Historischer Erfolg fĂĽr trans Menschen: EGMR verurteilt Tschechien wegen Zwangssterilisation

In einem wegweisenden Urteil hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Tschechien wegen der Verletzung der Rechte von geschlechtlichen Minderheiten verurteilt. Die Entscheidung betrifft eine nichtbinäre Person, die für eine Änderung ihres Geschlechtseintrags eine Zwangssterilisation hätte durchführen lassen müssen – eine Praxis, die Deutschland bereits 2011 als verfassungswidrig abgeschafft hat.

Ein Kampf um WĂĽrde und Selbstbestimmung

Die klagende Person T. H., geboren 1977, führte einen jahrelangen Rechtskampf für das Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung. Obwohl bei der Geburt als männlich registriert, konnte sich H. nie mit dieser Geschlechtsidentität identifizieren. Der Wunsch, den Geschlechtseintrag auf weiblich zu ändern – mangels einer nichtbinären Option in Tschechien – scheiterte an der staatlichen Forderung nach einer geschlechtsanpassenden Operation.

Diese unmenschliche Zwickmühle kennen auch viele deutsche trans Menschen aus der Vergangenheit: Bis 2011 mussten sich in Deutschland etwa 10.000 Transgender-Personen zwangsweise sterilisieren lassen, um ihren Geschlechtseintrag ändern zu können. Das Bundesverfassungsgericht erklärte diese Praxis als verfassungswidrig, da sie gegen die Menschenwürde und das Recht auf körperliche Unversehrtheit verstößt.

Europäisches Recht als Schutzschild

Der EGMR stellte fest, dass Tschechien die klagende Person vor eine unzumutbare Wahl gestellt hatte, die "schwere medizinische und psychologische Folgen" mit sich brachte. Das Gericht sah sowohl eine Verletzung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Artikel 8) als auch des Diskriminierungsverbots (Artikel 14) der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Besonders gravierend: Durch die Diskrepanz zwischen Geschlechtsidentität und Personaldokumenten war H. gezwungen, bei jeder Vorlage der Papiere die eigene Geschlechtsidentität preiszugeben – eine Form der Zwangsouting, die trans Menschen täglich der Gefahr von Diskriminierung und Gewalt aussetzt.

Deutschland als Vorbild – mit offenen Baustellen

Während Deutschland mit der Abschaffung der Zwangssterilisation 2011 einen wichtigen Schritt vorausging, gibt es noch ungelöste Fragen. Der Bundesverband Trans* (BVT*) fordert weiterhin eine offizielle Entschuldigung der Bundesregierung und einen Entschädigungsfonds für die Betroffenen der verfassungswidrigen Praxis zwischen 1981 und 2011.

Mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz, das am 1. November 2024 das alte Transsexuellengesetz ersetzte, hat Deutschland einen weiteren Meilenstein für trans Rechte gesetzt. Trans Menschen können nun unbürokratischer ihren Geschlechtseintrag und Vornamen ändern – ohne medizinische Eingriffe oder demütigende Gutachterverfahren.

Hoffnung auf Wandel in Tschechien

Auch in Tschechien zeigt sich Bewegung: Das tschechische Verfassungsgericht entschied bereits 2023, dass Geschlechtseintragsänderungen ohne Sterilisation möglich sein müssen. Ein entsprechendes Gesetz lässt jedoch auf sich warten. Marie-Hélène Ludwig von ILGA Europe hofft, dass das EGMR-Urteil nun den nötigen Druck auf die tschechische Regierung ausübt: "Das Urteil erinnert die Regierung daran, dass sie die Pflicht hat, diese weiter bestehende Menschenrechtsverletzung endlich zu beenden."

Ein Signal fĂĽr ganz Europa

Das Urteil des EGMR sendet ein klares Signal an alle 46 Mitgliedstaaten des Europarats: Zwangssterilisationen von trans Menschen sind Menschenrechtsverletzungen, die nicht länger toleriert werden. Auch wenn das Gericht keine direkten Sanktionsmöglichkeiten hat, schafft es wichtige Präzedenzfälle für künftige Verfahren.

Für trans Menschen in Deutschland und Europa bedeutet dieses Urteil nicht nur juristischen Fortschritt, sondern auch gesellschaftliche Anerkennung ihres Kampfes um Würde und Selbstbestimmung. Es zeigt: Die Zeiten, in denen trans Menschen zwischen körperlicher Unversehrtheit und rechtlicher Anerkennung wählen mussten, gehören der Vergangenheit an – zumindest in einem immer größer werdenden Teil Europas.

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