Alarmierender Trend: Queerfeindliche Gewalt in Berlin erreicht neuen Höchststand – Teil eines bundesweiten Problems

Das 1990 gegründete schwule Anti-Gewalt-Projekt MANEO hat im vergangenen Jahr 738 Fälle und Hinweise auf Anfeindungen gegen queere Menschen in der Bundeshauptstadt Berlin registriert – so viele wie nie zuvor. Im Vergleich zu 2023 habe es einen Anstieg um acht Prozent gegeben, teilte die Beratungsstelle mit, wie queer.de berichtet. Diese beunruhigende Entwicklung ist jedoch kein isoliertes Berliner Phänomen, sondern spiegelt einen bundesweiten Trend wider.

Besorgniserregende bundesweite Statistiken

Laut dem Bundeskriminalamt (BKA) wurden 2023 deutschlandweit insgesamt 1.785 Fälle von Hasskriminalität gegen LSBTIQ*-Personen registriert. Dies entspricht einem erschreckenden Anstieg von etwa 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr, in dem 1.188 Fälle erfasst wurden. Bundesinnenministerin Nancy Faeser bezeichnete diese Zahlen als "erschreckend" und betonte die Notwendigkeit, queerfeindliche Gewalt klar zu benennen und gezielt zu verfolgen.

Besonders alarmierend: Die polizeilich erfassten Zahlen bilden vermutlich nur die Spitze des Eisbergs. Experten gehen von einer hohen Dunkelziffer aus. MANEO schätzt, dass in Berlin etwa 80 bis 90 Prozent der queerfeindlichen Übergriffe gar nicht zur Anzeige gebracht werden. Die Gründe dafür sind vielfältig: Viele Betroffene haben negative Erfahrungen mit Behörden gemacht, sind skeptisch gegenüber Strafverfolgungsbehörden oder befürchten weitere Diskriminierung im Anzeigeprozess.

Öffentlicher Raum als Gefahrenzone

Allein 165 der in Berlin gemeldeten Vorfälle ereigneten sich an öffentlichen Orten oder in Bussen und Bahnen. "Die Sichtbarkeit schwuler und bisexueller Männer, Lesben sowie Trans* und nicht-binärer Personen im öffentlichen Raum birgt ein hohes Risiko, allein deshalb beleidigt, gedemütigt oder körperlich angegriffen zu werden", erklärt MANEO. Ein konkretes Beispiel: Zwei schwule Männer wurden nach einem Kuss im Volkspark Friedrichshain von drei Männern verprügelt – allein aufgrund ihrer sichtbaren Zuneigung zueinander.

Die Berliner Polizeipräsidentin Barbara Slowik hatte bereits vergangenes Jahr jüdischen und homosexuellen Menschen geraten, in bestimmten Teilen der Bundeshauptstadt besondere Vorsicht walten zu lassen. Sie würde "Menschen, die Kippa tragen oder offen schwul oder lesbisch sind, raten, aufmerksamer zu sein".

Zunehmende Angriffe auf queere Einrichtungen und Gedenkorte

Besonders beunruhigend ist die stark gestiegene Zahl der Übergriffe auf queere Einrichtungen und Gedenkorte. MANEO registrierte 62 solcher Fälle – ein Anstieg von 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Darunter fallen Angriffe auf das Denkmal für die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus, aber auch Sachbeschädigungen an queeren Einrichtungen, die mit Eiern, Getränkedosen und Steinen beworfen wurden. Zudem wurden Anschläge angedroht und Schaufenster beschädigt.

Laut dem Berliner Monitoring wurden 2023 insgesamt 588 queerfeindliche Straftaten polizeilich erfasst, was ebenfalls einen neuen Höchststand darstellt. Auch die Zahl der Gewaltdelikte war mit 127 Fällen auf einem deutlich erhöhten Niveau.

Anstieg von Dating-App-Fallen

Eine besonders perfide Form queerfeindlicher Angriffe findet über Dating-Portale statt. MANEO berichtet, dass Täter gezielt in Dating-Apps eindringen, um potenzielle Opfer in Fallen zu locken. Die Absicht: Schwule und bisexuelle Männer auszurauben und ihnen Verletzungen zuzufügen. Diese Form der gezielten Gewalt zeigt, wie systematisch manche Tätergruppen vorgehen und welche Risiken für queere Menschen auch im digitalen Raum bestehen.

Gesellschaftliches Klima verschärft sich

Experten sehen eine Verschärfung des gesellschaftlichen Klimas gegenüber queeren Menschen. Mara Geri vom Lesben- und Schwulenverband (LSVD) betont, dass sich die Situation im vergangenen Jahr noch einmal deutlich verschlechtert habe. Als Ursache identifiziert sie vor allem rechtsextreme Stimmungsmache und Desinformation, die zur Dämonisierung von LSBTIQ*-Personen beitragen.

Der LSVD fordert die Bundesregierung auf, durch Gesetzesanpassungen unmissverständlich für die Sicherheit und Menschenrechte von LSBTIQ*-Personen einzutreten. Gleichzeitig ist es wichtig, Betroffenen niedrigschwellige Unterstützungs- und Beratungsangebote zur Verfügung zu stellen.

Besonders gefährdet: Trans* Personen

Während die Mehrheit der erfassten Opfer queerfeindlicher Gewalt männlich ist, nehmen trans*feindliche Straftaten einen besonderen Stellenwert ein. Trans* Personen sind oft besonders sichtbar und damit verwundbarer im öffentlichen Raum. Die zunehmende Polarisierung der gesellschaftlichen Debatte um Trans*-Rechte scheint diese Tendenz zu verstärken.

Was getan werden muss

MANEO fordert den Erhalt und Ausbau von Opferberatungsangeboten sowie einen besseren Schutz für Personen und Einrichtungen der queeren Szene. Die Berliner Polizei und Staatsanwaltschaft haben zwar bereits eigene Ansprechpartner*innen für queere Menschen etabliert, doch reicht dies offensichtlich nicht aus, um das Vertrauen in die Strafverfolgungsbehörden zu stärken und die Anzeigebereitschaft zu erhöhen.

Um queerfeindliche Gewalt effektiv zu bekämpfen, braucht es einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz: Sensibilisierung in Bildungseinrichtungen, konsequente Strafverfolgung, niedrigschwellige Hilfsangebote für Betroffene und ein klares politisches Bekenntnis zu den Rechten und der Sicherheit queerer Menschen. Die alarmierenden Zahlen machen deutlich, dass Handlungsbedarf besteht – in Berlin und in ganz Deutschland.

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