Urteil aus Australien stärkt Rechte von trans Personen: Was Deutschland vom Fall "Tickle v. Giggle" lernen kann

Ein wegweisendes Gerichtsurteil aus Australien stärkt die Rechte von trans Personen und könnte auch für die Antidiskriminierungsarbeit in Deutschland relevant sein. Wie Outright International berichtet, hat das Bundesgericht von Australien im August 2024 in einem Präzedenzfall entschieden, dass das Ausschließen einer trans Frau von einer "Nur-für-Frauen"-App gegen das Antidiskriminierungsgesetz des Landes verstößt.

Der Fall "Tickle v. Giggle" und seine Bedeutung

Im Zentrum des Rechtsstreits stand Roxanne "Roxy" Tickle, eine trans Frau, die gegen die Social-Media-App "Giggle for Girls" und deren Gründerin Sally Grover klagte, nachdem ihr der Zugang zur Plattform verwehrt wurde. Die App, die sich als geschützter Raum "nur für Frauen" präsentierte, nutzte ein KI-gestütztes Gesichtserkennungssystem, um Nutzer:innen zu überprüfen.

Obwohl Tickle zunächst Zugang zur App erhielt, wurde sie später manuell von Grover ausgeschlossen, die nach eigener Aussage eine "schnelle und reflexartige" Entscheidung traf, dass Tickle männlich aussehe. Das Gericht entschied, dass dies eine indirekte Diskriminierung aufgrund der Geschlechtsidentität darstellt, da Grover eine Bedingung aufstellte – nämlich dass Nutzer:innen "wie eine cisgeschlechtliche Frau aussehen müssen" –, die trans Frauen in unfairer Weise benachteiligt.

Besonders bemerkenswert: Das Gericht lehnte Grovers grundsätzliche Ablehnung der Existenz und Gültigkeit von trans Frauen entschieden ab. Damit stellte sich das australische Bundesgericht klar gegen die zunehmende Verbreitung transfeindlicher Rhetorik, die sich in verschiedenen Teilen der Welt unter dem Banner des "Gender-kritischen Feminismus" oder "TERF" (Trans-Exclusionary Radical Feminism) etabliert hat.

Parallelen zur Situation in Deutschland

Deutschland befindet sich aktuell in einer entscheidenden Phase für die Rechte von trans, inter und nicht-binären Personen. Seit dem 1. November 2024 ist das neue Selbstbestimmungsgesetz in Kraft, das den Geschlechtseintrag und Vornamen durch eine einfache Erklärung beim Standesamt ändern lässt – ohne die bisher notwendigen medizinischen Gutachten oder gerichtlichen Verfahren.

Während Deutschland damit einen wichtigen Schritt in Richtung Selbstbestimmung gegangen ist, fehlt es jedoch noch an umfassender Rechtsprechung zum Diskriminierungsschutz für trans Personen. Hier könnte das australische Urteil ein wertvoller Bezugspunkt werden.

"Der Fall verdeutlicht die Notwendigkeit, Diskriminierung aufgrund der Geschlechtsidentität konsequent zu bekämpfen – auch und gerade in digitalen Räumen", erklärt Petra Weitzel vom Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V. (dgti). "In Deutschland haben wir zwar das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, aber es mangelt noch an präzedenzschaffenden Gerichtsurteilen, die dessen Anwendung auf trans Personen klarstellen."

Rechtliche Grundlagen in Deutschland

In Deutschland bietet das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) grundsätzlich Schutz vor Benachteiligung aufgrund der sexuellen Identität. Dieser Begriff wird in der Praxis so interpretiert, dass er auch Geschlechtsidentität umfasst, aber eine explizite Klarstellung fehlt noch. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes weist darauf hin, dass die rechtliche Situation für trans Personen in Deutschland trotz Verbesserungen weiterhin Lücken aufweist.

Mit dem Selbstbestimmungsgesetz wurde ein Teil des Weges zur rechtlichen Anerkennung vereinfacht. Doch für den umfassenden Schutz vor Diskriminierung im Alltag – sei es bei der Nutzung von Apps, beim Zugang zu Dienstleistungen oder am Arbeitsplatz – sind klare gerichtliche Präzedenzfälle wie "Tickle v. Giggle" wichtige Meilensteine.

Die Bedeutung von Selbstbestimmung und Akzeptanz

Das australische Gericht befasste sich auch mit der grundlegenden Frage, was "Geschlecht" bedeutet. Es wies Grovers eng biologistische Definition zurück und bestätigte, dass der Begriff in der Rechtsprechung eine "breitere gewöhnliche Bedeutung" erlangt hat. Diese Erkenntnis spiegelt die Entwicklung wider, die auch dem deutschen Selbstbestimmungsgesetz zugrunde liegt: Geschlecht ist nicht allein durch biologische Merkmale bei der Geburt determiniert.

In Deutschland führten ähnliche Diskussionen bereits 2017 zu einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das den Gesetzgeber verpflichtete, einen dritten positiven Geschlechtseintrag neben "männlich" und "weiblich" zu schaffen. Mit "divers" wurde dieser 2018 eingeführt, allerdings zunächst nur für intergeschlechtliche Menschen. Das Selbstbestimmungsgesetz verbreitert nun den Zugang zu geschlechtlicher Selbstbestimmung.

Digitale Räume und Diskriminierung

Der Fall "Tickle v. Giggle" unterstreicht die Notwendigkeit, Antidiskriminierungsgesetze auch auf digitale Plattformen anzuwenden. In einer zunehmend vernetzten Welt können Ausschlüsse von Online-Diensten erhebliche Auswirkungen auf die soziale Teilhabe haben.

In Deutschland fehlt es bislang an vergleichbaren Urteilen zu digitalen Plattformen. Der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) fordert daher eine Stärkung des Diskriminierungsschutzes, insbesondere im digitalen Raum. "Apps und Online-Plattformen sind heute zentrale Orte der gesellschaftlichen Teilhabe. Der Ausschluss aufgrund der Geschlechtsidentität ist dort genauso problematisch wie im analogen Leben", betont der Verband.

Ausblick: Was kann Deutschland von Australien lernen?

Das Urteil im Fall "Tickle v. Giggle" zeigt, dass Gerichte eine wichtige Rolle dabei spielen können, transfeindlicher Rhetorik Grenzen zu setzen und die Rechte von trans Personen zu stärken. Grover hatte in dem Verfahren sogar die Verfassungsmäßigkeit des australischen Antidiskriminierungsgesetzes in Frage gestellt – ein Angriff, den das Gericht klar zurückwies.

Für Deutschland könnte der Fall ein Vorbild sein, wie auch hier auf juristischer Ebene klare Grenzen gegen Diskriminierung gezogen werden können. Mit dem Selbstbestimmungsgesetz wurde bereits ein wichtiger Schritt getan, aber der Kampf gegen Diskriminierung im Alltag bleibt eine kontinuierliche Aufgabe.

Besonders besorgniserregend ist die Beobachtung des Gerichts, dass transfeindliche Einstellungen oft strategisch eingesetzt werden, um Bekanntheit zu erlangen. Seit Beginn des Rechtsstreits hat Grover in sozialen Medien an Reichweite gewonnen und bezeichnet sich selbst als "TERF". Auch in Deutschland lässt sich beobachten, wie transfeindliche Positionen mediale Aufmerksamkeit generieren – ein Phänomen, dem sowohl rechtlich als auch gesellschaftlich entgegengetreten werden muss.

Der australische Fall macht deutlich: Es geht nicht nur um einzelne Apps oder Dienstleistungen, sondern um die grundsätzliche Frage, ob trans Personen als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft anerkannt werden. Die Antwort des australischen Bundesgerichts war ein klares Ja – eine Haltung, die auch in Deutschland gestärkt werden sollte.

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