Identität im Bundestag: Valerie Wilms und die Komplexität trans Repräsentation in der deutschen Politik

Die ehemalige Grünen-Abgeordnete Valerie Wilms sorgt für Aufsehen mit ihrem späten Outing als Transgender-Frau. In ihrem neuen Buch "Meine zwei Leben. Als Junge geboren – als Frau im Bundestag" enthüllt die 71-Jährige, dass sie vermutlich bereits von 2009 bis 2017 die erste trans Frau im Deutschen Bundestag war – lange vor denen, die offiziell als erste gefeiert wurden. Die ursprüngliche Nachricht wurde von queer.de berichtet.

Ein Leben in zwei Akten

Valerie Wilms wurde 1954 in Hannover geboren und bei der Geburt als Junge eingeordnet. In ihrem Buch, das kurz nach Ostern erscheint, beschreibt sie einen langen Weg der Selbstfindung. Während der Pubertät spürte sie, dass etwas "anders" war, und betrieb während ihres Maschinenbau-Studiums ein "Versteckspiel mit Frauenkleidung im Geheimen". Erst in einer Ehe mit zwei Kindern stieß sie auf das Thema Transsexualität. In den 1990er Jahren folgten ärztliche Behandlungen und schließlich die offizielle Geschlechtsänderung beim Amtsgericht.

2005 schloss sich Wilms den Grünen in Schleswig-Holstein an und zog 2009 in den Bundestag ein, wo sie bis 2017 als Abgeordnete tätig war. Sie profilierte sich besonders als Verkehrspolitikerin und Expertin für Nachhaltigkeit. Während dieser gesamten Zeit hielt sie ihre Transidentität bewusst aus der Öffentlichkeit heraus.

Bewusstes Schweigen im Parlament

Anders als die später gewählten trans Abgeordneten Tessa Ganserer und Nyke Slawik, die mit ihrer Identität offen umgehen, entschied sich Wilms für Diskretion. "Ich wäre immer nur auf das Thema Transsexualität zurückgeworfen worden und wäre nie mit den für mich wichtigen Themen im Parlament identifiziert worden", erklärt sie ihre damalige Entscheidung. Wilms wollte ausschließlich als Frau und Fachpolitikerin wahrgenommen werden, nicht als Symbolfigur für Trans-Rechte.

Diese Haltung steht in interessantem Kontrast zu jüngeren trans Politikerinnen wie Slawik und Ganserer, die ihre Identität auch als politisches Werkzeug nutzen, um Sichtbarkeit für die Community zu schaffen. Diese unterschiedlichen Herangehensweisen spiegeln auch verschiedene Generationen und gesellschaftliche Kontexte wider.

Politischer Richtungswechsel und Kritik am Selbstbestimmungsgesetz

Bemerkenswert ist Wilms' politische Entwicklung. Im Juni 2023 trat sie aus den Grünen aus, mit der Begründung, die Partei habe sich zu einem "Treiber für eine woke Kulturrevolution" entwickelt. Sie kritisierte eine "irrationale, selbstzerstörerische Klimapanik" und wandte sich politisch nach rechts, was unter anderem durch Interviews mit der rechten Plattform "Tichys Einblick" deutlich wurde.

Besonders überraschend für viele: Wilms lehnt das neue Selbstbestimmungsgesetz ab, das die rechtliche Geschlechtsangleichung für trans Personen erheblich erleichtert. Sie selbst durchlief das inzwischen abgeschaffte Transsexuellengesetz mit seinen umfangreichen Gutachten und juristischen Formalitäten, die von vielen Betroffenen als entwürdigend und belastend beschrieben wurden. Für Wilms jedoch waren diese Hürden nach eigener Aussage hilfreich, "über sich und den eigenen Wunsch klar zu werden".

Sie warnt vor einem "Geschlechter-Hopping" durch das neue Gesetz: "Jedes Jahr ein neues Geschlecht, ohne mich vollständig anzupassen. Das ist der normalen Gesellschaft nicht mehr verständlich zu machen. Solche Menschen wie ich verlieren dadurch an Akzeptanz."

Kontroverse in der deutschen Trans-Community

Wilms' Positionen haben in der LGBTQ+-Community für Diskussionen gesorgt. Während einige ihre Erfahrungen und ihren Weg respektieren, kritisieren andere ihre ablehnende Haltung gegenüber dem Selbstbestimmungsgesetz als rückschrittlich und nicht repräsentativ für die Bedürfnisse der heutigen trans Community.

Nora Eckert, Vorstandsmitglied des Bundesverbands Trans* (dgti), kommentierte in einem früheren Interview: "Alle trans Personen haben das Recht auf ihren individuellen Weg, aber wir sollten vorsichtig sein, wenn persönliche Erfahrungen genutzt werden, um politische Rechte anderer einzuschränken."

Historische Einordnung der trans Repräsentation im Bundestag

Bislang galten die Grünen-Politikerinnen Tessa Ganserer und Nyke Slawik als die ersten offen trans Abgeordneten im deutschen Parlament, die 2021 in den Bundestag einzogen. Mit Wilms' Enthüllung muss diese historische Einordnung nun differenzierter betrachtet werden. Während Ganserer und Slawik als erste offen trans Abgeordnete gelten können, war Wilms tatsächlich bereits früher als trans Frau im Parlament – wenn auch nicht öffentlich geoutet.

Aktuell ist Nyke Slawik weiterhin Mitglied des Bundestags, während Tessa Ganserer nicht erneut kandidierte. Mit Victoria Broßart aus Bayern gibt es zudem eine weitere trans Frau im Parlament. Die Sichtbarkeit von trans Personen in der deutschen Politik hat sich in den letzten Jahren deutlich erhöht, was viele als wichtigen Schritt für die gesellschaftliche Akzeptanz bewerten.

Valerie Wilms' Geschichte zeigt die Komplexität und Vielfalt von trans Lebenswegen in Deutschland und macht deutlich, dass es keine einheitliche Trans-Erfahrung gibt. Ihr Weg und ihre heutigen Positionen werden in der Community kontrovers diskutiert, bieten aber wichtige Einblicke in die Entwicklung der trans Repräsentation in der deutschen Politik der letzten Jahrzehnte.

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