In einem aufsehenerregenden Missbrauchsprozess vor dem Essener Landgericht räumte der ehemalige Kaplan Peter H. (77) sexuelle Übergriffe an einem damals elfjährigen Jungen ein und bat um Entschuldigung. Der Fall aus dem Jahr 1979 schlägt erneut Wellen in der Debatte um sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche und angemessene Entschädigungen für die Betroffenen. Wie queer.de berichtet, soll eine Entscheidung über die geforderte Entschädigungssumme am 25. April verkündet werden.
Ein mutiger Mann kämpft um Gerechtigkeit
Der Kläger Wilfried Fesselmann, heute 56 Jahre alt, beschreibt den laufenden Prozess als "Befreiung". Er fordert vom Bistum Essen mindestens 300.000 Euro Schmerzensgeld, nachdem er bereits in der Vergangenheit Zahlungen in Höhe von insgesamt 45.000 Euro erhalten hatte. Seine Schilderungen der Ereignisse wurden vom Gericht als "glaubwürdig und nachvollziehbar" eingestuft.
Nach Fesselmanns Darstellung wurde er im Sommer 1979 vom damaligen Kaplan in dessen Wohnung zum Alkoholkonsum genötigt und später missbraucht. Am nächsten Morgen fand er einen Zettel mit der Aufforderung, über die Ereignisse zu schweigen: "Das bleibt unser Geheimnis. Du kannst jederzeit wiederkommen."
Die späte Reue des Täters
Im Gerichtssaal zeigte sich der Ex-Kaplan reuig. "Es tut mir leid wegen der Folgen für ihn", sagte Peter H. mit Blick auf den Kläger. "Es tut mir auch leid für meine Kirche." Er räumte ein, mit dem Jungen nackt im Bett gelegen und versucht zu haben, ihn im Intimbereich zu berühren. Allerdings behauptete er, seine Erinnerung sei lückenhaft, und bestritt, dass es zu Oralverkehr gekommen sei, wie vom Kläger beschrieben.
Besonders brisant: Nach den Vorfällen in Essen wurde der Geistliche Anfang der 1980er Jahre nach Bayern versetzt, angeblich um eine Therapie zu durchlaufen. Dort setzte er jedoch laut Bistum Essen seinen Missbrauch mit zahlreichen weiteren Fällen fort. Erst 2010 – drei Jahrzehnte später – wurde er aus dem kirchlichen Dienst entlassen und später in den Laienstand zurückversetzt.
Ein strukturelles Problem der Kirche
Der Fall reiht sich ein in eine lange Liste von Missbrauchsfällen innerhalb der katholischen Kirche in Deutschland. Seit 2010 bemüht sich die Kirche verstärkt um die Aufarbeitung dieser dunklen Kapitel. Das Bistum Essen hat nach Angaben des DOMRADIO bislang über 4,4 Millionen Euro an Opfer sexuellen Missbrauchs ausgezahlt.
Zwischen 2021 und 2023 wurden im Ruhrbistum 194 Anträge von Betroffenen bearbeitet, wobei die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) mehr als 3,2 Millionen Euro bewilligte. Die Entschädigungssummen variieren je nach Schwere des Falls.
Präzedenzfall für höhere Entschädigungen?
Die von Fesselmann geforderte Summe von mindestens 300.000 Euro orientiert sich an einem Urteil des Landgerichts Köln aus dem Sommer 2023, das einem früheren Ministranten diese Summe zugesprochen hatte. Es handelte sich dabei um eine der höchsten Entschädigungen, die bisher in Deutschland für kirchlichen Missbrauch gezahlt wurden.
Der Vorsitzende Richter im aktuellen Essener Verfahren merkte jedoch an, dass eine solche Summe "relativ weit oben" im Vergleich mit anderen Schmerzensgeldurteilen liege. Bedeutsam ist auch, dass sich das Bistum Essen in diesem Prozess nicht auf Verjährung beruft, wie es katholisch.de berichtet.
Die lebenslangen Folgen für Betroffene
Fesselmann führt als Begründung für seine Forderung die schwerwiegenden Folgen des Missbrauchs an: Er sei alkoholsüchtig geworden, leide an Angststörungen und Sexualstörungen. 24 Jahre lang sei er arbeitsunfähig gewesen und habe von Sozialleistungen leben müssen.
Diese traumatischen Langzeitfolgen sind typisch für Missbrauchsopfer und werden in der Debatte um angemessene Entschädigungen zunehmend berücksichtigt. Viele Betroffene kämpfen jahrzehntelang mit den psychischen und sozialen Konsequenzen der erlebten Übergriffe.
Aufarbeitung als langwieriger Prozess
Die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche bleibt ein langwieriger und für viele Betroffene schmerzlicher Prozess. Die deutschen Bischöfe veröffentlichten 2018 eine Studie, die Missbrauchsfälle im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz zwischen 1946 und 2014 dokumentiert.
Das Bistum Essen hat, wie viele andere Diözesen, inzwischen Ansprechpersonen für Betroffene ernannt und bemüht sich um transparente Verfahren. Dennoch kritisieren Opferverbände häufig, dass die Aufarbeitung zu langsam voranschreite und die Entschädigungen in keinem Verhältnis zu den lebenslangen Schäden stünden.
Der Fall des Ex-Kaplans Peter H. zeigt einmal mehr, wie wichtig eine konsequente Aufarbeitung der Missbrauchsfälle innerhalb der katholischen Kirche ist – nicht nur für die individuellen Betroffenen, sondern auch für die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit institutionellem Machtmissbrauch und dessen Folgen.