In einem bemerkenswerten Urteil hat das ungarische Verfassungsgericht die rechtspopulistische Regierung von Viktor Orbán in ihre Schranken gewiesen: Gleichgeschlechtliche Paare, die im Ausland geheiratet haben, müssen in Ungarn als eingetragene Partnerschaft anerkannt werden. Diese wegweisende Entscheidung, über die ursprünglich auf queer.de berichtet wurde, setzt dem ungarischen Parlament eine Frist bis zum 31. Oktober 2024, um diese Regelung gesetzlich zu verankern.
Deutsch-ungarisches Paar erkämpft Meilenstein für LGBTQ+-Rechte
Hinter dem juristischen Erfolg steht ein ungarisch-deutsches Paar, das 2021 in Deutschland geheiratet hatte und für die Anerkennung ihrer Ehe in Ungarn kämpfte. Während in Deutschland seit 2017 die "Ehe für alle" gilt und gleichgeschlechtliche Paare die gleichen Rechte genießen wie heterosexuelle Paare, ist in Ungarn die Hochzeit zwischen Personen gleichen Geschlechts verboten. Schon 2009 – also ein Jahr bevor Orbán an die Macht kam – wurde jedoch die Möglichkeit einer eingetragenen Partnerschaft eingeführt.
Interessanterweise existiert bereits seit 2016 eine Regierungsverordnung, die besagt, dass im Ausland geschlossene gleichgeschlechtliche Ehen in Ungarn als eingetragene Partnerschaften anerkannt werden sollen. Umgesetzt wurde diese Regelung jedoch nie, da ein entsprechendes Parlamentsgesetz fehlte – ein Versäumnis, das das Verfassungsgericht nun als verfassungswidrig eingestuft hat.
Grundlegende Menschenrechte versus Orbáns anti-queere Politik
In seiner Begründung betonte das Gericht, dass der Schutz und die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paarbeziehungen zur Menschenwürde und zum Recht auf Selbstbestimmung gehören – eine bemerkenswerte Positionierung in einem Land, dessen Regierung seit Jahren eine zunehmend LGBTQ+-feindliche Politik verfolgt.
Viktor Orbáns Fidesz-Partei, die seit 2010 in Ungarn regiert, hat insbesondere in den letzten Jahren systematisch die Rechte queerer Menschen eingeschränkt. Im Frühjahr 2024 schuf das von Fidesz dominierte Parlament durch Verfassungs- und Gesetzesänderungen sogar die Grundlage für Verbote der jährlichen Pride-Parade. Als Begründung wird ein angeblicher "Kinderschutz" angeführt – eine Rhetorik, die darauf abzielt, Minderjährige von jeglichem Kontakt mit LGBTQ+-Themen fernzuhalten.
In Deutschland würde eine solche Politik auf massiven Widerstand stoßen. Hier sind Pride-Veranstaltungen wie der Christopher Street Day fester Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens und werden von Hunderttausenden Menschen besucht, darunter Familien mit Kindern, Politiker:innen aller demokratischen Parteien und Vertreter:innen von Unternehmen und Institutionen. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes setzt sich aktiv für den Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität ein.
Streit um Budapester Pride – "Menschen sind keine Pferde"
Die diesjährige Budapest Pride ist für den 28. Juni geplant, doch ob und wo sie stattfinden kann, ist nach wie vor unklar. Derzeit laufen Gespräche zwischen Polizei, Regierung und der liberalen Budapester Stadtverwaltung. Justizminister Bence Tuzson schlug die Budapester Pferderennbahn als Veranstaltungsort vor – mit der fragwürdigen Begründung, dass dort der Zugang von Kindern verhindert werden könne.
Der Budapester Oberbürgermeister Gergely Karacsony konterte scharfsinnig: "Ich möchte den Justizminister darüber informieren, dass die Menschen, die bei der Pride für Freiheit und Liebe demonstrieren, Menschen sind, und keine Pferde." Diese Auseinandersetzung verdeutlicht die tiefe gesellschaftliche Spaltung, die Orbáns queerfeindliche Politik in Ungarn verursacht hat.
Justiz als Bollwerk gegen Diskriminierung
Es ist bemerkenswert, dass sich auch der Oberste Gerichtshof Ungarns am vergangenen Sonntag in die Debatte einschaltete und ein von der Polizei verhängtes Verbot einer für denselben Tag geplanten Demonstration gegen Queerfeindlichkeit zurückwies. Die Begründung: Die Polizei müsse konkret nachweisen, warum eine bestimmte Veranstaltung den Schutz von Kindern gefährde. Mit dieser Entscheidung stellten sich die Richter:innen faktisch gegen das Gesetz, das jegliche Erwähnung einer queeren Identität pauschal als Gefährdung von Kindern einstuft.
Für die LGBTQ+-Community in Ungarn sind diese richterlichen Entscheidungen ein kleiner Hoffnungsschimmer. Sie zeigen, dass trotz der repressiven Politik der Orbán-Regierung die unabhängige Justiz noch als Korrektiv fungieren kann. In Deutschland, wo der Lesben- und Schwulenverband seit Jahrzehnten für die Gleichstellung kämpft, wäre ein solcher gesetzlicher Rückschritt wie in Ungarn kaum vorstellbar.
Ausblick: Wird Ungarn dem Gerichtsurteil folgen?
Die entscheidende Frage bleibt, ob das ungarische Parlament der Frist des Verfassungsgerichts nachkommen und bis zum 31. Oktober 2024 die Anerkennung im Ausland geschlossener gleichgeschlechtlicher Ehen als eingetragene Partnerschaften gesetzlich verankern wird. Angesichts der Fidesz-Mehrheit im Parlament und der zunehmend autoritären Tendenzen der Orbán-Regierung ist Skepsis angebracht.
Für das deutsch-ungarische Paar und viele andere binationalen gleichgeschlechtlichen Paare könnte das Urteil dennoch einen wichtigen Schritt zur rechtlichen Anerkennung ihrer Beziehungen bedeuten. Währenddessen bleibt der Kampf um grundlegende LGBTQ+-Rechte in Ungarn eine anhaltende Herausforderung – eine Situation, die in Deutschland mit seiner fortschrittlicheren Gesetzgebung zum Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt mittlerweile kaum noch vorstellbar ist.