Am vergangenen Samstag wurde der fĂŒnfte Christopher Street Day (CSD) in Schönebeck, Sachsen-Anhalt, durch Ordnungsamt und Polizei vorzeitig beendet - ein Vorfall, der bundesweit fĂŒr Aufsehen sorgt. Wie queer.de berichtet, wurde die eigentlich bis 22 Uhr genehmigte Veranstaltung bereits gegen 18 Uhr vom Ordnungsamt fĂŒr beendet erklĂ€rt. Mehrere spontane Proteste gegen diese MaĂnahme wurden ebenfalls aufgelöst.
Umstrittene GrĂŒnde fĂŒr den Abbruch
Die GrĂŒnde fĂŒr den Abbruch der ersten deutschen CSD-Kundgebung in diesem Jahr sind umstritten. Nach Angaben von Teilnehmer*innen argumentierten Mitarbeitende des Ordnungsamtes, dass eine der gehaltenen Reden "nicht politisch genug" gewesen sei, um den Charakter einer politischen Versammlung zu rechtfertigen. Auch die AnkĂŒndigung und das Abspielen eines Liebeslieds wurde bemĂ€ngelt. Die Polizei hingegen verwies laut MDR auf mangelndes Sicherheitspersonal als Grund fĂŒr die Auflösung.
Ein weiterer Streitpunkt war offenbar ein Imbissbereich, der von der Freiwilligen Feuerwehr und dem CSD gemeinsam betrieben wurde. Das Ordnungsamt betrachtete diesen Bereich nicht als Teil der Demonstration und forderte offiziell angestelltes Sicherheitspersonal, wÀhrend die Veranstalter auf ehrenamtliche Helfer*innen setzten.
Scharfe Kritik und Forderungen nach Konsequenzen
Die Linke.queer bezeichnete den Abbruch als "vollkommen inakzeptablen Eingriff in Grund- und Freiheitsrechte". Die Bundessprecher Daniel Bache und Frank Laubenburg erklĂ€rten, Polizei und Ordnungsamt hĂ€tten sich "zu Gehilfen der faschistischen KrĂ€fte gemacht, die CSDs verhindern und verbieten wollen". Sie forderten personelle Konsequenzen fĂŒr die Verantwortlichen im Ordnungsamt und eine öffentliche Distanzierung des Schönebecker OberbĂŒrgermeisters Bert Knoblauch (CDU).
Auch der Lesben-, Schwulen- und Queerpolitische Runde Tisch (LSQpRT) Sachsen-Anhalt kritisierte den Abbruch als schweren Eingriff in die Versammlungsfreiheit. Die Veranstalter*innen prĂŒfen laut Schwulissimo rechtliche Schritte gegen die Entscheidung.
Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in Gefahr?
Der Vorfall in Schönebeck wirft grundsĂ€tzliche Fragen zur Auslegung der Versammlungsfreiheit auf. Dieses in Artikel 8 des Grundgesetzes verankerte Recht garantiert allen Deutschen, sich "friedlich und ohne Waffen zu versammeln". Zwar kann dieses Recht unter bestimmten UmstĂ€nden eingeschrĂ€nkt werden, etwa bei Gefahr fĂŒr die öffentliche Sicherheit, doch die BegrĂŒndung, eine Rede oder ein Lied sei "nicht politisch genug", erscheint vielen Beobachter*innen als willkĂŒrlich.
Besonders beunruhigend ist, dass solche VorfĂ€lle nicht auf Deutschland beschrĂ€nkt sind. In Ungarn beispielsweise wurden in den vergangenen Jahren Pride-Paraden und andere LGBTQ+-Veranstaltungen immer wieder behindert oder verboten. Einige Teilnehmer*innen des CSD Schönebeck fĂŒhlten sich dadurch an die Situation in Ungarn erinnert, wo die Rechte der LGBTQ+-Community unter der Regierung von Viktor OrbĂĄn systematisch eingeschrĂ€nkt wurden.
Ăhnliche VorfĂ€lle in Deutschland
Der Vorfall in Schönebeck ist leider nicht der erste dieser Art in Deutschland. Immer wieder kommt es zu Konflikten zwischen Behörden und Veranstalter*innen von LGBTQ+-Events. So berichtete die taz ĂŒber Ă€hnliche FĂ€lle, in denen der politische Charakter von queeren Veranstaltungen von Behörden infrage gestellt wurde.
In Berlin, Köln und anderen GroĂstĂ€dten sind CSDs inzwischen fest etabliert und werden meist von den Behörden unterstĂŒtzt. In kleineren StĂ€dten und lĂ€ndlichen Regionen, besonders in Ostdeutschland, mĂŒssen Veranstalter*innen jedoch oft mit WiderstĂ€nden kĂ€mpfen. Umso wichtiger ist es, dass gerade dort die Versammlungsfreiheit geschĂŒtzt wird.
Ausblick: Was bedeutet der Vorfall fĂŒr kĂŒnftige CSDs?
Der Vorfall in Schönebeck könnte ein gefĂ€hrlicher PrĂ€zedenzfall fĂŒr die kommende CSD-Saison sein. Wenn Behörden den politischen Charakter von Pride-Veranstaltungen nach eigenem Ermessen bewerten und gegebenenfalls absprechen können, gerĂ€t das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in Gefahr.
Die LGBTQ+-Community und ihre VerbĂŒndeten stehen nun vor der Herausforderung, dieses Grundrecht zu verteidigen. Es bleibt abzuwarten, ob die angekĂŒndigten rechtlichen Schritte Erfolg haben werden. In jedem Fall ist Wachsamkeit geboten, um sicherzustellen, dass CSDs auch in Zukunft als das anerkannt werden, was sie sind: politische Demonstrationen fĂŒr Gleichberechtigung, Akzeptanz und gegen Diskriminierung.
FĂŒr die bevorstehende CSD-Saison in Deutschland wird der Fall Schönebeck sicherlich Diskussionen auslösen - sowohl unter Veranstalter*innen als auch bei Behörden. Es bleibt zu hoffen, dass er letztlich zu einer StĂ€rkung der Versammlungsfreiheit beitrĂ€gt und nicht zu ihrer EinschrĂ€nkung.