In einem wegweisenden Urteil hat das Oberste Gericht Polens das Verfahren zur rechtlichen Anerkennung von trans Personen deutlich vereinfacht. Wie queer.de berichtet, schaffte das Gericht in Warschau am Dienstag die jahrelange umstrittene Praxis ab, nach der trans Personen ihre eigenen Eltern oder Vormunde verklagen mussten, um eine Änderung des Vornamens und Geschlechtseintrags zu erwirken.
Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (Sąd Najwyższy) mit dem Aktenzeichen III CZP 11/23 beendet eine lange Phase der Rechtsunsicherheit. Die Große Kammer setzte das angesichts fehlender gesetzlicher Regelungen von der Justiz selbst entwickelte Verfahren mit sofortiger Wirkung aus.
Ein Ende der Belastung für trans Personen
Die Große Kammer des Obersten Gerichts entschied, dass entsprechende Anträge künftig in einem nicht-streitigen Verfahren direkt auf Antrag der trans Person von einem Gericht entschieden werden. Nur wenn vorhanden muss der Ehemann oder die Ehefrau der Person einbezogen werden. Die Organisation "Kampagne gegen Homophobie" begrüßte die Entscheidung: "Trans Personen, die oft keinen Kontakt zu ihren Familien haben oder dort auf mangelnde Akzeptanz stoßen, müssen künftig ihre Eltern nicht mehr in das Verfahren einbeziehen. Das bedeutet weniger Stress, geringere Kosten und eine kürzere Wartezeit auf eine Gerichtsentscheidung."
Politische Reaktionen in Polen
Der aktuelle polnische Justizminister Adam Bodnar hat die Entscheidung unterstützt und den früheren Antrag seines queerfeindlichen Vorgängers Zbigniew Ziobro widerrufen, der das Verfahren sogar noch erschweren wollte. Bodnar, der Teil der reformorientierten Regierung unter Donald Tusk ist, hat sich wiederholt für die Stärkung von LGBTQ+-Rechten in Polen eingesetzt.
Die Reaktionen fallen jedoch, wie zu erwarten, entlang der politischen Trennlinien aus. Während die regierende liberale Koalition die Entscheidung als wichtigen Schritt für Menschenrechte begrüßt, haben Vertreter der rechtspopulistischen PiS-Partei und der rechtsextremen Konfederacja die Entscheidung scharf kritisiert und als "ideologische Absurdität" bezeichnet.
Vergleich mit Deutschland: Unterschiedliche Wege zur Selbstbestimmung
Während Polen diesen wichtigen Schritt macht, hat Deutschland mit dem Selbstbestimmungsgesetz, das am 1. November 2024 in Kraft tritt, bereits eine weitergehende Reform umgesetzt. Das deutsche Gesetz erlaubt es Personen ab 14 Jahren, ihren Vornamen und Geschlechtseintrag durch eine einfache Erklärung beim Standesamt zu ändern – ein deutlich niedrigschwelligeres Verfahren als in Polen, wo weiterhin ein Gerichtsverfahren notwendig ist.
Das deutsche Selbstbestimmungsgesetz ersetzt das veraltete Transsexuellengesetz von 1980, das den Betroffenen vorschrieb, zwei psychologische Gutachten einzuholen und die Genehmigung eines Gerichts zu beantragen. Für Minderjährige über 14 Jahre ist in Deutschland die Zustimmung der Eltern erforderlich, während Kinder unter 14 Jahren auf die Unterstützung ihrer Eltern angewiesen sind, die den Antrag stellen müssen.
Polen: Gesetzliche Regelung steht noch aus
Trotz des Fortschritts durch die Gerichtsentscheidung fehlt in Polen weiterhin eine klare gesetzliche Regelung. Das polnische Parlament hatte 2015 zwar ein Gesetz erlassen, das vereinfachte und klare Regelungen für rechtliche Transitionen schaffen sollte, aber der damals neu ins Amt gekommene konservative Präsident Andrzej Duda legte ein Veto ein. Dieses wurde vom Sejm vor der Parlamentswahl im selben Jahr nicht mehr überstimmt, woraufhin die queerfeindliche PiS-Partei die Regierung übernahm.
Das Verfahren basiert in Polen daher weiter auf individuellen Gerichtsentscheidungen statt auf klaren gesetzlichen Definitionen. Diese setzen in der Regel medizinische Diagnosen voraus und können je nach Richter oder Richterin willkürliche bis diskriminierende Befragungen durch das Gericht beinhalten. Einen dritten Geschlechtseintrag gibt es in Polen, im Gegensatz zu Deutschland, bislang nicht.
Unterschiedliche Geschwindigkeiten bei LGBTQ+-Rechten
Im europäischen Vergleich zeigt sich, dass Deutschland und Polen unterschiedliche Wege bei der rechtlichen Anerkennung von trans Personen gehen. Während Deutschland als eines der fortschrittlichsten Länder in Bezug auf Transgender-Rechte gilt, wird Polen von internationalen Organisationen als eines der problematischeren Länder in der Europäischen Union in Bezug auf LGBTQ+-Rechte eingestuft.
Dennoch ist die aktuelle Entscheidung des Obersten Gerichts in Polen ein bedeutender Schritt in die richtige Richtung. Die "Kampagne gegen Homophobie" fordert die polnische Regierung nun auf, ein Gesetz zu erlassen, das "die Erfahrungen und Bedürfnisse von trans Personen selbst berücksichtigt" und einen "einfachen und würdevollen Prozess zur Änderung ihrer Dokumente ermöglicht".
Für die deutsche LGBTQ+-Community zeigt diese Entwicklung, dass auch in traditionell konservativeren Ländern Fortschritte möglich sind, wenn die Justiz Menschenrechte über ideologische Vorbehalte stellt. Gleichzeitig wird deutlich, wie wichtig der Kampf für klare gesetzliche Regelungen ist, die die Selbstbestimmung und Würde aller Menschen in den Mittelpunkt stellen.