NHS investiert 10 Millionen Pfund in Studie zu Pubertätsblockern – Während Deutschland und Spanien unterschiedliche Wege gehen

Der National Health Service (NHS) in Großbritannien hat eine Forschungsstudie mit mehr als 10 Millionen Pfund (12,8 Millionen Euro) finanziert, um die potenziellen Vorteile von Pubertätsblockern für trans Jugendliche zu untersuchen. Dies wurde vom National Institute for Health and Care Research (NIHR) bestätigt, wie PinkNews berichtet. Die Entscheidung kommt zu einem Zeitpunkt, an dem in Deutschland und anderen europäischen Ländern die Debatte um diese Behandlungsmethode kontrovers geführt wird.

Details zur britischen Studie

Die vom King's College London geleitete Studie soll mehrere Bereiche der Geschlechtsbehandlung für Minderjährige analysieren. Im Rahmen der Untersuchung sollen junge Menschen für etwas mehr als zwei Jahre pubertätsunterdrückende Hormone erhalten, wobei die Einwilligung ihrer Eltern oder Erziehungsberechtigten erforderlich ist. Die Forschenden werden dann ihr körperliches, soziales und emotionales Wohlbefinden untersuchen und auswerten.

Professor James Palmer, medizinischer Direktor für spezialisierte Dienste bei NHS England, erklärte, dass die Forschung "die Evidenz für eine Reihe klinischer Behandlungen untersuchen wird", einschließlich Pubertätsblocker. Die Studie wird strengen ethischen und regulatorischen Genehmigungen unterliegen und wissenschaftlichen Sicherheitsstandards folgen.

Aktuelle Situation in Deutschland

In Deutschland können Minderjährige derzeit unter bestimmten Voraussetzungen Pubertätsblocker erhalten. Die Entscheidung liegt im Ermessen der behandelnden Fachärzt*innen, wobei die körperliche und seelische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen im Mittelpunkt stehen muss. Für die Verschreibung sind mindestens eine psychotherapeutische Indikation, die Einwilligungsfähigkeit des Jugendlichen und in der Regel auch das Einverständnis der Eltern erforderlich.

Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten für Pubertätsblocker, wenn eine medizinische Notwendigkeit vorliegt und die Behandlung indiziert ist. Für die Kostenübernahme der gesamten geschlechtsangleichenden Therapie sind in der Regel zwei voneinander unabhängige psychologische oder psychiatrische Gutachten erforderlich, die eine Transsexualität bestätigen, wie der Bundesverband Trans* informiert.

Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass der Deutsche Ärztetag einen Antrag verabschiedet hat, der fordert, dass die Verordnung von Pubertätsblockern bei trans Jugendlichen nur noch im Rahmen von wissenschaftlichen Studien erfolgen soll, wie der Riffreporter berichtet. Diese Empfehlung deutet auf eine mögliche Einschränkung des Zugangs in der Zukunft hin.

Der progressive Ansatz Spaniens

Im Gegensatz zur restriktiven Entwicklung in Großbritannien und der Debatte in Deutschland hat Spanien einen progressiveren Ansatz gewählt. Im April 2023 verabschiedete das Land ein Gesetz, das es Personen ab 16 Jahren erlaubt, ihr Geschlecht ohne medizinische Gutachten rechtlich zu ändern, wie Euronews berichtet.

Das spanische Gesundheitssystem bietet im Allgemeinen Zugang zu medizinischer Versorgung für Transgender, wobei das Mindestalter für den Zugang zu Gender-Diensten bei 14 Jahren liegt. Die Kosten für Behandlungen, einschließlich Pubertätsblocker, werden vom öffentlichen Gesundheitssystem übernommen, obwohl es aufgrund des dezentralisierten Gesundheitssystems regionale Unterschiede geben kann.

Spanien gilt als eines der Länder mit dem besten Zugang zu medizinischer Versorgung für Transsexuelle in Europa und hat in den letzten Jahren die Rechte der LGBTQ+-Gemeinschaft konsequent erweitert. Diese progressive Haltung steht im starken Kontrast zu den restriktiveren Ansätzen in anderen europäischen Ländern.

Kontroverse um den Cass-Bericht

Die britische Studie ist Teil der Empfehlungen des umstrittenen Cass-Berichts, der im vergangenen Jahr veröffentlicht wurde. Nach der Veröffentlichung dieses Berichts wurden Pubertätsblocker in England, Wales, Schottland und Nordirland verboten. Dieses Verbot für private Verschreibungen wurde vom damaligen konservativen Gesundheitsminister Victoria Atkins eingeführt und später von Wes Streeting nach dem Wahlsieg der Labour-Partei auf unbestimmte Zeit verlängert.

Mehrere Wohltätigkeitsorganisationen und medizinische Einrichtungen haben den Bericht kritisiert. Die Trans-Organisation TransActual argumentiert, dass es weder innerhalb noch außerhalb des Berichts Beweise gibt, die als Rechtfertigung für das Verbot dienen könnten. In einem Vorverfahrensschreiben zu ihrer beabsichtigten Klage behaupteten die Anwälte von TransActual, die Regierung habe "unfair und rechtswidrig gehandelt, indem sie es versäumte, angemessene Gruppen oder Einzelpersonen zu dem Verbot zu konsultieren".

Forschungslage und Perspektiven

Die wissenschaftliche Evidenz für den Nutzen von Pubertätsblockern wird von verschiedenen Seiten als schwach bezeichnet, wie der Deutschlandfunk berichtet. Viele Studien haben nur eine geringe Anzahl von Teilnehmenden, und es fehlen Langzeituntersuchungen sowie Kontrollgruppen. Genau diese Lücke soll die neue britische Studie nun schließen.

Gleichzeitig gibt es Hinweise darauf, dass sich die mentale Gesundheit von Jugendlichen während einer geschlechtsangleichenden Therapie verbessern kann, wie die taz berichtet. Klinische Erfahrungen zeigen, dass viele betroffene Jugendliche ihre Schule abschließen, eine Ausbildung oder ein Studium aufnehmen, Partnerbeziehungen haben und keine Psychotherapie mehr benötigen.

Internationaler Vergleich

Die Diskussion um Pubertätsblocker wird international unterschiedlich geführt. Während Großbritannien nun in Forschung investiert und Spanien einen liberaleren Ansatz verfolgt, haben Länder wie Schweden und Finnland ihre Strategien verschärft. Das schwedische National Board of Health and Welfare erklärte 2022, dass die Risiken von Pubertätsblockern und geschlechtsangleichenden Hormonbehandlungen für Personen unter 18 Jahren derzeit den potenziellen Nutzen überwiegen könnten, wie Medscape berichtet. In Finnland wird der psychosozialen Unterstützung Vorrang vor medizinischen Eingriffen eingeräumt.

Deutsche Fachkreise beobachten diese internationalen Entwicklungen mit großem Interesse. Der Deutsche Ethikrat betont, dass jeder Mensch das Recht hat, ein Leben entsprechend der eigenen, subjektiv empfundenen geschlechtlichen Identität zu führen und in dieser Identität anerkannt zu werden. Die britische Studie könnte wichtige Erkenntnisse liefern, die auch für die deutsche Debatte und die Entwicklung zukünftiger Behandlungsrichtlinien von Bedeutung sein werden.

Für betroffene trans Jugendliche und ihre Familien bedeutet diese uneinheitliche Situation in Europa eine zusätzliche Belastung. Während in einigen Ländern der Zugang zu Pubertätsblockern eingeschränkt wird, bieten andere Länder wie Spanien einen offeneren Zugang zu geschlechtsangleichenden Behandlungen. Diese Unterschiede könnten in Zukunft zu einem "Behandlungstourismus" führen, bei dem Familien in Länder mit weniger restriktiven Regelungen reisen, um Zugang zu benötigten Behandlungen zu erhalten.

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