Intersex-Aktivismus in Kroatien: Eine europäische Perspektive mit Blick auf Deutschland

Während Intersex-Rechte international und in ganz Europa langsam an Sichtbarkeit gewinnen, stehen intersexuelle Menschen in Kroatien und seinen Nachbarländern noch immer vor erheblichen sozialen, medizinischen und rechtlichen Herausforderungen. Der folgende Artikel basiert auf einem Bericht von Outright International und beleuchtet die Situation in Kroatien im Vergleich zu Deutschland, wo in den letzten Jahren wichtige rechtliche Fortschritte erzielt wurden.

Die Situation in Kroatien: Wenig Sichtbarkeit, große Herausforderungen

In Kroatien müssen intersexuelle Menschen oft gegen veraltete medizinische Praktiken, gesellschaftliche Stigmatisierung und mangelnden rechtlichen Schutz ankämpfen. Die Probleme beginnen bereits bei der Geburt, wenn Ärzte nicht notwendige Operationen an intersexuellen Säuglingen und Kindern durchführen, um deren Körper an binäre Geschlechternormen anzupassen. Dieses medikalisierte Modell, das auf der Annahme basiert, dass Intersex-Variationen "korrigiert" werden müssen, führt zu lebenslangen körperlichen und psychischen Schäden.

Die Situation wird dadurch verschärft, dass es in Kroatien nur eine öffentlich bekannte intersexuelle Person gibt, die die meisten Advocacy-Bemühungen im Land anführt. Diese begrenzte Sichtbarkeit unterstreicht das tiefe Stigma, das Intersex-Themen umgibt, und verdeutlicht die Schwierigkeiten, mit denen intersexuelle Menschen beim Coming-out und im Kampf für ihre Rechte konfrontiert sind.

Laut ERA LGBTI werden intersexuelle Menschen in Kroatien nicht durch spezifische Gesetze anerkannt. Obwohl die kroatische Verfassung die Gleichheit vor dem Gesetz ohne Diskriminierung garantiert, werden Geschlechtsmerkmale nicht explizit erwähnt. Immerhin verlangt Kroatien keine medizinischen Eingriffe wie Sterilisation oder Hormonbehandlungen als Voraussetzung für die rechtliche Geschlechtsanerkennung.

Der Aktivismus in der Region: Kleine Gruppen, große Aufgaben

Der Intersex-Aktivismus in Kroatien befindet sich noch in den Anfängen und wird hauptsächlich von einzelnen Aktivist*innen vorangetrieben. KolekTIRV ist die einzige Organisation in Kroatien, die sich speziell für Intersex-Rechte einsetzt und ihre Bemühungen auf die gesamte Region ausdehnt. Sie setzt sich für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte von Trans-, Intersex- und Gender-varianten Personen ein und kämpft gegen Cisnormativität und Geschlechterbinarität.

Ähnlich verhält es sich in den Nachbarländern, wo XY Spectrum, mit Sitz in Serbien, die einzige andere Organisation in der Region ist, die sich speziell für Intersex-Rechte einsetzt. Beide Organisationen kämpfen mit Finanzierungsproblemen, die ihre Fähigkeit einschränken, Intersex-Themen umfassend anzugehen und die notwendige Unterstützung für Betroffene zu bieten.

Deutschland: Vorreiter mit Verbesserungspotenzial

Im Gegensatz zum noch jungen Aktivismus in Kroatien hat Deutschland in den letzten Jahren bedeutende rechtliche Fortschritte erzielt. Seit Ende 2018 können intersexuelle Menschen in Deutschland bei der Eintragung ihres Personenstandes im Standesamt zwischen "männlich", "weiblich" und "divers" wählen, wie die Antidiskriminierungsstelle des Bundes berichtet. Allerdings ist dafür ein ärztliches Attest erforderlich, das eine "Variante der Geschlechtsentwicklung" bescheinigt.

Ein wichtiger Meilenstein war die Verabschiedung eines Gesetzes im März 2021, das Operationen an Kindern und Jugendlichen mit "Varianten der Geschlechtsentwicklung" grundsätzlich verbietet, allerdings mit Ausnahmen, wenn der Eingriff nicht bis zum 14. Lebensjahr aufgeschoben werden kann. Zudem trat am 1. November 2024 das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) in Kraft, das Trans-, Intersex- und nicht-binären Menschen erleichtert, ihren Geschlechtseintrag und Vornamen im Personenstandsregister zu ändern.

Dennoch gibt es auch in Deutschland noch erhebliche Probleme. Amnesty International prangert nach wie vor "nicht-notfallmäßige, invasive und irreversible medizinische Behandlungen mit schädlichen Auswirkungen" bei Kindern mit Variationen der Geschlechtsmerkmale in Deutschland an. Forschungsergebnisse aus dem Jahr 2016 zeigen, dass es zwischen 2005 und 2014 keine wesentliche Verringerung der Anzahl medizinischer Eingriffe bei intersexuellen Säuglingen und Kindern gab.

Europäische Perspektive und gemeinsame Ziele

Europäische Organisationen wie OII Europe und ILGA-Europe bieten intersexuellen Menschen Unterstützung, fordern Reformen im Gesundheitswesen, fördern die körperliche Autonomie und setzen sich für Antidiskriminierungsgesetze ein, die Geschlechtsmerkmale abdecken. Ihre Bemühungen werden vom Europäischen Parlament und dem Europarat unterstützt, die zum Schutz der Rechte intersexueller Menschen durch flexible Geburtsregistrierungsgesetze, Verbote nicht einvernehmlicher medizinischer Behandlungen und schnelle Verfahren zur rechtlichen Geschlechtsanerkennung aufrufen.

Der Intersex-Aktivismus in Kroatien, der breiteren Region und Europa teilt gemeinsame Ziele, unterscheidet sich jedoch in seinen Ansätzen und Herausforderungen aufgrund kultureller, rechtlicher und sozioökonomischer Unterschiede. In Kroatien und den umliegenden Ländern besteht ein dringender Bedarf an Aufklärungs- und Sichtbarkeitskampagnen zur Bekämpfung von Stigmatisierung. Mit nur zwei öffentlich bekannten Intersex-Aktivist*innen in der Region befindet sich die Bewegung noch in einer frühen Bewusstseinsbildungsphase, während weiter entwickelte europäische Länder wie Deutschland bereits zu komplexerer politischer Interessenvertretung übergegangen sind.

Wege nach vorne: Solidarität und Zusammenarbeit

Für den Intersex-Aktivismus in Kroatien ist die Vernetzung mit deutschen und anderen europäischen Bewegungen eine wichtige Chance für Solidarität und gemeinsames Lernen. Die Erfahrungen aus Deutschland, wo der Aktivismus seit über zwei Jahrzehnten auf invasive medizinische Praktiken aufmerksam macht, können wertvolle Erkenntnisse für kroatische Aktivist*innen liefern.

Organisationen wie KolekTIRV in Kroatien und XY Spectrum in Serbien unterstreichen die Bedeutung regionaler Zusammenarbeit, insbesondere angesichts des Mangels an anderen Intersex-Aktivist*innen in den Nachbarländern. Die Verbindung mit europäischen Bewegungen bietet Möglichkeiten zur Solidarität und zum gemeinsamen Lernen, während kroatische Aktivist*innen versuchen, nationale Veränderungen voranzutreiben.

Um diesen Fortschritt weiter zu fördern, ist es entscheidend, dass Verbündete, politische Entscheidungsträger und die breite Öffentlichkeit Intersex-Organisationen unterstützen. Die Verbreitung von Bewusstsein, die Befürwortung rechtlicher Reformen und Spenden an diese Organisationen können einen spürbaren Unterschied im Kampf für Intersex-Rechte bewirken und zu einer Zukunft beitragen, in der intersexuelle Menschen vollständig anerkannt, unterstützt und frei von Diskriminierung sind.

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