In einem wegweisenden Fall aus den USA hat eine ehemalige Bibliotheksdirektorin einen Vergleich über 700.000 Dollar (etwa 645.000 Euro) erreicht, nachdem sie entlassen wurde, weil sie sich weigerte, LGBTQ+-Bücher aus den Regalen zu entfernen. Terri Lesley wurde 2023 als Leiterin des Bibliothekssystems im Campbell County, Wyoming, nach 27 Dienstjahren entlassen, wie PinkNews berichtet. Die Entscheidung sendet ein starkes Signal für Informationsfreiheit und gegen Diskriminierung – und ist auch für Deutschland relevant.
Ein jahrelanger Kampf für die Meinungsfreiheit
Lesley arbeitete seit 1996 im örtlichen Bibliothekssystem und war seit 2012 Direktorin. Ihre Kündigung erfolgte im Juli 2023 nach jahrelangem Streit mit Bezirksbeamten und Bewohnern über sexuelle Themen und LGBTQ+-Inhalte in Kinder- und Jugendbüchern. Die Kontroverse begann 2021, als die Bibliothek auf Facebook den Rainbow Book Month feierte, eine Initiative der American Library Association zur Würdigung von LGBTQ+-Autoren.
Die umstrittenen Titel umfassten "This Book is Gay" von Juno Dawson, "How Do You Make a Baby" von Anna Fiske, "Gender Queer" von Maia Kobabe und "Sex is a Funny Word" von Corey Silverberg. Aktivisten erstatteten sogar Anzeige bei der Polizei mit dem Vorwurf, Lesley verbreite obszöne Inhalte an Kinder – ein Straftatbestand in Wyoming. Ein Sonderstaatsanwalt kam jedoch zu dem Schluss, dass die genannten Bücher nicht obszön seien.
Rechtlicher Erfolg und verfassungsrechtliche Bedeutung
Lesley verklagte im vergangenen Frühjahr Campbell County wegen ihrer Kündigung und erreichte diese Woche einen Vergleich mit den Bezirksbehörden. "Ich fühle mich bestätigt. Es war ein steiniger Weg, aber ich werde es nie bereuen, für den First Amendment einzutreten", erklärte sie. Die US-Gleichstellungsbehörde EEOC erlaubte die Klage auf Basis einer früheren Beschwerde von Lesley.
"Wir hoffen, dass dies zumindest eine Botschaft an andere Bibliotheksbezirke, andere Staaten und Landkreise sendet, dass der First Amendment lebendig und stark ist und dass unsere Werte gegen Diskriminierung ebenfalls lebendig und stark bleiben", sagte Lesleys Anwältin Iris Halpern. "Dies sind öffentliche Einrichtungen, es sind Regierungsbeamte, sie müssen ihre verfassungsmäßigen Verpflichtungen im Auge behalten". Die Vereinbarung stellt jedoch keine Anerkennung der Vorwürfe durch die Beklagten dar.
Eine Epidemie der Buchverbote in den USA
Der Fall Lesley steht exemplarisch für eine besorgniserregende Entwicklung in den Vereinigten Staaten. Im Schuljahr 2024-2025 verzeichnete PEN America 6.870 Buchverbote in 23 Staaten, die fast 4.000 verschiedene Titel betrafen. Florida war zum dritten Mal in Folge der führende Staat mit 2.304 Verboten, gefolgt von Texas mit 1.781 und Tennessee mit 1.622.
Im Jahr 2025 ist Buchzensur in den USA weit verbreitet und alltäglich. Nie zuvor im Leben eines lebenden Amerikaners wurden so viele Bücher systematisch aus Schulbibliotheken im ganzen Land entfernt. Nie zuvor haben so viele Bundesstaaten Gesetze oder Vorschriften verabschiedet, um das Verbot von Büchern zu erleichtern. Die Daten zeigen, dass die Mehrheit der Zensurversuche mittlerweile von organisierten Bewegungen ausgeht. Druck- und Interessengruppen sowie Regierungsstellen, darunter gewählte Beamte, Vorstandsmitglieder und Verwaltungsbeamte, initiierten 72% der Forderungen zur Zensur von Büchern in Schul- und öffentlichen Bibliotheken.
Queere Bücher im Visier der Zensur
Bei historischen und biografischen Büchern, die im vergangenen Jahr verboten wurden, betrafen 26% Schwarze Menschen und 25% LGBTQ+-Personen. Bücher mit LGBTQ-Themen und -Charakteren – wie "Gender Queer" und "Last Night at the Telegraph Club" – gehören durchweg zu den am häufigsten verbotenen Büchern in den jährlichen Berichten von PEN America und der American Library Association.
LGBTQ+-Geschichten werden aus Klassenzimmern ausgelassen, anstatt Geschichten und Bücher anzubieten, die alle Schüler und Familien widerspiegeln. LGBTQ+-Schülern und ihren Familien wird faktisch die Freiheit verweigert, über sich selbst und ihre Mitmenschen zu lesen.
Relevanz für Deutschland: Bibliotheken als demokratische Räume
Auch wenn in Deutschland keine vergleichbare Welle von Buchverboten stattfindet, ist der Fall dennoch relevant. Der Schriftstellerverband PEN America verzeichnete im Schuljahr 2023/2024 mehr als 10.000 Buchverbote an öffentlichen Schulen. Die Zensur richtet sich hauptsächlich gegen Bücher, die Themen wie LGBTQ+, Sexualität, Rassismus sowie gesellschaftskritische oder politisch kritische Inhalte aufgreifen.
Deutsche Bibliotheken sind sich dieser Gefahr bewusst. Die Stadtbibliothek Freising gestaltete einen Thementisch mit vielen in Amerika umstrittenen Büchern von der "Banned Book-Liste". Die Idee wurde zu einem "Renner", mit dem niemand gerechnet hätte. Die Universitätsbibliothek Kiel zeigt unter dem Titel "Banned Books" eine Ausstellung, die sowohl die Bücherverbrennungen im nationalsozialistischen Deutschland als auch gegenwärtige Zensurmaßnahmen in Bezug auf queere Themen beleuchtet, insbesondere in den USA.
In Deutschland können Bücher zwar verboten oder der Öffentlichkeit vorenthalten werden, dies geschieht jedoch niemals willkürlich oder ohne rechtliche Grundlage. Solche Maßnahmen erfolgen nur unter festgelegten gesetzlichen Voraussetzungen, beispielsweise wenn Bücher als jugendgefährdend eingestuft werden oder Inhalte enthalten, die als strafbar gelten.
Queere Bibliotheken als Gegenbewegung
In Deutschland entstehen als Antwort auf mangelnde Sichtbarkeit queerer Themen eigene Initiativen. Das QueerFenster der Zentral- und Landesbibliothek Berlin bietet allen Menschen queere Literatur und Medien sowie Infos zu LGBTQIA+. Die Idee zu einer queeren Bibliothek erwuchs aus dem Mangel an Sichtbarkeit. Es gebe bestimmt 300 Bücher mit queeren Protagonisten, über queeres Leben und Lieben, nur leider seien diese eben weniger sichtbar. Das zeige sich auch daran, dass queere Literatur in herkömmlichen Bibliotheken wie der Stadt- oder Universitätsbibliothek schlichtweg nicht oder nur schwer zu finden sind.
Ein Zeichen der Hoffnung
Nach der Einigung sagte Lesley, es sei eine Erleichterung, ein schwieriges Kapitel zu schließen. "Es war ein langer und stressiger Weg", sagte sie. "Aber es fühlt sich gut an, darüber hinwegzukommen und für intellektuelle Freiheit und das Recht auf Lesen eingestanden zu sein". Eine separate Klage gegen die lokalen Aktivisten, die sie ins Visier genommen haben, läuft noch, mit einem Gerichtsverfahren, das für März angesetzt ist.
Der Fall Terri Lesley ist ein Sieg für die Informationsfreiheit und ein wichtiges Signal: Bibliotheken sind demokratische Räume, in denen alle Stimmen gehört werden müssen – auch und gerade die von marginalisierten Gemeinschaften. In Zeiten zunehmender Polarisierung ist es wichtiger denn je, dass Bibliotheken ihrer Rolle als Hüterinnen der Vielfalt gerecht werden.