Der deutsche Fernsehkrimi macht einen weiteren wichtigen Schritt in Richtung authentischer LGBTQ+-Repräsentation: Im neuesten "Polizeiruf 110: Spiel gegen den Ball" (Quelle: queer.de) ermittelt der queere Kommissar Vincent Ross (André Kaczmarczyk) in einem homophoben Fußballverein – und zeigt dabei eine erfrischend andere Form von Männlichkeit.
Ein Krimi, der Welten aufeinanderprallen lässt
Die Geschichte könnte gegensätzlicher nicht sein: Eine brutale Mordtat im deutsch-polnischen Grenzgebiet führt die Ermittler*innen Vincent Ross und Alexandra Luschke (Gisa Flake) in die Welt des Amateurfußballs. Während Deutschland bei der Europameisterschaft spielt, müssen sie den Mord an Olivia Briegel aufklären – einer ambitionierten Unternehmerin, die auch als Präsidentin eines lokalen Fußballvereins fungierte.
Besonders brisant: Im homophoben Vereinsumfeld kam es zu einem ungewollten Outing, in das sowohl die Ermordete als auch der Trainer verwickelt waren. Für Kommissar Ross, der nach Feierabend lieber in die Oper geht als Fußball zu schauen und seine Kollegin allen Ernstes fragt, wer Lukas Podolski ist, wird dieser Fall zu einer Begegnung mit einer völlig fremden Welt.
Revolution der Männlichkeit im deutschen Krimi
Vincent Ross verkörpert einen neuen Typus des TV-Kommissars. Bereits in seinem ersten Fall 2022 trat er im Rock auf und zeigt eine Form von Männlichkeit, die mit traditionellen Vorstellungen bricht. Seine Queerness wird nicht als Randnotiz behandelt, sondern als integraler Bestandteil seiner Persönlichkeit dargestellt.
Das ist bemerkenswert in einer Medienlandschaft, in der LGBTQ+-Charaktere oft stereotyp dargestellt werden oder ihre Sexualität das einzig Definierende an ihnen ist. Ross dagegen wird als komplexer Charakter gezeichnet, dessen Queerness eine natürliche Facette seiner Persönlichkeit darstellt.
Deutsche Fernsehlandschaft im Wandel
Der Polizeiruf 110 steht exemplarisch für einen wichtigen Wandel im deutschen Fernsehen. Laut der Queeren Mediendatenbank QUEERmdb enthielten 2023 etwa 4,9 Prozent der analysierten deutschen Filme und Serien eine für die Handlung relevante LGBTQ+-Figur – ein Anstieg gegenüber den Vorjahren.
Besonders bemerkenswert ist dabei der Ansatz der Macher*innen: Statt auf persönliche Dramen zu setzen, konzentrieren sie sich auf die professionelle Arbeit der Ermittler*innen. Ross und Luschke gehen "ernsthaft, unaufgeregt und als Team eingespielt" an ihre Fälle heran – ein erfrischender Gegenentwurf zu überdramatisierten Krimi-Klischees.
Homophobie im Amateursport – ein gesellschaftliches Problem
Der Fall thematisiert ein reales gesellschaftliches Problem: Homophobie im Amateursport. Während der Profifußball langsam Schritte in Richtung Inklusion macht, sind lokale Vereine oft noch Bastionen traditioneller Männlichkeitsvorstellungen. Das ungewollte Outing im fiktiven Verein spiegelt die Ängste wider, die viele LGBTQ+-Personen im Sport noch immer haben.
Gleichzeitig zeigt der Krimi, wie wichtig mediale Repräsentation für gesellschaftliche Einstellungen ist. Da viele Menschen keinen persönlichen Kontakt zu LGBTQ+-Personen haben, prägen Fernsehfiguren wie Vincent Ross maßgeblich das Bild der Öffentlichkeit.
Authentizität statt Spektakel
Was "Spiel gegen den Ball" von anderen Produktionen unterscheidet, ist die unaufgeregte Darstellung. Auf große Actionszenen und überdramatische Dialoge wird verzichtet – stattdessen liegt die Kraft des Films in seiner Authentizität. Die schlichten Bilder fangen die Atmosphäre im Grenzgebiet realistisch ein, die jungen Schauspieler überzeugen als fußballverrückte Jugendliche.
Diese Herangehensweise zeigt, dass queere Repräsentation im deutschen Fernsehen erwachsener geworden ist. Es geht nicht mehr nur darum, Queerness als Kulisse zu nutzen, sondern sie als selbstverständlichen Teil der Gesellschaft zu zeigen.
Ein wichtiges Signal für die Zukunft
Der neue Polizeiruf 110 sendet ein wichtiges Signal: LGBTQ+-Personen gehören in alle Bereiche der Gesellschaft – auch in die Verbrechensbekämpfung. Vincent Ross verkörpert dabei eine neue Generation queerer Fernsehcharaktere, die nicht auf ihre Sexualität reduziert werden, sondern als vielschichtige Persönlichkeiten dargestellt sind.
Für die deutsche Fernsehlandschaft ist das ein wichtiger Schritt. Während einige Zuschauer*innen Diversität im Fernsehen kritisieren, zeigt der Erfolg solcher Formate, dass authentische Repräsentation das Publikum erreicht und gesellschaftliche Diskussionen anstoßen kann.
Nach der Sommerpause geht es ab September mit neuen Sonntagskrimi-Fällen weiter – hoffentlich mit ebenso mutigen und differenzierten Charakterzeichnungen wie der des Vincent Ross.