Das Parlament Kasachstans hat am Mittwoch einstimmig ein Gesetz gegen sogenannte "Propaganda" für queere Lebensweisen verabschiedet – ein Schritt nach russischem Vorbild, der von Menschenrechtsorganisationen im In- und Ausland scharf kritisiert wird. Wie queer.de berichtet, markiert diese Entscheidung einen dramatischen Rückschritt für die LGBTIQ+-Community in dem zentralasiatischen Land.
Was das Gesetz bedeutet: Geldstrafen und Haft
Das Gesetz untersagt die Verbreitung von "nichttraditionellen sexuellen Werten" im öffentlichen Raum, in den Massenmedien und im Internet. Die Strafen sind empfindlich: Erst-"Täter*innen" droht eine Strafe von 121.000 Tenge (rund 200 Euro), was ungefähr einem Viertel des durchschnittlichen Monatsgehalts entspricht. Wer wiederholt "Propaganda" verbreite, kann mit bis zu zehn Tagen Haft bestraft werden.
Die Formulierung ist dabei bewusst vage gehalten – ähnlich wie im russischen Vorbild. Laut Kulturstaatssekretär Evgeny Kochetov würde bereits die öffentliche Befürwortung queerer Lebensweisen als "Propaganda" gelten. Dies erinnert fatal an die russische Gesetzgebung, die unter dem Deckmantel des "Jugendschutzes" systematisch die Rechte von LGBTIQ+-Menschen beschneidet.
Jugendschutz als Vorwand
Der kasachische Bildungsminister Gani Beisembajew rechtfertigte das Verbot als Jugendschutzmaßnahme: Er argumentierte laut Reuters, dass "Kinder und Heranwachsende jeden Tag Online-Informationen ausgesetzt sind, die negative Auswirkungen auf ihre Ideen über Familie, Moral und die Zukunft haben".
Doch diese Argumentation ist gefährlich irreführend. Human Rights Watch hat in einer umfassenden Studie zu Russland nachgewiesen, dass solche "Propaganda-Gesetze" Jugendlichen massiv schaden, indem sie ihnen lebenswichtige Informationen vorenthalten und ihre Isolation verstärken.
Russlands verhängnisvolles Vorbild
Russland verabschiedete 2013 ein Bundesgesetz, das jegliche positive Äußerungen über Homosexualität in Anwesenheit von Minderjährigen oder über Medien unter Strafe stellt. Die Folgen waren verheerend: Die Anzahl von Hassverbrechen gegen LGBTQ-Personen verdreifachte sich nach Verabschiedung des Gesetzes im Vergleich zur Zeit davor.
Sowohl die quantitative als auch die qualitative Steigerung bei Straftaten gegen LGBTQ-Personen in Russland lassen sich auf das Gesetz gegen "Propaganda für Homosexualität" zurückführen, wie Forschungen der Universität Dublin belegen. 2022 verschärfte Russland das Gesetz noch weiter und im November 2023 erklärte ein Gericht die "internationale LGBT-Bewegung" sogar für extremistisch.
Kasachstan: Ein Land zwischen Tradition und Unterdrückung
Kasachstan ist ein zwischen Europa und Asien liegender Binnenstaat, der acht Mal so groß ist wie Deutschland, in dem aber nur 20,6 Millionen Menschen wohnen. Das Land bezeichnet sich selbst zwar als Demokratie, das politische System ist allerdings sehr autoritär geprägt, da der Präsident sehr mächtig ist und es starke Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit gibt.
Homosexualität ist in der Republik Kasachstan nach ihrer Unabhängigkeit vom Verfolgerstaat Sowjetunion im Jahr 1998 zwar legalisiert worden. Allerdings existieren weder Gleichbehandlungsgesetze noch werden gleichgeschlechtliche Partnerschaften anerkannt. Hohe Regierungsvertreter und Minister erklärten in den letzten Jahren mehrfach, dass schwule Männer eine "gestörte sexuelle Begierde" hätten, krank seien oder schlicht Kriminelle wären.
Eine queerfeindliche Gesellschaft
Die Bevölkerung, die zu zwei Dritteln aus sunnitischen Muslim*innen und zu einem Fünftel aus orthodoxen Christ*innen besteht, gilt als äußerst queerfeindlich. Laut einer Umfrage des Pew Research Center aus dem Jahr 2020 stimmten nur rund 10 Prozent der Kasach*innen der Aussage zu, dass "Homosexualität gesellschaftlich akzeptabel" sei. Eine Umfrage der Open Society Foundations kam zu dem Ergebnis, dass 90,5 Prozent der Bevölkerung homosexuelle Beziehungen als "völlig inakzeptabel" ablehnten.
In der Praxis sind LGBTQ+-Personen in Kasachstan nicht nur mit rechtlichen Einschränkungen konfrontiert, sondern auch mit Fällen von Gewalt und Diskriminierung durch Strafverfolgungs- und andere Sicherheitsbehörden. Menschenrechtsverbände dokumentieren seit Jahren ein Klima der Angst innerhalb der Community, vor allem schwule Männer seien von Diskriminierung und gewalttätigen Übergriffen betroffen.
Warnungen von Menschenrechtsorganisationen ignoriert
Vor der Abstimmung hatten Menschenrechtsorganisationen dringend an das Parlament appelliert, den Gesetzentwurf abzulehnen. Die in New York ansässige Organisation Human Rights Watch verwies dabei darauf, dass die kasachische Verfassung Diskriminierung verbietet und das Recht auf freie Meinungsäußerung garantiert. Sieben internationale Menschenrechtsorganisationen, darunter Human Rights Watch und Amnesty International, erklärten, das Gesetz "verletzt eklatant Kasachstans internationale Menschenrechtsverpflichtungen, einschließlich der Kinderrechte auf Bildung, Gesundheit und Information".
Marie Struthers, Direktorin für Osteuropa und Zentralasien bei Amnesty International, stellte klar: Das Verbot gehe nicht um Kinderschutz, sondern darum, "Stigmatisierung, Angst und Zensur zu institutionalisieren".
Eine Geschichte gescheiterter Verbote
In Kasachstan gab es bereits mehrere Versuche, LGBTI-"Propaganda" zu verbieten. 2015 hatte das Parlament bereits ein derartiges Gesetz beschlossen, es wurde jedoch später vom Verfassungsrat, einem inzwischen abgeschafften Gremium, untersagt. Mittlerweile gibt es nach einer Verfassungsreform ein Verfassungsgericht, das allerdings nicht unabhängig ist und als regierungstreu gilt – eine düstere Aussicht für die rechtliche Überprüfung des aktuellen Gesetzes.
Der Kontrast zu Deutschland
Während Kasachstan queere Menschen systematisch ausgrenzt, hat sich die Situation in Deutschland grundlegend anders entwickelt. Gleichgeschlechtliche Paare können seit Oktober 2017 heiraten und sind heterosexuellen Ehepaaren rechtlich gleichgestellt. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz garantiert gleiche Rechte für alle Bürgerinnen und Bürger unabhängig von ihrem Geschlecht und ihrer sexuellen Orientierung und verbietet die Diskriminierung von LGBTIQ+-Personen.
Deutschland hat sich im aktuellen Regenbogen-Ranking von ILGA Europe deutlich verbessert und gehört nun zu den Top 10 in Europa. Innerhalb der Europäischen Union liegt Deutschland auf Platz 8. Aktuelle Umfragen zeigen, dass 78 Prozent der Deutschen für den Schutz von LGBTIQ+-Menschen vor Diskriminierung am Arbeitsplatz oder bei der Wohnungssuche sind, und 75 Prozent sprechen sich für den Schutz von transgeschlechtlichen Menschen aus.
Doch auch in Deutschland gibt es besorgniserregende Entwicklungen: Straftaten gegen queere Menschen sind 2022 auf insgesamt 1.422 gestiegen, wobei von einer besonders hohen Dunkelziffer ausgegangen wird. Dies zeigt, dass rechtliche Fortschritte allein nicht ausreichen – gesellschaftliche Akzeptanz muss kontinuierlich gestärkt werden.
Ein globales Muster der Repression
Das kasachische Gesetz reiht sich ein in eine besorgniserregende internationale Entwicklung. Ähnliche Gesetze existieren bereits in Russland und Ungarn und verbieten die Verbreitung von Informationen, die sogenannte Familienwerte verleugnen oder "nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen" fördern. Auch in Georgien wurde im September 2024 ein solches Gesetz verabschiedet, und in der Türkei wird die Rhetorik zunehmend LGBTIQ+-feindlicher.
In 64 Ländern weltweit sind gleichgeschlechtliche Beziehungen nach wie vor strafbar. In einigen Ländern droht LGBTI+ sogar die Todesstrafe, darunter Brunei, Iran, Saudi-Arabien, Jemen, Uganda oder die Nordstaaten Nigerias. Homosexualität ist noch in mindestens 67 Ländern strafbar, in sieben droht für gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen sogar die Todesstrafe.
Was jetzt passiert
Das Gesetz muss nun im Senat beraten werden, auch dort wird eine große Mehrheit erwartet. Danach wird es dem Präsidenten Qassym-Schomart Toqajew zur Unterschrift vorgelegt. Seine nationalistisch-autoritäre Regierung betonte in den letzten Jahren "traditionelle Werte" und "moralische Stabilität" – ein Code für eine ablehnende Haltung gegenüber queeren Menschen.
Die lokale Organisation Queer.KZ hat bereits angekündigt, den Kampf fortzusetzen und den Senat sowie den Präsidenten aufzufordern, das Gesetz abzulehnen. Doch die Aussichten sind düster: Das Gesetz wurde verabschiedet, während Kasachstans Präsident Tokajew am Mittwoch mit dem russischen Präsidenten Vladimir Putin in Moskau zusammentraf – ein symbolträchtiges Timing, das die politische Ausrichtung des Landes unterstreicht.
Ein Weckruf für Europa
Die Entwicklungen in Kasachstan sind nicht nur eine regionale Tragödie, sondern ein Warnsignal für ganz Europa. Die "globale Zunahme queerfeindlicher, antifeministischer und rechtspopulistischer Bewegungen" ist "sehr besorgniserregend". Dieses Wachstum der international vernetzten Anti-Gender-Bewegung sei nicht zufällig, sondern werde seit Jahren strategisch koordiniert und finanziert.
Weltweit werden Anti-Gender-Bewegungen immer aktiver und versuchen, Fortschritte der Gleichstellung gezielt rückgängig zu machen. Die Bewegungen fokussieren sich dabei unter anderem auf die Einschränkung von Rechten sowie die Ausübung von Gewalt gegen LSBTIQ+. Dies macht deutlich: Menschenrechte sind keine Selbstverständlichkeit, sie müssen aktiv verteidigt werden.
Für die queeren Menschen in Kasachstan bedeutet dieses Gesetz einen dramatischen Rückschritt in ein Leben voller Angst, Diskriminierung und Unsichtbarkeit. Es liegt an der internationalen Gemeinschaft, lautstark zu protestieren und deutlich zu machen: Menschenrechte sind unteilbar – überall auf der Welt.