Die Royal Shakespeare Company (RSC) bringt derzeit Christopher Marlowes Stück über König Edward II. auf die Bühne – einen mittelalterlichen Herrscher, der für seine queere Liebe bekannt wurde. Wie PinkNews berichtet, inszeniert das britische Ensemble die Geschichte eines Monarchen, der seine persönlichen Gefühle über sein Königreich stellte – ein historisches Kapitel, das auch für die deutsche LGBTQ+ Community von bedeutender Relevanz ist.
Ein König zwischen Liebe und Pflicht
Edward II., der von 1307 bis 1327 über England herrschte, ging als erster abgesetzter englischer König in die Geschichte ein. Seine Regentschaft stand im Schatten seiner intensiven Beziehung zu seinem Favoriten Piers Gaveston. Während frühere Geschichtsschreibung versuchte, diese Verbindung als bloße Freundschaft abzutun, erkennen moderne Historiker zunehmend die romantische Natur dieser Beziehung an. Mittelalterliche Chroniken beschrieben Edwards Zuneigung zu Gaveston als "maßlos" und bemerkten unverhohlen, dass der König "besonders am Laster der Sodomie Gefallen fand" – Formulierungen, die für die damalige Zeit bemerkenswert deutlich waren.
Marlowe – ein revolutionärer Dramatiker
Christopher Marlowe, selbst vermutlich homosexuell, brachte diese queere Geschichte auf die Bühne und verstärkte ihre homoerotischen Elemente noch. Im elisabethanischen England kursierten Gerüchte über Marlowe als Ketzer, Spion und "Sodomit" – ein damals fast ebenso schwerwiegender Vorwurf wie Häresie. Die British Library dokumentiert, dass Marlowe angeblich verkündet haben soll: "Alle, die weder Tabak noch Knaben lieben, sind Narren."
Sein 1593 verfasstes Drama "Edward II." gilt als revolutionär für seine Zeit, da es offen queere Themen behandelt. Die Dialoge zwischen Edward und Gaveston sind voller romantischer Anspielungen. So erklärt Gaveston etwa, dass er für Edwards Lächeln und Umarmung bereit wäre, den Ärmelkanal zu durchschwimmen. Auch beschreibt er den König als seine ständige Sonne – Metaphern, die weit über freundschaftliche Zuneigung hinausgehen.
Die moderne Inszenierung
Die aktuelle RSC-Produktion im Swan Theatre in Stratford-upon-Avon zeigt die Liebesbeziehung zwischen Edward und Gaveston mit einer Offenheit, die teilweise kontrovers aufgenommen wird. Regisseur Daniel Raggett kritisiert im Gespräch mit PinkNews, dass queere Beziehungen oft auf rein sexuelle Aspekte reduziert werden – ein vorurteilsbehaftetes Narrativ, das er in seiner Inszenierung bewusst vermeidet.
Daniel Evans, Hauptdarsteller und Co-Künstlerischer Leiter der RSC, betont: "Wir halten uns gerne für äußerst liberal, doch Homophobie existiert nach wie vor, und das Stück enthält zahlreiche homophobe Beleidigungen." Diese anhaltende Problematik zeigt sich laut Evans auch in den negativen Reaktionen auf Werbematerialien, die Edward und Gaveston beim Küssen zeigen.
Deutsche Perspektiven
Edwards Geschichte findet Parallelen in der deutschen LGBTQ+ Geschichte. Während in England Section 28 queere Identitäten stigmatisierte, existierte in Deutschland bis 1994 der berüchtigte Paragraph 175. Der LSVD dokumentiert diesen langwierigen Kampf um Gleichberechtigung.
In beiden Ländern wurden queere historische Persönlichkeiten lange aus der offiziellen Geschichtsschreibung getilgt oder ihre Identität verschleiert. Die Behandlung von Edward II. in historischen Aufzeichnungen verdeutlicht dieses Phänomen – eine systematische Auslöschung, die die Bundeszentrale für politische Bildung als Unsichtbarmachung queerer Geschichte bezeichnet.
Geschichte als Widerstand
In Zeiten zunehmender Anfeindungen gegen LGBTQ+ Rechte gewinnt Edwards Geschichte besondere Bedeutung. Regisseur Raggett unterstreicht Marlowes politisches Bewusstsein. Das Stück erinnert daran, dass queere Identitäten schon immer existierten – selbst in den höchsten gesellschaftlichen Kreisen – und ihre Anerkennung stets gegen Widerstände erkämpft werden musste.
Deutsche Theaterhäuser wie das Maxim Gorki Theater oder das Deutsche Theater haben ähnliche historische LGBTQ+ Themen aufgegriffen und damit wichtige gesellschaftliche Diskussionen angestoßen – eine Tradition, die angesichts aktueller politischer Entwicklungen besondere Relevanz erhält.
Ein zeitloses Drama
Edwards Geschichte verdeutlicht, dass queere Identitäten und Beziehungen seit jeher Teil der menschlichen Erfahrung sind – in Deutschland wie in England. In einer Zeit, in der LGBTQ+ Rechte weltweit unter Druck geraten, ist die Darstellung historischer queerer Persönlichkeiten nicht nur kulturell wertvoll, sondern auch ein politischer Akt des Widerstands.
Wie Raggett betont, handelt es sich um "ein Stück über einen König, der zufällig queer ist" – eine Geschichte, die die komplexe Verflechtung menschlicher Emotionen zeigt und daran erinnert, dass Queerness immer existierte und auch heute noch, vielleicht mehr denn je, ein notwendiger Akt des Protests und der Sichtbarkeit ist.