Deutschland verbessert seine Position im europĂ€ischen Vergleich der Rechte fĂŒr queere Menschen. Laut der am Mittwoch veröffentlichten Rainbow Map 2024 der Organisation ILGA-Europe ist die Bundesrepublik auf den achten Platz vorgerĂŒckt. Dies markiert einen deutlichen Aufstieg vom zehnten Platz im Vorjahr und sogar vom 15. Platz im Jahr 2023.
Was ist die Rainbow Map?
Die Rainbow Map ist ein jÀhrliches Ranking, das seit nunmehr 15 Jahren von ILGA-Europe erstellt wird und die rechtliche Situation von sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten in 49 europÀischen LÀndern vergleicht. Die Bewertung erfolgt anhand von 75 Kriterien in sieben Kategorien: Gleichheit und Nichtdiskriminierung, Familie, Hassverbrechen und Hassreden, rechtliche Anerkennung des Geschlechts, intersexuelle körperliche IntegritÀt, zivilgesellschaftlicher Raum und Asyl.
Alle LĂ€nder erhalten zwischen null Punkten (totale Ungleichbehandlung) und 100 Punkten (volle Gleichstellung). Deutschland konnte seinen Wert auf 68,6 Punkte steigern, was einen Zuwachs von rund drei Punkten im Vergleich zum Vorjahr bedeutet.
Warum der Aufstieg Deutschlands?
Der Aufstieg Deutschlands im Ranking ist vor allem dem Selbstbestimmungsgesetz zu verdanken, das am 1. November 2024 in Kraft getreten ist. Dieses Gesetz ermöglicht es trans-, intergeschlechtlichen und nichtbinĂ€ren Menschen, ihren Geschlechtseintrag und Vornamen durch eine einfache ErklĂ€rung beim Standesamt zu Ă€ndern â ohne die bisher notwendigen psychologischen Gutachten und Gerichtsverfahren.
Neben Deutschland setzen in Europa derzeit nur elf weitere LÀnder auf Selbstbestimmung bei der GeschlechtsidentitÀt: Belgien, DÀnemark, Finnland, Island, Irland, Luxemburg, Malta, Norwegen, Portugal, die Schweiz und Spanien.
Weitere Faktoren fĂŒr die Verbesserung Deutschlands waren:
- Ein strengerer rechtlicher Rahmen im Bereich der HasskriminalitĂ€t, der Straftaten aufgrund sexueller Orientierung, GeschlechtsidentitĂ€t und Geschlechtsmerkmale als erschwerenden Faktor berĂŒcksichtigt
- Der Abbau von Diskriminierungen bei der Blutspende fĂŒr homo- und bisexuelle MĂ€nner sowie fĂŒr Transpersonen
Die europÀischen Spitzenreiter und Schlusslichter
Malta fĂŒhrt das Ranking bereits seit 2015 an und bleibt damit unangefochten auf Platz eins. Auf den weiteren SpitzenplĂ€tzen folgen Belgien, Island, DĂ€nemark, Spanien, Finnland und Griechenland. Nach Deutschland komplettieren Norwegen und Luxemburg die Top Ten.
Auf den letzten drei PlĂ€tzen befinden sich wie im Vorjahr die TĂŒrkei, Aserbaidschan und Schlusslicht Russland.
Aufsteiger und Absteiger im europÀischen Vergleich
Neben Deutschland konnten sich auch andere LĂ€nder verbessern: Lettland rĂŒckte nach der EinfĂŒhrung von eingetragenen Lebenspartnerschaften vier PlĂ€tze nach oben. Polen machte unter anderem wegen der Auflösung der sogenannten "LGBT-freien Zonen" drei PlĂ€tze gut.
Hingegen verzeichneten einige LĂ€nder deutliche RĂŒckschritte: Ungarn fiel um zehn Punkte und sieben PlĂ€tze auf Rang 37 zurĂŒck â die schlechteste Platzierung des Landes in der Geschichte der Rainbow Map. Grund dafĂŒr sind mehrere queerfeindliche Gesetze, darunter das EU-weit einmalige CSD-Verbot. Georgien verschlechterte sich sogar um zwölf Punkte und sieben PlĂ€tze und landete mit dem 44. Rang auf seinem bislang schlechtesten Ergebnis.
Besonders bemerkenswert ist der Abstieg GroĂbritanniens: Das einst als sehr queerfreundlich geltende Land, das 2014 noch die Rainbow Map auf Platz eins angefĂŒhrt hatte, erreichte mit dem 22. Platz sein bislang schlechtestes Ergebnis. Im Vorjahr lag die Insel noch auf Rang 16. Grund dafĂŒr war die Entscheidung des Höchstgerichts, das trans Frauen nicht als Frauen und trans MĂ€nner nicht als MĂ€nner anerkennt. Seither wurde trans Menschen der Zugang zu mehreren Bereichen, etwa Toiletten oder Sportvereinen, erheblich erschwert oder unmöglich gemacht.
Warnungen vor RĂŒckschritten
Katrin Hugendubel, Kampagnenchefin von ILGA-Europe, warnt vor einer besorgniserregenden Entwicklung in ganz Europa: "Die groĂen Headlines kommen aus GroĂbritannien oder Ungarn, aber die Demokratie erodiert in ganz Europa leise durch eine Strategie der tausend Nadelstiche." Sie kritisiert, dass Parteien der Mitte und von RechtsauĂen in der EU Nichtregierungsorganisationen, die LGBTQ+-Rechte verteidigen, die Finanzierung kĂŒrzen, wĂ€hrend auf nationaler Ebene Gesetze beschlossen werden, deren Ziel nicht die Lösung gesellschaftlicher Probleme ist, sondern die Marginalisierung bestimmter Gruppen.
Besonders die starken Wahlergebnisse von rechtsextremen Parteien wĂŒrden die AtmosphĂ€re vergiften â als Beispiele nannte sie Wahlen in Deutschland, Ăsterreich, Belgien und den Niederlanden.
Reaktionen aus der deutschen Politik
Nyke Slawik, die neue queerpolitische Sprecherin der GrĂŒnenfraktion, bezeichnete das bessere Ergebnis Deutschlands als "wichtiges Zeichen fĂŒr die Gleichstellung von LSBTIQ*-Personen in unserem Land". Gleichzeitig rief sie die Bundesregierung auf, den von der Ampel-Regierung eingeschlagenen Reformweg fortzufĂŒhren. Sie kritisierte, dass sich die neue schwarz-rote Koalition derzeit in Schweigen hĂŒlle, ob der Aktionsplan "Queer leben" fortgesetzt werde.
Sven Lehmann, der ehemalige Queerbeauftragte der Bundesregierung, ergĂ€nzte: "Gleichstellung ist leider keine SelbstverstĂ€ndlichkeit. Europaweit erstarken rechtsextreme und antifeministische Bewegungen, die LSBTIQ*-Rechte gezielt angreifen." Unklar ist bislang, ob seine von der Bundesregierung 2022 eingefĂŒhrte Position (Beauftragter der Bundesregierung fĂŒr die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt) im neuen Kabinett fortgefĂŒhrt wird.
Weitere notwendige Reformen
Um in die Top 5 des Rankings aufzusteigen, mĂŒssten laut Experten noch weitere im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung vereinbarte Vorhaben umgesetzt werden. Dazu gehören:
- Die rechtliche Anerkennung von Regenbogenfamilien
- Die ErgĂ€nzung von Artikel 3 des Grundgesetzes um den Diskriminierungsschutz fĂŒr queere Menschen
- Die Absicherung der Gesundheitsversorgung fĂŒr trans-, inter- und nicht-binĂ€re Personen
- Die Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes sowie des Abstammungsrechts
Es bleibt abzuwarten, welche dieser Vorhaben von der neuen Bundesregierung weiterverfolgt werden und ob Deutschland seinen positiven Trend in den kommenden Jahren fortsetzen kann.