In einer Zeit, in der weltweit anti-geschlechtliche Bewegungen in Parlamenten und Gerichtssälen zunehmen, ist es wichtig, Siege für die LGBTIQ-Gemeinschaft zu würdigen. Im August 2024 hat das Bundesgericht von Australien eine wegweisende Entscheidung für die Rechte von Transgender-Personen getroffen, wie Outright International berichtet. Im Fall "Tickle vs. Giggle" hat das Gericht entschieden, dass Roxanne Tickle, eine Transgender-Frau, von der "nur für Frauen" konzipierten Social-Media-App "Giggle for Girls" rechtswidrig diskriminiert wurde, nachdem sie aufgrund ihres Erscheinungsbildes von der Plattform ausgeschlossen wurde.
Ein bedeutender Rechtsstreit mit internationaler Signalwirkung
Der Fall markiert die erste gerichtliche Entscheidung, die bestätigt, dass das australische Antidiskriminierungsgesetz (Sex Discrimination Act 1984) Transgender-Personen ausdrücklich vor Diskriminierung aufgrund ihrer Geschlechtsidentität schützt. Die Beklagte Sally Grover, Gründerin der App, hatte die Existenz von Transgender-Frauen grundsätzlich abgelehnt und sogar die Verfassungsmäßigkeit der 2013 eingeführten Gesetzesänderungen angefochten, die "Geschlechtsidentität" als geschützte Kategorie aufnahmen.
Das Gericht stellte fest, dass Giggle for Girls eine indirekte Diskriminierung praktizierte, indem die App von Nutzerinnen verlangte, wie Cisgender-Frauen auszusehen. Diese Bedingung benachteiligte Transgender-Frauen systematisch. Die App verwendete ein KI-System namens Kairos zur "Geschlechtserkennung", das laut Grover "das digitale Äquivalent dessen sei, was Menschen jeden Tag tun, wenn sie das männliche Geschlecht wahrnehmen". Implizit in dieser Gleichsetzung von Geschlecht/Gender mit biologischem Geschlecht war Grovers später explizit zugegebene Überzeugung, dass der Begriff "Frauen" nur Cisgender-Frauen einschließe.
Parallelen zur deutschen Rechtslage
In Deutschland gibt es ähnliche Entwicklungen im Bereich der Transgender-Rechte. Mit dem am 1. November 2024 in Kraft getretenen Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) wurde ein bedeutender Meilenstein erreicht. Dieses Gesetz ermöglicht es Transgender-, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen, ihren Geschlechtseintrag und Vornamen durch eine einfache Erklärung beim Standesamt zu ändern – ohne die zuvor notwendigen psychiatrischen Gutachten und gerichtlichen Entscheidungen.
Ähnlich wie in Australien bietet auch in Deutschland das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) Schutz vor Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, einschließlich der Geschlechtsidentität, im Arbeitsleben und bei der Inanspruchnahme von Waren und Dienstleistungen. Der Fall Tickle vs. Giggle könnte auch für die deutsche Rechtsprechung von Bedeutung sein, da er zeigt, wie Antidiskriminierungsgesetze im digitalen Raum angewendet werden können.
Rechtliche Hintergründe und Urteilsbegründung
Obwohl Grovers transphobe Haltung offensichtlich war, musste das Gericht eine sehr spezifische Entscheidung über die Art der behaupteten Diskriminierung treffen. Das Gericht stellte fest, dass Grover wahrscheinlich eine "schnelle und reflexartige" Entscheidung traf, Tickle zu entfernen, getrieben von einer Politik, die Nutzerinnen auf Grundlage ihres Erscheinungsbildes ausschloss, und nicht aufgrund tatsächlicher Kenntnis von Tickles Transgender-Identität. Daher konnte Tickle keine direkte Diskriminierung nachweisen.
Gestützt auf dieselben Beweise befand das Gericht jedoch, dass Grovers Politik, von Nutzerinnen zu verlangen, "wie eine Cisgender-Frau auszusehen", eine indirekte Diskriminierung darstellte, da sie eine Bedingung auferlegte, die Transgender-Frauen benachteiligte, die diesen willkürlichen Standard nicht erfüllen konnten. Giggle und Grover wurden zur Zahlung von 10.000 AUD (etwa 6.000 Euro) Schadensersatz sowie zur Übernahme von Tickles Anwaltskosten verurteilt.
Die Frage des Geschlechts im Zentrum der Debatte
Im Kern von Grovers Argumenten stand die Überzeugung, dass "die Biologie bei der Geburt dauerhaft die Sprache diktiert, die zur Beschreibung einer Person verwendet werden muss". Diese Auffassung spiegelte sich in ihrer Verteidigung wider: Sie habe keine "Frau" diskriminiert, weil Tickle in ihren Augen ein "erwachsener männlicher Mensch" sei.
Das Gericht lehnte diese essentialistische Interpretation von "Geschlecht" ab und betonte, dass der Begriff eine "breitere gewöhnliche Bedeutung" erlangt habe, geprägt durch seine Verwendung in Gesetzen zur rechtlichen Anerkennung des Geschlechts in den australischen Bundesstaaten und Territorien. Unter Bezugnahme auf frühere Fälle bekräftigte das Gericht, dass die rechtliche Anerkennung des nicht-binären Geschlechts in Australien die Möglichkeit anerkennt, dass das Geschlecht einer Person veränderbar ist.
Diese Auffassung erinnert an die deutsche Rechtsentwicklung. Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits in mehreren Entscheidungen festgestellt, dass das Geschlecht einer Person nicht allein durch biologische Faktoren bestimmt wird und dass die geschlechtliche Identität ein wesentlicher Aspekt der Persönlichkeit ist, der verfassungsrechtlichen Schutz genießt.
Rechtliche Geschlechtsanerkennung: Der Blick zurück zeigt den Weg nach vorn
Der Fall Tickle unterstreicht die wichtige Schnittstelle zwischen Antidiskriminierungsgesetzen und der rechtlichen Anerkennung des Geschlechts für Transgender-Personen. Es war bedeutsam, dass Tickle viele Jahre vor diesem Fall einen damals schwierigen und stark medikalisierten Prozess der rechtlichen Geschlechtsanerkennung durchlaufen hatte, um ihre in Queensland ausgestellte Geburtsurkunde auf "weiblich" aktualisieren zu lassen. Auf dieser Grundlage kam das Gericht zu dem Schluss, dass Tickles Selbstidentifikation als Frau "rechtlich unanfechtbar" sei.
In Deutschland war der Weg zu einer erleichterten Geschlechtsanerkennung ähnlich lang. Das Transsexuellengesetz (TSG) von 1980 verlangte ursprünglich von Transgender-Personen, sich einer geschlechtsangleichenden Operation zu unterziehen und dauerhaft unfruchtbar zu sein, bevor ihr Geschlecht rechtlich anerkannt wurde – Bedingungen, die das Bundesverfassungsgericht später für verfassungswidrig erklärte. Mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz gehört Deutschland nun zu den Ländern, die eine Änderung des Geschlechtseintrags auf Basis der Selbstbestimmung ermöglichen.
Ausblick: Fortschritte nicht als selbstverständlich betrachten
Es ist wichtig zu beachten, dass diese Fortschrittslinie nicht als selbstverständlich angesehen werden sollte. Wie Professor Paula Gerber, eine prominente Menschenrechtsexpertin an der Monash University, beobachtet hat, wächst die Besorgnis, dass eine "US-ähnliche Anti-Trans-Kampagne" in Australien an Dynamik gewinnt – ein Phänomen, das durch Grovers Argumente im Fall deutlich illustriert wird.
Auch in Deutschland sind trotz rechtlicher Fortschritte Transgender-Personen weiterhin mit Diskriminierung und Herausforderungen konfrontiert. Laut einer Studie der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) berichteten 65 % der Transgender-Frauen in Deutschland von Diskriminierungserfahrungen in den letzten 12 Monaten.
Während noch abzuwarten bleibt, ob die Entscheidung des Bundesgerichts im Fall Tickle vs. Giggle in der Berufung bestätigt oder aufgehoben wird, stellt sie einen wichtigen, wenn auch vorläufigen Schritt nach vorn in einer zunehmend feindlichen Welt für geschlechtsdiverse Menschen dar. Für die LGBTIQ-Community in Deutschland und weltweit bietet der Fall wichtige Erkenntnisse darüber, wie Antidiskriminierungsgesetze zum Schutz ihrer Rechte eingesetzt werden können.