Wenn SolidaritÀt schmerzt: Der brutale Angriff auf Kitty O'Brien und die Grenzen des Protests

Der brutale Polizeiangriff auf die queere Person Kitty O'Brien bei einer propalĂ€stinensischen Demonstration in Berlin wirft ein grelles Licht auf die zunehmende Gewalt gegen Aktivist*innen und die besorgniserregenden EinschrĂ€nkungen der Versammlungsfreiheit in Deutschland. Der 25-jĂ€hrige Dubliner Kitty O'Brien wurde am Donnerstagabend zweimal von einem Polizisten ins Gesicht geschlagen und erlitt dabei einen gebrochenen Arm, der operiert werden muss. Die Bilder des blutĂŒberströmten Gesichts gingen um die Welt und lösten internationale Empörung aus.

Ein Vorfall wird zum internationalen Politikum

Die irische Botschafterin Maeve Collins und hochrangige Beamte des irischen Außenministeriums haben die deutschen Behörden kontaktiert, um ihre Besorgnis ĂŒber den Vorfall zu vermitteln. Selbst der irische Premierminister Micheal Martin bezeichnete den Vorfall als "inakzeptabel" und sprach von "tiefer Besorgnis". Dass ein EU-Mitgliedsstaat sich genötigt sieht, auf diplomatischer Ebene gegen Polizeigewalt in Deutschland zu intervenieren, sollte uns alle alarmieren.

Kitty O'Briens Behandlung durch die Polizei in Berlin hat nun Proteste in der deutschen Botschaft in Dublin ausgelöst, wobei dort ein paar Dutzend Personen Ärger Ă€ußerten. Die Wellen, die dieser Vorfall schlĂ€gt, reichen weit ĂŒber Berlin hinaus und werfen fundamentale Fragen ĂŒber den Zustand der Demokratie und der Menschenrechte in Deutschland auf.

Irish Bloc Berlin: SolidaritĂ€t ĂŒber Grenzen hinweg

Kitty O'Brien ist Teil des "Irish Bloc Berlin", einer im Februar 2024 gegrĂŒndeten Gemeinschaft von Aktivist*innen verschiedener HintergrĂŒnde, die sich gleichermaßen fĂŒr Menschen öffnet, die nicht irisch oder europĂ€isch sind, aber ihr gemeinsames Engagement fĂŒr die palĂ€stinensische Befreiung teilen. Die Gruppe zielt darauf ab, Deutschlands systematische und rassifizierte UnterdrĂŒckung pro-palĂ€stinensischer Stimmen zu bekĂ€mpfen und steht als Ausdruck der langjĂ€hrigen SolidaritĂ€t des irischen Volkes mit den PalĂ€stinenser*innen.

Diese SolidaritĂ€t ist historisch verwurzelt. Paul Murphy, ein Mitglied des irischen Parlaments, erklĂ€rte: "Das irische Volk ist mit den PalĂ€stinensern solidarisch, weil wir selbst eine Geschichte der kolonialen UnterdrĂŒckung haben." Irland diente als imperiales Labor, in dem Teilungsstrategien zunĂ€chst erprobt wurden, bevor sie in der ganzen Welt Anwendung fanden. Heute haben viele ehemalige Kolonien mit dem blutigen Erbe der Politik des Teilens und Herrschens zu kĂ€mpfen.

Systematische Repression und absurde Verbote

Die deutsche Polizei geht mit zunehmender HĂ€rte gegen propalĂ€stinensische SolidaritĂ€tsdemonstrationen vor. Besonders absurd wird es, wenn selbst die irische Sprache bei einem Pro-PalĂ€stina-Protestcamp verboten wird, obwohl Gaeilge die Nationalsprache der Republik Irland und seit 2007 auch eine Amtssprache der EU ist. Die Polizei lĂ€sst nur Deutsch und Englisch zu – Arabisch ist nur fĂŒr ein kurzes Zeitfenster um 18 Uhr erlaubt – und verbietet Sprachen, die sie nicht versteht, damit sie ĂŒberprĂŒfen kann, ob etwas Illegales gesagt wird.

Der Menschenrechtskommissar des Europarats Michael O'Flaherty ist "besorgt ĂŒber Berichte von exzessiver Gewaltanwendung durch die Polizei gegen Versammlungsteilnehmer, einschließlich MinderjĂ€hriger, die teilweise zu Verletzungen fĂŒhren". Das Land Berlin hat alle geplanten Demonstrationen zum Gedenken an die palĂ€stinensische Nakba in den Jahren 2022 und 2023 aufgrund von diskriminierenden Stereotypen ĂŒber die zu erwartenden Teilnehmer*innen vorab verboten.

Queere SolidaritÀt mit PalÀstina: Ein vermeintlicher Widerspruch?

Die Tatsache, dass Kitty O'Brien als queere Person bei einer PalĂ€stina-Demonstration brutal angegriffen wurde, wirft ein Schlaglicht auf die vielfĂ€ltigen Allianzen innerhalb der Bewegung. Queere Menschen kĂ€mpfen fĂŒr eine befreite, gerechte Welt. Dass sie sich mit PalĂ€stina solidarisieren, ist daher nur konsequent.

Viele der Demonstrationen gegen den israelischen Angriff auf Gaza werden von Queers angeleitet. In Berlin fanden zur Pride zwei große Demonstrationen mit zehntausenden Teilnehmenden statt, die beide unter dem Zeichen der SolidaritĂ€t mit PalĂ€stinenser*innen standen: der Dyke March fĂŒr lesbische Sichtbarkeit und der antikapitalistische nicht-kommerzielle Internationalist Queer March.

Diese SolidaritĂ€t wird oft missverstanden oder bewusst falsch dargestellt. Kritiker*innen sagen oft: "Du bist queer und Ă€ußerst dich palĂ€stinasolidarisch? Geh mal nach Gaza, mal sehen wie lange du da ĂŒberlebst." Doch queere Menschen dĂŒrfen sich nicht gegen Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen aussprechen. PalĂ€stina und der gesamte mittlere Osten werden zu einem Hort der Barbaren gemacht, deren Gegensatz Israel und der Westen darstellen.

Polizeigewalt als strukturelles Problem

Nach der Statistik der Zeitschrift BĂŒrgerrechte & Polizei/CILIP sind im Jahr 2024 so viele Menschen erschossen worden wie noch nie seit Beginn der ZĂ€hlung in 1976. 22 Menschen sind durch Polizeikugeln gestorben. Dies zeigt, dass Polizeigewalt in Deutschland ein wachsendes strukturelles Problem darstellt.

Forschungen an der UniversitĂ€t Bochum zeigen, dass unrechtmĂ€ĂŸige Polizeigewalt in Deutschland deutlich hĂ€ufiger vorkommt als bisher bekannt. Abhilfe könnte eine unabhĂ€ngige Instanz schaffen, die bei Polizeigewalt möglichst neutral ermitteln könnte. In anderen LĂ€ndern wie Irland oder DĂ€nemark funktioniert dies gut. In Deutschland wird diese Reform seit Jahren von den Polizeigewerkschaften erfolgreich verhindert. GewerkschaftsfunktionĂ€re in Uniform haben das Sagen in deutschen Innenministerien.

Die VerhĂ€ltnismĂ€ĂŸigkeit in Frage gestellt

Die Berliner Polizei rechtfertigt ihr Vorgehen mit dem Verweis auf Widerstand und Beleidigungen. Die Polizei berichtete, dass O'Brien sich verweigerte und mehrere Polizisten beleidigte, wobei O'Brien Polizisten "VölkermordanhĂ€nger" und "F*CKing Nazis" genannt haben soll. Doch rechtfertigen verbale Auseinandersetzungen FaustschlĂ€ge ins Gesicht und einen gebrochenen Arm? Die VerhĂ€ltnismĂ€ĂŸigkeit polizeilichen Handelns – ein Grundpfeiler des Rechtsstaats – wurde hier offensichtlich missachtet.

Besonders besorgniserregend ist, dass den vier Aktivist*innen zwar strafrechtliche VorwĂŒrfe im Rahmen von propalĂ€stinensischen Protestaktionen gemacht werden, allerdings keine*r von ihnen strafrechtlich verurteilt wurde. Dennoch plant das Land Berlin ihre Ausweisung. Die deutsche Regierung versucht systematisch, jede Art von Protest gegen die Kriegsverbrechen der israelischen Regierung zu verbieten. Das ist ein Signal an die gesamte Protestbewegung fĂŒr PalĂ€stina und an alle anderen Protestbewegungen: dass niemand sicher ist, der nicht die deutsche StaatsbĂŒrgerschaft hat.

Ein Weckruf fĂŒr die Demokratie

Der Fall Kitty O'Brien ist mehr als ein einzelner Gewaltexzess. Er steht symbolisch fĂŒr die zunehmende EinschrĂ€nkung der Versammlungsfreiheit, die unverhĂ€ltnismĂ€ĂŸige Polizeigewalt und die Kriminalisierung legitimen Protests in Deutschland. Die Recherchen von Amnesty International zeichnen ein zutiefst beunruhigendes Bild eines europaweiten Angriffs auf die Versammlungsfreiheit. Regierungen schaffen ein protestfeindliches Umfeld, das eine ernsthafte Bedrohung fĂŒr friedliche Demonstrant*innen darstellt.

Wenn queere Menschen aus Irland fĂŒr ihre SolidaritĂ€t mit PalĂ€stina brutal zusammengeschlagen werden, wenn EU-Sprachen verboten werden, wenn internationale diplomatische Interventionen nötig sind, um auf Polizeigewalt aufmerksam zu machen – dann ist es höchste Zeit, dass wir als Gesellschaft innehalten und uns fragen: In was fĂŒr einem Land wollen wir leben? Die Antwort darauf wird entscheidend sein fĂŒr die Zukunft unserer Demokratie.

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