In Berlin kam es am Samstagnachmittag zu einem weiteren Fall von homophober Gewalt, wie queer.de berichtete. Im Hansaviertel griff ein 40-jähriger Mann einen 67-Jährigen an, schlug ihm gegen Kopf und Rücken, trat auf ihn ein und beleidigte ihn homophob. Der Ältere setzte sich mit Reizgas zur Wehr und blieb unverletzt, während der Angreifer Augenreizungen erlitt. Der Polizeiliche Staatsschutz des Landeskriminalamts hat die Ermittlungen übernommen.
Alarmierende Zunahme queerfeindlicher Gewalt
Dieser Vorfall reiht sich in eine besorgniserregende Statistik ein: Im Jahr 2023 wurden in Berlin 791 queerfeindliche Angriffe zur Anzeige gebracht – fast eine Verdoppelung innerhalb von vier Jahren. Bundesweit wurden 1.785 Straftaten gegen LGBTQ+ Personen erfasst, verglichen mit 1.188 im Jahr 2022. Laut LSVD hat sich die Zahl der Straftaten im Bereich "Sexuelle Orientierung" und "Geschlechtsbezogene Diversität" seit 2010 bundesweit nahezu verzehnfacht.
Täter und Betroffenenstruktur
Die Statistiken zeigen ein klares Muster: Die überwältigende Mehrheit der Tatverdächtigen (über 90%) sind männlich. Bei den Betroffenen sind Männer häufiger von Gewaltdelikten betroffen, während in jüngeren Altersgruppen (20-40 Jahre) weibliche Opfer besonders oft vorkommen. Auffällig ist, dass die meisten Opfer "zufällig" ohne vorherige Bekanntschaft ausgewählt werden, wie das Berliner Monitoring zu trans- und homophober Gewalt aufzeigt.
Dunkelziffer bleibt hoch
Die offiziellen Zahlen spiegeln nur einen Teil der Realität wider. Experten gehen von einer erheblichen Dunkelziffer aus. Die Europäische Grundrechteagentur schätzt, dass in den EU-Ländern nur etwa 17 Prozent aller Attacken überhaupt gemeldet werden. Viele Betroffene verzichten aus Scham, Angst oder Misstrauen gegenüber den Behörden auf eine Anzeige.
Berlins besondere Rolle
Dass aus Berlin besonders viele LGBTQ+-feindliche Übergriffe gemeldet werden, liegt auch daran, dass die Hauptstadt bei der Erfassung und Verfolgung von Hasskriminalität eine Vorreiterrolle einnimmt. Die Berliner Polizei macht mögliche Hassverbrechen aufgrund der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität gezielt publik. Sowohl die Polizei als auch die Staatsanwaltschaft verfügen über spezielle Ansprechpersonen für queere Menschen.
Gesetzliche Verbesserungen
Ein wichtiger Fortschritt im Kampf gegen queerfeindliche Hasskriminalität ist die gesetzliche Anerkennung des Problems. Der Bundestag hat "geschlechtsspezifische" sowie "gegen die sexuelle Orientierung gerichtete" Tatmotive explizit in die Strafgesetze zu Hasskriminalität aufgenommen, wie das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend bestätigt.
Beratungsangebote und Hilfe
Betroffene von queerfeindlicher Gewalt müssen nicht allein bleiben. In Berlin und anderen deutschen Städten gibt es spezialisierte Beratungsangebote. Dazu gehören unter anderem MANEO in Berlin, Broken Rainbow bundesweit und verschiedene lokale LGBTQ+-Zentren. Diese Einrichtungen bieten Unterstützung bei der Verarbeitung des Erlebten, bei rechtlichen Fragen und bei der Anzeigeerstattung.
Der aktuelle Fall aus dem Berliner Hansaviertel verdeutlicht, dass trotz aller Fortschritte in Sachen LGBTQ+-Rechte die alltägliche Sicherheit queerer Menschen noch immer nicht gewährleistet ist. Die Bekämpfung queerfeindlicher Gewalt bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die konsequente Strafverfolgung, Präventionsarbeit und Solidarität erfordert.