Neue Dimension queerfeindlicher Gewalt: CSD-Veranstaltungen in Deutschland zunehmend bedroht

Die besorgniserregende Entwicklung queerfeindlicher Gewalt in Deutschland nimmt laut CSD-Organisatoren eine "neue Qualität" an. Wie queer.de berichtet, sehen sich Demonstrationen anlässlich des Christopher Street Days (CSD) zunehmend organisierten Anfeindungen ausgesetzt. "Wir haben eine massive Zunahme von Online-Bedrohungen", erklärt Kai Bölle vom Vorstand des Vereins CSD Deutschland gegenüber der Deutschen Presse-Agentur.

Dramatischer Anstieg queerfeindlicher Straftaten

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Laut Bundeskriminalamt wurden im vergangenen Jahr 1.765 Straftaten im Bereich sexuelle Orientierung registriert – ein Anstieg von 18 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Noch dramatischer ist die Zunahme bei Straftaten gegen Trans- oder nicht-binäre Personen, die um 35 Prozent auf 1.152 Fälle angestiegen sind. Experten gehen jedoch von einer hohen Dunkelziffer aus. Andre Lehmann vom LSVD+ kritisiert: "Immer noch bleiben ungefähr 90 Prozent der gegen queere Menschen gerichteten Straftaten im Dunkeln."

Besonders alarmierend: Nach Angaben der Beratungsstellen fĂĽr Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) ist ein Anstieg queer- und transfeindlicher Gewalttaten um besorgniserregende 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zu verzeichnen.

Organisierte rechtsextreme Gegenbewegung

Besonders beunruhigend ist die zunehmend organisierte Vorgehensweise rechtsextremer Gruppen. Im laufenden Jahr wurden bereits 27 organisierte Gegenaktionen von rechtsextremistischen Gruppen bei CSD-Veranstaltungen gezählt. "Es hat eine neue Qualität bekommen", stellt Bölle fest. Rechtsextreme nutzen CSDs gezielt als Feindbild, um neue Anhänger zu rekrutieren – insbesondere unter Jugendlichen und im bürgerlich-konservativen Spektrum.

Laut Berichten der Tagesschau hat sich in rechtsextremen Kreisen sogar eine Gegenbewegung zum Pride Month etabliert – der sogenannte "Stolzmonat" – mit dem erklärten Ziel, gegen die LGBTQ+-Community zu hetzen.

Besondere Gefährdung in ländlichen Regionen

Während die großen CSD-Veranstaltungen in Metropolen wie Berlin, Köln oder Hamburg durch erhöhte Polizeipräsenz meist gut geschützt sind, ist die Lage besonders in Kleinstädten und ländlichen Regionen bedrohlich. "Es werden gezielt kleine CSD-Veranstaltungen ausgesucht, um dort eine möglichst große Wirkung zu erzielen", erklärt Bölle. Auffällig sei, dass überall dort, wo die AfD stark ist, auch die queerfeindlichen Gegenproteste besonders groß ausfallen.

Diese Entwicklung deckt sich mit Beobachtungen des Bundesamts fĂĽr Verfassungsschutz, das eine spezifisch queerfeindliche Agitation im Internet sowie vermehrt realweltliche Protestaktionen von Rechtsextremisten beobachtet.

EinschĂĽchterung und Angst

"Mit Bedrohungsmails an CSD-Veranstalter wird versucht, ein Klima der Angst zu erzeugen", berichtet Bölle. Die Auswirkungen sind bereits spürbar: "Die Teilnehmenden werden vorsichtiger, verabreden sich am Bahnhof und gehen in Gruppen zur Demo und zurück." Dies entspricht genau dem Ziel der rechtsextremen Akteure – Einschüchterung und Verdrängung der queeren Community aus dem öffentlichen Raum.

Regenbogenschutzfonds als Reaktion

Als Reaktion auf die zunehmenden Bedrohungen haben die Kampagnenorganisation Campact und die Amadeu Antonio Stiftung einen "Regenbogenschutzfonds" ins Leben gerufen. Dieser soll CSD-Veranstaltern finanzielle Unterstützung für zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen bieten. Timo Reinfrank, geschäftsführender Vorstand der Amadeu Antonio Stiftung, erklärt: "Der Regenbogenschutzfonds ist unsere Antwort auf diesen Hass: eine konkrete Unterstützung in Sicherheit für alle, die trotz rechtsextremer Einschüchterungen queeres Leben sichtbar machen."

Parallel dazu fordert der queere Verband LSVD+ eine bundesweite Meldestelle für queerfeindliche Vorfälle sowie eine einheitliche Erfassung durch die Bundesländer, um das tatsächliche Ausmaß queerfeindlicher Gewalt besser erfassen zu können.

Solidarität und Widerstand

Trotz der zunehmenden Bedrohungen gibt es auch Zeichen der Hoffnung. Die Community reagiert mit verstärkter Vernetzung und dem entschlossenen Willen, sichtbar zu bleiben. Im vergangenen Jahr fanden laut CSD Deutschland bundesweit 150 CSD-Veranstaltungen mit rund drei Millionen Teilnehmenden statt – ein Zeichen dafür, dass sich die queere Community nicht einschüchtern lassen will.

Für diesen Samstag sind weitere Demonstrationen im Zeichen der Regenbogenflagge unter anderem in Hannover, Saarbrücken und Schwerin geplant. Die Polizei ist bundesweit sensibilisiert und hat den Schutz der Veranstaltungen verstärkt.

Die aktuelle Entwicklung zeigt einmal mehr, dass der Kampf fĂĽr LGBTQ+-Rechte und gegen Diskriminierung in Deutschland noch lange nicht abgeschlossen ist. Gerade in Zeiten zunehmender politischer Polarisierung und eines erstarkenden Rechtsextremismus bleibt Wachsamkeit und solidarisches Handeln unverzichtbar.

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