Pride-Verbot für Parteien in Großbritannien - Was können deutsche LGBTQ+-Organisationen daraus lernen?

Vier der größten britischen Pride-Organisationen haben am Montag (12. Mai) ein gemeinsames Schreiben veröffentlicht, in dem sie ankündigen, alle politischen Parteien von zukünftigen Pride-Märschen auszuschließen, bis ein "Mindestmaß" an Verbundenheit mit der LGBTQ+-Community gezeigt wird. Die Nachricht, ursprünglich veröffentlicht von PinkNews, hat in Großbritannien für Aufsehen gesorgt und wirft auch Fragen für die deutsche Pride-Bewegung auf.

Die Entscheidung der britischen Pride-Organisationen

Birmingham Pride, Brighton Pride, Pride in London und Manchester Pride haben in ihrem gemeinsamen Brief klare Forderungen an die politischen Parteien gestellt. Diese müssen konkrete Schritte zur Verbesserung ihrer Rhetorik und ihres Verhaltens gegenüber der Trans-Community unternehmen, einschließlich des Einsatzes für oder der Hilfe bei der Verabschiedung weiterer Schutzmaßnahmen für trans Personen.

Die Entscheidung folgt einem Aufruf des Trans Safety Network und über 140 LGBTQ+-Organisationen, die angesichts der zunehmenden "Transphobie" in der britischen Politik ein Verbot aller politischen Parteien bei Pride-Veranstaltungen forderten. Besonders verschärft hat sich die Situation nach einem Urteil des britischen Supreme Court vom 16. April 2025, das trans Frauen aus der Definition einer "Frau" im britischen Gleichstellungsgesetz von 2010 ausschließt.

Die Reaktion der Liberal Democrats

Besonders interessant ist die Reaktion der LGBTQ+-Gruppe der Liberal Democrats (LGBT+ Liberal Democrats), die sich als progressivste landesweite Partei Großbritanniens betrachtet. In einer Stellungnahme äußerte die Gruppe, sie sei "angewidert", mit anti-trans Parteien wie Labour und den Konservativen "in einen Topf geworfen zu werden". Die Gruppe betonte, dass die Liberal Democrats seit Jahren für LGBTQ+-Rechte kämpfen und argumentierte, dass sie ihre Präsenz bei Pride-Protesten "mehr als verdient" hätten.

Der Parteivorsitzende der Liberal Democrats, Ed Davey, hatte nach dem Supreme Court-Urteil eine eher vorsichtige Position eingenommen. Obwohl er das Urteil akzeptierte und die "Klarheit" begrüßte, die es seiner Meinung nach gebracht hat, forderte er weitere Leitlinien zur Umsetzung. Davey bekräftigte zwar seine Überzeugung, dass trans Frauen Frauen und trans Männer Männer sind, vermied es jedoch bisher, eindeutig das Recht von trans Personen zu unterstützen, Einrichtungen zu nutzen, die ihrer Geschlechtsidentität entsprechen.

Parallelen und Unterschiede zur Situation in Deutschland

In Deutschland stellt sich die rechtliche Situation für trans Personen deutlich anders dar. Seit dem 1. November 2024 ist das neue Selbstbestimmungsgesetz in Kraft, das es Personen über 18 Jahren ermöglicht, ihr rechtliches Geschlecht durch eine einfache Erklärung beim Standesamt zu ändern – ohne medizinische Gutachten oder Gerichtsverfahren. Dieses Gesetz wurde von der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP auf den Weg gebracht und stärkt die Rechte von trans, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen erheblich.

Trotz dieser fortschrittlichen Gesetzgebung gibt es auch in Deutschland politische Kräfte, die gegen trans Rechte mobilisieren. Die AfD hat sich klar gegen das Selbstbestimmungsgesetz positioniert und auch innerhalb der CDU/CSU gibt es Stimmen, die das Gesetz rückgängig machen wollen, sollten sie wieder an die Macht kommen. Friedrich Merz, Vorsitzender der CDU, hat sich mehrfach kritisch zu trans Themen geäußert und signalisiert, dass seine Partei einen anderen Kurs einschlagen würde.

Was können deutsche Pride-Organisationen lernen?

Die Entscheidung der britischen Pride-Organisationen wirft die Frage auf, ob auch deutsche CSD-Veranstaltungen ähnliche Maßnahmen in Betracht ziehen sollten. Bislang sind bei deutschen Pride-Paraden alle demokratischen Parteien willkommen – von der CDU bis zur Linken. Nur die AfD wird aufgrund ihrer LGBTQ+-feindlichen Positionen meist ausgeschlossen.

Bastian Behrens, Vorstandsmitglied des CSD Berlin, erklärt im Gespräch mit Pride.Direct: "Wir beobachten die Entwicklungen in Großbritannien genau. In Deutschland haben wir momentan mit dem Selbstbestimmungsgesetz einen wichtigen Erfolg für die trans Community erreicht. Dennoch müssen wir wachsam bleiben, wenn Parteien versuchen, diesen Fortschritt rückgängig zu machen."

Der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) betont, dass Pride-Veranstaltungen politische Demonstrationen sind und bleiben müssen. "Der Christopher Street Day erinnert an den Stonewall-Aufstand von 1969 und ist kein Partyfestival, sondern eine politische Demonstration für gleiche Rechte und Akzeptanz", sagt Alfonso Pantisano, Bundesvorstand des LSVD.

Die Bedeutung klarer Forderungen

Was die deutschen Pride-Organisationen von ihren britischen Pendants lernen können, ist die Formulierung klarer Forderungen an politische Parteien. Die britischen Pride-Veranstalter haben konkrete Bedingungen gestellt: Politische Parteien sollen weitere Schutzmaßnahmen im Gleichstellungsgesetz verabschieden, den "zeitnahen" Zugang zur Gesundheitsversorgung für trans Personen im Rahmen des NHS verbessern, das Gesetz zur Anerkennung der Geschlechtszugehörigkeit reformieren und nachhaltige Finanzierung für von trans Personen geleitete Dienste bereitstellen.

In Deutschland könnten ähnliche Forderungen gestellt werden: Verbesserung der Gesundheitsversorgung für trans Personen, Stärkung des Diskriminierungsschutzes, mehr Ressourcen für LGBTQ+-Beratungsstellen und eine klare Positionierung gegen das Erstarken queerfeindlicher Bewegungen.

Fazit: Politische Teilhabe versus klare Kante

Die Debatte in Großbritannien zeigt ein Dilemma auf, mit dem auch deutsche LGBTQ+-Organisationen konfrontiert sind: Einerseits ist die Einbindung politischer Parteien wichtig, um Veränderungen im parlamentarischen System zu bewirken. Andererseits dürfen Pride-Veranstaltungen nicht zur Plattform für Parteien werden, die zwar mit Regenbogenfahnen winken, aber gleichzeitig die Rechte von trans Personen in Frage stellen.

Die britische Entscheidung ist ein radikaler Schritt, der sowohl Kritik als auch Zustimmung hervorgerufen hat. Für deutsche Pride-Organisationen könnte sie ein Anstoß sein, ihre eigenen Kriterien für die Teilnahme politischer Parteien zu überdenken und klare Erwartungen zu formulieren – nicht als Ausschluss, sondern als Anreiz für echte Verbundenheit mit der LGBTQ+-Community.

Wie die britische LGBTQ+-Organisation Stonewall nach dem Supreme Court-Urteil betonte: "Wir brauchen Politiker*innen, die verstehen, dass die Rechte einer marginalisierten Gruppe nicht gegen die einer anderen ausgespielt werden dürfen." Diese Erkenntnis gilt universell – auch für Deutschland.

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