Der Fall des Lehrers Oziel Inácio-Stech an der Carl-Bolle-Grundschule in Berlin-Moabit hat bundesweit für Schlagzeilen gesorgt und eine wichtige Debatte über Homophobie an deutschen Schulen angestoßen. Wie queer.de berichtet, hat sich nun die Gesamtelternvertretung der betroffenen Schule zu Wort gemeldet und fordert klare Konsequenzen.
Der Fall, der Deutschland bewegt
Seit fast zwei Jahren soll Oziel Inácio-Stech, ein Lehrer an der Carl-Bolle-Grundschule, massiven homophoben Anfeindungen durch Schüler ausgesetzt gewesen sein. Nach seinem Coming-out im Klassenraum wurde er laut eigenen Angaben von Schülern als "Familienschande" und "Schande für den Islam" bezeichnet. Die Beleidigungen und das systematische Mobbing führten zu einer posttraumatischen Belastungsstörung, weshalb der Lehrer mittlerweile seit drei Monaten krankgeschrieben ist.
Besonders schwerwiegend: Die Schulleitung soll ihn trotz wiederholter Hilferufe nicht ausreichend unterstützt haben. Eine Kollegin soll ihn sogar wegen angeblicher Verletzung der Fürsorgepflicht angezeigt haben – ein Verfahren, das später eingestellt wurde. Die Süddeutsche Zeitung und die Märkische Oderzeitung machten den Fall vor etwa einer Woche öffentlich und lösten damit eine breite gesellschaftliche Diskussion aus.
Eltern schockiert: "Religion wird missbraucht"
Die Gesamtelternvertretung der Carl-Bolle-Grundschule hat nun mit deutlichen Worten reagiert. Sie zeigt sich "schockiert" über die Berichte und fordert eine umfassende Aufarbeitung der Vorfälle. "Wir stehen an der Seite des Betroffenen", heißt es in ihrer Erklärung. Die Elternvertreter benennen dabei auch grundlegende Probleme an der Schule: "Unsere Kinder berichten von Ausgrenzung, Gewalt und fehlendem Respekt in der Schülerschaft."
Besonders problematisch sei, dass Religion missbraucht werde, "um andere Kinder und Erwachsene zu diskriminieren und herabzuwürdigen." Die Elternvertretung betont aber gleichzeitig, dass pauschale Schuldzuweisungen oder die Diffamierung von Muslimen nicht akzeptabel seien: "Viele muslimische Familien vermitteln ihren Kindern Werte, die im Einklang mit unserer Rechtsordnung stehen."
Schweigen der Verantwortlichen
Während der Fall bundesweit für Aufsehen sorgt, haben sich weder die Schulleitung noch Berlins Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) bisher öffentlich dazu geäußert. Die Senatorin hält sich mit Informationen und Bewertungen zurück, betont aber allgemein, dass alle bekanntwerdenden Fälle "höchst sensibel behandelt und umgehend verfolgt" würden.
Dieses Schweigen kritisiert die Elternvertretung scharf: "Wir Eltern geben uns nicht damit zufrieden, dass die Zuständigen weiterhin zu den aktuellen Ereignissen schweigen." Sie fordern den Berliner Senat auf, sein Engagement zu intensivieren und konkrete Maßnahmen zu ergreifen.
Ein strukturelles Problem in Deutschland
Der Fall an der Carl-Bolle-Grundschule ist leider kein Einzelfall. Diskriminierung von LGBTQ+-Personen ist weiterhin ein verbreitetes Problem an deutschen Schulen. Eine aktuelle Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zeigt, dass viele LGBTQ+-Jugendliche ihre sexuelle oder geschlechtliche Identität an Schulen verheimlichen, aus Angst vor Ablehnung und Mobbing.
Obwohl einige Bundesländer mittlerweile klare Vorgaben im Bereich Sexualkunde haben, um sexuelle und geschlechtliche Vielfalt zu thematisieren, fehlt es oft an konsequenter Umsetzung und ausreichender Sensibilisierung des Lehrpersonals. Auch in Berlin, das als besonders divers und offen gilt, kommt es immer wieder zu homophoben und transphoben Vorfällen im Schulkontext.
Initiativen für mehr Akzeptanz
Es gibt jedoch auch positive Entwicklungen: Initiativen wie „Schule der Vielfalt" setzen sich bundesweit für den Abbau von Homo- und Transphobie und für mehr Akzeptanz unterschiedlicher Lebensweisen an Schulen ein. Teilnehmende Schulen verpflichten sich, aktiv gegen Diskriminierung vorzugehen und ein Klima der Offenheit zu fördern.
Auch in Berlin gibt es Programme wie Queerformat, die Fortbildungen für pädagogische Fachkräfte anbieten und Unterrichtsmaterialien bereitstellen, um Vielfalt im Schulalltag zu verankern. Doch der Fall an der Carl-Bolle-Grundschule zeigt, dass diese Maßnahmen noch nicht flächendeckend greifen.
Forderungen für die Zukunft
Die Elternvertretung der Carl-Bolle-Schule fordert nun konkrete Maßnahmen: Die Schule brauche einen eigenen Internetauftritt, zügige Maßnahmen gegen den Sanierungsstau und eine Stärkung der Gewaltprävention in den Klassen. Vor allem aber brauche es "eine gelebte Kultur der gegenseitigen Achtung auf Basis des Grundgesetzes – unabhängig von Religion, Herkunft oder Lebensweise."
Oziel Inácio-Stech selbst hat sich in einem Interview mit News4Teachers geäußert und beklagt, dass sich die Verantwortlichen "alle wegducken". Sein Fall macht deutlich, dass es in Deutschland nicht nur für Schüler*innen, sondern auch für Lehrkräfte noch immer riskant sein kann, offen zu ihrer sexuellen Identität zu stehen.
Der Berliner Fall sollte ein Weckruf für alle Bildungseinrichtungen sein: Diskriminierung darf nicht toleriert werden – egal gegen wen sie sich richtet. Das Schweigen der Verantwortlichen ist keine Lösung. Vielmehr braucht es klare Konzepte gegen Homophobie, konsequentes Handeln bei Verstößen und mehr Aufklärung über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt im Schulalltag.