Homophobie im Klassenzimmer: Der erschreckende Aufklärungsfilm "Christian und sein Briefmarkenfreund" als Zeitdokument

Vor 50 Jahren wurde Homosexualität in deutschen Schulen noch als "abartige Form sexuellen Verhaltens" dargestellt. Der Aufklärungsfilm "Christian und sein Briefmarkenfreund" aus dem Jahr 1975, über den queer.de berichtet, zeigt auf erschreckende Weise, wie Homosexualität damals mit Pädophilie und sexuellem Missbrauch gleichgesetzt wurde. Dieses Zeitdokument offenbart die gesellschaftliche Stigmatisierung, gegen die die LGBTQ+-Community jahrzehntelang ankämpfen musste.

Der Film und sein problematischer Inhalt

Der sechsminütige Film erzählt die Geschichte des zehnjährigen Christian, der von einem erwachsenen Mann namens Herrn Burckhart unter dem Vorwand des Briefmarkentauschs sexuell belästigt wird. Das Begleitheft zum Film, herausgegeben vom "Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht" (FWU), bezeichnete Homosexualität explizit als "neurotisch-krankhafte Triebrichtung" und stellte homosexuelle Männer auf eine Stufe mit "Triebverbrechern".

Besonders problematisch: Der Film traf keine Unterscheidung zwischen Homosexualität und Pädophilie. Vielmehr suggerierte er, dass homosexuelle Männer generell "häufig Kontakt zu Kindern und Jugendlichen" suchten - eine Darstellung, die zur weiteren Stigmatisierung der schwulen Community beitrug und deren Nachwirkungen teilweise bis heute spürbar sind.

Der gesellschaftliche Kontext der 1970er Jahre

Um den Film einordnen zu können, muss man die gesellschaftliche Situation homosexueller Menschen in den 1970er Jahren verstehen. Obwohl der berüchtigte Paragraph 175, der sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte, 1969 teilweise entschärft wurde, blieb Homosexualität weiterhin stark stigmatisiert und wurde erst 1994 vollständig entkriminalisiert. In den 1970er Jahren begann sich zwar langsam eine neue Schwulenbewegung zu formieren, aber die gesellschaftliche Akzeptanz war noch sehr gering.

In Schulbüchern und Lehrplänen dieser Zeit wurde Homosexualität häufig unter "abweichende Formen" sexuellen Verhaltens kategorisiert. In den Biologie-Rahmenplänen vieler Bundesländer wurde das Thema zusammen mit Exhibitionismus, Sodomie und Pädophilie behandelt, wie Forschungsarbeiten zur Geschichte der Sexualerziehung belegen.

Ähnliche Aufklärungsfilme der Zeit

"Christian und sein Briefmarkenfreund" war nicht der einzige problematische Aufklärungsfilm dieser Zeit. Der Artikel erwähnt auch "Die Pfütze" (1961) und "Augen auf, Peter!" (1961), die ähnliche Narrative verwendeten. Diese Filme wurden zum Teil noch bis in die 1970er Jahre hinein in Schulen gezeigt und prägten so das Bild, das junge Menschen von Homosexualität hatten.

Der Aufklärungsfilm "Kommst du mit?" (1973/1974) aus dem Kindermagazin "Denkste" des Senders Freies Berlin (SFB) versuchte zwar, Kinder vor den Gefahren des sogenannten "Mitschnackers" zu warnen, perpetuierte aber ebenfalls das Klischee vom fremden Mann als Hauptgefahr für Kinder.

Ein wichtiger Wendepunkt: "Taxi zum Klo"

Eine interessante Wendung nahm die Rezeption des Films "Christian und sein Briefmarkenfreund", als der schwule Regisseur Frank Ripploh 1980 etwa die Hälfte des Aufklärungsfilms in seinen autobiografischen Spielfilm "Taxi zum Klo" einbaute. Ripploh, selbst Lehrer, schuf durch die Parallel-Montage eine ironische Distanz zum Klischee des pädosexuellen Lehrers und stellte sich selbst als vorbildlichen Pädagogen dar.

Ripploh gehörte 1978 auch zu den 682 Männern, die sich für die "Stern"-Reportage "Ich bin schwul" porträtieren ließen - ein mutiger Schritt, der ihn später seine Beamtenstelle kostete. Dies zeigt die beruflichen Risiken, die mit einem offenen Bekenntnis zur Homosexualität verbunden waren.

Die Bedeutung für den heutigen Diskurs in Deutschland

Für die deutsche LGBTQ+-Community sind solche historischen Dokumente wichtig, um die lange Geschichte der Diskriminierung zu verstehen und aufzuarbeiten. Der Film und sein Begleitmaterial zeigen exemplarisch, wie institutionalisierte Homophobie in Bildungseinrichtungen verankert war und wie schwer der Kampf für Gleichberechtigung und Akzeptanz war.

Wie der Artikel hervorhebt, hat die 1978 gegründete Arbeitsgemeinschaft der schwulen Lehrer in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) maßgeblich dazu beigetragen, dass sich die Darstellung von Homosexualität in Lehrplänen veränderte. So konnte 1979 in Berlin durchgesetzt werden, dass Homosexualität in den Rahmenlehrplänen nicht mehr mit negativen Bewertungen versehen wurde.

Fortschritte in der schulischen Aufklärung

Heute hat sich die schulische Aufklärung in Deutschland grundlegend verändert. Moderne Lehrpläne betonen die Vielfalt sexueller Orientierungen und Geschlechtsidentitäten und fördern Respekt und Akzeptanz. Dennoch gibt es nach wie vor Diskussionen darüber, wie und in welchem Umfang LGBTQ+-Themen im Schulunterricht behandelt werden sollten.

Organisationen wie SCHLAU bieten heute Workshops und Bildungsveranstaltungen an Schulen an, in denen junge LGBTQ+-Menschen als Bildungsreferent*innen fungieren und von ihren eigenen Erfahrungen berichten. So können Vorurteile abgebaut und ein differenzierteres Bild vermittelt werden.

Fazit: Ein wichtiges Zeitdokument

Der Film "Christian und sein Briefmarkenfreund" bleibt ein wichtiges, wenn auch verstörendes Zeitdokument. Er zeigt, wie tief homophobe Vorurteile in der deutschen Gesellschaft verankert waren und wie diese durch staatliche Institutionen wie Schulen reproduziert wurden. Die Tatsache, dass der Film bis in die 1980er Jahre hinein gezeigt wurde, verdeutlicht, wie langsam sich gesellschaftliche Einstellungen wandeln.

Rückblickend macht uns dieser Film bewusst, welche enormen Fortschritte in den letzten Jahrzehnten erzielt wurden - und wie wichtig es ist, weiterhin für eine inklusive Bildung zu kämpfen, die alle sexuellen Orientierungen und Geschlechtsidentitäten respektiert und wertschätzt.

Der Artikel auf queer.de schließt mit den Worten: "Gerade angesichts von 'Christian und sein Briefmarkenfreund' wird deutlich, wie viel Aufklärungsarbeit in dieser Zeit notwendig war" - eine Erinnerung daran, dass der Kampf um Gleichberechtigung und Respekt niemals selbstverständlich war und ist.

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