Rechte im In- und Ausland gestärkt", sagte Cristian González von Human Rights Watch. Deutschland sendet damit ein klares Signal: Trans Menschen existieren und verdienen Anerkennung und Schutz ohne Diskriminierung. Unter dem neuen Gesetz können trans und nicht-binäre Menschen zu einem Standesamt gehen und ihren Geschlechtseintrag und Vornamen durch eine einfache Erklärung ändern lassen.

Der Prozess in Darlington wird zeigen, welche Richtung Großbritannien einschlägt – ob es den Menschenrechten folgt oder ob religiös motivierte Diskriminierung vor Gericht Erfolg hat. Für die trans Community in Europa und darüber hinaus steht viel auf dem Spiel.


Tragödie in Konstanz: Wenn Wahn und internalisierte Homophobie zu Gewalt führen

Ein brutaler Mord in Konstanz erschüttert und wirft schwierige Fragen auf: Das Landgericht Konstanz ordnete die Unterbringung eines 50-Jährigen wegen Mordes in der Psychiatrie an, der Mann ist wegen einer paranoiden Schizophrenie schuldunfähig. Der jordanische Staatsbürger hatte im Januar 2025 mit einem 20 Zentimeter langen Küchenmesser in der Konstanzer Wohnung des 36-Jährigen 72 Mal auf ihn eingestochen. Der Fall aus der Bodenseestadt (Originalquelle: queer.de) zeigt in erschreckender Weise, wie psychische Erkrankungen, Wahnvorstellungen und internalisierte Homophobie zu einer tödlichen Mischung werden können.

Die Tat und ihre Hintergründe

Die beiden Männer kannten sich seit mehreren Jahren und hatten wiederholt einvernehmlichen sexuellen Kontakt. Beide hatten vor der Tat zusammen Drogen konsumiert. Doch was zunächst wie eine sexuelle Begegnung begann, endete in einem grausamen Mord. Der Täter war laut Gericht der wahnhaften Überzeugung verfallen, sein ehemaliger Sexualpartner könne seine Gedanken lesen.

Noch erschütternder: Nach Auffassung der Kammer und der Staatsanwaltschaft besuchte der Beschuldigte seinen Freund mit Absicht, um an dessen Leber zu kommen, da er das Organ für ein Speichermedium seiner Gedanken hielt. Der Angeklagte hoffte zudem, sich durch die Tat von seinem homosexuellen Verlangen zu "befreien". Diese Aussage macht deutlich, wie tief internalisierte Homophobie in der Psyche des Täters verankert war.

Internalisierte Homophobie: Der Feind im Inneren

Der Fall wirft ein Schlaglicht auf ein Problem, das in der queeren Community viel zu oft im Verborgenen bleibt. Internalisierte Homophobie bezeichnet negative Gefühle, Gedanken oder Verhaltensweisen gegenüber der eigenen Homosexualität, die oft unbewusst sind. Sie entsteht, wenn LGBTIQ*-Menschen die homophoben Botschaften ihrer Umgebung verinnerlichen und sich selbst ablehnen.

In Deutschland zeigen Studien, dass Homosexuelle häufiger psychisch erkranken als die Allgemeinbevölkerung, öfters Depressionen, Angststörungen oder Suchtverhalten entwickeln, und bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit homo- oder bisexueller Orientierung eine dreifach höhere Suizidrate besteht. Das erhöhte Risiko für psychische Erkrankungen ist auf direkt oder indirekt erfahrene Diskriminierung zurückzuführen, daneben spielen auch internalisierte Homophobie, Selbstentwertung oder starke Schuld- und Schamgefühle eine Rolle.

Der psychiatrische Maßregelvollzug als Lösung

Bis zum Ende der Verhandlung habe sich der Beschuldigte von seinem Wahn leiten lassen und die Schuld bei seinem Opfer gesucht, so der vorsitzende Richter. Das Gericht hatte keinen Zweifel an der Schuldunfähigkeit des Beschuldigten. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

In Deutschland werden im Maßregelvollzug gemäß §§ 63 und 64 StGB psychisch kranke oder suchtkranke Straftäter untergebracht. Die forensische Psychiatrie ist für die Begutachtung der Straftäter und die Umsetzung des Maßregelvollzugs zuständig. Der Maßregelvollzug hat die Aufgabe, die Gesellschaft vor weiteren Straftaten zu schützen - einerseits durch eine gesicherte Unterbringung, anderseits mit Hilfe verschiedener Therapien, mit dem Ziel, die Patienten auf ein straffreies Leben in der Gesellschaft vorzubereiten.

Ein mahnendes Beispiel

Der Fall aus Konstanz zeigt in tragischer Weise, wie verheerend die Kombination aus unbehandelter psychischer Erkrankung, Drogenkonsum und internalisierter Homophobie sein kann. Während der Täter nun die notwendige psychiatrische Behandlung erhält, bleibt ein 36-jähriger Mann tot zurück – ein Opfer von Gewalt, die ihre Wurzeln nicht nur in einer Psychose, sondern auch in gesellschaftlicher Homophobie hatte.

Für die LGBTIQ*-Community in Deutschland ist dieser Fall eine schmerzhafte Erinnerung daran, wie wichtig der Zugang zu sensibler psychologischer Betreuung ist. Homosexuelle benötigen keine besonderen Therapieangebote, sondern Therapeuten, die einen wertfreien und geschützten Raum bieten. Nur so können wir verhindern, dass internalisierte Homophobie zu selbstschädigendem Verhalten oder – im schlimmsten Fall – zu Gewalt führt.


Hassverbrechen in Magdeburg: Queerer Club Boys'n'Beats nach Angriff ungebrochen

In der Nacht zum Freitag, den 17. Oktober, wurde der queere Club Boys'n'Beats in Magdeburg Opfer eines mutmaßlichen Angriffs – Unbekannte warfen eine Fensterscheibe mit Steinen ein. Der Vorfall reiht sich ein in eine besorgniserregende Entwicklung: Queerfeindliche Straftaten stiegen im Jahr 2023 zum siebten Jahr in Folge und auf einen neuen Höchststand. Die ursprüngliche Meldung erschien auf queer.de.

Ein Angriff auf einen sicheren Raum

Das Boys'n'Beats in der Liebknechtstraße 89 ist die Nummer 1-Diskothek für LSBTIQ* (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*, Inter* und Queer) in der Landeshauptstadt Magdeburg. Der Club hat damit ein Alleinstellungsmerkmal in ganz Sachsen-Anhalt. Nach dem Angriff teilten die Betreiber*innen auf Instagram ein Foto der stark beschädigten Fensterscheibe – eine klare Botschaft folgte: "Wir lassen uns nicht kleinkriegen", heißt es in dem Post.

Das Boys'n'Beats geht von einem Hassverbrechen aus. Die Hintergründe des Angriffs seien bislang unklar, alles deute jedoch darauf hin, dass Homophobie im Spiel gewesen sei, so das Netzwerk Freie Kultur Magdeburg.

Welle der Solidarität

Die Reaktion ließ nicht auf sich warten: In den sozialen Medien erhält der Club viel Unterstützung und Solidarität von Fans, aber auch aus der Politik. Eva von Angern, Fraktionsvorsitzende der Linken im Landtag, kommentierte aufmunternd, während die Magdeburger Grünen ihre Unterstützung zusagten. "Als Netzwerk Freie Kultur Magdeburg stehen wir klar und unmissverständlich an der Seite unseres Vereinsmitglied Boys'n'Beats und aller queeren Menschen in unserer Stadt", erklärte das Netzwerk.

Die Polizei konnte auf Nachfrage vorerst nichts zu dem mutmaßlichen Angriff sagen – dort wurde der Vorfall noch nicht angezeigt.

Ein alarmierender Trend in ganz Deutschland

Der Angriff auf das Boys'n'Beats ist kein Einzelfall. Die polizeilichen Fallzahlen zeigen einen besorgniserregenden Anstieg queerfeindlicher Straftaten über die vergangenen Jahre, wie das Bundesministerium des Innern im Dezember 2024 mitteilte. Im Jahr 2023 richteten sich 1.785 Straftaten gegen LSBTIQ* Personen (im Jahr 2022: 1.188) – ein Anstieg um etwa 50 Prozent innerhalb eines Jahres.

Besonders alarmierend: Die Zahl der Straftaten im Bereich „Sexuelle Orientierung" und „Geschlechtsbezogene Diversität" hat sich seit 2010 nahezu verzehnfacht. Zu den häufigsten gegen LSBTIQ* gerichteten Straftaten gehörten im Jahr 2023 Beleidigungen, Gewalttaten, Volksverhetzungen sowie Nötigungen und Bedrohungen.

Angriffe auf queere Einrichtungen: Ein unterschätztes Problem

Neben Übergriffen auf Einzelpersonen sind Angriffe auf queere Einrichtungen und Orte – auf Clubs und Cafés, auf Bildungsorte und Beratungsstellen, auf Veranstaltungen, Feste und Paraden – eine weitere Erscheinungsform queerfeindlicher Gewalt, wie das Berliner Monitoring queerfeindliche Gewalt dokumentiert.

Zudem müssen wir von einer hohen Dunkelziffer ausgehen, viele Betroffene zeigen Straftaten nicht an, warnte Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Expert*innen gehen davon aus, dass über 80% der Vorfälle nicht gemeldet werden.

Magdeburgs queere Szene steht zusammen

Magdeburg verfügt über eine aktive queere Community. Der CSD Magdeburg e.V. mit über 300 Mitgliedern ist der größte queere Verein in Sachsen-Anhalt und organisiert jährlich den Christopher Street Day. Auch der LSVD Sachsen-Anhalt bietet Beratung und Unterstützung für LSBTIQ* Menschen in der Region.

Der Angriff auf das Boys'n'Beats zeigt einmal mehr, wie wichtig sichere Räume für die queere Community sind – und wie bedroht diese Räume nach wie vor sind. Die Solidarität, die der Club erfährt, ist ein Hoffnungsschimmer. Doch sie darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass queerfeindliche Gewalt ein strukturelles Problem bleibt, das entschiedenes Handeln von Politik, Polizei und Gesellschaft erfordert.

Das Boys'n'Beats wird weitermachen – das haben die Betreiber*innen klar gemacht. "Wir stehen weiterhin für Respekt, Miteinander und Zusammenhalt", so ihre Botschaft. Ein Statement, das in diesen Zeiten wichtiger ist denn je.


Historische Premiere: ZDF überträgt ersten Queer-Gottesdienst im deutschen Fernsehen

Am 26. Oktober 2025 schreibt das deutsche Fernsehen Geschichte: Das ZDF überträgt am 26. Oktober einen Gottesdienst aus Münster live im Fernsehen – allerdings nicht aus einer Pfarrei, sondern die Messe der Queergemeinde Münster. Erstmals wird damit ein speziell für queere Menschen konzipierter katholischer Gottesdienst bundesweit im Fernsehen ausgestrahlt – ein Meilenstein für die Sichtbarkeit von LGBTIQ*-Gläubigen in Deutschland. Die Übertragung beginnt um 9:30 Uhr aus der St.-Anna-Kirche in Münster-Mecklenbeck.

Eine Gemeinde mit bewegter Geschichte

Die Queergemeinde Münster blickt auf eine lange Tradition zurück. Die Queergemeinde Münster wurde 1999 von einer Gruppe schwuler Theologen gegründet. Seitdem feiern immer am zweiten Sonntagabend im Monat lesbische, schwule, bisexuelle und transgeschlechtliche wie auch heterosexuelle Gläubige gemeinsam eine Messfeier. Damit gehört sie zu den ältesten queeren Gemeinden in der katholischen Kirche Deutschlands. Der Anfang war jedoch nicht einfach: Regelmäßig feierte die queere Community Gottesdienste mit Priestern, die sich dazu bereiterklärten – bis der Gemeinde nur ein Jahr nach Beginn ein Eucharistieverbot von der Bistumsleitung erteilt wurde. „Das hat so viele enttäuscht, dass die Hälfte der Gläubigen weggebrochen ist", erinnern sich Zeitzeugen.

Doch die Gemeinschaft gab nicht auf. Sie haben sich nur fünf Monate an die Wortgottesdienste gehalten. Es fehlte ihnen einfach etwas und sie haben schnell Priester gefunden, die wieder mit ihnen die Eucharistie feierten. Heute findet monatlich eine Messe in der Krypta der St.-Antonius-Kirche statt, mit wechselnden Priestern, darunter auch Münsters emeritierter Weihbischof Dieter Geerlings.

"Wer bin ich – für dich?" – Der historische Gottesdienst

Der ZDF-Gottesdienst steht unter dem Motto "Wer bin ich – für dich?" und wird von Pfarrer Karsten Weidisch in Zusammenarbeit mit der Queergemeinde zelebriert. Jan Dieckmann, Mitglied der Gemeinde, beschreibt die Bedeutung: "Queers finden dort tieferen Glauben, Gemeinschaft und geistlichen Ausdruck – es geht um Würde, Vielfalt und Respekt." Musikalisch wird der Gottesdienst von der Band Effata unter der Leitung von Anselm Thissen gestaltet. Zu hören sein wird auch das Lied "Du bist so anders", das Dieckmann zum 20-jährigen Bestehen der Gemeinde 2019 komponierte.

Die St.-Anna-Kirche in Münster-Mecklenbeck, die 1972 eingeweiht und vom Architekten Harald Deilmann entworfen wurde, bietet dank ihrer technischen Ausstattung ideale Bedingungen für die TV-Produktion. Nach der Live-Ausstrahlung wird der Gottesdienst auch in der ZDF-Mediathek verfügbar sein. Im Anschluss stehen Gemeindemitglieder bis 18 Uhr unter der Nummer 0700 – 14 14 10 10 für Gespräche zur Verfügung.

Deutschland als Vorreiter in Europa

Die Fernsehübertragung ist Ausdruck einer bemerkenswerten Entwicklung. Die katholische Kirche in Deutschland ist unter den Top 10 der queerfreundlichsten Kirchen in Europa. Unter den katholischen Kirchen Europas gilt die in Deutschland als die queerfreundlichste. Die katholische Kirche in Deutschland erreicht demnach 37,5 von möglichen 47 Punkten und steht damit auf Platz 9 des Rankings. Dies zeigt der aktuelle "Rainbow Index of Churches in Europe" 2025.

Als Gründe für das gute Abschneiden der katholischen Kirche in Deutschland nennt der Bericht die starken Laiengremien und katholischen Verbände, die das Gemeindeleben prägen und eine wichtige Brücke zwischen Gläubigen und kirchlicher Hierarchie bilden. Weitere Fortschritte sieht die Studie in der etablierten LGBTQ-Seelsorge mit nationalen und regionalen Koordinatoren sowie in der Zuständigkeit eines Weihbischofs im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz für diesen Seelsorgebereich.

Ein weiter Weg – auch in Deutschland

Trotz dieser Fortschritte gibt es weiterhin Herausforderungen. Der emeritierte Münsteraner Weihbischof Dieter Geerlings sagte bei einem ökumenischen Gottesdienst: "Die Herabwürdigung queerer Menschen, auch durch die offizielle Kirche in ihrer Lehre, war menschenverachtend." Inzwischen hätten die Bischöfe Veränderungen, etwa im kirchlichen Arbeitsrecht, in Kraft gesetzt; "aber das heißt nicht, dass alles im Lot ist – es braucht revolutionäre Geduld".

Die Geschichte der Ökumenischen Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche (HuK) zeigt, wie lange der Kampf um Anerkennung dauert. Auch christliche Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender haben seit Mitte der 1970er Jahren in Deutschland zahlreiche Netzwerke gegründet. 1977 entstand die ökumenische Arbeitsgruppe „Homosexuelle und Kirche" (HuK) und 1985 die ökumenische Arbeitsgemeinschaft „Lesben in der Kirche" (LuK). Seitdem gibt es deutschlandweit Queergottesdienste in vielen Städten – von Berlin über Frankfurt bis München.

Ein Signal mit Strahlkraft

Die ZDF-Übertragung ist mehr als nur ein Gottesdienst – sie ist ein kraftvolles Signal für alle queeren Gläubigen in Deutschland und darüber hinaus. Für viele Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität mit der Kirche gebrochen haben, kann diese Sichtbarkeit einen Unterschied machen. „Aber als ich mehr und mehr realisiert habe, dass ich als schwuler Mann aus kirchenrechtlicher Sicht eigentlich gar nicht dazugehöre, habe ich mit der Kirche gebrochen", erzählt ein Gemeindemitglied. „Bei meinem ersten Queer-Gottesdienst hatte ich Tränen in den Augen. Ich hatte meine kirchliche Heimat wiedergefunden."

Der Queer-Gottesdienst ist Teil der Reihe katholischer Fernsehgottesdienste, die das ZDF sonntags im Wechsel mit evangelischen Feiern sendet. Dass nun erstmals ein Queergottesdienst diese Plattform erhält, zeigt: Die Kirche in Deutschland ist auf einem Weg der Veränderung – und die Queergemeinde Münster geht diesen Weg mit 25 Jahren Erfahrung mutig voran.


Angriff auf queeren Club in Magdeburg: Ein Hassverbrechen, das nicht einschüchtert

In der Nacht zum Freitag wurde der queere Club "Boys'n'Beats" in Magdeburg Opfer eines Angriffs. Unbekannte warfen mit einem Stein eine Fensterscheibe ein – ein weiteres erschreckendes Beispiel für den drastischen Anstieg queerfeindlicher Straftaten in Deutschland, der in den vergangenen Jahren ein besorgniserregendes Ausmaß erreicht hat. Der Club, der sich in der Liebknechtstraße 89 befindet, teilte auf Instagram ein Foto der stark beschädigten Fensterscheibe und setzte ein kraftvolles Zeichen des Widerstands: "So ein Angriff, so ein Hassverbrechen, soll Angst machen. Doch wir lassen uns nicht kleinkriegen. Wir stehen weiterhin für Respekt, Miteinander und Zusammenhalt."

Ein bedrohlicher Trend in ganz Deutschland

Der Angriff auf das "Boys'n'Beats" reiht sich ein in eine alarmierende Entwicklung. Im Jahr 2023 wurden insgesamt 1.785 Straftaten gegen LSBTIQ* Personen erfasst – im Vorjahr waren es noch 1.188. Die Zahl der Straftaten im Bereich „Sexuelle Orientierung" und „Geschlechtsbezogene Diversität" hat sich seit 2010 nahezu verzehnfacht. Bundesinnenministerin Nancy Faeser nannte die Zahlen "erschreckend" und betonte, dass queerfeindliche Gewalt als solche klar benannt und gezielt verfolgt werden müsse.

Besonders besorgniserregend: Trotz des Anstiegs der gemeldeten Fälle legen Erhebungen nahe, dass die Dunkelziffer weiterhin hoch ist. Laut der Umfrage EU-Grundrechteagentur FRA von 2024 meldeten nur zehn Prozent der Polizei einen queerfeindlichen Vorfall. Viele Betroffene zeigen Übergriffe nicht an – aus Scham, Misstrauen gegenüber der Polizei oder weil die eindeutige Feststellung eines queerfeindlichen Motivs schwierig ist.

Sachsen-Anhalt: Ein Brennpunkt queerfeindlicher Gewalt

Der Angriff in Magdeburg findet vor dem Hintergrund einer besonders angespannten Situation in Sachsen-Anhalt statt. In diesem Jahr wurden vermehrt Angriffe gewaltorientierter Rechtsextremist/-innen auf queere Veranstaltungen verzeichnet, insbesondere in Sachsen und Sachsen-Anhalt. Gerade in Ostdeutschland erleben queere Communities verstärkt Angriffe auf queere Sichtbarkeit und Strukturen – das Verbot der Regenbogenflagge in Neubrandenburg, die rechtsextremen Angriffe beim Christopher-Street-Day in Bautzen oder die wiederholten Sachbeschädigungen an queeren Orten in Magdeburg und Rostock sind Angriffe auf unsere demokratische Grundordnung.

Wie die "Volksstimme" berichtete, konnte die Polizei zunächst nichts zu dem Angriff auf das "Boys'n'Beats" sagen, da der Vorfall noch nicht angezeigt worden war. Dies unterstreicht einmal mehr die Problematik der hohen Dunkelziffer bei queerfeindlichen Straftaten.

Solidarität aus Politik und Community

In den sozialen Medien erhielt der queere Club umgehend Unterstützung und Solidarität – auch aus der Politik. Eva von Angern, Fraktionsvorsitzende der Linken im Landtag von Sachsen-Anhalt, kommentierte den Instagram-Post mit den Worten: "Bitte lasst euch nicht einschüchtern – ihr seid stärker als die!" Auch die Magdeburger Grünen zeigten sich solidarisch und erklärten auf Threads: "Wir sind mehr und wir lassen uns nicht unterkriegen."

Diese Solidaritätsbekundungen sind wichtig, denn queere Vereine wie der CSD Magdeburg e.V. fördern die Sichtbarkeit queerer Lebensweisen und deren Akzeptanz in der Gesellschaft. Mit über 300 Mitgliedern ist er der größte queere Verein Sachsen-Anhalts und setzt sich in zahlreichen Aktionen für die Rechte der queeren Community ein. Orte wie das "Boys'n'Beats" sind nicht nur Partylocations, sondern Schutzräume und Anker für die Community.

Die Botschaft: Wir lassen uns nicht einschüchtern

Trotz der zunehmenden Bedrohung zeigt sich die queere Community in Magdeburg widerstandsfähig. Die Betreiber*innen des "Boys'n'Beats" machten deutlich: "Unsere Haltung bleibt stark." Diese Entschlossenheit ist angesichts der aktuellen Lage wichtiger denn je. Gerade in Zeiten eines erstarkenden Rechtsextremismus ist ein klares Bekenntnis zum Schutz queerer Menschen im Grundgesetz notwendig.

Der Angriff auf das "Boys'n'Beats" ist mehr als eine Sachbeschädigung – er ist ein Angriff auf die Freiheit, auf die Selbstbestimmung und auf das Recht, sichtbar zu sein. Doch die queere Community in Magdeburg und ganz Deutschland zeigt: Sie lässt sich nicht kleinkriegen. Wie der Club selbst schrieb: "Wir stehen weiterhin für Respekt, Miteinander und Zusammenhalt."

Quelle: queer.de


Keira Knightley unter Beschuss: Lachen über JK Rowling sorgt für Empörung

Die britische Schauspielerin Keira Knightley, 40, gerät in heftige Kritik, nachdem ein Video viral ging, das sie lachend bei einem Interview über JK Rowlings trans-feindliche Positionen zeigt. Die Schauspielerin wurde im September für das kommende Hörbuch "Harry Potter: The Full-Cast Audio Editions" angekündigt, in dem sie die verhasste Schulleiterin Professor Umbridge sprechen wird. Der Vorfall hat eine neue Welle der Empörung in der LGBTQ+-Community ausgelöst.

Das kontroverse Interview

Im Interview mit Decider wurde Knightley gefragt, ob sie sich bewusst sei, dass einige Fans zum Boykott aufrufen. "I was not aware of that, no," antwortete sie. "I'm very sorry." Was jedoch für besondere Empörung sorgte: Das Video zeigt Knightley, wie sie nach ihrer Entschuldigung lacht und auch beim nachfolgenden Kommentar über ein friedliches Zusammenleben kichert.

Der Clip wurde über 15 Millionen Mal angesehen, nachdem er auf sozialen Medien geteilt wurde. Die Reaktionen fielen vernichtend aus: Ein Kommentar, der mehr als 16.000 Likes erhielt, lautete: "That laugh says NOT sorry". Andere verglichen ihr Verhalten mit einem Teenager, der sich entschuldigt, es aber nicht ernst meint.

Der deutsche Kontext: Auch hierzulande eine bekannte Debatte

Die Kontroverse um JK Rowling und ihre Haltung zu trans Personen ist auch in Deutschland ein vieldiskutiertes Thema. Rowling hat sich über die Jahre radikalisiert. Ihre hauptsächliche Argumentationslinie: Es gibt nur zwei biologische Geschlechter. Daran sei nichts zu ändern. Trans Frauen sind für sie keine Frauen, sondern eben trans Frauen.

Harry-Potter-Hauptdarsteller Daniel Radcliffe positionierte sich klar: "Transgender Frauen sind Frauen." Jedes gegenteilige Statement lösche die Identität und die Würde von trans Personen. Auch in Deutschland wurden Rowlings Äußerungen stark kritisiert. Die Bestsellerautorin hat sich bereits zum wiederholten Male transfeindlich geäußert.

Boykottaufrufe und ihre Wirkung

Die Frage, ob man Harry-Potter-Produkte noch konsumieren sollte, beschäftigt auch deutsche Fans intensiv. Die Boykott-Aufrufe scheinen das Spiel "Hogwarts Legacy" kaum aufzuhalten. Millionen Menschen schauten auf der Plattform Twitch Streamenden beim Spielen zu. Auch zum Boykott der Bücher wird immer wieder aufgerufen - mit mäßigem Erfolg. Nun kommt aber ein wenig mehr Bewegung in die Sache. Erste Buchhändler nehmen jetzt nämlich Harry Potter tatsächlich aus dem Sortiment.

Mit jedem Kauf würde Rowling mitfinanziert werden und damit ihr transfeindlicher Aktivismus. Diese moralische Zwickmühle stellt viele Fans vor schwierige Entscheidungen - auch in Deutschland, wo die Debatte um trans Rechte und TERFs (Trans Exclusionary Radical Feminists) ebenfalls geführt wird.

Die Stimme der Betroffenen

Rowling setzt sich nicht nur verbal gegen trans Menschen ein, sondern auch aktiv für transfeindliche Gesetze. Beispielsweise hilft sie der Rechtsanwältin Allison Bailey mit finanziellen Mitteln, die sich wiederum gegen trans Rechte einsetzt. Transfreundliche Gesetzesänderungen wie kürzlich in Schottland kritisiert sie vehement.

Die trans YouTuberin und Journalistin Jessie Earl betonte, dass es nicht darum gehe, bereits erworbene Produkte zu entsorgen, sondern keine weiteren zu kaufen. Knightleys Lachen wirkt in diesem Kontext besonders verletzend für trans Menschen, die täglich um Anerkennung und Rechte kämpfen müssen.

Parallelen in Deutschland

Das entspricht dem gesamten Lager der sogenannten TERFs, die in Deutschland mit bekannten Persönlichkeiten wie der Emma-Herausgeberin Alice Schwarzer ebenfalls Positionen gegen die Gleichstellung von trans Menschen, insbesondere trans Frauen, beziehen. Die Debatte zeigt: Das Thema ist nicht auf Großbritannien beschränkt, sondern betrifft die gesamte LGBTQ+-Community in Europa.

Während das Hörbuch zwischen November 2025 und Mai 2026 veröffentlicht werden soll und über 200 Sprecher beteiligt sind, haben sich bisher nur wenige der beteiligten Schauspieler zu Rowlings Haltung geäußert. Knightleys Lachen dürfte jedoch kaum dazu beitragen, die Wogen zu glätten - im Gegenteil: Es zeigt, wie schwer es vielen prominenten Persönlichkeiten fällt, sich klar gegen Diskriminierung zu positionieren, wenn wirtschaftliche Interessen im Spiel sind.


Bedrohung für queere Existenz: Türkei plant Haftstrafen – "Schlimmer als Russland"

Die türkische Regierung plant einen der schärfsten Angriffe auf LGBTIQ+-Rechte in Europa: Ein neuer Paragraf sieht vor, dass „jeder, der Einstellungen oder Verhaltensweisen, die bei seiner Geburt festgestelltem biologischen Geschlecht und der öffentlichen Moral widersprechen, öffentlich unterstützt, lobt oder fördert, mit einer Freiheitsstrafe von einem bis zu drei Jahren bestraft" wird, berichtet queer.de. Die queere Organisation KaosGL warnt eindringlich: Der Gesetzentwurf sei "schlimmer als in Russland".

Ein Angriff auf die queere Community mit weitreichenden Folgen

Der durchgesickerte Entwurf des elften Justizreformpakets der türkischen Regierung liest sich wie ein Alptraum für die LGBTIQ+-Community: Wenn Personen gleichen Geschlechts eine Verlobungs- oder Trauungszeremonie durchführen, werden sie zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten bis zu vier Jahren verurteilt. Auch symbolische Feiern würden damit kriminalisiert – ein massiver Eingriff in das Privatleben queerer Menschen.

Besonders perfide: Die Formulierung bedroht auch die Arbeit von queeren Organisationen und könnte gegen Personen eingesetzt werden, die sich etwa nicht vermeintlich geschlechtstypisch kleideten, warnt Rechtsanwalt Kerem Dikmen von KaosGL. Die vagen Formulierungen öffnen Willkür Tür und Tor – ein Mann, der Nagellack trägt, könnte bereits bestraft werden.

Trans Menschen besonders betroffen

Für trans Personen verschärft sich die Situation dramatisch: Trans* Menschen sollen erst mit frühestens 25 Jahren eine geschlechtsangleichende Operation durchführen lassen können und auch dann nur mit einem psychologischen Gutachten. Der Entwurf sieht zudem vor, dass trans Menschen vier medizinische Gutachten vorlegen müssen, die jeweils mindestens drei Monate auseinanderliegen – eine bürokratische Hürde, die den Zugang zur geschlechtsangleichenden Behandlung faktisch blockiert.

Noch 2017 hatte das türkische Verfassungsgericht einen wichtigen Fortschritt erzielt: Transsexuelle müssen sich in der Türkei nicht mehr zwangsweise geschlechtsanpassenden Operationen mit dem Ziel der Unfruchtbarmachung unterziehen. Doch dieser Fortschritt droht nun zunichte gemacht zu werden. Unfruchtbarkeit soll wieder zur Voraussetzung gemacht werden – ein Schritt zurück in die Barbarei.

"Schlimmer als Russland" – ein erschreckender Vergleich

Die türkische LGBTIQ+-Organisation KaosGL vergleicht den Entwurf mit dem russischen Gesetz von 2013, das jegliche positiven Äußerungen über Homosexualität in Anwesenheit von Minderjährigen oder über Medien wie das Internet unter Strafe stellt. Doch während Russlands "Homo-Propaganda-Gesetz" ursprünglich auf Minderjährige beschränkt war, geht der türkische Entwurf weiter: Er kriminalisiert queere Existenz für alle Altersgruppen und sieht Haftstrafen statt Geldstrafen vor.

Die Folgen der russischen Gesetzgebung sind verheerend: Die Anzahl von Hassverbrechen gegen LGBTQ-Personen ist nach der Verabschiedung des Gesetzes 2013 dreifach höher als in der Zeit davor. Für den Zeitraum von 2010 bis 2020 wurden 1.056 Hassverbrechen gegen 853 Personen festgestellt, von denen 365 tödlich endeten. Diese erschreckenden Zahlen zeigen, was passiert, wenn Staaten queere Menschen zu Sündenböcken machen.

Parallelen zu Deutschland: Wie können wir helfen?

In Deutschland genießen LGBTIQ+-Personen weitreichende Rechte: 71 Prozent der Deutschen befürworten die Ehe für alle. Drei Viertel (73 %) finden, dass Homosexuelle bei der Adoption von Kindern die gleichen Rechte haben sollten wie heterosexuelle Paare. Doch auch hierzulande gibt es Herausforderungen: Vor allem bei jungen Männern nehmen queerfeindliche Ansichten auch in Deutschland eher zu.

Die deutsch-türkische Zivilgesellschaft und deutsche LGBTIQ+-Organisationen sind gefordert. Bereits 2008 diskutierte die Hirschfeld-Eddy-Stiftung gemeinsam mit Human Rights Watch über die Menschenrechtslage queerer Menschen in der Türkei. Die Arbeit von Organisationen wie KaosGL, die seit 1994 für LGBTIQ+-Rechte kämpft, verdient internationale Solidarität und Unterstützung.

Erdoğans "Jahr der Familie" – ein Vorwand für Repression

2025 wurde als das 'Family Year' designiert. Viele Politiker, einschließlich Präsident Recep Tayyip Erdoğan, haben LGBTIQ+-Personen mit Begriffen wie 'Entsexualisierung', 'LGBT-Propaganda' und 'abweichende und schädliche Bewegungen' ins Visier genommen. Erdogan bezeichnet die LGBTQ-Bewegung als "perverse Ideologie" und fordert: "Es sei die Verantwortung aller, 'unsere Kinder und Jugendlichen vor schädlichen Trends und perversen Ideologien' zu schützen."

Dabei ist Homosexualität bereits seit 1858 in der Türkei legal. Seit der Streichung von Homosexualität als Straftatbestand droht Schwulen und Lesben damit nach über 165 Jahren erstmals wieder eine Kriminalisierung. Ein trauriger Rückschritt für ein Land, das einst als eines der toleranteren in der islamischen Welt galt.

Was passiert als Nächstes?

Am 18. Februar wurden in Razzien zum Verdacht einer Mitgliedschaft in einer "Terrororganisation" rund 50 Personen festgenommen, darunter Yildiz Tar, der Chefredakteur von KaosGL, und weitere queere Personen und Aktivist*innen. Der Chefredakteur sitzt noch immer in Untersuchungshaft – ein klares Signal der Einschüchterung.

Abdullah Güler, Fraktionschef der Regierungspartei AKP, erklärte zwar, dass der Entwurf nicht eingebracht worden sei. Doch das Durchsickern könnte ein Testballon sein, um die Reaktionen zu testen und die Community einzuschüchtern. Die internationale Gemeinschaft muss jetzt Druck ausüben, um zu verhindern, dass dieser menschenverachtende Entwurf Gesetz wird.

Die queere Community in der Türkei braucht unsere Solidarität. Wie ein schwuler Mann gegenüber der türkischen Zeitung Turkiye Today erklärte: "Sie wollen uns auslöschen, aber wir werden uns nicht beugen!" Dieser Mut verdient unsere Unterstützung – heute mehr denn je.


Erfolg für trans Rechte: Bundesrat stoppt Dobrindts umstrittenes Sonderregister

In einer überraschenden Wendung hat die Bundesregierung am Freitag die geplante Abstimmung über eine umstrittene Verordnung zum Selbstbestimmungsgesetz kurzfristig von der Tagesordnung des Bundesrates genommen. Die geplante Verordnung hätte frühere Geschlechtseinträge und Vornamen dauerhaft im Melderegister gespeichert und an andere Behörden übermittelt. Nach monatelangen Protesten von queeren Verbänden, Aktivist*innen und über 250.000 Unterzeichner*innen einer Petition ist dies ein wichtiger Erfolg für die trans, inter und nicht-binäre Community – zumindest vorerst.

Was war geplant?

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hatte ein Sonderregister für alle Menschen geplant, die das Selbstbestimmungsgesetz in Anspruch genommen haben. Die im Juli bekannt gewordene Verordnung zur Umsetzung des Selbstbestimmungsgesetzes im Meldewesen sah vor, dass bei Änderungen des Geschlechtseintrags neue zusätzliche Datenblätter im Melderegister angelegt werden sollten – mit Informationen über den früheren Geschlechtseintrag, den alten Vornamen sowie Datum und Aktenzeichen der Änderung.

Das Besondere daran: Der alte Vorname, das frühere Geschlecht und das Datum der Änderung sollten in eigenen Datenfeldern im aktuellen Datensatz gespeichert werden – und das für immer, denn die Daten sollten außerdem bei jedem Umzug automatisch mitwandern. Anders als bisher, wo alte Datensätze mit einem Sperrvermerk versehen wurden, wären die sensiblen Informationen künftig für unzählige Behörden direkt einsehbar gewesen.

Warum die Empörung so groß war

Die Kritik an der Verordnung war massiv und kam aus allen Richtungen. Die geplante Verordnung zur Erfassung und Weitergabe von Daten von Personen, die das Selbstbestimmungsgesetz zur Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen genutzt haben, sorgte seit Wochen für Empörung. Queere Verbände wie die Deutsche Gesellschaft für Trans*- und Inter*geschlechtlichkeit (dgti), der Bundesverband Trans* und der LSVD kritisierten das Vorhaben scharf als unnötig und gefährlich.

Der LSVD betonte, dass entgegen Offenbarungsverbot und Datenlöschungsgrundsätzen ein "Mechanismus" entstehe, "der das 'alte Geschlecht' dauerhaft mitführt, obwohl das SBGG gerade darauf abzielt, dass Menschen nach einer Änderung nicht mehr an ihren früheren Geschlechtseintrag gebunden sind". Die Regelung würde faktisch ein "altes Ich" zementieren, das dauerhaft mitgeführt werden müsse – ein direkter Widerspruch zum Ziel des Selbstbestimmungsgesetzes.

Die dunkle Parallele: Rosa Listen in Deutschland

Besonders beunruhigend war für viele Betroffene die historische Parallele zu sogenannten "Rosa Listen". Der Berliner Queerbeauftragte Alfonso Pantisano warnte vor der Wiedereinführung von Rosa Listen, wie sie in der deutschen Geschichte bereits eine unheilvolle Rolle gespielt haben.

Seit dem Kaiserreich gab es in Deutschland Listen von männlichen Homosexuellen, die die Polizei angelegt hatte, um die Verfolgung von Straftaten gegen § 175 zu erleichtern. Im Nationalsozialismus wurden diese Listen zur systematischen Verfolgung genutzt. Zwischen 1935 und 1944 wurden rund 50.000 Urteile nach dem NS-Paragrafen 175 gefällt. Insgesamt waren etwa 10.000 Homosexuelle in den NS-Konzentrationslagern inhaftiert, wo sie den Rosa Winkel als Kennzeichnung tragen mussten.

Noch erschreckender: Die "Rosa Listen" der Nazis wurden von der BRD und auch der DDR bis in die achtziger Jahre weitergeführt. Erst in den 1990er Jahren endete diese Praxis endgültig. Diese historische Last macht verständlich, warum die geplante zentrale Erfassung von trans Personen bei Betroffenen und Verbänden Alarmglocken läuten ließ.

Keine Mehrheit im Bundesrat

Die Absetzung der Abstimmung deutet darauf hin, dass die Befürworter*innen der Verordnung keine Chance auf eine Mehrheit sahen. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hatte sich mehrheitlich für eine Ablehnung ausgesprochen, da die Verordnung "nicht erforderlich" sei und "den besonderen Schutzbedarf der betroffenen Personengruppe" missachte. Während die Innen- und Rechtsausschüsse eine Zustimmung empfohlen hatten, reichte der Widerstand offenbar aus, um die Regierung zum Rückzug zu bewegen.

Entscheidend war wohl auch, dass in den 16 Bundesländern acht Koalitionen mit Grünen oder Linken regieren, die über eine knappe Mehrheit von 35 der 69 Sitze im Bundesrat verfügen. In Koalitionen müssen sich die Partner auf eine gemeinsame Stimme einigen – eine Enthaltung käme dabei einer Ablehnung gleich.

Erfolg der Zivilgesellschaft

Unter dem Druck von heftigen Protesten strich der Bundesrat die geplante Verordnung von der Tagesordnung. Die queerpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Nyke Slawik, erklärte laut queer.de: "Die Bundesregierung hat aufgrund des sich abzeichnenden Widerstands kalte Füße bekommen und hat ihre Verordnung erstmal zurückgezogen." Sie betonte, dies sei "das Ergebnis des Drucks der Zivilgesellschaft, von Verbänden und uns in Bund und den Ländern."

Auch Maik Brückner, queerpolitischer Sprecher der Linksfraktion, begrüßte, dass die Bundesregierung "trotz eines gestern noch hektisch aufgesetzten Schreibens an die Bundesländer keine Mehrheit für diese transfeindliche Verordnung zustande bringen" konnte. "Das ist auch ein Erfolg der Proteste von Verbänden und queerer Bewegung", so der Bundestagsabgeordnete aus Niedersachsen auf Instagram.

Das Selbstbestimmungsgesetz – ein Meilenstein in Gefahr

Das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) erleichtert es trans, intergeschlechtlichen und nicht-binären Personen, ihren Geschlechtseintrag und ihre Vornamen ändern zu lassen. Es ist am 1. November 2024 in Kraft getreten. Es löste das über 40 Jahre alte Transsexuellengesetz ab, das vom Bundesverfassungsgericht in wesentlichen Teilen für verfassungswidrig erklärt worden war.

Während das alte Gesetz langwierige Gerichtsverfahren und entwürdigende psychiatrische Gutachten vorschrieb, reicht nun eine einfache Erklärung beim Standesamt aus. Das Gesetz enthält zudem ein Offenbarungsverbot, das Menschen vor einem Zwangsouting schützen soll – genau das, was die geplante Verordnung ausgehöhlt hätte.

Nur eine Atempause?

Nyke Slawik mahnte, jetzt heiße es "erst einmal kurz aufatmen". Die Verordnung ist nicht endgültig vom Tisch – sie wurde lediglich zurückgezogen. Trotz massiver Kritik versucht das Innenministerium, das eigene Vorhaben durchzudrücken. Es bleibt abzuwarten, ob Bundesinnenminister Dobrindt einen erneuten Anlauf unternehmen wird, möglicherweise mit Änderungen, die auf die Kritik eingehen.

Für trans, inter und nicht-binäre Menschen in Deutschland ist die Absetzung der Abstimmung dennoch ein wichtiger Erfolg. Sie zeigt, dass zivilgesellschaftlicher Protest und die Mobilisierung von über 250.000 Menschen etwas bewirken können. Das Ziel des Selbstbestimmungsgesetzes war es, Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierungen abzubauen. Die geplanten Änderungen im Meldewesen hätten jedoch erneut die Grundrechte von trans, intergeschlechtlichen und nicht-binären Personen verletzt.

Die Community bleibt wachsam – und ist bereit, ihre hart erkämpften Rechte zu verteidigen. Denn die Geschichte hat gelehrt: Listen über Minderheiten sind niemals nur Listen. Sie sind Instrumente der Ausgrenzung, der Kontrolle und im schlimmsten Fall der Verfolgung.


Zwischen Akzeptanz und Ablehnung: Ein Drittel der Deutschen sieht Antidiskriminierungsmaßnahmen als zu weitreichend

Deutschland ringt um seine Haltung zu queeren Rechten. Eine neue Studie des Mercator Forum Migration und Demokratie (MIDEM) an der TU Dresden zeigt: Mehr als 81 Prozent der Deutschen nehmen die Gesellschaft als gespalten wahr, wobei dem Thema Zuwanderung das größte Spaltungspotenzial zugeschrieben wird. Doch auch die Frage nach Gleichstellung und Sichtbarkeit queerer Menschen polarisiert zunehmend – und offenbart tiefe Gräben in der Gesellschaft.

Die im Februar 2025 durchgeführte repräsentative Befragung von rund 4.400 Personen in Deutschland bringt ernüchternde Ergebnisse: Während 40 Prozent der Befragten fordern, dass mehr gegen die Diskriminierung sexueller Minderheiten getan werden müsse, erklärt fast ein Drittel (31 Prozent), die Antidiskriminierungsmaßnahmen gingen bereits zu weit. Nur 22 Prozent meinen, es werde derzeit genau richtig gehandelt.

Die Regenbogenfahne als Streitpunkt

Besonders brisant: Die Studie fragte erstmals direkt nach der Regenbogenfahne – jenem Symbol, das für viele queere Menschen Identität und Hoffnung bedeutet. Das Ergebnis zeigt, dass queerfeindliche Kampagnen gegen das Symbol offenbar Wirkung zeigen: 38 Prozent der Befragten sagen, dass die Regenbogenfahne weniger an öffentlichen Plätzen gezeigt werden solle, nur 33 Prozent wollen sie öfter sehen. 21 Prozent lagen in ihrer Einschätzung in der Mitte.

Die Frage nach der Regenbogenfahne belegt im Polarisierungsranking bereits den vierten Platz, die Antidiskriminierungsfrage den sechsten. Am polarisiertesten ist die Bevölkerung in Deutschland bei den Fragen nach Klimaschutzmaßnahmen, der Unterstützung der Ukraine und der Integration von Zugewanderten.

Deutschland im europäischen Vergleich: Leicht liberaler, aber unter Druck

Trotz dieser besorgniserregenden Entwicklungen zeigt sich im europäischen Vergleich eine "leicht liberalere Meinungsverteilung in Deutschland", wie die Studie feststellt. Im Gegensatz zu den meisten anderen befragten Ländern hat sich in Deutschland die Unterstützung für die Rechte von LGBTQIA+ in den letzten Jahren nicht signifikant verschlechtert – anders als weltweit, wo queere Menschen immer stärker unter Druck geraten.

Eine aktuelle Ipsos-Studie vom Juni 2025 zeigt: 78 Prozent der Deutschen sind dafür, dass lesbische, schwule und bisexuelle Menschen vor Diskriminierung am Arbeitsplatz oder bei der Wohnungssuche geschützt werden. Auch für den Schutz von transgeschlechtlichen Menschen sprechen sich 75 Prozent aus – beides Werte, die im Vergleich zum Vorjahr um fünf Prozentpunkte gestiegen sind.

Dennoch gibt es auch in Deutschland Rückschritte: Bei der Frage nach transgeschlechtlichen Menschen im Leistungssport folgt Deutschland dem globalen Trend – nur ein Viertel der Deutschen befürwortet deren Teilnahme, ein Rückgang von sechs Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr.

Der Streit um die Regenbogenfahne am Bundestag

Die Studie erscheint zu einem Zeitpunkt, an dem die Debatte um queere Sichtbarkeit in Deutschland auf dramatische Weise eskaliert. Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) hatte angeordnet, die Regenbogenfahne aus Neutralitätsgründen nur noch zum Internationalen Tag gegen Homophobie am 17. Mai auf dem Reichstagsgebäude hissen zu lassen – und eben nicht mehr zum Berliner CSD. Das löste breite Kritik aus.

Die Übergriffe auf queere Menschen nehmen seit Jahren zu – allein von 2022 auf 2023 um fast 50 Prozent. Viele CSDs finden nur noch unter Polizeischutz statt oder werden wegen rechtsextremer Bedrohungen abgesagt. Laut offiziellen Zahlen gibt es jeden Tag mindestens drei Angriffe auf LSBTIQ* in Deutschland.

Gerade in diesem Kontext kritisieren LGBTI-Organisationen das Verbot als falsches Signal. Mehr als 237.000 Menschen protestierten gegen das Verbot der Regenbogenfahne am Bundestag – doch Julia Klöckners Angriff auf queere Sichtbarkeit am CSD-Wochenende 2025 blieb bestehen. Der Streit eskalierte weiter, als die Bundestagspolizei sogar Abgeordnete aufforderte, Regenbogenfahnen aus ihren Büros zu entfernen, was SPD-Parlamentarierin Lina Seitzl als "Jagd auf Regenbogenfahnen" bezeichnete.

Politische Polarisierung und ihre Auswirkungen

Die MIDEM-Analyse zeigt, dass die affektive Polarisierung bei den Themen "Klimawandel" und "Migration" am größten ist. Generell sind Linke stärker polarisiert als Rechte – beim Thema Zuwanderung jedoch zeigen sich Personen, die sich politisch rechts positionieren, stärker affektiv polarisiert.

Hohe affektive Polarisierung kann ideologische Verhärtung, unzureichendes Verständnis für abweichende Ansichten und fehlende Kompromissbereitschaft anzeigen. "Demokratische Entscheidungsprozesse werden dann erschwert und die Akzeptanz dieser schwindet. Dies schadet der Demokratie", betont MIDEM-Direktor Prof. Hans Vorländer.

Ein Zeichen der Zeit – und ein Weckruf

Die Studienergebnisse machen deutlich: Die Akzeptanz queerer Menschen in Deutschland steht auf wackligen Beinen. Während eine knappe Mehrheit weiterhin für Gleichstellung eintritt, wächst eine erhebliche Minderheit heran, die Antidiskriminierungsmaßnahmen ablehnt und selbst das Symbol der Regenbogenfahne als Provokation empfindet.

In einer Zeit, in der die Zahl der politisch motivierten Straftaten im Jahr 2024 um 40,22 Prozent auf 84.172 Delikte angestiegen ist und damit den höchsten Stand seit Einführung der Statistik im Jahr 2001 erreicht, sowie die politisch motivierten Gewalttaten um 15,33 Prozent auf 4.107 Delikte anstiegen, wird die Frage nach Solidarität zur existenziellen Frage. Die Debatte um die Regenbogenfahne ist mehr als ein Symbolstreit – sie ist ein Gradmesser dafür, wie ernst Deutschland es mit dem Schutz von Minderheiten meint.


Historisches Urteil: Trans-Postzustellerin gewinnt Diskriminierungsklage gegen Royal Mail

In einem wegweisenden Urteil hat Sophie Cole eine Entschädigung von £12.500 (etwa 16.600 US-Dollar) von einem Arbeitsgericht in Bury St Edmonds, Suffolk, zugesprochen bekommen. Die 46-jährige trans Frau aus Cambridge war am Arbeitsplatz Mobbing, verbalem Missbrauch und körperlichen Übergriffen ausgesetzt. Das Gericht entschied, dass Royal Mail es versäumt hatte, auf ihre Beschwerden zu reagieren.

Der Originaltext zu diesem Fall findet sich bei PinkNews.

Ein Urteil mit Signalwirkung

Besonders bemerkenswert: Das Urteil ist möglicherweise das erste im Vereinigten Königreich seit der Entscheidung des Supreme Court im April, dass die Definition von "Geschlecht" im Equality Act 2010 sich auf "biologisches Geschlecht" bezieht. Der Supreme Court hatte geregelt, dass "Geschlecht", "Mann" und "Frau" im Equality Act auf das biologische Geschlecht bei der Geburt verweisen.

Trotz dieser restriktiven rechtlichen Entwicklung konnte Cole erfolgreich klagen. Das Gericht akzeptierte, dass wenn ein Täter sie während der Belästigung als Frau wahrgenommen hat, sie als weibliches Opfer anerkannt werden kann. Dies macht den Fall zu einem juristischen Präzedenzfall.

Alltägliche Gewalt am Arbeitsplatz

Die Details des Falls sind erschütternd: Cole berichtete von Belästigungen durch zwei Kollegen, einschließlich Isolierung, Beschimpfungen, ungewollten Berührungen und körperlichen Übergriffen. Ein Kollege ahmte ihre Stimme in Falsett nach, und ihr Auto wurde bespuckt. Cole sagte, sie habe zeitweise um ihr Leben gefürchtet und sei schwer depressiv gewesen.

Cole hatte 2016 mit ihrer Transition begonnen und war zu Royal Mail gewechselt, nachdem sie eine leitende Position im Finanzsektor aufgegeben hatte, in der Hoffnung auf einen sichereren und inklusiveren Arbeitsplatz. Diese Hoffnung wurde bitter enttäuscht.

Parallelen zur Situation in Deutschland

Auch in Deutschland erleben trans Personen massive Diskriminierung am Arbeitsplatz. Studien zeigen, dass trans Personen in allen Bereichen des Lebens, insbesondere im Arbeitsleben, massiven Diskriminierungen ausgesetzt sind, von Benachteiligung beim Zugang zum Arbeitsmarkt über Belästigungen bis hin zu Gewalt, wobei sie überdurchschnittlich häufig von Arbeitslosigkeit und Armut betroffen sind.

Eine aktuelle EU-Grundrechteagentur-Studie zeigt alarmierende Zahlen für Deutschland: 42% der trans Frauen, 26% der trans Männer und 20% der nicht-binären Personen erlebten bei der Jobsuche in den letzten 12 Monaten Diskriminierung, während 35% der trans Frauen, 32% der trans Männer und 31% der nicht-binären Personen am Arbeitsplatz diskriminiert wurden.

Im Gegensatz zum britischen Rechtssystem bietet das deutsche Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) umfassenderen Schutz: Das AGG schützt Menschen vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität, wobei trans und inter Personen rechtlich durch das Merkmal Geschlecht geschützt sind.

Eine Botschaft der Hoffnung

Cole bezeichnete das Urteil als "einen Sieg für die trans Community", weil es beweise, "dass trans Personen immer noch Ansprüche wegen sexueller Belästigung in ihrem echten Geschlecht gewinnen können". Sie vertrat sich selbst vor Gericht – ein bemerkenswerter Akt der Selbstbehauptung.

Royal Mail erklärte in einem Statement, alle Vorwürfe von Belästigung und Diskriminierung ernst zu nehmen und die Empfehlungen des Gerichts so schnell wie möglich umzusetzen.

Dieser Fall zeigt eindrücklich: Trotz zunehmender rechtlicher Einschränkungen in Großbritannien können trans Personen ihre Rechte erfolgreich durchsetzen. Die Anerkennung durch Wahrnehmung – dass Cole als Frau belästigt wurde, weil ihre Kollegen sie als Frau wahrnahmen – öffnet einen wichtigen juristischen Weg. Für trans Personen in Deutschland und ganz Europa bleibt es essentiell, gegen Diskriminierung aufzustehen und die bestehenden rechtlichen Schutzmechanismen zu nutzen.


Wenn Social Media zum Verhängnis wird: US-Regierung entzieht Deutschen Visum wegen Tweet zu Charlie Kirk

Die Trump-Administration macht Ernst mit ihrer angekündigten Überwachung von Social-Media-Äußerungen: Eine deutsche Person hat ihr US-Visum verloren, nachdem das US-Außenministerium ihr vorwarf, den Tod des rechten Aktivisten Charlie Kirk gefeiert zu haben. Der Vorwurf: Die Person habe in sozialen Netzwerken geschrieben: „Wenn Faschisten sterben, beschweren sich Demokraten nicht". Die Nachricht aus Washington ist auch für die deutsche LGBTQ+-Community von Bedeutung, denn Kirk war einer der bekanntesten transfeindlichen Stimmen der amerikanischen Rechten. Der Fall wirft grundlegende Fragen über Meinungsfreiheit, staatliche Überwachung und die Grenzen politischer Äußerungen auf – ein Thema, das gerade in Deutschland von besonderer Relevanz ist.

Die Meldung findet sich im offiziellen queer.de-Bericht, der die Dimension dieser neuen Politik deutlich macht: Neben der deutschen Person sind auch Staatsangehörige aus Mexiko, Argentinien, Südafrika, Brasilien und Paraguay von dem Visa-Entzug betroffen. Das US-Außenministerium erklärte, „die Vereinigten Staaten sind nicht verpflichtet, Ausländer aufzunehmen, die Amerikanern den Tod wünschen".

Wer war Charlie Kirk – und warum ist sein Tod so umstritten?

Charlie Kirk, der am 10. September 2025 bei einer Veranstaltung der Turning Point USA an der Utah Valley University erschossen wurde, war eine zentrale Figur der amerikanischen Rechten. Doch für die LGBTQ+-Community repräsentierte er etwas anderes: Kirk war eine definierende Stimme für eine neue Generation konservativer Aktivisten geworden – er griff LGBTQ-Rechte an, wetterte gegen Immigration und verstärkte die Kultur-Kriegs-Rhetorik.

Seine transfeindlichen Äußerungen waren besonders drastisch. Im April 2024 forderte Kirk ein landesweites Verbot geschlechtsangleichender Versorgung für trans Menschen und verlangte „Nürnberg-artige" Prozesse für Ärzte, die solche Behandlungen durchführen – ein Verweis auf die NS-Kriegsverbrecherprozesse. In einer Rede im Jahr 2023 sagte Kirk, dass trans Frauen in Damenumkleiden „auf die Art behandelt werden sollten, wie wir Dinge in den 1950er und 60er Jahren geregelt haben", und nannte das Transgender-Thema einen „pochenden Mittelfinger gegenüber Gott".

Die „Catch and Revoke"-Politik: Social Media unter staatlicher Beobachtung

Was hier geschieht, ist mehr als ein Einzelfall. Das US-Außenministerium führt ein Social-Media-Überwachungsprogramm namens „Catch and Revoke" durch, das KI-gestützte Überprüfungen von Zehntausenden von Visum-Inhabern vorsieht, um politische Aktivitäten oder Social-Media-Verhalten zu identifizieren, die die aktuelle Regierung als problematisch ansieht. Die Trump-Administration überprüft mehr als 55 Millionen Menschen mit gültigen US-Visa auf mögliche Verstöße, die zur Abschiebung führen könnten – alle Visum-Inhaber unterliegen einer „kontinuierlichen Überprüfung".

Besonders betroffen sind internationale Studierende. Das Außenministerium hat in diesem Jahr mehr als 6.000 Studierendenvisa widerrufen – fast viermal so viele wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Zu den Verstößen, die „Catch and Revoke" auslösen können, gehören Social-Media-Posts, die US-Politik oder -Kultur kritisieren, verdächtige Reisen in sanktionierte Länder oder finanzielle Aktivitäten, die mit gekennzeichneten Institutionen verbunden sind.

Deutsche Perspektive: Wo liegen die Grenzen der Meinungsfreiheit?

Der Fall wirft auch für Deutschland wichtige Fragen auf. Die Meinungsfreiheit ist ein zentrales Grundrecht in Deutschland, verankert in Artikel 5 des Grundgesetzes. Sie garantiert jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Doch auch dieses Recht hat Grenzen: Im Grundgesetz heißt es, dass diese Rechte ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze finden – etwa in Artikel 130 (Volksverhetzung) des Strafgesetzbuches.

Die Meinungsfreiheit schützt in gewissen Grenzen auch sogenannte Hassrede, also etwa ausländerfeindliche, sexistische oder rassistische Meinungsäußerungen. Auf Grenzen stößt der Schutz solcher Hassrede in zahlreichen verfassungsgemäßen Normen des Strafrechts und des zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutzes. Der deutsche Umgang mit Meinungsfreiheit unterscheidet sich damit fundamental vom amerikanischen Ansatz, wo die Redefreiheit traditionell sehr weit ausgelegt wird.

Die Gefahr für queere Communities: Wenn Rhetorik zu Gewalt wird

Die LGBTQ+-Community in den USA sieht sich nach Kirks Tod mit verschärfter Rhetorik konfrontiert. Führende konservative Influencer haben offen zu Vergeltungskampagnen gegen trans Menschen und die LGBTQ+-Community aufgerufen. Laura Loomer bezeichnete trans Menschen als „Bedrohung für die nationale Sicherheit" und forderte, ihre „Bewegung solle sofort als Terrororganisation klassifiziert werden".

Therapeutinnen in Utah berichten, dass nahezu jede Notiz der letzten Wochen die psychischen Auswirkungen auf LGBTQ+-Klienten nach der Ermordung Kirks erwähnt: „Wir haben eine Zunahme der Angst bei unseren Klienten gesehen – ein Gefühl des Unheils, da sie erkennen, dass Menschen um sie herum sie direkt oder indirekt für gesellschaftliche Übel oder die Gewalt selbst verantwortlich machen könnten".

„Dies ist ein weiteres Beispiel für einen Vorfall, bei dem sie sich auf Waffengewalt konzentrieren sollten, aber stattdessen lehnen sie sich zurück in die Sündenbock-Macherei einer Community – diesmal nicht nur ohne Fakten, sondern mit falschen Fakten. Das richtet echten Schaden an Menschen an, die bereits verletzlich sind", sagte Cathy Renna, langjährige Kommunikationsdirektorin der National LGBTQ Task Force.

Ausblick: Ein Klima der Einschüchterung

Die deutsche Botschaft in Washington hat bestätigt, dass man die Mitteilung des US-Außenministeriums zur Kenntnis genommen habe und die betroffene Person konsularisch unterstütze, sollte sie das wünschen. Doch der Fall zeigt eine beunruhigende Entwicklung: Seit 2017 wurden über 6.000 Visa in den USA aufgrund von Social-Media-Aktivitäten widerrufen oder verweigert – die jüngste Entscheidung des Außenministeriums unterstreicht dramatisch einen sich schnell eskalierenden Trend.

Für queere Menschen weltweit – ob sie nun in die USA reisen möchten oder sich in ihren Heimatländern für LGBTQ+-Rechte einsetzen – sendet diese Politik ein klares Signal: Kritische Äußerungen können weitreichende Konsequenzen haben. Die Grenze zwischen geschützter Rede und Grund für Visa-Verweigerung verschwimmt zunehmend. Während die US-Regierung ihre Social-Media-Überprüfungspraktiken weiter verfeinert, wird das Navigieren durch den Einwanderungsprozess mehr Bewusstsein, Vorsicht und möglicherweise rechtlichen Beistand erfordern.

Der Fall mahnt auch deutsche LGBTQ+-Aktivist*innen zur Vorsicht: In einer Zeit, in der digitale Äußerungen über Ländergrenzen hinweg verfolgt werden können, wird jeder Tweet, jeder Post zur potenziellen Gefahr für zukünftige Reisepläne – oder schlimmer noch, zur Zielscheibe für politische Verfolgung.


Kippt der Bundesrat Dobrindts Sonderregister für trans Personen?

Am Freitag entscheidet der Bundesrat über eine umstrittene Verordnung von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU): eine Petition mit über 256.000 Unterschriften kritisiert das geplante "Sonderregister" als gefährlich und unnötig. Die vom queer.de berichtete Regelung sieht vor, dass Personen, die das seit November 2024 geltende Selbstbestimmungsgesetz nutzen, in speziellen Datenblättern erfasst werden – eine Maßnahme, die erschreckend an die dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte erinnert.

Was plant das Innenministerium?

Der Entwurf sieht vor, dass nach dem zum 1. November 2024 in Kraft getretenen Selbstbestimmungsgesetz Änderungen des Geschlechtseintrags erfasst werden – inklusive Datum, zuständige Behörde, Aktenzeichen sowie frühere Vornamen. Diese Datensätze sollen im Bundeszentralregister dauerhaft vorgehalten und auch der Rentenversicherung und dem Bundeszentralamt für Steuern übermittelt werden.

Das Selbstbestimmungsgesetz sollte eigentlich einen Fortschritt bringen: Es erleichtert trans-, intergeschlechtlichen und nichtbinären Personen, ihren Geschlechtseintrag und ihre Vornamen ändern zu lassen, durch eine Erklärung gegenüber dem Standesamt. Das Bundesverfassungsgericht hatte das über 40 Jahre alte Transsexuellengesetz in mehreren Entscheidungen in wesentlichen Teilen für verfassungswidrig erklärt.

Massive Kritik von Verbänden und Community

Queere Verbände reagieren entsetzt. Der LSVD kritisiert, dass "ein Mechanismus entsteht, der das 'alte Geschlecht' dauerhaft mitführt, obwohl das SBGG gerade darauf abzielt, dass Menschen nach einer Änderung nicht mehr an ihren früheren Geschlechtseintrag gebunden sind". Der Bundesverband Trans* moniert, die Regelung widerspreche dem "antidiskriminierenden Grundgedanken des Selbstbestimmungsgesetzes selbst" – die Speicherung und Weitergabe könne "zu Zwangsoutings im Kontakt mit Behörden führen mit möglichen Folgen wie Diskriminierung und Stigmatisierung".

Berlins Queerbeauftragter Alfonso Pantisano (SPD) erinnerte in einem Gastbeitrag auf queer.de an die einstigen Rosa Listen. Diese historische Parallele ist mehr als berechtigt: Seit dem Kaiserreich gab es in Deutschland Listen von männlichen Homosexuellen, die die Polizei angelegt hatte, um die Verfolgung von Straftaten gegen § 175 zu erleichtern. Die von der Polizei der Weimarer Republik gesammelten Datenbestände fielen nach der Machtergreifung 1933 den Nazis in die Hände und dienten der Gestapo zur Verfolgung der Homosexualität in der Zeit des Nationalsozialismus. Die "Rosa Listen" der Nazis wurden von der Polizei der Bundesrepublik bis in die achtziger Jahre fortgeführt.

Widerstand im Bundesrat – eine Frage der Mehrheit

Die Entscheidung liegt nun bei den Bundesländern. Der federführende Innenausschuss und der Rechtsausschuss des Bundesrates empfehlen ohne weiteren Kommentar, der Verordnung zuzustimmen. Doch es gibt auch Gegenstimmen: Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend plädiert auf vollständige Ablehnung – die Verordnung sei "nicht erforderlich", sie missachte "den besonderen Schutzbedarf der betroffenen Personengruppe und setzt sie einem erhöhten Diskriminierungsrisiko aus".

Der Ausschuss verweist auf den Koalitionsvertrag von Union und SPD, der zum Selbstbestimmungsgesetz eine Evaluierung vorsieht und festhält: "Im Rahmen der Namensrechtsreform nehmen wir die bessere Nachverfolgbarkeit aller Personen bei berechtigtem öffentlichem Interesse bei Namensänderungen in den Blick". Eine allgemeine Lösung statt Sonderregelungen für eine marginalisierte Gruppe – das wäre der richtige Weg.

Deutschland im internationalen Kontext

Während Deutschland bei trans Rechten einen Rückschritt zu machen droht, zeigt der internationale Vergleich, dass viele Länder längst weiter sind. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates hat die EU-Mitgliedsstaaten bereits 2015 dazu aufgefordert, einfache Verfahren zur Änderung von Vorname und Geschlechtseintrag für trans Personen zu schaffen, die ohne Zwangsbegutachtungen auskommen. Mit Stand März 2023 verfügten elf europäische Staaten über gesetzliche Verfahren zur Geschlechtsanerkennung auf Grundlage der Selbstbestimmung: Belgien, Dänemark, Finnland, Island, Irland, Luxemburg, Malta, Norwegen, Portugal, Spanien und die Schweiz.

Ein Bericht aus dem Jahr 2022, der bestehende Selbstbestimmungsmodelle in verschiedenen Ländern untersucht hat, zeigt, dass kein Fall einer Änderung des Geschlechtseintrags aus betrügerischen oder kriminellen Absichten bekannt geworden ist. Die Angst vor Missbrauch, die oft als Argument für mehr Kontrolle angeführt wird, ist durch Fakten nicht gedeckt.

Ein gefährlicher Präzedenzfall

Die geplante Verordnung ist mehr als eine technische Anpassung des Meldewesens – sie ist ein Angriff auf die Würde und Sicherheit von trans, inter und nichtbinären Menschen. Sie schafft einen Mechanismus staatlicher Überwachung, der eine vulnerable Minderheit systematisch erfasst und markiert. Die Geschichte hat gezeigt, wohin solche Listen führen können.

Am Freitag wird sich zeigen, ob die Länderkammer den Mut hat, diese gefährliche Verordnung zu stoppen. Es geht dabei nicht nur um Datenschutz – es geht um Menschenrechte, um die Anerkennung geschlechtlicher Vielfalt und darum, ob Deutschland aus seiner Geschichte gelernt hat. Die queere Community und über 256.000 Unterzeichner*innen der Petition haben eine klare Botschaft: Nie wieder Listen gegen Minderheiten!


Bibliotheksdirektorin erhält 700.000 Dollar nach Kündigung wegen queerer Bücher – Ein Signal für Meinungsfreiheit

In einem wegweisenden Fall aus den USA hat eine ehemalige Bibliotheksdirektorin einen Vergleich über 700.000 Dollar (etwa 645.000 Euro) erreicht, nachdem sie entlassen wurde, weil sie sich weigerte, LGBTQ+-Bücher aus den Regalen zu entfernen. Terri Lesley wurde 2023 als Leiterin des Bibliothekssystems im Campbell County, Wyoming, nach 27 Dienstjahren entlassen, wie PinkNews berichtet. Die Entscheidung sendet ein starkes Signal für Informationsfreiheit und gegen Diskriminierung – und ist auch für Deutschland relevant.

Ein jahrelanger Kampf für die Meinungsfreiheit

Lesley arbeitete seit 1996 im örtlichen Bibliothekssystem und war seit 2012 Direktorin. Ihre Kündigung erfolgte im Juli 2023 nach jahrelangem Streit mit Bezirksbeamten und Bewohnern über sexuelle Themen und LGBTQ+-Inhalte in Kinder- und Jugendbüchern. Die Kontroverse begann 2021, als die Bibliothek auf Facebook den Rainbow Book Month feierte, eine Initiative der American Library Association zur Würdigung von LGBTQ+-Autoren.

Die umstrittenen Titel umfassten "This Book is Gay" von Juno Dawson, "How Do You Make a Baby" von Anna Fiske, "Gender Queer" von Maia Kobabe und "Sex is a Funny Word" von Corey Silverberg. Aktivisten erstatteten sogar Anzeige bei der Polizei mit dem Vorwurf, Lesley verbreite obszöne Inhalte an Kinder – ein Straftatbestand in Wyoming. Ein Sonderstaatsanwalt kam jedoch zu dem Schluss, dass die genannten Bücher nicht obszön seien.

Rechtlicher Erfolg und verfassungsrechtliche Bedeutung

Lesley verklagte im vergangenen Frühjahr Campbell County wegen ihrer Kündigung und erreichte diese Woche einen Vergleich mit den Bezirksbehörden. "Ich fühle mich bestätigt. Es war ein steiniger Weg, aber ich werde es nie bereuen, für den First Amendment einzutreten", erklärte sie. Die US-Gleichstellungsbehörde EEOC erlaubte die Klage auf Basis einer früheren Beschwerde von Lesley.

"Wir hoffen, dass dies zumindest eine Botschaft an andere Bibliotheksbezirke, andere Staaten und Landkreise sendet, dass der First Amendment lebendig und stark ist und dass unsere Werte gegen Diskriminierung ebenfalls lebendig und stark bleiben", sagte Lesleys Anwältin Iris Halpern. "Dies sind öffentliche Einrichtungen, es sind Regierungsbeamte, sie müssen ihre verfassungsmäßigen Verpflichtungen im Auge behalten". Die Vereinbarung stellt jedoch keine Anerkennung der Vorwürfe durch die Beklagten dar.

Eine Epidemie der Buchverbote in den USA

Der Fall Lesley steht exemplarisch für eine besorgniserregende Entwicklung in den Vereinigten Staaten. Im Schuljahr 2024-2025 verzeichnete PEN America 6.870 Buchverbote in 23 Staaten, die fast 4.000 verschiedene Titel betrafen. Florida war zum dritten Mal in Folge der führende Staat mit 2.304 Verboten, gefolgt von Texas mit 1.781 und Tennessee mit 1.622.

Im Jahr 2025 ist Buchzensur in den USA weit verbreitet und alltäglich. Nie zuvor im Leben eines lebenden Amerikaners wurden so viele Bücher systematisch aus Schulbibliotheken im ganzen Land entfernt. Nie zuvor haben so viele Bundesstaaten Gesetze oder Vorschriften verabschiedet, um das Verbot von Büchern zu erleichtern. Die Daten zeigen, dass die Mehrheit der Zensurversuche mittlerweile von organisierten Bewegungen ausgeht. Druck- und Interessengruppen sowie Regierungsstellen, darunter gewählte Beamte, Vorstandsmitglieder und Verwaltungsbeamte, initiierten 72% der Forderungen zur Zensur von Büchern in Schul- und öffentlichen Bibliotheken.

Queere Bücher im Visier der Zensur

Bei historischen und biografischen Büchern, die im vergangenen Jahr verboten wurden, betrafen 26% Schwarze Menschen und 25% LGBTQ+-Personen. Bücher mit LGBTQ-Themen und -Charakteren – wie "Gender Queer" und "Last Night at the Telegraph Club" – gehören durchweg zu den am häufigsten verbotenen Büchern in den jährlichen Berichten von PEN America und der American Library Association.

LGBTQ+-Geschichten werden aus Klassenzimmern ausgelassen, anstatt Geschichten und Bücher anzubieten, die alle Schüler und Familien widerspiegeln. LGBTQ+-Schülern und ihren Familien wird faktisch die Freiheit verweigert, über sich selbst und ihre Mitmenschen zu lesen.

Relevanz für Deutschland: Bibliotheken als demokratische Räume

Auch wenn in Deutschland keine vergleichbare Welle von Buchverboten stattfindet, ist der Fall dennoch relevant. Der Schriftstellerverband PEN America verzeichnete im Schuljahr 2023/2024 mehr als 10.000 Buchverbote an öffentlichen Schulen. Die Zensur richtet sich hauptsächlich gegen Bücher, die Themen wie LGBTQ+, Sexualität, Rassismus sowie gesellschaftskritische oder politisch kritische Inhalte aufgreifen.

Deutsche Bibliotheken sind sich dieser Gefahr bewusst. Die Stadtbibliothek Freising gestaltete einen Thementisch mit vielen in Amerika umstrittenen Büchern von der "Banned Book-Liste". Die Idee wurde zu einem "Renner", mit dem niemand gerechnet hätte. Die Universitätsbibliothek Kiel zeigt unter dem Titel "Banned Books" eine Ausstellung, die sowohl die Bücherverbrennungen im nationalsozialistischen Deutschland als auch gegenwärtige Zensurmaßnahmen in Bezug auf queere Themen beleuchtet, insbesondere in den USA.

In Deutschland können Bücher zwar verboten oder der Öffentlichkeit vorenthalten werden, dies geschieht jedoch niemals willkürlich oder ohne rechtliche Grundlage. Solche Maßnahmen erfolgen nur unter festgelegten gesetzlichen Voraussetzungen, beispielsweise wenn Bücher als jugendgefährdend eingestuft werden oder Inhalte enthalten, die als strafbar gelten.

Queere Bibliotheken als Gegenbewegung

In Deutschland entstehen als Antwort auf mangelnde Sichtbarkeit queerer Themen eigene Initiativen. Das QueerFenster der Zentral- und Landesbibliothek Berlin bietet allen Menschen queere Literatur und Medien sowie Infos zu LGBTQIA+. Die Idee zu einer queeren Bibliothek erwuchs aus dem Mangel an Sichtbarkeit. Es gebe bestimmt 300 Bücher mit queeren Protagonisten, über queeres Leben und Lieben, nur leider seien diese eben weniger sichtbar. Das zeige sich auch daran, dass queere Literatur in herkömmlichen Bibliotheken wie der Stadt- oder Universitätsbibliothek schlichtweg nicht oder nur schwer zu finden sind.

Ein Zeichen der Hoffnung

Nach der Einigung sagte Lesley, es sei eine Erleichterung, ein schwieriges Kapitel zu schließen. "Es war ein langer und stressiger Weg", sagte sie. "Aber es fühlt sich gut an, darüber hinwegzukommen und für intellektuelle Freiheit und das Recht auf Lesen eingestanden zu sein". Eine separate Klage gegen die lokalen Aktivisten, die sie ins Visier genommen haben, läuft noch, mit einem Gerichtsverfahren, das für März angesetzt ist.

Der Fall Terri Lesley ist ein Sieg für die Informationsfreiheit und ein wichtiges Signal: Bibliotheken sind demokratische Räume, in denen alle Stimmen gehört werden müssen – auch und gerade die von marginalisierten Gemeinschaften. In Zeiten zunehmender Polarisierung ist es wichtiger denn je, dass Bibliotheken ihrer Rolle als Hüterinnen der Vielfalt gerecht werden.


Wenn Trans-Sein zum Verbrechen erklärt wird: Umstrittenes Urteil in Großbritannien erschüttert die Community

Ein Urteil aus Großbritannien schockiert die LGBTQ+-Community weltweit: Die 21-jährige trans Frau Ciara Watkin wurde zu 21 Monaten Haft verurteilt, weil sie vor intimen Kontakten mit einem Mann nicht offenlegte, dass sie trans ist. Der Fall, über den die queere Nachrichtenseite queer.de berichtet, wirft grundlegende Fragen über Selbstbestimmung, Diskriminierung und die Rechte von trans Personen auf – und zeigt, wie dramatisch sich die Lage in Großbritannien verschärft hat.

Das Urteil: Trans-Sein als "Täuschung"

Ciara Watkin hatte den gleichaltrigen Mann 2022 über Snapchat kennengelernt. Sie hatte ihm laut Anklage mitgeteilt, dass sie ihre Periode habe, damit er sie nicht unterhalb der Gürtellinie berühre, da sie noch keine geschlechtsangleichende Operation hatte. Später offenbarte sie ihm ihre Trans-Identität – woraufhin er sie bei der Polizei anzeigte.

Die Staatsanwaltschaft argumentierte, der Mann habe keine "informierte Einwilligung" geben können. Nach der aktualisierten Richtlinie der Crown Prosecution Service zur "Täuschung über das Geschlecht" wird nun auch das bloße Nicht-Offenlegen der Trans-Identität als Täuschung gewertet. Die Jury brauchte nur eine Stunde, um Watkin schuldig zu sprechen.

Besonders erschütternd: Der Richter warf der Angeklagten vor, zu "überzeugend" als Frau aufzutreten und dadurch ihre Trans-Identität "versteckt" zu haben. Watkin wurde außerdem angewiesen, sich zehn Jahre lang als Sexualstraftäterin registrieren zu lassen und muss ihre Strafe in einem Männergefängnis absitzen – obwohl sie vor Gericht mit weiblichen Pronomen angesprochen wurde.

Die unmögliche Situation für trans Frauen

Aktivist*innen kritisieren, dass trans Frauen in eine "unmögliche Situation" gedrängt werden: Entweder müssen sie sich sehr früh outen und riskieren Ablehnung oder Gewalt, oder sie warten – und setzen sich dann einer möglichen Strafverfolgung aus. Jane Fae von TransActual betont: "Bisexuelle, cisgeschlechtliche Menschen, Konservative oder evangelikale Christen müssen ihren Status vor dem Sex ja auch nicht offenlegen. Warum wird das nur bei trans Menschen verlangt?"

Die aktualisierte CPS-Richtlinie stellt klar: Es gibt keinen Unterschied zwischen aktiver Täuschung und dem bloßen Nicht-Offenlegen der bei Geburt zugewiesenen Geschlechtszugehörigkeit. Es wird ausdrücklich nicht erwartet, dass die andere Person nachfragt. Diese Rechtslage macht Dating für trans Personen zu einem Minenfeld.

Supreme Court-Urteil verschärft die Lage dramatisch

Watkins Verurteilung kommt nicht aus dem Nichts. Im April 2025 entschied der britische Supreme Court in "For Women Scotland v. The Scottish Ministers", dass "Geschlecht" im britischen Recht ausschließlich das bei der Geburt zugewiesene biologische Geschlecht bedeutet. Das Gericht definierte, dass selbst mit einem Gender Recognition Certificate keine Anpassung dieser rechtlichen Zuordnung erfolgt.

Die Folge: Trans Personen werden nun von geschlechtsgetrennten Räumen ausgeschlossen, die ihrer Geschlechtsidentität entsprechen, und müssen entsprechend ihres bei Geburt zugewiesenen Geschlechts behandelt werden. So dürfen etwa Frauenverbände keine trans Frauen mehr aufnehmen, und Männerverbände keine trans Männer. Auch im Sport wurden trans Frauen vom Frauenfußball ausgeschlossen.

Ein Blick nach Deutschland: Ein anderer Weg

Während Großbritannien trans Rechte massiv einschränkt, geht Deutschland einen anderen Weg. Am 1. November 2024 trat das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) in Kraft, das es trans, intergeschlechtlichen und nicht-binären Personen erleichtert, ihren Geschlechtseintrag und Vornamen ändern zu lassen.

Die Änderung erfolgt durch eine einfache Erklärung gegenüber dem Standesamt – ohne gerichtliche Entscheidung und ohne Sachverständigengutachten. Das neue Gesetz ersetzt das diskriminierende Transsexuellengesetz von 1980, das vom Bundesverfassungsgericht in wesentlichen Teilen für verfassungswidrig erklärt worden war.

Wie Human Rights Watch betont, zeigt das Gesetz, dass die Bundesregierung die Grundrechte von trans und nicht-binären Menschen unterstützt, was zu einem breiteren Verständnis und einer größeren Akzeptanz beiträgt. Deutschland folgt damit 16 weiteren Staaten mit vergleichbaren Regelungen, darunter Argentinien, Belgien, Dänemark, Irland, Malta, Norwegen, Portugal und Spanien.

Zwei Länder, zwei völlig unterschiedliche Wege

Der Kontrast könnte kaum größer sein: Während Deutschland die Selbstbestimmung stärkt und bürokratische Hürden abbaut, kriminalisiert Großbritannien faktisch trans Existenz. Trans-Aktivistin India Willoughby bezeichnet Großbritannien inzwischen als "das transfeindlichste Land Europas" – ein dramatischer Befund für eine westliche Demokratie.

Das britische Urteil gegen Ciara Watkin ist mehr als nur ein Einzelfall. Es ist Symbol für eine gefährliche Entwicklung, in der trans Personen ihre bloße Existenz rechtfertigen und offenlegen müssen – unter Androhung von Gefängnisstrafen. Es zeigt, wie schnell hart erkämpfte Rechte wieder verloren gehen können.

Für trans Menschen in Deutschland ist das britische Beispiel eine Warnung: Rechte sind nie selbstverständlich und müssen verteidigt werden. Gleichzeitig ist das neue Selbstbestimmungsgesetz ein Hoffnungszeichen – dass Fortschritt möglich ist, wenn Menschenrechte ernst genommen werden.

Die Geschichte von Ciara Watkin erinnert uns daran, dass der Kampf für Gleichberechtigung und Würde aller Menschen noch lange nicht vorbei ist – weder in Großbritannien noch anderswo.


Tübinger Prozess: Wenn extreme Gewalt auf das Schweigen der Gesellschaft trifft

Ein unfassbarer Fall erschüttert derzeit das Landgericht Tübingen: Ein 30-jähriger Mann steht vor Gericht, weil er am 6. November 2024 einen 24-Jährigen aus einem Fenster im zweiten Stock gestoßen und den schwer verletzten Mann anschließend vergewaltigt haben soll, wie queer.de berichtet. Der Angeklagte schweigt zum Prozessauftakt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm versuchten Totschlag und Vergewaltigung vor – und behält sich Sicherungsverwahrung vor.

Die brutale Tat und ihre Folgen

Laut Polizei hatte das 24-jährige Opfer am 6. November gemeinsam mit dem späteren Tatverdächtigen Alkohol sowie Marihuana konsumiert. Was dann geschah, ist von einer Brutalität, die erschüttert: Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann vor, das Opfer in Tötungsabsicht mit beiden Händen durch das Fenster gestoßen zu haben. Der 24-Jährige stürzte aus sieben Metern Höhe und erlitt schwerste Verletzungen – Prellungen, Frakturen und einen Leberriss. Er schwebte zeitweise in Lebensgefahr.

Doch die Tat endete nicht mit dem Sturz. Anschließend soll der Angeklagte das lebensgefährlich verletzte Opfer, das den Angriff überlebte, vergewaltigt haben. Er soll die Treppe hinuntergelaufen sein, dem Opfer die Hose halb heruntergezogen und in den Schwerverletzten eingedrungen sein – während er die Tat filmte. Erst das Eingreifen von Zeuginnen und Zeugen beendete die Gewalt. Acht Tage nach der Tat wurde der Mann bei einem Angehörigen in Hamburg entdeckt und festgenommen.

Das verdrängte Tabu: Sexualisierte Gewalt gegen Männer

Dieser Fall ist nicht nur wegen seiner extremen Brutalität erschütternd, sondern auch weil er ein gesellschaftliches Tabuthema sichtbar macht, das viel zu oft im Dunkeln bleibt: sexualisierte Gewalt gegen Männer. Sexualisierte Gewalt an Männern ist nach wie vor ein großes Tabu, erklärt das Projekt MUT – Traumahilfe für Männer in Berlin. Das Thema ist bei Männern noch stärker tabuisiert als bei Frauen – quasi ein Tabu im Tabu, bestätigt auch eine Expertin des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes.

Die Zahlen zeigen das Ausmaß: Die für Deutschland veröffentlichte Kriminalstatistik von 2021 beinhaltet 2.419 Fälle sexueller Übergriffe auf Jungen oder Männer, wovon 599 der Taten Vergewaltigung, sexuelle Nötigung und sexueller Übergriff in besonders schwerem Maße darstellten. Die tatsächliche Zahl dürfte, aufgrund der hohen Dunkelziffer, jedoch deutlich höher liegen. In Deutschland sind etwa ein Drittel der minderjährigen Opfer von Vergewaltigungen oder sexueller Nötigung männlich – im Jahr 2020 etwa 5.000 minderjährige, männliche Opfer.

Warum schweigen so viele Betroffene?

Die Gründe für das Schweigen sind vielfältig und tief in gesellschaftlichen Rollenbildern verwurzelt. Für Männer widerspreche es dem gängigen gesellschaftlichen Bild, Opfer zu werden. Männern müsse oft klargemacht werden: „Wenn ich Opfer geworden bin, heißt das nicht, dass ich jetzt kein Mann mehr bin", so eine Fachberaterin. Die meisten männlichen Vergewaltigungsopfer wollen und können häufig nicht wahrhaben, dass sie vergewaltigt worden sind, und versuchen, die Tat zu verdrängen und zu verschweigen. Sprechen sie doch über die sexuellen Übergriffe, so geht dies oft mit einer Verharmlosung einher.

Besonders dramatisch: Die Selbstmordrate von Männern, die vergewaltigt wurden, liegt 14–15 mal höher als bei Männern, die keiner sexuellen Straftat zum Opfer gefallen sind. Viele der männlichen Betroffenen suchen sich erst Hilfe, nachdem sie bereits einen oder mehrere Selbstmordversuch(e) überlebt haben.

Der Mangel an Hilfsangeboten

Die meisten Beratungsstellen gegen sexualisierte Gewalt sind aus der Frauenbewegung heraus entstanden und konzentrierten sich ursprünglich auf Frauen und Mädchen als Opfer. Es gibt generell kaum Angebote für männliche Betroffene. Erst langsam entsteht ein Bewusstsein für diese Lücke im Hilfesystem.

In Deutschland gibt es mittlerweile einige spezialisierte Anlaufstellen für männliche Gewaltopfer. Männer, die Gewalt erlebt haben oder noch erleben, können kostenlos und anonym das bundesweite Hilfetelefon unter der Nummer 0800 123 9900 erreichen. Weitere Hilfsangebote finden sich bei Projekten wie MUT – Traumahilfe für Männer in Berlin, der Schwulenberatung Berlin oder bei spezialisierten Fachberatungsstellen in verschiedenen Bundesländern.

Der Prozess und seine Bedeutung

Für den Prozess am Landgericht Tübingen sind noch vier Verhandlungstage angesetzt. Ein Urteil könnte am 27. Oktober fallen. Der Fall wirft grundlegende Fragen auf: über die Natur extremer Gewalt, über die Mechanismen, die sie möglich machen, und über die gesellschaftlichen Strukturen, die männlichen Opfern das Schweigen aufzwingen.

Dass der Angeklagte schweigt, mag sein Recht sein. Doch die Gesellschaft darf nicht länger schweigen – nicht über die Realität sexualisierter Gewalt gegen Männer, nicht über die Notwendigkeit adäquater Hilfsangebote und nicht über die destruktiven Männlichkeitsbilder, die Betroffene daran hindern, Hilfe zu suchen.

Der Fall in Tübingen ist ein Weckruf. Er erinnert uns daran, dass Gewaltprävention und Opferschutz nur funktionieren können, wenn wir alle Formen von Gewalt und alle Betroffenen sehen – unabhängig von ihrem Geschlecht.

Hilfe und Beratung

Betroffene von sexualisierter Gewalt – unabhängig vom Geschlecht – finden Unterstützung bei:

  • Männerhilfetelefon: 0800 123 9900 (kostenlos und anonym)
  • Hilfetelefon bei sexualisierter Gewalt: 0800 22 55 530
  • Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen": 116 016
  • Telefonseelsorge: 0800 1110111 oder 0800 1110222
  • Weißer Ring (Opferhilfe): 116 006

Weitere Informationen zu Beratungsstellen finden sich beim Lesben- und Schwulenverband (LSVD) sowie bei regionalen LGBTIQ+-Organisationen.


Wenn Wahn und Internalisierte Homophobie töten: Konstanzer Prozess zeigt tödliche Folgen psychischer Erkrankung

In einem erschütternden Fall vor dem Landgericht Konstanz steht ein 50-jähriger Jordanier vor Gericht, der wegen einer psychischen Erkrankung möglicherweise dauerhaft in der Psychiatrie untergebracht werden soll. Mit 72 Messerstichen soll er einen 36-jährigen Freund getötet haben – aus einem Wahn heraus, dieser könne seine Gedanken lesen, wie die Originalquelle bei queer.de berichtet.

Paranoide Schizophrenie und sexuelle Identitätskonflikte

Sachverständige diagnostizierten bei dem Beschuldigten eine paranoide Schizophrenie. Nach Überzeugung der Ermittler*innen entwickelte der Mann eine bizarre Wahnvorstellung: Er war fest davon überzeugt, das Opfer könne seine Gedanken lesen, nachdem die beiden in den vergangenen Jahren mehrmals Oralverkehr hatten. Der Mann soll geglaubt haben, der Bekannte habe sein Sperma aufgenommen – und damit die Fähigkeit erlangt, seine Gedanken zu lesen.

Besonders aufschlussreich für den Fall ist die Aussage des Angeklagten selbst: "Das Opfer sei homosexuell gewesen, er sei es nicht und habe sich nur auf Experimente eingelassen". Diese Distanzierung von der eigenen sexuellen Orientierung trotz jahrelanger sexueller Kontakte weist auf eine tiefe internalisierte Homophobie hin – ein Phänomen, das wissenschaftliche Studien mit erhöhten psychischen Belastungen in Verbindung bringen.

Die tödliche Mischung: Kultureller Hintergrund und psychische Erkrankung

Der Beschuldigte stammt aus Jordanien, einem Land, in dem trotz der Abwesenheit expliziter Gesetze gegen gleichgeschlechtliche Beziehungen die Kombination aus vagen Moralgesetzen, öffentlicher Feindseligkeit und fehlendem Rechtsschutz Sicherheitskräften und Privatpersonen faktisch freie Hand gibt, LGBTQ-Personen zu verfolgen. Sicherheitskräfte in Jordanien haben LGBTQ-Aktivist*innen mit Gewaltandrohungen, Verhaftung und Strafverfolgung eingeschüchtert, was mehrere Aktivist*innen zwang, ihre Organisationen zu schließen und das Land zu verlassen.

Diese Sozialisation in einem zutiefst homophoben Umfeld traf auf eine schwere psychische Erkrankung. Der Beschuldigte, der seit vielen Jahren in Deutschland lebt, war nach eigener Aussage mehrfach wegen Drogenkonsums in psychiatrischer Behandlung. In seinen Aussagen sprach er von "Chaos im Kopf" und der Angst, auch andere könnten seine Gedanken lesen.

Deutschland: Steigende Gewalt gegen LGBTQ+-Menschen

Dieser extreme Fall wirft auch ein Schlaglicht auf die Situation queerer Menschen in Deutschland. Das Bundesinnenministerium registrierte über 1.400 Hassverbrechen gegen Angehörige der LGBTQ-Gemeinschaft in Deutschland. Während die LGBTQ+-Bevölkerung Deutschlands in fünf Jahren um etwa 50% wuchs, stiegen Hassverbrechen in nur einem Jahr um 50%. Seit 2013, als nur 50 Angriffe registriert wurden, hat sich die Zahl fast verdreißigfacht.

Im Jahr 2023 richteten sich 1.785 Straftaten gegen LSBTIQ*-Personen (im Jahr 2022: 1.188). Zu den häufigsten gegen LSBTIQ* gerichteten Straftaten gehörten Beleidigungen, Gewalttaten, Volksverhetzungen sowie Nötigungen und Bedrohungen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser warnte: "Die Zunahme an queerfeindlichen Straftaten in den vergangenen Jahren ist erschreckend. Zudem müssen wir von einer hohen Dunkelziffer ausgehen, viele Betroffene zeigen Straftaten nicht an".

Psychische Gesundheit der LGBTQ+-Community: Ein unterschätztes Problem

Der Fall in Konstanz macht auch deutlich, wie eng psychische Erkrankungen und die Erfahrung von Diskriminierung zusammenhängen können. Menschen, die lesbisch, schwul, bisexuell, trans, queer oder inter sind, sind fast dreimal häufiger von Depressionen und Burnout betroffen, wie eine Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und der Universität Bielefeld zeigt.

Internalisierte Homophobie ist signifikant mit einer hohen Prävalenz internalisierender psychischer Störungen wie Depression, Angst und stressbedingten Störungen assoziiert. Eine Meta-Analyse von 31 Studien mit 5.831 LGBTQ-Personen ergab eine kleine bis moderate Effektgröße für die Beziehung zwischen internalisierter Homophobie und psychischen Gesundheitsproblemen. Höhere Werte internalisierter Homophobie waren mit höheren Werten bei dimensionalen Messungen internalisierender psychischer Gesundheitsprobleme verbunden.

Ein Einzelfall mit systemischen Ursachen

Der schreckliche Tod des 36-jährigen schwulen Mannes ist zweifellos ein Extremfall. Doch er zeigt, wie gefährlich die Kombination aus unbehandelter psychischer Erkrankung, Drogenmissbrauch und tief verinnerlichter Homophobie sein kann. Die Verteidigung der eigenen heterosexuellen Identität war für den Angeklagten offenbar so zentral, dass er sie selbst nach dem Mord vor Gericht betonte.

Der Prozess, für den vier weitere Verhandlungstage angesetzt sind, bei denen zwölf Zeug*innen und zwei Sachverständige aussagen sollen, wird Ende Oktober mit einem Urteil erwartet. Unabhängig vom Ausgang bleibt dieser Fall eine schmerzhafte Erinnerung daran, dass queere Menschen – ob in Jordanien, Deutschland oder anderswo – weiterhin unter den Folgen von Homophobie leiden, die von außen kommt oder von innen zerstört.

Der Fall macht deutlich: Wir brauchen nicht nur besseren Zugang zu psychiatrischer Versorgung, sondern auch eine Gesellschaft, in der niemand seine sexuelle Orientierung als so bedrohlich empfinden muss, dass daraus lebensbedrohliche Wahnvorstellungen entstehen können.


Homophobe und rassistische Attacke in Friedrichshain: Wenn Hass zur Alltäglichkeit wird

In der Nacht zu Sonntag wurden fünf Menschen vor einem Lokal in der Tamara-Danz-Straße in Berlin-Friedrichshain aus einer Gruppe heraus homophob und rassistisch beleidigt, zudem wurde der Hitlergruß gezeigt und Steine nach ihnen geworfen. Wie queer.de berichtet, nahm die Polizei zwei Tatverdächtige im Alter von 19 und 21 Jahren fest, die Teil einer Gruppe von 15 bis 20 Personen waren. Die Ermittlungen wegen Beleidigung, Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen sowie versuchter gefährlicher Körperverletzung dauern an.

Ein Vorfall, der die besorgniserregende Entwicklung widerspiegelt

Dieser Angriff reiht sich in eine erschreckende Statistik ein: Laut Staatsanwaltschaft Berlin wurden 791 queerfeindliche Angriffe 2023 zur Anzeige gebracht – innerhalb von vier Jahren hat sich die Zahl fast verdoppelt. Die Opferberatungsstelle Maneo zählte 2024 so viele queerfeindliche Vorfälle wie noch nie in Berlin. Besonders besorgniserregend: Die häufigsten Delikte waren mit jeweils 32 Prozent Beleidigungen und einfache bzw. gefährliche (versuchte) Körperverletzungen, 27 Prozent der gemeldeten Fälle entsprachen Delikten der Nötigung und Bedrohung.

Die Attacke in Friedrichshain zeigt auch die gefährliche Verbindung von Queerfeindlichkeit, Rassismus und rechtsextremer Symbolik. In 17 Prozent aller angezeigten Fälle trans- und homophober Gewalt wurden weitere Dimensionen politisch motivierter Kriminalität dokumentiert, insbesondere Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus.

Friedrichshain: Queere Vielfalt und wachsende Bedrohung

Friedrichshain ist queer – das zeigt sich nicht nur an einigen Bars, die speziell auf die Community zugeschnitten sind, und Clubs wie Berghain und Blank. Das Queere Kompetenzzentrum in Friedrichshain ist ein Zusammenschluss der Berliner Projekte Trialog Jugendhilfe gGmbH, TransInterQueer e.V. und ABqueer e.V., die wichtige Beratungs- und Unterstützungsarbeit leisten. Doch gerade dort, wo queeres Leben besonders sichtbar ist, steigt auch die Gefahr: Geografisch liegen vor allem die Bezirke im Fokus, die gleichzeitig als queere Szenehotspots gelten, also beispielsweise Mitte, Tempelhof-Schöneberg und Friedrichshain-Kreuzberg – Orte, an denen queeres Leben besonders sichtbar ist.

Ein deutschlandweites Problem mit steigender Tendenz

Berlin ist kein Einzelfall. Die polizeilichen Fallzahlen zeigen einen besorgniserregenden Anstieg queerfeindlicher Straftaten über die vergangenen Jahre, wie das Bundesministerium des Innern und das Bundeskriminalamt in ihrem Lagebericht feststellten. Die Gesamtzahl der Straftaten gegen LSBTIQ* hat sich in Niedersachsen seit dem Jahr 2020 von 37 auf insgesamt 211 im Jahr 2024 erhöht. Der Bundesinnenminister erklärte, die Polizei habe über 1.400 Hassverbrechen gegen Mitglieder der LGBTQ-Communities in Deutschland registriert.

Die Dunkelziffer bleibt dabei erschreckend hoch: Laut Experten ist davon auszugehen, dass "neun von zehn Fällen in polizeilichen Statistiken gar nicht auftauchen". In Bezug auf das Täterklientel sind sich fast alle Auswertungen einig: Die Tatverdächtigen sind fast ausnahmslos männlich, immer häufiger unter 20 Jahre alt und nicht selten polizeibekannt.

Die Bedeutung gezielter Öffentlichkeitsarbeit

Ein Grund, warum aus Berlin besonders viele Fälle bekannt werden, liegt in der konsequenten Öffentlichkeitsarbeit: Die Berliner Polizei publiziert mögliche Hassverbrechen aufgrund der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität gezielt. Berlin verfügt mit dem mehr als 300 Seiten langen Monitoringbericht als einziges Bundesland über ein Instrument, queerfeindliche Hassgewalt detailliert zu untersuchen. Die Polizei und die Staatsanwaltschaft in der Hauptstadt haben eigene Ansprechpartner*innen für queere Menschen.

Diese Transparenz ist wichtig, um das wahre Ausmaß queerfeindlicher Gewalt sichtbar zu machen und Betroffene zu ermutigen, Anzeige zu erstatten. Der aktuelle Vorfall in Friedrichshain zeigt einmal mehr: Queerfeindlichkeit ist keine Randerscheinung, sondern eine reale Bedrohung im Alltag vieler LGBTIQ+ Menschen – auch im Jahr 2025, auch in vermeintlich liberalen Kiezen.


"Ich bringe euch um" – Homofeindlicher Angriff in Bremen erschüttert queere Community

Am Samstagabend wurden ein schwules Paar am Bremer Bahnhofsplatz Opfer einer homofeindlichen Bedrohung. Ein 22-jähriger Mann sprach die beiden Männer gezielt an einer Haltestelle an und fragte sie, ob sie homosexuell seien. Queerfeindliche Straftaten stiegen im Jahr 2023 zum siebten Jahr in Folge und auf einen neuen Höchststand. Wie queer.de berichtet, eskalierte die Situation schnell: Nachdem das Paar die Frage bejahte, beschimpfte der Täter sie und drohte damit, sie umzubringen.

Schnelle Polizeireaktion nach mutiger Dokumentation

Als die beiden Männer begannen, den Angreifer zu filmen, ergriff dieser die Flucht. Das Paar wandte sich unmittelbar nach 20 Uhr an Polizeikräfte am Bahnhofsplatz und schilderte den Vorfall. Die Beamten konnten vor Ort noch einen 22-jährigen Tatverdächtigen stellen. Gegen ihn wurde eine Strafanzeige wegen Bedrohung gefertigt. Zusätzlich führten die Einsatzkräfte eine Gefährderansprache mit dem Mann durch und erteilten ihm einen Platzverweis.

Teil eines alarmierenden bundesweiten Trends

Der Vorfall in Bremen reiht sich in eine besorgniserregende Entwicklung ein. Im Jahr 2023 richteten sich 1.785 Straftaten gegen LSBTIQ* Personen (im Jahr 2022: 1.188). Bei den Gewalttaten wurden 212 Opfer (im Jahr 2022: 197) festgestellt. Der Dunkelfeld-Studie der Europäischen Agentur für Grundrechte zufolge zeigten 96 Prozent der LSBTIQ* Hate Speech und 87 Prozent körperliche oder sexuelle Übergriffe nicht an.

Die Zeitpunkte LSBTIQ*-feindlicher Straftaten überschneiden sich mit dem Ausgehleben im öffentlichen Raum – im Frühling und Sommer, am Wochenende und in den Abendstunden. Die ermittelten Tatverdächtigen LSBTIQ*-feindlicher Straftaten sind nahezu ausnahmslos männlich, häufig jung und auffällig oft bereits polizeilich bekannt.

Beratungs- und Hilfsangebote in Bremen

Für Betroffene von queerfeindlicher Gewalt gibt es in Bremen spezialisierte Unterstützungsangebote. Die Beratungsstellen bieten solidarische Unterstützung für Betroffene rechter, rassistischer, antisemitischer, queerfeindlicher, sozialdarwinistischer und anderer Formen menschenfeindlicher Gewalt. Parteiliche Beratung, orientiert an den individuellen Bedürfnissen bei der Bewältigung der Gewalterfahrung. Die Beratung ist kostenlos, vertraulich und unabhängig.

Noch immer gibt es zahlreiche Ungerechtigkeiten, unterschiedlichste Formen von Diskriminierung und zuletzt sogar steigende Gewaltfälle gegen LGBTIQA+*. Der CSD Bremen fordert in seinen politischen Forderungen 2025 eine öffentlich zugängliche Landes-Meldestelle für queerfeindliche Angriffe sowie eine Stärkung der queersensiblen Anzeigenaufnahme bei der Polizei.

Wenn Sichtbarkeit zur Gefahr wird

Wenn vor jedem verliebten Blick, vor einer Umarmung, vor einem Kuss im öffentlichen Raum zuerst die Umgebung gecheckt werden muss, wenn Menschen sich nicht sicher im öffentlichen Raum bewegen können, wenn sie bestimmte Orte aus Angst vor Gewalt meiden oder eher das Fahrrad als öffentliche Verkehrsmittel nehmen, um nicht Opfer von queerfeindlichen Vorfällen zu werden - dann ist das eine erhebliche Einschränkung von Freiheit.

Der mutige Schritt des Paares, den Vorfall zu dokumentieren und zur Anzeige zu bringen, ist wichtig – denn nur wenn Taten sichtbar werden, kann ihnen wirksam begegnet werden. Die schnelle Reaktion der Bremer Polizei zeigt, dass Sensibilität und entschlossenes Handeln möglich sind. Doch die steigenden Zahlen machen deutlich: Es braucht mehr als Einzelfallbearbeitung. Es braucht eine Gesellschaft, die queerfeindliche Gewalt nicht toleriert und queere Menschen schützt – überall und jederzeit.


Globaler Gesundheitsschutz unter Druck: Deutschlands Milliarden-Zusage im Schatten von Kürzungen und Trump-Krise

Die Bundesregierung stellt dem Globalen Fonds zur Bekämpfung von HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria in den kommenden drei Jahren eine Milliarde Euro zur Verfügung, wie queer.de berichtet. Entwicklungsministerin Reem Alabali Radovan (SPD) kündigte die Zusage zur Eröffnung des Weltgesundheitsgipfels in Berlin an. Doch hinter dieser vermeintlich großzügigen Geste verbirgt sich eine beunruhigende Realität: Die neue Zusage stellt im Vergleich zur letzten dreijährigen Finanzierungsperiode eine Verminderung von etwa 23 Prozent dar – eine Entscheidung, die queere Communities und Menschen mit HIV weltweit hart treffen wird.

Eine Kürzung mit dramatischen Folgen

Die Bundesregierung reduziert ihre Unterstützung von 1,3 Milliarden Euro auf eine Milliarde Euro. Diese Kürzung kommt zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. „Über 70 Prozent aller Gelder für die globalen HIV/Aids-Programme wurden bis vor kurzem von den USA zur Verfügung gestellt. Wird das Geld nicht ersetzt, rechnen wir bis 2030 zusätzlich mit vier Millionen Aids-bedingten Todesfällen und sechs Millionen weiteren HIV-Infektionen", warnt Christine Stegling, Vize-Chefin von UNAIDS. Die Trump-Regierung hat bislang zwei Drittel der gesamten internationalen Finanzierung zur HIV-Prävention in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen getragen – doch diese Unterstützung ist nun weitgehend weggebrochen.

Das Aktionsbündnis gegen AIDS kritisierte die deutsche Entscheidung scharf. „Die Kürzungen kommen in einem höchst prekären Moment", erklärte Vorstandsmitglied Sylvia Urban. „Erfolge gegen HIV und andere Infektionserkrankungen sind nur möglich, wenn die Programme in Kooperation mit den Communitys entwickelt und umgesetzt werden. Über 40 Jahre aufgebaute Versorgungsstrukturen werden nun leichtfertig zerstört. Die Welt hat noch nicht begriffen, welche Gefahr durch den Kahlschlag droht: Die globale HIV-Pandemie kann schnell wieder aufflammen - im schlimmsten Fall wieder mit massenhaften Todesfällen", warnt Silke Klumb, Geschäftsführerin der Deutschen Aidshilfe (DAH).

Schwule Männer und trans Menschen besonders betroffen

In Deutschland zeigen sich die Erfolge einer engagierten HIV-Prävention deutlich: Männer mit gleichgeschlechtlichen Sexualkontakten (MSM) machen etwa 65 Prozent der aktuell diagnostizierten Infektionen aus. In großen Städten mit einer gut ausgebildeten Infrastruktur für schwule Männer sind 10 bis 12 Prozent der MSM HIV-positiv. Diese Zahlen unterstreichen die Bedeutung zielgruppenspezifischer Programme – genau jener Art von Programmen, die der Globale Fonds weltweit finanziert.

Auch für trans und nicht-binäre Menschen ist die Situation prekär. Die Studie „Sexuelle Gesundheit und HIV/STI in trans und nicht-binären Communitys" (TASG) wird von der Deutschen Aidshilfe (DAH) und dem Robert Koch-Institut (RKI) durchgeführt und vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) finanziert. Personen aus trans und nicht-binären Communitys haben in vielen Regionen der Welt eine erhöhte Vulnerabilität für HIV und andere sexuell übertragbare Infektionen (STI). Die Community-basierte Arbeit, die der Globale Fonds unterstützt, ist für diese vulnerable Gruppe überlebenswichtig.

Der Globale Fonds: Vier Jahrzehnte Erfolgsgeschichte in Gefahr

Seit seiner Gründung 2002 hat der Fonds bereits rund 70 Millionen Menschenleben gerettet. In unseren Partnerländern ist die Zahl der durch die drei Krankheiten insgesamt verursachten Todesfälle um 63 Prozent gesunken. Diese beeindruckenden Erfolge stehen nun auf dem Spiel. Der Fonds selbst erklärt, dass Finanzierungslücken Jahrzehnte mühsam erkämpfter Fortschritte zunichtemachen und Millionen zusätzlichen Todesfällen verursachen könnten.

Besonders alarmierend: Tuberkulose ist nach wie vor die weltweit tödlichste Infektionskrankheit – doch 2024 markierte einen wichtigen Wendepunkt in ihrer Bekämpfung. Die Rückschläge durch die Corona-Pandemie konnten vollständig überwunden werden, und es wurden so viele Menschen mit TB aufgefunden und behandelt wie nie zuvor. Diese Fortschritte sind durch die Kürzungen akut bedroht.

Trump-Regierung verschärft die Krise

Die Dimension der US-amerikanischen Kürzungen ist verheerend. Das US-Außenministerium gab die drastische Kürzung der Haushaltsmittel für internationale Entwicklungshilfeprogramme bekannt. Insgesamt würden gut 5.800 Verträge im Wert von 54 Milliarden Dollar gestrichen. Dies sei eine Reduzierung um 92 Prozent. Das bahnbrechende HIV-Programm PEPFAR (President's Emergency Relief Plan for AIDS Relief) hat seit seiner Einführung durch den republikanischen Präsidenten George W. Bush im Jahr 2003 in mehr als 50 Ländern 25 Millionen Menschenleben gerettet, darunter 5,5 Millionen Kinder.

Die Folgen sind bereits spürbar: In Südafrika, dem Land mit der weltweit höchsten Zahl von Menschen, die mit HIV infiziert sind – rund 7,5 Millionen Menschen lebten 2023 mit dem Virus, können Kliniken bereits bestellte Medikamente nicht mehr ausgeben. Da damit auch die Ansteckungsmöglichkeiten wieder steigen, könnte die fehlende Autorisierung der Hilfsorganisationen auch drastische Langzeitfolgen haben. Die Direktorin des gemeinsamen Programms der Vereinten Nationen für HIV/Aids (UNAIDS) spricht von 6,3 Millionen AIDS-bedingten Todesfällen in naher Zukunft.

Deutschland muss Verantwortung übernehmen

Die Bundesregierung betont die schwierige Haushaltslage. „Trotz der schmerzhaften Haushaltskürzungen und trotz des enormen Spardrucks im Ministerium ist es uns gelungen, eine Milliarde Euro für den weltweiten Gesundheitsschutz bereitzustellen. Damit setzten wir ein wichtiges Zeichen: Deutschland wird sich weiter engagieren, um Menschen weltweit vor Krankheiten zu schützen", erklärt Ministerin Alabali Radovan. Doch angesichts der massiven US-Kürzungen reicht ein „wichtiges Zeichen" nicht aus.

Bill Gates lobte die deutsche Zusage und sprach von „strategischer Weitsicht". Doch die Zivilgesellschaft sieht das anders: Jeder in die Bekämpfung von HIV, Tuberkulose und Malaria investierte Dollar schafft einen wirtschaftlichen Ertrag von 19 Dollar. Die Investition ist also nicht nur eine humanitäre Notwendigkeit, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll.

Für die queere Community in Deutschland bedeutet die globale HIV-Krise auch eine direkte Bedrohung. Die erfolgreiche HIV-Prävention hierzulande basiert auf internationaler Zusammenarbeit und dem Austausch bewährter Strategien. „COmmunity REsponse to End Inequalities", kurz CORE, wurde von 24 Organisationen, darunter der DAH, in 16 EU-Ländern umgesetzt. Nach dem Motto „No one left behind" zielt das Projekt im Rahmen der Globalen Aids-Strategie darauf, Ungleichheiten im Zugang zu Prävention und Behandlung von HIV, Tuberkulose und Virushepatitis abbauen.

Der Kampf gegen HIV ist nicht vorbei – er erlebt gerade einen gefährlichen Rückschlag. Die Bundesregierung muss ihre Kürzung überdenken und ihrer Verantwortung gerecht werden. Denn wie die Deutsche Aidshilfe warnt: Die globale HIV-Pandemie kann schnell wieder aufflammen. Das dürfen wir nicht zulassen.


US-Oberster Gerichtshof droht Konversionstherapieverbote zu kippen – Was das für LGBTQ+ Jugendliche bedeutet

Eine Mehrheit am konservativ dominierten Supreme Court der USA signalisierte am Dienstag, dass sie bereit ist, gegen Colorados Verbot von Konversionstherapie zu entscheiden – eine Entscheidung, die weitreichende Folgen für LGBTQ+ Jugendliche in den gesamten Vereinigten Staaten haben könnte. Der Fall Chiles v. Salazar wird die Rechtmäßigkeit staatlicher Schutzgesetze bestimmen, die verhindern sollen, dass medizinische Fachkräfte Minderjährige den diskreditierten und schädlichen Praktiken aussetzen, die angeblich sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität ändern können. Die Originalberichterstattung findet sich bei PinkNews.

Der Fall und seine Hintergründe

Das Oberste Gericht erschien am Dienstagmorgen weitgehend sympathisch gegenüber einer lizenzierten Beraterin aus Colorado, die das staatliche Verbot von Konversionstherapie anfechtet. Eine Mehrheit der Richter schien zuzustimmen, dass das Verbot gegen sie aufgrund der Ansichten diskriminiert, die sie in ihrer Therapie äußert. Die christliche Therapeutin Kaley Chiles, vertreten durch die konservative Organisation Alliance Defending Freedom und unterstützt von der Trump-Regierung, möchte jungen Menschen Therapie anbieten, die ihre sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität mit einer christlichen Weltanschauung in Einklang bringen wollen.

Das Gesetz von Colorado aus dem Jahr 2019 verbietet lizenzierte Therapeuten daran, während der Gesprächstherapie zu versuchen, "Verhaltensweisen oder Geschlechtsausdrücke zu ändern" oder gleichgeschlechtliche Anziehung zu "eliminieren oder reduzieren", erlaubt ihnen aber, "Akzeptanz, Unterstützung und Verständnis" anzubieten, während sich ein Kind entwickelt. Verstöße können mit Geldstrafen von bis zu 5.000 Dollar und dem Verlust der Lizenz geahndet werden.

Die erschreckende Rechtsprechung

Chief Justice John Roberts betonte: "Nur weil sie in Verhalten engagiert sind, bedeutet das nicht, dass ihre Worte nicht geschützt sind." Der konservative Richter Samuel Alito bezeichnete das Gesetz Colorados als "offensichtliche Weltanschauungs-Diskriminierung", als er Passagen des Gesetzes vorlas. Überraschenderweise blieb Richter Brett Kavanaugh, oft als ideologisches Zentrum des Gerichts betrachtet, während der gesamten Verhandlung still und stellte keine einzige Frage.

Nach den mündlichen Verhandlungen am Dienstag schien eine klare Mehrheit der Richter, über ideologische Grenzen hinweg, geneigt, gegen das Gesetz Colorados zu entscheiden, und dabei könnten sie ähnliche staatliche Gesetze in der Hälfte des Landes kippen. Der Fall könnte weitreichende Auswirkungen haben, da etwa 30 Staaten ähnliche Gesetze wie Colorado haben.

Die wissenschaftliche Evidenz gegen Konversionstherapien

Konversionstherapie wurde in jeder Form von allen großen medizinischen Organisationen des Landes energisch zurückgewiesen mit der Begründung, dass sie nicht funktioniert und oft zu Depressionen und Suizidgedanken bei Minderjährigen führt. Colorado und andere Staaten haben auf Forschung hingewiesen, die zeigt, dass die Praxis nicht funktioniert und schädlich sein kann. Einige dieser Forschungen zeigen, dass sie das Suizidrisiko einer Person erhöht und andere langfristige Gesundheitsprobleme wie Depressionen, Angstzustände und Bluthochdruck verursachen kann. Kinder, die Konversionstherapie durchlaufen, laufen mehr als doppelt so häufig davon.

Die Praxis ist von medizinischen Organisationen weithin diskreditiert, darunter die American Medical Association, die American Psychological Association und die American Academy of Pediatrics. Unter den Dutzenden von Amicus-Briefs, die in dem Fall eingereicht wurden, ist einer im Namen einer Gruppe ehemaliger Führer der Konversionstherapie-Bewegung, die die Praxis nun "öffentlich ablehnen" und sich gegen Chiles' Argument wenden.

Deutschland als Vorbild: Ein klares Verbot seit 2020

Während die USA möglicherweise einen verheerenden Rückschritt erleben, hat Deutschland bereits 2020 einen anderen Weg eingeschlagen. Der Bundestag verabschiedete am 7. Mai 2020 das "Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen", das Deutschland zum fünften Land weltweit machte, das ein landesweites Verbot von Konversionstherapie für Minderjährige einführte. Verstöße gegen dieses Gesetz werden mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder einer hohen Geldstrafe geahndet.

Das deutsche Gesetz verbietet medizinische Interventionen, die darauf abzielen, die sexuelle Orientierung oder die selbstempfundene geschlechtliche Identität einer Person absichtlich zu verändern oder zu unterdrücken, sowie die Werbung für solche Therapien. Der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der offen schwul ist, erklärte: "Das Verbot sendet ein wichtiges Signal an die Gesellschaft, an all jene, die mit ihrer Homosexualität kämpfen: Es ist in Ordnung, so zu sein, wie Sie sind."

Innerhalb der Europäischen Union haben inzwischen acht Mitgliedstaaten – Belgien, Zypern, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Malta, Spanien und Portugal – diese Praktiken verboten, während in Spanien viele Regionen bereits seit geraumer Zeit administrative Verbote hatten. Wissenschaftlich nachgewiesen sind schwerwiegende gesundheitliche Schäden durch solche "Therapien" wie Depressionen, Angsterkrankungen, Verlust sexueller Gefühle und ein erhöhtes Suizidrisiko.

Was steht auf dem Spiel?

Stand 2025 verbieten 23 US-Bundesstaaten und Washington D.C. vollständig – und vier Staaten sowie Puerto Rico beschränken – lizenzierte Gesundheitsdienstleister daran, LGBTQI+-Minderjährige Konversionstherapie zu unterziehen. Eine Entscheidung gegen Colorado könnte all diese Schutzmaßnahmen gefährden. Der Fall konzentriert sich zwar auf LGBTQ+-Gesundheit, aber Experten sagen, dass alle von der Entscheidung betroffen sein werden. "Es gibt so viele andere Dinge, die mit diesen Fällen verknüpft sind, die wir irgendwie übersehen, weil wir uns stark auf den Themenbereich konzentrieren", erklärte eine Expertin für LGBTQ+-Politik.

Ein Bericht des Williams Institute aus dem Jahr 2020 ergab, dass lesbische, schwule und bisexuelle Menschen, die Konversionstherapie erlebten, fast doppelt so häufig über Suizid nachdachten und Selbstmordversuche unternahmen im Vergleich zu Gleichaltrigen, die keine solche Beratung durchlaufen hatten. Trotz staatlicher Verbote fand ein Bericht von 2023 mehr als 1.300 Konversionstherapie-Praktiker, die in 48 Staaten und dem District of Columbia tätig sind. Der Bericht ergab, dass 600 Praktiker aktive professionelle Lizenzen halten und 700 in einer offiziellen religiösen Funktion operieren.

Ein historischer Wendepunkt?

Das Gericht wird voraussichtlich bis Ende Juni 2026 eine Entscheidung im Fall Chiles v. Salazar treffen. Bis dahin warten LGBTQ+-Organisationen, Gesundheitsexperten und vor allem junge queere Menschen mit großer Sorge ab. Während Deutschland und andere europäische Länder den Schutz junger LGBTQ+-Menschen stärken, droht den USA ein dramatischer Rückschritt – mit potenziell verheerenden Folgen für Tausende von Jugendlichen, die vor schädlichen und diskreditierten Praktiken geschützt werden sollten.

Die Ironie könnte kaum größer sein: Ein Land, das sich selbst als Leuchtturm der Freiheit bezeichnet, könnte bald Staaten daran hindern, ihre jüngsten und verletzlichsten Bürger vor einer Praxis zu schützen, die von der gesamten wissenschaftlichen Gemeinschaft als schädlich anerkannt wird. Für die LGBTQ+-Community in den USA und weltweit ist dies ein Moment zum Innehalten – und zum Handeln.


Betäubungsmittel und Betrug: Wenn Sexdates zur tödlichen Falle werden

Ein Prozess am Berliner Landgericht wirft ein erschreckendes Schlaglicht auf eine oft unterschätzte Gefahr: Zwei junge Männer, 24 und 27 Jahre alt, müssen sich wegen schweren Raubes und gefährlicher Körperverletzung verantworten. Ihr Vorgehen war perfide: Im Oktober 2021 reisten sie nach Prag, um über Dating-Apps gezielt schwule Männer zu kontaktieren, diese mit K.-o.-Tropfen zu betäuben und auszurauben. Während einer der Angeklagten schweigt, sagte der jüngere unter Ausschluss der Öffentlichkeit aus – die Anklage wirft schwere Schatten auf ein Phänomen, das auch in Deutschland zunehmend Besorgnis erregt.

Zwei Opfer, schwere Folgen

Ein 31-jähriger Mann erlitt nach der Verabreichung von K.-o.-Tropfen schwere gesundheitliche Schäden, musste mehrere Wochen ins Krankenhaus und anschließend eine Reha besuchen. Im ersten Fall, einen Tag zuvor, war ein 40-jähriger Mann betroffen – ihm wurde ein Handy gestohlen. Die DNA-Spuren an den Tatorten führten schließlich zu einem der Angeklagten. Erst im Februar 2025 erhob die Berliner Staatsanwaltschaft Anklage. Der Prozess, für den sieben weitere Verhandlungstage bis Dezember angesetzt sind, zeigt exemplarisch die Brutalität dieser Verbrechen.

Ein deutschlandweites Problem mit hoher Dunkelziffer

Was in Prag geschah, ist kein Einzelfall. Auch Jungen und Männer können Opfer von Raub und Vergewaltigung unter Einsatz von K.-o.-Tropfen werden, bisher sind überwiegend Übergriffe gegen schwule Jungen und Männer bekannt geworden. Die Kölner Beratungsstelle für K.-o.-Tropfen betont: Bei schwulen Opfern ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen, und sexualisierte Gewalt gegenüber Männern wird bisher wenig thematisiert.

In Berlin stand kürzlich ein 35-Jähriger vor Gericht, der sich über eine Online-Dating-Plattform mit anderen Männern verabredet haben soll, um diese in ihren Wohnungen auszurauben, nachdem er sie durch K.-o.-Tropfen außer Gefecht gesetzt hatte. Noch dramatischer: In den letzten Jahren kam es immer wieder zu Todesfällen in Verbindung mit K.-o.-Tropfen. Ein 42-jähriger Mann starb nach einem Sexdate in Berlin, ein 56-Jähriger wurde wegen Mordes angeklagt.

Die Täter nutzen Scham und Angst aus

Die Täter machen sich zunutze, dass ihre Opfer aus Scham und aus Angst vor einem Coming-out nicht zur Polizei gehen, erklärt Tim Jänke, Ansprechperson für LGBTIQ bei der Landespolizei Schleswig-Holstein. Opfer müssen bei der Polizei ihre sexuelle Orientierung und die Nutzung von Dating-Seiten offenlegen, was häufig mit Scham und Angst vor Diskriminierung verbunden ist.

Auch in Bochum wurden bereits 2019 sechs junge Männer verurteilt, die ihre Opfer auf Dating-Apps kontaktiert, zu Sexdates eingeladen und dann ausgeraubt hatten. Die Schweizer Kantonspolizei Waadt berichtete von ähnlichen Fällen, bei denen Männer über Plattformen wie Gayromeo kontaktiert wurden. Aktivist*innen betonen, dass dies kein Einzelfall ist: "Wir beobachten weltweit, wie Dating-Apps wie Grindr genutzt werden, um gezielt schwule Männer in Fallen zu locken", so Andy Thayer vom Gay Liberation Network.

K.-o.-Tropfen: Eine unsichtbare Gefahr

Als K.-o.-Tropfen werden verschiedene Arten von Drogen bezeichnet, etwa Ketamin und GHB (Gammahydroxybuttersäure), umgangssprachlich Liquid Ecstasy genannt. K.-o.-Tropfen sind farblos und nicht zu schmecken, wenn sie in Getränke oder Speisen gemischt werden, bereits nach zehn bis 20 Minuten setzen Schwindelgefühle und Übelkeit ein, typisch ist der Gedächtnisverlust. Der Nachweis der Substanzen ist meist nur ca. 12 Stunden nach der Verabreichung möglich.

Prävention und Selbstschutz

Dating-Apps sind nach wie vor ein wichtiger und grundsätzlich sicherer Weg für queere Menschen, um Kontakte zu knüpfen. Doch Vorsicht ist geboten. Es scheint durchaus eine Idee zu sein, das Gegenüber online erst einmal genauer kennenzulernen und sich bei den ersten Treffen auf einen öffentlichen Bereich zu beschränken. Die Anlaufstellen für Lesben und Schwule in Köln helfen mit Informationen und sensibilisierten Ansprechpartnern.

Expertinnen raten: Getränke nie unbeaufsichtigt lassen, nur Drinks annehmen, deren Weg man von der Theke an verfolgt hat, und mit Freund*innen gemeinsam nach Hause gehen. Sexualisierte Gewalt unter K.-o.-Tropfen kann auch Jungen und Männern widerfahren, erste Beratung und Hilfe bietet das Hilfetelefon Gewalt gegen Männer unter der Rufnummer 0800 1239900. In Berlin bietet das schwule Anti-Gewalt-Projekt MANEO Unterstützung für Betroffene.

Ein Aufruf zur Community

Die Fälle von Übergriffen mit K.-o.-Tropfen bei Dating-App-Treffen sind ein ernstzunehmendes Problem, das die gesamte LGBTQ+-Community betrifft. Es geht nicht darum, Panik zu schüren – die meisten Dates verlaufen ohne Zwischenfälle. Aber Aufklärung, Sensibilisierung und der Mut, Übergriffe anzuzeigen, sind entscheidend, um die Dunkelziffer zu senken und Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Der Prozess in Berlin ist ein weiterer Schritt in diese Richtung.


Neue EU-Verordnung zum IBAN-Abgleich: Gefahr des Zwangsoutings für trans und nichtbinäre Menschen

Eine neue EU-weite Regelung im Zahlungsverkehr bringt ungewollte Konsequenzen für trans und nichtbinäre Menschen mit sich: Seit dem 9. Oktober 2025 müssen alle Banken im Euro-Zahlungsverkehrsraum (SEPA) vor der Freigabe einer Überweisung prüfen, ob der Name des Zahlungsempfängers mit der IBAN übereinstimmt, wie queer.de berichtet. Diese sogenannte "Verification of Payee" (VoP) soll eigentlich Betrug verhindern, doch für Menschen, die nicht unter ihrem Passnamen leben, kann sie zum Zwangsouting führen.

Was bedeutet die neue Regelung konkret?

Die Verification of Payee (VoP) ist eine Vorgabe der Europäischen Union (Verordnung (EU) 2024/886), die mit der neuen EU-Verordnung zur Regulierung von Echtzeitüberweisungen eingeführt wurde und zum 9. Oktober 2025 für alle Zahlungsdienstleister verbindlich wurde. Die Kombination aus eingegebenem Empfängernamen und eingegebener Empfänger-IBAN wird mit den bei der Empfängerbank hinterlegten Daten abgeglichen. Das Ergebnis basiert auf einem "Ampelsystem" mit den folgenden möglichen Ergebnissen: "match" (Übereinstimmung), "close match" (teilweise Übereinstimmung), "no match" (keine Übereinstimmung) oder "other" (sonstiges).

Ziel ist es, die Sicherheit im Zahlungsverkehr zu erhöhen und Betrugsversuche zu erschweren, bei denen Kriminelle Geldströme umleiten, indem sie falsche Kontodaten mit legitimen Zahlungsempfängern vermischen.

Die Problematik für trans und nichtbinäre Menschen

Für Personen, die nicht ihren Passnamen verwenden, kann dies zu einem Zwangsouting führen – dies ist beispielsweise bei nichtbinären oder trans Menschen der Fall, die keine bürokratische Namensänderung anstreben. Besonders betroffen sind auch jene, die sich eine offizielle Namensänderung wünschen, aber noch auf ihren Termin im Rahmen des Selbstbestimmungsgesetzes warten müssen.

Wenn eine Person nicht ihren Pass-Vornamen verwendet, sondern beispielsweise nur ihren Nachnamen, wird der bei der Bank eingetragene Vorname angezeigt. Dies führt zum Zwangsouting und die trans oder nichtbinäre Person kann das Konto nicht weiter verwenden, ohne dass Überweisende wissen, wie der Deadname der Person lautet.

Der Begriff "Deadname" bezeichnet den Namen einer trans Person vor ihrer Transition. Deadnaming ist die Verwendung des früheren Namens anstelle des neuen Namens. Deadnaming kann für die Psyche von trans Personen schädlich sein, da sie sich in ihrer wahren Identität als entwertet und nicht respektiert fühlen können.

Das Selbstbestimmungsgesetz: Ein Schritt vorwärts, aber Hürden bleiben

In Deutschland trat am 1. November 2024 das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) in Kraft. Das SBGG erleichtert es trans-, intergeschlechtlichen und nichtbinären Personen, ihren Geschlechtseintrag und ihre Vornamen ändern zu lassen. Die Änderung erfolgt durch eine Erklärung gegenüber dem Standesamt. Die Änderung des Geschlechtseintrags verursachte bisher lange Wartezeiten und hohe Kosten. Zudem empfanden viele Betroffene das bisherige "Transsexuellengesetz" als unwürdig und diskriminierend, da Trans-Personen zwei psychologische Gutachten einreichen mussten.

Allerdings gibt es eine wichtige Einschränkung: Drei Monate vorher muss die Änderung bei dem Standesamt angemeldet werden. Diese Wartezeit bedeutet, dass Menschen, die ihre Namen ändern möchten, mehrere Monate mit dem Risiko des Zwangsoutings durch den IBAN-Abgleich leben müssen.

Eingeschränkte Alternativen

Lastschriften und Papierüberweisungen, die nicht direkt am Schalter eingegeben werden, sind von der Regelung ausgenommen. Da jedoch nicht allen Personen Lastschriften zur Verfügung stehen, sind diese keine adäquate Alternative zur üblichen Überweisung.

Eine historische Parallele: 2009 wurde der Abgleich bereits einmal abgeschafft

Interessanterweise gab es eine ähnliche Regelung bereits in der Vergangenheit. Bis 2009 galt in Deutschland ein Abgleich von Zahlungsempfängern und Kontonummern. Diese Praxis wurde ab dem 1. November 2009 geändert und auf den Abgleich verzichtet, um unter anderem den Zahlungsverkehr ins Ausland schneller und einfacher zu gestalten. Auch damals war Grund für die Änderung eine EU-Verordnung (Verordnung 2007/64/EG). Nun, 16 Jahre später, kehrt eine ähnliche Regelung zurück – allerdings EU-weit und mit ungewollten Konsequenzen für vulnerable Gruppen.

Parallele Herausforderungen: Auch behördliche Datenerfassung problematisch

Die Problematik des Zwangsoutings beschränkt sich nicht nur auf den Bankverkehr. Das Bundesinnenministerium plant mit einer neuen Verordnung zur Umsetzung des Selbstbestimmungsgesetzes, frühere Geschlechtseinträge und Vornamen dauerhaft zu speichern und an andere Behörden zu übermitteln, wie netzpolitik.org berichtet. Der Paritätische Gesamtverband nennt die geplante Regelung "nicht verhältnismäßig" und der Bundesverband Trans* warnt vor "Zwangsoutings im Kontakt mit Behörden".

Ein Sicherheitsfeature mit diskriminierender Wirkung

Die Verification of Payee wurde mit den besten Absichten eingeführt: Schutz vor Betrug und Fehlüberweisungen. Die Niederlande haben bereits 2017 einen IBAN-Name Check eingeführt. Die dortigen Erfahrungen zeigen, dass ein Abgleich von IBAN und Empfängername Betrugsfälle effektiv reduzieren kann. Doch die Regelung zeigt einmal mehr, wie Gesetze und Verordnungen, die ohne Berücksichtigung der Lebensrealitäten marginalisierter Gruppen geschaffen werden, zu ungewollter Diskriminierung führen können.

Trans und nichtbinäre Menschen in Deutschland und der gesamten EU stehen nun vor der Wahl: Entweder riskieren sie regelmäßige Zwangsoutings im Zahlungsverkehr oder sie durchlaufen die bürokratischen Hürden einer offiziellen Namensänderung – mit allen damit verbundenen Kosten, Wartezeiten und emotionalen Belastungen. Für eine vollständig inklusive Gesellschaft müssen solche unbeabsichtigten Diskriminierungen erkannt und behoben werden.


Besorgniserregender Anstieg: Mpox-Fälle in Berlin erreichen Rekordniveau

Die Hauptstadt erlebt einen alarmierenden Anstieg der Mpox-Infektionen: In diesem Jahr wurden in Berlin bereits 160 Fälle gemeldet – mehr als in den beiden Vorjahren zusammen. Diese Entwicklung berichtet queer.de unter Berufung auf aktuelle Daten des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (Lageso). Die Zahlen verdeutlichen: Die queere Community steht erneut vor einer ernstzunehmenden gesundheitlichen Herausforderung.

Eine beunruhigende Trendwende

Nach einem anfänglichen Rückgang der Fallzahlen seit Juli – mit nur null bis vier Infektionen pro Woche – meldete das Lageso zuletzt neun neue Mpox-Fälle. Diese deutliche Zunahme innerhalb einer Woche beunruhigt Gesundheitsexpert*innen. Betroffen sind ausschließlich Männer im Alter zwischen 20 und 60 Jahren, von denen fünf bereits gegen Mpox geimpft waren – ein Hinweis darauf, dass Impfdurchbrüche vorkommen, auch wenn die Erkrankung bei Geimpften in der Regel milder verläuft.

Deutschlandweit wurden 2025 bereits 409 neue Mpox-Fälle gemeldet, was die Bedeutung der Berliner Zahlen im nationalen Kontext unterstreicht. Seit Sommer 2023 werden kontinuierlich Fallzahlen auf niedrigem Niveau gemeldet, mit einem leichten Anstieg seit Mitte 2024.

Was ist Mpox und wie wird es übertragen?

Mpox – früher als Affenpocken bezeichnet – ist eine Viruserkrankung, die durch engen Körperkontakt übertragen wird, insbesondere beim Sex. Das Virus löst vor allem Hautausschlag aus, kann aber auch Fieber und Muskelschmerzen verursachen. Die Übertragungen sind in Deutschland in erster Linie im Rahmen von sexuellen Aktivitäten erfolgt, insbesondere bei Männern, die sexuelle Kontakte mit anderen Männern haben.

Die WHO Europa betont, dass beim gegenwärtigen Mpox-Ausbruch außerhalb Afrikas die meisten Fälle unter schwulen, bisexuellen und anderen Männern mit gleichgeschlechtlichen Sexualkontakten auftraten. Wichtig ist jedoch: Die Infektion kann grundsätzlich alle Menschen betreffen, die engen körperlichen Kontakt mit einer infizierten Person haben.

Impfung als wichtiger Schutz

Die Ständige Impfkommission empfiehlt eine Mpox-Impfung für Personen mit engem Kontakt zu Erkrankten und für Männer, die gleichgeschlechtlichen Sex mit wechselnden Partnern haben. Für eine vollständige Grundimmunisierung sind zwei Impfstoffdosen im Abstand von mindestens 28 Tagen erforderlich. Der in Europa zugelassene Impfstoff Imvanex schützt wirksam vor einer Infektion und verringert deutlich das Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs.

Die Impfung ist seit Sommer 2023 über Hausarztpraxen, HIV-Schwerpunktpraxen und Gesundheitszentren verfügbar. Expert*innen raten insbesondere vor der Pride-Saison und größeren Community-Events zur Impfung, da internationale Großveranstaltungen und Festivals in den vergangenen Jahren zu längeren Übertragungsketten beigetragen haben.

Community-Engagement als Schlüssel zum Erfolg

Die queere Community hat bereits 2022 gezeigt, wie wirksam gemeinsames Handeln sein kann. In Berlin ging die wöchentliche Mpox-Fallzahl unter der laufenden Aufklärungskampagne früher zurück als in anderen deutschen Großstädten – noch bevor die Impfkampagne richtig anlief. Diese Erfolgsgeschichte basierte auf einer Kombination von Faktoren: starke ressortübergreifende Zusammenarbeit, wirksame Einbindung der betroffenen Bevölkerungsgruppen, öffentliche Gesundheitskampagnen sowie Verhaltensänderungen.

Nach dem aktuellen Anstieg der Fallzahlen fordert die Linke queer die Gesundheitsministerien auf, unverzüglich Gelder für eine zielgruppenspezifische Aufklärungskampagne bereitzustellen. Die Deutsche Aidshilfe und ihre Mitgliedsorganisationen hätten mit ihren Fachkenntnissen die Expertise, eine wirksame Präventionskampagne durchzuführen.

Keine Entwarnung in Sicht

Trotz der steigenden Zahlen bleibt die Gefährdung für die Gesundheit der breiten Bevölkerung in Deutschland nach derzeitigen Erkenntnissen gering. Dennoch mahnen Expert*innen zur Wachsamkeit. Es gebe klare Hinweise auf ein hohes Epidemie- oder sogar Pandemierisiko, darunter die Fähigkeit des Virus zur Mensch-zu-Mensch-Übertragung, warnt ein britisches Forscherduo im Fachmagazin "Nature Medicine".

Für die kommenden Monate rechnet das Lageso nicht mit Entspannung – die beginnende Festival- und Pride-Saison könnte zu weiteren Übertragungen führen. Umso wichtiger ist es, dass die Community informiert bleibt, Präventionsmaßnahmen ergreift und das Impfangebot nutzt. Mpox-Todesfälle sind in Deutschland bisher nicht beobachtet worden, doch die Erkrankung kann schmerzhaft sein und Betroffene über Wochen einschränken.

Weitere Informationen zur Mpox-Impfung bieten die Deutsche Aidshilfe und das Robert Koch-Institut.


Regenbogen wird wetterfest: Schleswig-Holstein schützt queere Menschen in Landesverfassung

Schleswig-Holstein macht Ernst mit dem verfassungsrechtlichen Schutz queerer Menschen: Der Bundesrat hatte bereits am 26. September 2025 einen entsprechenden Gesetzentwurf zur Einbringung in den Bundestag beschlossen, und nun will auch das nördlichste Bundesland queere Menschen ausdrücklich in die Landesverfassung aufnehmen. Wie queer.de berichtet, soll in Artikel 9 künftig eingefügt werden: „Niemand darf wegen seiner sexuellen Identität benachteiligt oder bevorzugt werden." Die Regierungskoalition aus CDU, Grünen, FDP und SSW brachte einen entsprechenden Gesetzentwurf ein – ein historischer Schritt für die LGBTQ+ Community im echten Norden.

„Der Regenbogen wird nun wetterfest gemacht"

Danny Clausen-Holm, Landesvorsitzender des LSVD Schleswig-Holstein, begrüßt das Vorhaben mit deutlichen Worten: „Der Regenbogen wird nun in Schleswig-Holstein wetterfest gemacht! Denn es zieht ein politisches Unwetter auf." Seine Formulierung trifft den Kern der aktuellen Debatte: In Deutschland, Europa und auch international lassen sich besorgniserregende Bestrebungen zu einer Abkehr vom freiheitlichen und gleichwertigen Verständnis der sexuellen und geschlechtlichen Identität erkennen. Der LSVD hatte bereits bei CSDs für die Aufnahme geworben und „entscheidende Überzeugungsarbeit" geleistet, wie Clausen-Holm stolz erklärt.

Die Ergänzung sei „ein Meilenstein, der für etwa acht bis zwölf Prozent der Bevölkerung ein zeitgemäßes Sicherheitspaket bildet." Diese Einschätzung unterstreicht die Bedeutung: Zwar habe sich die Lebenssituation der Betroffenen in den vergangenen zwei Jahrzehnten durch einfache Gesetze wie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz deutlich verbessert, doch nur ein im Grundgesetz verankertes Verbot schaffe einen stabilen Schutz und entziehe dieses Gleichheitsrecht dem Wechselspiel der verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Kräfte.

Schleswig-Holstein reiht sich in Vorreiter-Länder ein

Die Landesverfassungen von Berlin, Brandenburg, Bremen, vom Saarland, Sachsen-Anhalt und von Thüringen schützen ausdrücklich vor Benachteiligung oder Bevorzugung aufgrund der sexuellen Identität. Mit Schleswig-Holstein würde nun das siebte Bundesland diesem Beispiel folgen. Das erste Bundesland, das den Schutz aufnahm, war Brandenburg im Jahr 1992. Besonders bemerkenswert: Seit den 90er Jahren ist in der Brandenburger Landesverfassung der Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität verankert – das gibt es in vielen westdeutschen Landesverfassungen nicht und das steht auch nicht im Grundgesetz.

Die Verfassungsreform in Schleswig-Holstein geht über den Schutz queerer Menschen hinaus. In einem neuen Artikel 6a soll künftig auch der Schutz vor Antisemitismus, Rassismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit als Staatsziel benannt werden. Zudem sollen Kinderrechte und Rechte pflegebedürftiger Menschen gestärkt werden – ein umfassendes Paket für mehr Menschenrechtsschutz.

Bundesweiter Kampf um Grundgesetzänderung

Seit Jahrzehnten fordern queere Organisationen den ausdrücklichen Schutz queerer Menschen im deutschen Grundgesetz. Als einzige Opfergruppe des NS-Regimes sind sie bislang nicht in der Liste der geschützten Merkmale vertreten. Der Bundesrat hat am 26. September 2025 beschlossen, einen entsprechenden Gesetzentwurf von Berlin, Schleswig-Holstein und weiteren Ländern in den Bundestag einzubringen. „Deshalb wollen wir, dass die sexuelle Identität als Merkmal in Artikel 3 des Grundgesetzes aufgenommen wird. Das bekräftigt ihre Gleichstellung vor unserem höchsten Gesetz und verpflichtet zum Schutz", so Schleswig-Holsteins Sozialministerin Aminata Touré.

Doch der Weg ist steinig: Für eine Änderung des Grundgesetzes ist die Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages sowie zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates erforderlich. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages befassten sich am 9. Oktober 2025 mit der Forderung nach einer Änderung des Grundgesetzes, dazu hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen einen Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes zur ersten Lesung vorgelegt.

Union blockiert weiterhin Verfassungsschutz

Die größte Hürde bleibt die Union. Die Unionsfraktion weist den Bundesrats-Vorstoß für eine Aufnahme des Schutzkriteriums „sexuellen Identität" ins Grundgesetz zurück, die vorgeschlagene Grundgesetzänderung sei „nicht zustimmungsfähig", sagte Unions-Fraktionsvize Günter Krings (CDU). Die CDU/CSU argumentiert, der Schutz sei bereits durch bestehende Gesetze gewährleistet. „Den Grundrechtekatalog, also die Herzkammer unserer Verfassung anzutasten, bedarf es ganz besonderer Gründe", sagte Unionsfraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei (CDU), „für eine Änderung des Grundgesetzes sehe ich aber auch keinen Anlass, da der Diskriminierungsschutz aufgrund der sexuellen Orientierung bereits in Artikel 3 verwirklicht ist".

Die Haltung der Union steht im krassen Gegensatz zu den Forderungen der Community und selbst zu einigen unionsgeführten Ländern. Schleswig-Holstein, Berlin und Nordrhein-Westfalen, unionsgeführte Bundesländer, haben die Initiative gestartet. Doch während diese Länder vorangehen, lehnen große Teile der Union auf Bundesebene diese Reform ab – ein Widerspruch, der viele in der Community frustriert.

Warum verfassungsrechtlicher Schutz so wichtig ist

„Stimmungen in der Gesellschaft, Mehrheiten in Parlamenten und ja, auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts können sich ändern", argumentiert Queerbeauftragte Sophie Koch (SPD), „der Wortlaut des Grundgesetzes hingegen kann sich nur mit dem größtmöglichen Konsens ändern. Nur das Grundgesetz selbst bietet der queeren Menschen dauerhaften Schutz". Diese Argumentation ist umso dringlicher angesichts der politischen Entwicklungen: Die AfD fordert offen die Abschaffung errungener Rechte, und selbst die Union will das erst 2024 eingeführte Selbstbestimmungsgesetz wieder abschaffen.

Der Vorstoß Schleswig-Holsteins zeigt: Veränderung ist möglich, wenn Politik und Zivilgesellschaft zusammenarbeiten. Die Aufnahme in die Landesverfassung ist mehr als Symbolpolitik – sie ist ein klares Bekenntnis zu Vielfalt und Menschenwürde in bewegten Zeiten. Für die bundesweite Grundgesetzänderung aber bleibt der Weg beschwerlich, solange die Union ihre Blockadehaltung nicht aufgibt.


Zweimal verurteilt, nicht eingeschüchtert: Prediger fordert "Recht auf Hass" gegen queere Menschen

Ein Fall, der Deutschland bewegt und die Grenzen zwischen Religionsfreiheit und Volksverhetzung auslotet: Ein zweimal wegen Volksverhetzung verurteilter Prediger der "Baptistenkirche Zuverlässiges Wort Pforzheim" (BKZW) geht in die nächste Instanz. Der 33-jährige Andy Shamoon alias "Bruder Andy" will sich nicht geschlagen geben – und beruft sich dabei auf die im Grundgesetz verankerte Religions- und Meinungsfreiheit. Die Originalberichterstattung stammt von queer.de, das seit Ende 2021 ausführlich über die radikale Sekte berichtet.

Die Eskalation: Von Geldstrafen zur Verfassungsbeschwerde

Die juristische Auseinandersetzung nimmt immer dramatischere Züge an. Nachdem das Amtsgericht Pforzheim den Prediger 2024 im ersten Prozess zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 40 Euro verurteilt hatte, erhöhte das Landgericht im Berufungsprozess am Donnerstag die Höhe der Tagessätze auf 45 Euro – insgesamt 6.750 Euro. Der Vorsitzende Richter erklärte, der Angeklagte habe in der Predigt homosexuelle und queere Menschen beschimpft, ihre Menschenwürde angegriffen und ihr Lebensrecht verneint.

Die inkriminierten Äußerungen sind von erschreckender Deutlichkeit: In einer Predigt unter dem Titel "Gott hasst Menschen" erklärte Shamoon im Juni 2023, dass Homosexuelle "den Tod verdient" hätten und sie "sollten eigentlich vom Staat irgendwie vernichtet werden". Diese Predigt wurde live gestreamt und auf mehreren Internetplattformen veröffentlicht – zeitlich passend zum Pride Month.

Wenn Religion zur Rechtfertigung wird

Shamoons Verteidigungsstrategie ist bemerkenswert: Er beruft sich konsequent auf die Religionsfreiheit nach Artikel 4 des Grundgesetzes. Der 33-Jährige erklärte vor Gericht, er sei ein "sehr überzeugter Christ" und nehme die Bibel "sehr wörtlich". Er habe lediglich eine biblische Passage erklären wollen und nicht den deutschen Staat auffordern wollen, Homosexuelle zu exekutieren.

Diese Argumentation wirft grundlegende Fragen auf, die auch in Deutschland bereits kontrovers diskutiert werden. Die deutsche Verfassung schützt freie Meinungsäußerung, aber nicht Hassrede. Deutsches Recht verbietet Äußerungen, die Hass anstacheln könnten oder als beleidigend gelten. Paragraf 130 des deutschen Strafgesetzbuchs verbietet Volksverhetzung und Beleidigungen, die die Menschenwürde angreifen, und kann mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden.

Deutschland und seine besondere Verantwortung

Der Fall muss im Kontext der deutschen Geschichte betrachtet werden. Nach einer Welle von Skandalen über die Nazi-Vergangenheit westdeutscher Beamter in den 1950er Jahren wurde das Gesetz geändert, um neo-nazistische Hetze zu bekämpfen. Die Anwendung der jahrzehntealten deutschen Hassrede-Gesetze wurde nach dem dunkelsten Kapitel des Landes gestärkt und online beschleunigt, nachdem die Ermordung eines Politikers, befeuert durch das Internet, Schockwellen durch das Land sandte.

Die Zahl der Hassverbrechen gegen die LGBTQ-Community steigt in Deutschland, wobei offiziell registrierte Fälle im letzten Jahr um 15,5 Prozent auf 1.005 anstiegen, berichtet das Bundesinnenministerium. Die deutsche Trans-Aktivistin Anastasia Biefang warnte bereits 2023: "Ich höre Narrative, von denen ich dachte, wir hätten sie seit 1945 überwunden".

Eine extremistische Sekte unter Beobachtung

Die BKZW ist kein Einzelfall religiöser Radikalisierung. Das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg führt die BKZW seit Mai 2023 als Beobachtungsobjekt. Viele Predigten enthalten laut Verfassungsschutzbericht Aussagen, die Gewalt befürworten; immer wieder werde die Todesstrafe für Homosexuelle gefordert. Die BKZW lehnt demokratische Willensbildung und Entscheidungsfindung grundsätzlich ab und verbreitet in Teilen ihrer Predigten antisemitisches Gedankengut sowie staatsfeindliche Verschwörungserzählungen.

Besonders alarmierend: Als Wortführer gilt der selbsternannte Prediger Anselm Urban, der bereits vor zwei Jahren die Tötung des Grünen-Politikers Sven Lehmann und aller queeren Menschen im Land forderte. Urban entzog sich der Strafverfolgung durch Flucht in die USA, wo er Unterschlupf bei seinen Glaubensgeschwistern der Faithful Word Baptist Church in Arizona fand.

Strategische Neuausrichtung: Von der Kirche zur Evangelisationsgruppe

Die Gruppierung versucht offenbar, sich den Behörden zu entziehen. Ende 2024 hat die BKZW mehrere Internetpräsenzen in "Deutschlands Seelen Gewinnen" umbenannt und ein neues Logo veröffentlicht. Das Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet diese Entwicklung mit Sorge: Die Aktivitäten hätten sich vermehrt auf das "Seelengewinnen" verlagert – die organisierte Form der Gemeindegründung sei einer loseren Organisationsform gewichen.

Die Behörde rechnet der Gruppierung eine niedrige zweistellige Zahl an Personen zu. Über Onlineauftritte erreiche sie eine weitaus größere Zahl. Trotz der Ermittlungsverfahren und Durchsuchungen mäßigten oder distanzierten sich die Verantwortlichen nicht von ihren Positionen – im Gegenteil: Sie wiederholten die verfassungsfeindlichen Aussagen öffentlich.

Ein Präzedenzfall für Europa?

Der Fall könnte weitreichende Konsequenzen haben. Folgt man der Argumentation des Verteidigers, könnte die Sache am Ende sogar beim Bundesverfassungsgericht landen – und möglicherweise als Präzedenzfall dienen, wie Deutschland die Balance zwischen Religionsfreiheit und dem Schutz vor Hassrede austariert.

Ähnliche Fälle gibt es bereits: Der Fall von Olaf Latzel hat weniger internationale Aufmerksamkeit erhalten als ein ähnlicher in Finnland, wo eine Politikerin wegen des Tweetens von Bibelstellen angeklagt wurde. Beobachter sahen in beiden Fällen einen lang erwarteten Konflikt, da zunehmende Sorgen um die Würde und Rechte von LGBTQ-Menschen mit tiefen Verpflichtungen zur Meinungsfreiheit und religiösen Freiheit kollidieren.

Zwischen Strafverfolgung und Demokratieschutz

Der Fall zeigt exemplarisch, wie Deutschland mit extremistischen Inhalten umgeht. Eine Einheit in Niedersachsen hat in den letzten vier Jahren erfolgreich etwa 750 Hassrede-Fälle verfolgt. Die Strafen können von Geldstrafen bis zu Gefängnisstrafen für Wiederholungstäter reichen – und manchmal werden die Geräte der Täter beschlagnahmt.

Die deutsche Herangehensweise ist jedoch nicht unumstritten. Während Befürworter argumentieren, dass Grenzen notwendig sind, um die Demokratie zu schützen, warnen Kritiker vor Zensur und Einschränkungen der Meinungsfreiheit. Die Debatte spiegelt eine grundlegende gesellschaftliche Frage wider: Wo endet legitime Religionsausübung und wo beginnt strafbare Volksverhetzung?

Für die queere Community in Deutschland bedeutet dieser Fall mehr als nur eine juristische Auseinandersetzung. Es geht um die Frage, ob der Rechtsstaat sie effektiv vor Hass und Gewaltaufrufen schützen kann – auch wenn diese sich hinter religiösen Überzeugungen verstecken. Die nächsten Instanzen werden zeigen, wie ernst es Deutschland mit diesem Schutz meint.


Hassrede im Namen Gottes: Baptisten-Prediger erneut wegen Volksverhetzung verurteilt

In Deutschland wurde erneut ein klares Zeichen gegen queerfeindliche Hassrede gesetzt: Das Landgericht Karlsruhe hat im Berufungsverfahren den Prediger Andy Shamoon von der "Baptistenkirche Zuverlässiges Wort Pforzheim" (BKZW) wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 6.750 Euro verurteilt – eine höhere Strafe als in erster Instanz. Der Fall wirft ein Schlaglicht auf eine beunruhigende Entwicklung: religiös motivierter Extremismus gegen queere Menschen.

Wenn Hass zur Predigt wird

Die Worte, die Andy Shamoon alias "Bruder Andy" im Juni 2023 aussprach, waren von erschreckender Eindeutigkeit. In einer Predigt mit dem Titel "Gott hasst Menschen" sagte er, Homosexuelle hätten "den Tod verdient" und "sollten eigentlich vom Staat irgendwie vernichtet werden". Die Predigt wurde bewusst während des Pride Month live gestreamt und auf mehreren Internetplattformen veröffentlicht – ein gezielter Angriff auf die LGBTQ+ Community in ihrer wichtigsten Zeit der Sichtbarkeit.

Das Gericht war unmissverständlich: Der Angeklagte habe homosexuelle und queere Menschen beschimpft, verächtlich gemacht und ihre Menschenwürde angegriffen. Auch habe er ihnen das Lebensrecht abgesprochen, und diese Menschenwürde wiege schwerer als die Religionsfreiheit. Das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig, da beide Seiten Rechtsmittel eingelegt hatten.

Eine extremistische Sekte mit Verbindungen in die USA

Das Landesamt für Verfassungsschutz führt die BKZW seit Mai 2023 als Beobachtungsobjekt im Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates". Die Gruppierung ist kein Einzelfall religiösen Fundamentalismus, sondern Teil eines internationalen Netzwerks: Ihr Wortführer, der selbsternannte Prediger Anselm Urban, forderte bereits vor zwei Jahren die Tötung des Grünen-Politikers Sven Lehmann und aller queeren Menschen und entzog sich der Strafverfolgung durch Flucht in die USA, wo er bei der Faithful Word Baptist Church in Arizona Unterschlupf fand.

Der ideologische Fokus der BKZW liegt nach Angaben des Verfassungsschutzes auf der massiven Abwertung von Homosexuellen, die unverhohlen in öffentlich frei zugänglichen Reden gepredigt wird. In Teilen der Predigten werden gewaltbefürwortende Aussagen getroffen, die sich hauptsächlich gegen die Menschenwürde richten. Die häufig drastische Ausdrucksweise der Prediger unterstreicht die Härte der Inhalte.

Rechtsprechung als Schutzschild der Demokratie

Der Fall Shamoon ist Teil einer wichtigeren Entwicklung in Deutschland. Laut dem Lagebericht zur kriminalitätsbezogenen Sicherheit von LSBTIQ* wurden für das Jahr 2023 insgesamt 1.785 Straftaten gegen queere Personen verzeichnet, wobei zu den häufigsten Straftaten Beleidigungen, Gewalttaten, Volksverhetzungen sowie Nötigungen und Bedrohungen zählten, mit 212 Opfern von Gewalttaten.

Während Lesben, Schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen als ein abgrenzbarer Teil der Bevölkerung Ziel der volksverhetzenden Handlung sein können, gibt es trotz weit verbreiteter homophober und sexistischer Hassreden nur wenige Verurteilungen wegen Volksverhetzung. Die Verurteilung Shamoons ist daher ein wichtiges Signal.

Ein breiteres Problem: Queerfeindlichkeit im Extremismus

Die BKZW ist leider kein isoliertes Phänomen. Seit Juni 2024 geraten vermehrt Veranstaltungen der LSBTIQ-Bewegung in den Fokus insbesondere gewaltorientierter Rechtsextremisten. So kam es in den letzten Monaten wiederholt zu (versuchten) rechtsextremistischen Störaktionen von öffentlichen Veranstaltungen zum Christopher Street Day (CSD). Auch im Islamismus wird Queerfeindlichkeit umso stärker propagiert, je intensiver die Rechte Homosexueller sowie Transgender-Personen von Politik und Medien thematisiert werden.

Der Verfassungsschutz Baden-Württemberg warnt, dass verschiedene extremistische Strömungen ähnliche Argumentationsmuster nutzen, um queere Menschen zu verurteilen. Rechtsextremisten schlagen besonders häufig eine inhaltliche Brücke zwischen queeren Lebensweisen und Pädophilie und bezwecken damit eine Gleichsetzung zu Lasten queerer Menschen. Vereinzelt finden sich auch direkte Vergleiche mit sexuellen Störungen oder strafbaren Handlungen.

Trotz aller Maßnahmen: Die Hetze geht weiter

Besonders beunruhigend: Trotz Ermittlungen und Durchsuchungen mäßigten oder distanzierten sich die Verantwortlichen der BKZW nicht von ihren Positionen, sondern wiederholten die verfassungsfeindlichen Aussagen öffentlich und verbreiteten ihre extremistischen Ansichten weiter. Ende 2024 hat die BKZW mehrere Internetpräsenzen in "Deutschlands Seelen Gewinnen" umbenannt und ein neues Logo veröffentlicht – ein Versuch, der behördlichen Beobachtung zu entgehen.

Der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland (Baptisten) distanzierte sich klar von der Sekte: "Die Sekte in Pforzheim steht in keiner Beziehung zum Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden. Die Forderung nach einer Todesstrafe für Homosexuelle ist vollkommen abwegig und in höchstem Maße menschenverachtend. Wir verurteilen sie aufs Schärfste".

Was bedeutet das für die queere Community?

Die Verurteilung Shamoons ist ein Erfolg des Rechtsstaats, aber sie zeigt auch die Verwundbarkeit queerer Menschen in Deutschland. Hasstaten und Gewalt gegen queere Menschen sind menschenverachtende Straftaten. Alltäglich werden in Deutschland LSBTIQ* angegriffen. Laut offiziellen Zahlen gibt es jeden Tag mindestens drei Angriffe auf queere Menschen. Die Dunkelziffer ist deutlich höher.

Das Urteil des Landgerichts Karlsruhe sendet eine wichtige Botschaft: Auch bei religiös motivierten Äußerungen muss der Schutz aus den Grundrechten der Religionsfreiheit und der Meinungsäußerungsfreiheit zwingend zurücktreten, wenn durch diese Äußerungen die Menschenwürde anderer angegriffen wird, da die Menschenwürde als Wurzel aller Grundrechte mit keinem Einzelgrundrecht abwägungsfähig ist.

Für queere Menschen in Deutschland bedeutet dies: Der Rechtsstaat steht auf ihrer Seite. Doch die Wachsamkeit muss bleiben – denn wie der Fall der BKZW zeigt, gibt es weiterhin Gruppen, die ungehindert Hass predigen und die Vernichtung von Minderheiten fordern. Umso wichtiger ist es, dass Zivilgesellschaft, Politik und Justiz gemeinsam gegen diese Bedrohung vorgehen.


AfD Sachsen-Anhalt will "heterosexuelle Normalität" in Schulen durchsetzen – Angriff auf queere Vielfalt

Die AfD in Sachsen-Anhalt greift erneut massiv queere Menschen an: Mit einem Antrag im Landtag will die rechtsextreme Partei Lehrkräfte zu "politischer Neutralität" verpflichten und Schulnamen mit "weltanschaulicher Tendenz" verbieten. Was harmlos klingt, entpuppt sich als direkter Angriff auf die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt an Schulen. Der Landtag soll am Freitag über den kontroversen Antrag debattieren.

Tillschneider spricht offen von "Zerstörung der heterosexuellen Normalität"

AfD-Vizeparteichef Hans-Thomas Tillschneider machte im "Spiegel" deutlich, dass sich der Antrag gegen queere Menschen richtet: Die "penetrante Vielfaltspropaganda" betreibe "die Zerstörung der heterosexuellen Normalität", die "für den Fortbestand und das Gedeihen unserer Gesellschaft unerlässlich" sei. Außerdem richte sich Antirassismus laut Tillschneider gegen die "patriotische Opposition" – also seine Partei.

Tillschneider, geboren 1978 in Rumänien, ist seit März 2016 Abgeordneter im Landtag von Sachsen-Anhalt, kulturpolitischer Sprecher der AfD-Fraktion und stellvertretender Landesvorsitzender. Er gilt als Akteur des rechtsextremen Flügels der Partei. Als Beispiel für vermeintlich nicht neutrale Schulnamen nannte er die Sekundarschule "Quer-Bunt" in Querfurt.

Aktuelles Schulgesetz schützt Vielfalt – noch

Der Antrag steht in krassem Gegensatz zum geltenden Recht: Die Bildungspläne sowie die bundeslandspezifischen Schulgesetze und Richtlinien zur Sexualaufklärung legen den Rahmen dafür fest, wann, wie und in welchen Fächern sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Schule und Unterricht Eingang finden soll. Das sachsen-anhaltische Schulgesetz verpflichtet Schulen derzeit ausdrücklich, "Kenntnisse, Fähigkeiten und Werthaltungen zu vermitteln, welche die Gleichachtung und Gleichberechtigung der Menschen unabhängig von ihrer sexuellen Identität fördern, und über Möglichkeiten des Abbaus von Diskriminierungen aufzuklären."

Eine Untersuchung der Antidiskriminierungsstelle ergab, dass etwa 90 Prozent der Bevölkerung der Ansicht sind, es sollte ein Ziel der Schule sein, den Schüler*innen Akzeptanz gegenüber homo- und bisexuellen Personen zu vermitteln. Dennoch: Kinder erfahren immer noch Mobbing und Gewalt auf Schulhöfen, wenn sie LSBTI* sind oder dafür gehalten werden. Wörter wie "schwul" oder "lesbisch" werden als Schimpfwörter missbraucht und bleiben von Lehrkräften oftmals unwidersprochen.

Eine lange Geschichte der Queerfeindlichkeit

Tillschneider gilt als rechtsextremer Vordenker der AfD, der aus seiner Abneigung gegen queere Menschen nie ein Geheimnis gemacht hat. Er rief Schwule und Lesben auf, ihre sexuelle Orientierung zu verstecken, bezeichnete Homosexualität als "Abweichung" und sprach vom "Regenbogen-Trallala". Aids-Kranke seien "der Preis, den wir für ein dekadentes Gesellschaftsmodell zahlen".

2023 erklärte Tillschneider das "Regenbogenimperium" zum "Feind" der "Normalen" und sagte: "Im Widerstand gegen dieses Imperium steht uns Russland am nächsten". Die AfD in Sachsen-Anhalt ist durch den Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. In dieser Woche sorgte der Abgeordnete für Kritik, weil er an einer Geburtstagsveranstaltung für Wladimir Putin in der russischen Botschaft teilgenommen hatte.

AfD vor absoluter Mehrheit? Umfragen zeigen besorgniserregende Entwicklung

Nach einer aktuellen Wahlumfrage würde die AfD in Sachsen-Anhalt 39 Prozent erhalten, die CDU 27 Prozent, Die Linke 13 Prozent, die SPD 7 Prozent und das Bündnis Sahra Wagenknecht 6 Prozent. Die Wahl steht nächstes Jahr an. Mit dem BSW könnten beide russlandtreuen Parteien nah an einer absoluten Mehrheit der Sitze liegen.

Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse hat der Antrag keine Aussicht auf Verabschiedung. Für die Landtagswahl 2026 rechnet sich die AfD dennoch Chancen aus: In aktuellen Umfragen liegt sie mit bis zu 39 Prozent vorn. In Sachsen-Anhalt würde dennoch weiterhin eine Mehrheit der Befragten eine CDU-geführte Landesregierung bevorzugen: Rund 47 Prozent sprachen sich dafür aus – 37 Prozent für eine AfD-geführte Regierung.

Was auf dem Spiel steht: Ein Blick nach Deutschland

Die Forderungen der AfD sind kein Einzelfall. Die AfD-Fraktion hat in letzter Zeit mit mehreren kontroversen Anträgen für Aufsehen gesorgt. Sie versucht immer wieder, Bildungs- und Kulturpolitik mit der deutschen Geschichte und Identitätsfragen zu verbinden. So forderte die AfD unter anderem, die Werbekampagne des Landes mit dem Slogan "#moderndenken" durch das Motto "#deutschdenken" zu ersetzen. Zudem plädierte sie für die Abschaffung der Landeszentrale für politische Bildung.

Schon im März 2025 scheiterte die AfD-Fraktion im Landtag mit einem Antrag, Regenbogenfahnen von Schulen zu verbannen. Alle anderen Fraktionen – CDU, Linke, SPD, FDP und Grüne – lehnten den Vorstoß ab. In dem Antrag hatte die rechte Fraktion behauptet, dass die Fahne ein "politisches Bekenntnis zur LGBTQ-Bewegung" bedeute und für Heranwachsende "in höchstem Maße schädlich" sei.

In Deutschland wächst der politische als auch gesellschaftliche Druck auf queere Menschen. Rechte Parteien hetzen gegen geschlechtliche und sexuelle Vielfalt und fordern die Streichung queerer Themen aus den Lehrplänen. Umso wichtiger ist es, dass Schulen Räume schaffen, in denen queeren Jugendlichen gezeigt wird: Du bist nicht "falsch". Du bist nicht allein. Du bist richtig, genauso wie du bist. Darum braucht es sichtbare Vorbilder, Räume, die Schutz bieten und Lehrkräfte, die Haltung zeigen.

Solidarität ist jetzt gefragt

Der Antrag der AfD Sachsen-Anhalt macht deutlich: Die Angriffe auf queere Menschen und ihre Rechte werden immer dreister. Was als "Neutralität" getarnt wird, ist in Wahrheit der Versuch, Vielfalt aus den Schulen zu verbannen und eine rückwärtsgewandte Ideologie durchzusetzen. In Zeiten, in denen die AfD in Umfragen bei 39 Prozent liegt, sind Wachsamkeit und aktiver Einsatz für Demokratie und Menschenrechte wichtiger denn je.

Queere Jugendliche brauchen sichere Räume – in der Schule, in der Gesellschaft, überall. Die Debatte am Freitag im Landtag wird zeigen, ob die demokratischen Parteien geschlossen gegen diesen Angriff auf die Würde und Gleichberechtigung aller Menschen eintreten.


Ein Leben für die Gerechtigkeit: Robert Badinter zieht ins Panthéon ein

Am Donnerstagabend wurde dem verstorbenen französischen Justizminister Robert Badinter eine der höchsten Ehrungen zuteil, die Frankreich zu vergeben hat: Seine Aufnahme ins Panthéon fand am 9. Oktober 2025 statt – exakt 44 Jahre nach der Verabschiedung des Gesetzes zur Abschaffung der Todesstrafe, wie queer.de berichtet. Präsident Emmanuel Macron hielt bei der feierlichen Zeremonie eine Ansprache. Doch der Tag war überschattet von einem Hassakt: Wenige Stunden vor der Zeremonie war Badinters Grab in einer Pariser Vorstadt mit einer Hassbotschaft von Unbekannten geschändet worden.

Grabschändung überschattet Ehrung

Die Staatsanwaltschaft leitete umgehend Ermittlungen ein. Macron schrieb auf X: „Schande über diejenigen, die sein Andenken beschmutzen wollten. Die Republik ist immer stärker als der Hass". Der Vorfall erinnert schmerzlich daran, dass selbst die Erinnerung an Menschen, die ihr Leben der Menschenwürde gewidmet haben, nicht vor Angriffen sicher ist. In Deutschland sind Grabschändungen nach § 168 StGB als Störung der Totenruhe strafbar – ein ähnlicher rechtlicher Schutz besteht auch in Frankreich.

Ein Pionier für queere Rechte

Robert Badinter hat in Frankreich die Abschaffung der Todesstrafe und eines homosexuellenfeindlichen Gesetzes erkämpft. Als Justizminister erreichte er 1982 nicht nur die historische Abschaffung der Todesstrafe, sondern schaffte im selben Jahr auch ein Gesetz aus der Zeit des Vichy-Regimes ab, wonach ein höheres Schutzalter für gleichgeschlechtlichen Sex (21 Jahre bzw. seit 1974 18 Jahre) bestand als für heterosexuellen (15 Jahre). Diese Reform war ein Meilenstein für die queere Community in Frankreich.

Zum Vergleich: Der deutsche Paragraf 175, der ebenfalls gleichgeschlechtlichen Sex teilweise kriminalisierte, wurde erst zwölf Jahre später abgeschafft. Seit dem 11. Juni 1994 gibt es in Deutschland keine strafrechtliche Sondervorschrift zur Homosexualität mehr – der § 175 StGB wurde endgültig abgeschafft. Die Bundesrepublik brauchte damit 45 Jahre länger als Frankreich, um dieses diskriminierende Sonderstrafrecht zu beseitigen – alles andere als ein Ruhmesblatt für die deutsche Justizgeschichte.

Deutschland und die Todesstrafe: Ein schnellerer Abschied

Während Frankreich bei den queeren Rechten voranschritt, war Deutschland bei der Todesstrafe schneller: Im Grundgesetz der neu gegründeten Bundesrepublik hieß es bereits 1949 im Artikel 102: „Die Todesstrafe ist abgeschafft". In Frankreich wurde die Todesstrafe am 9. Oktober 1981 vom damaligen Präsidenten François Mitterrand durch die Unterzeichnung eines entsprechenden Gesetzes abgeschafft – mehr als drei Jahrzehnte später als in der BRD.

Die Entscheidung für die Abschaffung im deutschen Grundgesetz war eine direkte Reaktion auf die Nazi-Barbarei. Die SPD brachte am 6. Februar 1949 den Antrag ein, den Satz „Die Todesstrafe ist abgeschafft" in das Grundgesetz aufzunehmen, um ein erneuertes Rechtsbewusstsein der Deutschen und ihre Abkehr von der NS-„Barbarei" zu beweisen. Deutschland zeigt damit, dass historische Traumata zu progressiven Reformen führen können – eine Lektion, die universell gilt.

Eine bewegte Biografie

Der in Paris geborene Badinter stammte aus einer jüdischen Familie, die aus dem heutigen Moldau eingewandert war. Während des Zweiten Weltkriegs erlebte er als 14-Jähriger in Lyon, wie sein Vater vor seinen Augen festgenommen wurde. Der Vater starb später im NS-Vernichtungslager Sobibor in Polen. Diese traumatische Erfahrung prägte Badinters lebenslangen Einsatz für Menschenrechte und gegen staatliche Willkür.

Badinter studierte unter anderem an der Columbia University in New York, wurde Anwalt und Hochschuldozent in Paris. Immer wieder setzte er sich dafür ein, Angeklagte vor der Todesstrafe zu bewahren – in einer Zeit, als die öffentliche Meinung in Frankreich von deren Angemessenheit mehrheitlich überzeugt war. „Wenn das Urteil fiel und das Leben des Angeklagten gerettet war, habe ich das Gericht häufig durch einen Seitenausgang verlassen", erinnerte Badinter sich mit Blick auf die damaligen Proteste.

Weitere Erfolge eines Lebens für die Gerechtigkeit

Badinters Wirken ging weit über die Reformen von 1982 hinaus. 1983 erreichte er die Auslieferung des ehemaligen Gestapo-Chefs in Lyon, Klaus Barbie, aus Bolivien. Dieser wurde in Frankreich 1987 zu lebenslanger Haft verurteilt. Nach seiner Ministerzeit leitete Badinter mehrere Jahre lang den französischen Verfassungsrat. Zeit seines Lebens setzte er sich weiterhin auf internationalem Niveau für die Abschaffung der Todesstrafe ein.

Ein hochpolitischer Akt

Eine Aufnahme ins Panthéon ist in Frankreich immer eine hochpolitische Angelegenheit. Macron hatte bereits vier historischen Persönlichkeiten diese Ehre zuteil kommen lassen, unter ihnen die Auschwitz-Überlebende Simone Veil, die sich für die Entkriminalisierung von Abtreibungen eingesetzt hatte, sowie – als erste schwarze Frau – die Tänzerin und Bürgerrechtlerin Josephine Baker. Das Panthéon ist die nationale Ruhmeshalle Frankreichs und die Grabstätte berühmter französischer Persönlichkeiten.

Seine Aufnahme symbolisiert die republikanischen Werte, die er verkörperte: Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit, Einheit, Demokratie und die Vorherrschaft des Rechts. In den kommenden Monaten wird eine Ausstellung mit dem Titel „Robert Badinter. La justice au cœur" bis zum 8. März 2026 im Panthéon zu sehen sein, die sein außergewöhnliches Leben und Wirken würdigt.

Eine Mahnung für heute

Badinters Vermächtnis ist in Zeiten erstarkender rechtspopulistischer Bewegungen aktueller denn je. Sein unermüdlicher Kampf gegen die Todesstrafe und für die Gleichberechtigung aller Menschen – unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung – zeigt, dass Fortschritt nie selbstverständlich ist, sondern erkämpft werden muss. Die Grabschändung am Tag seiner größten Ehrung ist eine bittere Erinnerung daran, dass diese Kämpfe nie wirklich vorbei sind.

Robert Badinter starb im Februar 2024 im Alter von 95 Jahren. Er hinterlässt nicht nur seiner Familie – er war mit der Philosophin Elisabeth Badinter verheiratet, mit der er drei Kinder hat – sondern der gesamten Welt ein eindrucksvolles Erbe des Humanismus und der Gerechtigkeit.


EU-Kommission will gegen "Konversions­therapie" vorgehen – doch queere Organisationen fordern mehr

Die Europäische Union verstärkt ihren Kampf gegen sogenannte Konversionstherapien. Die EU-Kommission kündigte am Mittwoch an, die Mitgliedstaaten beim Verbot dieser diskriminierenden Praktiken zu unterstützen, wie sie bei der Vorstellung der neuen "LGBTIQ+ Equality Strategy 2026-2030" in Straßburg bekannt gab (Originalquelle: queer.de). Ein direktes EU-weites Verbot könne die Kommission nicht aussprechen, da dies "in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten eingreifen" würde, erklärte Gleichstellungskommissarin Hadja Lahbib, eine liberale Politikerin aus Belgien.

Was sind Konversionstherapien und warum sind sie so gefährlich?

Sogenannte Konversionstherapien zielen darauf ab, die sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität von Menschen gezielt zu ändern, wobei verschiedene Methoden wie Elektroschocks, die Einnahme von Hormonen oder exorzistische Riten zum Einsatz kommen. Die Praktiken würden häufig als "psychologische Unterstützung" getarnt, warnte Lahbib. Diese Praktiken können schwere physische und mentale Probleme verursachen und untergraben die Würde der Betroffenen – eine von vier LGBTQI+-Personen und fast die Hälfte aller transgender Menschen haben bereits solche Praktiken erlebt.

Die Vereinten Nationen haben ein weltweites Verbot von "Konversionstherapien" gefordert. Auch der Weltärztebund hat diese Praktiken mehrfach als Menschenrechtsverletzung verurteilt und vor den Gefahren für Leib und Leben gewarnt.

Deutschland als Vorreiter – aber nur mit Teilverbot

In Deutschland wurde bereits 2020 ein wichtiger Schritt unternommen: Auf Initiative des damaligen Bundesgesundheitsministers Jens Spahn (CDU) beschloss der Bundestag das "Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen", bei Verstößen drohen Freiheitsstrafen von bis zu einem Jahr oder hohe Bußgelder. Das Gesetz trat am 24. Juni 2020 in Kraft. Es verbietet Konversionstherapien bei Minderjährigen bis 18 Jahre und beinhaltet ein Werbeverbot.

Allerdings handelt es sich um ein Teilverbot: Deutschland gehört zu den ersten EU-Mitgliedsstaaten, in denen ein Verbot rechtlich verankert wurde, jedoch bezieht sich das Verbot nur auf Minderjährige. Bei Erwachsenen sind Konversionstherapien nur verboten, wenn die Einwilligung auf einem Willensmangel wie Zwang, Drohung oder Täuschung beruht.

Aktuell haben nur acht EU-Mitgliedstaaten Konversionstherapien verboten. Dazu gehören neben Deutschland auch Belgien, Zypern, Frankreich, Griechenland, Malta, Portugal und Spanien.

Die neue EU-Strategie: Fokus auf Online-Hass und Datensammlung

Die neue Strategie für 2026-2030 geht über das Thema Konversionstherapien hinaus. Neben der "Konversionstherapie" geht es auch darum, Hassrede zu bekämpfen – die Kommission will eine Wissensplattform einrichten, um Informationen über illegale Hassrede im Internet zu sammeln, zudem soll ein Aktionsplan gegen Cybermobbing zum Schutz Minderjähriger verabschiedet werden.

"Online ist ein Gift, das nicht online bleibt. Es schürt Gewalt in der realen Welt", betonte Kommissarin Lahbib. Brüssel will eine europaweite Datensammlung zu Konversionstherapien starten, um ein klareres Bild über das Ausmaß solcher Eingriffe zu erhalten, die oft als "psychologische Unterstützung" getarnt würden.

Über eine Million Menschen in ganz Europa haben eine Europäische Bürgerinitiative unterzeichnet, die ein EU-weites Verbot schädlicher Konversionstherapien fordert. Die Kommission muss nun auf diese massive Forderung reagieren.

Kritik von queeren Organisationen: "Nicht ambitioniert genug"

Trotz der Ankündigungen hagelt es Kritik von LGBTIQ+-Organisationen. Die neue Strategie fällt hinter die Ambitionen der ersten EU LGBTIQ Equality Strategy 2020-2025 zurück und erfüllt nicht die Dringlichkeit des Moments, um sicherzustellen, dass die EU die Grundrechte von LGBTI-Menschen wirklich schützt, erklärte ILGA-Europe, die queere Dachorganisation.

Katrin Hugendubel von ILGA-Europe äußerte sich besorgt: "In einer zunehmend feindlich eingestellten politischen Umwelt kommt die Frage auf: Ist diese Strategie robust genug, um die wachsenden Gefahren, die queere Menschen in der EU erfahren, entgegenzutreten? Und warum hat die EU aufgegeben, an vorderster Front LGBTI-Rechte zu verteidigen, wenn es wichtiger ist als je zuvor?"

Eine zweckmäßige Strategie hätte Pläne zur Bewältigung verbleibender legislativer Lücken bei der Freizügigkeit für alle LGBTI-Menschen und ihre Familien sowie konkrete Pläne zum Schutz von trans, intersex und nicht-binären Menschen im EU-Rechtskontext enthalten müssen. Besonders problematisch: Wenn EU-Mitgliedsländer gleichgeschlechtliche Ehen nicht anerkennen, kann es beim Umzug in diese Länder zu massiven Problemen kommen – ein Thema, das die Strategie nicht erwähnt.

Ungarn als mahnendes Beispiel: CSDs verboten

Wie dringend die EU handeln muss, zeigt das Beispiel Ungarn. Das ungarische Parlament beschloss im April 2025 eine Verfassungsänderung, die es ermöglicht, Pride-Paraden künftig zu verbieten, bei Verstößen drohen Strafen von bis zu 500 Euro. Das Parlament billigte den Gesetzesvorschlag im Eilverfahren mit 137 Ja- und 27 Nein-Stimmen, neben der Fidesz-Partei stimmten auch die rechte Jobbik-Partei und die rechtsextreme Partei Unsere Heimat dafür.

Formell ist die Neuregelung eine Ergänzung des Versammlungsgesetzes, die vorsieht, dass Versammlungen das Kinderschutzgesetz nicht verletzen dürfen – CSDs werden darin nicht explizit genannt, sind jedoch mitgemeint. Kritiker weisen darauf hin, dass die EU ihre Sanktionsmöglichkeiten gegen Länder, die EU-Grundrechte verletzen, konsequenter einsetzen müsse.

Europaabgeordnete fordern mehr Mut

Auch das LGBTIQ+-Intergroup – eine überparteiliche Gruppe von Europaabgeordneten – sieht die Strategie kritisch. Kim van Sparrentak, Co-Vorsitzende der Intergroup, begrüßte zwar die Bewertung von Online-Hass und eine mögliche Gesetzesinitiative zur Harmonisierung der Definition von Online-Hassverbrechen. "Davon abgesehen macht diese Strategie aber zu wenig, um das Leben unserer vulnerabelsten Gruppen zu verbessern, insbesondere die Trans- und Intersex-Community", so die Grünen-Politikerin aus den Niederlanden.

Die Kommission plant, das Budget für zivilgesellschaftliche Organisationen, die im Bereich Gleichstellung arbeiten, zu verdoppeln – auf 3,6 Milliarden Euro im nächsten EU-Langzeitbudget für das CERV-Programm. Ob dies ausreicht, um den wachsenden Bedrohungen für queere Menschen in Europa zu begegnen, bleibt abzuwarten.

Die neue Strategie markiert einen Schritt in die richtige Richtung, doch die Frage bleibt: Reicht das aus in Zeiten, in denen queere Rechte zunehmend unter Beschuss stehen?


Homophobes Mobbing an Rütli-Schule: Wenn das System zweimal versagt

Ein schwuler Lehrer am Campus Rütli in Berlin-Neukölln und sein Ehemann erleben seit Monaten einen Albtraum: Nächtliche anonyme Anrufe, obszöne Beleidigungen im Briefkasten, ein Klima der Angst – mutmaßlich ausgehend von Schülern der Gemeinschaftsschule. Doch statt Schutz und Aufklärung erfahren die Betroffenen vor allem eines: strukturelles Versagen. Ein für Dienstag geplantes Gespräch mit Schulleitung, Schulaufsicht und dem Queerbeauftragten wurde kurzfristig abgesagt – der hauptbetroffene Ehemann erfuhr davon nicht einmal direkt.

Wenn Opfer zu Störfaktoren werden

"Mit mir als Hauptgeschädigtem wird überhaupt nicht mehr gesprochen. Ich werde völlig aus der Kommunikation herausgenommen", kritisiert der Betroffene. Stattdessen sei ein Treffen ohne ihn und ohne den Queerbeauftragten geplant. Die Berliner Bildungsverwaltung unter CDU-Senatorin Katharina Günther-Wünsch begründet dies damit, der Ehemann stehe "in keinem dienstlichen Verhältnis zur Bildungsverwaltung". Eine Begründung, die zynisch wirkt, wenn man bedenkt, dass gerade er Ziel der Attacken wurde.

"Zur schwulenfeindlichen Gewalt der jugendlichen Täter kommt nun noch die strukturelle Gewalt dazu", formuliert der Betroffene treffend. Die Staatsanwaltschaft ermittelt inzwischen wegen Beleidigung und Nachstellung gegen mindestens einen namentlich bekannten Schüler sowie gegen Unbekannt.

Déjà-vu mit System

Der Fall erinnert erschreckend an den schwulen Lehrer Oziel Inácio-Stech von der Carl-Bolle-Grundschule in Berlin-Moabit. Auch er wurde monatelang von Schülern beschimpft – als "ekelhaft" und "unrein" bezeichnet, Kinder wollten seine Brötchen nicht mehr annehmen. Muslimische Schüler riefen, er sei "eine Familienschande", werde "in der Hölle landen" und sei "eine Schande für den Islam". Statt Unterstützung erfuhr er Gegenwind: Die Schulleitung warf ihm Fehlverhalten vor und erstattete sogar Anzeige gegen ihn. Inácio-Stech ist krankgeschrieben, leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung.

Die Bildungsverwaltung gibt an, erst durch Presseanfragen von den Mobbingvorwürfen am Campus Rütli erfahren zu haben und räumt ein: "Der Sachverhalt wurde durch Schulleitung und regionale Schulaufsicht bislang noch nicht zufriedenstellend bearbeitet". Ein Eingeständnis, das Fragen aufwirft: Wie kann eine Schulaufsicht derart versagen, dass die oberste Behörde erst aus der Zeitung erfährt?

Deutsche Parallelen: Ein strukturelles Problem

Die Berliner Fälle sind kein Einzelphänomen. Laut der EU-Grundrechteagentur gaben 48 Prozent der befragten LGBTIQ-Personen in Deutschland an, ihre sexuelle Orientierung während ihrer Schulzeit immer verheimlicht zu haben. 66 Prozent berichten, dass während ihrer Schulzeit nie LSBTIQ-Themen angesprochen wurden. 70 Prozent waren Mobbing, Spott oder Bedrohungen ausgesetzt, weil sie LSBTIQ sind.

19 Prozent der befragten LGBTIQ-Menschen in Deutschland wurden in den letzten zwölf Monaten durch Schulpersonal diskriminiert, bei 15 Prozent fand der letzte Diskriminierungsvorfall an der Schule oder Universität statt. Eine Studie der Antidiskriminierungsstelle zeigt zudem: 64 Prozent der 16- bis 29-jährigen Befragten berichten, dass ihre Lehrkräfte nie Unterrichtsbeispiele verwendeten, in denen auch LSB-Personen vorkommen.

Senatorin unter Druck

Die politische Kritik an Bildungssenatorin Günther-Wünsch verschärft sich. Grüne und Linke bringen den Fall am Donnerstag ins Berliner Abgeordnetenhaus. Sie fordern ein "systematisches Monitoring von queerfeindlicher Diskriminierung an Schulen" und sprechen von einem strukturellen Problem, nicht von Einzelfällen. Die Linke wirft der Senatorin vor, Queerfeindlichkeit zu vertuschen und bezeichnet ihr Verhalten als "eine einzige skandalöse Unverschämtheit und Ausdruck von massiver Ignoranz".

Besonders brisant: Statt Queerfeindlichkeit den Kampf anzusagen, hat die CDU-geführte Bildungsverwaltung in ihrem Haushaltsentwurf die Förderung zahlreicher queerer Bildungs- und Beratungsangebote gestrichen. Zum 1. April sollen rund 116.000 Euro für die trans und inter Beratung der Schwulenberatung und rund 500.000 Euro für die Fachstelle Queere Bildung wegfallen. Ein Signal, das in Zeiten zunehmender Queerfeindlichkeit fatale Wirkung entfaltet.

Vom Vorzeigeprojekt zum Problemfall

Die Rütli-Schule in Neukölln machte bereits 2006 bundesweit negative Schlagzeilen, als Lehrkräfte einen Brandbrief über unhaltbare Zustände schrieben. Nachdem jahrelang viel Geld investiert wurde, galt die Schule später als Vorzeigeprojekt. Der aktuelle Fall zeigt: Das Thema Queerfeindlichkeit wurde offenbar als "abgehakt" betrachtet.

Dabei haben Schulleitungen eine klare Fürsorgepflicht – sie müssen aktiv werden. Tun sie das nicht, verletzt dies ihre Pflicht. Im Fall des Campus Rütli scheint genau das passiert zu sein: Statt Aufklärung und Distanzierung soll die Schulleitung ausweichend reagiert haben. Auch das LKA zeigte sich "enttäuscht" über die fehlende Unterstützung durch die Schulleitung, die Fragen erst spät oder gar nicht beantwortete.

Was jetzt getan werden muss

Die Betroffenen fordern zu Recht mehr als Lippenbekenntnisse. Der Berliner Queerbeauftragte Alfonso Pantisano betont: "Es gibt in Berlin sehr viele Möglichkeiten zur Unterstützung. Dort können Eltern, Lehrkräfte und Schüler lernen, wie sie mit solchen Situationen umgehen – und dass Vielfalt keine Bedrohung, sondern eine Bereicherung ist".

Doch solche Angebote brauchen Finanzierung und politischen Willen. Eine Anfrage von CORRECTIV ergab: "Aktuelle wissenschaftliche Erhebungen speziell für Berlin, die nach Migrationshintergrund differenzieren, liegen nicht vor. In den zurückliegenden Legislaturperioden wurde dieses Themenfeld nicht aufgearbeitet – entsprechende Untersuchungen wurden nicht in Auftrag gegeben, da sie offenkundig politisch als diskriminierend bewertet wurden". Eine Erkenntnisvermeidung, die gefährlich ist.

Der Campus Rütli zeigt exemplarisch: Wenn Schulaufsicht versagt, Betroffene aus Gesprächen ausgeschlossen werden und queere Bildungsprojekte gekürzt werden, während gleichzeitig die Queerfeindlichkeit zunimmt, dann ist das kein Zufall – es ist politisches Versagen. Die Forderung des betroffenen Lehrer-Ehemanns nach einem Rücktritt der Senatorin mag drastisch klingen. Doch angesichts der sich häufenden Fälle und des mangelnden Schutzes für queere Lehrkräfte und ihre Angehörigen wirkt sie nachvollziehbar.

Berlin nennt sich gerne "Regenbogenhauptstadt". Die Realität an den Schulen erzählt eine andere Geschichte.


Bundestag debattiert Artikel 3: Union zögerlich, AfD schürt Ängste mit absurden Verleumdungen

Der Deutsche Bundestag hat am Donnerstag erneut über eine längst überfällige Verfassungsänderung debattiert: die Ergänzung von Artikel 3 des Grundgesetzes um das Merkmal "sexuelle Identität". Die Grünen haben einen Gesetzentwurf zur ersten Lesung vorgelegt, der auf einem Beschluss des Bundesrates vom 26. September 2025 basiert. Was folgte, war eine über einstündige Debatte, die einmal mehr offenlegte: Trotz jahrzehntelanger Diskussionen ist Deutschland von einer Verfassungsänderung zum Schutz queerer Menschen noch weit entfernt. Den vollständigen Bericht finden Sie auf queer.de.

Historischer Kontext: Eine Lücke, die seit 1949 besteht

Der Katalog der speziellen Diskriminierungsverbote in Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes blieb 1949 unvollständig. Sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität sind dort nicht erwähnt. Das wirkt sich bis heute negativ auf die Lebenssituation von LSBTIQ* aus. Die Grünen-Politikerin Nyke Slawik brachte es in der Debatte auf den Punkt: "Im Artikel 3 klafft eine Lücke, eine historische Wunde, ein bedrohliches Schweigen."

Diese Lücke hat dramatische Folgen gehabt. Bis 1994 waren sexuelle Handlungen zwischen Männern nach Paragraf 175 des Strafgesetzbuchs in Deutschland strafbar. Erst mit der Abschaffung des Paragrafen 175 im Jahr 1994 wurde das Schutzalter für homosexuelle Männer dem für andere Menschen angeglichen. Zwischen 1945 und 1969 gab es auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ca. 50.000 bis 60.000 Verurteilungen. Die Opfer dieser staatlichen Verfolgung wurden erst 2017 rehabilitiert – mehr als zwei Jahrzehnte nach der Abschaffung des menschenverachtenden Paragrafen.

Parteiübergreifende Initiative – aber die Union blockiert

Bemerkenswert ist, dass der Bundesrat am 26. September 2025 einen Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes beim Bundestag eingebracht hat. Berlins Regierender Bürgermeister und Initiator Kai Wegner (CDU) feierte den Beschluss als "wichtiges Signal für Respekt und Gleichbehandlung". Die Initiative wurde auch von den CDU-Ministerpräsidenten Daniel Günther aus Schleswig-Holstein und Hendrik Wüst aus Nordrhein-Westfalen mitgetragen.

Doch in der Bundestagsdebatte zeigte sich eine andere Realität: Die Unionsfraktion mauert. CDU- und CSU-Abgeordnete behaupteten mantrenartig, dass eine Änderung "eigentlich nicht notwendig" sei, da das Grundgesetz bereits heute Diskriminierung aufgrund sexueller Identität verbiete. Diese Argumentation ist nicht nur zynisch, sondern historisch widerlegt: Unter eben diesem Grundgesetz wurden homosexuelle Männer bis 1994 strafrechtlich verfolgt.

Der Linken-Politiker Maik Brückner widersprach der Union scharf und verwies auf Ungarn, wo sich "besorgniserregende Bestrebungen zu einer Abkehr vom freiheitlichen und gleichwertigen Verständnis der sexuellen und geschlechtlichen Identität" zeigen. Seine eindringliche Warnung an die Union: "Sie haben die Wahl: Flirt mit der extremen Rechten oder Grundgesetz stärken."

AfD schürt Ängste mit abstrusen Verleumdungen

Die AfD nutzte die Debatte für hetzerische und wissenschaftlich unhaltbare Angriffe. Gleich mehrere Redner der Rechtsaußen-Fraktion versuchten, die Ergänzung des Grundgesetzes mit Pädophilie und Zoophilie in Verbindung zu bringen. Der Abgeordnete Fabian Jacobi behauptete etwa, dass "die Feststellung, dass das sexuelle Interesse an Kindern eine Identität begründet, die dann von der Verfassung geschützt wäre", naheliege.

Diese Behauptung ist nicht nur diffamierend, sondern schlichtweg falsch: Pädosexuelle Handlungen sind und bleiben in Deutschland immer strafbar, da Kinder nicht einwilligungsfähig sind. Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits 2008 klargestellt, dass das Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung "seine Grenze findet, wo die sexuelle Selbstbestimmung anderer betroffen ist, insbesondere bei Kindern".

Stephan Brandner sorgte mit einer besonders geschmacklosen Bemerkung für einen Eklat, als er die Grünen-Politikerin Claudia Roth beleidigte. Bundestagspräsidentin Julia Klöckner griff ein und rügte: "Menschen mit unterschiedlicher sexueller Identität lächerlich zu machen, das gehört sich für dieses Hohe Haus nicht." Der SPD-Abgeordnete Helge Lindh bezeichnete die AfD in seiner Rede als "wandernden Altherrenwitz".

Warum die Verfassungsänderung notwendig ist

LSBTIQ-Personen werden in der Gesellschaft nach wie vor benachteiligt und angefeindet und sind gewaltsamen Übergriffen aufgrund ihrer sexuellen Identität ausgesetzt. Die Statistik zur politisch motivierten Kriminalität zeige, dass es im Jahr 2023 fast um die Hälfte mehr Delikte im Bereich "Sexuelle Orientierung" gegeben habe als im Vorjahr. Im Themenfeld "Geschlechtsbezogene Diversität" habe sich die Zahl der Straftaten sogar verdoppelt.

Der LSVD unterstützt seit Jahrzehnten die Forderung nach Ergänzung des Artikels 3 Absatz 3 des Grundgesetzes um den Begriff der sexuellen Identität. Die Organisation macht deutlich: Nur ein im Grundgesetz verankertes Verbot schaffe einen stabilen Schutz und entziehe dieses Gleichheitsrecht dem Wechselspiel der verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Kräfte. Dies ist besonders wichtig angesichts des Erstarkens rechtsextremer Kräfte in Deutschland und Europa.

Der schwierige Weg zur Zweidrittelmehrheit

Nun wird das Thema in den Ausschüssen besprochen. Die Vorlage wird im Anschluss der Aussprache zur weiteren Beratung an die Ausschüsse überwiesen. Die Federführung liegt beim Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz. Für eine Verabschiedung wäre eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat notwendig. Da die rechtsextreme AfD über fast ein Viertel der Sitze verfügt, müssten also – die Zustimmung von SPD, Grünen und Linken vorausgesetzt – auch die überwiegende Mehrheit der Unionsabgeordneten dafür stimmen.

Das dürfte schwierig werden. Zur Erinnerung: Bei der Abstimmung zur Ehe für alle votierten 2017 drei Viertel der Unionsabgeordneten dafür, am Ehe-Verbot für Schwule und Lesben festzuhalten. Schon 2011 scheiterte ein ähnlicher Vorstoß trotz absoluter Mehrheit an der erforderlichen Zweidrittelmehrheit. Die damalige Begründung: eine Verfassungsänderung sei lediglich "Symbolpolitik" – ein Argument, das die Union bis heute wiederholt.

Dabei waren sich bei einer Bundestagsanhörung im Jahr 2020 alle Sachverständigen einig, dass es positiv wäre, sexuelle Identität ins Grundgesetz aufzunehmen. Vielleicht sollten sich einige Unionsabgeordnete diese Einschätzungen noch einmal anhören – bevor sie erneut Geschichte auf der falschen Seite schreiben.

Immerhin gab es einen Hoffnungsschimmer: Der CDU-Politiker David Preisendanz erklärte sich als letzter Redner für eine Reform aus. Für ihn wiege schwer, "dass wir in Artikel 3 bereits heute bestimmte Gruppen explizit aufführen, die Opfer von Diskriminierung sind". Homosexuelle Menschen seien "die einzige Opfergruppe der Nationalsozialisten, die nicht in Artikel 3, Absatz 3 aufgenommen wurden, und auch unter Geltung des Grundgesetzes strafrechtlich verfolgt wurden".

Die Debatte zeigt: Auch 76 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes ist die Verfassung noch immer unvollständig. Es wird höchste Zeit, diese historische Lücke zu schließen – nicht als symbolischer Akt, sondern als notwendiger Schutz für Millionen Menschen in Deutschland.


"Das ist nicht fair" – Trans-Kind in Massachusetts Opfer transfeindlichen Angriffs

Ein 11-jähriges trans Kind wurde Anfang September an einer Schule in Marlborough, Massachusetts, Opfer eines mutmaßlichen gewalttätigen Übergriffs durch einen Mitschüler. Der Vater des Kindes berichtet, dass sein Kind jahrelang gemobbt wurde, aber erst kürzlich physisch angegriffen wurde. Der Fall, über den PinkNews berichtet, wirft ein Schlaglicht auf die anhaltende Gewalt gegen trans Kinder an Schulen – ein Problem, das auch in Deutschland alarmierend präsent ist.

Wenn Hass in Gewalt umschlägt

Die Situation eskalierte in der zweiten Schulwoche. Der Vater des betroffenen Kindes beschrieb gegenüber Boston25 News, wie die Familie gehofft hatte, dass ein Schulwechsel einen Neuanfang bedeuten würde. Doch die Hoffnung wurde schnell zerschlagen: "Irgendwie hat dieses Kind mein Kind in der zweiten Schulwoche gefunden, es im Flur abgefangen und angegriffen." Nach dem Angriff soll der Täter geschrien haben, das trans Kind sei "nicht gut darin, ein Junge zu sein" und "sollte niemals einer sein."

Der Vater konnte aufgrund des Alters beider Kinder keine Strafanzeige stellen, da das Gesetz von Massachusetts die strafrechtliche Verantwortlichkeit erst ab 12 Jahren vorsieht. 2018 wurde das Mindestalter für strafrechtliche Verantwortung in Massachusetts von 7 auf 12 Jahre angehoben. Die Frustration des Vaters ist greifbar: "Wütend, einfach nur wütend. Ich bin zur Schule gefahren und habe geschrien, und das zu Recht – es ist nicht fair, dass das passiert."

Zwischen Schutzversprechen und Realität

Die Marlborough Public Schools betonten in einer Stellungnahme, dass sie "sich für ein inklusives Umfeld einsetzen" und "kein Mobbing oder Belästigung aufgrund von Geschlechtsidentität tolerieren". Massachusetts hat 2010 eines der stärksten Anti-Mobbing-Gesetze des Landes implementiert, das strenge Anforderungen an Schulen stellt, um Schüler vor verschiedenen Formen von Mobbing zu schützen.

Doch für das betroffene Kind bleiben diese Strukturen abstrakt. "Mein Kind hat früher die Schule geliebt, und jetzt freut es sich nicht mehr darauf. Es ist jeden Tag ein Kampf, es dazu zu bringen, zur Schule zu gehen. Ein Kampf, es morgens dazu zu bringen, sich für die Schule anzuziehen", beschreibt der Vater die psychischen Folgen.

Deutschland: Ein ähnliches Bild

Die Situation in Massachusetts ist kein Einzelfall – und kein rein amerikanisches Problem. Auch in Deutschland sind trans Kinder und Jugendliche alarmierend häufig von Mobbing und Gewalt betroffen. Knapp die Hälfte der befragten jungen trans Personen in einer Studie des Deutschen Jugendinstituts gab an, an Bildungs- und Arbeitsorten beschimpft, beleidigt oder lächerlich gemacht worden zu sein. Etwa 10 Prozent wurden körperlich angegriffen oder verprügelt.

Studien zeigen, dass LSBTI die Schule als Ort erleben, an dem sie Homophobie, Transfeindlichkeit und Diskriminierung begegnen, wie der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) dokumentiert. Erfahrungen von Mobbing in der Schule und Konflikten in der Herkunftsfamilie sind unter trans Jugendlichen häufig, auch in der Öffentlichkeit kommt es regelmäßig zu transfeindlichen Diskriminierungen.

Besonders erschreckend: In der Schule sind 74 Prozent der trans Frauen, 44 Prozent der trans Männer und 53 Prozent der nicht-binären Personen ungeoutet – aus Angst vor genau solchen Übergriffen, wie sie das Kind in Massachusetts erlebt hat. 75 Prozent der trans Frauen, 63 Prozent der trans Männer und 67 Prozent der nicht-binären Befragten geben an, dass an ihrer Schule nie LSBTIQ-Themen adressiert worden sind.

Die psychischen Folgen

Die Konsequenzen von Mobbing und Gewalt gegen trans Jugendliche sind dramatisch. Von Konzentrationsstörungen über Isolation, Verlust von Vertrauen bis hin zu Depression und selbstverletzendem Verhalten reichen die Folgen. Gemobbte Jugendliche werden häufiger krank, entwickeln Angst vor der Schule und fehlen im Unterricht. Im schlimmsten Fall erleiden über lange Zeit gemobbte Jugendliche psychische Schäden, die sie ihr ganzes Leben begleiten können. Zudem besteht ein erhöhtes Suizidrisiko.

Eine französische Studie ergab, dass 69 Prozent der befragten trans Jugendlichen Suizidgedanken und 34 Prozent einen oder mehrere Suizidversuche hinter sich hatten, die im Zusammenhang mit der eigenen Trans-Identität standen. Würde an Schulen Mobbing besser bekämpft und die Akzeptanz von sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten gesteigert, könnte die Selbstmordrate unter queeren Kindern und Jugendlichen erheblich gesenkt werden, mahnen Forscher.

Was muss sich ändern?

Der Fall in Massachusetts zeigt, dass gesetzliche Rahmenbedingungen allein nicht ausreichen. Eine Schule, die ihren Schülern Sicherheit garantieren will und am Lernerfolg aller Kinder und Jugendlichen interessiert ist, muss sich der Herausforderung stellen, Maßnahmen gegen jede Art von Mobbing aufgrund der sexuellen Identität zu ergreifen.

In Deutschland wie in den USA braucht es mehr als Absichtserklärungen. Schimpfwörter dürfen nicht ignoriert werden, fordert die Landesschülervertretung Nordrhein-Westfalen. Lehrkräfte müssen sensibilisiert werden und trans Themen sollten sichtbar im Unterricht vorkommen. Es bietet sich an, transgeschlechtliche Personen in Bildern, Texten und in der Sprache im Unterricht präsent zu machen.

Der Vater des betroffenen Kindes in Massachusetts kündigte an, bei einem weiteren Vorfall Diskriminierungsklage beim Bundesstaat einzureichen. Doch das wahre Maß des Erfolgs wird darin liegen, dass es keinen weiteren Vorfall gibt – weder in Massachusetts noch an irgendeiner anderen Schule, in den USA oder in Deutschland. Jedes Kind hat das Recht, sicher zur Schule zu gehen und sich so zu entfalten, wie es ist.


Hoffnungsschimmer für lesbische Mütter: Justizministerin Hubig verspricht Reformen

In einem Interview mit der „Welt am Sonntag" macht Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) lesbischen Familien in Deutschland neue Hoffnung: "Das Familienrecht ist an vielen Stellen reformbedürftig und nicht unbedingt auf der Höhe der gesellschaftlichen Realität", so die SPD-Politikerin. Damit spricht sie ein Problem an, das tausende Regenbogenfamilien seit Jahren belastet – und das eigentlich schon 2017 mit der Einführung der Ehe für alle hätte gelöst werden müssen.

Die diskriminierende Rechtslage: Adoption statt automatischer Anerkennung

Die aktuelle Situation ist für lesbische Paare frustrierend: Wenn ein Kind in die Beziehung eines Frauenpaars hineingeboren wird, wird nach dem geltenden Abstammungsrecht nur die Geburtsmutter rechtliche Mutter des Kindes. Ihre Partnerin muss das Kind im Wege der Stiefkindadoption adoptieren, um rechtlicher Elternteil zu werden. Dies gilt selbst dann, wenn beide Frauen verheiratet sind und das Kind gemeinsam geplant haben.

Im Gegensatz dazu ist die Rechtslage bei heterosexuellen Paaren deutlich einfacher: Wird ein Kind in eine verschiedengeschlechtliche Ehe hineingeboren, gilt der Ehemann automatisch als rechtlicher Vater – unabhängig von der biologischen Vaterschaft. „Dieser Weg über das gerichtliche Adoptionsverfahren ist sehr mühsam und belastet die Familien", kritisiert Hubig gegenüber der Deutschen Presse-Agentur.

Dramatische Folgen der Rechtsunsicherheit

Die Konsequenzen dieser ungleichen Behandlung sind gravierend: Diese Verfahren sind langwierig und kostenintensiv. Noch schwerwiegender ist jedoch die rechtliche Lücke während des Adoptionsprozesses. Hubig betonte gegenüber der dpa auch die Problematik, dass aktuell im Todesfall der leiblichen Mutter nach der Geburt das Kind rechtlich gesehen eine Vollwaise ist, die Partnerin hat dann keinerlei Handhabe.

Besonders bemerkenswert: Inzwischen ein Drittel aller Adoptionen in Deutschland pro Jahr machen dabei jene Stiefkindadoptionen bei lesbischen Paaren aus. Dies zeigt deutlich, wie viele Familien von dieser Diskriminierung betroffen sind.

Die übersehene Lücke von 2017

Das Abstammungsrecht ist – anders als das Adoptionsrecht – nach Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe im Oktober 2017 nicht geändert worden. Es sieht bisher keine gemeinsame Elternschaft gleichgeschlechtlicher Paare vor. Diese Lücke im Eheöffnungsgesetz war keine bewusste Entscheidung, sondern entstand durch den zeitlichen Druck: Das Gutachten des "Arbeitskreises Abstammungsrecht" beim Bundesjustizministerium für Justiz und Verbraucherschutz ist erst nach der Öffnung der Ehe am 04.07.2017 veröffentlicht worden. Das Ministerium muss jetzt auf der Grundlage dieses Gutachtens einen Gesetzentwurf formulieren.

Gerichte halten Rechtslage für verfassungswidrig

Der Druck auf die Politik wächst: Mehrfach haben in den vergangenen Jahren bereits lesbische Frauen gegen die diskriminierenden Regelungen geklagt und vor Gericht gewonnen, zuletzt betonte ein Gericht in Baden-Württemberg, dass hier von Seiten des Gesetzgebers dringender Handlungsbedarf bestehe – notfalls über das Bundesverfassungsgericht.

Beim Bundesverfassungsgericht liegen seit 2021 fünf Vorlagen unterschiedlicher Gerichte und eine Verfassungsbeschwerde, die Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des gegenwärtigen Abstammungsrechts anmelden. Hubig betont: „Ich würde mir wünschen, dass wir für sinnvolle Reformen des Familienrechts nicht erst warten, bis das Bundesverfassungsgericht uns dazu eine Aufforderung schickt", so Hubig weiter.

Pläne existieren – aber die Umsetzung stockt

Das Tragische: Die Lösung liegt bereits in der Schublade. Die Gesetzentwürfe für die familienrechtlichen Reformen (Unterhaltsrechts, Kindschaftsrecht und Abstammungsrecht) werden in dieser Legislaturperiode im Zuge der vorzeitigen Beendigung der Regierungskoalition nicht weiterverfolgt. Der Reformbedarf besteht allerdings weiterhin. Damit die in den Entwürfen enthaltenen Überlegungen für die weitere Diskussion genutzt werden können, wurden die Gesetzentwürfe als Diskussionsentwürfe veröffentlicht.

Die Ampel-Koalition hatte die Reform versprochen: Im Januar 2024 legte das Bundesjustizministerium ein Eckpunktepapier vor, das vorsah, dass wenn ein Kind in eine Partnerschaft von zwei Frauen geboren wird, die Partnerin der Frau, die das Kind geboren hat, künftig ebenfalls ohne Adoptionsverfahren Mutter des Kindes werden können sollte.

Ungewisse Zukunft unter Schwarz-Rot

Die große Frage ist nun: Wird die neue Koalition handeln? Ein Entwurf des Koalitionsvertrags hatte im März 2025 eine entsprechende Reform und die Ermöglichung der Co-Mutterschaft noch vorgesehen. Der letztlich beschlossene Koalitionsvertrag schweigt jedoch zum Abstammungsrecht. Stattdessen heißt es lediglich, man werde sich bei Familienrechtsreformen "vom Wohl des Kindes leiten lassen".

Interessanterweise zeigt sich jedoch auch in der Union Bewegung: Auch Bundeskanzler Friedrich Merz hatte in diesem Jahr inzwischen mehrfach bekundet, eine solche Gesetzesänderung ebenso höchstwahrscheinlich mitzutragen. Dies könnte ein Hoffnungsschimmer sein, denn die Reform des Abstammungsrecht keine politische Gefälligkeit, sondern verfassungsrechtliche Pflicht ist.

Parallelen in Europa: Deutschland hinkt hinterher

Während Deutschland noch diskutiert, sind andere europäische Länder längst weiter. Manche Länder lassen eine gemeinsame rechtliche Elternschaft in einer lesbischen Regenbogenfamilie auch ohne Adoption zu, indem die Ehefrau oder eingetragene Partnerin der (gebärenden) Mutter genau wie ein Ehemann automatisch rechtlicher Elternteil wird. Länder wie die Niederlande, Belgien, Spanien und skandinavische Staaten haben bereits Regelungen geschaffen, die beide Mütter von Geburt an anerkennen.

Was auf dem Spiel steht

Es geht um mehr als Bürokratie. Es geht um die Absicherung von Kindern und ihren Familien. Immer noch hat ein Kind, das in die Ehe von zwei Frauen hineingeboren wird, weiterhin nur einen rechtlichen Elternteil. Damit besteht für diese Familien die belastende Wahl zwischen nur halber Absicherung der Kinder und der zwangsweisen Adoption durch den zweiten Elternteil.

Die Aussagen von Justizministerin Hubig sind ein wichtiges Signal. Ob aus Worten Taten werden, wird sich in den kommenden Monaten zeigen müssen. Für die betroffenen Familien steht viel auf dem Spiel: rechtliche Sicherheit, gesellschaftliche Anerkennung und vor allem das Wohl ihrer Kinder. Der Druck aus der Justiz und der Zivilgesellschaft ist da – jetzt muss die Politik endlich handeln.


Prozess in Tübingen: Gewalt in Flüchtlingsunterkünften – Ein dringender Weckruf

Eine schockierende Tat erschüttert Baden-Württemberg: Weil er einen Mann aus einem Fenster gestoßen und anschließend vergewaltigt haben soll, wird einem 30-Jährigen vor dem Landgericht Tübingen der Prozess gemacht. Der Fall ereignete sich laut queer.de im November 2024 in einer Reutlinger Flüchtlingsunterkunft und wirft ein grelles Licht auf ein Problem, das viel zu lange im Schatten bleibt: die erschreckende Gewalt gegen vulnerable Gruppen in Gemeinschaftsunterkünften.

Die Tat: Brutale Gewalt nach Alkohol- und Drogenkonsum

Der 24 Jahre alte Bewohner einer Reutlinger Flüchtlingsunterkunft habe in seinem Zimmer mit einem ihm bekannten Besucher Alkohol und Marihuana konsumiert. Was dann geschah, übersteigt die Vorstellungskraft: Der Besucher soll ein Fenster geöffnet und den Zimmerbewohner hinausgestoßen haben. Beim Sturz aus dem ersten Stock erlitt der 24-Jährige schwere Verletzungen. Im Anschluss soll der 29-Jährige im Freien seinen Bekannten vergewaltigt haben. Zeugen kamen dem 24-Jährigen anschließend zu Hilfe, worauf der Täter von ihm abließ und flüchtete.

Nur dank einer sofortigen Notoperation überlebte der junge Mann. Der Tatverdächtige wurde gut eine Woche später bei einem Angehörigen in Hamburg festgenommen. Er kam in Untersuchungshaft. Es geht unter anderem um den Vorwurf des versuchten Totschlags. Ab dem 13. Oktober sollen fünf Verhandlungstermine stattfinden.

Ein strukturelles Problem: LGBTIQ*-Geflüchtete in Gefahr

Dieser Fall ist kein Einzelfall. Geflüchtete LSBTI berichten, dass sie in Erstaufnahme-Einrichtungen oder Gemeinschafts-Unterkünften von anderen Geflüchteten oder Mitarbeitenden eingeschüchtert, drangsaliert und bedroht werden. Die von den Bundesländern vorgehaltenen Flüchtlings-Sammelunterkünfte sind für LSBTI-Geflüchtete in der Regel Angsträume. Besonders alarmierend: Für die Geflüchteten ist die Angst vor Verfolgung nach ihrer Ankunft in Deutschland meist nicht vorbei. Vielmehr ist Gewalt gegen geoutete LSBTI in diesen Einrichtungen für sehr viele bittere Erfahrung.

Die Problematik ist in Deutschland gut dokumentiert. Lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche (LSBTI*) Geflüchtete waren in ihren Herkunftsländern und während der Flucht oft massiver Verfolgung ausgesetzt. In Sammelunterkünften werden sie besonders häufig Opfer LSBTI*-feindlicher Gewalt. Der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) berichtet, dass seinem Projekt "Queer Refugees Deutschland" nach wie vor viele Fälle von Gewalt in den Unterkünften gemeldet werden.

Schutzkonzepte existieren – werden aber kaum umgesetzt

Das Paradoxe: Es gibt längst Mindeststandards zum Schutz geflüchteter Menschen in Unterkünften. Die vorhandenen Empfehlungen zum Gewaltschutz für geflüchtete LSBTI finden nach wie vor zu wenig Beachtung. Wenn es überhaupt Landes-Gewaltschutz-Konzepte gibt, wurden die Mindest-Standards zum Schutz LSBTI-Geflüchteter kaum übernommen.

Die Flüchtlingsunterkünfte sind teilweise auch heute noch oftmals geprägt von Überbelegung, fehlender Privatsphäre und erheblichen Missständen hinsichtlich Hygiene und Sicherheit. Durchgängig fehlt es in großen Unterkünften an Privatsphäre. Zudem gibt es die Proteste und Angriffe aus der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Diese Zustände und Erfahrungen von Flüchtlingen führen allgemein zu einem frustrations- und aggressionsfördernden Umfeld.

Queerfeindliche Gewalt nimmt in Deutschland zu

Der Tübinger Fall muss im Kontext einer besorgniserregenden Entwicklung gesehen werden: Im Jahr 2023 wurden in Deutschland rund 1.500 Delikte gegen die sexuelle Orientierung polizeilich erfasst. Damit stieg ihre Zahl das sechste Jahr in Folge und auf einen deutlichen Höchststand. Bei den Gewalttaten gab es 212 Opfer, im Jahr 2022 waren es noch 197.

Die Zahl der Straftaten im Bereich „Sexuelle Orientierung" und „Geschlechtsbezogene Diversität" hat sich seit 2010 nahezu verzehnfacht. Trotz des Anstiegs der gemeldeten Fälle legen Erhebungen nahe, dass die Dunkelziffer weiterhin hoch ist. Besonders dramatisch: Lediglich 15 % der schwulen Befragten haben den letzten physischen Angriff oder sexualisierte Gewalterfahrung bei der Polizei angezeigt.

Was jetzt passieren muss

Der Fall in Tübingen ist ein dringender Weckruf. Behörden und Träger müssen alle Anstrengungen unternehmen, damit Flüchtlinge keine Gewalt erfahren, weder außer- noch innerhalb der Unterkünfte. Die Behörden müssen alle Anstrengungen unternehmen, damit Geflüchtete keine Gewalt erfahren. Menschenwürdige Unterkünfte mit einem ausreichenden Betreuungsschlüssel würden zudem alle Flüchtlingen zu gute kommen und zu einem weniger angespannten Umfeld führen.

Es braucht mehr als Lippenbekenntnisse: sichere Unterbringung für vulnerable Gruppen, sensibilisiertes Personal, konsequente Umsetzung bestehender Schutzkonzepte – und die klare Botschaft, dass queerfeindliche Gewalt in Deutschland keinen Platz hat. Der Prozess in Tübingen wird zeigen, ob unser Rechtssystem dieser Verantwortung gerecht wird.

Ein Urteil könnte Ende Oktober fallen.


Bizarre Notlandung in den USA: Passagier behauptet, LGBTQ+-Menschen geben ihm Krebs

Ein bizarrer Vorfall auf einem Inlandsflug in den USA hat am 3. Oktober 2025 für Schlagzeilen gesorgt und zeigt einmal mehr, wie queerfeindliche Verschwörungstheorien zu gefährlichen Situationen führen können. Ein Flugzeug der Sun Country Airlines musste auf dem Weg von Minneapolis nach Newark in Chicago notlanden, nachdem ein Passagier lautstark behauptete, LGBTQ+-Menschen würden ihm Krebs geben. Der Mann trug dabei mindestens 15 Gesichtsmasken übereinander – ein Detail, das die Absurdität der Situation unterstreicht.

Von Candy Crush zu Verschwörungstheorien

Was zunächst wie ein normaler Flug begann, entwickelte sich schnell zu einem Alptraum für Passagiere und Crew. Der Passagier spielte zwischen seinen Ausbrüchen Candy Crush auf seinem Handy, sprang aber immer wieder von seinem Sitz auf. Mitreisender Seth Evans, der direkt gegenüber saß, berichtete gegenüber der Minnesota Star Tribune, wie der Mann schrie, er würde von der LGBTQ+-Community „gang chased", „cooked" und „radiated" – und dass dies bei ihm Krebs verursache.

Besonders beunruhigend: Der Passagier erklärte mehrfach „Trump is here" und verkündete schließlich „The plane is going down!" – ein Satz, der die Piloten dazu veranlasste, einen Notfall auszurufen und nach Chicago umzuleiten.

Notlandung und polizeiliche Intervention

Nach der Landung am O'Hare International Airport wurde der Mann in Handschellen von der Polizei aus dem Flugzeug eskortiert. Passagiere mussten sitzen bleiben, während US Marshals und lokale Polizeikräfte Interviews führten, um den Vorfall zu klären. Die Fluggesellschaft bestätigte, dass „der Flug ohne Zwischenfälle gelandet sei und der betreffende Passagier den Strafverfolgungsbehörden übergeben wurde".

Queerfeindlichkeit im deutschen Kontext

Auch wenn dieser extreme Fall sich in den USA ereignete, ist Queerfeindlichkeit auch in Deutschland ein ernstzunehmendes Problem. Im Jahr 2023 wurden in Deutschland 1.785 Straftaten gegen LGBTQ+-Personen erfasst, darunter Beleidigungen, Gewalttaten, Volksverhetzungen sowie Nötigungen und Bedrohungen. Die Zahl der Straftaten im Bereich „Sexuelle Orientierung" und „Geschlechtsbezogene Diversität" hat sich seit 2010 nahezu verzehnfacht, wie das Bundesinnenministerium und das BKA berichten.

Besonders alarmierend: Trotz des Anstiegs der gemeldeten Fälle legen Erhebungen nahe, dass die Dunkelziffer weiterhin hoch ist. Viele Betroffene zeigen Vorfälle nicht an, aus Angst vor weiterer Diskriminierung oder aus Resignation.

Störende Passagiere: Ein zunehmendes Problem

Vorfälle mit störenden Passagieren sind in der Luftfahrt kein neues Phänomen. In Deutschland regeln klare Vorschriften die Rechte und Pflichten bei Notlandungen. Wenn eine Notlandung aufgrund eines aggressiven Passagiers erforderlich ist, der sich vor dem Abflug nicht auffällig verhalten hat, stellt dies einen außergewöhnlichen Umstand dar.

Dieser Fall reiht sich ein in eine besorgniserregende Serie queerfeindlicher Vorfälle im öffentlichen Raum. Auch in deutschen Schulen mehren sich die Berichte: Seit März 2024 wurden 24 Vorfälle mit Bezug zur geschlechtlichen oder sexuellen Identität registriert, elf Fälle waren explizit queerfeindlich, wie das baden-württembergische Kultusministerium mitteilte.

Was wir daraus lernen können

Dieser bizarre Vorfall zeigt mehrere wichtige Aspekte auf: Erstens verdeutlicht er, wie gefährlich Verschwörungstheorien und queerfeindliche Ideologien werden können, wenn sie mit psychischen Problemen zusammentreffen. Zweitens unterstreicht er die Notwendigkeit, dass Flugpersonal auf solche Situationen vorbereitet sein muss. Und drittens macht er deutlich, dass LGBTQ+-Feindlichkeit nicht nur ein abstraktes Problem ist, sondern reale Auswirkungen auf die Sicherheit aller hat.

Die Geschichte nahm glücklicherweise ein glimpfliches Ende: Nach der Verzögerung konnte der Flug seine Reise nach Newark fortsetzen, und niemand wurde verletzt. Doch sie sollte uns alle daran erinnern, dass der Kampf gegen Queerfeindlichkeit und Verschwörungstheorien noch lange nicht gewonnen ist – weder in den USA noch in Deutschland.

Quelle: PinkNews


AfD blockiert queeren Verein in Merseburg – wenn Demokratiefeinde über Demokratie entscheiden

In einer Stadt in Sachsen-Anhalt ist der demokratische Auftrag des Bundesprogramms "Demokratie leben!" zur Farce geworden: Die AfD konnte in Merseburg im Ausschuss für Bildung, Soziales, Kultur und Tourismus des Stadtrats erstmals eine Aufnahme in das Bündnis verhindern, wie queer.de berichtet. Zwei Aktivist*innen des queeren Vereins BBZ Lebensart wurden von der rechtsextremen Partei blockiert – mit einer Begründung, die fassungslos macht.

Queere Menschen als "kranke Ideologie" diffamiert

Die stellvertretende AfD-Fraktionschefin Manuela Krause begründete die Ablehnung damit, dass die Inhalte des Vereins "kranke Ideologien" seien. Ihre zynische Aussage: "Aber ich bin der Meinung, solche Leute gehören nicht in derartige Gremien". Dass eine Politikerin, die in ihrem Instagram-Profilbild mit einer russischen Nationalfahne abgebildet ist, über demokratische Werte urteilt, entbehrt nicht einer bitteren Ironie.

Das BBZ "lebensart" e.V. ist ein 1990 gegründeter, gemeinnütziger Verein, der sich für die Anerkennung und Akzeptanz von geschlechtlicher und sexueller Vielfalt einsetzt. Der Verein bietet Beratung für nicht-heterosexuelle, trans- und intergeschlechtliche sowie nicht-binäre Menschen, Bildungsarbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen sowie öffentliche Veranstaltungen an. Genau diese professionelle Arbeit gegen Diskriminierung wird nun von der AfD als "krank" bezeichnet.

Wie "Partnerschaften für Demokratie" funktionieren sollen

Über die Partnerschaften für Demokratie sollen zivilgesellschaftlich und demokratisch aktive Menschen und Organisationen, die sich in ihrem kommunalen Umfeld für die Demokratie engagieren, gestärkt und vernetzt werden. Im partnerschaftlichen Zusammenwirken, insbesondere von kommunaler Verwaltung und Zivilgesellschaft, wird eine lebendige und vielfältige Demokratie vor Ort sowie eine Kultur der Kooperation, des respektvollen Miteinanders, der gegenseitigen Anerkennung und Unterstützung gestärkt.

Das Bundesprogramm "Demokratie leben!" des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend existiert seit 2015 und trägt zur Stärkung der Demokratie und zu einem friedlichen, respektvollen Umgang bei, fördert Teilhabe und ermöglicht die Arbeit gegen jede Form von Demokratiefeindlichkeit. Die Stärkung der Demokratie und die nachhaltige Bekämpfung von Extremismus, Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Muslimfeindlichkeit, Sexismus, LSBTIQ*-Feindlichkeit und anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit bedarf eines ganzheitlichen Ansatzes.

Wenn Demokratiefeinde über Demokratie entscheiden

Das Fatale an der Situation in Merseburg: Im Sozialausschuss stimmten die vier AfD-Abgeordneten gegen die Aufnahme. Vier weitere stimmten dafür, drei enthielten sich. Somit fehlte die Mehrheit. Josephin Heinz von der Koordinierungs- und Fachstelle der "Partnerschaften für Demokratie" kritisierte: "Es kann nicht sein, dass auf ein zivilgesellschaftliches Bündnis politisch Einfluss genommen wird".

Die Ironie könnte kaum größer sein: Das Landesamt für Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt stufte den AfD-Landesverband im Januar 2021 als rechtsextremen Verdachtsfall ein, im November 2023 schließlich als "gesichert rechtsextremistische Bestrebung". Eine vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestufte Partei blockiert also die Aufnahme eines Vereins in ein Demokratie-Programm mit der Begründung, dieser vertrete "kranke Ideologien".

Merseburg – eine rechtsextreme Hochburg

Die Blockade kommt nicht von ungefähr. Merseburg gilt als rechtsextreme Hochburg: Bei der letzten Bundestagswahl erhielt die AfD rund 40 Prozent der Stimmen. Der Wahlkreis wird von Sven Czekalla vertreten, der das Direktmandat bei der Landtagswahl am 6. Juni 2021 mit 41,2 % der Erststimmen erstmals gewann.

Die rechtsextreme Stimmung in der 34.000-Einwohner*innen-Stadt zeigt sich auch an anderen Vorfällen: Beim CSD in Merseburg im Juni zeigte ein Mann den Hitlergruß, wie queer.de bereits berichtete. 2018 war Merseburg bundesweit bekannt geworden, weil die Direktorin des Kulturhistorischen Museums Schloss Merseburg ein schwules Kunstwerk als "abartig" bezeichnet hatte.

Ein bundesweites Muster der AfD-Queerfeindlichkeit

Was in Merseburg geschieht, ist Teil einer systematischen Strategie. Trotz ihrer offen lesbischen Kanzlerkandidatin ist die AfD die lauteste Stimme im Bundestag gegen LGBTIQ*-Rechte. Die Partei lehnte 2017 die Legalisierung der Ehe für alle ab, forderte 2019 erfolglos deren Rücknahme und versuchte 2022 ohne Erfolg, ein Gesetz zur vereinfachten Änderung des Geschlechtseintrags für trans Personen zu blockieren.

Für die Zukunft will die AfD das Selbstbestimmungsgesetz wieder abschaffen und fordert ein Ende der „Indoktrination" von Kindern durch „Trans-Kult", „frühe Sexualisierung" und „Gender-Ideologie" sowie die Streichung aller öffentlichen Gelder für diese Bereiche. Die AfD-Fraktion will auch das Amt des Queer-Beauftragten der Bundesregierung wieder abschaffen.

Was bedeutet das für Deutschland?

Der Fall Merseburg ist ein Menetekel für die gesamte Bundesrepublik. Der Rechtsextremismusforscher Matthias Quent warnt vor einem weiteren Erstarken der AfD bei den Landtagswahlen. In aktuellen Umfragen ist die AfD in Sachsen-Anhalt stärkste politische Kraft. Nach einer aktuellen Wahlumfrage würden die AfD 39%, die CDU 27%, Die Linke 13% und die SPD 7% erhalten.

Wenn eine als rechtsextremistisch eingestufte Partei demokratische Institutionen und Förderprogramme von innen heraus blockieren kann, ist die Demokratie in Gefahr. Diese Projekte geraten nun vermehrt ins Fadenkreuz der AfD. Was in Merseburg begann, könnte sich bundesweit wiederholen – überall dort, wo die AfD an kommunaler Macht gewinnt.

Das BBZ Lebensart leistet seit über drei Jahrzehnten wichtige Arbeit für queere Menschen in Sachsen-Anhalt. Diese Arbeit als "kranke Ideologie" zu diffamieren und aktiv zu blockieren, zeigt das wahre Gesicht der AfD – unabhängig davon, wer an ihrer Spitze steht. Demokratie, Vielfalt und Menschenwürde sind keine Verhandlungsmasse. Sie sind das Fundament unserer Gesellschaft.


LGBTQ+ Radiosender in Belfast: Ofcom-Urteil sorgt für Kopfschütteln in der queeren Community

Die britische Medienaufsichtsbehörde Ofcom hat den LGBTQ+ Radiosender Juice aus Belfast wegen angeblich unzureichender queerer Inhalte gerügt – eine Entscheidung, die bei Betroffenen und Beobachter*innen für Fassungslosigkeit sorgt. Die Regulierungsbehörde befand, dass der Sender nicht genug Programme ausstrahle, die der queeren Community gewidmet sind, obwohl Juice Radio explizit gegründet wurde, um „eine Community für Menschen jeden Alters zu schaffen, die sich als LGBT identifizieren, um ihre Bestrebungen, Anliegen, Erfolge und Themen zu präsentieren und zu diskutieren".

Eine widersprüchliche Regulierungsgeschichte

Die Geschichte von Juice Radio und Ofcom liest sich wie ein bürokratisches Drama voller Wendungen. 2022 hatte Ofcom zunächst geurteilt, dass Juice „nicht seine Verpflichtung erfülle, LGBT-Hymnen als Teil seines Musikprogramms zu senden", und den Sender stattdessen als reinen Dance-Music-Service eingestuft. Nach weiterer Beobachtung ruderte die Behörde zurück und entschied, dass Juice Radio „nicht mehr als Dance-Music-Service erscheine".

Nun, drei Jahre später, kommt Ofcom nach einer erneuten Beschwerde zu einem Urteil, das den Sender erneut in die Kritik nimmt. Die Aufsichtsbehörde erklärte, dass Juice Radio „einen allgemeinen Service ausstrahle, der nur eine sehr begrenzte Menge an speziellen Programmen für die LGBT+ Community biete, anstatt ein Service speziell für diese Community zu sein".

Was Juice Radio tatsächlich leistet

Die Vorwürfe stehen in deutlichem Kontrast zu dem, was der Sender nach eigenen Angaben bietet. Juice Radio sendete eine Show namens AMDMs (A Morning Dedicated to Matters), die als „dedizierter Raum zur Erkundung von LGBT+ Themen" konzipiert ist. Darüber hinaus strahlte der Sender ein Feature namens „Listen with Pride" aus, das über 160 Mal pro Woche Unterstützungsorganisationen hervorhob. Der Sender übertrug zudem live von Community-Events wie dem Belfast Pride und rekrutierte Community-Mitglieder als Freiwillige.

Doch Ofcom blieb unbeirrt. Die Behörde urteilte, dass die Mehrheit von Juice' Programm einem „Mainstream"-Radiosender gleiche, wobei „die gesprochenen Inhalte hauptsächlich aus Moderator*innen bestanden, die die Musik ankündigten, die innerhalb der Stunde gesendet wurde".

„Flip-Flopping" und Frustration

Shane Pearce, Gründer und Geschäftsführer von Juice Radio, bezeichnete die Entscheidung als „wirklich verblüffend" und warf Ofcom vor, bei seinen Erwartungen hin und her zu schwanken. „Vor drei Jahren forderte uns Ofcom mit der Kohärenz eines schlecht eingestellten Radiosignals heraus", sagte Pearce. „Wir verteidigten unsere Mission, die in Community, Vielfalt und authentischer Musik verwurzelt ist, und Ofcom räumte ein, dass wir ihre Anforderungen erfüllten".

„Ofcom hat seine Meinung geändert und behauptet, dass unsere immer noch konforme Musikpolitik und unser Servicecharakter nicht mehr ausreichen", so Pearce weiter.

Ein Blick nach Deutschland: Queere Radios im Überlebenskampf

Die Situation von Juice Radio erinnert an die Herausforderungen, mit denen queere Radiosender auch in Deutschland konfrontiert sind. lulu.fm war ein privater bundesweiter Hörfunksender, der sich an die LSBTIQ-Community wendete und das einzige Radioprogramm für diese Zielgruppe mit bundesweiter Rundfunklizenz und terrestrischer Verbreitung über Antenne war. Doch nach fast acht Jahren on Air stellte lulu.fm den Sendebetrieb in Deutschland zum 30. Juni 2024 ein. Gründer Frank Weiler erklärte, dass „das Herzblut-Projekt lulu.fm wirtschaftlich nicht mehr haltbar" sei.

Während in Deutschland die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit queerer Radios die größte Hürde darstellt, kämpfen Sender wie Juice in Nordirland mit der Frage, wie sie ihre queere Identität gegenüber Regulierungsbehörden „beweisen" können. In Deutschland sichern die 14 Landesmedienanstalten als Aufsichtsbehörden die Vielfalt an Meinungen, Angeboten und Anbietern in privatem Rundfunk und Telemedien, wobei die gesellschaftliche Vielfalt sich in den Gremien aller öffentlich-rechtlichen Medien und den entsprechenden Gremien der Landesmedienanstalten abbilden sollte – ein Ziel, das erst in den letzten Jahren zunehmend erreicht wird.

Doppelte Standards bei der Regulierung

Besonders bitter ist für viele die Diskrepanz in der Behandlung durch Ofcom. In einem separaten Fall verhängte Ofcom keine Sanktionen gegen GB News, nachdem der Sender wegen beleidigender Sprache gegen die Community gegen seinen Kodex verstoßen hatte – ein rechtsgerichteter Fernsehsender hatte über 71.000 Beschwerden erhalten, als Moderator Josh Howie sagte, die LGBTQ+ Community schließe „Paedos" ein.

Nach mehr als sechs Monaten Untersuchung kam Ofcom zu dem Schluss, dass GB News zwar gegen den Rundfunkkodex verstoßen habe, aber keine weiteren Maßnahmen ergriffen würden, nachdem Howie sich entschuldigte. Howie verwendete jedoch „LGB" anstelle von „LGBTQ+" wie in den ursprünglichen Kommentaren, wodurch trans Menschen scheinbar von der Entschuldigung ausgeschlossen wurden.

Die Bedeutung queerer Medienräume

Die Situation von Juice Radio wirft grundlegende Fragen über die Anerkennung und Unterstützung queerer Medienräume auf. Während Mainstream-Sender selten hinterfragt werden, müssen LGBTQ+ Radios offenbar kontinuierlich ihre Existenzberechtigung beweisen – und das nach Kriterien, die sich scheinbar willkürlich ändern können.

Für queere Communities sind solche Sender jedoch weit mehr als reine Musikprogramme. Sie bieten Sichtbarkeit, schaffen sichere Räume und vermitteln Informationen, die in Mainstream-Medien oft fehlen. Die Geschichte von Juice Radio zeigt, wie schwierig es für diese wichtigen Community-Projekte ist, zwischen den Anforderungen von Regulierungsbehörden, wirtschaftlicher Nachhaltigkeit und authentischem Community-Service zu navigieren – ein Balanceakt, der in ganz Europa queere Medien herausfordert.


Queerfeindlichkeit an Berliner Schulen: Staatsanwaltschaft ermittelt am Campus Rütli

Erneut sorgt ein Fall von Queerfeindlichkeit an einer Berliner Schule für Schlagzeilen: Nach monatelangen Beleidigungen gegen den Ehemann eines schwulen Lehrers in Berlin-Neukölln ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Beleidigung und Nachstellung. Der Vorfall ereignete sich am Campus Rütli – einer Schule, die bereits 2006 bundesweit zum Symbol für das Versagen des Schulsystems wurde und nach jahrelanger Förderung als Vorzeigeprojekt galt. Nun steht sie erneut im Fokus negativer Berichterstattung. Der ursprüngliche Bericht wurde von queer.de, Tagesspiegel und Correctiv veröffentlicht.

Der aktuelle Fall: Systematische Belästigung und Bedrohung

Der Ehemann eines Lehrers an der Gemeinschaftsschule auf dem Campus Rütli erhielt zunächst anonyme, häufig nächtliche Anrufe auf sein Handy. Später fand sich ein Schreiben mit anzüglichen Beleidigungen im Briefkasten des Paares. Die Belästigungen führten dazu, dass das Paar die Polizei verständigte. "Ich habe Angst, dass sich das Ganze wiederholt", sagte der Betroffene dem Tagesspiegel.

Das erste Verfahren gegen einen Schüler des Campus Rütli ist mittlerweile abgeschlossen. Im zweiten Verfahren dauern die Ermittlungen an, wobei versucht wird, weitere Tatverdächtige zu ermitteln – mit überwiegender Wahrscheinlichkeit aus der Schülerschaft, so ein Sprecher der Staatsanwaltschaft.

Untätigkeit der Schulleitung sorgt für Kritik

Besonders kritisch ist das Verhalten der Schulleitung: Anstatt Schüler- und Elternschaft über den Fall aufzuklären, sich entschieden von queerfeindlichem Verhalten zu distanzieren und bei der Suche nach den verantwortlichen Schülern zu helfen, soll die Schulleitung dem Lehrer und seinem Ehemann gegenüber ausweichend reagiert haben. Das Ehepaar erstattete daraufhin im Oktober vergangenen Jahres Anzeige beim Berliner Landeskriminalamt, wo der Staatsschutz in der Abteilung zur Bekämpfung von Hasskriminalität ermittelte.

Aus einem Mailverkehr mit der Ermittlungsbehörde geht hervor, dass diese „enttäuscht" über die fehlende Unterstützung der Schulleitung war. Die Schulleitung habe Fragen des LKA erst spät oder gar nicht beantwortet.

Parallelen zum Fall Oziel Inácio-Stech

Der aktuelle Fall erinnert an den des schwulen Lehrers Oziel Inácio-Stech an der Carl-Bolle-Grundschule in Berlin-Moabit. Er wurde monatelang von Schülern beschimpft mit Aussagen wie „Schwul ist ekelhaft", als „unrein" bezeichnet, körperlich bedroht. Muslimische Schüler hätten gerufen, er sei „eine Familienschande", er werde „in der Hölle landen", er sei „eine Schande für den Islam".

Es stehen schwere Vorwürfe gegen die Schulleitung im Raum, die den Lehrer nicht geschützt haben soll. Im Gegenteil habe sie nach Vorwürfen von Eltern und einer Kollegin ihm Fehlverhalten gegenüber Schülern vorgeworfen und Anzeige gegen ihn erstattet. Das Verfahren wurde später eingestellt. Inácio-Stech ist vom Arzt krankgeschrieben worden. Er leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung und warte auf einen Platz in der Reha.

„Queerfeindliche Haltungen zeigen sich vehementer"

Diese Fälle sind keine Einzelfälle. Rebecca Knecht, Vorstandsmitglied des Bundesverbands Queere Bildung, sagte: „Queerfeindliche Haltungen zeigen sich auch im Kontext Schule mittlerweile vehementer als noch vor einigen Jahren". Eine Studie „Akzeptanz sexueller Vielfalt an Berliner Schulen" von 2012 kam zu dem Ergebnis, dass 62 Prozent der Berliner Schüler der sechsten Klasse „schwul" oder „Schwuchtel" sowie 40 Prozent „Lesbe" als Schimpfwort verwenden.

Laut einer großen EU-Grundrechteagentur-Umfrage wurden 19 Prozent der befragten LGBTI-Menschen aus Deutschland in den letzten 12 Monaten durch Personal einer Schule oder Universität diskriminiert. 28 Prozent haben während ihrer Schulzeit oft negative Kommentare abgekommen oder negatives Verhalten ihnen gegenüber erfahren.

Kritik an Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch

Berlins Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) gerät wegen ihres Umgangs mit den Queerfeindlichkeitsfällen massiv in die Kritik. Linke-Politiker warfen ihr vor, Queerfeindlichkeit in Schulen nicht ernst zu nehmen und vertuscht zu haben. Eine Bildungssenatorin, die von Queerfeindlichkeit in Schulen nichts wissen will, sie vertuscht und queeren Berliner Schülern und Lehrkräften nicht nach Kräften hilft, sei für dieses Amt ungeeignet.

In einer Senatsantwort wurde bestätigt, dass dem schwulen Pädagogen nach mehreren Vorfällen am 11. März 2023 von der Schulleitung und der Schulaufsicht kein einziges Unterstützungsangebot unterbreitet worden sei. Die Frage, ob der Senat diese Nichtreaktion auf queerfeindliche Gewalt für adäquat halte, wurde nicht beantwortet.

Die schwierige Debatte um Ursachen

Die Vorfälle werfen schwierige Fragen auf. Im Raum steht bei der Debatte stets die mehr oder weniger ausgesprochene Vermutung, arabischstämmige oder muslimisch geprägte Jugendliche seien per se queerfeindlicher als Jugendliche ohne Migrationshintergrund. Aber stimmt das überhaupt – oder sind nicht andere Faktoren wie der Bildungsgrad oder die Religion wichtiger?

Die Berliner Senatsverwaltung gab zu: „Aktuelle wissenschaftliche Erhebungen speziell für Berlin, die nach Migrationshintergrund differenzieren, liegen nicht vor. In den zurückliegenden Legislaturperioden wurde dieses Themenfeld nicht aufgearbeitet – entsprechende Untersuchungen wurden nicht in Auftrag gegeben". Die Debatte ist nicht auf Schulen allein begrenzt, und Queerfeindlichkeit ist in vielen gesellschaftlichen Milieus ein Problem. Gerade, wenn sie aus migrantischen Milieus stammt, tun sich aber offenbar viele schwer damit.

Berlins Strategie gegen Queerfeindlichkeit

Als Reaktion auf die zunehmenden Vorfälle hat Berlin eine „Landesstrategie für queere Sicherheit und gegen Queerfeindlichkeit" entwickelt. Ein Runder Tisch hat 40 Maßnahmen beschlossen. Laut Sozialverwaltung hatten mehr als 400 Menschen aus der Community sowie aus Behörden und Verwaltungen 17 Monate lang diskutiert.

In Kinderschutz- und Gewaltschutzkonzepten an Schulen soll Queerfeindlichkeit verankert werden. Werden Schulen neu gebaut oder saniert, sollen verpflichtend geschlechtsunspezifische Toiletten und Umkleiden eingerichtet werden. Doch gleichzeitig kürzt der Senat die Mittel für queere Bildungsprojekte – eine Kritikerin nannte dies „gerade mit Blick auf die Vorgänge an der Carl-Bolle-Grundschule ein politisches Armutszeugnis".

Was Schulen jetzt tun müssen

Fachkräfte brauchen vor allem konkretes Handlungswissen: Sie engagieren sich mehr für LSBTI, wenn sie wissen, wie sie konkret gegen Diskriminierung vorgehen können, wo sie geeignete Materialien finden, die Vielfalt berücksichtigen, und dass sie mit ihrem Verhalten die Situation von LGBTI-Schülern tatsächlich verbessern können, so eine aktuelle Studie.

LGBTI-Jugendliche wünschen sich von den Fachkräften vor allem, dass diese ihre Schüler über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt informieren, beispielsweise indem sie durch Workshops persönlichen Kontakt zu LGBTI ermöglichen. Ebenfalls forderten sie, dass Fachkräfte Diskriminierung ernsthaft thematisieren, etwa indem sie darauf hinweisen, welche negativen Auswirkungen die Verwendung von „schwul", „Lesbe" oder „Transe" als Schimpfwörter haben.

Die aktuellen Fälle zeigen: Berlin hat ein massives Problem mit Queerfeindlichkeit an Schulen – und noch mehr mit dem Umgang damit. Solange Schulleitungen und Behörden wegschauen, werden queere Lehrkräfte und Schüler weiterhin allein gelassen. Die Stadt muss endlich handeln – mit konkreten Maßnahmen, ausreichender Finanzierung und vor allem: mit dem Willen, hinzuschauen statt zu vertuschen.


"Kiss me, Hardy" – Wenn Museen queere Geschichte neu interpretieren

Die Walker Art Gallery in Liverpool hat eine Debatte ausgelöst, die weit über die Kunstwelt hinausgeht: Die renommierte britische Galerie beschreibt den Seehelden Lord Horatio Nelson als queer. Anlass dafür sind zwei Gemälde in der Galerie, die Nelsons letzte Momente an Bord der HMS Victory zeigen. Die Entscheidung, diese Werke in die LGBTQ+-Sammlung aufzunehmen, wirft grundsätzliche Fragen auf: Wie gehen wir mit der queeren Geschichte um – und welche Parallelen gibt es zu Deutschland?

Die berühmten letzten Worte

Nelson, der als einer der größten Marinekommandanten der Geschichte gilt, wurde 1805 in der Schlacht von Trafalgar tödlich getroffen. Seine letzten Worte an Kapitän Thomas Hardy sollen "Kiss me, Hardy" gewesen sein, worüber Historiker seit jeher über die genaue Natur der Beziehung zwischen Hardy und Nelson spekuliert haben. Mindestens drei Augenzeugenberichte bestätigen, dass Nelson Hardy um einen Kuss bat, und Hardy küsste ihn auf die Wange.

Die Galerie selbst bleibt vorsichtig in ihrer Interpretation: "Unabhängig von der Wahrheit ist Nelsons berühmte Bitte für viele symbolisch für die manchmal verborgene queere Geschichte des Lebens auf See". Ob ihre Beziehung sexuell war, bleibt unbekannt, aber ihre Freundschaft spiegelt die engen Beziehungen wider, die zwischen Männern auf See entstanden.

Queere Geschichte der Seefahrt – auch in Deutschland

Die Neuinterpretation von Nelsons Geschichte erinnert an ein lange tabuisiertes Kapitel der Seefahrtsgeschichte. Der Autor Klaus Hympendahl deckte in seinem Werk "Sünde auf See" auf, dass homosexuelle Beziehungen unter Piraten und Seeleuten keine Seltenheit waren. Männer, die monate- oder jahrelang dem Unwetter, der Gefahr und der Einsamkeit trotzen mussten, suchten nach menschlicher Verbindung als eine Form des emotionalen Überlebens.

Auch in der deutschen Marinegeschichte gibt es Parallelen. 1816 wurden in London vier Mitglieder der Mannschaft der "Africaine" gehängt – ihre Hinrichtung war Teil einer Kampagne, "Buggerie" in der englischen Marine zu bestrafen. Die deutsche Marine blieb von solchen Themen in der offiziellen Geschichtsschreibung lange Zeit unberührt, obwohl homosexuelle Soldaten heute in der Bundeswehr rechtlich gleichgestellt sind und das Soldatinnen- und Soldaten-Gleichbehandlungsgesetz Benachteiligungen aus Gründen der sexuellen Identität verhindern soll.

Queere Perspektiven auf deutsche Geschichte

Die Diskussion um Nelson zeigt, wie wichtig es ist, historische Figuren aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Queere Geschichte ist widersprüchlich und verweigert sich linearen Fortschrittsnarrativen – sie zeigt auch, dass queere Emanzipation zur allgemeinen Demokratisierung beitrug.

In Deutschland gibt es eine lange, oft verdrängte queere Geschichte. Rund 50.000 schwule Männer wurden während der NS-Zeit verurteilt, und viele weitere queere Personen mussten unter dem Regime und auch noch später unter LGBTQIA+-feindlichen Gesetzen leiden. Der Paragraph 175 des Strafgesetzbuches, der Homosexualität bei Männern unter Strafe stellte, war für die queere Geschichte in Deutschland von zentraler Bedeutung.

Doch es gab auch Momente des Aufbruchs: In den zwanziger Jahren herrschte eine lebendige Subkultur von Lesben und Schwulen, die ihr Zentrum in Berlin hatte. Frauen wie Lotte Hahm eröffneten Lesbenbars wie das "Monokel", bevor die Nationalsozialisten diese Kultur zerschlugen.

Zwischen Kontroverse und Aufklärung

Die Entscheidung der Walker Art Gallery stößt nicht überall auf Zustimmung. LGBTQ+-Historiker und Befürworter haben den Schritt als längst überfällige Anerkennung queerer Narrative in der britischen Geschichte begrüßt. Befürworter argumentieren, dass es nicht darum geht, Nelson definitiv zu etikettieren, sondern Raum für Interpretation zu öffnen und die Fluidität und Komplexität menschlicher Beziehungen anzuerkennen.

Die Entscheidung der Galerie ist Teil einer breiteren kulturellen Veränderung in britischen Museen, die zunehmend inklusives Storytelling annehmen – Veranstaltungen wie die Queer History Night im National Maritime Museum und Forschungsprojekte zielen darauf ab, historische Figuren durch eine vielfältigere Linse zu untersuchen.

Was bedeutet das für uns?

Die Debatte um Nelson ist mehr als eine akademische Diskussion über einen Seehelden aus dem 19. Jahrhundert. Sie fordert uns auf, darüber nachzudenken, wie wir Geschichte erzählen und wessen Geschichten wir erzählen. Das Sichtbarmachen queerer Lebensweisen in der Vergangenheit zeigt, dass die Gesellschaft schon immer vielfältiger war, als sie aus der herrschenden, heteronormativen Perspektive erscheint.

In Deutschland haben Museen und Kulturinstitutionen in den letzten Jahren ebenfalls begonnen, queere Perspektiven stärker einzubeziehen. Das Netzwerk "Museen Queeren Berlin" wurde 2016 gegründet und möchte als Forum des Austauschs eine Museumspraxis befördern, die sexueller und geschlechtlicher Vielfalt gerecht wird und so gesellschaftlichen Diskriminierungsmechanismen entgegenwirkt.

Ob Lord Nelson tatsächlich queer war, werden wir nie mit Sicherheit wissen. Aber die Auseinandersetzung mit dieser Frage öffnet wichtige Räume für Gespräche über versteckte Geschichte, über die Vielfalt menschlicher Beziehungen und darüber, wie wir Vergangenheit und Gegenwart miteinander verbinden können. Und das ist vielleicht die wichtigste Lektion: Geschichte ist nie abgeschlossen – sie wird ständig neu interpretiert, hinterfragt und erweitert.


Ermutigende HIV-Zahlen aus England – Doch Deutschland hinkt hinterher

Positive Nachrichten aus England: Die Zahl der HIV-Neudiagnosen unter schwulen und bisexuellen Männern ist um fast sechs Prozent gesunken – von 859 Fällen im Jahr 2023 auf 810 im Jahr 2024, wie die UK Health Security Agency (UKHSA) am 7. Oktober bekannt gab. Insgesamt verzeichnete das Vereinigte Königreich einen Rückgang der HIV-Neudiagnosen um vier Prozent. Diese Entwicklung zeigt eindrucksvoll, dass gezielte Präventionsmaßnahmen wirken – doch wie sieht es in Deutschland aus?

PrEP als Gamechanger in der HIV-Prävention

Ein wesentlicher Faktor für den Erfolg in England ist die steigende Nutzung der HIV-Präventionsmedikation PrEP (Prä-Expositions-Prophylaxe), die seit ihrer NHS-Einführung im Herbst 2020 jährlich zunimmt und 2024 einen Anstieg von 7,7 Prozent verzeichnete, sodass nun 111.123 Menschen darauf Zugriff haben. Die höchste PrEP-Nutzung findet sich bei weißen (79,4%) und ethnischen Minderheiten (77,8%) unter schwulen, bisexuellen und allen Männern, die Sex mit Männern haben.

Auch in Deutschland ist die PrEP seit September 2019 Kassenleistung. Bis Ende 2023 nutzten schätzungsweise 40.000 Menschen in Deutschland die PrEP, wie Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) zeigen. Fast ausschließlich handelt es sich dabei um schwule und bisexuelle Männer. Dennoch bleibt der Zugang zur PrEP in Deutschland regional stark unterschiedlich – die höchste PrEP-Abdeckung findet sich in den Stadtstaaten Berlin und Hamburg, während ländliche Regionen deutlich schlechter versorgt sind, da HIV-Schwerpunktzentren hauptsächlich in Metropolen angesiedelt sind.

Besorgniserregende Entwicklung bei jungen Menschen

Trotz der positiven Gesamtentwicklung gibt es Grund zur Sorge: In England sanken die HIV-Testraten bei jungen Menschen zwischen 15 und 24 Jahren um sieben Prozent, und diese Altersgruppe hatte mit 96 Prozent die niedrigsten Behandlungsraten im Vergleich zu 99 Prozent in allen anderen Altersgruppen, und nur 91 Prozent erreichten eine virale Suppression gegenüber 98 Prozent in der Gesamtbevölkerung.

Dr. Tamara Djuretic, Leiterin der HIV-Abteilung der UKHSA, betonte: "Wir sind besorgt über schlechtere Test- und Behandlungsergebnisse bei jungen Menschen, die sich in einer entscheidenden Phase für die Entwicklung gesunden Sexualverhaltens befinden. Eine frühzeitige Diagnose kann lebensrettend sein, also lasst euch bitte regelmäßig testen, wenn ihr sexuell aktiv seid."

Deutschland: Stagnation statt Fortschritt

Die Situation in Deutschland ist komplexer: Im Jahr 2024 wurden 3.259 HIV-Neudiagnosen in Deutschland gemeldet, wie das RKI berichtet. Bei schwulen und bisexuellen Männern stieg die Zahl der Neudiagnosen um neun Prozent innerhalb eines Jahres – auf 1.134 Fälle, was 35 Prozent aller Neudiagnosen ausmacht. Dieser Anstieg steht im deutlichen Kontrast zur positiven Entwicklung in England.

Allerdings muss diese Zahl differenziert betrachtet werden: Das RKI weist darauf hin, dass 2024 noch in erheblichem Umfang HIV-Meldungen von aus der Ukraine geflüchteten Personen erfolgten, bei denen in den meisten Fällen anzunehmen ist, dass die HIV-Diagnose bereits in der Ukraine erfolgte. Die tatsächliche Zahl der Neuinfektionen könnte daher niedriger liegen.

UNAIDS-Ziele: England vorbildlich, Deutschland mit Aufholbedarf

England erfüllt zum sechsten Mal in Folge die UNAIDS-Ziele mit 95% aller Erwachsenen mit HIV diagnostiziert, 99% der Diagnostizierten in Behandlung und 98% der Behandelten mit unterdrückter Viruslast. Das bedeutet: Menschen unter erfolgreicher Therapie können das Virus nicht mehr übertragen – ein enormer Fortschritt im Kampf gegen die Epidemie.

In Deutschland ist die Lage ähnlich positiv, was die Behandlungsqualität betrifft: Rund 92 Prozent der HIV-Infektionen sind diagnostiziert, von den Diagnostizierten sind 99 Prozent in Behandlung, und bei 96 Prozent der Behandelten ist die Therapie erfolgreich. Dennoch bleibt die Herausforderung, etwa 8.200 Menschen zu erreichen, die ohne ihr Wissen mit HIV leben.

Der Weg nach vorn: Was Deutschland von England lernen kann

Die Erfolge in England zeigen, dass konsequente Präventionsarbeit, niedrigschwellige PrEP-Angebote und gezielte Teststrategien funktionieren. Insbesondere bei schwulen Männern haben spezifische Testangebote Erfolg gezeigt, HIV wird bei vielen früher diagnostiziert und behandelt, was deren Gesundheit schützt und weitere HIV-Übertragungen verhindert – dieses Erfolgsmodell sollte noch stärker auf andere Gruppen übertragen werden, betont Sven Warminsky von der Deutschen Aidshilfe.

Die PrEP ist zwar erfolgreich, erreicht aber noch lange nicht alle Menschen, die sich damit schützen könnten – bei der PrEP müssen wir zweigleisig fahren: Zum einen gilt es, dass alle Menschen davon erfahren, für die PrEP in Frage kommt, zum anderen ist die Versorgungsstruktur noch nicht stark genug, wir brauchen mehr PrEP-verordnende Praxen, um lange Fahrwege und Wartezeiten zu vermeiden, dafür müssen die Hürden für Ärzt*innen weiter gesenkt werden.

Die Zahlen aus England machen Mut: Das Ziel von UNAIDS, die HIV-Neuinfektionen bis 2030 um 90 Prozent gegenüber 2010 zu reduzieren und die AIDS-bedingten Todesfälle um 90 Prozent zu senken, ist erreichbar – wenn die Politik die notwendigen Ressourcen bereitstellt und alle Menschen, unabhängig von Herkunft, Alter oder sozialem Status, Zugang zu Prävention, Tests und Behandlung erhalten.


Hessen unterstützt mehr als 1.000 Paare bei Kinderwunsch – auch queere Familien profitieren

Über 1.000 Paare in Hessen haben seit 2018 finanzielle Unterstützung für ihre Kinderwunschbehandlung erhalten – darunter auch gleichgeschlechtliche und transgeschlechtliche Paare. Mit der neuen Richtlinie, die zum Jahresende in Kraft trat, greift die Landesförderung erstmals auch für gleichgeschlechtliche weibliche Paare, die krankheitsbedingt kinderlos sind, und Hessen berücksichtigt als erstes Bundesland ausdrücklich Paare, bei denen eine Partnerin oder ein Partner transgeschlechtlich ist. Dies geht aus der Antwort des hessischen Familienministeriums auf eine Anfrage der FDP-Fraktion hervor.

Erfolgreiche Förderung seit 2018

Seit 2018 wurden über 800 Bewilligungen ausgesprochen. Von den bis Ende August eingereichten 1.462 Anträgen wurden 1.240 bewilligt. Der Großteil der Paare mit Kinderwunsch, nämlich 1.202, war verheiratet, während lediglich 38 Paare unverheiratet waren. Gemeinsam mit dem Bund werden Behandlungskosten bis maximal 3.300 Euro übernommen, allerdings gilt dies nur für verschiedengeschlechtliche Paare. Da der Bund bislang nur verschiedengeschlechtliche Paare fördert, ist für gleichgeschlechtliche Paare eine Landesförderung in einer Höhe bis maximal 2.200 Euro möglich.

Insgesamt wurden aus den bereitgestellten Landesmitteln gut 1,83 Millionen Euro abgerufen. Allein im laufenden Jahr wurden bislang rund 171.575 Euro für die Förderung von Kinderwunschbehandlungen ausgegeben.

Was wird gefördert?

Hessen unterstützt ergänzend zu den gesetzlich verankerten Unterstützungsmöglichkeiten einer künstlichen Befruchtung anteilig auch einen vierten Versuch einer In-Vitro-Fertilisation (IVF) und Intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI). „In Hessen fördern wir Familien unabhängig von ihrer Konstellation", sagte Sozial- und Integrationsminister Klose.

Gefördert werden Paare, die entweder verheiratet, in einer Lebenspartnerschaft nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz oder in einer festen Lebensgemeinschaft verbunden sind und sich einer der beiden Behandlungen unterziehen. Bei gleichgeschlechtlichen weiblichen Paaren und bei Paaren, bei denen eine in der Partnerschaft lebende Personen eine gebärfähige transgeschlechtliche Person ist, muss die medizinische Notwendigkeit von Maßnahmen der assistierten Reproduktion aufgrund von krankheitsbedingter Kinderlosigkeit ärztlich festgestellt worden sein und es dürfen ausschließlich Eizellen der Person verwendet werden, die anstrebt, eine assistierte Reproduktionsbehandlung an sich vornehmen zu lassen.

Bundesweite Ungleichbehandlung bleibt bestehen

Während Hessen eine Vorreiterrolle einnimmt, bleibt die Situation für queere Paare auf Bundesebene schwierig. Gleichgeschlechtliche Paare haben keinen Anspruch gegen die gesetzlichen Krankenkassen auf eine Kinderwunschbehandlung. Das Bundessozialgericht hat im Oktober 2021 entschieden, dass die Beschränkung der finanziellen Förderung auf die homologe Insemination und damit der Ausschluss gleichgeschlechtlicher Paare von der Förderung rechtmäßig sei.

Ein solcher Eingriff kostet pro Versuch mehrere tausend Euro. Die gesetzliche Krankenkasse erstattet heterosexuellen Eheleuten die Hälfte der Kosten, gleichgeschlechtliche Ehepaare bekommen keinen Cent. Diese finanzielle Hürde bedeutet, dass Menschen mit niedrigem oder mittlerem Einkommen die hohen Behandlungskosten oft nicht stemmen können.

Nur wenige Bundesländer fördern queere Paare

Bisher haben nur fünf Bundesländer eigene Regelungen geschaffen, die eine finanzielle Unterstützung für Frauenpaare vorsehen: Rheinland-Pfalz, Berlin, Bremen, das Saarland und Thüringen. Rheinland-Pfalz war das erste Bundesland, das im März 2021 die Förderung auf gleichgeschlechtliche weibliche Paare ausdehnte, die krankheitsbedingt auf eine künstliche Befruchtung angewiesen sind.

Danach folgten Berlin, Bremen, Thüringen, Hessen und das Saarland. Die Bremische Förderrichtlinie sieht sogar ausdrücklich die Förderung trans- und intergeschlechtlicher sowie nichtbinärer Personen vor. Ein wichtiger Schritt, den die Lesben- und Schwulenverband LSVD seit Jahren fordert.

Die Kosten der Ungleichheit

In Deutschland ist fast jedes zehnte Paar zwischen 25 und 59 Jahren ungewollt kinderlos und daher auf medizinische Hilfe angewiesen. Das ist nicht nur psychisch belastend, sondern auch finanziell. Menschen mit niedrigem oder mittlerem Einkommen können die hohen Behandlungskosten oft nicht stemmen.

Die Förderung in Hessen kann beim Regierungspräsidium Gießen beantragt werden. Der Antrag muss vor Beginn der Behandlung gestellt werden, und beide Partner müssen ihren Hauptwohnsitz in Hessen haben. Die Behandlung muss in einem reproduktionsmedizinischen Zentrum in Hessen durchgeführt werden.

Ein Schritt in die richtige Richtung – aber noch Luft nach oben

Hessens Vorstoß ist ein wichtiges Signal für mehr Gleichberechtigung bei der Familiengründung. Dennoch bleibt die finanzielle Ungleichbehandlung bestehen: Während verschiedengeschlechtliche verheiratete Paare sowohl von Bund als auch Land unterstützt werden, müssen queere Paare auf die Bundesförderung verzichten. Die Länder Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein sehen ausschließlich den Bundeshaushalt in der Pflicht und lehnen eine Förderung gleichgeschlechtlicher Paare aus dem Landeshaushalt grundsätzlich ab. Hier fehlt es offensichtlich am politischen Willen, Regenbogenfamilien bei der Familiengründung finanziell zu unterstützen.

Die Zahlen aus Hessen zeigen: Der Bedarf ist da. Mehr als 1.000 Paare haben die Förderung bereits in Anspruch genommen. Jetzt ist es an den anderen Bundesländern, diesem Beispiel zu folgen und endlich für gleiche Rechte bei der Familienplanung zu sorgen – unabhängig von sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität.


FBI feuert Agent wegen Pride-Flagge: Ein Alarmsignal für LGBTQ+-Rechte in den USA – und was Deutschland davon lernen kann

In den USA eskaliert die Diskriminierung von LGBTQ+-Menschen in alarmierendem Tempo: FBI-Direktor Kash Patel hat einen langjährigen FBI-Mitarbeiter gefeuert, der während einer früheren Tätigkeit eine Pride-Flagge an seinem Arbeitsplatz aufgestellt hatte. Der Angestellte befand sich zum Zeitpunkt der Kündigung in der Agentenausbildung an der FBI-Akademie in Quantico, Virginia, wie PinkNews berichtet. Der Mitarbeiter, der in seiner vorherigen Funktion mehrere Auszeichnungen für seine Arbeit erhalten hatte, war auch als Diversitätskoordinator einer FBI-Außenstelle tätig und hatte an seinem Arbeitsplatz eine Pride-Flagge aufgestellt.

Pride-Flagge als "politisches Symbol" eingestuft

In der Kündigungsmitteilung erwähnte Patel die Pride-Flagge nicht namentlich, begründete die fristlose Entlassung aber mit "schlechtem Urteilsvermögen" und einer "unangemessenen Zurschaustellung politischer Symbole". Die Ironie ist kaum zu übersehen: Zwei FBI-Veteranen teilten CNN mit, dass das Aufstellen einer Pride-Flagge am eigenen Schreibtisch historisch gesehen keine Verletzung einer FBI-Richtlinie dargestellt hätte.

Diese Entlassung ist kein Einzelfall. Die Kündigung erfolgte weniger als eine Woche, nachdem Patel mehr als ein Dutzend weitere FBI-Mitarbeiter entlassen hatte, die 2020 während einer Demonstration in der Hauptstadt im Rahmen der Kontrolle von Menschenmengen auf die Knie gegangen waren. Die symbolische Geste, mit der Solidarität mit den Black-Lives-Matter-Protesten nach dem Tod von George Floyd gezeigt wurde, wird nun Jahre später bestraft.

Systematische Säuberung queerer Personen aus dem öffentlichen Dienst

Der Fall ist Teil einer besorgniserregenden Entwicklung unter der Trump-Administration. Bürgerrechtsorganisationen beschreiben dies als eine umfassende Kampagne der Trump-Regierung, LGBTQ+-Angestellte aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen und jahrzehntelange Bemühungen um Inklusion abzubauen. Nach der Amtseinführung warnten sich FBI-Agenten gegenseitig, dass neu eingesetzte Trump-treue Führungskräfte beim FBI interne Mitarbeiterlisten durchkämmten, um Angestellte zu identifizieren, die als LGBTQ+ gelistet waren.

DOJ Pride, eine LGBTQ+-Mitarbeitergruppe im Justizministerium, wurde Ende Januar geschlossen – weniger als zehn Tage, nachdem Trump eine Executive Order unterzeichnete, die darauf abzielte, alle Diversitäts-, Gleichheits- und Inklusionsmaßnahmen aus der Bundesregierung zu entfernen. Die Gruppe stellte "mit sofortiger Wirkung" ihre Arbeit ein.

Rechtliche Grauzonen und First Amendment

Die rechtliche Dimension ist komplex. Laut einem Memo der Plattform "The Mindful Federal Employee" darf eine Behörde, die eine Bibel, einen Rosenkranz oder ein Kruzifix erlaubt, nicht gleichzeitig eine Pride-Flagge oder ein anderes identitätsbestärkendes Symbol verbieten. "Derselbe Schutz erstreckt sich auf säkulare Ausdrucksformen wie Flaggen, die LGBTQ+-Identität, Behindertenrechte oder ethnisches Erbe repräsentieren".

Die Human Rights Campaign reagierte auf die Entlassung mit der Aussage, dass dies, falls zutreffend, "das jüngste Beispiel dafür ist, wie Donald Trump, Kash Patel und die gesamte Administration die Bundesregierung als Waffe einsetzen, um Meinungsäußerungen zu unterdrücken und die Existenz unserer LGBTQ+-Community zu leugnen. Außerdem ist es illegal".

Was Deutschland von dieser Entwicklung lernen kann

Deutschland befindet sich in einer grundlegend anderen Situation als die USA. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ist 2006 in Kraft getreten und wird vor allem in zwei Lebensbereichen angewendet. Zum einen gilt der Schutz im Arbeitsleben – von der Einstellung bis zur Entlassung. Arbeitgeber sind nach dem AGG dazu verpflichtet, ihre Beschäftigten vor Diskriminierungen zu schützen.

In Deutschland wäre eine Kündigung allein wegen einer Pride-Flagge am Arbeitsplatz kaum denkbar. Das staatliche Neutralitätsgebot verlange nicht, dass im erzieherischen Bereich auf die Darstellung wertender Inhalte verzichtet werde. Es sei noch nicht die Grenze zur "politischen Indoktrinierung" überschritten. Die Flagge sei insbesondere vereinbar mit verfassungsrechtlichen und schulgesetzlichen Vorgaben, soweit sie "das Selbstverständnis bestimmter Gruppen und deren Recht zur freien Identitätsbildung" symbolisiere, entschied das Verwaltungsgericht Berlin in einem Fall über eine Progress-Pride-Flagge in einer Grundschule.

Mehr noch: Künftig darf zu Anlässen wie dem Christopher Street Day die Regenbogenflagge an Bundesgebäuden gehisst werden. "Deswegen war es mir sehr wichtig, das Hissen der Regenbogenflagge zu bestimmten Anlässen an Bundesgebäuden zu erlauben. Zum Beispiel am Christopher Street Day setzen wir so ein sichtbares Zeichen des Staates für Vielfalt und gegen jede Diskriminierung", so Bundesinnenministerin Nancy Faeser.

Dennoch: Diskriminierung bleibt auch in Deutschland ein Problem

Trotz des starken rechtlichen Schutzes zeigen Studien, dass Diskriminierung auch in Deutschland Realität bleibt. Laut einer Studie aus dem Jahr 2020 erfährt über ein Drittel der queeren Menschen in Deutschland noch immer Diskriminierung im Job, bei trans Menschen sind es sogar 43 Prozent. In einer Onlinebefragung von 4.000 jungen Berufstätigen unter 35 Jahren aus unterschiedlichen Ländern outen sich nur 37% der deutschen Befragten gegenüber ihren Arbeitskolleg*innen. Damit liegt Deutschland auf den hinteren Plätzen.

Bischof Ludger Schepers, Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für queere Seelsorge, sprach sich gegen Präsident Donald Trump aus und dessen Umgang mit LGBTQ+-Menschen. Schepers äußerte Besorgnis darüber, dass "Trump die Diskriminierungsschutzmaßnahmen für queere Menschen aufhebt und Geschlechtsminderheiten überhaupt nicht mehr anerkennt. Jeder Angriff auf die Rechte queerer Menschen bedroht die Rechte aller Menschen, die nicht den engen Vorstellungen entsprechen, wie man aussehen und sich verhalten sollte".

Ein Weckruf für Europa

Die Entwicklungen in den USA sollten als Warnsignal verstanden werden. Was in Amerika beginnt, findet oft seinen Weg über den Atlantik. Die systematische Entfernung von LGBTQ+-Personen aus dem öffentlichen Dienst, die Einstufung von Pride-Symbolen als "politisch" und die Säuberung von Diversitätsprogrammen – all das sind Mechanismen, die auch in Europa an Boden gewinnen könnten, wenn die Zivilgesellschaft nicht wachsam bleibt.

Der Fall des FBI-Agenten zeigt drastisch, wie schnell hart erkämpfte Rechte wieder erodieren können. In Deutschland und Europa müssen wir die bestehenden Schutzmaßnahmen nicht nur verteidigen, sondern weiter ausbauen. Denn wenn selbst eine Pride-Flagge am Schreibtisch zum Kündigungsgrund wird, ist das nicht nur ein Angriff auf LGBTQ+-Rechte – es ist ein Angriff auf die Grundwerte einer offenen, demokratischen Gesellschaft.

Die Bundeswehr zeigt, wie es anders geht: Verteidigungsministerin Christine Lambrecht stellte heraus: "Wir stehen für eine offene und vielfältige Bundeswehr - für Akzeptanz und Toleranz". Dieser Ansatz – Pride-Symbole als Zeichen institutioneller Wertschätzung statt als Kündigungsgrund – sollte der Standard bleiben, den wir in Europa verteidigen.


Ein historischer Moment für queere Menschen: Der Bundestag debattiert über Grundgesetz-Schutz

Am Donnerstagmorgen wird der Bundestag über einen Gesetzentwurf debattieren, der queeren Menschen in Deutschland erstmals verfassungsrechtlichen Schutz bieten könnte. Die Grünen-Fraktion will Artikel 3 im Grundgesetz um das Merkmal „sexuelle Identität" erweitern, wie die Originalquelle queer.de berichtet. Die Debatte findet zwischen Beratungen zu Asylrecht und Wohnungsbau statt – ein symbolträchtiger Moment für eine Community, deren Rechte Jahrzehnte lang unsichtbar blieben.

Eine Lücke, die 123 Jahre währte

Die Geschichte des Paragrafen 175 umfasst mehr als 120 Jahre. Er wurde im Deutschen Kaiserreich 1871 eingeführt und stellte „widernatürliche Unzucht" zwischen Männern unter Strafe. Was viele nicht wissen: Bis 1994 waren sexuelle Handlungen zwischen Männern strafbar. Erst mit der Abschaffung des Paragrafen 175 im Jahr 1994 wurde das Schutzalter für homosexuelle Männer dem für andere Menschen angeglichen. Die Verfolgung hinterließ tiefe Wunden in der deutschen Gesellschaft.

Das Fehlen dieses Diskriminierungsgrundes im Text des Grundgesetzes hat in der Historie der Bundesrepublik Deutschland zu menschenrechtswidriger Behandlung von homosexuellen und bisexuellen Menschen geführt, erklärt der LSVD, der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland. Die Grünen argumentieren in ihrem Gesetzentwurf, dass 1949 Homo- und Bisexuelle bewusst nicht als Opfergruppe der Nationalsozialisten in Artikel 3 aufgenommen wurden – mit fatalen Folgen für die Nachkriegszeit.

Deutschland im europäischen Vergleich: Fortschrittlich, aber nicht vorne

Im europäischen Vergleich zeigt sich ein gemischtes Bild. Andere moderne Verfassungen haben bereits den besonderen Schutz vor Diskriminierung wegen der sexuellen Identität mit aufgenommen, und von den Bundesländern, die eigene Grundrechtskataloge in ihren Landesverfassungen haben, hat die Mehrheit bereits eine entsprechende Bestimmung. Berlin, Brandenburg, Bremen, das Saarland und Thüringen sind hier Vorreiter.

Auf EU-Ebene bietet die Europäische Grundrechtecharta bereits ein Verbot der Benachteiligung aufgrund der sexuellen Ausrichtung. Laut ILGA-Europe stiegen Deutschland, Tschechien und Polen in der Rangliste um drei Plätze, während Deutschlands durchschnittlicher Score bei 51,13% für die EU liegt. Zum Vergleich: Malta belegt seit einem Jahrzehnt mit 88,83% den Spitzenplatz.

Eine dunkle Geschichte: Von der Weimarer Republik bis heute

Die Geschichte der LGBTQ+-Verfolgung in Deutschland ist besonders schmerzlich. Die meisten Schätzungen gehen davon aus, dass im Dritten Reich rund 50.000 Männer aufgrund von Paragraph 175 inhaftiert und bis zu 15.000 in Lager deportiert wurden. Doch auch nach dem Krieg ging die Verfolgung weiter: Zwischen 1945 und 1969 gab es auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ca. 50.000 bis 60.000 Verurteilungen.

In der BRD galt Paragraph 175 in der im Nationalsozialismus erlassenen Fassung weiter, während die DDR früher liberalisierte. Erst 2017 – 23 Jahre nach der Streichung von Paragraf 175 StGB – erkannte der Bundestag das Unrecht an, das die Verfolgung homosexueller Männer durch den Staat war. Die Opfer wurden rehabilitiert – und finanziell entschädigt.

Die politische Realität: Hohe Hürden und starker Gegenwind

Die Hürden für eine Grundgesetzänderung sind hoch. Um das Grundgesetz zu ändern, bedarf es im Bundestag einer Zwei-Drittel-Mehrheit - genau wie abschließend im Bundesrat. SPD, Grüne und Linke signalisieren Zustimmung, doch der Bundesrat will eine Gesetzesinitiative in den Bundestag einbringen, die auf Initiative des Landes Berlin eingereicht wurde, nachdem der Bundesrat im September mehrheitlich dafür gestimmt hatte.

Die größte Hürde ist die AfD, die 24 Prozent der Bundestagsabgeordneten stellt und kategorisch gegen den Schutz queerer Menschen ist. Der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD, Stephan Brandner, hält die Ehe für alle nach wie vor für grundgesetzwidrig und verweist auf Artikel 6 im Grundgesetz. Die Partei will nicht nur die Grundgesetzänderung verhindern, sondern das Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts aufheben.

Die Debatte um „geschlechtliche Identität"

Ein weiterer Streitpunkt: Der aktuelle Entwurf enthält nur das Merkmal „sexuelle Identität", nicht aber „geschlechtliche Identität". Queere Organisationen wie die Aktion Grundgesetz für alle fordern die Aufnahme beider Merkmale. Maik Brückner, queerpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke im Bundestag, kritisiert: „Uns geht der Begriff ‚sexuelle Identität' nicht weit genug: auch ‚geschlechtliche Identität' muss in die Verfassung aufgenommen werden, damit auch trans und inter Personen in den Schutz eingeschlossen werden".

Aus der Politik wird häufig argumentiert, dass trans oder intergeschlechtliche Menschen bereits durch ständige Rechtsprechung mit dem Merkmal „Geschlecht" erfasst seien. Aktivist*innen verweisen jedoch auf globale transfeindliche Kampagnen, die zeigen, wie fragil dieser Schutz ist.

Ein Blick nach vorne: Warum dieser Schutz jetzt wichtiger ist denn je

Die stets vorhandene Diskriminierung verstärkt sich aktuell, mit dem Aufflammen von Rechtspopulismus und Rechtsextremismus, zunehmend. Es gibt in Deutschland politische Kräfte, die LSBTI die gesetzliche Gleichstellung wieder streitig machen und sie in Unsichtbarkeit und dunkle Ecken zurücktreiben wollen. Der Blick auf Ungarn, Polen und andere europäische Länder zeigt, wie schnell erkämpfte Rechte wieder verloren gehen können.

Berlins Senatorin Cansel Kiziltepe (SPD) betonte im Bundesrat: „Es zeigt auch, dass die Zeichen der Zeit und der akute Behandlungsbedarf erkannt wurden. In einer Zeit, in der ‚queerfeindlicher Hass' im Alltag ‚so spürbar geworden' sei, brauche es ein Grundgesetz, das klar die Diskriminierung wegen der sexuellen Identität verbietet".

Die Debatte am Donnerstag ist mehr als ein parlamentarischer Akt. Sie ist ein Symbol dafür, ob Deutschland bereit ist, aus seiner Geschichte zu lernen und allen Menschen – unabhängig von ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität – den gleichen verfassungsrechtlichen Schutz zu garantieren. Für Millionen queerer Menschen in Deutschland geht es um nicht weniger als die Frage: Gehören wir wirklich dazu?

Die erste Lesung des Gesetzentwurfs findet am Donnerstag, den 9. Oktober 2025, gegen 10:10 Uhr im Bundestag statt. Nach der Debatte wird der Entwurf voraussichtlich zur weiteren Beratung an die Ausschüsse überwiesen.


Gewalttat in Dresden wirft Schlaglicht auf ein oft verschwiegenes Thema

In der Nacht zum 28. September 2025 ereignete sich am Dresdner Hauptbahnhof eine Gewalttat, die erschüttert: Zwei 15-jährige Jugendliche sollen einen 19-jährigen Tschechen unter Vorhalt eines Messers ausgeraubt und vergewaltigt haben. Die Staatsanwaltschaft Dresden ermittelt wegen des Verdachts des schweren Raubes und der Vergewaltigung, wie queer.de berichtet. Die beiden Tatverdächtigen wurden kurz nach der Tat festgenommen und befinden sich in Untersuchungshaft.

Ein Verbrechen, das viele Fragen aufwirft

Diese brutale Tat geschah in den frühen Morgenstunden gegen 4:15 Uhr vor dem Dresdner Hauptbahnhof – einem öffentlichen Ort, an dem sich viele Menschen unsicher fühlen könnten. Den Beschuldigten wird vorgeworfen, dem Opfer unter Messerdruck 300 Euro Bargeld weggenommen und es vergewaltigt zu haben. Die schnelle Festnahme durch die Polizei zeigt, dass die Behörden reagiert haben, doch die Tat selbst wirft ein Schlaglicht auf ein Thema, das in der deutschen Öffentlichkeit noch immer zu wenig Beachtung findet: sexuelle Gewalt gegen Männer.

Männer als Opfer sexueller Gewalt – ein Tabuthema

Während sexuelle Gewalt gegen Frauen zunehmend in den öffentlichen Diskurs gelangt ist, bleibt Gewalt gegen Männer oft im Schatten. Es gibt nur wenige Daten zu Vergewaltigungen oder anderer sexueller Gewalt gegen Männer, wobei fast alle verfügbaren Studien zu sexueller Gewalt Frauen als Opfer untersuchen und sexuelle Gewalt gegen Männer nahezu ignoriert wird. Gewalt gegen Männer findet tagtäglich statt, wird in der Gesellschaft aber kaum thematisiert und wahrgenommen, denn es handelt sich noch immer um ein Tabuthema.

Insbesondere männliche Opfer haben Schwierigkeiten, über Gewalterfahrungen zu sprechen – ein Grund kann sein, dass die Gewalt oft nicht als solche wahrgenommen wird, und Rollenbilder wie der starke Mann begünstigen ein Klima des Schweigens und der Scham. Das macht es für Betroffene noch schwerer, Hilfe zu suchen oder Anzeige zu erstatten.

Queerfeindliche Gewalt in Deutschland nimmt zu

Der Fall in Dresden ereignet sich in einem besorgniserregenden gesellschaftlichen Kontext. Im Jahr 2023 wurden insgesamt 17.007 Fälle von Hasskriminalität erfasst, die polizeilichen Fallzahlen zeigen einen besorgniserregenden Anstieg queerfeindlicher Straftaten über die vergangenen Jahre. Die Zahl der Straftaten im Bereich "Sexuelle Orientierung" und "Geschlechtsbezogene Diversität" hat sich seit 2010 nahezu verzehnfacht.

Das Lagebild zeigt, dass die Opfer von Straftaten gegen Menschen aus der LSBTIQ*-Community überwiegend Männer sind. Bundesinnenministerin Nancy Faeser nannte die Zahlen "erschreckend" und betonte, dass queerfeindliche Gewalt klar benannt und gezielt verfolgt werden müsse.

Die Dunkelziffer ist hoch

Doch die offiziellen Zahlen erzählen nur einen Teil der Geschichte. Laut einer Dunkelfeld-Studie der Europäischen Agentur für Grundrechte zeigten 96 Prozent der LSBTIQ*-Personen Hate Speech nicht an und 87 Prozent meldeten körperliche oder sexuelle Übergriffe nicht. Die Gründe: Sie hielten das Vergehen für zu gering oder hatten Angst vor homo- oder transphoben Reaktionen der Polizei.

Nur 13 Prozent der Befragten gingen zur Polizei, um einen physischen Angriff oder sexualisierte Gewalt anzuzeigen, und 23 Prozent vermieden in den letzten fünf Jahren eine Anzeige aus Angst vor einer queerfeindlichen Reaktion der Polizei. Diese Zahlen zeigen: Viele Betroffene haben kein Vertrauen in die Behörden oder schämen sich, Hilfe zu suchen.

Hilfe ist verfügbar – für alle Betroffenen

Für Männer, die Gewalt erleben oder erlebt haben, gibt es in Deutschland mittlerweile Unterstützungsangebote. Das Hilfetelefon Gewalt an Männern ist unter der Nummer 0800 1239900 erreichbar. Das Hilfetelefon hat einen weiten Gewaltbegriff: Entscheidend ist, dass Betroffene unter der Grenzverletzung leiden, die sie erfahren mussten.

Auch das Hilfe-Portal Sexueller Missbrauch bietet Informationen und Unterstützung, und spezialisierte Beratungsstellen wie maennergewaltschutz.de helfen Betroffenen dabei, passende Hilfsangebote vor Ort zu finden. Für queere Menschen, die Diskriminierung und Gewalt erlebt haben, bietet etwa MANEO in Berlin spezialisierte Beratung.

Was wir daraus lernen müssen

Der Fall in Dresden ist mehr als eine einzelne Straftat – er ist ein Weckruf. Wir müssen als Gesellschaft anerkennen, dass sexuelle Gewalt auch Männer betrifft, und dass queere Menschen besonders vulnerabel sind. Laut offiziellen Zahlen gibt es jeden Tag mindestens drei Angriffe auf LSBTIQ*-Personen, die Dunkelziffer ist deutlich höher, und diesen Straftaten muss der Staat entschlossen entgegentreten.

Es braucht mehr Sensibilisierung in der Polizei, mehr niedrigschwellige Hilfsangebote und eine Gesellschaft, die Betroffenen zuhört statt sie zu stigmatisieren. Nur so können wir ein Klima schaffen, in dem alle Menschen – unabhängig von Geschlecht oder sexueller Orientierung – sicher und angstfrei leben können.

Hilfe und Beratung:

  • Hilfetelefon Gewalt an Männern: 0800 1239900
  • Hilfetelefon Sexueller Missbrauch: 0800 22 55 530
  • Polizei-Notruf: 110
  • Hilfe-Portal Sexueller Missbrauch: www.hilfe-portal-missbrauch.de

Gewalt nach dem CSD: 14-Jähriger in Görlitz angegriffen – Polizei prüft Zusammenhang

Nach dem vierten Christopher Street Day in Görlitz am vergangenen Samstag wurde ein 14-Jähriger von Unbekannten attackiert und verletzt. Der Vorfall ereignete sich, nachdem die Pride-Veranstaltung bereits beendet war. Die Polizei ermittelt wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung und prüft einen möglichen Zusammenhang mit dem CSD.

Angriff im Schatten der Pride-Feier

An einer Gegendemonstration rechtsextremer Gruppen hatten sich nach Polizeiangaben etwa 130 Menschen beteiligt, während mehr als 700 Menschen an dem CSD-Aufzug teilnahmen. Der 14-Jährige wurde nach dem Angriff leicht verletzt in einem Rettungswagen behandelt. Ob das Opfer und die Täter an den Versammlungen teilgenommen hatten, ist derzeit Gegenstand der laufenden Ermittlungen.

Der Vorfall reiht sich in eine besorgniserregende Serie von Übergriffen ein. Nur wenige Stunden nach dem Görlitzer Christopher Street Day kam es am vergangenen Samstagabend zu einem Angriff auf ein Mitglied der Linksjugend ['solid] Görlitz. Die betroffene Person wurde im Stadtgebiet von mehreren mutmaßlich rechten Tätern angegriffen und dabei verletzt. Mindestens der unvermummte Täter war Augenzeugenberichten zufolge zuvor auf der Gegendemonstration gegen den CSD gewesen.

Rechtsextreme Mobilisierung erreicht neuen Höhepunkt

Der CSD in Görlitz fand unter massivem Polizeischutz statt. In den sozialen Netzwerken hatten deutsche und polnische Neonazis gemeinsam zu der Gegenveranstaltung aufgerufen. Besonders beunruhigend: Ein mutmaßliches Mitglied der Elblandrevolte verübte im Mai einen Angriff auf den SPD-Europaabgeordneten Matthias Ecke, der dabei schwer verletzt wurde.

Im Jahr 2024 dokumentierte die Stiftung insgesamt 55 gezielte Störungen, Bedrohungen und Angriffe auf CSDs – so viele wie nie zuvor, berichtet die Amadeu Antonio Stiftung. Die Situation in Sachsen ist besonders dramatisch: Rund zwölfmal mehr Straftaten und Ordnungswidrigkeiten wurden festgestellt, 245 im Jahr 2024 im Vergleich zu 22 im Jahr 2023.

Parallelen zu Deutschland: Ein bundesweites Problem

Die Situation in Görlitz spiegelt eine bedrohliche Entwicklung wider, die ganz Deutschland betrifft. Zwischen Juni und September 2024 verzeichnete CeMAS deutschlandweit in 27 Städten rechtsextreme Mobilisierungen gegen CSD-Veranstaltungen. Dabei kam es zu Einschüchterungen, Schikanen und Gewalt. Auch in anderen deutschen Städten wie Bautzen, Leipzig und Zwickau kam es zu massiven rechtsextremen Gegendemonstrationen.

In zwölf von 16 Bundesländern wurden insgesamt 3.453 rechts, rassistisch und antisemitisch motivierte Angriffe registriert und damit ein massiven Anstieg um ein Viertel im Vergleich zum Vorjahr, dokumentieren die Opferberatungsstellen. 63 Angriffe (+91%) richteten sich gegen politische Gegner*innen, 44 gegen Nichtrechte (+52%), 25 gegen Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung/geschlechtlichen Identität (+25%) allein in Sachsen.

Trotz Bedrohungen: Queere Sichtbarkeit wächst

Trotz der massiven Bedrohungslage zeigt die queere Community bemerkenswerte Resilienz. Über 200 Kundgebungen haben bundesweit stattgefunden, die meisten davon in kleinen und mittelgroßen Städten, strukturschwachen und ländlichen Regionen. Nie zuvor hat es mehr Kundgebungen für queere Sichtbarkeit gegeben.

Der CSD in Görlitz und Zgorzelec ist ein besonderer CSD. Damit ist der CSD der einzige grenzüberschreitende von in diesem Jahr vierzehn stattfindenden Veranstaltungen in Sachsen. Die Veranstaltung steht symbolisch für den mutigen Einsatz von Aktivist*innen, die sich trotz rechtsextremer Bedrohungen für queere Rechte einsetzen.

Dunkelziffer bleibt hoch

Expert*innen warnen, dass die offiziellen Zahlen nur die Spitze des Eisbergs darstellen. Beinahe jede zweite queere Person in Sachsen hat seit 2017 Übergriffe erfahren, davon haben nur 7 Prozent mindestens einen Vorfall bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft gemeldet. Der Mangel an Vertrauen in die Polizei und die Sorge vor weiterer Diskriminierung führen dazu, dass viele Straftaten nicht zur Anzeige gebracht werden.

Die Kriminalpolizei Görlitz hat die Ermittlungen aufgenommen und bittet um Hinweise aus der Bevölkerung. Ob der Angriff auf den 14-Jährigen tatsächlich im Zusammenhang mit dem CSD steht, wird derzeit geprüft. Der Fall zeigt einmal mehr, wie wichtig konsequente Strafverfolgung und der Schutz queerer Menschen in Deutschland sind.


Transfeindlicher Übergriff in Berlin-Friedrichshain: Wenn Hass zur alltäglichen Bedrohung wird

Ein weiterer erschütternder Fall transfeindlicher Gewalt: In Berlin-Friedrichshain wurde am Mittwochabend eine 46-jährige Frau in der Rigaer Straße von einem unbekannten Mann angespuckt und transphob beleidigt. Die Polizei konnte kurz darauf einen 31-jährigen Tatverdächtigen identifizieren. Die Ermittlungen führt nun der Polizeiliche Staatsschutz des Landeskriminalamts – ein Verfahren, das bei vermuteter Hasskriminalität Standard ist.

Der Vorfall reiht sich ein in eine besorgniserregende Serie: Die Opferberatungsstelle Maneo hat allein im vergangenen Jahr 738 explizit queerfeindliche Vorfälle in Berlin gezählt – ein Anstieg um acht Prozent im Vergleich zum Vorjahr und damit ein neuer Höchststand. Besonders alarmierend: Zwei Drittel der befragten trans* Personen berichteten, innerhalb der letzten fünf Jahre von transfeindlicher Gewalt betroffen gewesen zu sein. Nahezu die Hälfte erlebte sogar im letzten Jahr vor der Befragung Übergriffe.

Berlin als Brennpunkt queerfeindlicher Gewalt

Die Rigaer Straße in Friedrichshain, wo sich der aktuelle Übergriff ereignete, liegt in einem Bezirk mit lebendiger queerer Community. Friedrichshain ist queer – das zeigt sich nicht nur an Bars, die speziell auf die Community zugeschnitten sind, und Clubs wie Berghain und Blank. Doch gerade die Sichtbarkeit queerer Menschen macht sie zur Zielscheibe.

Dass Berlin besonders häufig über LGBTIQ-feindliche Übergriffe berichtet, hat einen Grund: Die Landespolizei macht mögliche Hassverbrechen aufgrund der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität gezielt publik. Die angezeigten trans- und homophoben Straftaten in Berlin weisen geografische Schwerpunkte in LGBTIQ*-Ausgeh- und Wohnvierteln auf. Ein besonders großer Teil der Fälle wird in Mitte, Tempelhof-Schöneberg und Friedrichshin-Kreuzberg angezeigt.

Das erschreckende Ausmaß: Deutschland im Überblick

Der Berliner Fall ist kein Einzelfall, sondern Teil eines bundesweiten Problems. Der "Lagebericht zur kriminalitätsbezogenen Sicherheit von LSBTIQ*" verzeichnet für das Jahr 2023 insgesamt 1.785 Straftaten gegen LSBTIQ* Personen. Zu den häufigsten Straftaten zählten dabei Beleidigungen, Gewalttaten, Volksverhetzungen sowie Nötigungen und Bedrohungen. Bei den Gewalttaten wurden 212 Opfer festgestellt. Für 2024 wurden im Unterthemenfeld "sexuelle Orientierung" 1.765 Straftaten erfasst, was einer Steigerung von etwa 18% gegenüber dem Vorjahr entspricht. Hierbei wurden 253 Gewaltdelikte und 447 Beleidigungen registriert.

Besonders dramatisch: Die Zahl der Straftaten im Bereich „Sexuelle Orientierung" und „Geschlechtsbezogene Diversität" hat sich seit 2010 nahezu verzehnfacht. Und die Dunkelziffer ist erschreckend hoch: Maneo schätzt, dass 80 bis 90 Prozent der Vorfälle weder einer Beratungsstelle gemeldet noch auch bei der Polizei angezeigt werden.

Warum melden Betroffene nicht?

Die Gründe für die geringe Anzeigebereitschaft sind vielfältig: Lediglich 8 bis 10 Prozent der trans* Personen zeigen den letzten physischen Angriff oder sexualisierte Gewalterfahrung bei der Polizei an. Viele fanden den Vorfall nicht schlimm genug, etwa die Hälfte glaubte nicht, dass eine Anzeige was bringen würde, und 40 bis 53 Prozent haben kein Vertrauen in die Polizei.

Auf die Frage, warum sie nach einem Angriff nicht zur Polizei gegangen sind, antworteten die meisten, dass sie nicht denken, dass das was bringen würde (40%). Weitere Motive waren, dass der Vorfall den Betroffenen nicht schlimm genug schien (37%), die Betroffenen Angst vor Homo- und Transphobie bei der Polizei hatten (23%) und kein Vertrauen in die Polizei hätten (21%).

Berlins Vorreiterrolle bei Opferschutz

Dass der aktuelle Fall in Berlin vom Polizeilichen Staatsschutz untersucht wird, ist nicht selbstverständlich. Straftaten, die sich gegen die sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität einer Person richten und auf einer gruppenbezogenen Vorurteilsmotiviertheit basieren, werden unter Hasskriminalität erfasst und durch den polizeilichen Staatsschutz bearbeitet. Berlin hat zudem eigene Ansprechpartner*innen für queere Menschen bei Polizei und Staatsanwaltschaft eingerichtet.

Der dritte Monitoringbericht, erschienen im Dezember 2024, führt die Berichterstattung auf Grundlage amtlicher und zivilgesellschaftlicher Daten fort. Wie bereits in früheren Ausgaben werden vorfallsbezogene Daten aus der polizeiischen Statistik zu politisch motivierter Kriminalität, Verfahrensdaten der Staatsanwaltschaft sowie Statistiken von zivilgesellschaftlichen Meldestellen ausgewertet.

Was muss sich ändern?

Expert*innen fordern konkrete Maßnahmen: Hauptamtliche Ansprechpartner*innen für queerfeindliche Hasskriminalität bei der Polizei sowie ein regelmäßiger Austausch zwischen Polizei und Community würden Misstrauen verringern können. Polizeibeamt*innen müssen in verpflichtenden Modulen in Aus- und Weiterbildung mit dem Thema queerfeindlicher „Hasskriminalität" vertraut gemacht werden und mit der richtigen Erfassung vertraut sein.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser betont: „Wir müssen all diejenigen schützen und unterstützen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität Hass, Diskriminierung und Gewalt erleben. Queerfeindliche Gewalt muss als solche klar benannt und gezielt verfolgt werden".

Der Fall in der Rigaer Straße ist mehr als ein Einzelfall – er ist Symbol einer gesellschaftlichen Realität, in der trans* und queere Menschen täglich mit Anfeindungen und Gewalt konfrontiert werden. Die niedrige Anzeigebereitschaft zeigt: Es braucht nicht nur härtere Strafen, sondern vor allem Vertrauen, Sichtbarkeit und präventive Arbeit. Nur so kann aus dem Dunkelfeld Licht werden – und aus Angst Sicherheit.


Kolumbianisches Gericht stoppt Volleyball-Verband: Trans-Athletin gewinnt historischen Rechtsstreit

Ein Verfassungsgericht in Kolumbien hat eine wegweisende Entscheidung getroffen: Die Liga Antioqueña de Voleibol, ein kolumbianischer Volleyball-Verband in Antioquia, wurde vom Verfassungsgericht angewiesen, ihre Richtlinien zu ändern, die trans Personen von ihren Wettbewerben ausschließen. Das Urteil markiert einen wichtigen Moment für die Rechte von trans Athletinnen und Athleten – nicht nur in Lateinamerika, sondern weltweit. Die Entscheidung wurde von Pink News berichtet.

Zehn Jahre Spielpraxis plötzlich illegal

Eine namentlich nicht genannte trans Athletin verklagte den Sportverband, nachdem er ihr mitten in einem Turnier die Teilnahme an Frauen-Volleyball-Spielen untersagte. Obwohl sie über ein Jahrzehnt lang ohne Probleme an Antioquia-Spielen teilgenommen hatte, sperrten die Verantwortlichen die Spielerin von weiblichen Events aus, nachdem sie eine Richtlinie eingeführt hatten, die trans Sportlerinnen von Ligen ausschließt, die ihrer Geschlechtsidentität entsprechen.

In einem Urteil vom Mittwoch, 1. Oktober, argumentierte ein dreiköpfiges Richtergremium, dass die Richtlinie die Menschenrechte der Spielerin und ihr verfassungsmäßiges Recht auf Würde und Gleichheit verletze. Die Richterinnen und Richter ordneten an, dass die Athletin das Turnier zu Ende spielen dürfe und der Verband seine Regelungen mit Hilfe des Sportministeriums ändern müsse.

Wissenschaft widerspricht pauschalen Verboten

Das Gericht setzte ein klares Zeichen gegen diskriminierende Praktiken im Sport. Die Richterinnen Natalia Ángel Cabo und José Fernando Reyes Cuartos argumentierten, dass es keine wissenschaftlichen Beweise dafür gibt, dass trans Athletinnen einen inhärenten Wettbewerbsvorteil gegenüber cis-geschlechtlichen Athletinnen haben, und stellten fest, dass die körperliche Leistungsfähigkeit eher mit "Körperzusammensetzung", Training und Ernährung zusammenhängt.

Diese Argumentation wird durch aktuelle Forschung gestützt. Eine 2024 vom Internationalen Olympischen Komitee unterstützte Studie deutete darauf hin, dass trans Athletinnen tatsächlich Nachteile im Sport haben können, aufgrund von Veränderungen der Muskelmasse und kardiovaskulären Fähigkeiten. Trans Frauen zeigten in bestimmten kardiovaskulären Tests schlechtere Leistungen als ihre cis-geschlechtlichen Kolleginnen und hatten weniger Unterkörperkraft.

Deutsche Parallelen: Auch hier wird diskutiert

Die Debatte über trans Personen im Sport ist auch in Deutschland hochaktuell. Die Teilnahme von Transmenschen am Leistungssport ist ein kontroverses Thema. Dies gilt insbesondere in Bezug auf Transfrauen, die nach einer männlichen Pubertät im Frauensport erfolgreich sind, und in Bezug auf erhöhte Verletzungsgefahr für biologische Frauen.

Während das IOC 2021 einen neuen Rahmen zur Regelung der Teilnahme von Transathleten vorstellte, in dem das IOC selbst keine Restriktionen mehr vorsieht, haben verschiedene deutsche Sportverbände unterschiedliche Wege eingeschlagen. Es gibt verschiedene Verbände, die dafür gesorgt haben, dass trans Personen besser am Sport teilnehmen können. Der DFB zum Beispiel, oder auch der Deutsche Hockey-Bund. Es gibt auch einen queeren Sportverein in Deutschland, das ist der SC Janus in Köln.

Kolumbien als Vorreiter für LGBTQ+-Rechte

Das Urteil passt zu Kolumbiens progressiver Haltung in Bezug auf LGBTQ+-Rechte. Die Rechte Homosexueller in Kolumbien sind weit entwickelt, besonders für ein sich entwickelndes, konservatives und überwiegend katholisches Land wie Kolumbien. Strafgesetze gegen homosexuelle Handlungen bestehen in Kolumbien nicht. Im April 2016 bestätigte das Verfassungsgericht in einer weiteren Grundsatzentscheidung die sofortige landesweite Eheöffnung.

Dennoch ist die Lage für LGBTQ+-Personen nicht ohne Herausforderungen. Feminizide sowie Gewalt gegen lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen (LGBTI+) geben weiterhin Anlass zu großer Sorge. Das Regionale Informationsnetzwerk zu Gewalt gegen LGBT registrierte 2023 insgesamt 21 Tötungen von LGBTI+ in Kolumbien, die in die Kategorie "vorurteilsbedingte Gewalt" fielen.

Ein Signal für faire Teilhabe

Das kolumbianische Urteil sendet eine wichtige Botschaft: Sport muss für alle zugänglich sein, unabhängig von der Geschlechtsidentität. Die urteilenden Richterinnen und Richter stellten fest, dass die trans Spielerin bereits an mindestens vier Turnierspielen ohne Einwände teilgenommen hatte, bevor der Verband seine Richtlinie verabschiedete, was deren Zweck in Frage stellte. Es gab keine Beschwerden von Mitspielerinnen, keine Vorfälle – nur eine nachträgliche Diskriminierung.

Während die internationale Debatte über trans Athletinnen oft von Ängsten und Vorurteilen dominiert wird, zeigt dieses Urteil einen anderen Weg: einen, der auf Menschenrechten, wissenschaftlichen Erkenntnissen und der gelebten Realität basiert. Es ist ein Schritt in Richtung echter Inklusion – im Sport und darüber hinaus.


Trans-Schüler*innen in Schottland: Hunger und Durst aus Angst vor Schultoiletten

Eine alarmierende Meldung aus Schottland wirft ein Schlaglicht auf die realen Folgen rechtlicher Einschränkungen für transgender Jugendliche: Lehrkräfte berichten, dass trans Schüler*innen ihre Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme einschränken, um die Schultoiletten nicht benutzen zu müssen – aus Angst davor, geoutet zu werden. Diese beunruhigende Entwicklung steht in direktem Zusammenhang mit einer neuen Richtlinie der schottischen Regierung, die Ende September 2024 veröffentlicht wurde und die Toilettennutzung an Schulen neu regelt.

Neue Richtlinie: Geschlechtertrennung nach „biologischem Geschlecht"

Die neue Richtlinie von Holyrood, die am 29. September veröffentlicht wurde, fordert, dass alle Schulen in Schottland getrennte Einrichtungen – einschließlich Toiletten und Umkleideräumen – für Jungen und Mädchen haben müssen, die „auf der Grundlage des biologischen Geschlechts" basieren. In der Richtlinie wird „biologisches Geschlecht" als „bei der Geburt eingetragenes Geschlecht" definiert. Die Änderung erfolgte als Reaktion auf ein Urteil des britischen Supreme Court vom April 2025, das feststellte, dass die Begriffe „Mann", „Frau" und „Geschlecht" im Gleichstellungsgesetz 2010 sich auf das biologische Geschlecht beziehen.

Bildungsministerin Jenny Gilruth begründete die Aktualisierung damit, die schottische Trans-Richtlinie für Schulen mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Einklang zu bringen. Gleichzeitig betonte sie: „Es ist unerlässlich, dass Schulen die Bedürfnisse von Transgender-Schüler*innen im Licht ihrer lokalen Umstände, des Schulkontexts und der Notwendigkeit, die Rechte aller in Einklang zu bringen, berücksichtigen".

Gewerkschaft kritisiert: Gesundheit der Jugendlichen in Gefahr

Die schottische Lehrergewerkschaft EIS (Educational Institute of Scotland), die mehr als 80 Prozent des Lehrpersonals vertritt, reagierte alarmiert. Die Gewerkschaft erklärte, dass die Richtlinie „nicht ausreicht, um Klarheit und Zusicherung zu geben, dass die Rechte von transgender und nicht-binären Schüler*innen im aktuellen rechtlichen Kontext bewahrt werden".

Besonders beunruhigend sind die Berichte aus der Praxis: Generalsekretärin Andrea Bradley berichtete, dass das EIS nach den Sommerferien von transgender Jugendlichen erfuhr, die ihre Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme einschränken, um nicht die Schultoiletten benutzen zu müssen und damit das Risiko zu vermeiden, geoutet zu werden. Die Gewerkschaft befürchtet, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen einen „Zustand der Außergewöhnlichkeit für transgender Schüler*innen schaffen könnten, der möglicherweise zu Isolation und einer vom Schulalltag der Mitschüler*innen abweichenden Bildungserfahrung führt".

Ein bekanntes Phänomen mit schweren Folgen

Das Problem ist nicht neu. Eine Studie aus dem Jahr 2021 mit über 12.000 transgender und nicht-binären Jugendlichen ergab, dass 49 Prozent manchmal öffentliche Toiletten meiden und 22 Prozent sie immer vermeiden. 67 Prozent berichteten, dass sie sich „zurückhalten", wenn sie die Toilette benutzen müssen, und 38 Prozent verzichten auf Essen oder Trinken, um die Nutzung dieser Einrichtungen zu vermeiden.

Die gesundheitlichen Konsequenzen sind erheblich: Medizinische Fachgesellschaften warnen, dass Schüler*innen, die die Toilette meiden, medizinische Folgen erleiden können, darunter wiederkehrende Harnwegsinfektionen und Verstopfung sowie möglicherweise schwerwiegendere gesundheitliche Komplikationen wie Hämaturie und chronische Nierenerkrankungen. Studien zeigen zudem, dass transgender und nicht-binäre Jugendliche, die Toilettendiskriminierung erleben, einem erhöhten Risiko für depressive Verstimmungen und Suizidalität ausgesetzt sind.

Wie sieht es in Deutschland aus?

Im Gegensatz zu Schottland verfolgt Deutschland einen inklusiveren Ansatz. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) stellt klar: „Im Hinblick auf alle Toiletten und Umkleideräume müssen Lernende Zugang zu den Einrichtungen haben, die ihrer Geschlechtsidentität entsprechen". Rechtlich gesehen dürfen trans Mädchen die Mädchentoilette benutzen und trans Jungen die Jungentoilette – dies gilt auch für Umkleideräume.

Allerdings gibt es auch in Deutschland Diskussionen und unterschiedliche Praktiken. In Hamburg entschieden sich viele Schulen beim Bau neuer Gebäude für die Option von Unisex-Toiletten, während trotz der Erlaubnis von Unisex-Toiletten weiterhin getrennte Toiletten für das weibliche und männliche Geschlecht gestellt werden müssen, da diese gesetzlich vorgeschrieben sind.

Ein wichtiger Fortschritt ist das Selbstbestimmungsgesetz, das im November 2024 in Kraft trat. Das Gesetz erlaubt es transgender und nicht-binären Menschen, ihre rechtlichen Dokumente durch ein auf Selbstbestimmung basierendes Verwaltungsverfahren an ihre Geschlechtsidentität anzupassen. Dies erleichtert auch die Situation in Schulen, wo Schüler*innen das Recht haben, im Schulalltag mit Namen und Pronomen angesprochen zu werden, die nach ihrer Ansicht mit ihrer geschlechtlichen Identität korrespondieren – auch vor einer amtlichen Personenstandsänderung.

Ein Aufruf zur Sensibilität

Die Situation in Schottland macht deutlich, wie wichtig ein sensibler Umgang mit den Bedürfnissen von trans Jugendlichen ist. Die schottische Regierung selbst erkennt in ihrer Richtlinie an, dass manche junge Menschen, einschließlich transgender Jugendlicher, ihre Flüssigkeitsaufnahme einschränken könnten, weil sie sich mit der Toilettennutzung unwohl fühlen.

Trans Kinder und Jugendliche brauchen Unterstützung bei wichtigen Fragen: Welche Toilette und Umkleide benutzen sie? Wie wird ihr Coming-out in der Schulklasse begleitet? Die deutschen Bildungsgewerkschaften betonen, dass trans, inter und nicht-binäre Schüler*innen eine besonders vulnerable Gruppe innerhalb der Schulgemeinschaft sind und darauf angewiesen sind, von ihren Lehrkräften Unterstützung zu erfahren.

Die Berichte aus Schottland sollten uns mahnen: Wenn rechtliche Regelungen dazu führen, dass Jugendliche Hunger und Durst in Kauf nehmen, um Diskriminierung zu vermeiden, läuft etwas grundsätzlich falsch. Es geht hier nicht nur um Toiletten – es geht um Würde, Gesundheit und das Recht auf Bildung in einem sicheren Umfeld.


Japan gewährt gleichgeschlechtlichen Paaren erweiterte rechtliche Absicherung – Ein schrittweiser Weg zur Gleichstellung

In einem bedeutsamen Schritt hat Japans Regierung gleichgeschlechtlichen Paaren erweiterte rechtliche Absicherung gewährt und erkennt sie nun als „faktische Ehen" in einer Reihe von Gesetzen und Verordnungen an. Die Entscheidung, die im Oktober 2024 bekannt wurde, folgt auf eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom März 2024, die besagte, dass die Verweigerung der Ehegleichstellung für gleichgeschlechtliche Paare in Japan verfassungswidrig sei. Für viele LGBTQ+-Aktivist*innen in Japan ist dies ein ermutigendes Signal – doch die vollständige Gleichstellung bleibt weiterhin außer Reichweite. Die Entwicklungen in Japan erinnern an den Weg, den Deutschland vor Jahren gegangen ist.

Neun weitere Gesetze erkennen gleichgeschlechtliche Paare an

Die japanische Regierung hat beschlossen, gleichgeschlechtliche Paare in insgesamt neun weiteren Gesetzen und Verordnungen als faktische Ehen zu behandeln, darunter das Gesetz über Katastrophen-Beileidsbekundungen. Im Januar hatte die Regierung bereits beschlossen, gleichgeschlechtliche Partner*innen unter 24 Gesetzen und Verordnungen anzuerkennen, darunter das Gesetz zur Prävention häuslicher Gewalt, das Miet- und Grundstücksgesetz und das Gesetz über öffentlichen Wohnungsbau.

Doch es gibt Grenzen: Die Regierung vertritt weiterhin die Position, dass gleichgeschlechtliche Partner*innen nicht unter 120 Gesetze und Verordnungen fallen, darunter solche zu Steuern und Sozialversicherung. Dies bedeutet, dass gleichgeschlechtliche Paare in Japan trotz Fortschritten weiterhin erheblichen rechtlichen und finanziellen Nachteilen ausgesetzt sind.

Gerichtliche Siege häufen sich – doch die Politik zögert

Der Druck auf die japanische Regierung wächst seit Jahren. Im März 2024 entschied das Oberste Gericht in Sapporo, dass die Verweigerung des Rechts auf Ehe und die damit verbundenen Vorteile für gleichgeschlechtliche Paare einen Verstoß gegen das grundlegende Recht auf Gleichheit und Ehefreiheit darstelle. Eine ähnliche Entscheidung wurde vom Obersten Gericht in Tokio im Oktober desselben Jahres gefällt. Die Obergerichte in Nagoya und Osaka erklärten das Verbot im März 2025 ebenfalls für verfassungswidrig.

Diese juristischen Erfolge setzen das japanische Parlament, den Diet, und letztlich den Obersten Gerichtshof unter Druck, sich endgültig mit der Verfassungsmäßigkeit des Verbots der gleichgeschlechtlichen Ehe auseinanderzusetzen. In den letzten Jahren haben LGBTQ+-Aktivist*innen ihre Bemühungen verstärkt und mehrere Klagen zur Ehegleichstellung in verschiedenen Regionen Japans eingereicht.

Partnerschaftszertifikate als Kompromisslösung

Während die nationale Regierung zögert, haben lokale Behörden das Vakuum gefüllt. Hunderte von Kommunen im ganzen Land stellen Partnerschaftszertifikate aus, die gleichgeschlechtlichen Paaren bei der Wohnungssuche und bei anderen Formen der Diskriminierung helfen sollen. Bis März 2025 haben 423 Gemeinden und 31 der 47 Präfekturen in Japan ein „Partnerschafts-Eid-System" eingeführt, das gleichgeschlechtlichen Paaren einige begrenzte Vorteile bietet.

Paare erhalten ein spezielles Zertifikat, das bei Wohnungsangelegenheiten, Besuchsrechten im Krankenhaus und der Zustimmung zu medizinischen Eingriffen für Partner*innen nützlich sein kann. Allerdings: Das System ist nicht rechtsverbindlich, und es besteht keine gesetzliche Verpflichtung für Vermieter*innen oder Krankenhäuser, die Rechte von Paaren zu respektieren, selbst wenn ein Zertifikat vorgelegt wird.

Parallelen zu Deutschland: Der lange Weg zur Gleichstellung

Die Entwicklungen in Japan erinnern an Deutschlands eigenen Weg zur Eheöffnung. Von 2001 bis 2017 konnten gleichgeschlechtliche Paare in Deutschland eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen – eine Institution, die schrittweise immer mehr Rechte erhielt, jedoch nie vollständig der Ehe gleichgestellt war.

Von 2001 bis 2017 erkannte Deutschland eingetragene Lebenspartnerschaften für gleichgeschlechtliche Paare an, deren Vorteile durch mehrere Urteile des Bundesverfassungsgerichts schrittweise erweitert wurden, bis sie die meisten, aber nicht alle Rechte der Ehe umfassten. Erst nach jahrzehntelangem Aktivismus und zahlreichen Gerichtsurteilen wurde am 30. Juni 2017 im Bundestag mit 393 zu 226 Stimmen die Ehe für alle beschlossen, die am 1. Oktober 2017 in Kraft trat.

Heute zeigen Umfragen, dass 80% der Deutschen gleichgeschlechtliche Ehe unterstützen. Der gesellschaftliche Wandel, der in Deutschland stattgefunden hat, zeigt, dass rechtliche Gleichstellung auch kulturelle Veränderungen vorantreiben kann.

Japan als einzige G7-Nation ohne Ehegleichstellung

Japan ist derzeit das einzige G7-Land, das gleichgeschlechtliche Verbindungen national in keiner Form rechtlich anerkennt. Diese Position ist zunehmend unhaltbar geworden, besonders angesichts des wachsenden öffentlichen Drucks. Mehr als 92% der japanischen Menschen im Alter von 18 bis 29 Jahren sagen, dass Homosexualität von der Gesellschaft akzeptiert werden sollte, laut einem Bericht des Pew Research Center aus dem Jahr 2021.

Die Verfassung Japans definiert derzeit die Ehe als basierend auf „gegenseitigem Einvernehmen zwischen beiden Geschlechtern", eine Formulierung, die traditionell so interpretiert wurde, dass sie gleichgeschlechtliche Paare ausschließt. Doch wie die deutschen Erfahrungen zeigen, können Verfassungsinterpretationen sich ändern – durch mutigen Aktivismus, gesellschaftlichen Wandel und politischen Willen.

Der Kampf geht weiter

Die jüngsten Entwicklungen in Japan sind ein wichtiger Schritt vorwärts, doch die vollständige Gleichstellung bleibt ein fernes Ziel. Im März 2025 äußerte sich Kabinettssekretär Yoshimasa Hayashi zu den fünf Obergerichtsurteilen, die das Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe als verfassungswidrig bezeichneten, und sagte: „All diese Entscheidungen sind noch nicht rechtskräftig, und wir werden die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs genau beobachten".

Für die LGBTQ+-Community in Japan bedeutet dies: Der Kampf geht weiter. Wie in Deutschland vor 2017 braucht es Geduld, Beharrlichkeit und den unermüdlichen Einsatz von Aktivist*innen, Anwält*innen und Verbündeten. Die Geschichte lehrt uns, dass Fortschritt möglich ist – aber er kommt selten ohne harte Arbeit.

Die erweiterte rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paare in Japan ist ein Hoffnungsschimmer. Doch solange nicht die volle Ehegleichstellung erreicht ist, bleibt die Botschaft klar: Gleiche Liebe verdient gleiche Rechte – in Japan genauso wie überall auf der Welt.


Revolutionäre Hautzellenforschung: Können gleichgeschlechtliche Paare bald gemeinsame Kinder bekommen?

Ein bahnbrechender wissenschaftlicher Durchbruch in den USA könnte die Familienplanung für gleichgeschlechtliche Paare grundlegend verändern. Forscher der Oregon Health & Science University (OHSU) haben erstmals aus menschlichen Hautzellen funktionsfähige Eizellen entwickelt, die frühe menschliche Embryonen produzieren können – ein Fortschritt, der gleichgeschlechtlichen Paaren die Möglichkeit bieten könnte, Kinder zu bekommen, die genetisch mit beiden Partnern verwandt sind. Diese Entwicklung, veröffentlicht in der Fachzeitschrift Nature Communications, wirft sowohl in wissenschaftlicher als auch gesellschaftlicher Hinsicht wichtige Fragen auf – besonders für die deutsche LGBTQ+-Community.

Die Wissenschaft hinter dem Durchbruch

Die innovative Technik basiert auf der somatischen Zellkerntransplantation, bei der der Kern einer Hautzelle in eine Spendereizelle eingesetzt wird, deren eigener Kern entfernt wurde. Durch das Zytoplasma in der Spendereizelle wird der implantierte Hautzellkern dazu angeregt, die Hälfte seiner Chromosomen abzugeben – ähnlich wie bei der natürlichen Meiose. Die neue Eizelle wird dann durch Standard-IVF mit Spermien befruchtet. Dies führt zu einem diploiden Embryo mit zwei Chromosomensätzen, der theoretisch zu gesunden Nachkommen mit gleichmäßigen genetischen Beiträgen von beiden Elternteilen führen würde.

Professor Shoukhrat Mitalipov, Direktor des OHSU Center for Embryonic Cell and Gene Therapy, betont die Bedeutung dieser Errungenschaft: "Wir haben etwas erreicht, was als unmöglich galt." Die Natur habe uns zwei Methoden der Zellteilung gegeben, und sein Team habe nun eine dritte entwickelt.

Die Realität: Noch ein weiter Weg

Trotz des wissenschaftlichen Durchbruchs ist die Technik noch weit von einer klinischen Anwendung entfernt. Die Forscher berichteten, dass sie 82 funktionelle Eizellen produzierten, die dann durch IVF befruchtet wurden. Die meisten entwickelten sich jedoch nicht über das 4- bis 8-Zell-Stadium hinaus und wiesen Chromosomenanomalien auf. Nur etwa 9% entwickelten sich bis zum Blastozysten-Stadium sechs Tage nach der Befruchtung. Die Forscher erwarten, dass mindestens ein Jahrzehnt weiterer Forschung erforderlich sein wird, bevor der Ansatz als sicher oder wirksam genug für eine klinische Studie angesehen werden könnte.

Die Situation in Deutschland: Zwischen Hoffnung und rechtlichen Hürden

Während in den USA an dieser revolutionären Technologie geforscht wird, sieht die Situation für gleichgeschlechtliche Paare mit Kinderwunsch in Deutschland deutlich anders aus. In Deutschland ist es derzeit nicht möglich, dass bei gleichgeschlechtlichen Paaren eine der Frauen das befruchtete Ei der Partnerin austrägt, da Ärzten die Übertragung einer fremden Eizelle auf eine Frau nicht erlaubt ist.

Die deutsche Gesetzgebung zur Embryonenforschung ist besonders restriktiv. Das 1990 verabschiedete Embryonenschutzgesetz verbietet die Forschung mit frühen menschlichen Embryonen außerhalb des Körpers. Dasselbe Gesetz untersagt zudem die Gewinnung von Stammzellen aus menschlichen Embryonen. Das deutsche Stammzellgesetz hingegen erlaubt – unter bestimmten Voraussetzungen – den Import von im Ausland erzeugten embryonalen Stammzellen und deren Verwendung für hochrangige Forschungsziele.

Aktuelle Möglichkeiten für gleichgeschlechtliche Paare in Deutschland

Derzeit nutzen gleichgeschlechtliche Paare in Deutschland hauptsächlich Samenspenden für ihre Familienplanung. Seit dem Inkrafttreten des Samenspenderregistergesetzes am 01.07.2018 behandeln viele Kinderwunschzentren gleichgeschlechtliche Paare mit Kinderwunsch, die in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft leben oder verheiratet sind. Mittlerweile therapieren sie aber auch unverheiratete gleichgeschlechtliche Paare und alleinstehende Frauen.

Die finanzielle Unterstützung bleibt jedoch ein großes Problem. Das Bundesrecht sieht eine finanzielle Unterstützung bei Kinderwunschbehandlungen nur für verschiedengeschlechtliche Paare vor, die krankheitsbedingt ungewollt kinderlos sind. Voraussetzung für die Förderung ist, dass nur Ei- und Samenzellen des Ehepaars verwendet werden. Die Voraussetzung einer homologen Insemination macht eine Kostenübernahme für gleichgeschlechtliche Paare unmöglich.

Hoffnungsschimmer: Einzelne Bundesländer gehen voran

Einige Bundesländer haben begonnen, gleichgeschlechtliche Paare bei Kinderwunschbehandlungen zu unterstützen. Rheinland-Pfalz bietet seit dem 1. März 2021 als erstes Bundesland eine finanzielle Unterstützung für gleichgeschlechtliche weibliche Paare. Berlin, Bremen, das Saarland und Thüringen fördern seit Kurzem bei Fertilitätsstörungen ebenfalls gleichgeschlechtliche weibliche Paare anteilig. Bremen denkt als erstes Bundesland bei der Förderung auch ausdrücklich nicht-cisgeschlechtliche Personen mit.

Ethische Fragen und gesellschaftliche Diskussion

Die neue Forschung aus den USA wirft wichtige ethische Fragen auf, die auch in Deutschland diskutiert werden müssen. Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger erklärte kürzlich: "Die Forschung an frühen Embryonen und anderen neuartigen Zellstrukturen aus dem Labor ist ein bedeutsames, aber auch kontroverses und ethisch herausforderndes Thema. Die Stellungnahmen aus der Wissenschaft sind eindeutig: Embryonenforschung ist wichtig, unsere Gesetze hierzu sind jedoch nicht mehr zeitgemäß. Deshalb müssen wir die Regelungen des Embryonenschutzgesetzes und des Stammzellgesetzes neu prüfen und bewerten."

Die Diskussion über die Zukunft der Reproduktionsmedizin in Deutschland ist besonders für die LGBTQ+-Community von großer Bedeutung. Während andere europäische Länder wie Großbritannien, Schweden und Belgien liberalere Regelungen haben, bleibt Deutschland bei der Embryonenforschung sehr restriktiv.

Was bedeutet das für queere Familien in Deutschland?

Die Entwicklungen in den USA zeigen, was wissenschaftlich möglich sein könnte – auch wenn die praktische Umsetzung noch Jahre entfernt ist. Für queere Menschen in Deutschland bedeutet dies vor allem eines: Die Diskussion über Reproduktionsrechte und Familienbildung muss intensiver geführt werden. Die OHSU-Forschung könnte ein wichtiger Katalysator für diese Debatten sein.

Paula Amato, Professorin für Geburtshilfe und Gynäkologie an der OHSU, fasst die Bedeutung zusammen: "Zusätzlich zur Hoffnung für Millionen von Menschen mit Unfruchtbarkeit würde diese Methode gleichgeschlechtlichen Paaren die Chance ermöglichen, ein Kind zu haben, das genetisch mit beiden Partnern verwandt ist."

Während Deutschland noch über die Reform seiner Gesetze diskutiert, arbeiten Wissenschaftler weltweit daran, neue Wege für alle Menschen zu schaffen, die sich eine Familie wünschen. Die Hautzellenforschung mag noch in den Kinderschuhen stecken, aber sie symbolisiert einen wichtigen Schritt in Richtung einer inklusiveren Zukunft der Familienbildung – eine Zukunft, in der die Liebe zwischen zwei Menschen und ihr Wunsch nach einem gemeinsamen Kind nicht durch biologische Grenzen eingeschränkt werden muss.

Die deutsche LGBTQ+-Community sollte diese Entwicklungen aufmerksam verfolgen und sich aktiv in die Diskussion über die Zukunft der Reproduktionsmedizin einbringen. Denn nur durch offenen Dialog und politischen Druck können die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es ermöglichen, dass solche wissenschaftlichen Durchbrüche auch queeren Familien in Deutschland zugutekommen.


Harvard-Dragstar sorgt für Aufruhr: Wie steht Deutschland zu queerer Wissenschaft?

Die renommierte Harvard University hat mit der Berufung von Kareem Khubchandani, besser bekannt als Drag Queen LaWhore Vagistan, für Schlagzeilen gesorgt. Die Ivy League Universität kündigte an, den Drag Performer als Gastprofessor für ihr Studies of Gender and Sexuality Programm zu engagieren. Die Original-Nachricht findet sich hier auf PinkNews. Doch während in den USA die Wogen hochschlagen, stellt sich die Frage: Wie positioniert sich Deutschland in der Debatte um queere Forschung und Lehre?

Ein akademischer Künstler mit Substanz

Khubchandani besitzt einen Bachelor-Abschluss in Soziologie und Anthropologie sowie einen Master und PhD in Performance Studies von der Northwestern University. Seine Forschung fokussiert sich auf die Schnittstellen zwischen queerem Nachtleben, globaler Politik, Ethnografie, der südasiatischen Diaspora und Drag. Mindestens sieben akademische Fachzeitschriften, darunter das Journal of Asian American Studies und Scholar and Feminist Online, haben Khubchandanis Arbeiten publiziert.

Der Name LaWhore Vagistan ist dabei bewusst gewählt: "Ich wählte 'LaWhore', weil meine Familie ihre Wurzeln in Pakistan hat: Lahore ist eine wichtige Stadt in Pakistan, und nun ja, ich bin ein bisschen eine Hure", erklärt Khubchandani. "Und Vagistan, weil ich den Subkontinent als eine große, schöne Vag ... istan sehe."

Der deutsche Blick auf Gender Studies

Während Harvard mit dieser Berufung international für Aufsehen sorgt, zeigt sich in Deutschland ein gespaltenes Bild. An deutschen, österreichischen und Schweizer Hochschulen existieren in 30 Fachgebieten 223 Professuren mit einer Denomination für Frauen- und Geschlechterforschung/Gender Studies. In Deutschland gibt es 146 Genderprofessuren an Universitäten und 50 an Fachhochschulen - fast doppelt so viele wie Professuren in Altphilologie.

Die Universität zu Köln bietet beispielsweise einen interdisziplinären Masterstudiengang Gender & Queer Studies an. Die Humboldt-Universität Berlin beheimatet eine Professur für Englische Literatur- und Kulturwissenschaft mit Schwerpunkt Gender und Queer Studies. Die Leuphana Universität Lüneburg organisierte 2024 einen "Gender, Queer and Transgender Studies Workshop" für Doktorand*innen in Kooperation mit der Duke University.

Drag-Kultur trifft deutsche Wissenschaft

Anders als in Harvard ist Drag als akademisches Forschungsfeld an deutschen Universitäten noch selten institutionalisiert. Drag hat in Deutschland eine lange Geschichte und ist untrennbar verbunden mit der widerständigen Geschichte von LSBTTIAQ+-Communities of Color, Travestie, Ballroom Culture, den Trümmer- und Polittunten, lesbischen Barszenen und queeren Menschenrechtsbewegungen.

Die TU Dortmund definiert Drag als "höchst diverse, ambivalente, kulturelle Form", die sowohl Ausdruck persönlicher Identität als auch künstlerische Performance sein kann. Die Kunst des Drags ist politisch motiviert, sie möchte traditionelle Geschlechterrollen hinterfragen und vorführen. Durch die überzeichnete Darstellung weiblicher Stereotypen provoziert eine Drag Queen, sie kritisiert und spielt mit den Normen unserer Gesellschaft.

Zwischen Anerkennung und Widerstand

Die Reaktionen auf Harvards Entscheidung spiegeln eine größere Debatte wider. Rechte Republikaner, einschließlich US-Präsident Donald Trump, haben Harvard kontinuierlich für ihre als "woke" wahrgenommenen Lehrpraktiken angegriffen. Im April kürzte Trump Milliarden Dollar an Bundesfinanzierung für die Universität, nachdem diese sich weigerte, ihre Diversity, Equality und Inclusion (DEI) Programme abzuschaffen.

Auch in Deutschland existiert diese Polarisierung. Während progressive Stimmen die Wichtigkeit von Gender Studies für eine inklusive Gesellschaft betonen, kritisieren konservative Kreise Gender Studies als "politischen Angriff auf die Wissenschaft und die Grundprinzipien einer pluralen rechtsstaatlichen Demokratie" und als "marxistische Unterwanderung der Universität".

Ein Blick nach vorn

Khubchandanis Berufung in Harvard ist mehr als eine akademische Personalentscheidung - sie ist ein Statement für die Anerkennung queerer Perspektiven in der Wissenschaft. Der Professor ist Autor von zwei Büchern, "Decolonise Drag" und "Ishtyle: Accenting Gay Indian Nightlife". Sein nächstes Buch, "Lessons in Drag: A Queer Manual for Academics, Artists, and Aunties", erscheint im Oktober 2025.

Während deutsche Universitäten bei der Integration von Drag-Performance in die akademische Lehre noch zurückhaltend sind, zeigt die breite Verankerung der Gender Studies an Institutionen wie der HU Berlin oder der Ruhr-Universität Bochum, dass queere Perspektiven durchaus ihren Platz in der deutschen Wissenschaftslandschaft haben.

Die Frage ist nicht, ob queere Forschung und Kunst einen Platz an Universitäten verdienen - sondern wie wir als Gesellschaft mit der Vielfalt wissenschaftlicher Perspektiven umgehen wollen. LaWhore Vagistans Gastprofessur in Harvard mag provozieren, doch sie öffnet auch Türen für Dialoge über Geschlecht, Identität und die Grenzen akademischer Traditionen - Themen, die in Deutschland ebenso relevant sind wie jenseits des Atlantiks.


Der Fall Liebich: Wie Rechtsextreme das Selbstbestimmungsgesetz für ihre Hetze missbrauchen

Die rechtsextreme Person Marla Svenja Liebich, die bis zum 29. August eine Haftstrafe in der JVA Chemnitz hätte antreten sollen, soll laut neuen Berichten das Justizministerium von Sachsen-Anhalt vor dem geplanten Haftantritt über die Flucht informiert haben. Liebich, die nach einer Änderung des Geschlechtseintrags Anfang 2025 unter dem neuen Selbstbestimmungsgesetz nun Marla-Svenja heißt, war wegen Volksverhetzung, übler Nachrede und Beleidigung zu einem Jahr und sechs Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt worden.

Eine kalkulierte Provokation gegen trans* Menschen

Vermutlich war Liebich nicht schon seit langem transident und hat sehnlichst darauf gewartet, nach Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes endlich den amtlichen Geschlechtseintrag mit der eigenen Geschlechtsidentität in Einklang zu bringen. Liebich war vermehrt über frühere Ausfälle gegen transidente Personen aufgefallen - 2022 störte die Person beispielsweise den CSD Halle und rief Teilnehmenden zu: "Ihr seid Parasiten dieser Gesellschaft!" Auf Social Media fragte Liebich die digitale Gefolgschaft wenige Tage nach dem Erhalt der Ladung: "Ob man wisse, wie es sich anfühlt, ein ganzes System zu ficken".

Die extreme Rechte nutzt den Fall nun gezielt, um gegen das Selbstbestimmungsgesetz mobil zu machen. Rechtsextreme und transfeindliche Milieus inszenieren Liebichs Aktion als "Beleg" dafür, dass das Selbstbestimmungsgesetz angeblich Tür und Tor für Missbrauch öffne - es scheint das Paradebeispiel, auf das trans-Feind*innen schon lange gewartet haben.

Das Selbstbestimmungsgesetz: Ein Menschenrecht unter Beschuss

Im April 2024 wurde das diskriminierende und in weiten Teilen verfassungswidrige Transsexuellengesetz vom Selbstbestimmungsgesetz abgelöst - ab dem 1. November 2024 können trans*, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen durch eine eigene Erklärung beim Standesamt ihren Namen, Personenstand und Geschlechtseintrag ändern. Deutschland folgt damit dem Beispiel von Argentinien, Malta, Dänemark, Luxemburg, Belgien, Irland, Portugal, Island, Neuseeland, Norwegen, Uruguay, Spanien, Finnland, Schweiz, Brasilien, Kolumbien und Ecuador, die bereits ähnliche Gesetze verabschiedet haben.

Die Erfahrungen anderer Länder wie Dänemark, Portugal und der Schweiz zeigen, dass kein Fall einer Änderung des Geschlechtseintrags aus betrügerischen oder kriminellen Absichten bekannt geworden ist. Das SBGG bezweckt Vereinfachungen, verzichtet grundsätzlich auf eine Wahrhaftigkeitsüberprüfung des Antrags durch das Standesamt - aber eindeutige Missbrauchsfälle zwingen das Standesamt nicht dazu, dem Antrag Folge zu leisten, im Gegenteil.

Die Realität von trans* Menschen in Deutschland

Während rechte Hetzer*innen den Einzelfall Liebich instrumentalisieren, bleibt die Lebensrealität von trans* Menschen in Deutschland bedrückend. Die FRA-Studie aus 2024 verdeutlicht das schockierende Ausmaß: 65% der trans* Frauen in Deutschland berichteten von Diskriminierung in den letzten 12 Monaten, und nur 19% aller trans* Personen glaubt, dass ihre Regierung Vorurteile und Intoleranz wirksam bekämpft.

Im Jahr 2023 wurden 1.785 Straftaten gegen LSBTIQ* Personen erfasst (2022: 1.188), darunter Beleidigungen, Gewalttaten, Volksverhetzungen sowie Nötigungen und Bedrohungen mit 212 Opfern bei Gewalttaten. Die Zahl der Straftaten im Bereich "Sexuelle Orientierung" und "Geschlechtsbezogene Diversität" hat sich seit 2010 nahezu verzehnfacht, wobei die Dunkelziffer weiterhin hoch ist.

Besonders alarmierend: Lediglich 8% der trans* Frauen haben den letzten physischen Angriff bei der Polizei angezeigt - 53% der trans* Frauen haben kein Vertrauen in die Polizei, 45% glaubten nicht, dass eine Anzeige etwas bringen würde. Trans* Personen erleben überdurchschnittlich viel Hass und Gewalt - laut einer Studie haben 66% der trans* Personen in Berlin in den letzten fünf Jahren Gewalterfahrungen gemacht, 80% davon in den Sozialen Medien, und sie erfahren überdurchschnittlich viel Mobbing in Schule, Ausbildung, Beruf und in der eigenen Familie.

Politische Instrumentalisierung statt Problemlösung

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hat Liebich einen Missbrauch des Selbstbestimmungsgesetzes vorgeworfen: "Der Geschlechterwechsel scheint hier eindeutig ein Missbrauchstatbestand zu sein". Dobrindt fordert, dass man sich einer Debatte stellen müsse, "dass hier Missbrauchsmöglichkeiten ganz offensichtlich durch dieses Gesetz gegeben sind", und bringt eine mögliche Änderung des von der Ampel-Koalition verabschiedeten Gesetzes ins Gespräch.

Die SPD hält dagegen: "Mit der SPD wird es keine Änderungen am Selbstbestimmungsgesetz geben", sagt die rechtspolitische Sprecherin Carmen Wegge - höchstens Verbesserungen bei der rechtlichen Stellung von trans-, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen würden unterstützt: "Es wird wegen einer Person keine Rolle rückwärts geben".

Der Schutz vor Missbrauch des Selbstbestimmungsgesetzes besteht bereits - die Vorstellung, cis Männer nutzten das Gesetz, um in sichere Frauenräume einzudringen, ist eine Nebelkerze, denn cis Männer verüben Gewalt an Frauen, ganz ohne sich davor einen bürokratischen Stempel abgeholt zu haben.

Die wahre Gefahr: Zunehmende Trans*feindlichkeit

Laut der kürzlich erschienenen Leipziger Autoritarismus Studie 2024 sind trans*feindliche Einstellungen in Deutschland weit verbreitet. Das Trans Murder Monitoring zählt 2024 weltweit 350 Morde - eines der drei tödlichsten Jahre für trans*, nicht-binäre und gender-nonkonforme Personen seit 2008, was eine Folge der konzertierten Bemühungen von Anti-Gender- und Anti-Menschenrechts-Bewegungen ist, die trans* Personen instrumentalisieren und verunglimpfen.

Die Staaten müssen sich zu sofortigem Handeln verpflichten, um der Zunahme von trans*feindlicher Hassrede und Angriffen entgegenzuwirken - "Dass alle Menschen Menschenrechte verdienen und sie auch brauchen, muss unsere Handlungen leiten. Die extreme Rechte nutzt Trans*feindlichkeit, um sich in der Mitte der Gesellschaft auszubreiten", warnen Expert*innen.

Ein Blick über die Grenzen: Deutschland im europäischen Vergleich

Das deutsche Selbstbestimmungsgesetz reiht sich in eine internationale Bewegung ein. Die Parlamentarische Versammlung des Europarats forderte bereits 2015 die EU-Mitgliedstaaten auf, einfache, unbürokratische Verfahren zu schaffen, damit trans Personen ohne Gerichtsurteile, Zwangsbegutachtungen oder andere Nachweise ihren Vornamen und Geschlechtseintrag ändern lassen können. Portugal beschloss 2018 ein Gesetz für Personen ab 16 Jahren, Spanien folgte 2022 mit einem ähnlichen Gesetz, das die bisherige Notwendigkeit einer medizinischen Diagnose oder Hormontherapie aufhebt.

Vorbild ist seit 2012 Argentinien, das als erstes Land weltweit ein Selbstbestimmungsgesetz verabschiedete und sogar eine Quote einführte, nach der ein Prozent der Arbeitsplätze in Behörden mit trans Personen besetzt sein sollen.

Fazit: Solidarität statt Spaltung

Der Fall Liebich zeigt einmal mehr, wie die extreme Rechte versucht, marginalisierte Gruppen gegeneinander auszuspielen und demokratische Errungenschaften zu untergraben. Liebichs Posse diffamiert vor allem trans Frauen und knüpft an ein bekanntes Muster an: Sie sollen als grundsätzlich gefährlich, kriminell oder übergriffig erscheinen, ihre Existenz grundlegend infrage gestellt werden.

Die LGBTQ+-Community und ihre Verbündeten müssen jetzt zusammenstehen. Das Selbstbestimmungsgesetz ist kein Einfallstor für Missbrauch, sondern ein längst überfälliger Schritt zur Anerkennung der Menschenwürde von trans*, inter* und nicht-binären Menschen. Statt auf die Provokationen einzelner Rechtsextremer einzugehen, sollte die Gesellschaft sich auf den Schutz und die Unterstützung derjenigen konzentrieren, die täglich unter Diskriminierung und Gewalt leiden.

Die wahre Gefahr geht nicht vom Selbstbestimmungsgesetz aus, sondern von denjenigen, die es nutzen, um Hass zu säen und demokratische Werte zu untergraben. Es ist Zeit, dass Deutschland - wie viele andere Länder vor uns - trans* Menschen die Würde und den Respekt entgegenbringt, die ihnen als Mitmenschen zustehen.


Wenn Scham zur tödlichen Waffe wird: Der Fall Justin R. und die Gefahr internalisierter Homophobie

Ein tragischer Fall aus Schleswig-Holstein wirft ein grelles Licht auf die gefährliche Verbindung zwischen internalisierter Homophobie und Gewalt. Wie der Originalartikel berichtet, steht der 21-jährige Justin R. vor dem Landgericht Itzehoe wegen Mordes an einem Grindr-Date vor Gericht. Der Fall offenbart die zerstörerische Kraft von Selbsthass und gesellschaftlicher Stigmatisierung.

Die doppelte Tragödie

Am 22. Januar wurde der 56-jährige Jörg M. in der Wohnung des Angeklagten erstochen. Was die Freunde des Täters vor Gericht aussagten, ist erschütternd: Justin R. soll hoch verschuldet gewesen sein und erfand eine Geschichte über eine wohlhabende Frau namens "Larissa", um seine finanziellen Probleme und die sexuellen Kontakte zu verschleiern.

Besonders aufschlussreich ist die Aussage der Freunde, dass der Angeklagte sich für homosexuelle Kontakte geschämt hätte, wenn diese im Freundeskreis bekannt geworden wären. Diese Scham – ein klassisches Zeichen internalisierter Homophobie – kann verheerende Folgen haben.

Internalisierte Homophobie: Der Feind im eigenen Inneren

Internalisierte Homophobie bezeichnet negative Gefühle, Gedanken oder Verhaltensweisen gegenüber der eigenen Homosexualität, die oft unbewusst sind. Betroffene erleben einen inneren Konflikt zwischen gesellschaftlichen Normen und ihren eigenen Gefühlen. Typisch sind Minderwertigkeitsgefühle, das Gefühl, als Person falsch und weniger wert zu sein, sowie Angst vor Zurückweisung, Selbstablehnung bis hin zu Selbsthass, Scham, Depressionen, Angststörungen und in extremen Fällen Suizidalität.

Die häufigsten Gefühle des Menschen mit internalisierter Homophobie sind Angst und Scham. Angst vor seinem Leben wegen gesellschaftlicher Vorurteile und Scham, weil er das Gefühl hat, nicht zum aktuellen System zu gehören. Diese toxischen Gefühle können sich gegen die eigene Person richten – oder wie im Fall von Justin R. möglicherweise nach außen gewendet werden.

Gesellschaftliche Stigmatisierung als Nährboden

Deutschland gilt als fortschrittlich in LGBTQ+-Rechten, doch die Realität zeigt ein anderes Bild. Im Jahr 2023 wurden insgesamt 17.007 Fälle von Hasskriminalität erfasst. Davon richteten sich 1.785 Straftaten gegen LSBTIQ* Personen – ein besorgniserregender Anstieg. Die Zahl der Straftaten im Bereich "Sexuelle Orientierung" und "Geschlechtsbezogene Diversität" hat sich seit 2010 nahezu verzehnfacht.

45% der Teilnehmenden einer Befragung in Baden-Württemberg wurden in den letzten 12 Monaten aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität diskriminiert. Drei von vier befragten LSBTIQ*-Personen haben in diesem Zeitraum Gewalt gegen sich oder ihre Gleichbehandlung erfahren.

Die Gefahr von Dating-Apps in einer homophoben Gesellschaft

Dating-Apps wie Grindr bieten LGBTQ+-Menschen wichtige Räume für Kontakte und Beziehungen. Doch sie bergen auch Risiken, besonders für Menschen, die ihre Sexualität verheimlichen. Verheimlichungsstress ist enorm belastend und eine der am schwersten zu ertragenden Stressarten.

Der Fall Justin R. ist nicht einzigartig. Im Jahr 2024 wurden in Deutschland 222 vollendete Morde polizeilich erfasst. Die Zahl der Mordfälle stieg das zweite Jahr in Folge. Während die meisten Morde andere Hintergründe haben, zeigt dieser Fall die besondere Vulnerabilität der LGBTQ+-Community.

Was können wir tun?

Die Lösung liegt nicht nur in besseren Sicherheitsvorkehrungen bei Dating-Apps, sondern in gesellschaftlichem Wandel. 44 Prozent der Deutschen sind der Ansicht, Homosexuelle sollten aufhören, "so einen Wirbel um ihre Sexualität zu machen". Diese subtilen Formen der Homophobie schaffen ein Klima, in dem sich Menschen für ihre Sexualität schämen.

  • Aufklärung und Sensibilisierung in Schulen und Bildungseinrichtungen
  • Psychologische Unterstützung für Menschen mit internalisierter Homophobie
  • Stärkung von LGBTQ+-Beratungsstellen
  • Konsequente Verfolgung von Hasskriminalität
  • Förderung positiver LGBTQ+-Rollenbilder in Medien und Gesellschaft

Ein Appell an die Community

Dieser Fall sollte uns alle wachrütteln. Er zeigt, dass internalisierte Homophobie nicht nur die Betroffenen selbst zerstört, sondern auch andere gefährdet. Jeden Tag werden in Deutschland Menschen angegriffen, bloß weil sie lieben, wie sie lieben oder sind wie sie sind. LSBTIQ* bleiben eine verwundbare gesellschaftliche Gruppe.

Für die LGBTQ+-Community bedeutet das: Wir müssen aufeinander achten. Wir müssen sichere Räume schaffen, in denen Menschen ihre Sexualität ohne Scham leben können. Und wir müssen jene unterstützen, die noch mit ihrer eigenen Identität kämpfen.

Der Tod von Jörg M. ist eine Tragödie, die niemals hätte passieren dürfen. Justin R. wird sich vor Gericht für seine Tat verantworten müssen. Doch als Gesellschaft müssen wir uns fragen: Welche Rolle spielen wir dabei, wenn Menschen ihre eigene Sexualität so sehr hassen, dass daraus tödliche Gewalt wird?

Die Antwort liegt in mehr Akzeptanz, mehr Sichtbarkeit und weniger Scham. Nur so können wir verhindern, dass sich solche Tragödien wiederholen.


Syphilis-Alarm in Deutschland: Was die neuen Rekordzahlen für die queere Community bedeuten

Die Zahlen sind alarmierend: Mit 9.519 gemeldeten Fällen hat Deutschland 2024 einen neuen Höchststand an Syphilis-Infektionen erreicht. 2024 wurden dem Robert Koch-Institut (RKI) 9.519 Syphilis-Fälle gemeldet, wie das RKI in seinem epidemiologischen Bulletin bekannt gab. Das entspricht einem Zuwachs von 3,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr, in dem 9.159 Fälle registriert wurden. Besonders betroffen: queere Männer in deutschen Großstädten.

Ein Virus, das die Community besonders trifft

Die Statistik zeigt ein eindeutiges Muster: Die wichtigste Risikogruppe sind Männer, die Sex mit Männern (MSM) haben. Auf diese Gruppe entfallen 85,6 % aller Erkrankungen – was auch erklärt, warum Frauen insgesamt 17-fach seltener als Männer (1,1 versus 18,9 / 100.000) erkranken. Diese Konzentration ist kein neues Phänomen – seit dem Wiederanstieg der Syphilis-Zahlen um das Jahr 2000 sind überwiegend Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), in Großstädten betroffen.

Doch warum ist das so? Das Team um Viviane Bremer vom RKI führt dies auf die erhöhte Risikobereitschaft in dieser Gruppe zurück. Neben der Verbreitung von Partydrogen könnte auch die HIV-Prä-Expositionsprophylaxe (PrEP) eine wichtige Rolle spielen. Die PrEP schützt zwar effektiv vor HIV, aber nicht vor einer Syphilis und anderen sexuell übertragbaren Infektionen (STI).

Berlin und Hamburg als Brennpunkte

Die geografische Verteilung der Infektionen zeigt deutliche Unterschiede. Die höchsten Inzidenzen wurden im vergangenen Jahr in Berlin (35,7 Fälle pro 100.000 Einwohner) und Hamburg (30,3 Fälle pro 100.000 Einwohner) registriert. Auch Bremen liegt mit 14,0 Fällen pro 100.000 Einwohner über dem bundesweiten Durchschnitt von 11,2 Fällen. Brandenburg weist hingegen mit 4,5 pro 100.000 Einwohner die niedrigste Inzidenz auf.

Diese Konzentration in Großstädten ist kein Zufall: Neben Berlin und Hamburg ist die Syphilis auch in Köln (42,9), München (38,9), Nürnberg (29,2), Frankfurt am Main (27,8) und Düsseldorf (25,5) verbreitet. In urbanen Zentren leben nicht nur mehr queere Menschen, sondern es gibt auch aktivere Dating-Szenen und mehr Möglichkeiten für sexuelle Kontakte.

Die PrEP-Revolution und ihre Schattenseiten

Die HIV-Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) hat die sexuelle Gesundheit queerer Männer revolutioniert. Die Kosten einer PrEP werden in Deutschland seit September 2019 von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Das RKI schätzt, dass es mit Stand Ende 2023 rund 40.000 PrEP-Nutzer in Deutschland gab.

Die PrEP ist eine hochwirksame Schutzmethode: Bei dieser Schutzmethode nehmen HIV-negative Menschen entweder dauerhaft täglich oder vor und nach sexuellen Kontakten („anlassbezogen") ein HIV-Medikament ein, um sich vor einer Ansteckung mit HIV zu schützen. Laut der Deutschen Aidshilfe schützt eine PrEP so gut wie Kondome – sofern sie richtig angewendet wird.

Doch diese Erfolgsgeschichte hat eine Kehrseite: Ein Effekt der PrEP sei in zwei Richtungen denkbar: Zum einen könne durch PrEP-bedingten Verzicht auf Kondome das Risiko für andere STI, so auch für Syphilis, steigen. Zum anderen können durch das STI-Screening im Rahmen der regelmäßigen PrEP-Untersuchung Syphilis-Infektionen früher diagnostiziert und behandelt werden.

Warum Syphilis gefährlich bleibt

Syphilis ist mehr als nur eine unangenehme Infektion. Die Syphilis ist eine durch Treponema pallidum verursachte Erkrankung, die nur beim Menschen vorkommt und sexuell, durch Blut und intrauterin von der Mutter auf das Kind übertragen wird. Sie verläuft typischerweise in drei Stadien: Los geht es mit einem meist schmerzlosen Geschwür kurz nach der Infektion. Danach macht sich die Erkrankung etwa durch Hautveränderungen bemerkbar, bevor – Jahre nach der Erstinfektion – Schädigungen des zentralen Nervensystems und der Blutgefäße auftreten können.

Die gute Nachricht: Syphilis kann durch Antibiotika geheilt werden, wobei wiederholte Infektionen möglich sind. Tatsächlich zeigen die Daten, dass bei fast 40 Prozent der Syphilisinfektionen unter Männern die Ärzt_innen von einer erneuten Ansteckung ausgingen.

Gesundheitsvorsorge in der queeren Community

Die steigenden Syphilis-Zahlen werfen ein Schlaglicht auf die besonderen Gesundheitsbedürfnisse queerer Menschen in Deutschland. Diskriminierung und Minderheitenstress können krank machen und haben insbesondere Auswirkungen auf die psychische und mentale Gesundheit. Die wenig vorhandenen Studien deuten darauf hin, dass LSBTIQ* weniger Chancen auf ein gesundes Leben haben und häufiger von psychischen Erkrankungen betroffen sind.

Ein großes Problem bleibt die Diskriminierung im Gesundheitswesen. Wenn Patient*innen nicht offen über Sexualität reden können, werden schnell Fehldiagnosen gestellt. Das kann schlimmstenfalls lebensgefährlich sein, warnt Dr. Gaby Knecht, Fachärztin für Innere Medizin und Infektiologie.

Für queere Menschen ist es daher besonders wichtig, queersensible Praxen zu finden. Auf queermed-deutschland.de finden sich geeignete Praxen. Die Empfehlungen auf der Plattform stammen aus der Community. Bislang sind über 1.700 Empfehlungen online. Gerade in ländlichen Gebieten zeigt sich, dass Deutschland von einem flächendeckenden Angebot queersensibler Praxen weit entfernt ist.

Was jetzt zu tun ist

Das Robert Koch-Institut empfiehlt konkrete Maßnahmen: neben verstärkter Kondomwerbung auch den Ausbau von Test- und Behandlungsangeboten. Die Robert Koch-Mitarbeiter raten zu einem intensivierten Screening. MSM sollten sich in Abhängigkeit vom Risikoverhalten alle 3 bis 12 Monate auf STI untersuchen lassen.

Besonders wichtig ist die Aufklärung über die Grenzen der PrEP. Während sie exzellenten Schutz vor HIV bietet, ist sie jedoch kein Ersatz für Safer Sex, denn sie schützt nicht vor anderen sexuell übertragbaren Infektionen (STI). Einige Studien deuten allerdings an, dass Menschen, die PrEP nutzen, häufiger an anderen STIs erkranken.

Die Bundesregierung hat die Bedeutung der Prävention erkannt: Seit Beginn der Einführung der GKV-PrEP ist die Anzahl der PrEP-Nutzenden nahezu kontinuierlich angestiegen. Ende 2023 gab es schätzungsweise rund 40.000 PrEP-Nutzenden in Deutschland.

Ein Blick in die Zukunft

Die steigenden Syphilis-Zahlen sind ein Weckruf, aber kein Grund zur Panik. Mit der richtigen Kombination aus Aufklärung, regelmäßigen Tests und bewusstem Umgang mit Schutzmöglichkeiten lässt sich das Infektionsrisiko deutlich reduzieren. Die queere Community hat in der Vergangenheit bewiesen, dass sie mit Gesundheitskrisen umgehen kann – von der HIV/AIDS-Krise der 1980er Jahre bis zur Corona-Pandemie.

Entscheidend wird sein, dass die Gesundheitsversorgung für queere Menschen weiter verbessert wird. Die Gesundheitsvorsorge für queere Personen erfordert eine ganzheitliche Herangehensweise. Besonders wichtig ist es, mehr Pflegeeinrichtungen aufzubauen, die auf queersensible Pflege spezialisiert sind. Auch unterstützende Gemeinschaften gehören zur Gesundheitsvorsorge für queere Menschen dazu.

Die neuen Syphilis-Zahlen zeigen: Sexuelle Gesundheit bleibt ein wichtiges Thema für die queere Community. Mit offener Kommunikation, regelmäßigen Tests und einem bewussten Umgang mit Schutzmaßnahmen können wir gemeinsam dafür sorgen, dass die Infektionszahlen wieder sinken – ohne dabei auf sexuelle Freiheit und Selbstbestimmung verzichten zu müssen.


Das dunkle Erbe des Paragraph 175: Wie deutsche Gerichte jahrzehntelang homosexuelle Männer diskriminierten

Das Bundesverfassungsgericht hat eine unrühmliche Geschichte im Umgang mit Homosexualität. 1957 erteilte das oberste deutsche Gericht dem damals noch uneingeschränkt geltenden Verbot homosexueller Handlungen seinen Segen. Die damalige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Az. 1 BvR 550/52) offenbart ein erschütterndes Zeugnis institutionalisierter Diskriminierung, das bis heute nachwirkt.

Schockierende Vorurteile als Rechtsgrundlage

Die Entscheidung von 1957 setzte eine grundsätzliche Unerwünschtheit von Homosexualität weitgehend als selbstverständlich voraus und widmete sich vor allem der Frage nach der Ungleichbehandlung gegenüber lesbischen Frauen, deren Handeln straffrei war. Die Begründungen, die das höchste deutsche Gericht für diese Ungleichbehandlung anführte, lesen sich heute wie ein Dokument tiefsitzender Homophobie.

Das Gericht argumentierte mit erschreckenden Stereotypen über die angeblich unterschiedliche Sexualität von Männern und Frauen. Besonders perfide war die Behauptung, dass „der lesbisch veranlagten Frau das Durchhalten sexueller Abstinenz leichter gelingt, während der homosexuelle Mann dazu neigt, einem hemmungslosen Sexualbedürfnis zu verfallen." Diese diskriminierende Aussage zeigt, wie tief verwurzelt die Vorurteile selbst in den höchsten Justizkreisen waren.

Weiter behauptete das Gericht, junge Frauen seien weniger anfällig für gleichgeschlechtliche „Verführung": „Die Gefahr solcher Fehlprägung ist aber bei Mädchen weit geringer als bei männlichen Jugendlichen." Das Gericht ging sogar so weit zu behaupten, dass Mädchen „durch ein natürliches Gefühl für sexuelle Ordnung bewahrt" würden - eine Aussage, die nicht nur homophob, sondern auch zutiefst sexistisch ist.

Homosexualität als angebliche Gefahr für die Gesellschaft

Die Verfassungsrichter konstruierten homosexuelle Männer als Bedrohung für die Gesellschaft. Sie behaupteten, männliche Homosexuelle würden zu „ständigem Partnerwechsel" neigen und familienhafte Bindungen ablehnen. Im Gegensatz dazu würden lesbische Verhältnisse „zur Dauerhaftigkeit tendieren" und seien weniger sichtbar in der Öffentlichkeit.

Diese Argumentation diente dazu, die strafrechtliche Verfolgung homosexueller Männer zu rechtfertigen, während gleichgeschlechtliche Beziehungen zwischen Frauen straffrei blieben. Das Gericht sah darin keinen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes.

Die Kirchen als moralische Autorität

Das BVerfG begründete die Beschränkung der persönlichen Handlungsfreiheit unter Verweis auf Art. 2 Abs. 1 GG, der persönliche Handlungsfreiheit nur gewährt, "soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt". Homosexualität verstoße „eindeutig" gegen das Sittengesetz, was sich unter anderem aus der Haltung der christlichen Kirchen ergebe.

Das Gericht argumentierte: „Von größerem Gewicht ist, daß die öffentlichen Religionsgesellschaften, insbesondere die beiden großen christlichen Konfessionen, aus deren Lehren große Teile des Volkes die Maßstäbe für ihr sittliches Verhalten entnehmen, die gleichgeschlechtliche Unzucht als unsittlich verurteilen." Damit machte sich das oberste deutsche Gericht die religiöse Moral zur Grundlage seiner Rechtsprechung.

Die tragische Geschichte des Paragraph 175

Paragraph 175 des Strafgesetzbuches existierte vom 15. Mai 1871 bis zum 10. März 1994. Er machte sexuelle Beziehungen zwischen Männern zu einem Verbrechen und kriminalisierte in frühen Versionen auch Sodomie sowie Formen der Prostitution und des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger. Insgesamt wurden etwa 140.000 Männer unter diesem Gesetz verurteilt.

Die Nazis verschärften das Gesetz 1935 als Teil der schwersten Verfolgung homosexueller Männer in der Geschichte. Wissenschaftler schätzen, dass es während des Nazi-Regimes etwa 100.000 Verhaftungen wegen Verstößen gegen Paragraph 175 gab. Über die Hälfte dieser Verhaftungen (etwa 53.400) führten zu Verurteilungen.

Das Versagen der Nachkriegsjustiz

Nach 1945 war es eines der wenigen Gesetze aus der Nazi-Zeit, das in seiner ursprünglichen Form in Westdeutschland beibehalten wurde, während Ostdeutschland zur Version vor der Nazi-Zeit zurückkehrte. 1950 hob Ostdeutschland die Nazi-Änderungen zu Paragraph 175 auf, während Westdeutschland sie beibehielt und sogar vom Verfassungsgericht bestätigen ließ.

Trotz seiner Vorgeschichte in der Zeit des Nationalsozialismus sah das Bundesverfassungsgericht 1957 die Strafbestimmung als nicht nationalsozialistisch geprägt und erlaubte ihre weitere Anwendung in der Bundesrepublik. Mit Beschluss vom 2. Oktober 1973 erklärte das BVerfG das Fortbestehen einer Sondervorschrift gegen männliche Homosexualität erneut für verfassungskonform und verwies dabei erschreckenderweise immer noch auf die Gründe der Entscheidung von 1957.

Von 1945 bis 1969 wurden etwa 100.000 Männer in Gerichtsverfahren verwickelt, und etwa 50.000 wurden verurteilt. In der Bundesrepublik wurden zirka 50.000 Männer zwischen 1950 und 1969 verurteilt und bis zur Streichung des Gesetzes 1994 noch weitere rund 3.500.

Der lange Weg zur Rehabilitierung

1969 senkte die Regierung das Schutzalter auf 21 Jahre. Das Schutzalter wurde 1973 auf 18 Jahre gesenkt, und schließlich wurde der Paragraph 1994 aufgehoben und das Schutzalter auf 16 Jahre gesenkt, das gleiche wie für heterosexuelle Handlungen.

In der DDR hingegen fand die Vorschrift zwischen 1957 und 1968 nur in abgemilderter Form Anwendung und wurde anschließend aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Die unterschiedliche Handhabung in Ost- und Westdeutschland zeigt, wie sehr die Bundesrepublik an der diskriminierenden Gesetzgebung festhielt.

Späte Gerechtigkeit

Im Jahr 2002 hob der Bundestag die während der Zeit des Nationalsozialismus ergangenen Urteile auf. Erst am 22. Juli 2017 wurden auch alle Urteile nach 1945 aufgehoben. Dies erfolgte durch das Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen (StrRehaHomG).

Die Entschädigung beträgt 3.000 Euro je aufgehobenes Urteil. Für jedes angefangene, aufgrund der Verurteilung erlittene Jahr der Freiheitsentziehung wird eine zusätzliche Entschädigung von jeweils 1.500 Euro geleistet. Diese Beträge wirken angesichts des erlittenen Unrechts geradezu beschämend niedrig.

Schätzungen zufolge ergingen zwischen 1945 und 1994 etwa 69.000 Urteile nach den genannten Verbotsvorschriften. Bis Mitte Juli 2022 beantragten nur 335 Personen eine Entschädigung beim Bundesamt für Justiz, von denen 259 tatsächlich entschädigt werden konnten. Viele Betroffene sind bereits verstorben, ohne je Gerechtigkeit erfahren zu haben.

Ein Mahnmal der Schande

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1957 und die jahrzehntelange Aufrechterhaltung des Paragraph 175 bleiben ein dunkles Kapitel deutscher Rechtsgeschichte. Die Folgen für die Verurteilten sind bis heute kaum zu ermessen. Neben zehntausenden Geld- und Haftstrafen steht die Vernichtung ungezählter bürgerlicher Existenzen, die nicht selten zu Auswanderung oder Selbstmord der Betroffenen führte.

Bundesjustizminister Marco Buschmann erklärte 2022: „Das Verbot einvernehmlicher homosexueller Handlungen hat bei den Betroffenen viel Leid verursacht und ganze Leben zerstört. Die strafrechtliche Verfolgung war aus heutiger Sicht grobes Unrecht".

Die Geschichte des Paragraph 175 und insbesondere die Rolle des Bundesverfassungsgerichts mahnen uns, wachsam zu bleiben gegenüber Diskriminierung und Ausgrenzung. Sie zeigt, wie selbst die höchsten Gerichte zu Instrumenten der Unterdrückung werden können, wenn Vorurteile und moralische Panik die Oberhand gewinnen. In Zeiten, in denen LGBTQ+-Rechte wieder verstärkt unter Druck geraten, ist diese Mahnung aktueller denn je.

Für weitere Informationen können sich Betroffene an das Bundesamt für Justiz wenden oder die Beratungshotline der Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren unter 0800-175 2017 kontaktieren.


AfD scheitert erneut: Bundestag verwehrt Queerfeindlichkeit einen Platz in der Hirschfeld-Stiftung

Die AfD ist am Donnerstag erneut mit ihrem Versuch gescheitert, queerfeindliche Abgeordnete ins Kuratorium der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld zu entsenden. Der Deutsche Bundestag lehnte die Nominierung von Beatrix von Storch und Nicole Höchst mehrheitlich ab – ein klares Signal für den Schutz queerer Rechte, wie queer.de berichtet. Das Kuratorium der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld fasst die wesentlichen Beschlüsse der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld und überwacht die Arbeit des Vorstands.

Provokation mit System

Die AfD-Fraktion hatte mit Beatrix von Storch als Vizefraktionschefin und Nicole Höchst als stellvertretende Landesparteichefin aus Rheinland-Pfalz bewusst zwei Politikerinnen nominiert, die sich durch besonders aggressive queerfeindliche Rhetorik hervorgetan haben. Beide Politikerinnen gelten als extrem queerfeindlich. Auch Nicole Höchst gilt als queerfeindliche Speerspitze der Partei. Dies ist bereits der zweite Anlauf der Partei – schon 2022 waren die gleichen Kandidatinnen durchgefallen.

Beatrix von Storch engagierte sich mit Projekten wie dem Propaganda-Portal "Freie Welt" und der "Initiative Familienschutz" bereits vor der Gründung der AfD als queerfeindliche Aktivistin. Sie ist seit dem Gründungsjahr der AfD eine der führenden Figuren der Partei und wurde bereits 2014 Spitzenkandidatin für die Europawahl. Immer wieder zeigt sie mit aggressiven Worten, dass sie wenig von sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten hält. Im Juni dieses Jahres bezeichnete sie die Regenbogenfahne als "politisches extremes Symbol", während das von ihrem Haus betriebene Portal "Die freie Welt" einen Zusammenhang zwischen Satanismus und der queeren Community herstellte.

Nicole Höchst: Eine Chronik der Hetze

Nicole Höchst sitzt seit 2017 für die AfD im Deutschen Bundestag. 2021 warnte sie vor "entarteter Regenbogenvielfalt". Mit konstruierten Vorwürfen versucht die AfD, die Arbeit der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld (BMH) zu diskreditieren und sogar mit der Unterstützung von Pädophilie in Verbindung zu bringen. Ihre staatliche Finanzierung müsse "dringend auf den Prüfstand", forderte die Bundestagabgeordnete Nicole Höchst vergangene Woche in einer Pressemitteilung. Als Begründung genügen der bekanntermaßen queerfeindlichen Politikerin, die 2021 vor "entarteter Regenbogenvielfalt" warnte, eine positive Äußerung von BMH-Vorstand Helmut Metzner zur queeren Kita in Berlin, ein Vortrag vor zehn Jahren und eine zufällige Begegnung

Besonders perfide: Höchst warnte im letzten Sommer in Vorträgen zu "Frühsexualisierung", es gebe Bundesländer, "in denen Schwulen-, Lesben- und Transenverbände diesen Unterricht zur Vielfalt übernehmen" und in denen der Lehrer dabei vor die Tür gehe. Die "Verunsicherung der Kinder", etwa durch Thematisierung von Trans- oder Intersexualität im Kindergarten, grenze an "sexuelle Nötigung" und "seelische Grausamkeit" Laut einem Bericht der "Rhein-Zeitung" behauptete Höchst zudem im letzten August in einer Wahldebatte vor Schülern, dass sie gegen das Adoptionsrecht für Homo-Paare sei, da Studien belegten, "dass es unter homosexuellen Männern mehr Pädophile gibt". Vermutlich stützte sie sich dabei auf einen FAZ-Gastkommentar aus dem Sommer; die Zeitung hatte für diese Falschbehauptung eine Rüge des Presserats erhalten

Die Bedeutung der Hirschfeld-Stiftung

Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld (BMH) ist eine mit 11,1 Millionen Euro (Stand: 31. Dezember 2018) ausgestattete Stiftung mit Sitz in Berlin. Ihre Ziele und Aufgaben sind es, an den Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld zu erinnern, Bildungs- und Forschungsprojekte zu fördern und zu initiieren und einer gesellschaftlichen Diskriminierung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen sowie queeren Personen (Abkürzung: LSBTTIQ) in Deutschland entgegenzuwirken.

Die Stiftung ist nach Magnus Hirschfeld benannt, dessen Institut für Sexualwissenschaft 1933 von den Nazis geplündert und zerschlagen wurde. Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld hat in den Jahren 2012 bis 2025 bisher insgesamt 888.437,72 Euro an Fördermitteln für 213 Projekte ausgeschüttet bzw. bewilligt. Sie unterstützt damit wichtige Forschungs- und Bildungsprojekte, die der Akzeptanz queerer Menschen in Deutschland dienen.

Breite Ablehnung im Parlament

Bei der Abstimmung am Donnerstag stimmte erwartungsgemäß nur die AfD-Fraktion für ihre eigenen Kandidatinnen. Die SPD, Grünen, FDP und Linke votierten geschlossen dagegen, während sich die Unionsfraktion enthielt. Mehrfach war Höchst in den vergangenen Jahren von ihrer Partei für einen Sitz im Kuratorium der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld nominiert worden. Bei den Abstimmungen im Bundestag erhielt sie jedoch nie eine Mehrheit.

Die demokratischen Fraktionen haben ihre Kandidat*innen bereits erfolgreich nominiert: Die SPD entsendet Falko Droßmann, ihren queerpolitischen Fraktionssprecher, und Carmen Wegge. Die Grünen schicken die trans Abgeordnete Nyke Slawik und Max Lucks als Stellvertreter. Die Union wird durch Melanie Bernstein, Ralph Edelhäußer und Jan-Marco Luczak vertreten, wobei Luczak bereits seit 2015 dem Kuratorium angehört und sich 2019 als erster CDU-Abgeordneter für eine Ergänzung des Gleichbehandlungs-Artikels im Grundgesetz um das Merkmal sexuelle Identität aussprach.

Queere Stiftungen als Zielscheibe

Der erneute Vorstoß der AfD reiht sich ein in eine lange Geschichte von Angriffen auf die Hirschfeld-Stiftung. Schon 2018 wollte die AfD die BMH-Förderung streichen. Der Vorstoß von Nicole Höchst ist nicht der erste Angriff der AfD auf die Stiftung. Schon 2018 hatte die Rechtsaußenpartei in einem Entschließungsantrag gefordert, die öffentlichen Gelder für die BMH zu streichen. Die Partei versucht systematisch, Institutionen zu unterwandern, die sich für die Rechte queerer Menschen einsetzen.

Dabei steht die Hirschfeld-Stiftung nicht allein in ihrer Arbeit für Akzeptanz und Gleichberechtigung. Das Netzwerk Regenbogenstiftungen ist ein Zusammenschluss deutscher Stiftungen, die eines gemeinsam haben: Sie alle setzen sich für LGBTI-Menschen ein. Darüber hinaus sind sie jedoch so verschieden und, wie es auf der Website des Netzwerks heißt, so "bunt wie das Leben, die Menschen, der Regenbogen". Jede Stiftung bringt einen anderen Schwerpunkt mit ein, sodass das Netzwerk Regenbogenstiftungen ein sehr breites Spektrum an Themen, Projekten sowie Bildungs-, Forschungs- und Förderungsmaßnahmen abdeckt.

Ein klares Zeichen für Demokratie und Vielfalt

Die erneute Ablehnung der AfD-Kandidatinnen sendet ein wichtiges Signal: Der Deutsche Bundestag lässt nicht zu, dass eine Stiftung, die dem Gedenken an NS-Opfer und der Förderung von Akzeptanz dient, von innen heraus sabotiert wird. Alle Menschen sollen gleichberechtigt, frei, sicher und selbstbestimmt an der Gesellschaft teilhaben. Damit dies auch für Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche sowie andere queere Menschen (LSBTIQ*) möglich ist, hat das Bundeskabinett den Aktionsplan "Queer leben" verabschiedet. Der Aktionsplan "Queer leben" enthält ein umfangreiches Maßnahmenpaket, um den Alltag queerer Menschen zu verbessern und die rechtliche Gleichstellung voranzubringen.

Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld bleibt damit ein geschützter Raum für die wichtige Arbeit zur Förderung von Akzeptanz und gegen Diskriminierung. Die demokratischen Parteien haben deutlich gemacht: Queerfeindlichkeit und Hetze haben keinen Platz in den Institutionen, die unsere vielfältige Gesellschaft schützen und stärken sollen.


Gericht verteidigt gesellschaftliche Realität: Gleichgeschlechtliche Ampelpärchen in Hildesheim bleiben

Das Verwaltungsgericht Hannover hat eine Klage gegen gleichgeschlechtliche Ampelpärchen in Hildesheim als unzulässig abgewiesen und damit ein wichtiges Signal für Toleranz und Vielfalt im öffentlichen Raum gesetzt. Die Entscheidung des Gerichts vom 23. September 2025 (Az. 7 A 4883/23) zeigt deutlich: Die bunte Darstellung der gesellschaftlichen Realität ist keine Verletzung individueller Rechte, sondern Ausdruck einer weltoffenen und vielfältigen Gesellschaft.

Ein wertkonservativer Mann zieht vor Gericht

Der Rat der Stadt Hildesheim hatte die Umrüstung der grünen Streuscheiben der Ampeln im Juni 2023 beschlossen; in diesem Jahr wurde sie umgesetzt. Seit Mitte Juni zeigen demnach insgesamt 14 Ampelanlagen an drei Stellen im Stadtgebiet bei Grün gleichgeschlechtliche Ampelpärchen statt der üblichen Fußgängerfiguren. Doch nicht alle Bürger:innen zeigten sich begeistert von dieser symbolischen Geste für Vielfalt.

Ein Mann, der sich selbst als "wertkonservativ" bezeichnet, fühlte sich durch die neuen Ampelmotive in seinen Rechten verletzt. Er argumentierte, die Darstellung gleichgeschlechtlicher Paare schränke ihn in seinem Erziehungsstil ein und verletze seine Identität als Mann sowie seine heterosexuelle Orientierung. Besonders seine Elternrechte sah er beeinträchtigt, da seine Kinder den Ampelzeichen ausgesetzt seien. Zusätzlich vermutete er einen Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung.

Richter Gonschior spricht Klartext

Der Vorsitzende Richter Arne Gonschior ließ keinen Zweifel an der Position des Gerichts: Das Gericht könne bereits die Möglichkeit einer Verletzung der Rechte des Klägers "nicht nachvollziehen", sagt der Vorsitzende Richter Arne Gonschior zur Begründung. Es sei "überhaupt nicht erkennbar", dass dieser durch die Ampelmännchen in seinen Rechten verletzt sei, etwa in Fragen der sexuellen Selbstbestimmung.

Besonders deutlich wurde der Richter bei der Frage der Elternrechte: "Die Ampelzeichen zeigen die gesellschaftliche Realität, die kann der Kläger nicht ausblenden." Diese klare Aussage unterstreicht, dass Diversität und Vielfalt längst Teil unseres Alltags sind und nicht vor den Augen von Kindern versteckt werden müssen oder sollten.

Von einer Ungleichbehandlung sei auch nicht auszugehen: Die Ampelmännchen zeigten sowohl Männer als auch Frauen, ein abermaliger Austausch der Motive hätte demnach weder Vor- noch Nachteile für den Kläger. Auch eine Beeinträchtigung der sexuellen Orientierung sei nicht erkennbar, den meisten seien die Ampelmotive wohl "wurscht".

Ein bundesweiter Trend zur sichtbaren Vielfalt

Hildesheim ist bei weitem nicht die einzige Stadt in Deutschland, die mit bunten Ampelzeichen ein Statement für Toleranz setzt. In anderen Kommunen gehören gleichgeschlechtliche Ampelmotive schon länger zum Stadtbild: In Hannover etwa wurden vor fünf Jahren Fußgängerampeln mit grün leuchtenden Pärchen in Betrieb genommen. Seit 2022 setzen gleichgeschlechtliche Ampelpaare in Braunschweig ein Zeichen für mehr Toleranz.

Zum Christopher Street Day 2015 wurden die Ampelpärchen auch in München erstmals angebracht. Sie werden ab 2016 künftig jährlich im Zeitraum um den Christopher Street Day im Bereich des Glockenbachviertels verwendet. Kurz darauf folgten Berlin sowie Hamburg, wo man Ampelpärchen in St. Georg („Vielfalt-Ampel") sieht. Ein dauerhaftes homosexuelles Ampelpärchen erhielt die Stadt Frankfurt am Main anlässlich des CSD 2018 an der Konstablerwache, ebenso Köln zum CSD 2019 am Heumarkt. 2020 wurden in Hannover dauerhaft mehrere gleichgeschlechtliche Ampelfiguren installiert. In Marburg finden sich seit 2019 ebenfalls heterosexuelle, schwule und lesbische Paare an mehreren Ampeln.

Die Inspiration für diese Bewegung kommt aus Wien, wo bereits seit einigen Jahren auf mehr als 50 Ampeln gleichgeschlechtliche Paare für mehr Toleranz aufrufen. Zunächst geplant für Großevents wie den Eurovision Song Contest und einem Ball zugunsten HIV-positiver Menschen, haben sich die Ampeln bis heute gehalten und prägen dauerhaft das Stadtbild.

Deutschland zeigt weiterhin hohe Akzeptanz für LGBTQ+

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hannover spiegelt eine breite gesellschaftliche Entwicklung wider. In Deutschland herrscht nach wie vor breiter Konsens darüber, dass sexuelle Minderheiten gleiche Rechte haben sollten und vor Benachteiligungen geschützt werden müssen. Dies zeigen auch aktuelle Studien von Ipsos, die Deutschland im internationalen Vergleich eine hohe Akzeptanz gegenüber LGBTQ+-Personen bescheinigen.

Grundsätzlich sind drei Viertel der Deutschen der Meinung, dass Lesben, Schwule und Bisexuelle (78 %) sowie Transpersonen (75 %) vor Diskriminierung geschützt werden sollten, beispielsweise bei der Arbeit oder bei der Wohnungssuche. Dies entspricht einem Anstieg um jeweils 5 Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr. Etwa ebenso viele (74 %) unterstützen die Aussage, dass gleichgeschlechtliche Paare bei der Adoption von Kindern die gleichen Rechte haben sollten wie heterosexuelle Paare. Weniger als ein Fünftel (19 %) lehnt dies ab. 71 Prozent befürworten zudem, dass Homosexuelle legal heiraten dürfen, während sich nur zehn Prozent gegen jede Form der rechtlichen Anerkennung aussprechen.

Diese positive Entwicklung zeigt sich auch in der Politik. Der Aktionsplan "Queer leben" der Bundesregierung enthält ein umfangreiches Maßnahmenpaket, um den Alltag queerer Menschen zu verbessern und die rechtliche Gleichstellung voranzubringen.

Christopher Street Day: Ein Symbol für Vielfalt und Akzeptanz

Die Ampelpärchen sind oft besonders während der Pride-Season sichtbar, wenn deutschlandweit Christopher Street Days gefeiert werden. Christopher Street Day (CSD) ist eine jährliche europäische LGBTQ+-Feier und Demonstration für die Rechte von LGBTQ+-Menschen und gegen Diskriminierung und Ausgrenzung. Es ist Deutschlands und der Schweiz' Gegenstück zu Gay Pride oder Pride Paraden.

2025 veranstaltete der Verein zum ersten Mal in seiner Geschichte einen Winter-CSD aufgrund der vorgezogenen Bundestagswahlen. Unter dem Motto: „Es ist 5 vor 12 – Wähl Liebe, solange du noch kannst" gingen am 15. Februar 2025 bei kalten Temperaturen knapp 15.000 Menschen auf die Straße um gegen einen drohenden Rechtsruck in der Regierung zu protestieren. Dies zeigt, wie politisch die Pride-Bewegung auch heute noch ist und dass der Kampf für Gleichberechtigung weitergeht.

Die großen CSD-Veranstaltungen in deutschen Städten ziehen jährlich Hunderttausende von Menschen an. Mittlerweile kommen jährlich rund 250.000 Menschen aus ganz Europa nach Hamburg zum CSD und setzen damit ein Zeichen für Akzeptanz, Vielfalt und Lebensfreude. In München hatte die PolitParade 2025 unter dem Motto "Liberté, Diversité, Queerité" etwa 230.000 Zuschauer:innen.

Rechtliche Klarheit: Keine Verletzung der Straßenverkehrsordnung

Ein weiterer wichtiger Aspekt des Urteils betrifft die rechtlichen Rahmenbedingungen. Die Straßenverkehrsordnung (StVO) sieht in ihren Richtlinien für Lichtsignalanlagen (Rilsa) vor, dass die Verkehrsregelungen für alle auf den ersten Blick zu erkennen sein müssen. Das heißt, dass neben den konventionellen, nur die aus der DDR bekannten Ost-Ampelmännchen im deutschen Straßenverkehr zulässig sind. Für alle anderen Motive muss die jeweilige Kommune sich im Vorfeld eine Sondergenehmigung einholen.

Das Gericht stellte klar, dass keine Verletzung der Straßenverkehrsordnung vorliege. Die Vorschriften schützten den Kläger nicht individuell. Anders wäre dies nur, wenn das grüne Lichtzeichen etwa gegen ein blaues ausgetauscht worden wäre – "das gibt es im Straßenverkehr nicht", so der Richter.

Eine Klage gegen die Ampelpärchen wurde 2022 vom Münchener Verwaltungsgericht und Bayerischen Verwaltungsgerichtshof als unbegründet abgewiesen. Dies zeigt, dass die Rechtsprechung deutschlandweit konsistent ist: Gleichgeschlechtliche Ampelpärchen verletzen keine individuellen Rechte.

Ausblick: Ein Signal für Toleranz und Weltoffenheit

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hannover sendet ein wichtiges Signal aus: Deutschland ist und bleibt ein Land, in dem Vielfalt und Toleranz geschätzt werden. Die Ampelpärchen sind mehr als nur bunte Lichtsignale – sie sind ein Symbol dafür, dass alle Menschen, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität, Teil unserer Gesellschaft sind und sichtbar sein dürfen.

Der Justiziar der Stadt Hildesheim zeigte sich zufrieden mit dem Urteil, das "unserer Argumentation vollumfänglich" entspreche. Richter Gonschior hofft auf Rechtsfrieden, obwohl der Kläger noch einen Antrag auf Zulassung der Berufung beim niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg stellen kann.

Interessanterweise führt der Kläger noch ein weiteres Verfahren: In seiner Funktion als Ratsherr hat er gegen den Ratsbeschluss der Stadt Hildesheim geklagt – der Ausgang ist noch offen. Dies zeigt, dass der Kampf um Sichtbarkeit und Akzeptanz weitergeht, aber auch, dass die Rechtsprechung klar auf der Seite von Vielfalt und Toleranz steht.

Die gleichgeschlechtlichen Ampelpärchen in Hildesheim und anderen deutschen Städten bleiben somit nicht nur ein buntes Element im Stadtbild, sondern ein wichtiges Zeichen dafür, dass Liebe in all ihren Formen respektiert und gefeiert werden sollte. Sie erinnern uns täglich daran, dass Vielfalt keine Bedrohung, sondern eine Bereicherung unserer Gesellschaft ist.


Datenlücke mit Folgen: USA verweigern Veröffentlichung von LGBTQ+-Zensusdaten – Deutschland zeigt andere Wege

Die US-Regierung unter Donald Trump steht erneut in der Kritik: Eine gemeinnützige Rechtsberatungsorganisation verklagt die Regierung, weil sie sich weigert, wichtige LGBTQ+-Zensusdaten zu veröffentlichen. Die Klage, die am Montag (22. September) eingereicht wurde, wirft der Trump-Administration vor, „rechtswidrig" Daten zurückzuhalten, die für die Aufnahme von Fragen zur sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität in die nächste American Community Survey entscheidend wären. Diese Verweigerung zeigt einen beunruhigenden Trend – während Deutschland zunehmend Fortschritte bei der Sichtbarmachung seiner LGBTQ+-Community macht.

Deutschland als Vorreiter: Mehr Sichtbarkeit durch Daten

Während die USA wichtige Datenerhebungen blockieren, zeigt Deutschland einen anderen Weg. In Deutschland liegt der Anteil von Queers in der Gesamtbevölkerung bei 12 Prozent. 5 Prozent fühlen sich zum selben Geschlecht hingezogen, weitere vier Prozent sind laut eigener Aussage bisexuell. Diese Zahlen stammen aus der aktuellen Ipsos-Studie von 2024, die Deutschland als eines der Länder mit dem höchsten erfassten LGBTQ+-Anteil in Europa ausweist.

Besonders aufschlussreich ist der Generationenvergleich: In Deutschland identifizieren sich 11,2 Prozent der 14- bis 29-Jährigen als LGBT. Bei den 50- bis 65-Jährigen sind es 6,4 Prozent, bei den 30- bis 49-Jährigen sogar nur 5,7 Prozent. Diese Zahlen verdeutlichen nicht nur eine größere Offenheit jüngerer Generationen, sondern auch die Bedeutung kontinuierlicher Datenerhebung für das Verständnis gesellschaftlicher Entwicklungen.

Fortschritt und neue Herausforderungen in Deutschland

73 Prozent der Deutschen sind der Meinung, dass lesbische, schwule oder bisexuelle Menschen vor Diskriminierung geschützt werden sollten. Bei trans* Personen stimmen sieben von zehn Befragten (70 %) der Aussage zu. Diese hohen Zustimmungswerte zeigen eine grundsätzlich positive Einstellung gegenüber der LGBTQ+-Community in Deutschland.

Allerdings gibt es auch besorgniserregende Entwicklungen: Vor allem bei jungen Männern nehmen queerfeindliche Ansichten aber auch in Deutschland eher zu. In Deutschland unterstützen zwei von drei jungen Frauen (65 %) der Gen Z queere Zuneigung in der Öffentlichkeit. Bei den jungen Männern in Deutschland liegt der Wert lediglich bei 30 Prozent. Diese geschlechtsspezifischen Unterschiede zeigen, dass trotz allgemeiner Fortschritte gezielte Aufklärungsarbeit notwendig bleibt.

USA: Systematische Löschung von LGBTQ+-Daten

Die aktuelle Klage in den USA ist nur die Spitze des Eisbergs. Seit Donald Trumps Amtsantritt im Januar hat die Regierung wichtige LGBTQ+-Online-Ressourcen gelöscht, einschließlich HIV-Präventionsberatung. Die Verwaltung hat mehr als 8.000 Webseiten und mindestens 3.000 Datensätze entfernt oder geändert, von denen sich die meisten auf Diversity-, Gleichstellungs- und Inklusionsinitiativen sowie LGBTQ+-Geschichte bezogen.

Dr. Jonathan B Freeman, der die Klage gemeinsam mit Democracy Forward eingereicht hat, kritisiert: "Das Census Bureau versprach Transparenz bei diesen Tests, hat aber genau die Informationen zurückgehalten, die zur Bewertung der Eignung von Fragen zur sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität in unserer wichtigsten jährlichen demografischen Erhebung des Landes benötigt werden. Als Forscher weiß ich, wie wichtig Daten sind, um sicherzustellen, dass Bürgerrechte eingehalten werden und dass die öffentliche Politik die Realitäten des Lebens der Menschen widerspiegelt."

Warum Daten für die LGBTQ+-Community so wichtig sind

Die Bedeutung verlässlicher Daten kann nicht überschätzt werden. In Deutschland haben diese Erhebungen bereits zu konkreten Verbesserungen geführt. Seit dem 1. Oktober 2017 dürfen homosexuelle Paare den Bund der Ehe in Deutschland eingehen. Allein im Jahr 2018 heirateten rund 21.800 gleichgeschlechtliche Paare in Deutschland. Inzwischen liegt die Anzahl der Eheschließungen gleichgeschlechtlicher Paare bei rund 8.800 neu geschlossenen Ehen pro Jahr.

Zudem ermöglichen Daten die Identifikation von Diskriminierung: Diskriminierungserfahrungen machen queere Menschen auch am Arbeitsplatz: Sie fühlen sich oftmals weniger wertgeschätzt oder erleben einen höheren Leistungsdruck als ihre heterosexuellen Kolleg:innen. Dennoch stehen immer mehr Personen der LGBTQIA+-Community offen zu ihrer sexuellen Identität: So sprechen mittlerweile 37,5 Prozent der homosexuellen Personen an ihrem Arbeitsplatz mit allen offen über ihre Geschlechtsidentität. Zum Vergleich, im Jahr 1997, lag der Anteil dieser noch bei lediglich 12,7 Prozent.

Ein Blick in die Zukunft: Was Deutschland von der US-Situation lernen kann

Die Situation in den USA zeigt deutlich, wie schnell erkämpfte Fortschritte wieder verloren gehen können. Wegen einer Trump-Exekutivanordnung stoppt das Census Bureau die Arbeit an Statistiken, die zum Schutz der Rechte von Transgender-Personen beitragen könnten, berichtet der ehemalige Direktor Robert Santos.

Für Deutschland bedeutet dies, die bestehenden Fortschritte zu sichern und auszubauen. Deutschland wurde unter den Top 10 der LGBTQ+-freundlichsten Länder in Europa eingestuft, mit einem Wert von 66,13 Prozent im Rainbow Europe Index. Diese Position gilt es zu verteidigen und weiter zu verbessern.

Die systematische Erfassung und der Schutz von LGBTQ+-Daten sind keine bloße Statistik – sie sind essentiell für die Sichtbarkeit, den rechtlichen Schutz und die politische Teilhabe queerer Menschen. Deutschland hat hier bereits wichtige Schritte unternommen, muss aber wachsam bleiben, dass diese Errungenschaften nicht durch politische Stimmungswechsel gefährdet werden. Die Entwicklungen in den USA sollten als Warnung dienen: Datenerfassung ist ein Grundpfeiler für Gleichberechtigung und muss entsprechend geschützt werden.


Wenn Worte zu Waffen werden: Die gefährliche Rhetorik aus dem Weißen Haus

Die jüngsten Äußerungen von Karoline Leavitt, der Pressesprecherin des Weißen Hauses, über eine angebliche "transgender violence" erschüttern nicht nur die amerikanische LGBTQ+-Community, sondern senden auch beunruhigende Signale nach Deutschland. Leavitt hat gesagt, es sei "es wert, sich anzusehen" die Behauptungen, dass es einen Anstieg der "Transgender-Gewalt" in den USA gegeben habe. Während einer Pressekonferenz am Montag (22. September) sagte Leavitt, es wäre "ignorant" zu behaupten, dass die US-Regierung nicht den Anstieg dessen untersuchen sollte, was sie als inländischen Extremismus bezeichnete.

Die Fakten hinter der Fiktion

Was Leavitt als "transgender violence" bezeichnet, basiert auf einem tragischen Vorfall: Ihre Kommentare kamen, nachdem der rechte Podcaster Charlie Kirk Anfang dieses Monats in Utah erschossen wurde, während er über Waffengewalt debattierte. Doch die Wahrheit ist komplexer: Trotz Tyler Robinson, der wegen schweren Mordes angeklagt wurde und sich nicht öffentlich als trans identifiziert, haben mehrere rechte Kommentatoren und Politiker, einschließlich Vizepräsident JD Vance, behauptet, dass die Schießerei ein weiteres Beispiel für "linken Extremismus" sei.

Die Realität sieht anders aus: Von den 3.708 Vorfällen in den USA seit 2016 wurden nur geschätzte 16 von geouteten Transgender-Personen begangen. Die Fact-Checking-Website Snopes widerlegte Kirks Kommentare und sagte in einem Artikel, dass "Social-Media-Persönlichkeiten auf der rechten Seite wiederholt falsche Behauptungen über die Geschlechtsidentitäten vergangener Massenschützen aufgestellt haben".

Ein beunruhigendes Echo in Deutschland

Während in den USA eine gefährliche Rhetorik um sich greift, kämpfen trans* Menschen in Deutschland mit einer anderen Realität. In Deutschland berichteten 65% der trans* Frauen von Diskriminierung in den letzten 12 Monaten. Und nur 19% aller trans* Personen glauben, dass ihre Regierung Vorurteile und Intoleranz gegenüber LGBTIQ*-Personen wirksam bekämpft.

In den Jahren 2008 bis 2023 wurden weltweit 4.690 Morde an trans* Personen bekannt, 107 in der EU und drei in Deutschland. Besonders häufig betroffen sind BPoCs und trans* Frauen. So waren 2023 fast alle Opfer (94%) trans* Frauen und die große Mehrheit nicht-weiße Personen (80%).

Die Statistiken sprechen eine deutliche Sprache: Im Jahr 2023 wurden insgesamt 17.007 Fälle von Hasskriminalität im Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität (KPMD-PMK) erfasst. Davon richteten sich 1.785 Straftaten gegen LSBTIQ* Personen (im Jahr 2022: 1.188). Die Zahl der Straftaten im Bereich "Sexuelle Orientierung" und "Geschlechtsbezogene Diversität" hat sich seit 2010 nahezu verzehnfacht.

Wenn Opfer zu Tätern gemacht werden

Die Verdrehung der Tatsachen, wie sie aus dem Weißen Haus kommt, ist besonders perfide: Trans* Menschen sind nicht die Täter, sondern überdurchschnittlich oft die Opfer von Gewalt. 16% der trans* Frauen, 8% der trans* Männer und 8% der nicht-binären Personen haben in den letzten 12 Monaten Belästigungen und Gewalt erfahren, weil sie LSBTIQ* sind. 32% der trans* Frauen, 21% der trans* Männer und 18% der nicht-binären Personen wurden in den letzten fünf Jahren angegriffen, weil sie LSBTIQ* sind.

Besonders erschreckend: Lediglich 8% der trans* Frauen, 10% der trans* Männer und 10% der nicht-binären Personen haben den letzten physischen Angriff oder sexualisierte Gewalterfahrung bei der Polizei angezeigt. 24% der trans* Frauen, 47% der trans* Männer und 39% der nicht-binären Personen fanden den Vorfall nicht schlimm genug. 45% der trans* Frauen, 48% der trans* Männer und 49% der nicht-binären Personen glaubten nicht, dass eine Anzeige was bringen würde.

Die Gefahr der importierten Hetze

Was in Amerika als politische Strategie beginnt, schwappt oft nach Europa über. Die Rhetorik von "transgender violence" könnte auch in Deutschland Nachahmer finden – besonders in rechtspopulistischen Kreisen, die bereits jetzt versuchen, trans* Menschen als Bedrohung darzustellen.

Diese Diskussionen müssen als gezielte Desinformation von antifeministischer und rechtskonservativer Seite gesehen werden – die erschreckende Auswirkungen haben: Sie verursachen ernstzunehmende Anstiege von Gewalt gegen trans* Personen und insbesondere gegen trans* Frauen und verschlimmern Vorurteile, die in der Gesellschaft bestehen.

Die Bundesinnenministerin Nancy Faeser warnte bereits: "Wir müssen all diejenigen schützen und unterstützen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität Hass, Diskriminierung und Gewalt erleben. Queerfeindliche Gewalt muss als solche klar benannt und gezielt verfolgt werden. Die Zunahme an queerfeindlichen Straftaten in den vergangenen Jahren ist erschreckend."

Ein Appell an die Vernunft

Die gefährliche Rhetorik aus dem Weißen Haus zeigt, wie schnell marginalisierte Gruppen zu Sündenböcken gemacht werden können. In Deutschland, wo zwischen 2012 und 2021 sich der Anteil von erwachsenen Menschen, die sich dem LGBT Spektrum zuordnen, von 3,5% auf 7,3% steigerte, ist es umso wichtiger, wachsam zu bleiben.

Trans* Menschen brauchen Schutz, nicht Stigmatisierung. Sie brauchen Unterstützung, nicht Verdächtigungen. Und sie brauchen eine Gesellschaft, die sie als das sieht, was sie sind: Menschen, die ihr Leben in Würde und Sicherheit leben wollen.

Die Geschichte lehrt uns, wohin es führt, wenn Minderheiten dämonisiert werden. Es liegt an uns allen – in Deutschland, in Europa und weltweit – dieser gefährlichen Entwicklung entgegenzutreten. Denn am Ende geht es nicht nur um die Rechte von trans* Menschen. Es geht um die Grundfesten unserer demokratischen Gesellschaft und um die Frage, in welcher Welt wir leben wollen.


Anschlag auf queere Geschichte: Vandalismus an Ulrichs-Gedenktafel erschüttert Aurich

Unbekannte Täter haben am vergangenen Wochenende in Aurich die Gedenktafel für den Pionier der LGBTQ+-Bewegung Karl Heinrich Ulrichs aus der Verankerung gerissen und umgestürzt. Der Vorfall, über den die Ostsee-Zeitung erstmals berichtete, ereignete sich zwischen Freitagabend 22 Uhr und Samstagmorgen 10 Uhr auf dem Karl-Heinrich-Ulrichs-Platz bei der Sparkassen-Arena.

Ein Angriff auf 200 Jahre queere Geschichte

Karl Heinrich Ulrichs, geboren am 28. August 1825, war ein deutscher Jurist, Journalist und Schriftsteller, der heute als Pionier der Sexualwissenschaft und der modernen LGBTQ+-Rechtsbewegung gilt und als "erster schwuler Mann der Weltgeschichte" bezeichnet wird. Vor genau 200 Jahren in Aurich geboren, outete er sich 1867 auf dem Deutschen Juristentag in München als erster Deutscher öffentlich als schwul - zu einer Zeit, als es in der deutschen Sprache noch nicht einmal einen Namen für seine Sexualität gab. Bis an sein Lebensende setzte er sich für die Entkriminalisierung gleichgeschlechtlicher Beziehungen ein.

Ulrichs forderte am 29. August 1867 auf dem Deutschen Juristentag in München die Abschaffung antihomosexueller Gesetze. Sein Auftritt vor gut 500 Juristen im Münchner Odeon, bei dem er die Revision des Strafrechts und Straffreiheit für gleichgeschlechtliche Liebe unter Männern forderte, gilt als historischer Wendepunkt. Unruhe im Publikum und Zwischenrufe zwangen ihn zum Abbruch seiner Rede, doch seine Sätze gelten als erstes öffentliches Coming-out der Weltgeschichte, weshalb der Psychiater und Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch ihn als den "ersten Schwulen der Weltgeschichte" bezeichnete.

Aurichs besondere Verbindung zu Ulrichs

Die Stadt Aurich benannte am 30. August 2014 im Rahmen des ersten örtlichen Christopher Street Day einen Platz nach Karl Heinrich Ulrichs, wobei Bürgermeister Heinz-Werner Windhorst, Ortsbürgermeister Sebastian Schulze sowie Sozialministerin Cornelia Rundt als Schirmherrin des CSD Aurich die Benennung vornahmen. 2022 wurde am 10. September im Rahmen des 7. Christopher Street Day eine Gedenktafel zu Ehren Karl Heinrich Ulrichs enthüllt, bei der der Schirmherr des CSD Johann Saathoff (MdB), Landrat Olaf Meinen, Bürgermeister Horst Feddermann, Bürgermeister Timo Mehlmann sowie die CSD-Initiatorin Melly Doden mitwirkten.

Der Karl-Heinrich-Ulrichs-Platz ist heute zentraler Ausgangspunkt für Aurichs jährlichen Christopher Street Day. Der gebürtige Auricher Karl Heinrich Ulrichs gilt als Vordenker und -kämpfer der heutigen Lesben- und Schwulenbewegung. Ihm zu Ehren soll der CSD Aurich 2025 eine Nummer größer ausfallen und am 30. August begangen werden, zwei Tage nach Ulrichs' 200. Geburtstag. Die nun vandalisierte Gedenktafel war somit nicht nur ein Erinnerungsort, sondern auch ein Symbol für die lebendige queere Community in Ostfriesland.

Besorgniserregender Anstieg queerfeindlicher Gewalt

Der Vandalismus in Aurich reiht sich in eine erschreckende Entwicklung ein. Die Statistik des Bundeskriminalamts dokumentierte für 2024 mit 84.172 politisch motivierten Straftaten einen neuen Höchststand – ein alarmierender Anstieg um über 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Zahl der politisch motivierten Gewalttaten erreichte mit 4.107 Fällen den höchsten Stand seit 2016. Die Gesamtzahl der erfassten Hasskriminalität stieg um 28 Prozent auf 21.773 Delikte, darunter 1.765 Straftaten aufgrund der sexuellen Orientierung (+17,75 %) sowie 1.152 aufgrund geschlechtsbezogener Diversität (+34,89 %).

Seit Juni 2024 geraten vermehrt Veranstaltungen der LSBTIQ-Bewegung in den Fokus insbesondere gewaltorientierter Rechtsextremisten, wobei es wiederholt zu (versuchten) rechtsextremistischen Störaktionen von öffentlichen Veranstaltungen zum Christopher Street Day kam. Im Jahr 2024 kam es bundesweit wiederholt zu solchen Störaktionen. Auch Vandalismusakte häufen sich: Die Verkehrsbetriebe Westfalen-Süd mussten wegen Vandalismus durch offensichtlich homophobe Schüler oder deren Eltern ein Regenbogenmotiv auf Schülertickets nicht mehr fortführen, und in Zeitz stahlen Unbekannte eine Regenbogenfahne vom Rathaus-Balkon.

Ulrichs' bleibende Bedeutung für Deutschland

Die Attacke auf die Gedenktafel ist besonders bitter, da Ulrichs' Einfluss auf die moderne Gleichstellungsbewegung unermesslich ist. Karl Westphal zitierte Ulrichs' Schriften in der ersten psychiatrischen Arbeit über 'gegensätzliches Sexualempfinden', und Richard von Krafft-Ebing, der später die grundlegende sexualwissenschaftliche Schrift Psychopathia Sexualis veröffentlichte, gestand Ulrichs zu: "Erst die Kenntnis Ihrer Bücher motivierte mich, dieses höchst wichtige Gebiet zu studieren."

Heute sind Straßen nach ihm in München, Bremen, Hannover und Berlin benannt, und sein Geburtstag wird jedes Jahr mit einer lebhaften Straßenparty und Poesielesung am Karl-Heinrich-Ulrichs-Platz in München gefeiert. Die International Lesbian and Gay Law Association verleiht jährlich einen Karl Heinrich Ulrichs Award für herausragende Beiträge zur Förderung der sexuellen Gleichberechtigung.

Aurichs klare Antwort

Bürgermeister Horst Feddermann kündigte an, dass die Gedenktafel noch diese Woche wieder aufgestellt werden soll. Er hoffe, dass es sich nur um einen "Dumme-Jungen-Streich" ohne politische Motivation handele - eine Einschätzung, die angesichts der aktuellen Entwicklungen naiv erscheint. Stadtsprecher Cord Cordes kündigte unterdessen an, Strafantrag zu stellen.

Die queere Aktivistin und ehemalige Auricher CSD-Organisatorin Melly Doden zeigte sich gegenüber der Ostsee-Zeitung kämpferisch: "Wir lassen uns von diesem Vorfall nicht beeindrucken oder entmutigen." Diese Haltung steht in der Tradition von Ulrichs selbst, der trotz massiver Anfeindungen nie aufgab.

Der Vandalismus an der Ulrichs-Gedenktafel ist mehr als Sachbeschädigung - es ist ein Angriff auf die queere Geschichte Deutschlands und die Werte einer offenen Gesellschaft. Gerade zum 200. Geburtstag des Pioniers zeigt sich: Der Kampf für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung, den Ulrichs vor über 150 Jahren begann, ist noch lange nicht vorbei. Die schnelle Wiederherstellung der Gedenktafel und die breite Solidarität aus der Auricher Stadtgesellschaft senden jedoch ein wichtiges Signal: Hass und Intoleranz werden nicht geduldet.


Wenn biologisches Geschlecht politische Grenzen zieht: Die britische Lib Dem-Debatte und ihre Bedeutung für Deutschland

Die britischen Liberal Democrats haben bei ihrer jüngsten Parteikonferenz einen kontroversen Antrag abgelehnt, der trans Frauen von parteiinternen Frauenquoten ausgeschlossen hätte. Die Abstimmung in Bournemouth wirft ein Schlaglicht auf eine Debatte, die auch in Deutschland zunehmend an Brisanz gewinnt – besonders vor dem Hintergrund des britischen Supreme Court-Urteils vom April 2025, das feststellte: Wenn es um die Gleichstellung zwischen Männern und Frauen geht, zählt in Großbritannien das biologische Geschlecht, nicht das soziale Geschlecht.

Der gescheiterte Vorstoß in Bournemouth

Die gender-kritische Gruppe "Liberal Voice for Women" wollte die Parteiverfassung der Lib Dems so ändern, dass Geschlechterquoten ausschließlich auf dem biologischen Geschlecht basieren. Ihr Argument: Das britische Gleichstellungsgesetz ziele in erster Linie auf den Schutz biologischer Frauen. Die Gruppe berief sich dabei auf das wegweisende Urteil des UK Supreme Court, das klarstellte, dass Begriffe wie „Frau" und „Geschlecht" im Gesetz ausschließlich das biologische Geschlecht meinen.

Lucas North, Schatzmeister der LGBT+ Liberal Democrats, bezeichnete den Antrag als "Schein-Debatte" und warnte eindringlich davor, trans Identitäten zur Disposition zu stellen. In einer Zeit, in der sich die politische Landschaft immer weiter nach rechts verschiebe, sei es wichtiger denn je, an liberalen Werten festzuhalten und nicht "einer kleinen, extremistischen Fraktion" eine Plattform zu bieten.

Die deutsche Perspektive: Zwischen Fortschritt und Widerstand

Während in Großbritannien über den Ausschluss von trans Frauen aus Quoten debattiert wird, zeigt sich in Deutschland ein differenzierteres Bild. Nach vierzig Jahren Diskriminierung durch das „Transsexuellengesetz" hat sich der deutsche Gesetzgeber am 12.4.24 endlich für einen Paradigmenwechsel hin zu geschlechtlicher Selbstbestimmung entschieden. Trans*, intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen werden bei der Änderung ihres Vornamens und Geschlechtseintrags endlich nicht mehr fremdbegutachtet und als krank betrachtet.

Die deutschen Parteien positionieren sich unterschiedlich zur Inklusion von trans Personen. Bündnis 90/Die Grünen und die Linke haben eine verbindliche 50-Prozent-Quote in ihren Satzungen verankert, die SPD hat eine verbindliche 40 Prozent-Quote. Diese Quoten beziehen sich auf Frauen im selbstdefinierten Sinne und schließen trans Frauen explizit ein. Die FDP befürwortet ein Selbstbestimmungsgesetz und will das Transsexuellengesetz abschaffen und durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzen.

Rechtliche Unterschiede mit weitreichenden Folgen

Der Vergleich zwischen Großbritannien und Deutschland offenbart fundamentale Unterschiede im rechtlichen Umgang mit Geschlechtsidentität. Mit dem britischen Urteil fällt für viele trans Frauen ein zentraler rechtlicher Schutz weg. Für den rechtlichen Frauenschutz zählt nicht, wie jemand lebt oder anerkannt ist – sondern allein, welches Geschlecht bei der Geburt eingetragen wurde.

Diese Entwicklung hat konkrete Auswirkungen: Trans Frauen werden nach dem Urteil weniger rechtlichen Schutz in frauenspezifischen Kontexten genießen – sei es im Gesundheitssystem, im Strafvollzug oder in geschützten sozialen Räumen. Einrichtungen wie Frauenhäuser oder Sportvereine könnten nun gezielt ausschließen, ohne rechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen.

Die Bedeutung für die deutsche LGBTQ+-Community

Für die deutsche LGBTQ+-Community ist die britische Debatte ein Warnsignal. „Das Urteil sendet eine gefährliche Botschaft", warnt die LGBTIQ*-Organisation Stonewall. Die Entscheidung der Lib Dems, den Antrag abzulehnen, zeigt jedoch auch, dass selbst in einem zunehmend polarisierten Umfeld progressive Kräfte bestehen können.

Die Auseinandersetzung macht deutlich, dass erkämpfte Rechte nicht als selbstverständlich angesehen werden können. Repräsentation und Sichtbarkeit sind fundamentale Voraussetzungen für Gleichstellung und Teilhabe. Wenn nun rechtliche Auslegungen von Definitionen die Gruppen ausschließen, wird nicht nur ihre politische Repräsentanz und Teilhabe untergraben und zunehmend erschwert, sondern auch ihre geschlechtliche Identität und gesellschaftliche Anerkennung delegitimiert.

Ein Blick nach vorn

Ed Davey, der Vorsitzende der Liberal Democrats, verteidigte das Abstimmungsergebnis seiner Partei mit den Worten: "Wir sind die einzige Partei, die sich mit diesen Themen auseinandersetzt." Diese Aussage mag angesichts der abgelehnten Debatte paradox erscheinen, unterstreicht aber die Komplexität des Themas.

Für Deutschland bleibt die Lehre, dass es entscheidend ist, dass alle politischen Parteien ihr Engagement für die Rechte und das Wohlergehen von Transsexuellen kontinuierlich stärken. Nur durch eine konsequente Umsetzung und Förderung von Maßnahmen, die Transsexuellen ein gleichberechtigtes Leben ermöglichen, kann eine inklusive Gesellschaft erreicht werden.

Die britische Debatte zeigt: Der Kampf um Gleichberechtigung und Anerkennung ist noch lange nicht gewonnen. Während Deutschland mit dem Selbstbestimmungsgesetz einen wichtigen Schritt nach vorne gemacht hat, mahnt das britische Beispiel zur Wachsamkeit. Rechte, die heute selbstverständlich erscheinen, können morgen wieder zur Disposition stehen.


Drei trans* Frauen in Pakistan ermordet: Ein Weckruf für Deutschland

Die Nachricht erschüttert: In Karachi, Pakistans größter Stadt, wurden am 21. September die Leichen dreier trans* Frauen gefunden – durchsiebt von Kugeln, achtlos am Straßenrand abgelegt. Die Opfer wurden aus nächster Nähe erschossen. Während Pakistan mit seinem fortschrittlichen Transgender Persons Act von 2018 auf dem Papier zu den progressivsten Ländern für trans* Rechte gehört, zeigt dieser brutale Dreifachmord die tödliche Realität, mit der trans* Menschen konfrontiert sind – nicht nur in Pakistan, sondern weltweit.

Ein globales Problem mit lokalen Parallelen

Die drei ermordeten Frauen wurden von Aktivist*innen als "khawaja sira Personen" identifiziert – ein Begriff für die Drittgeschlechts-Community in Pakistan. Bei einer Demonstration in Karatschi stellten Mitglieder der Khwaja Sira zwölf Forderungen auf, die rigoroses Vorgehen gegen Hate Speech und Gewalt einschließen. Die Wut und Verzweiflung der Community ist verständlich: Von Oktober 2021 bis September 2022 wurden laut Amnesty International 18 trans Menschen im Land getötet.

Auch in Deutschland ist die Situation alarmierend. Der Bundesinnenminister teilte im Juni 2023 mit, dass die Polizei im vergangenen Jahr über 1.400 Hassverbrechen gegen LGBT-Menschen registriert hatte. Besonders erschreckend: In den letzten Jahren gab es mehrere Angriffe auf Pride-Veranstaltungen, von denen einer im Jahr 2022 zum gewaltsamen Tod eines Trans-Mannes führte. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes berichtet zudem: In Deutschland berichteten 65 % der trans* Frauen von Diskriminierung in den letzten 12 Monaten. Und nur 19 % aller trans* Personen glaubt, dass ihre Regierung Vorurteile und Intoleranz gegenüber LGBTIQ*-Personen wirksam bekämpft.

Das Selbstbestimmungsgesetz: Ein historischer Schritt

Während Pakistan bereits 2018 sein progressives Transgender-Gesetz verabschiedete, trat in Deutschland erst am 1. November das Selbstbestimmungsgesetz in Kraft. Trans*, inter* und nicht-binäre Personen können jetzt ihren Geschlechtseintrag und Vornamen in einem einfachen Verfahren beim Standesamt ändern lassen. Bundesgleichstellungsministerin Lisa Paus bezeichnete dies als einen besonderen Tag: "Mehr als 40 Jahre lang wurden Betroffene durch das Transsexuellengesetz diskriminiert. Mit dem Selbstbestimmungsgesetz ist endlich Schluss damit."

Das neue Gesetz macht Deutschland zu einem von 16 weiteren Staaten, die bereits vergleichbare Regelungen zur Verwirklichung der Geschlechtsidentität vorsehen. Es ist ein wichtiger Schritt zur rechtlichen Gleichstellung, doch die gesellschaftliche Realität hinkt hinterher.

Gewalt gegen trans* Menschen: Die erschreckenden Zahlen

Die Statistiken sind alarmierend. Laut dem Lagebericht zur kriminalitätsbezogenen Sicherheit von LSBTIQ* des BMI verzeichnet für das Jahr 2023 1.785 Straftaten gegen LSBTIQ* Personen (im Jahr 2022: 1.188). Besonders besorgniserregend: Der Bericht stellt zudem fest, dass sich die Zahl der Straftaten im Bereich „Sexuelle Orientierung" und „Geschlechtsbezogene Diversität" seit 2010 nahezu verzehnfacht hat.

Die EU-Grundrechteagentur zeigt in ihrer aktuellen Studie, dass lediglich 8 % der trans* Frauen, 10 % der trans* Männer und 10 % der nicht-binären Personen den letzten physischen Angriff oder sexualisierte Gewalterfahrung bei der Polizei angezeigt haben. 24 % der trans* Frauen, 47 % der trans* Männer und 39 % der nicht-binären Personen fanden den Vorfall nicht schlimm genug. 45 % der trans* Frauen, 48 % der trans* Männer und 49 % der nicht-binären Personen glaubten nicht, dass eine Anzeige was bringen würde.

International sieht es nicht besser aus. Das Trans Murder Monitoring zählt Im diesem Jahr 350 Morde weltweit. Damit ist 2024 eines der drei tödlichsten Jahre für trans*, nicht-binäre und gender-nonkonforme Personen seit dem Beginn der Erfassung im Jahr 2008.

Von Pakistan lernen: Rechte auf dem Papier reichen nicht

Pakistan zeigt uns deutlich: Progressive Gesetze allein schützen nicht vor Gewalt. Mit dem Transgender Persons Act erkennt die pakistanische Verfassung seit 2018 die Rechte von trans Personen an. In der Wirklichkeit ist von solchem Schutz wenig zu spüren. Die ermordeten Frauen in Karachi sind tragische Beweise dafür.

Trans*-Rechtsaktivistin Bindiya Rana aus Pakistan bringt es auf den Punkt: "Gewalt gegen trans Menschen ist nicht neu und sie ist tief in unserer Gesellschaft verwurzelt." Ihre Warnung, bei ausbleibender Aufklärung landesweite Proteste anzukündigen, zeigt die Entschlossenheit der Community.

Die pakistanische Aktivistin Shahzadi Rai macht deutlich: "Wenn Hassreden und -kampagnen so offen geführt werden, sind solche Ergebnisse unvermeidlich. Obwohl der Staat und die Polizei auf unserer Seite stehen, finden immer noch Morde statt, was zeigt, dass tief verwurzelter Hass gegen Transgender-Menschen in unserer Gesellschaft fortbesteht."

Was Deutschland tun muss

Die Morde in Karachi sind ein Weckruf. Deutschland hat mit dem Selbstbestimmungsgesetz einen wichtigen rechtlichen Schritt gemacht, doch das reicht nicht. Die EU-Grundrechteagentur fordert konkrete Maßnahmen: "Durchsetzung einer Null-Toleranz-Kultur bei Gewalt und Belästigung von LSBTIQ-Personen. In die Schulung der Polizei investieren, um sicherzustellen, dass sie Hassdelikte gegen LSBTIQ-Personen erkennt, erfasst und ordnungsgemäß untersucht, sodass sich die Opfer sicher fühlen, Angriffe anzuzeigen, und fair behandelt werden."

Die Gender Interactive Alliance aus Pakistan hat klare Forderungen aufgestellt, die auch für Deutschland relevant sind: sofortige und transparente Untersuchungen, spezielle Schutzeinheiten für trans* Menschen und neue Gesetze gegen Hasskriminalität. Ihre Botschaft ist eindeutig: "Die khawaja sira Community wird nicht schweigen, unsere Leben sind genauso wertvoll wie die aller anderen Bürger*innen."

Ein Aufruf zur Solidarität

Die drei ermordeten trans* Frauen in Karachi dürfen nicht vergessen werden. Ihr Tod ist kein isoliertes Ereignis in einem fernen Land – er ist Teil eines globalen Musters von Gewalt und Diskriminierung. "Dies ist zweifellos eine Folge der konzertierten Bemühungen von Anti-Gender- und Anti-Menschenrechts-Bewegungen, die trans* Personen instrumentalisieren und verunglimpfen, um breitere antidemokratische politische Agenden durchzusetzen."

In Deutschland müssen wir aus den Erfahrungen Pakistans lernen. Das Selbstbestimmungsgesetz ist ein wichtiger Anfang, aber ohne gesellschaftlichen Wandel, ohne Bildung und Aufklärung, ohne konsequente Strafverfolgung von Hassverbrechen und ohne die Schaffung sicherer Räume für trans* Menschen werden Gesetze allein nicht ausreichen.

Die Worte der pakistanischen Community hallen auch hier wider: Trans* Menschen brauchen Rechte, nicht Mitleid. Sie brauchen Schutz, nicht nur auf dem Papier, sondern im täglichen Leben. Und sie brauchen unsere Solidarität – heute mehr denn je.


Wenn trans Personen zu "Terrorist*innen" werden sollen: Die gefährliche Heritage Foundation und was das für Deutschland bedeutet

Die ultrakonservative Heritage Foundation, bekannte Architektin der autoritären Agenda "Project 2025", fordert das FBI auf, Transgender-Ideologie als Terrorgefahr in den USA zu brandmarken. Was nach dystopischer Fiktion klingt, ist bittere Realität: Die Organisation will "Transgender Ideology-Inspired Violent Extremism" (TIVE) auf die Liste inländischer extremistischer Gruppen setzen lassen, um "TIVE-Zellen aufzuspüren, zu spalten und zu zerschlagen".

Fakten werden verdreht, Minderheiten dämonisiert

Die Behauptungen der Heritage Foundation entbehren jeder faktischen Grundlage. Von den 3.708 Massenschießereien in den USA seit 2015 wurden schätzungsweise nur 16 von trans Personen verübt. Laut der Gun Violence Archive machten trans Menschen etwa 0,1 Prozent der Massenschützen der letzten zehn Jahre aus. Stattdessen zeigen Studien: Die Mehrheit extremistischer Morde in den USA wird von Personen mit rechtsextremen und weißen suprematistischen Ansichten begangen.

Besonders perfide: Die Heritage Foundation definiert "TIVE" so breit, dass auch jene eingeschlossen werden, die argumentieren, dass die Aberkennung von Trans-Rechten Gewalt darstellt oder eine existenzielle Bedrohung für trans Menschen bedeutet. Damit würde praktisch jede*r Trans-Aktivist*in als potenzielle*r Extremist*in gelten.

Trump-Administration setzt bereits um

Was die Heritage Foundation fordert, setzt die Trump-Regierung bereits in Teilen um. Seit seiner Rückkehr ins Amt hat Präsident Trump trans und nicht-binäre Menschen mit einer Serie von Exekutivverordnungen ins Visier genommen. Die Executive Order 14168 vom 20. Januar 2025 entzieht trans Menschen die bundesstaatliche Anerkennung und verlangt, dass Geschlecht als unveränderliche männlich-weibliche Binärität anerkannt wird.

Die Auswirkungen sind bereits spürbar: Das Außenministerium vergibt keine Pässe mehr mit "X"-Markierung und akzeptiert keine Änderungen der Geschlechtsmarkierungen für trans Personen. Die Centers for Disease Control and Prevention haben angekündigt, die Verarbeitung von Daten zur Geschlechtsidentität einzustellen. NASA-Mitarbeitende wurden gewarnt, dass das Zeigen von LGBTQ+-Symbolen am Arbeitsplatz zur Suspendierung führen könnte.

Historische Parallelen und internationale Warnsignale

Die USA haben eine lange Geschichte der Überwachung von Bürgerrechtsbewegungen - von COINTELPRO gegen Martin Luther King Jr. bis zur Infiltration der Schwulenrechtsbewegung in den 1960er und 70er Jahren. Kommentatoren und Wissenschaftler*innen vergleichen diese Aktionen mit den frühen Stadien der Verfolgung von LGBTQ-Menschen im Nazi-Deutschland.

Russland hat 2023 bereits vorgemacht, wohin dieser Weg führen kann: Nach Jahren queerfeindlicher Gesetzgebung wurde "die internationale LGBT-Bewegung" als extremistisch eingestuft - ohne jeden Verweis auf vermeintliche Gewalttaten. Die Folgen: Razzien in queeren Clubs, Strafverfahren und Massenflucht von Aktivist*innen ins Ausland.

Deutschland: Zwischen Fortschritt und Gefahr

Während die USA trans Menschen zunehmend kriminalisieren, hat Deutschland mit dem Selbstbestimmungsgesetz, das am 1. November 2024 in Kraft trat, die Rechte von trans, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen maßgeblich gestärkt. Das wegweisende Gesetz erlaubt es, rechtliche Dokumente durch ein auf Selbstbestimmung basierendes Verwaltungsverfahren anzupassen.

Doch auch in Deutschland ist die Lage alarmierend: 65% der trans Frauen, 64% der trans Männer und 55% der nicht-binären Personen wurden in den letzten 12 Monaten in mindestens einem Lebensbereich diskriminiert. In Berlin haben 66% der trans Personen in den letzten fünf Jahren Gewalterfahrungen gemacht, 80% erlebten Übergriffe in sozialen Medien. Die Suizidversuchsraten von trans Personen liegen studienübergreifend bei 30% und höher.

Die AfD auf dem Weg der Heritage Foundation

Besorgniserregend sind die Parallelen zwischen der Heritage Foundation und der AfD. Die AfD-Fraktion fordert, das Transsexuellengesetz zu erhalten und lehnt das Selbstbestimmungsgesetz ab - stattdessen soll eine interdisziplinäre Kommission über Geschlechtswechsel entscheiden. Die AfD vertritt in ihrem Europa-Wahlprogramm, dass es ausschließlich zwei Geschlechter gäbe und dies eine biologische Tatsache sei - genau wie die Heritage Foundation.

Rechte Kräfte in den USA, Polen und Ungarn führen in Echtzeit vor, was trans Menschen auch in Deutschland drohen könnte, wenn die AfD an die Regierung käme. In Ungarn ist es inzwischen unmöglich, den rechtlichen Geschlechtseintrag oder vergeschlechtlichte Vornamen im Laufe des Lebens zu ändern.

Was können wir tun?

Die Entwicklungen in den USA zeigen, wie schnell erkämpfte Rechte wieder verloren gehen können. Die Trump-Administration führt dazu, dass einige trans Amerikaner*innen Zuflucht im Ausland suchen oder Pläne dazu machen. In Deutschland müssen wir wachsam bleiben und uns solidarisch zeigen.

LGBT-Aktivist*innen warnen vor einem Anstieg der Anti-LGBT-Gewalt in Deutschland - die Polizei registrierte über 1.400 Hassverbrechen gegen LGBT-Menschen, und es gab mehrere Angriffe auf Pride-Veranstaltungen. Die Zunahme queerfeindlicher Straftaten ist erschreckend, und wir müssen von einer hohen Dunkelziffer ausgehen.

Die Heritage Foundation mag ihre Forderungen als "Schutz" verkaufen - doch in Wahrheit geht es um die systematische Entrechtung und Kriminalisierung einer ohnehin marginalisierten Gruppe. Wenn trans Menschen als "Terrorist*innen" gebrandmarkt werden sollen, ist das ein Angriff auf die Menschenrechte aller. Deutschland muss aus den Fehlern der USA lernen und seine hart erkämpften Fortschritte verteidigen - bevor es zu spät ist.


Queere Ampeln vor Gericht: Ein Signal für Vielfalt spaltet Deutschland

Das Verwaltungsgericht Hannover hat eine Klage gegen die gleichgeschlechtlichen Ampelpärchen in Hildesheim als unzulässig zurückgewiesen. Das Gericht könne eine Verletzung der Rechte des Klägers "nicht nachvollziehen", teilte das Gericht in seiner Entscheidung mit. Der Fall reiht sich ein in eine Serie ähnlicher Klagen in deutschen Städten und wirft ein Schlaglicht auf die anhaltende gesellschaftliche Debatte über LGBTQ+-Sichtbarkeit im öffentlichen Raum. Die Originalberichterstattung finden Sie auf queer.de.

Der Fall Hildesheim: Wenn Ampeln zum Politikum werden

Der Kläger, der sich als wertkonservativ begreift, hatte argumentiert, die Darstellung schwuler und lesbischer Pärchen als Ampelsymbol schränke ihn in seinem Erziehungsstil ein. "Es sei 'überhaupt nicht erkennbar', dass der Kläger durch die Ampelmännchen in seinen Rechten verletzt sei, etwa in Fragen der sexuellen Selbstbestimmung", stellte der Vorsitzende Richter Arne Gonschior klar.

Die Entscheidung des Gerichts ist eindeutig: "Die Ampelzeichen zeigen die gesellschaftliche Realität, die kann der Kläger nicht ausblenden", so der Richter. Auch eine Verletzung der Straßenverkehrsordnung sehe das Gericht nicht: Deren Vorschriften schützten den Kläger nicht individuell. Damit folgt das Gericht einer Linie, die bereits in anderen deutschen Städten etabliert wurde.

München als Präzedenzfall: Toleranz als gesellschaftlicher Auftrag

Der Fall in Hildesheim ist kein Einzelfall. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat entschieden, dass die sog. "Wiener Ampelmännchen", die gleichgeschlechtliche Pärchen mit Herz abbilden, eine "Botschaft der Sympathie und Toleranz" darstellen und im Öffentlichen Straßenverkehr verwendet werden dürfen. In München hatte ein Anwohner gegen die dauerhaft installierten Ampelpärchen im Glockenbachviertel geklagt - und verlor ebenfalls.

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof stellte fest, dass queere Ampelpaare "ersichtlich eine Botschaft der Sympathie und Toleranz an homosexuellen Menschen senden, aber auch eine Aufforderung an die Mehrheitsgesellschaft zu Toleranz gegenüber Menschen mit abweichender sexueller Orientierung" darstellen. Diese rechtliche Einschätzung hat weitreichende Bedeutung für die Diskussion um LGBTQ+-Sichtbarkeit im öffentlichen Raum.

Von Wien nach Deutschland: Die internationale Dimension

In der österreichischen Bundeshauptstadt Wien wurden am 11. Mai 2015, anlässlich des Life Balls, des Eurovision Song Contests und der Regenbogenparade als Variante drei verschiedene Arten von "Ampel-Pärchen" mit Herz (hetero, lesbisch, schwul) installiert. Was als temporäre Aktion begann, entwickelte sich zu einem weltweiten Symbol für Vielfalt und Toleranz.

In Deutschland haben mittlerweile zahlreiche Städte nachgezogen. 2020 wurden in Hannover dauerhaft mehrere gleichgeschlechtliche Ampelfiguren installiert. In Marburg finden sich seit 2019 ebenfalls heterosexuelle, schwule und lesbische Paare an mehreren Ampeln. Frankfurt am Main erhielt anlässlich des CSD 2018 ein dauerhaftes homosexuelles Ampelpärchen an der Konstablerwache, ebenso Köln zum CSD 2019 am Heumarkt.

Auch kleinere Städte schließen sich dem Trend an: Bielefeld ist die neueste Großstadt, bei denen schwule und lesbische Ampelpärchen Fußgänger*innen den Weg weisen. In Berlin prüft die Verkehrsverwaltung derzeit die Einführung queerer Ampeln für den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Selbst Bremen hat eine Unterschriftenkampagne für 26 queere Ampeln gestartet.

Die rechtliche Dimension: Zwischen Verkehrssicherheit und Symbolpolitik

Die juristische Auseinandersetzung um die Ampelpärchen offenbart ein grundsätzliches Spannungsfeld. Das Münchener Verwaltungsgericht stellte fest, dass die Ampelscheiben lediglich Liebe und Partnerschaft bei heterosexuellen und homosexuellen Paaren symbolisieren und keine unzulässige staatliche Einflussnahme zur Förderung von homosexuellen Orientierungen darstellen. Im Gegenteil stünden die Ampelscheiben für mehr Toleranz, was mit dem Grundgesetz vereinbar sei.

Der bayerische Verwaltungsgerichtshof verwies darauf, dass sich in Deutschland mittlerweile eine ganze Reihe "alternativer" Ampelfiguren im Einsatz befänden - von den Bergmann-Ampelmännchen in Essen über die Mainzelmännchen in Mainz bis zu den Bremer Ampelmusikanten. Die Vielfalt der Ampelsymbole ist längst Teil der deutschen Verkehrslandschaft geworden.

Gesellschaftliche Polarisierung: Zwischen Fortschritt und Widerstand

Die Kontroverse um die Ampelpärchen spiegelt eine größere gesellschaftliche Debatte wider. Bei längerfristiger Betrachtung zeigt sich trotz einer Zunahme von Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt in den Einstellungen der Bevölkerung zugleich die öffentliche und politische Repräsentation von Intoleranz größer wird. Diese paradoxe Entwicklung zeigt sich besonders deutlich in den juristischen Auseinandersetzungen um LGBTQ+-Sichtbarkeit.

Die Klagen gegen die Ampelpärchen kommen oft aus einem konservativen Milieu, das sich in seinen traditionellen Werten bedroht sieht. Doch die Gerichte haben bisher durchweg die Position vertreten, dass die Darstellung verschiedener Lebensformen Teil der gesellschaftlichen Realität ist und keine Rechtsverletzung darstellt. Ein Ratsherr, der gegen die Entscheidung gestimmt hatte, klagte nun vor dem Verwaltungsgericht, was zeigt, dass der Widerstand teilweise auch aus der Politik selbst kommt.

Die deutsche Perspektive: Von der Symbolpolitik zur gelebten Akzeptanz

In Deutschland hat die Diskussion um die Ampelpärchen eine besondere Dimension. Nach der Wiedervereinigung kämpften die Ostdeutschen erfolgreich für den Erhalt ihrer charakteristischen Ampelmännchen - ein früher Präzedenzfall dafür, dass Verkehrssymbole mehr sein können als bloße Funktionszeichen. Das änderte sich, als die "Ost-Ampelmännchen" im Gebiet der ehemaligen DDR nach und nach gegen das westdeutsche Ampelmännchen ausgetauscht wurden. Es kam dort zu Protesten, unter deren Druck die "Ost-Ampelmännchen" wieder in die Ampeln zurückkehrten. Sie wurden plötzlich als Teil der eigenen Identität aufgefasst.

Diese Erfahrung ebnete den Weg für die heutige Vielfalt der Ampelsymbole. Von den Beethoven-Ampeln in Bonn bis zu den gleichgeschlechtlichen Pärchen - deutsche Städte nutzen Ampeln zunehmend als Ausdruck lokaler Identität und gesellschaftlicher Werte. Die rechtliche Anerkennung dieser Praxis durch die Verwaltungsgerichte stärkt diese Entwicklung.

Ein Signal mit Zukunft

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hannover im Fall Hildesheim sendet ein klares Signal: Die Sichtbarkeit von LGBTQ+-Menschen im öffentlichen Raum ist rechtlich geschützt und gesellschaftlich erwünscht. Die 14 Ampeln in Hildesheim werden weiterhin ihre bunten Signale senden - nicht nur für den Verkehr, sondern auch für eine offene, vielfältige Gesellschaft.

Was als kreative Idee aus Wien begann, hat sich zu einem internationalen Symbol für Toleranz und Akzeptanz entwickelt. Die juristischen Niederlagen der Kläger in München und nun auch in Hildesheim zeigen: Der Weg zu mehr Sichtbarkeit und Akzeptanz von LGBTQ+-Menschen ist unumkehrbar - auch wenn er weiterhin auf Widerstand stößt. Die Ampelpärchen sind dabei mehr als nur bunte Lichter - sie sind ein tägliches Zeichen dafür, dass Liebe in all ihren Formen Teil unserer Gesellschaft ist und bleibt.


Wenn Schulen nicht mehr sicher sind: Baden-Württembergs Kampf gegen Queerfeindlichkeit im Klassenzimmer

Das Kultusministerium Baden-Württemberg hat alarmierende Zahlen veröffentlicht: Seit März 2024 wurden 24 queerfeindliche Vorfälle an Schulen registriert, darunter homofeindliche Schmierereien, abwertende Kommentare und Aussagen wie „Schwule und Lesben sind psychisch krank". Diese Fälle zeigen nur die Spitze des Eisbergs – Experten gehen von einer deutlich höheren Dunkelziffer aus, da niedrigschwellig gelöste Konflikte nicht gemeldet werden müssen.

Ein deutschlandweites Problem mit besorgniserregenden Ausmaßen

Die zunehmend queerfeindliche Stimmung in der Gesellschaft erreicht verstärkt die Schulen. Mehr Queerfeindlichkeit sorgt für mehr Nachfrage zu herausfordernden Bedingungen. Diese Warnung des Kölner LSBTIQ*-Aufklärungsprojekts „WiR* – Wissen ist Respekt" spiegelt sich in erschreckenden Zahlen wider: Mehr als jede*r zweite LGBTI-Jugendliche ist nach einer neuen Studie der Jugendeinrichtung anyway Opfer von Queerfeindlichkeit in einer Kölner Schule geworden (58%). Am häufigsten wurden die Schüler*innen demnach "beschimpft, beleidigt und/oder lächerlich gemacht" (46%).

Die Gewalt beschränkt sich nicht nur auf verbale Angriffe. Knapp ein Viertel der Jugendlichen (23,7%) wurden gegen den eigenen Willen in der Schule geoutet. Zudem sind LSBTIQ*-Schüler:innen mit körperlicher Gewalt konfrontiert: 14,3 Prozent wurde Gewalt angedroht und 8,5 Prozent der Schüler:innen wurden tatsächlich angegriffen. Ein betroffener Schüler berichtete: „Tägliche Beleidigungen als Schwuchtel etc., angespuckt, ausgelacht, ausgegrenzt, geschubst – ‚Freunde' wandten sich ab, selbst Lehrer schmunzelten."

Rechtsextremismus als treibende Kraft

Seit Juni 2024 geraten vermehrt Veranstaltungen der LSBTIQ-Bewegung in den Fokus insbesondere gewaltorientierter Rechtsextremisten. So kam es in den letzten Monaten wiederholt zu (versuchten) rechtsextremistischen Störaktionen von öffentlichen Veranstaltungen zum Christopher Street Day (CSD). Der Verfassungsschutz warnt vor gezielten Kampagnen: Dass die Bevölkerung durch eine gezielte „Gender-Propaganda" manipuliert oder gar sexuell umerzogen werden solle, ist ein gängiges Narrativ in der rechtsextremistischen Szene. Diese „Gender-Propaganda" werde durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ebenso wie durch Konzerne, Politiker sowie an Schulen betrieben.

Diese gesellschaftliche Polarisierung zeigt sich auch in den Kriminalstatistiken: Im Jahr 2023 wurden in Deutschland rund 1.500 Delikte gegen die sexuelle Orientierung polizeilich erfasst. Damit stieg ihre Zahl das sechste Jahr in Folge und auf einen deutlichen Höchststand. Das Bundeskriminalamt verzeichnete einen Anstieg queerfeindlicher Straftaten um fast 50 % im Vergleich zum Vorjahr. 2023 wurden 1.785 solcher Straftaten verzeichnet, gut 1/3 davon war politisch rechts motiviert.

Lehrkräfte als Teil des Problems – und der Lösung

Besonders besorgniserregend ist die Rolle mancher Lehrkräfte: 29,8 Prozent der Lehrkräfte hätten nie gezeigt, dass sie "Schwuchtel", oder "Transe" oder ähnliches als Schimpfworte nicht dulden. Fast die Hälfte aller Lehrkräfte (43,4%) habe sich zudem manchmal oder häufig abfällig über LSBTIQ geäußert. Diese Zahlen aus Köln verdeutlichen, dass Diskriminierung nicht nur unter Schülern stattfindet, sondern teilweise durch Lehrkräfte verstärkt oder geduldet wird.

In Nordrhein-Westfalen zeigt eine aktuelle Studie, dass mit 62,2 Prozent ein Großteil der Teilnehmenden von abwertenden Äußerungen berichten; 60,5 Prozent durch Mitschüler:innen und 13,7 Prozent (teils derselben Betroffenen) durch Lehrkräfte. Gleichzeitig gibt es Hoffnung: Insgesamt fühlt sich weit über die Hälfte (60,7 Prozent) der Betroffenen an Schulen in Nordrhein-Westfalen unterstützt. Knapp jede:r Dritte (28,4 Prozent) gibt an, diese Unterstützung (auch) von Lehrkräften zu erfahren beziehungsweise erfahren zu haben.

Baden-Württemberg handelt: Der Runde Tisch „Schule queer gedacht"

Staatssekretärin Sandra Boser (Grüne) hat auf die alarmierenden Zahlen reagiert: „Diskriminierung hat an unseren Schulen nichts verloren. Schulen müssen ein sicherer Ort auch für queere Menschen sein." Aus diesem Grund hat Staatssekretärin Sandra Boser MdL jüngst zu einem Runden Tisch geladen. Das Thema: „Schule queer gedacht – Schule als sicherer Ort für LSBTTIQ+-Menschen und Lernort für LSBTTIQ+-Themen".

Ende März wurde mit einem ersten Runden Tisch der Aktionsplan der Landesregierung zur Gleichstellung von LSBTIQ*-Menschen nach langem Stillstand und vielen Ankündigungen im Kultusbereich wieder angegangen. Einige Maßnahmen laufen inzwischen. Zu den konkreten Initiativen gehören Fortbildungen für Lehrkräfte, FAQ-Listen auf der Internetseite des Kultusministeriums und ein geplantes Modellschulenprojekt.

Schule der Vielfalt: Ein bundesweites Vorbild

Ein vielversprechender Ansatz kommt aus dem bundesweiten Projekt "Schule der Vielfalt". Das Antidiskriminierungsprogramm Schule der Vielfalt setzt sich dafür ein, dass an Schulen mehr gegen Homo- und Transphobie und mehr für die Akzeptanz von unterschiedlichen Lebensweisen getan wird. Das Konzept basiert auf Selbstverpflichtung: Lehrkräfte sind dazu aufgerufen, konsequent gegen homophobe und trans*feindliche Äußerungen und derartiges Verhalten vorzugehen und dieses innerhalb und außerhalb des Unterrichts zu thematisieren. Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt soll im Unterricht an geeigneten Stellen thematisiert werden um Vorurteile und Stereotypen abzubauen, aber auch Wissen zu vermitteln.

Am Netzwerk teilnehmende Schulen berichten, dass das Schild von Schule der Vielfalt von Eltern als Qualitätsmerkmal einer „LGBT-freundlichen Schule" wahrgenommen wird. Die Erfahrung von Schule der Vielfalt zeigt auch: Dort, wo es bereits mindestens eine Projektschule gibt, kommen weitere hinzu.

Gesellschaftlicher Rückhalt trotz Gegenwind

Trotz der besorgniserregenden Entwicklungen gibt es auch positive Signale aus der Gesellschaft. 90 Prozent der Befragten sprechen sich dafür aus, dass Schulen den Schüler*innen Akzeptanz gegenüber homo- und bisexuellen Personen vermitteln sollen. 73 Prozent der Deutschen sind der Meinung, dass lesbische, schwule oder bisexuelle Menschen vor Diskriminierung geschützt werden sollten. Bei trans* Personen stimmen sieben von zehn Befragten (70 %) der Aussage zu.

Besonders bei jungen Menschen zeigt sich eine hohe Akzeptanz: Neun Prozent der ab 1995 geborenen volljährigen Deutschen identifizieren sich als homo- oder bisexuell, während weitere drei Prozent pansexuell oder asexuell als Eigenbezeichnung bevorzugen. Das geht aus einer aktuellen Befragung im Rahmen der Statista Consumer Insights hervor. Insgesamt liegt der Anteil von Queers in der Gesamtbevölkerung bei 12 Prozent.

Was Schüler sich wünschen

Die Lösungsvorschläge kommen oft von den Betroffenen selbst. Am häufigsten wünschten sie sich Aufklärungsworkshops in Schulen (60,9%), gefolgt von LSBTIQ*-Ansprechpersonen (53,4%) sowie einem Notfallteam bei Queerfeindlichkeit (47,6%). Diese Forderungen zeigen deutlich: Queere Jugendliche brauchen konkrete Unterstützungsstrukturen und sichtbare Ansprechpersonen.

Der Weg zu diskriminierungsfreien Schulen ist noch weit. Doch die Initiativen in Baden-Württemberg zeigen, dass Politik und Zivilgesellschaft das Problem ernst nehmen. „Schule als sicherer Ort für LSBTTIQ+-Menschen und Lernort für LSBTTIQ+-Themen – das beschreibt unser gemeinsames Ziel und ich kann versichern, dass das Kultusministerium den Weg zu diesem Ziel weiter engagiert und gemeinsam mit den Handelnden verfolgen wird. Zudem engagiere ich mich für weitere Runde Tisch, denn das Thema LSBTTIQ+ ist eine Daueraufgabe und wir werden uns nicht auf dem Erreichten ausruhen", sagt Staatssekretärin Boser.

Die Botschaft ist klar: Schulen müssen sichere Orte für alle jungen Menschen sein – unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität. Nur wenn Lehrkräfte, Eltern und Politik gemeinsam handeln, kann Diskriminierung wirksam bekämpft und ein respektvolles Miteinander gefördert werden.


Das Recht auf den Zweitpass: Wenn Bürokratie auf trans* Realität trifft

Ein Dienstagmorgen in einem Berliner Bürgeramt wird zum Kampfplatz zwischen deutscher Verwaltungslogik und der Lebensrealität trans* Menschen. Eine Person, die nach ihrer Personenstandsänderung einen neuen Ausweis beantragen möchte, stößt auf Unverständnis und Widerstand. Nach Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen sind der alte Personalausweis und der Reisepass der Person ungültig - sofern sich Angaben ändern. Die Beamtin will den alten Reisepass gleich einziehen. Doch der Betroffene wehrt sich – und hat gute Gründe dafür.

Zwischen Gesetzestext und Lebensrealität

Die Situation offenbart ein grundlegendes Problem des neuen Selbstbestimmungsgesetzes (SBGG), das seit November 2024 in Kraft ist. Das SBGG erleichtert es trans-, intergeschlechtlichen und nichtbinären Personen, ihren Geschlechtseintrag und ihre Vornamen ändern zu lassen. Das SBGG vereinfacht es für transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen, ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister und ihre Vornamen ändern zu lassen. Was auf dem Papier wie eine Erleichterung klingt, entpuppt sich in der Praxis als komplexes Sicherheitsproblem.

Die Beamtin argumentiert strikt nach Vorschrift: Es besteht im Rahmen der allgemeinen Pflicht zum Besitz eines gültigen Personalausweises die unverzügliche Verpflichtung, ein neues Dokument (Personalausweis oder Reisepass) zu beantragen. "Es können keine zwei verschiedenen Personen existieren", sagt sie und verweist auf die deutsche Bürokratie-Logik. Doch für trans* Menschen geht es nicht darum, doppelt zu existieren – es geht um Schutz in gefährlichen Situationen.

Die internationale Gefährdungslage

Universitätsmitglieder sollten bei geplanten Reisen in die USA die geänderten Regeln für die Einreisegenehmigung beachten. Nicht-binäre und trans* Personen werden künftig diskriminiert. Das Auswärtige Amt hat seine Reise- und Sicherheitshinweise für die USA aktualisiert. Die Situation in den USA hat sich dramatisch verschärft. Donald Trump erließ an seinem ersten Amtstag ein Dekret, wonach die Regierung künftig nur noch die rechtliche Anerkennung von trans Personen ebenso wegfallen würde wie die einer dritten Geschlechtsoption.

Doch nicht nur die USA stellen eine Gefahr dar. Die Geschichte im Artikel erwähnt Griechenland, wo Bekannte der betroffenen Person von Polizisten willkürlich angehalten und nackt durchsucht wurden – eine Form körperlichen Missbrauchs mit sexualisierter Gewalt. Mehr als siebzig Länder halten einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen für ein Verbrechen, das mitunter mit schweren Strafen verbunden ist.

Die Zweitpass-Lösung: Bereits Realität für inter* Personen

Interessanterweise existiert bereits eine Lösung für einen Teil der Betroffenen. Liegt im Personenstandsregister der Geschlechtseintrag "divers" oder kein Geschlechtseintrag vor, wird im Pass das Geschlecht mit "X" bezeichnet. Eine Ausnahme besteht weiterhin für intergeschlechtliche Personen, die eine ärztliche Bescheinigung über das Vorliegen einer Variante der Geschlechtsentwicklung beziehungsweise eine Entbehrlichkeit derselben nachweisen können. Diese können einen Reisepass mit abweichender Geschlechtsangabe erhalten. Demnach soll die Möglichkeit eröffnet werden, dass intergeschlechtliche Personen, die im Geburtseintrag mit der Geschlechtsangabe "divers" oder ohne Geschlechtsangabe eingetragen sind, einen Pass mit der Angabe "männlich" oder "weiblich" erhalten können.

Diese Regelung zeigt: Der Gesetzgeber erkennt durchaus die Diskriminierungsrisiken an, die mit einem "X" im Pass verbunden sind. Deutsche Behörden stellen daher vereinzelt Zweitpässe aus. Ein X kann hier zum Problem werden: Queerfeindlichkeit ist in den USA auf dem Vormarsch Doch warum gilt dieser Schutz nur für inter* und nicht für trans* Personen?

Die Antidiskriminierungsstelle bezieht Position

So sieht das auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes: In vielen Ländern der Welt berge die Menschenrechtslage Diskriminierungsrisiken, heißt es auf Anfrage der taz. "Deswegen erachten wir es für sinnvoll, dass trans Personen nach erfolgter Änderung ihres Geschlechtseintrags die Möglichkeit haben, einen Zweitpass zu beantragen." Diese klare Positionierung zeigt, dass die Gefährdung trans* Menschen auf offizieller Ebene anerkannt wird – nur die rechtliche Umsetzung fehlt noch.

Ein konkretes Beispiel aus der Praxis zeigt, dass Lösungen möglich sind: Die in Lou Fischers Fall zuständige Passbehörde in Bad Säckingen bewilligte den Zweitpass. "Wir waren vorbereitet zu klagen, doch die Behörde hat es glücklicherweise einfach eingetragen." Die Sachbearbeiterin habe direkt erklärt, dass die Begründung für den Zweitpass Sinn ergebe, sagt Fischer.

Deutsche Parallelen: Die Diskriminierung vor der eigenen Haustür

Während internationale Gefahren für trans* Menschen zunehmend ins Bewusstsein rücken, zeigt der Artikel auch die alltägliche Diskriminierung in Deutschland selbst. Die Reaktion der Beamtinnen – "Das haben Sie sich ja so ausgesucht" – offenbart ein tief verwurzeltes Missverständnis. Trans-Sein wird als Wahl, als Lebensart dargestellt, die sich einige "einfach herausnehmen". In dieser Logik erscheint die Forderung nach Schutz als Frechheit.

Diese Haltung ist kein Einzelfall. Der Bundesverband Trans* kritisiert die Einführung einer dreimonatigen Anmeldefrist für die Änderung des Geschlechtseintrags, was als Einschränkung der geschlechtlichen Selbstbestimmung gesehen wird. Das neue Gesetz, das eigentlich Erleichterung bringen sollte, schafft neue Hürden und lässt wichtige Schutzlücken offen.

Ein Recht, kein Privileg

Die Forderung nach einem Zweitpass für trans* Menschen ist keine Luxusdebatte. Es geht um grundlegende Sicherheit in einer Welt, in der ein Zwangsouting bei jeder Ausweisvorlage zur Folge hätte, würde sie aus dem öffentlichen Leben drängen und Diskriminierung und Gewalt aussetzen. Der im Artikel beschriebene Vorfall zeigt exemplarisch, wie deutsche Bürokratie und die Lebensrealität trans* Menschen kollidieren.

Die Lösung liegt auf der Hand: Was für inter* Personen bereits möglich ist, muss auch für trans* Menschen gelten. Ein Zweitpass mit binärem Geschlechtseintrag würde Reisen in gefährliche Länder sicherer machen, ohne die Identität der Betroffenen zu verleugnen. Es wäre ein kleiner bürokratischer Schritt mit großer Wirkung für die Sicherheit einer vulnerablen Gruppe.

Bis diese Lösung Realität wird, bleiben trans* Menschen in Deutschland zwischen den Stühlen sitzen – zwischen einer Verwaltung, die ihre Gefährdung nicht anerkennen will, und einer Welt, in der ihre bloße Existenz zur Zielscheibe wird. Die müde Resignation am Ende des Artikels, wenn die betroffene Person "schlagartig todmüde" wird, spricht Bände über den emotionalen Tribut dieser alltäglichen Kämpfe.


Türkei zensiert queere Filme und Songs: Ein Angriff auf die Freiheit der Kunst

Die türkische Medienaufsicht RTÜK hat Strafen gegen mehrere Streaming-Dienste verhängt, die mit queeren Filmen gegen "Familienwerte" verstoßen würden. Diese Maßnahme reiht sich in eine besorgniserregende Entwicklung der zunehmenden Zensur und Unterdrückung der LGBTQ+-Community in der Türkei ein. Die vollständige Nachricht findet sich auf queer.de.

Das "Jahr der Familie" als Kampfansage an die Vielfalt

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat das Jahr 2025 zum "Jahr der Familie" erklärt. Die Kampagne zielt darauf ab, die Ehe zu fördern und die Geburtenrate in der Türkei zu erhöhen, die von durchschnittlich 2,1 im Jahr 2014 auf 1,51 im Jahr 2023 gesunken ist. Doch hinter dieser scheinbar harmlosen Familienförderung verbirgt sich eine aggressive Agenda gegen LGBTQ+-Menschen.

Erdoğan richtete seinen Zorn erneut gegen die LGBTIQ*-Community: "Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, unsere Kinder und Jugendlichen vor schädlichen Trends und perversen Ideologien zu schützen", sagte er. "Neoliberale kulturelle Trends überschreiten Grenzen und dringen in alle Ecken der Welt vor. Sie führen auch dazu, dass LGBT- und andere Bewegungen an Boden gewinnen."

Die nun zensierten Filme wie "All of Us Strangers", "Cobalt Blue" oder "Looking: The Movie" sind international anerkannte Produktionen, die auf kostenpflichtigen Plattformen für Erwachsene verfügbar waren. Der türkische Politiker Tuncay Keser von der Oppositionspartei CHP kritisierte die Absurdität, die Gesellschaft vor "fiktionalen Produktionen mit Altersfreigaben" schützen zu wollen.

Ein Blick nach Deutschland: Streaming als Raum der Vielfalt

Auf Streaming-Plattformen entfallen 87% der LGBTQ+-Inhalte, die dem Publikum zur Verfügung stehen. Auf Streaming-Plattformen hat das LGBTQ+-Publikum eine fast siebenmal größere Auswahl an inklusiven Inhalten (2.777 Titel) als im linearen Fernsehen. Diese Zahlen zeigen die besondere Bedeutung von Streaming-Diensten für die Sichtbarkeit queerer Geschichten.

Obwohl beim größten Streaming-Anbieter Netflix viele queere Figuren und LGBTQ+ inklusive Serien zu streamen sind, steht das leider nicht stellvertretend für die restliche Streaming-Welt. Während Netflix nach queer-inklusiven Meilensteinen wie Orange Is the New Black und Sense8 noch immer Vorreiter ist, sieht es anderswo mau aus.

In Deutschland selbst zeigt sich ein differenzierteres Bild. 2023 beinhalteten 760 der 15.000 im deutschen Fernsehen ausgestrahlten Filme und Serien (4,9%) eine für die Handlung relevante LGBT-Figur. In den Jahren zuvor waren es 3,7% (2022) und 2,4% (2021). Trotzdem bleibt das deutsche Fernsehen im Vergleich zu Netflix (6,7%; mit Serien: 12,7%) und Amazon Prime (7,4%, mit Serien: 11,0%) das am wenigsten diverse Langfilm-Medium.

Der Fall Mabel Matiz: Wenn ein Liebeslied zur Straftat wird

Besonders erschreckend ist das Vorgehen gegen den populären Sänger Mabel Matiz. Das Familienministerium beantragt, seinen neuen Song "Perperisan" von Spotify, Youtube und Apple zu entfernen. Das Innenministerium leitete zudem strafrechtliche Ermittlungen ein, die mit einer Gefängnisstrafe zwischen sechs Monaten und zwei Jahren enden könnten.

Der 40-jährige Singer-Songwriter verteidigte sich mit dem Hinweis, dass sein Lied auf die Tradition der türkischen Volksliteratur zurückgreife und traditionelle türkische Volkslieder häufig sexuelle Anspielungen enthielten. "Ich möchte glauben, dass die öffentliche Ordnung und unser kollektives Wohlergehen nicht so fragil sind, dass sie durch ein bloßes Lied gestört werden können", schrieb er bei X.

Deutschland als Gegenmodell: Fortschritte trotz Herausforderungen

Deutschland hat sich im europäischen Regenbogen-Ranking deutlich verbessert und gehört nun zu den Top 10 in Europa. Die verbesserte Stellung Deutschlands ist auf erfolgreich umgesetzte Maßnahmen aus dem Aktionsplan "Queer leben" zurückzuführen.

Dennoch gibt es auch hierzulande Anlass zur Sorge. In den letzten Jahren erstarken europaweit rechtsextreme und antifeministische Bewegungen, die gut vernetzt auch in Deutschland gegen LSBTIQ* mobilisieren. So beobachtet der Verfassungsschutz, dass Rechtsextreme immer offener und aggressiver gegen LSBTIQ* agitieren. Sie wollen erkämpfte Fortschritte bei den Rechten, Sichtbarkeit und Freiheiten für LSBTIQ* zurücknehmen.

2024 wurden insgesamt im Unterthemenfeld "sexuelle Orientierung" 1.765 Straftaten (davon 253 Gewaltdelikte) und im Unterthemenfeld "geschlechtsbezogene Diversität" 1.152 Straftaten (davon 128 Gewaltdelikte) erfasst, also insgesamt 2.917. Diese Zahlen zeigen, dass auch Deutschland noch einen langen Weg vor sich hat.

Die Bedeutung kultureller Freiheit

Die Zensur queerer Inhalte in der Türkei ist mehr als nur ein Angriff auf die LGBTQ+-Community – sie ist ein Angriff auf die Kunstfreiheit und die kulturelle Vielfalt insgesamt. Die regierende Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung hat ihre Wurzeln in der islamischen Bewegung der Türkei. Die türkischen Offiziellen sind in den letzten Jahren verschärft gegen die weiterhin existente LGBTQ+-Community vorgegangen.

Die Entwicklungen in der Türkei sollten uns in Deutschland eine Mahnung sein, wachsam zu bleiben und die erkämpften Rechte und Freiheiten zu verteidigen. Eine klare Mehrheit der Deutschen spricht sich gegen die Diskriminierung der LGBTQIA+-Community und für gleiche Rechte aus. Vor allem bei jungen Männern nehmen queerfeindliche Ansichten aber auch in Deutschland eher zu.

Die Zensur von Filmen und Musik, die Verfolgung von Künstler*innen und die systematische Unterdrückung der LGBTQ+-Community in der Türkei zeigen, wie fragil Freiheitsrechte sein können. Es liegt an uns allen, für eine offene, vielfältige Gesellschaft einzustehen, in der alle Menschen ihre Identität frei leben können – sei es in der Türkei, in Deutschland oder anderswo auf der Welt.


Revolution in der HIV-Prävention: Europa genehmigt Halbjahresspritze – doch wer kann sie sich leisten?

Die Europäische Kommission hat im August 2025 einen bedeutenden Meilenstein in der HIV-Prävention erreicht: Die Zulassung der Halbjahresspritze Lenacapavir, die unter dem Namen Yeztugo vermarktet wird. Die Europäische Kommission hat dem langwirksamen Arzneimittel Yeytuo® mit dem Wirkstoff Lenacapavir die Marktzulassung für die HIV-PrEP erteilt. Diese Entscheidung macht das bahnbrechende Präparat nun in allen 27 EU-Mitgliedstaaten sowie in Norwegen, Island und Liechtenstein verfügbar. Angesichts 2023 gab es circa 2.200 HIV-Infektionen in Deutschland sowie bei Menschen deutscher Herkunft, die sich im Ausland infiziert haben und eines europaweiten Anstiegs der HIV-Diagnosen um 11,8% im Jahr 2023, kommt diese Zulassung zu einem kritischen Zeitpunkt. Die vollständige Nachricht finden Sie hier.

Ein medizinischer Durchbruch mit beeindruckenden Studienergebnissen

Lenacapavir ist ein sogenannter Kapsid-Inhibitor, der die Vermehrung des HI-Virus im Körper verhindert. Lenacapavir ist ein Arzneistoff aus der Gruppe der Virostatika. Es handelt sich um den ersten Kapsid-Inhibitor, der zur Behandlung und Präexpositionsprophylaxe (PrEP) einer HIV-Infektion eingesetzt wird. Die klinischen Studien zeigen beeindruckende Ergebnisse: In der PURPOSE-1-Studie mit über 5.000 Frauen in Uganda und Südafrika senkte das HIV-Risiko der cis Frauen der Studie um 100 Prozent. Zweimal jährlich muss man Lenacapavir injizieren – dadurch soll es einen hundertprozentigen Schutz gegen HIV bieten.

Diese außergewöhnliche Wirksamkeit wurde Auf dem Präparat Lenacapavir als halbjährliche Injektion zum Schutz vor HIV ruhen große Hoff­nungen im Kampf gegen Aids. Das Medikament des Herstellers Gilead hatte in einer Phase-3-Studie HIV-Infektionen bei Frauen mit einer 100 prozentigen Sicherheit verhindert und führte dazu, dass die Weltgesundheitsgemeinschaft das Präparat als "Gamechanger" feiert.

Die deutsche Situation: Zwischen Hoffnung und Realität

Für Deutschland bedeutet diese EU-Zulassung theoretisch einen großen Fortschritt, praktisch jedoch steht die Verfügbarkeit noch in den Sternen. Anfang 2026 könnte LEN als HIV-PrEP auf dem deutschen Markt verfügbar sein. Quartal 2025 zu erwarten, erklärte Gilead dem DÄ. Anfang 2026 könnte LEN als HIV-PrEP auf dem deutschen Markt verfügbar sein. Obwohl Lenacapavir auch von der EMA zugelassen wurde, hat Gilead für die bisherige Indikation bislang keinen Versuch gestartet, das Mittel in Deutschland auf den Markt zu bringen. Obwohl Lenacapavir auch von der EMA zugelassen wurde, hat Gilead für die bisherige Indikation bislang keinen Versuch gestartet, das Mittel in Deutschland auf den Markt zu bringen. Grund dafür ist laut Hersteller, dass die Ergebnisse der Zulassungsstudie für LEN als HIV-Therapie nicht den Anforderungen des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) entspricht.

Dies ist besonders bemerkenswert angesichts der HIV-Situation in Deutschland: In Deutschland leben nach Schätzungen des Robert Koch-Instituts (RKI) 96.700 Menschen mit HIV/AIDS. Fast 90% der HIV-Patientinnen und -Patienten erhalten eine antiretrovirale Therapie. Bei einer erfolgreichen Therapie sind die Menschen nicht infektiös und ihre Lebenserwartung entsprich nahezu der nicht HIV-Infizierter. Dennoch bleibt die Prävention entscheidend, besonders da Ende 2023 lebten circa 96.700 Menschen in Deutschland mit HIV, etwa 8.200 von ihnen ohne HIV-Diagnose.

Derzeit können sich Menschen in Deutschland hauptsächlich mit der täglichen PrEP-Tablette schützen. Wenn die PrEP zum Schutz vor HIV von dafür zugelassenen Ärzt*innen verschrieben wird, übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für die Medikamente und die nötigen Untersuchungen. Wenn die PrEP zum Schutz vor HIV von dafür zugelassenen Ärzt*innen verschrieben wird, übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für die Medikamente und die nötigen Untersuchungen. Seit Beginn der Einführung der GKV-PrEP ist die Anzahl der PrEP-Nutzenden nahezu kontinuierlich angestiegen. Ende 2023 gab es schätzungsweise rund 40.000 PrEP-Nutzenden in Deutschland.

Der Preisschock: Zwischen 25 und 28.000 Dollar

Der größte Skandal bei dieser medizinischen Revolution ist die Preisgestaltung. Für die USA hat das Herstellerunternehmen Gilead den Listenpreis für das Medikament Yeztugo® mit über 28.000 Dollar pro Nutzer*in und Jahr angesetzt. Dies steht in krassem Gegensatz zu den Produktionskosten: Laut einer Analyse der Universität Liverpool und anderer Institute könnte der Preis bei einer Produktion von Lenacapavir-Generika im Umfang von fünf bis zehn Millionen Spritzen im Jahr auf 25 Dollar sinken – einschließlich einer Gewinnspanne von 30 Prozent.

UNAIDS-Chefin Winnie Byanyima drängt daher den Hersteller Gilead, Lenacapavir verfügbar und erschwinglich zu machen: „Es wäre abscheulich, das Tausendfache für ein Medikament zu verlangen, welches das Potenzial hat, eine Pandemie zu beenden. Wir können Aids nicht mit solch teuren Medikamenten bekämpfen." Der Preis, den Gilead derzeit in den USA verlangt, liegt bei über 42.000 US-Dollar. „Damit untergräbt Gileads Preisgestaltung das riesige Potential, das in diesem wissenschaftlichen Durchbruch steckt. Gleichzeitig bremst man die weltweiten Bemühungen um eine Trendwende im Kampf gegen HIV/Aids", - kritisiert Bygrave.

Besondere Herausforderungen für vulnerable Gruppen

Die HIV-Prävention in Deutschland zeigt ein differenziertes Bild verschiedener Risikogruppen. 2023 gab es circa 2.200 HIV-Infektionen in Deutschland sowie bei Menschen deutscher Herkunft, die sich im Ausland infiziert haben. Etwa 1.200 Ansteckungen (55 %) geschahen beim Sex zwischen Männern, 620 (28 %) auf heterosexuellem Weg (360 Frauen und 270 Männer) und 380 (17 %) beim intravenösen Etwa 1.200 Ansteckungen (55 %) geschahen beim Sex zwischen Männern, 620 (28 %) auf heterosexuellem Weg (360 Frauen und 270 Männer) und 380 (17 %) beim intravenösen Drogengebrauch (280 Männer und 100 Frauen).

Besonders besorgniserregend ist der Trend bei Menschen, die Drogen injizieren: Bei Menschen, die Drogen injizieren, zeige die Modellierung einen deutlichen Anstieg seit 2010 – nach einer Stabilisierung in den Pandemiejahren steige die geschätzte Zahl der Neuinfektionen aber weiter an. Wichtig sei für die Prävention bei der Zielgruppe unter anderem die Versorgung mit ausreichend sterilen Injektions­utensilien und Opiodsubstitution sicherzustellen. Für diese Gruppe könnte die Halbjahresspritze eine besonders wichtige Alternative darstellen, da die tägliche Tabletteneinnahme oft eine Herausforderung darstellt.

Auch die Stigmatisierung bleibt ein großes Problem: Bei der Online-Befragung berichteten 95% der Befragten von mindestens einer diskriminierenden Erfahrung in den zurückliegenden zwölf Monaten aufgrund von HIV. 52% gaben an, durch Vorurteile in ihrem Leben beeinträchtigt zu sein. Eine diskrete Halbjahresspritze könnte hier die Adhärenz verbessern und gleichzeitig die Privatsphäre besser schützen.

Die Versicherungslücke: Privatversicherte im Nachteil

Während gesetzlich Versicherte seit 2019 Anspruch auf PrEP als Kassenleistung haben, sieht die Situation für Privatversicherte deutlich schlechter aus. Nur etwa ein Viertel der privaten Krankenkassen übernehmen die Kosten der HIV-PrEP, die meisten nur für bereits bei ihnen Versicherte. Die PrEP-Nutzung kann zur Zurückweisung oder zu höheren Tarifen führen.

Dies führt zu einer paradoxen Situation: Menschen, die sich aktiv vor HIV schützen wollen, werden von privaten Krankenversicherungen diskriminiert. Mit einem Privatrezept ist die Monatspackung (je nach Hersteller 28 oder 30 Tabletten) in jeder Apotheke ab rund 70 Euro erhältlich. Ausgewählte Apotheken in einigen deutschen Städten bieten ein Generikum der Firma Hexal für rund 40 Euro pro 28 Tabletten an. Im Vergleich dazu: Die bisher in Deutschland verfügbare PrEP mit Tabletten kostet bei dauerhafter täglicher Einnahme etwa 50 bis 70 Euro im Monat, also etwa 600 bis 840 Euro pro Person und Jahr. Zum Vergleich: Die bisher in Deutschland verfügbare PrEP mit Tabletten kostet bei dauerhafter täglicher Einnahme etwa 50 bis 70 Euro im Monat, also etwa 600 bis 840 Euro pro Person und Jahr.

Hoffnung auf Generika und faire Preise

Gilead verweist darauf, dass es bereits für mehr als 120 Länder mit hohen HIV-Raten Lizenzvereinbarungen mit stark reduzierten Preisen gebe. Nach Auffassung von UNAIDS und anderen Organisationen sind diese Vereinbarungen aber bei weitem nicht ausreichend, unter anderem seien viele Länder mit dringendem Bedarf nicht berücksichtigt. „Allerdings habe Gilead bislang nicht bekannt gegeben, welche Länder in die freiwillige Lizenzvergabe eingebunden werden sollen und welcher Preis gelten soll, kritisierte Bygrave im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ). „Eine Lizenz sollte sich nicht nur auf Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen begrenzen, sondern auch Länder mit höherem mittlerem Einkommen einschließen." Diese seien in der Vergangenheit von solchen Abkommen ausgeschlossen worden.

Die Ärzte ohne Grenzen und andere Organisationen fordern daher, dass Gilead das Medikament über den Medicines Patent Pool lizenziert und die Herstellung von preisgünstigen Generika ermöglicht. Deshalb appelliert Ärzte ohne Grenzen gemeinsam mit Aktivist*innen und zivilgesellschaftlichen Organisationen an den Hersteller Gilead, Lenacapavir über den Medicines Patent Pool zu lizensieren und die Herstellung von preisgünstigen Generika zu ermöglichen. Damit unterstützt die Organisation einen entsprechenden Aufruf von über 300 Aktivist*innen und Wissenschaftler*innen in einem offenen Brief an Gilead.

Was bedeutet das für die LGBTQ+-Community in Deutschland?

Für die queere Community in Deutschland, insbesondere für Männer, die Sex mit Männern haben (MSM, etwa 1.200 Fälle nach 1.100 im Jahr davor), könnte Lenacapavir einen entscheidenden Fortschritt bedeuten. Die Halbjahresspritze bietet mehrere Vorteile gegenüber der täglichen Tablette: keine tägliche Erinnerung an HIV-Risiken, höhere Diskretion und eine nahezu perfekte Adhärenz.

Als „Gamechanger", „bahnbrechend" und „Durchbruch" feierten Fachleute die Ergebnisse der Purpose-1-Studie und gaben Standing Ovations. Doch dieser Durchbruch wird nur dann wirklich revolutionär sein, wenn er für alle zugänglich wird. Das Menschenrecht auf den „höchsten erreichbaren Stand an körperlicher und geistiger Gesundheit" gebietet den PrEP-Zugang für alle, die diese Schutzmöglichkeit brauchen, unabhängig vom Aufenthalts- oder Versichertenstatus.

Die Geschichte der HIV-Prävention in Deutschland zeigt: Erfolgreiche Prävention braucht nicht nur medizinische Innovation, sondern auch politischen Willen und gesellschaftliche Solidarität. Die EU-Zulassung von Lenacapavir ist ein wichtiger Schritt – aber ohne faire Preise und breiten Zugang bleibt es nur ein Privileg für Wenige statt eine Revolution für Alle.

Die Deutsche Aidshilfe und andere Organisationen werden weiterhin dafür kämpfen, dass diese medizinische Innovation auch wirklich bei den Menschen ankommt, die sie am dringendsten brauchen. Denn eines ist klar: UNAIDS-Chefin Winnie Byanyima sagte, die lang wirkende HIV-PrEP könne enorme Auswirkungen auf die HIV-Epidemie haben. „Wir wollen, dass diese Wundermittel der Prävention alle Menschen erreichen, die sie brauchen", so Byanyima.


Wenn 300 Polizist*innen die Liebe schützen müssen: CSDs in Sachsen als Spiegel unserer Zeit

Der dritte Christopher Street Day in Döbeln wurde am Wochenende zu einer eindrucksvollen Demonstration für queere Sichtbarkeit – aber auch zu einem erschreckenden Beispiel für die Bedrohung durch rechtsextremen Hass. Wie queer.de berichtet, feierten bis zu 720 Menschen unter dem Motto "Bunte Flaggen gegen braune Politik!" den Pride in der mittelsächsischen Kleinstadt. Gleichzeitig marschierten etwa 90 Neonazis durch die Straßen, begleitet von einem Großaufgebot von 300 Polizeibeamt*innen.

Ein CSD unter Belagerung

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Auf etwa sieben CSD-Teilnehmer*innen kamen mehr als drei Polizist*innen – ein Verhältnis, das zeigt, wie ernst die Sicherheitslage eingeschätzt wurde. Zwischen Juni und September 2024 verzeichnete CeMAS deutschlandweit in 27 Städten rechtsextreme Mobilisierungen gegen CSD-Veranstaltungen. Dabei kam es zu Einschüchterungen, Schikanen und Gewalt. Döbeln reiht sich damit in eine beunruhigende Liste ein, die von Bautzen über Leipzig bis nach Görlitz reicht.

Bereits vor Beginn der Demonstration zeigten die Rechtsextremen ihre Verachtung: In der Nacht zu Samstag am Startpunkt des CSD am Bahnhof Döbeln eine übelriechende Flüssigkeit verschüttet, bei der es sich vermutlich um Buttersäure handelte. Dies ist kein Einzelfall – bereits im vergangenen Jahr gab es einen ähnlichen Anschlag, und im vergangenen Jahr gab es einen Buttersäure-Anschlag. Beim ersten CSD 2022 wurden Teilnehmer*innen von Neonazis mit Steinen beworfen.

Die neue Generation rechtsextremer Jugendgruppen

Was besonders besorgniserregend ist: Die Teilnehmenden der neuen Gruppen sind deutlich jünger (oft minderjährig), gewaltbereiter, digital organisiert, gut vernetzt und richten ihre antifeministischen Aktivitäten gezielt gegen queere Menschen. In Döbeln mobilisierten unter anderem die rechtsextremen „Freien Sachsen" und die Neonazi-Gruppierung „Elblandrevolte" aus Dresden zur Gegendemonstration.

Die Straftaten während des CSDs zeigen das Ausmaß des Hasses: Ein 41-Jähriger zeigte den Hitlergruß aus einem Fenster, in drei Fällen wird wegen Volksverhetzung aufgrund abgespielter Lieder ermittelt, und ein 17-Jähriger wurde von unbekannten Tätern geschlagen. Die Liste der Anzeigen reicht von Körperverletzung über Sachbeschädigung bis zu Beleidigungen.

CSDs im ländlichen Raum: Mut trifft auf massive Unterstützung

Im Jahr 2024 gab es mehr "Christopher Street Day"-Veranstaltungen in Deutschland als je zuvor. Gerade in kleinen Städten schlossen sich viele Menschen zusammen, um ein Zeichen für die Rechte queerer Menschen im ländlichen Raum zu setzen. Doch die Realität ist besorgniserregend: Die Bedrohungen durch rechtsextreme Akteure in den östlichen Bundesländern haben in den letzten Jahren stark zugenommen. Im Jahr 2024 wurden in 27 Städten rechtsextreme Mobilisierungen gegen unsere CSD-Veranstaltungen dokumentiert, in einigen Fällen mit bis zu 700 gewaltbereiten Neonazis.

Die Organisator*innen des CSD Döbeln von der Queeren Gruppe Döbeln in Zusammenarbeit mit dem Projekt WerkStadt vom Treibhaus e.V. hatten im Vorfeld eindringlich um Unterstützung gebeten: "Wir sind dieses Jahr mehr denn je auf die Unterstützung solidarischer Großstädter*innen und lokaler Verbündeter angewiesen. Packt die Pride-Flaggen und Antifa-Fahnen in den Rucksack und ab in die Provinz! Support your Hinterland, wir brauchen euch!"

Solidarität als Antwort auf den Hass

Der Aufruf wurde gehört: Menschen aus ganz Sachsen und darüber hinaus reisten nach Döbeln, um ein Zeichen gegen rechtsextremen Hass zu setzen. "Jede noch so kleine Veranstaltung, die queeren und linken Menschen Sichtbarkeit gibt, ist wichtig. Es braucht jetzt die Unterstützung der Strukturen aus Kultur und politischen Bewegungen – im Pride Month genau wie im restlichen Jahr. Wir müssen dort neue, geile Angebote schaffen, damit die Nazis nicht die einzigen sind, die Perspektiven bieten. Fahrt zu Festivals, Theaterstücken und Konzerten aufs Land und macht dort eine fette Party, links und queer. Sucht euch den kleinsten CSD raus, den ihr finden könnt. Und dann macht ihn zum Größten."

Diese Solidarität wird dringend gebraucht, denn "Um sich besser gegen Angriffe von Rechtsextremisten auf CSDs wappnen zu können, will der Verein Campact jetzt 300.000 Euro an Spenden einsammeln. Die bisherigen Einschüchterungspläne seien dabei nicht aufgegangen, um so wichtiger sei es nun, die insgesamt mehr als 200 CSDs in diesem Jahr in Deutschland zu unterstützen, speziell jene kleinen und mittleren Prides mit Finanzproblemen."

Polizeischutz: Notwendig, aber nicht die Lösung

Die Kritik der Organisator*innen am Polizeikonzept wirft wichtige Fragen auf: "Kritik gab es am Einsatzkonzept der Polizei, das es den Rechtsextremen ermöglichte, hinter dem CSD herzulaufen und in Hörweite eine Kundgebung abhalten zu können. Die Döbelner Organisatoren sprachen deshalb vorab von einer 'bedenklichen Sicherheitslage'." Ähnliche Probleme gab es auch in Bautzen, wo etwa 700 Neonazis gegen die rund 1.000 CSD-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer demonstrierten.

"Das Schweigen der Mehrheitsgesellschaft sehen rechtsextreme Jugendliche als Zustimmung zu ihrem Handeln und ermutigt sie, offen ihren Hass auszuleben und Gewalt anzuwenden. Um dem entgegenzuwirken, reicht es nicht aus, den Schutz queerer Menschen allein der Polizei zu überlassen. Es braucht starke überregionale Unterstützung und Bündnisse, die LSBTIAQ+ und ihre Verbündeten aus den Metropolen mit denen aus der Peripherie auf Augenhöhe zusammenbringen und verhindern, dass die vielen kleinen CSDs in die Defensive geraten."

Konsequenzen für die Täter – ein Zeichen der Hoffnung

Immerhin zeigt sich, dass rechtsextreme Gewalt nicht ohne Konsequenzen bleibt: Für den Buttersäureanschlag im vergangenen Jahr wurden zwei rechtsextreme Kommunalpolitiker – einer von den Freien Sachsen und einer von der AfD – rechtskräftig bestraft. Dies sendet ein wichtiges Signal: Der Rechtsstaat schaut nicht weg.

Eine neue Initiative der Amadeu Antonio Stiftung will CSDs in kleinen und mittleren Städten gezielt unterstützen. "Aus diesem Anlass starten Campact und die Amadeu Antonio Stiftung den Regenbogenschutzfonds. Bewerben können sich CSD-Organisator*innen insbesondere aus kleinen und mittelgroßen Städten, die Störungen von rechten Gruppen erwarten."

Was bedeutet das für Deutschland?

Die Ereignisse in Döbeln sind symptomatisch für eine größere Entwicklung: "Noch nie zuvor gab es so viele Pride-Kundgebungen wie in diesem Jahr und nie gab es so viele rechtsextreme Gegenproteste. Der CSD in Bautzen war eine Zäsur." Die queere Community lässt sich jedoch nicht einschüchtern. Im Gegenteil: Die Zahl der CSDs in kleinen Städten wächst stetig, und mit ihr die Sichtbarkeit queeren Lebens im ländlichen Raum.

Die Forderungen der Döbelner Organisator*innen gehen dabei über reine LGBTQ+-Rechte hinaus: "Unsere Solidarität gilt nicht nur anderen queeren Menschen, sondern auch geflüchteten Menschen, Menschen mit Behinderung, People of Color, Menschen in finanziell prekären Situationen, obdachlosen Menschen, kurz: all jenen, die genau wie wir nicht in das Gesellschaftsbild rechtsextremer Ideologien passen und die genau wie wir aus dem rechten Lager bedroht werden. Gewinnen können wir nur gemeinsam: No one is free until all are free!"

Der CSD in Döbeln zeigt: Die Zivilgesellschaft ist stark, wenn sie zusammensteht. 720 Menschen, die für Liebe und Akzeptanz demonstrieren, sind lauter als 90 Neonazis, die Hass verbreiten. Doch dass es 300 Polizist*innen braucht, um diese Demonstration zu schützen, macht deutlich: Der Kampf für eine offene, vielfältige Gesellschaft ist noch lange nicht gewonnen. Er wird auf den Straßen von Döbeln, Bautzen und unzähligen anderen Städten entschieden – jedes Jahr aufs Neue.


Tragödie in Utah: Wie Hass und politische Gewalt eine neue Dimension erreichen

Die Veröffentlichung von Textnachrichten zwischen Tyler Robinson und seinem Mitbewohner nach dem tödlichen Attentat auf den rechten Aktivisten Charlie Kirk wirft ein erschreckendes Licht auf die zunehmende politische Radikalisierung in den USA. Der Fall, über den The Pink News berichtet, zeigt nicht nur die persönliche Tragödie eines jungen Mannes, der zur Waffe griff, sondern auch die gefährlichen gesellschaftlichen Spannungen, die zu solcher Gewalt führen können.

Der Täter und sein Umfeld

Der 22-jährige Tyler Robinson, Student im dritten Jahr an der Dixie Technical College in Utah, lebte nach Angaben der Behörden in einer romantischen Beziehung mit seinem trans* Mitbewohner. Diese Konstellation wurde in konservativen Medien sofort instrumentalisiert, wobei LGBTQ+-Organisationen davor warnen, die trans* Community ohne Beweise mit der Tat in Verbindung zu bringen.

Robinsons Familie, selbst überzeugte Republikaner, beschrieb eine politische Radikalisierung des jungen Mannes. Seine Mutter berichtete den Ermittlern, dass ihr Sohn in den letzten Monaten "politischer geworden" sei und sich verstärkt für LGBTQ+-Rechte eingesetzt habe. Diese Entwicklung stand im starken Kontrast zu seiner konservativen Erziehung.

"Ich hatte genug von seinem Hass"

Die veröffentlichten Textnachrichten zeigen einen jungen Mann, der seine Tat über eine Woche lang geplant hatte. "Ich hatte die Gelegenheit, Charlie Kirk auszuschalten, und ich werde sie nutzen", schrieb Robinson in einer Notiz, die er für seinen Mitbewohner hinterließ. In den Nachrichten nach der Tat erklärte er: "Ich hatte genug von seinem Hass. Mancher Hass kann nicht wegverhandelt werden."

Besonders verstörend sind die Details seiner Vorbereitung: Robinson gravierte Nachrichten auf Patronenhülsen, darunter auch Memes und Slogans. Die Staatsanwaltschaft erwähnt eine Hülse mit der Aufschrift "Wenn du das liest, bist du schwul, lol" - ein bizarrer Mix aus Internet-Humor und tödlichem Ernst.

Parallelen zur deutschen Situation

Die Ereignisse in Utah haben auch in Deutschland Resonanz gefunden, wo die politische Polarisierung ebenfalls zunimmt. Laut dem Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter Gewalt (VBRG) erreichte die rechte Gewalt 2024 in Deutschland einen neuen Höchststand, mit durchschnittlich zwölf Opfern pro Tag.

Besonders besorgniserregend ist die Zunahme von Angriffen auf Politiker demokratischer Parteien - mindestens 77 wurden 2024 Ziel rechtsextremer Gewalt. Diese Entwicklung zeigt sich parallel zu einer verstärkten Mobilisierung gegen LGBTQ+-Rechte, besonders im Kontext von Christopher-Street-Day-Veranstaltungen.

Das Bundesinnenministerium berichtet, dass die politisch motivierte Kriminalität 2024 auf dem höchsten Stand seit Beginn der Erfassung 2001 liegt - mit über 84.000 Delikten, davon mehr als die Hälfte aus dem rechten Spektrum.

LGBTQ+-Rechte im Kreuzfeuer

Der Fall Robinson wirft ein Schlaglicht auf die explosive Mischung aus Anti-LGBTQ+-Rhetorik und politischer Gewalt. Charlie Kirk war bekannt für seine scharfe Kritik an Trans-Rechten und geschlechtergerechter Sprache. Seine "Prove Me Wrong"-Debatten auf Universitätscampussen wurden oft zu Schauplätzen hitziger Auseinandersetzungen.

In Deutschland zeigt sich eine ähnliche Dynamik. Die AfD positioniert sich als einzige Bundestagspartei explizit gegen LGBTQ+-Rechte, will Bildungspläne gegen Homo- und Transphobie beenden und das Selbstbestimmungsgesetz abschaffen. Paradoxerweise steht mit Alice Weidel eine lesbische Frau an der Spitze der Partei - ein Widerspruch, der die Komplexität der aktuellen politischen Landschaft verdeutlicht.

Studien zeigen, dass 71% der AfD-Wähler transfeindliche Einstellungen vertreten - der höchste Wert unter allen Parteianhängern. Diese Ablehnung trägt zu einem gesellschaftlichen Klima bei, in dem LGBTQ+-Personen zunehmend als Feindbild dienen.

Die Spirale der Gewalt

Tyler Robinsons Weg von einem unauffälligen Studenten zum mutmaßlichen Attentäter zeigt die Gefahr der Online-Radikalisierung. Anders als frühere politische Gewalttäter radikalisierte er sich nicht auf öffentlichen Kundgebungen, sondern in der digitalen Isolation - ein Phänomen, das Sicherheitsbehörden weltweit beunruhigt.

Die Reaktionen auf die Tat waren vorhersehbar polarisiert. Während einige versuchten, Robinson als Opfer "linker Ideologie" darzustellen, warnten andere vor der Instrumentalisierung der Tragödie. Utah's republikanischer Gouverneur Spencer Cox sprach von "tief verwurzelter linker Ideologie", konnte aber keine konkreten Belege liefern.

Die Todesstrafe als politisches Signal

Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, für Robinson die Todesstrafe zu fordern, wurde von Präsident Trump explizit unterstützt. Diese Forderung steht im Kontext einer Renaissance der Todesstrafe in den USA unter Trumps zweiter Amtszeit - 2025 wurden bereits 31 Hinrichtungen vollzogen.

Die Tragödie zeigt, wie gefährlich die Verbindung von politischer Polarisierung, Online-Radikalisierung und Zugang zu Waffen sein kann. Robinsons Großvater hatte ihm das Gewehr geschenkt, mit dem er Kirk tötete - eine grausame Ironie des amerikanischen Waffenrechts.

Lehren für Deutschland

Der Fall Robinson sollte auch in Deutschland als Warnung verstanden werden. Die Allianz berichtet, dass Deutschland 2024 über 4.000 Proteste und Unruhen verzeichnete - ein Anstieg von 36% gegenüber dem Vorjahr. Die USA und Deutschland führen die Liste der Länder mit den meisten rechtsextremistischen Vorfällen an.

Die zunehmende Verrohung des politischen Diskurses, die Dämonisierung von Minderheiten und die Normalisierung extremer Positionen schaffen ein Klima, in dem Gewalt als legitimes Mittel erscheinen kann. Besonders beunruhigend: Laut der Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung meinen 13% der Deutschen, einige Politiker hätten es "verdient", wenn die Wut gegen sie in Gewalt umschlage.

Die Geschichte von Tyler Robinson und Charlie Kirk ist letztlich die Geschichte zweier junger Männer, die Opfer einer toxischen politischen Kultur wurden - der eine verlor sein Leben, der andere seine Zukunft. Sie mahnt uns, die Spirale von Hass und Gegenhass zu durchbrechen, bevor weitere Tragödien geschehen.

In einer Zeit, in der LGBTQ+-Rechte zunehmend zum Spielball populistischer Politik werden, ist es wichtiger denn je, für Dialog statt Dämonisierung, für Verständnis statt Verhärtung einzutreten. Denn am Ende verlieren in einem Klima des Hasses alle - unabhängig davon, auf welcher Seite sie stehen.


Papst Leo XIV. kritisiert deutsche Segensfeiern – ein Rückschritt für LGBTQ+-Katholiken?

Papst Leo XIV. lehnt die in Deutschland und anderen Ländern Europas eingeführte feierliche Segnung homosexueller Paare ab. Seine kürzlich veröffentlichten Äußerungen in einem Interview mit der US-amerikanischen Vatikan-Korrespondentin Elise Ann Allen haben in Deutschland für Diskussionen gesorgt – besonders vor dem Hintergrund der hart erkämpften Fortschritte des Synodalen Weges.

Widerspruch zur deutschen Reformbewegung

Wörtlich sagte der Papst, die in manchen Ländern eingeführten kirchlichen Segensfeiern verstießen "eindeutig gegen das von Papst Franziskus genehmigte Dokument 'Fiducia supplicans'." In diesem Dokument hatte der Vatikan im Dezember 2023 die Segnung von Menschen in homosexuellen Partnerschaften erstmals überhaupt erlaubt. Zugleich betont das Dokument, dass es sich dabei nicht um feierliche Segnungen wie bei einer Ehe von Mann und Frau handeln dürfe.

Diese Aussagen stehen im krassen Gegensatz zu den Entwicklungen in Deutschland. Der Synodale Weg will Segensfeiern für gleichgeschlechtliche Paare möglich machen. In der katholischen Kirche Deutschlands wird es demnächst offizielle Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare geben. Nach jahrelanger Debatte stimmte das Reformgremium aus Bischöfen und Laien mit großer Mehrheit für die Segnung für alle – gegen den Willen des Vatikans. Das Reformprojekt Synodaler Weg verabschiedete am Freitag in Frankfurt nach einer kontroversen Debatte mit einer Mehrheit von knapp 93 Prozent ein Papier, das empfiehlt, zeitnah angemessene liturgische Feiern zu entwickeln und einzuführen. Von den Bischöfen stimmten knapp 81 Prozent dafür.

"Keine schlechten Menschen" – aber auch keine volle Akzeptanz

Mit Blick auf gleichgeschlechtlich liebende Paare bedeute dies "nicht, dass diese Leute schlechte Menschen sind." Es sei "wichtig, Menschen zu akzeptieren, die anders sind als wir, und zu akzeptieren, dass sie in ihrem Leben Entscheidungen getroffen haben, und dass wir sie respektieren." Diese Formulierung hat bei LGBTQ+-Aktivisten für Kritik gesorgt. Eindeutig widersprechen muss ich der Aussage, dass es wichtig sei "Menschen zu akzeptieren, die anders sind als wir, und zu akzeptieren, dass sie in ihrem Leben Entscheidungen getroffen haben, und dass wir sie respektieren". Niemand entscheidet sich für seine sexuelle Orientierung. Das entspricht nicht den Erkenntnissen der Humanwissenschaften.

Rainer Teuber, Mitgründer der #OutInChurch-Bewegung, hatte die Erwartung oder zumindest die Hoffnung, dass Papst Leo den vorsichtigen und manchmal auch uneindeutigen Kurs seines Vorgängers mutig fortsetzt. In seinem ersten großen Interview zeigte sich Leo XIV. beim Reizthema Sexualität zurückhaltend.

Die deutsche #OutInChurch-Bewegung als Gegenpol

Während der Papst auf traditionelle Positionen beharrt, hat sich in Deutschland eine starke Gegenbewegung formiert. Out in Church ist der Name einer Initiative und eines Manifests von queeren Menschen, die beruflich oder ehrenamtlich in der katholischen Kirche in Deutschland tätig sind. Am 24. Januar 2022 erklärten 125 Personen ihr gemeinsames Coming-out als lesbisch, schwul, bisexuell, transgender, intergeschlechtlich oder nichtbinär, um so „zur Erneuerung der Glaubwürdigkeit und Menschenfreundlichkeit der katholischen Kirche" beizutragen.

Die katholische Sexualmoral soll anhand neuer Erkenntnisse der Humanwissenschaften und der Theologie weiterentwickelt werden, Segnungsfeiern soll es auch für gleichgeschlechtliche Paare geben und die sexuelle Orientierung soll nicht mehr problematisch für das Arbeitsverhältnis sein. Die Initiative hat bereits konkrete Erfolge erzielt: Der Dialog mit der Basis und die innerkirchliche Initiative #OutInChurch sorgte unter anderem auch für Änderungen im Arbeitsrecht, wonach queere Mitarbeitende als "Bereicherung" begrüßt und nicht mehr gekündigt werden.

Deutschlands Sonderweg sorgt für Spannungen

Während es vor allem in Afrika von Bischöfen radikal abgelehnt wurde, entwickelten einige Bistümer in Deutschland und Belgien die Idee deutlich weiter und erlaubten feierliche Segnungen homosexueller Paare in der Kirche. Diese unterschiedlichen Positionen innerhalb der Weltkirche führen zu erheblichen Spannungen.

Alle LGBTQ-Themen führten zu einer Polarisierung in der Kirche; dies wolle er nicht vorantreiben, so der Papst. Die traditionelle Familie aus Vater, Mutter und Kindern müsse wieder anerkannt und gestärkt werden, sie habe in den vergangenen Jahrzehnten "manchmal gelitten." Er teile die Einschätzung aus anderen Erdteilen, dass westliche Gesellschaften derzeit zu sehr fixiert seien auf Fragen der sexuellen Identität.

Was bedeutet das für LGBTQ+-Katholiken in Deutschland?

Die Äußerungen des neuen Papstes zeigen deutlich, dass der Vatikan weiterhin auf Konfrontationskurs zu den deutschen Reformbestrebungen geht. Das schon von Papst Franziskus beschworene Bild einer Kirche, die als „Haus" allen Menschen offen steht, wird also auf absehbare Zeit nicht Realität. Dass alle LGBTQ-Themen zu einer Polarisierung in der Kirche führen würden, dass die traditionelle Familie manchmal gelitten habe und deswegen wieder gestärkt werden müsse – das zeigt, wohin die Reise in den nächsten Jahren geht. Letztendlich treibt man aber gerade dadurch die Polarisierung innerhalb der Kirche weiter voran.

Für deutsche Gemeinden, die bereits Segensfeiern durchführen, bedeutet dies eine unsichere Situation. Zwar werde niemandem eine „Verpflichtung zur Leitung solcher Feiern" auferlegt, doch dürfe umgekehrt kein Bischof einem Priester, der solche Segensfeiern vornimmt, disziplinarische Strafen auferlegen. Faktisch haben bereits in allen deutschen Diözesen derartige Segnungen stattgefunden, ohne dass je Konsequenzen bekannt wurden. Bis März 2026 sollen die Segensfeiern offiziell eingeführt werden.

Die deutsche LGBTQ+-Community und ihre Unterstützer in der katholischen Kirche stehen nun vor der Herausforderung, ihre hart erkämpften Fortschritte gegen den Widerstand aus Rom zu verteidigen. Die Debatte lässt sich nicht einfach so beenden. Die Forderungen nach einer Änderung der kirchlichen Sexualmoral bleiben weiter auf der Tagesordnung der reformorientierten Kräfte. Es bleibt abzuwarten, ob die deutschen Bistümer ihren eingeschlagenen Weg trotz päpstlicher Kritik fortsetzen werden.


US-Senatoren beider Parteien kämpfen gemeinsam für die Wiederherstellung der LGBTQ+-Jugend-Suizidhotline

Eine seltene parteiübergreifende Initiative im US-Senat wirft ein Schlaglicht auf die dringende Notwendigkeit von Suizidpräventionsdiensten für LGBTQ+-Jugendliche – ein Thema, das auch in Deutschland von höchster Relevanz ist. Die demokratische Senatorin Tammy Baldwin und die republikanische Senatorin Lisa Murkowski haben gemeinsam einen Gesetzentwurf eingebracht, der die Wiederherstellung der spezialisierten LGBTQ+-Dienste der 988 Suicide & Crisis Lifeline vorsieht, wie PinkNews berichtet.

Ein lebensrettender Dienst wurde geschlossen

Die Trump-Administration möchte die Finanzierung für spezialisierte Dienste für LGBTQ+-Jugendliche auf der 988 Suicide and Crisis Lifeline kürzen. Während jeder in einer psychischen Krise 988 anrufen oder eine Textnachricht senden und mit einem geschulten Berater verbunden werden kann, verfügt die Leitung über speziell geschulte Berater, oft mit ähnlichen Lebenserfahrungen, für Hochrisikogruppen wie Veteranen und LGBTQ+-Jugendliche. Die spezialisierte Hotline, bekannt als die "Press 3"-Option, bot seit 2022 Notfallunterstützung für gefährdete LGBTQ+-Jugendliche an, indem sie diese mit geeigneten Suizidpräventionsorganisationen verband.

Seit ihrer Einführung im Jahr 2022 haben die spezialisierten LGBTQ+-Jugendlichen-Dienste der 988 Suicide & Crisis Lifeline fast 1,3 Millionen Krisenkontakte mit lebensrettenden, LGBTQ+-inklusiven Krisendiensten verbunden. Die Schließung im Juli 2025 unter der Trump-Administration wurde von Unterstützungsorganisationen als "verheerender Schlag" für bedürftige junge Menschen bezeichnet.

Die erschreckende Realität: Suizidraten unter LGBTQ+-Jugendlichen

Die Statistiken sprechen eine deutliche Sprache: Suizid ist die zweithäufigste Todesursache bei jungen Menschen im Alter von 10 bis 14 Jahren und die dritthäufigste Todesursache bei 15- bis 24-Jährigen. LGBTQ+-Jugendliche sind mehr als viermal so wahrscheinlich, einen Suizidversuch zu unternehmen als ihre Altersgenossen. Das Trevor Project schätzt, dass mehr als 1,8 Millionen LGBTQ+-Jugendliche in den Vereinigten Staaten jedes Jahr ernsthaft über Suizid nachdenken, und mindestens einer versucht alle 45 Sekunden Suizid.

Diese alarmierenden Zahlen sind kein amerikanisches Phänomen. In Deutschland haben laut EU-Grundrechteagentur (FRA) bereits 14% aller LGBTIQ-Personen einen Suizidversuch hinter sich. Bei trans* Jugendlichen sind es international sogar bis zu 50%. Trans Personen haben die höchsten Raten an Suizidversuchen: 28% bei trans Männern und 26% bei trans Frauen. Die Suizidversuchsrate bei trans Jugendlichen liegt international bei 30% bis 50%.

Die deutsche Perspektive: Parallelen und Lücken

Während in den USA um die Wiederherstellung der spezialisierten Hotline gekämpft wird, zeigt sich in Deutschland ein gemischtes Bild. Die „Nummer gegen Kummer" bietet zwar anonyme und kostenfreie Beratung für Kinder und Jugendliche unter 116 111 an, jedoch fehlt eine spezialisierte Beratung für LGBTQ+-Jugendliche, wie sie in den USA durch die "Press 3"-Option angeboten wurde.

Die „Nationale Suizidpräventionsstrategie" des Bundesgesundheitsministeriums – ein Ampel-Projekt unter Karl Lauterbach – benennt zwar LSBTIQ*-Personen explizit als Risikogruppe, doch es fehlt ihr an verbindlichen Maßnahmen, gesicherter Finanzierung und der Bereitschaft, ein bundesweites Suizidpräventionsgesetz zu verabschieden.

In Deutschland existiert ein Netz von Hilfsangeboten, das jedoch oft fragmentiert und nicht ausreichend auf die spezifischen Bedürfnisse von LGBTIQ*-Personen zugeschnitten ist. Zu den allgemeinen, nationalen Angeboten gehören die Telefonseelsorge, die Nummer gegen Kummer für Kinder und Jugendliche sowie Fachverbände wie die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention (DGS) und das Nationale Suizidpräventionsprogramm (NaSPro). Daneben gibt es eine Reihe von LGBTIQ*-spezifischen Beratungsstellen, die oft von Vereinen und Community-Organisationen getragen werden, aber regional sehr ungleich verteilt sind.

Politischer Widerstand und gesellschaftliche Verantwortung

Der Gesetzentwurf von Baldwin und Murkowski, der '988 LGBTQ+ Youth Access Act', zielt darauf ab, nicht nur den Dienst wiederherzustellen, sondern auch sein Existenzrecht im Bundesrecht zu verankern. Senatorin Baldwin betonte, dass es "absolut keinen guten Grund" für die Schließung des spezialisierten Dienstes gebe und rief alle Senatoren auf, die Wiedereinführung zu unterstützen.

Die parteiübergreifende Unterstützung in den USA zeigt, dass Suizidprävention für LGBTQ+-Jugendliche kein parteipolitisches Thema sein sollte. Mehr als 100 Mitglieder des US-Kongresses aus beiden Parteien hatten bereits vor der Schließung einen offenen Brief unterzeichnet, in dem sie die Regierung aufforderten, die "kurzsichtige" und "gefährliche" Entscheidung zu überdenken.

Was Deutschland von der amerikanischen Debatte lernen kann

Die Entwicklungen in den USA sollten als Weckruf für Deutschland dienen. Lesbische, schwule, bisexuelle, trans und queere Jugendliche („LGBTQ+") sind stärker gefährdet als ihre heterosexuellen und cis Altersgenoss:innen, mindestens einmal in ihrem Leben einen Suizidversuch zu begehen. Evidenzbasierte suizidpräventive Zugänge und Modelle für LGBTQ+-Jugendliche fehlen jedoch.

Das Respektieren von Pronomen bei trans Jugendlichen kann die Rate an Suizidversuchen um 50% senken. Das ist keine Randnotiz. Es ist eine lebensrettende Intervention. Diese einfache, aber wirkungsvolle Maßnahme zeigt, wie wichtig spezialisierte, sensibilisierte Unterstützung für LGBTQ+-Jugendliche ist.

Die deutsche Politik steht vor der Aufgabe, ähnlich wie ihre amerikanischen Kollegen, parteiübergreifend zu handeln. Ein Suizidpräventionsgesetz mit zweckgebundener Finanzierung für queere Hilfsangebote muss sofort verabschiedet werden. Die Erfahrungen aus den USA zeigen, dass spezialisierte Dienste Leben retten – in den ersten Monaten vor der Schließung erreichte die Antwortrate der amerikanischen LGBTQ+-Hotline 92 Prozent.

Ein Aufruf zum Handeln

Die gemeinsame Initiative der amerikanischen Senatoren Baldwin und Murkowski sendet ein starkes Signal: Der Schutz gefährdeter LGBTQ+-Jugendlicher sollte über Parteigrenzen hinweg Priorität haben. Laurel Stine von der American Foundation for Suicide Prevention betonte, dass spezialisierte Betreuung, die LGBTQ+-Identitäten und -Themen versteht, "lebensrettend" sein kann.

Deutschland hat die Chance, aus den amerikanischen Erfahrungen zu lernen und proaktiv zu handeln. Die Einrichtung einer spezialisierten LGBTQ+-Option bei der "Nummer gegen Kummer" oder einer eigenständigen Hotline könnte buchstäblich Leben retten. Es ist wissenschaftlich erwiesen: Diese erschütternden Zahlen sind keine Folge des Queer-Seins, sondern der gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen wir leben.

Während in den USA um die Wiederherstellung bereits bestehender Dienste gekämpft wird, hat Deutschland die Möglichkeit, von Anfang an richtig zu handeln. Die Frage ist nicht, ob wir uns spezialisierte Suizidpräventionsdienste für LGBTQ+-Jugendliche leisten können – die Frage ist, ob wir es uns leisten können, sie nicht zu haben.


Der ESC wird zum politischen Minenfeld: Deutschland droht mit Boykott – LGBTQ+ Community sorgt sich um ihr wichtigstes Festival

Der Eurovision Song Contest 2026 in Wien droht zur größten Zerreißprobe in der Geschichte des Musikwettbewerbs zu werden. Trotz der Boykott-Drohungen mehrerer Länder will Israel weiterhin am Eurovision Song Contest 2026 teilnehmen. CDU-Politiker Steffen Bilger fordert nun, dass Deutschland ebenfalls den Wettbewerb boykottieren solle – allerdings aus dem entgegengesetzten Grund: "Ich finde, wenn Israel ausgeschlossen wird, dann können wir da nicht mehr dabei sein, ganz klar", sagte Bilger im RTL/ntv-"Frühstart". Diese Eskalation trifft besonders die LGBTQ+ Community, für die der ESC seit Jahrzehnten mehr als nur ein Musikwettbewerb ist. Das berichtet queer.de.

Ein Festival der Vielfalt in Gefahr

Der Eurovision Song Contest hat eine einzigartige Bedeutung für die queere Community. Der Eurovision Song Contest hat eine lange bestehende Fanbase in der LGBTQ-Community, und die Veranstalter haben aktiv daran gearbeitet, diese Fans seit den 1990er Jahren einzubeziehen. Nach dem Wettbewerb 2025 haben LGBTQ-Teilnehmer 12 Mal gewonnen, einschließlich sechs der letzten acht ausgetragenen Wettbewerbe.

Der ESC hatte von Anfang an einen Hang zu Camp, zu Kitsch und Glitzer. Das sind ästhetische Formen, die in der queeren Community oder damals in der schwulen Szene auf ein großes Interesse gestoßen sind. Die Kulturwissenschaftlerin Christine Lötscher erklärt diese besondere Verbindung: In einem ästhetischen Sinne ist Queersein Camp. Man unterwirft sich nicht den Geschmacksurteilen einer bildungsbürgerlichen Mehrheit, sondern spielt ganz bewusst mit dem, was marginalisiert und ausgeschlossen ist.

Die politische Dimension der Boykottdrohungen

Die Sender von Irland und den Niederlanden hatten in dem Fall jüngst mit einem Boykott gedroht. Sie stellten zugleich in Aussicht, anzutreten, sollte Israel dem Wettbewerb fernbleiben. Auch Slowenien hatte durchblicken lassen, dass das Land bei einer Teilnahme Israels nicht dabei sein werde. Auch andere ESC-Teilnehmerländer sehen eine Teilnahme Israels kritisch, darunter Spanien und Belgien.

Die niederländischen Organisatoren AVROTROS begründen ihre Position klar: "AVROTROS kann die Teilnahme Israels in der heutigen Situation angesichts des anhaltenden und schweren menschlichen Leidens in Gaza nicht länger verantworten". Nach Darstellung des niederländischen TV-Senders soll die israelische Regierung bei dem ESC in Basel 2025 Einfluss ausgeübt haben. Der Eurovision Song Contest sei als politisches Instrument benutzt worden.

Wien als Gastgeber unter Druck

Der Eurovision Song Contest 2026 findet in der österreichischen Bundeshauptstadt Wien statt. Das teilte ORF-Generaldirektor Roland Weißmann am Mittwochmorgen in der Radiosendung "Ö3-Wecker" mit. Das Finale wird demnach am 16. Mai in der Wiener Stadthalle veranstaltet, die zwei Halbfinal-Shows am Dienstag und Donnerstag zuvor. Die Stadt hat bereits Erfahrung als ESC-Gastgeber: Österreich hatte bereits zwei Mal den Eurovision Song Contest veranstaltet, beide Male in Wien. 1967 fand er nach dem Sieg von Udo Jürgens ("Merci Cherie") im Großer Festsaal der Wiener Hofburg statt, 2015 nach Conchita Wursts Triumph mit "Rise Like a Phoenix" diente bereits die Stadthalle als Austragungsort.

Der österreichische Sender ORF hat sich als Gastgeber des ESC 2026 bereits eindeutig für eine Teilnahme Israels ausgesprochen. Anlässlich des Musikfestivals und seiner vielen queeren Fans installierte die Stadt mehrere Ampeln mit gleichgeschlechtlichen und verschiedengeschlechtlichen Pärchen. Das Beispiel machte Schule. Inzwischen gibt es die Ampelpärchen nicht nur in vielen deutschen Städten, sondern auch in Spanien, Großbritannien und sogar in Australien.

Bilgers Antisemitismus-Warnung

CDU-Politiker Steffen Bilger sieht in den Boykottdrohungen gegen Israel ein größeres Problem. "Was man in Europa zurzeit erlebe, 'dass ein Orchester nicht auftreten kann, weil der Dirigent ein Jude ist, dass ein Radrennen in Spanien nicht mehr durchgeführt werden kann, dass man über Boykott eines Gesangswettbewerbs redet, weil da Israel dabei ist – das sind schon ganz bedenkliche Entwicklungen'", sagte er. Der Politiker ist Mitglied im CDU-Bundesvorstand und Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag.

Gleichzeitig betonte Bilger, "das Leid in Gaza werde von der Bundesregierung klar angesprochen. 'Das spricht auch Bundeskanzler Merz, Außenminister Wadephul sehr deutlich an, und wir ziehen da auch unsere Konsequenzen.'" Diese Äußerung verwirrt allerdings, da weder Friedrich Merz Bundeskanzler noch Johann Wadephul Außenminister ist – möglicherweise spricht Bilger hier von zukünftigen Positionen nach der Bundestagswahl 2025.

Die queere Community in der Zwickmühle

Für die LGBTQ+ Community ist die aktuelle Situation besonders schwierig. Eurovision ist seit langem ein Zufluchtsort – ein glänzendes Leuchtfeuer – für die LGBTQIA+ Community. Es geht nicht nur um die Musik; es geht um Sichtbarkeit, Akzeptanz und die kompromisslose Feier des Selbst. Der Wettbewerb hat sich zu einem kulturellen Prüfstein für queere Menschen entwickelt und bietet eine Plattform, auf der Authentizität heller strahlt als jedes Bühnenlicht.

Paul Oscar wurde 1997 der erste offen schwule Künstler des Wettbewerbs, als er Island vertrat. Katrina Leskanich, die 1997 als Leadsängerin der Gruppe Katrina and the Waves das Vereinigte Königreich vertrat und gewann, outete sich später. Dana International, die 1998 Israel vertrat, war die erste trans Darstellerin des Wettbewerbs und wurde die erste trans Künstlerin, die den Wettbewerb gewann.

Die politische Instrumentalisierung des ESC stellt die queere Community vor ein Dilemma: Einerseits ist der Wettbewerb ein wichtiges Symbol für Vielfalt und Akzeptanz, andererseits sind viele in der Community auch sensibel für Menschenrechtsfragen. "Wir akzeptieren diese Doppelmoral gegenüber Israel nicht", schreiben 72 ESC-Künstlerinnen und Künstler, darunter auch Nemo. Im vergangenen Jahr hat Nemo den ESC für die Schweiz gewonnen.

Die Zukunft des ESC steht auf dem Spiel

Seit Ausbruch des Gaza-Krieges 2023 überschattet der Nahost-Konflikt den erklärt unpolitisch konzipierten ESC. Sowohl beim Wettbewerb in Malmö 2024 als auch in Basel 2025 gab es israelkritische Demonstrationen auf den Straßen und vereinzelt auch Pfiffe und Buhrufe im Saal gegen Israels Acts.

Die Europäische Rundfunkunion (EBU) steht vor einer schwierigen Entscheidung. Die Veranstalterin - die Europäische Rundfunkunion - sucht mit den Kritikern Israels nach einem Kompromiss. Eine endgültige Entscheidung über die Teilnahme Israels soll im Dezember fallen.

Für Deutschland liegt die Verantwortung beim Südwestrundfunk (SWR), der nach 30 Jahren die Federführung vom NDR übernommen hat. Auf Anfrage verweist der Sender auf Werte wie "Vielfalt, Respekt und Offenheit, unabhängig von Herkunft, Religion oder Weltanschauung". Noch hat sich die ARD nicht zu Bilgers Boykott-Forderung geäußert.

Der ESC 2026 könnte zu einem Wendepunkt werden – nicht nur für den Wettbewerb selbst, sondern auch für die queere Community, die in ihm seit Jahrzehnten einen Safe Space und eine Plattform für Sichtbarkeit gefunden hat. Es ist ein Ort, an dem ein junges queeres Kind jemanden wie sich selbst auf der Bühne sehen und sich ein bisschen weniger allein fühlen kann. Für viele queere Fans ist Eurovision nicht nur ein Wettbewerb – es ist eine Lebensader.


Papst Leo XVI. bremst Reformhoffnungen – Ein Rückschlag für Deutschlands queere Katholiken

Ein neues Interview mit Papst Leo XVI. macht deutlich: Der seit vier Monaten amtierende Pontifex will bei den drängenden Fragen zu LGBTQ-Rechten, Frauenämtern und dem Missbrauchsskandal keine grundlegenden Reformen vorantreiben. Dabei hatten einige LGBTQ-Seelsorger wie der bekannte US-Jesuit James Martin nach einem Treffen mit dem neuen Papst noch von einer offenen Haltung gegenüber queeren Katholiken berichtet. Doch das nun veröffentlichte Interview zeigt ein anderes Bild.

Keine Lehränderungen in Sicht

„Wir müssen unsere Einstellungen ändern, bevor wir überhaupt daran denken können, die Haltung der Kirche zu einer bestimmten Frage zu ändern", wird Leo XVI. in dem Buch „Papst Leo XIV: Weltbürger, Missionar des 21. Jahrhunderts" zitiert. Es sei „höchst unwahrscheinlich, zumindest in naher Zukunft", dass sich die Kirchenlehre zu Sexualität oder Ehe ändern werde. Der Papst betonte seine Unterstützung für die „traditionelle Familie", die aus „Vater, Mutter und Kindern" bestehe.

Diese Aussagen stehen in deutlichem Kontrast zu den Erwartungen, die Martin nach seiner Audienz mit dem Papst geäußert hatte: „Ich habe die gleiche Botschaft von Papst Leo gehört, die ich von Papst Franziskus gehört habe, nämlich den Wunsch, alle Menschen willkommen zu heißen, auch LGBTQ-Angehörige". Über 1.000 queere Katholiken aus rund 30 Ländern waren im September erstmals offiziell zum Heiligen Jahr nach Rom gepilgert.

Warnung vor Polarisierung

Leo XVI. distanziert sich bewusst von seinem Vorgänger Franziskus, der trotz aller Widersprüchlichkeiten zumindest symbolische Öffnungen wagte. Franziskus hatte mehr als jeder seiner Vorgänger versucht, die katholische Kirche für LGBTQ+-Angehörige zugänglich zu machen und beispielsweise Priestern die Erlaubnis erteilt, gleichgeschlechtliche Paare zu segnen. Leo hingegen warnt davor, „die Polarisierung in der Kirche weiter zu verstärken" und kritisiert kirchliche Gruppen in Nordeuropa, die bei Segnungen über die Vatikan-Richtlinien hinausgingen.

Besonders enttäuschend für deutsche Reformkatholiken: Der Papst nimmt explizit Bezug auf den Synodalen Weg, der seit 2019 in Deutschland um Reformen ringt. Die Beteiligten hatten sich bewusst mit den vier brisanten Themen Macht und Machtteilung, Priesterbild, Sexualmoral und Stellung der Frauen in der Kirche befasst. Während diese erste Arbeitsetappe im März 2023 endete, geht es jetzt um die Umsetzung der als notwendig erkannten Reformschritte, die in Deutschland zu einer synodaleren Kirche führen sollen.

Deutsche Kirche zwischen Hoffnung und Ernüchterung

Die Reaktionen in Deutschland zeigen die tiefe Spaltung: Die Handreichung „Segen gibt der Liebe Kraft" wurde von der Gemeinsamen Konferenz aus Deutscher Bischofskonferenz und Zentralkomitee der deutschen Katholiken erarbeitet. Katholische Segensfeiern für Homosexuelle sind möglich, aber nicht überall – der Wohnort entscheidet über den Segen der Kirche. Während Bistümer wie Mainz, Speyer und Würzburg Segensfeiern befürworten, lehnt das Erzbistum Köln die Handreichung ab und verweist auf römische Vorgaben.

Queere Katholiken fordern von der Kirche ein offizielles liturgisches Format zur Segnung gleichgeschlechtlicher Beziehungen. „Wir würden es gerne mit unserer Gemeinde, mit unserer Familie und unserem Freundeskreis in einer eigenen Feier begehen", sagt Rainer Teuber vom Essener Dom. Die Initiative #OutInChurch, bei der sich über 125 kirchliche Mitarbeitende als queer geoutet haben, kämpft weiter für ein Ende der institutionellen Diskriminierung.

Missbrauchsaufarbeitung wird zur Nebensache

Besonders alarmierend ist Leos Haltung zum Missbrauchsskandal. Der sexualisierte Missbrauch von Kindern durch Priester sei zwar eine „echte Krise", solle während seines Pontifikats aber „nicht zum zentralen Thema der Kirche werden". Beschuldigte sollten bis zum Nachweis ihrer Schuld „geschützt" werden. Diese Aussagen stehen in krassem Gegensatz zu den Forderungen von Betroffenenverbänden und Reformgruppen, die eine schonungslose Aufarbeitung verlangen.

„Deshalb braucht es jetzt alle Aufmerksamkeit und Anstrengung, um die von Papst Franziskus propagierte Synodalität wirklich zu verankern. Die problematischen kirchlichen Strukturen, die zu Missbrauch und Vertrauensverlust geführt haben, müssen dauerhaft korrigiert werden", fordern katholische Reformgruppen.

Ein Papst gegen den Zeitgeist

Als er noch Bischof in Peru war, hatte Leo XVI. die „westlichen Massenmedien" beschuldigt, „Sympathie für Überzeugungen und Praktiken zu wecken, die im Widerspruch zum Evangelium stehen – beispielsweise Abtreibung, homosexueller Lebensstil, Euthanasie". 2012 beklagte er als Generalprior des Augustinerordens, dass westliche Medien „den homosexuellen Lebensstil" und „alternative Familien, bestehend aus gleichgeschlechtlichen Partnern und ihren Adoptivkindern" förderten.

Mit diesen Positionen sendet Leo XVI. ein fatales Signal an queere Katholiken weltweit. Während Länder wie Deutschland mühsam um Reformen ringen und Theologen betonen, dass Menschen mit ihrer Identität in keinem Land der Welt von der katholischen Kirche diskriminiert werden sollten, scheint der neue Papst den Kurs zurückdrehen zu wollen.

Die deutschen Katholiken stehen nun vor einer schwierigen Entscheidung: Setzen sie ihren Reformweg trotz päpstlichem Gegenwind fort? Der Synodale Ausschuss arbeitet weiter an dauerhafter Mitbestimmung durch einen Synodalen Rat – es geht um die Rolle von Frauen und die Zukunft des Priesteramts, um die kirchliche Sexuallehre, um Machtstrukturen. Doch ohne Rückendeckung aus Rom drohen alle Reformbemühungen zu verpuffen. Für queere Gläubige bleibt die bittere Erkenntnis: Der erhoffte Wandel unter einem neuen Papst bleibt vorerst aus.


Putins "Anti-ESC": Russlands Kulturkampf gegen Vielfalt und Menschenrechte

Russland inszeniert mit dem Intervision Song Contest eine kulturelle Gegenveranstaltung zum Eurovision Song Contest (ESC), bei der ohne "jede Zensur" musikalische Traditionen präsentiert werden sollen, allerdings mit der expliziten Garantie, dass es "keine Perversionen und Verhöhnungen der menschlichen Natur geben wird". Der Wettbewerb findet am 20. September 2025 in der Live Arena nahe Moskau statt, wo 23 Länder teilnehmen werden. Diese Veranstaltung ist mehr als nur ein Musikwettbewerb – sie ist ein Symbol für Russlands aggressiven Kulturkampf gegen LGBTQ+-Rechte und westliche Werte.

Ein Wettbewerb auf Befehl von oben

Der russische Präsident Wladimir Putin ordnete den Wettbewerb per Dekret an, wobei der stellvertretende Premierminister Dmitry Chernyshenko zum Vorsitzenden des Organisationskomitees ernannt wurde. Die Veranstaltung ist Teil einer umfassenden kulturpolitischen Strategie, die "auf die Bewahrung von Traditionen - kulturellen, religiösen, spirituellen, ethischen gerichtet" ist. Sergej Kirijenko, der einflussreiche Vizechef der Präsidialverwaltung, rechnete vor, dass die Intervision-Teilnehmerländer 4,3 Milliarden Menschen zählen - mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung.

Für Russland tritt der ultranationalistische Sänger Jaroslaw Dronow alias Shaman auf, der vor allem durch das nationalistische Lied "Ja Russki" (deutsch: Ich bin Russe) bekannt wurde, das wenige Monate nach Kriegsbeginn veröffentlicht wurde. Er ist klarer Befürworter der Invasion, hat sich als Anhänger Putins geäußert und tritt häufig bei von der russischen Obrigkeit organisierten Konzerten auf. Er steht auf der EU-Sanktionsliste.

Der Kontrast zum ESC könnte größer nicht sein

Während beim ESC 2024 der nonbinäre Act Nemo aus der Schweiz mit dem Song "The Code" gewann und damit als erste nonbinäre Person den ESC für sich entschied, macht Russland unmissverständlich klar, dass solche Darstellungen bei der Intervision nicht erwünscht sind. Das gelebte Bekenntnis zu Vielfalt und Queerness waren Russland – wo die LGTBQ-Bewegung als extremistische Organisation eingestuft ist – immer ein Dorn im Auge.

Die belarussische Teilnehmerin Nastja Krawtschenko brachte die Haltung der Veranstalter auf den Punkt: Sie sei sicher, dass keine "Freakshow" zugelassen werde und es "so etwas wie Männer in hohen Schuhen nicht geben werde". Diese Aussagen stehen in krassem Gegensatz zur Offenheit des ESC, wo 2014 der schwule Sänger Tom Neuwirth als Conchita Wurst für Österreich gewann.

Russlands verschärfte Anti-LGBTQ+-Gesetzgebung

Die Intervision ist eingebettet in Russlands immer repressivere Gesetzgebung gegen LGBTQ+-Menschen. Seit September 2025 gilt ein Extremismusgesetz, das den LGBTQ-Themenkomplex als extremistisch einstuft. Damit steht seitdem alles unter Strafe, was die Verbreitung von LGBTQ-Inhalten betrifft (Filme, Musik, Bücher, Social-Media-Beiträge). Auch Internetrecherchen zu LGBTQ-Informationen stehen seitdem unter Strafe.

Der Oberste Gerichtshof stufte 2023 die internationale LGBTQ+-Community als "extremistische Organisation" ein und öffnete damit Tür und Tor für die willkürliche Verfolgung und Inhaftierung von LGBTQ+-Personen und allen, die ihre Rechte verteidigen. Diese Entwicklung markiert einen dramatischen Rückschritt für die Menschenrechte in Russland.

Die gesellschaftlichen Auswirkungen dieser Politik sind verheerend. Forschungen zeigen, dass zwischen 2010 und 2020 insgesamt 1.056 Hassverbrechen gegen 853 Personen festgestellt wurden, die in 365 Fällen tödlich endeten. Die Anzahl solcher Verbrechen ist nach der Verabschiedung des "Anti-Propaganda-Gesetzes" 2013 dreifach höher als in der Zeit davor.

Deutsche Perspektive: Gleichberechtigung als Grundrecht

Der Kontrast zu Deutschland könnte kaum größer sein. Seit dem 1. Oktober 2017 dürfen gleichgeschlechtliche Paare in Deutschland heiraten, und jede Person darf ihre sexuelle Identität und Geschlechts-Identität frei ausleben. Das Gesetz beschützt lesbische, schwule, bisexuelle, transgender, queere, nicht-binäre, pan-sexuelle, polysexuelle, intersexuelle und asexuelle Menschen.

Die Pride-Bewegung in Deutschland zeigt die lebendige LGBTQ+-Community des Landes. Zwischen April und September werden zahlreiche Christopher Street Days (CSDs) organisiert, wobei die größten Events in Köln und Berlin stattfinden. Allerdings gibt es auch hier Herausforderungen: Pride-Veranstaltungen werden immer wieder Ziel von gewalttätigen Übergriffen – wie beim CSD in Bautzen im Jahr 2024 durch rechtsextreme Gruppen. Im Rahmen des CSD in Münster im Jahr 2022 wurde ein trans Mann sogar tödlich verletzt.

Diese Vorfälle mahnen uns, dass der Kampf für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung auch in Deutschland noch nicht gewonnen ist. Umso wichtiger ist es, sich gegen autoritäre Modelle wie Russlands Intervision zu positionieren und die hart erkämpften Rechte zu verteidigen.

Kulturkampf statt Völkerverständigung

Die Intervision offenbart Russlands Versuch, eine "kulturelle Gegengewicht" zum Eurovision Song Contest zu schaffen, der liberale und westliche Werte repräsentiere. Doch während der ESC unter dem Motto "United by Music" Menschen zusammenbringt, spaltet die Intervision durch ihren expliziten Ausschluss von LGBTQ+-Personen und ihre nationalistische Agenda.

Die Teilnehmerliste spiegelt diese geopolitische Dimension wider: Das einzige Land, das beim ESC und in Moskau antritt, ist Serbien. Weitere Teilnehmer sind Russlands enger Verbündeter Belarus und China sowie Musiker aus Indien, Südafrika, Ägypten oder Kuba. Die überraschende Teilnahme eines US-amerikanischen Sängers wirkt dabei eher wie ein verzweifelter Versuch, internationale Legitimität zu erlangen.

Was können wir tun?

Russlands Intervision Song Contest ist mehr als nur eine musikalische Veranstaltung – es ist ein Angriff auf universelle Menschenrechte und die Würde von LGBTQ+-Menschen weltweit. Als deutsche und europäische Gesellschaft müssen wir:

  • Solidarität mit verfolgten LGBTQ+-Menschen in Russland zeigen
  • Unsere eigenen Hart erkämpften Rechte verteidigen und weiter ausbauen
  • Die internationale Zusammenarbeit für LGBTI-Rechte stärken
  • Geflüchtete LGBTQ+-Menschen aus Russland unterstützen

Der wahre Gewinner im Kulturkampf zwischen ESC und Intervision sind nicht die Künstler*innen auf der Bühne, sondern die Werte, die wir als Gesellschaft verteidigen. Während Russland Mauern der Intoleranz errichtet, müssen wir Brücken der Akzeptanz bauen – nicht nur beim Eurovision Song Contest, sondern jeden Tag.


Britische Unternehmen warnen: Trans-Toilettenverbot wäre "unworkable" - Was bedeutet das für Deutschland?

Mehr als 650 britische Unternehmen und Organisationen haben sich in einem offenen Brief gegen ein mögliches Verbot für trans Menschen beim Zugang zu geschlechtsspezifischen Räumen ausgesprochen. Die Warnung richtet sich an die britische Regierung, die derzeit über neue Richtlinien der Equality and Human Rights Commission (EHRC) berät. Diese könnten trans Menschen faktisch von Toiletten und anderen Einrichtungen ausschließen, die ihrer Geschlechtsidentität entsprechen. Der Fall zeigt eindrücklich, wie Wirtschaft und Politik beim Thema Trans-Rechte aufeinanderprallen – und wirft auch für Deutschland wichtige Fragen auf. Den vollständigen Artikel finden Sie auf PinkNews.

Unternehmen als unfreiwillige "Gender-Polizei"

Zu den Unterzeichnern gehören bekannte Marken wie Ben & Jerry's, Lucy & Yak und Lush Cosmetics, die in dem von Trans+ Solidarity Alliance und Safe Space UK verfassten Brief an die Minister Peter Kyle und Bridget Phillipson erklären, dass solche Richtlinien "inkompatibel" mit ihren Unternehmenswerten seien. Die Unternehmen befürchten, dass sie zu einer Art "Gender-Polizei" werden könnten, deren Mitarbeiter gezwungen wären, intime Fragen über das biologische Geschlecht ihrer Kund:innen zu stellen.

Ein Sprecher des Londoner Pubs The Old Nun's Head, einer der Unterzeichner, betonte, dass ihr Lokal "noch nie Probleme mit den Toiletten" hatte und die EHRC-Vorgaben eine "Verschwendung von Ressourcen" wären. Das Personal müsste von seinen "wesentlichen Aufgaben" abgezogen werden, um stattdessen "die Toilettennutzung zu überwachen". Dies würde zusätzliche Personalkosten verursachen, die gerade für kleine Unternehmen eine erhebliche Belastung darstellen würden.

Wirtschaftliche Risiken und internationale Bedenken

Safe Space UK-Gründerin Carys Daniels warnte, dass die Zwangsmaßnahmen für Organisationen, die jahrelang "einladende und sichere" Räume aufgebaut haben, nicht nur das Vertrauen untergraben und ihre Werte schädigen, sondern auch finanzielle Risiken mit sich bringen würden. "Unternehmen wissen, dass Inklusion nicht nur das Richtige ist, sondern auch für den langfristigen wirtschaftlichen Erfolg essentiell ist", sagte sie. "Die Entwurfsvorschläge würden einen Konflikt zwischen dem erzwingen, von dem Unternehmen wissen, dass es richtig ist, und dem, was sie gezwungen wären durchzusetzen."

Forschungen der Harvard Business Review aus dem Jahr 2023 zeigen, dass Inklusivität nicht nur die Moral unter den Mitarbeitern verbessert, sondern auch die Leistung steigern kann. Eine weitere Studie aus dem Jahr 2020 ergab, dass Unternehmen, die sich auf Diversität und Inklusion konzentrieren, typischerweise finanziell besser abschneiden. Diese Erkenntnisse unterstreichen die wirtschaftliche Bedeutung einer inklusiven Unternehmenspolitik.

Die internationale Dimension der Debatte zeigt sich auch darin, dass die Lemkin Institute, eine Organisation zur Genozidprävention, die Vereinten Nationen aufgefordert hat, die EHRC wegen ihrer Behandlung von trans Menschen herabzustufen. Die Organisation argumentiert, dass die EHRC, sollte sie an ihren Vorschlägen festhalten, "erfolgreich trans und intergeschlechtliche Menschen im Vereinigten Königreich undemokratisch ihrer grundlegenden Menschenrechte und Würde beraubt" hätte.

Die deutsche Perspektive: Selbstbestimmung statt Ausgrenzung

Während in Großbritannien über Ausschlüsse debattiert wird, hat Deutschland mit dem Selbstbestimmungsgesetz einen anderen Weg eingeschlagen. Das Gesetz, das zum 1. November 2024 in Kraft tritt, beendet nach vierzig Jahren Diskriminierung durch das "Transsexuellengesetz" und markiert einen Paradigmenwechsel hin zu geschlechtlicher Selbstbestimmung. Trans*, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen werden bei der Änderung ihres Vornamens und Geschlechtseintrags endlich nicht mehr fremdbegutachtet und als krank betrachtet.

Die Toilettenfrage wird in Deutschland ebenfalls diskutiert, allerdings mit unterschiedlichen Ansätzen. Seit der Schaffung des Geschlechtseintrags "divers" 2018 rückt die Frage nach geschlechtergerechten Sanitärräumen zunehmend in die öffentliche Aufmerksamkeit. Um eine gleichberechtigte Teilhabe für trans*, inter* und nicht-binäre Menschen an allen Bereichen des öffentlichen Lebens zu gewährleisten, ist ein diskriminierungsfreier Zugang zu Sanitärräumen notwendig. Es muss auch für sie möglich sein, öffentliche Toiletten ohne Stress und Angst aufzusuchen.

Allerdings gibt es auch in Deutschland Gegenstimmen. Die Initiative "Geschlecht zählt" hat erfolgreich gegen Pläne gekämpft, Frauentoiletten abzuschaffen und Unisex-Toiletten zur Regel zu machen – ein Beispiel dafür, wie Feministinnen sich gegen die Versuche der Translobby zur Wehr setzen, Frauenrechte auszuhebeln. Diese Debatte zeigt die Spannungen zwischen verschiedenen Ansätzen zum Umgang mit Geschlechtervielfalt in öffentlichen Räumen.

Deutsche Unternehmen setzen auf Inklusion

Im Gegensatz zur angespannten Situation in Großbritannien zeigen viele deutsche Unternehmen, dass Inklusion und wirtschaftlicher Erfolg Hand in Hand gehen. Die REWE Group wurde 2024 zum dritten Mal in Folge mit dem Pride Champion Arbeitgebersiegel in Gold ausgezeichnet und konnte ihr Ergebnis auf 95,67 Prozent der möglichen Punkte verbessern. Das Siegel zertifiziert Unternehmen, die durch ein ganzheitliches LGBTQIA+ Diversity Management Strukturen schaffen, in denen sich alle Mitarbeiter:innen wertgeschätzt fühlen und einbringen können.

Das unternehmenseigene LGBTQIA+ Netzwerk di.to. unterstützt jede:n dabei, sich bei der REWE Group wohl zu fühlen und ist heute ein starkes Zeichen für Vielfalt und Inklusion. 2024 war die REWE Group gemeinsam mit REWE und PENNY zum zweiten Mal in Folge Hauptsponsor des ColognePride, und DITO nimmt aktiv an Demos in Hamburg, Berlin, Frankfurt und Leipzig teil. Diese sichtbare Unterstützung zeigt, wie Unternehmen aktiv zur gesellschaftlichen Akzeptanz beitragen können.

Auch andere deutsche Unternehmen engagieren sich: Im aktuellen "Pride Index" der Uhlala Group erreichten elf von 49 Großunternehmen "exzellente Ergebnisse von 90 Prozent oder mehr". Ganz oben platzierten sich Accenture, McKinsey & Company, Allianz und Riverty. Neu hinzugekommen sind Adobe Systems, Elsevier, Enterprise, Hewlett Packard Enterprise und L'Oréal.

Was Deutschland aus der britischen Debatte lernen kann

Die britische Kontroverse zeigt, wie schnell vermeintliche "Schutzmaßnahmen" zu praktischen Problemen für Unternehmen und zu Menschenrechtsverletzungen für Betroffene werden können. Im Juli 2024 hatte der britische Premierminister Keir Starmer erklärt, dass trans Frauen kein Recht auf die Nutzung von Frauen-only Räumen haben sollten, selbst mit einem Gender Recognition Certificate. Er hat auch ausgeschlossen, trans Menschen die Selbst-ID zu erlauben.

Die Warnung der britischen Unternehmen sollte auch in Deutschland gehört werden. Während das neue Selbstbestimmungsgesetz einen wichtigen Schritt in Richtung Gleichberechtigung darstellt, zeigt die Toilettendebatte, dass noch viele praktische Fragen zu klären sind. Um allen Personen den Zugang zu Sanitärräumen zu ermöglichen, sollten mehr Toiletten geschaffen werden, die unabhängig von der Geschlechtsidentität besucht werden können (Unisex- oder All-Gender-Toiletten). Diese können Einzelkabinen sein oder auch Toilettenanlagen für mehrere Personen. In Neubauten wird empfohlen, nach Möglichkeit nur geschlechtsneutrale Einzeltoiletten zu bauen.

Die Erfahrungen aus Großbritannien und die positiven Beispiele deutscher Unternehmen zeigen: Inklusion ist nicht nur eine Frage der Menschenrechte, sondern auch des wirtschaftlichen Erfolgs. Statt Ausgrenzung und Überwachung braucht es pragmatische Lösungen, die allen Menschen Würde und Sicherheit garantieren. Die Warnung der 650 britischen Unternehmen sollte als wichtiges Signal verstanden werden – nicht nur für die britische Regierung, sondern für alle, die über die Gestaltung inklusiver Gesellschaften nachdenken.


Wenn der Regenbogen zur Provokation wird: Der Angriff in Essen und die Gewalt gegen queere Menschen in Deutschland

Ein katholisches Gemeindefest in Essen-Dellwig endete am vergangenen Samstag in Gewalt, als ein noch unbekannter Täter einen 22-jährigen Mann nach einem Streit um eine Regenbogenfahne attackierte. Der mutmaßliche Täter wurde aggressiv, "hat den anderen mit der Faust geschlagen und später ein Bierglas nach ihm geworfen", wie die Polizei bestätigt. Der Vorfall wirft ein Schlaglicht auf die zunehmende queerfeindliche Gewalt in Deutschland und die komplexe Rolle der katholischen Kirche im Umgang mit LGBTQ+-Themen.

Die erschreckende Realität: Queerfeindliche Gewalt auf Rekordniveau

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Im Jahr 2023 wurden in Deutschland rund 1.500 Delikte gegen die sexuelle Orientierung polizeilich erfasst. Damit stieg ihre Zahl das sechste Jahr in Folge und auf einen deutlichen Höchststand. Das kürzlich veröffentlichte Lagebild des Bundesinnenministeriums und des Bundeskriminalamts zeigt sogar noch dramatischere Entwicklungen: 1.785 Straftaten richteten sich gegen LSBTIQ* Personen (im Jahr 2022: 1.188).

Zu den häufigsten gegen LSBTIQ* gerichteten Straftaten gehörten im Jahr 2023 Beleidigungen, Gewalttaten, Volksverhetzungen sowie Nötigungen und Bedrohungen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser bezeichnet diese Entwicklung als "erschreckend" und fordert: "Queerfeindliche Gewalt muss als solche klar benannt und gezielt verfolgt werden."

Besonders besorgniserregend: Die Zahl der Straftaten im Bereich "Sexuelle Orientierung" und "Geschlechtsbezogene Diversität" hat sich seit 2010 nahezu verzehnfacht. Dabei gehen Expert*innen von einer erheblichen Dunkelziffer aus. Lediglich 13% der Befragten sind zur Polizei gegangen, um einen physischen Angriff oder sexualisierte Gewalt anzuzeigen. 23% haben in den letzten fünf Jahren nach einer Gewalttat eine Anzeige vermieden aus Angst vor homo-/transfeindlicher Reaktion der Polizei.

Der Tatort Kirche: Zwischen Tradition und Transformation

Dass ausgerechnet bei einem katholischen Gemeindefest Gewalt wegen einer Regenbogenfahne eskalierte, ist tragisch, aber nicht völlig überraschend. Die katholische Kirche in Deutschland befindet sich in einem tiefgreifenden Transformationsprozess bezüglich LGBTQ+-Themen. Die katholische Kirche in Deutschland ist unter den Top 10 der queerfreundlichsten Kirchen in Europa – in keinem anderen europäischen Land sind die Katholiken und ihre Kirchen so offen.

Diese Entwicklung zeigt sich auch in der Reaktion auf den Vorfall in Essen. Bischof Franz-Josef Overbeck verurteilte den Angriff scharf und betonte: "Eine solche Tat 'darf in unserer Kirche, die für Toleranz, Respekt und Vielfalt stehen soll, keinen Platz haben'". Er würdigte das Engagement der Katholischen jungen Gemeinde, die sich "friedlich und mutig für eine offene, bunte Kirche" einsetze.

Der Bischof ging noch weiter und erklärte theologisch: "Zeichen wie die Regenbogenfahne symbolisierten, 'dass jeder Mensch von Gott gewollt ist und in seiner Liebe steht – unterschiedslos, voraussetzungs- und bedingungslos'. Der 'Glaube an die absolute Gleichheit aller Menschen als Geschöpfe Gottes' lasse es nicht zu, dass Menschen ausgegrenzt werden."

Die Katholische junge Gemeinde: Klare Kante gegen Rechts

Die betroffene KjG St. Michael reagierte bemerkenswert deutlich auf den Angriff. "Die KjG stehe für eine 'demokratische und gleichberechtigte Gesellschaft' hieß es weiter. Dem Verband sei wichtig, dass sich jeder Mensch wohlfühlen könne. 'Diskriminierung, Hetze und Gewalt haben bei uns keinen Platz'", erklärte die Gruppe auf Instagram.

Besonders bemerkenswert ist ihre politische Positionierung: "'Wir setzen eine klare Kante gegen Rechts. Wir bleiben präsent. Die Regenbogenfahne bleibt. Wir sind mehr.' Unter dem Post bekundeten der KjG-Bundesverband und der Bund der Deutschen Katholischen Jugend Nordrhein-Westfalen ihre Solidarität."

Die gesellschaftliche Dimension: Zwischen Akzeptanz und Ablehnung

Der Vorfall in Essen ist kein Einzelfall, sondern Teil eines beunruhigenden gesellschaftlichen Trends. In Bezug auf Formen klassischer Homophobie – also das offene Abwerten von Homosexualität als unmoralisch oder unnatürlich sowie das Absprechen gleicher Rechte – werden solche Positionen nur mehr von einem kleinen Teil der Bevölkerung geteilt (12 Prozent). Allerdings zeigt sich, dass moderne bzw. subtile Formen von Homophobie weiter verbreitet sind als Formen klassischer Homophobie. So sind beispielsweise 44 Prozent der Ansicht, Homosexuelle sollten aufhören, "so einen Wirbel um ihre Sexualität zu machen".

Die aktuelle Leipziger Autoritarismus-Studie 2024 zeigt zudem besorgniserregende Entwicklungen: 2022 glaubten 20,8 % der Ostdeutschen, dass Frauen "sich in der Politik häufig lächerlich" machen würden, 2024 wird diese Meinung von mehr als einem Drittel vertreten (34,9 %). Diese antifeministischen Einstellungen stehen in engem Zusammenhang mit Homo- und Transfeindlichkeit.

Was bedeutet das für Deutschland?

Der Angriff in Essen ist mehr als nur ein lokaler Vorfall – er ist ein Symptom für tieferliegende gesellschaftliche Spannungen. Während die Mehrheit der Deutschen für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung ist, sind 73 Prozent der Deutschen der Meinung, dass lesbische, schwule oder bisexuelle Menschen vor Diskriminierung geschützt werden sollten. Bei trans Personen stimmen sieben von zehn Befragten (70 Prozent) der Aussage zu, zeigt sich gleichzeitig eine zunehmende Radikalisierung einer Minderheit.

Die katholische Kirche in Deutschland steht dabei an einem Wendepunkt. In einigen Bistümern (Köln, Hildesheim, Osnabrück, Freiburg, Limburg) wurden bereits Stellen für die Regenbogenpastoral eingerichtet bzw. Stellenanteile zur Verfügung gestellt. Trier, Magdeburg und München sind darüber im Gespräch. Diese Entwicklung zeigt, dass sich innerhalb der Kirche etwas bewegt – auch wenn der Weg noch weit ist.

Der Vorfall in Essen mahnt uns: Die Regenbogenfahne ist mehr als nur ein buntes Symbol. Sie steht für die Würde und Gleichberechtigung aller Menschen. Wenn sie zum Anlass für Gewalt wird, ist das ein Angriff auf unsere demokratischen Grundwerte. Die deutliche Reaktion der katholischen Jugend und des Bischofs zeigt: Es gibt Hoffnung. Doch es braucht mehr als Worte – es braucht konkretes Handeln gegen Hass und Gewalt, in der Kirche wie in der Gesellschaft.

Die Ermittlungen der Polizei laufen weiter. Der Täter ist noch flüchtig. Doch die eigentliche Herausforderung bleibt bestehen: Wie schaffen wir eine Gesellschaft, in der eine Regenbogenfahne bei einem Gemeindefest nicht zur Provokation wird, sondern als das gesehen wird, was sie ist – ein Zeichen der Vielfalt und Menschlichkeit?