Die brandenburgische Stadt Templin erlebt einen historischen Moment: Christian Hartphiel (SPD), ein offen schwuler Politiker, hat die Stichwahl um das Bürgermeisteramt gegen den AfD-Kandidaten Christian Bork gewonnen. Der ursprüngliche Bericht von queer.de zeigt, dass der 46-jährige Regionalgeschäftsführer Nordost der SPD Brandenburg sich mit 53,8 Prozent der Stimmen durchsetzen konnte – in einem Wahlkampf, der deutschlandweit Aufmerksamkeit erregte.
Eine Wahl mit Signalwirkung
Die Bedeutung dieser Wahl reicht weit über die Grenzen der kleinen Kurstadt hinaus. Templin, bekannt als Heimatstadt von Altkanzlerin Angela Merkel, wäre bei einem Sieg Borks die zweite Stadt Brandenburgs mit einem hauptamtlichen AfD-Bürgermeister geworden. Im ersten Wahlgang hatte der AfD-Kandidat noch mit 31,4 Prozent die Nase vorn. Der Erfolg Hartphiels sendet nun ein kraftvolles Signal für Toleranz und Weltoffenheit in einer Zeit, in der auch in Brandenburg queerfeindliche Straftaten zunehmen – von 27 im Jahr 2022 auf 84 im vergangenen Jahr, wie das Innenministerium auf Anfrage mitteilte.
Ein Leben im Einsatz für die LGBTQ+ Community
Hartphiel ist kein Unbekannter in der Region. Als Gründer des Vereins "UM Queer" setzt er sich seit Jahren für die Rechte und Sichtbarkeit queerer Menschen in der Uckermark ein. Sein eigenes Coming-out hatte er bereits in der achten Klasse – ein mutiger Schritt im ländlichen Brandenburg. Mit seinem Verein kämpft er nicht nur gegen Diskriminierung, sondern auch gegen die Landflucht von Schwulen und Lesben, die oft in Großstädte wie Berlin, Hamburg oder Köln ziehen. "Ein wachsendes Gemeinschaftsgefühl soll Homosexuellen Mut zum offenen Umgang mit ihrer Neigung machen", erklärte Hartphiel einmal seine Mission.
Die Landesregierung Brandenburg unterstützt solche Initiativen durch den Aktionsplan Queeres Brandenburg, der die Akzeptanz queerer Lebensweisen fördern und Antidiskriminierung vorantreiben soll. Projekte wie die "LesBI*Schwule T*our", die jährlich in verschiedenen brandenburgischen Städten Station macht, tragen zur Sichtbarkeit der Community bei – auch in Templin und Umgebung.
Mut trotz Anfeindungen
Hartphiels Engagement blieb nicht ohne Konsequenzen. Als er während der Flüchtlingskrise 2015 vier Geflüchtete bei sich aufnahm, wurde er zur Zielscheibe von Hass und Gewalt. Unbekannte beschmierten sein Auto mit Kot, sprengten seinen Briefkasten und bedrohten ihn sogar mit dem Tod. Besonders erschütternd war die Erfahrung auf dem örtlichen Weinfest, als ein Mann ihn mit den Worten ansprach: "Na, für solche wie dich heißt es auch bald: Ab in den Zug nach Krakau!" – eine unmissverständliche Anspielung auf die NS-Deportationen ins Konzentrationslager Auschwitz.
Trotz dieser traumatischen Erfahrungen bleibt Hartphiel seiner inklusiven Haltung treu. Gegenüber der Märkischen Oderzeitung betonte er nach seinem Wahlsieg: "Menschen, die die AfD gewählt haben, werden dafür ihre Gründe haben. Die muss ich akzeptieren und werde den Auftrag, den man als Bürgermeister hat, ernst nehmen, dass man für alle Bürger da ist. Deshalb steht meine Tür für jeden Menschen offen, egal, wen er jetzt gewählt hat."
Parallelen in ganz Deutschland
Hartphiels Wahlsieg in Templin ist Teil eines größeren Bildes. In mehreren deutschen Kommunen haben sich in den vergangenen Jahren offen queere Kandidat:innen gegen rechtspopulistische Gegner:innen durchgesetzt. So wurde beispielsweise in Hannover mit Belit Onay 2019 erstmals ein offen homosexueller Politiker türkischer Herkunft zum Oberbürgermeister einer Landeshauptstadt gewählt. Auch Thomas Eiskirch, der offen schwule Oberbürgermeister von Bochum, oder Sven Lehmann, der erste Queer-Beauftragte der Bundesregierung, zeigen, dass LGBTQ+-Politiker:innen zunehmend in Ämter gewählt werden.
Die steigende Zahl queerfeindlicher Straftaten in vielen Bundesländern – nicht nur in Brandenburg – macht jedoch deutlich, dass der Kampf für Akzeptanz noch lange nicht gewonnen ist. Gerade in ländlichen Regionen, wo queere Strukturen oft weniger sichtbar sind, braucht es Vorbilder wie Christian Hartphiel, die Mut machen und zeigen: Vielfalt ist auch abseits der Großstädte möglich und kann sogar an der Wahlurne überzeugen.
Blick nach vorne
Mit seinem klaren Bekenntnis "Templin wird weiterhin eine gastfreundliche, weltoffene und tolerante Kurstadt bleiben!" hat Christian Hartphiel nach seinem Wahlsieg ein Versprechen abgegeben, an dem er sich messen lassen muss. Als Kreistagsabgeordneter in seiner dritten Wahlperiode und Fraktionsvorsitzender im Kreistag bringt er bereits umfangreiche politische Erfahrung mit.
Die Herausforderung wird nun sein, in einer gespaltenen Stadtgesellschaft – immerhin stimmten 46,2 Prozent für seinen AfD-Gegenkandidaten – Brücken zu bauen und gleichzeitig seinen Werten treu zu bleiben. Mit seiner Doppelrolle als Bürgermeister für alle Bürger:innen und gleichzeitig Vertreter der LGBTQ+ Community wird Hartphiel zu einem wichtigen Symbol dafür, dass demokratische Werte und queere Sichtbarkeit auch in strukturschwachen Regionen eine Zukunft haben können.