Ein Prozess am Berliner Landgericht wirft ein erschreckendes Schlaglicht auf eine oft unterschätzte Gefahr: Zwei junge Männer, 24 und 27 Jahre alt, müssen sich wegen schweren Raubes und gefährlicher Körperverletzung verantworten. Ihr Vorgehen war perfide: Im Oktober 2021 reisten sie nach Prag, um über Dating-Apps gezielt schwule Männer zu kontaktieren, diese mit K.-o.-Tropfen zu betäuben und auszurauben. Während einer der Angeklagten schweigt, sagte der jüngere unter Ausschluss der Öffentlichkeit aus – die Anklage wirft schwere Schatten auf ein Phänomen, das auch in Deutschland zunehmend Besorgnis erregt.
Zwei Opfer, schwere Folgen
Ein 31-jähriger Mann erlitt nach der Verabreichung von K.-o.-Tropfen schwere gesundheitliche Schäden, musste mehrere Wochen ins Krankenhaus und anschließend eine Reha besuchen. Im ersten Fall, einen Tag zuvor, war ein 40-jähriger Mann betroffen – ihm wurde ein Handy gestohlen. Die DNA-Spuren an den Tatorten führten schließlich zu einem der Angeklagten. Erst im Februar 2025 erhob die Berliner Staatsanwaltschaft Anklage. Der Prozess, für den sieben weitere Verhandlungstage bis Dezember angesetzt sind, zeigt exemplarisch die Brutalität dieser Verbrechen.
Ein deutschlandweites Problem mit hoher Dunkelziffer
Was in Prag geschah, ist kein Einzelfall. Auch Jungen und Männer können Opfer von Raub und Vergewaltigung unter Einsatz von K.-o.-Tropfen werden, bisher sind überwiegend Übergriffe gegen schwule Jungen und Männer bekannt geworden. Die Kölner Beratungsstelle für K.-o.-Tropfen betont: Bei schwulen Opfern ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen, und sexualisierte Gewalt gegenüber Männern wird bisher wenig thematisiert.
In Berlin stand kürzlich ein 35-Jähriger vor Gericht, der sich über eine Online-Dating-Plattform mit anderen Männern verabredet haben soll, um diese in ihren Wohnungen auszurauben, nachdem er sie durch K.-o.-Tropfen außer Gefecht gesetzt hatte. Noch dramatischer: In den letzten Jahren kam es immer wieder zu Todesfällen in Verbindung mit K.-o.-Tropfen. Ein 42-jähriger Mann starb nach einem Sexdate in Berlin, ein 56-Jähriger wurde wegen Mordes angeklagt.
Die Täter nutzen Scham und Angst aus
Die Täter machen sich zunutze, dass ihre Opfer aus Scham und aus Angst vor einem Coming-out nicht zur Polizei gehen, erklärt Tim Jänke, Ansprechperson für LGBTIQ bei der Landespolizei Schleswig-Holstein. Opfer müssen bei der Polizei ihre sexuelle Orientierung und die Nutzung von Dating-Seiten offenlegen, was häufig mit Scham und Angst vor Diskriminierung verbunden ist.
Auch in Bochum wurden bereits 2019 sechs junge Männer verurteilt, die ihre Opfer auf Dating-Apps kontaktiert, zu Sexdates eingeladen und dann ausgeraubt hatten. Die Schweizer Kantonspolizei Waadt berichtete von ähnlichen Fällen, bei denen Männer über Plattformen wie Gayromeo kontaktiert wurden. Aktivist*innen betonen, dass dies kein Einzelfall ist: "Wir beobachten weltweit, wie Dating-Apps wie Grindr genutzt werden, um gezielt schwule Männer in Fallen zu locken", so Andy Thayer vom Gay Liberation Network.
K.-o.-Tropfen: Eine unsichtbare Gefahr
Als K.-o.-Tropfen werden verschiedene Arten von Drogen bezeichnet, etwa Ketamin und GHB (Gammahydroxybuttersäure), umgangssprachlich Liquid Ecstasy genannt. K.-o.-Tropfen sind farblos und nicht zu schmecken, wenn sie in Getränke oder Speisen gemischt werden, bereits nach zehn bis 20 Minuten setzen Schwindelgefühle und Übelkeit ein, typisch ist der Gedächtnisverlust. Der Nachweis der Substanzen ist meist nur ca. 12 Stunden nach der Verabreichung möglich.
Prävention und Selbstschutz
Dating-Apps sind nach wie vor ein wichtiger und grundsätzlich sicherer Weg für queere Menschen, um Kontakte zu knüpfen. Doch Vorsicht ist geboten. Es scheint durchaus eine Idee zu sein, das Gegenüber online erst einmal genauer kennenzulernen und sich bei den ersten Treffen auf einen öffentlichen Bereich zu beschränken. Die Anlaufstellen für Lesben und Schwule in Köln helfen mit Informationen und sensibilisierten Ansprechpartnern.
Expertinnen raten: Getränke nie unbeaufsichtigt lassen, nur Drinks annehmen, deren Weg man von der Theke an verfolgt hat, und mit Freund*innen gemeinsam nach Hause gehen. Sexualisierte Gewalt unter K.-o.-Tropfen kann auch Jungen und Männern widerfahren, erste Beratung und Hilfe bietet das Hilfetelefon Gewalt gegen Männer unter der Rufnummer 0800 1239900. In Berlin bietet das schwule Anti-Gewalt-Projekt MANEO Unterstützung für Betroffene.
Ein Aufruf zur Community
Die Fälle von Übergriffen mit K.-o.-Tropfen bei Dating-App-Treffen sind ein ernstzunehmendes Problem, das die gesamte LGBTQ+-Community betrifft. Es geht nicht darum, Panik zu schüren – die meisten Dates verlaufen ohne Zwischenfälle. Aber Aufklärung, Sensibilisierung und der Mut, Übergriffe anzuzeigen, sind entscheidend, um die Dunkelziffer zu senken und Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Der Prozess in Berlin ist ein weiterer Schritt in diese Richtung.