Die organisierte Queerfeindlichkeit: Wie Rechtsextreme in Deutschland systematisch gegen LGBTQ+ mobilisieren

In Sachsen eskaliert der Hass von rechts zunehmend auf offener Straße – und richtet sich mit besonderer Wucht gegen queere Menschen. Das zeigt die neue Studie "Sachsen rechts unten 2025", die das Kulturbüro Sachsen kürzlich in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung und der Antonio-Amadeo-Stiftung vorgestellt hat, wie queer.de berichtet. Die erschreckende Erkenntnis: Queerfeindlichkeit ist längst kein Randphänomen mehr im Rechtsextremismus, sondern fester Bestandteil einer durchdachten Strategie.

Eine bundesweite Entwicklung mit besonderem Fokus auf Sachsen

Was die Studie für Sachsen dokumentiert, ist leider Teil eines bundesweiten Trends. Laut Bundeskriminalamt stieg die Zahl der Straftaten gegen LSBTIQ*-Personen im Jahr 2023 auf 1.785 Fälle – ein deutlicher Anstieg gegenüber den 1.188 Fällen im Vorjahr. Zu den häufigsten Straftaten zählen Beleidigungen, körperliche Angriffe, Volksverhetzung sowie Nötigungen und Bedrohungen. Doch hinter diesen Zahlen verbirgt sich ein besorgniserregendes Muster: Die Angriffe werden zunehmend koordiniert und strategisch geplant.

Die Analyse zeichnet in sieben detaillierten Kapiteln ein beunruhigendes Bild: Rechtsextreme Akteure, darunter klassische Neonazis ebenso wie identitäre Gruppen, nutzen gezielt antifeministische und queerfeindliche Narrative, um Anschluss an gesellschaftliche Mittepositionen zu finden. Dabei werden queere Menschen zum Projektionsfeld für eine vermeintliche "Zersetzung der traditionellen Ordnung", wie es in rechtsextremen Milieus heißt.

CSDs als Hauptziel rechtsextremer Mobilisierung

"Ob in Dresden, Bautzen, Leipzig, Plauen, Zwickau, Döbeln, Freiberg oder Görlitz – überall dort, wo ein größerer CSD stattfand, versammelte sich die extreme Rechte zu Gegenprotesten", heißt es in der Studie. Diese Entwicklung ist kein sächsisches Einzelphänomen: Bundesweit wurden bei fast 40 Prozent aller CSDs und Pride-Veranstaltungen queerfeindliche Angriffe oder Störungen durch rechtsextreme Gruppen verzeichnet, wie eine Erhebung des LSVD zeigt.

Besonders dramatisch war die Situation beim CSD in Bautzen, wo rund 700 Neonazis einem friedlichen Umzug mit etwa 1.000 Teilnehmenden folgten. Die Bedrohungslage war so ernst, dass die Organisator*innen die geplante Abschlusskundgebung absagten. Ähnlich bedrohliche Szenen spielten sich in Döbeln, Freiberg, Leipzig und Zwickau ab, wo jeweils mehrere hundert Rechtsextreme auftauchten, um die Veranstaltungen zu stören oder einzuschüchtern.

Gezielte Rekrutierung junger Menschen

Besonders perfide: Diese Ideologie wird zunehmend an Jugendliche vermittelt – teils über TikTok und Telegram. Einige Gruppen, wie die im vergangenen Jahr gegründeten "Elblandrevolte" in Dresden oder "Urbs Turrium" in Bautzen, sprechen gezielt Jugendliche an. Die Autoren der Studie betonen, dass manche der Akteure erst 13 oder 14 Jahre alt sind. Diese frühe Rekrutierung ist Teil einer langfristigen Strategie, um rechtsextreme Ideologie in der nächsten Generation zu verankern.

Die Amadeu Antonio Stiftung warnt, dass rechtsextreme Gruppen in sozialen Medien gezielt Ästhetiken und Trends nutzen, die bei Jugendlichen beliebt sind, um ihre queerfeindlichen Botschaften zu verbreiten. Während der Corona-Pandemie konnte eine verstärkte Radikalisierung junger Menschen im Netz beobachtet werden, die nun auf die Straße getragen wird.

Diskursverschiebungen und gesellschaftliche Mitte

Die Studie zeigt, dass der Hass auf queere Menschen auf eine teilweise offene oder schweigende Zustimmung in der gesellschaftlichen Mitte trifft. Konservative und rechtspopulistische Akteure greifen ähnliche Argumentationsmuster auf – etwa wenn sie vor einer angeblichen "Frühsexualisierung" in Schulen warnen oder Genderpolitik als "Ideologie" diffamieren. Das verschiebt den Diskurs nachhaltig und schafft Raum für weitere Radikalisierung.

Diese Diskursverschiebung ist kein Zufall, sondern Teil einer bewussten Strategie. Der Verfassungsschutz beobachtet seit einigen Jahren, wie rechtsextreme Gruppen gezielt Anschluss an konservative Kreise suchen, indem sie vermeintlich "gemäßigtere" Positionen vertreten, die aber auf demselben queerfeindlichen Fundament aufbauen.

Koordinierte Kampagnen gegen queere Sichtbarkeit

Wie konkret sich dieser Hass äußert, zeigt ein Blick auf die Vorfälle rund um queere Veranstaltungen in Sachsen 2024. Die Studie belegt, dass es sich nicht um spontane Einzelaktionen handelt, sondern um koordinierte Kampagnen. Queere Sichtbarkeit soll aktiv aus dem öffentlichen Raum gedrängt werden. Diese Strategie reiht sich ein in eine größere ideologische Erzählung: Rechte Gruppierungen inszenieren sich als Verteidiger einer "natürlichen Ordnung", die sie durch queere Lebensrealitäten, feministische Errungenschaften und Gleichstellungspolitik bedroht sehen.

Michael Nattke vom Kulturbüro Sachsen betont in einem Interview mit dem MDR: "Queerfeindlichkeit ist ein erhebliches Mobilisierungspotenzial für die extreme Rechte." Dies zeige sich nicht erst seit den queerfeindlichen Aufmärschen zu den Christopher Street Days 2024 in Bautzen und Leipzig.

Gegenwehr und Solidarität

Doch es gibt auch Hoffnung: In Pirna beispielsweise konnte der lokale CSD weitgehend unbehelligt stattfinden – dank breiter zivilgesellschaftlicher Unterstützung. Solche Beispiele zeigen, dass Solidarität wirkt. Die Autor*innen der Studie rufen daher explizit dazu auf, sich rechtsextremer Hetze entschieden entgegenzustellen – sowohl auf der Straße als auch im Alltag.

Auch bundesweit formieren sich Bündnisse gegen die zunehmende Queerfeindlichkeit. Der Bundesverband QueerDenken hat gemeinsam mit anderen Organisationen eine Initiative gestartet, die Betroffene unterstützt und aufklärt. Die Aktivist*innen fordern strukturelle Verbesserungen für den Schutz vor queerfeindlicher Gewalt, wie beispielsweise eigene Fach- und Meldestellen in allen Bundesländern.

Die Studie "Sachsen rechts unten 2025" soll bald online zur Verfügung stehen, bis dahin kann man sie gedruckt gegen Portogebühr und sonst kostenfrei beim Kulturbüro Sachsen bestellen. Sie liefert nicht nur wichtige Erkenntnisse über die Mechanismen rechtsextremer Queerfeindlichkeit, sondern auch Handlungsstrategien für eine demokratische und vielfältige Gesellschaft.

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