Die Ermittlungen zum Tod des amerikanischen Schauspielers Jonathan Joss entwickeln sich zu einem Lehrstück über die Herausforderungen bei der Bewertung homophober Hassverbrechen. Nachdem die Polizei von San Antonio zunächst voreilig verkündet hatte, es gebe "keine Beweise" für homophobe Motive, musste sie ihre Aussage nach internationaler Kritik korrigieren – eine Entwicklung, die auch in Deutschland schmerzlich vertraut erscheint.
Tragischer Verlust eines beliebten Schauspielers
Jonathan Joss, 59 Jahre alt und bekannt für seine Rollen in "Parks and Recreation" und "King of the Hill", wurde am 1. Juni vor seinem ehemaligen Zuhause in Texas erschossen. Der Schauspieler und sein Ehemann Tristan Kern de Gonzales waren zu dem Grundstück gefahren, um ihre Post zu überprüfen, nachdem ihr Haus im Januar bei einem Brand zerstört worden war. Dort geriet das Paar in eine Auseinandersetzung mit einem Nachbarn, die tödlich endete.
Sigfredo Alvarez Ceja wurde wegen Mordes angeklagt und gegen eine Kaution von 200.000 Dollar freigelassen. Doch die wahren Hintergründe der Tat bleiben umstritten – und zeigen exemplarisch auf, wie schwierig die Einordnung homophober Gewalt sein kann.
Vorwürfe systematischer Belästigung
De Gonzales schildert eine bedrückende Geschichte jahrelanger Diskriminierung. In einem Facebook-Post beschreibt er, wie das Paar über zwei Jahre hinweg "konstanter Belästigung" ausgesetzt gewesen sei, die "offen homophob" gewesen sei. Besonders erschütternd: Das Haus sei niedergebrannt, nachdem Nachbarn "wiederholt gesagt hatten, sie würden es anzünden". Trotz Meldungen bei der Polizei sei "nichts unternommen" worden.
Die Polizei bestätigt, dass sie in den vergangenen zwei Jahren über 70 Mal wegen "nachbarschaftlicher Störungen" in die Gegend gerufen wurde. Sowohl Joss als auch seine Nachbarn hätten Anrufe getätigt, und die Abteilung für psychische Gesundheit der Polizei habe "intensive Kontakte mit Herrn Joss gehabt" und wiederholt versucht, Konflikte zu vermitteln.
Polizeiliche Kehrtwende nach Kritik
Zunächst hatte die Polizei von San Antonio kategorisch erklärt, es gebe "keine Beweise" dafür, dass der Mord hassbedingt war. Diese Aussage löste internationale Empörung aus – zu Recht, wie sich zeigen sollte. Polizeichef William McManus ruderte später zurück und räumte ein: "Ich übernehme die Verantwortung dafür und sage einfach nochmals, dass wir das nicht hätten tun sollen. Es war zu früh im Prozess für eine solche Aussage."
McManus betonte, dass die LGBTQ+-Gemeinschaft sich "ängstlich und besorgt" fühle, und dass "viel davon mit dieser voreiligen Aussage zu tun hat". Die Ermittlungen würden nun prüfen, ob homophobe Motive eine Rolle gespielt haben könnten – eine Kehrtwende, die zeigt, wie wichtig es ist, solche Fälle sorgfältig zu untersuchen.
Deutsche Parallelen: Steigende Zahlen, hohe Dunkelziffer
Der Fall Joss wirft ein Schlaglicht auf ein Problem, das auch in Deutschland alarmierend zunimmt. Laut Bundeskriminalamt wurden 2023 bundesweit 1.785 Hassverbrechen gegen LGBTQ+-Personen erfasst – ein Anstieg von etwa 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Besonders erschreckend: Experten gehen von einer Dunkelziffer von 80 bis 90 Prozent aus.
Wie in Texas stehen auch deutsche LGBTQ+-Personen vor dem Problem unzureichender polizeilicher Reaktionen. Viele Betroffene melden Übergriffe gar nicht erst, aus Angst vor Unverständnis oder mangelnder Unterstützung durch Behörden. Die Zahl der erfassten Straftaten hat sich seit 2010 nahezu verzehnfacht – ein Indiz dafür, dass sowohl die tatsächliche Gewalt als auch das Bewusstsein für das Problem zunehmen.
Herausforderungen bei der Bewertung
Der Fall zeigt exemplarisch die Schwierigkeiten bei der Einordnung homophober Gewalt. Texas hat keine separaten Hassverbrechen-Gesetze, sondern berücksichtigt solche Motive erst bei der Strafzumessung. McManus erklärte: "Wir sammeln die Fakten und geben sie an die Staatsanwaltschaft weiter. Dann wird die Hassverbrechen-Einordnung bei der Verurteilung bestimmt."
Diese nachgelagerte Bewertung erschwert es, homophobe Gewalt als solche zu erkennen und zu verfolgen. Auch in Deutschland kämpfen Aktivisten und Juristen für eine bessere Erfassung und Ahndung queerfeindlicher Straftaten – ein Kampf, der angesichts steigender Zahlen immer dringlicher wird.
Ein Weckruf für beide Seiten des Atlantiks
Jonathan Joss' Tod mahnt zu größerer Sensibilität im Umgang mit möglichen Hassverbrechen. Die voreilige Aussage der texanischen Polizei, der schnelle Rückzieher und die internationale Aufmerksamkeit zeigen: Die LGBTQ+-Gemeinschaft weltweit ist wachsam geworden – und zu Recht.
In Deutschland wie in den USA braucht es bessere Ausbildung für Polizei und Justiz, um homophobe Gewalt zu erkennen und angemessen zu verfolgen. Nur so können wir verhindern, dass weitere Menschen wie Jonathan Joss Opfer von Hass und Gewalt werden – und dass ihre Geschichten die Würdigung erfahren, die sie verdienen.