Erfolg fĂĽr trans Rechte: Bundesrat stoppt Dobrindts umstrittenes Sonderregister

In einer überraschenden Wendung hat die Bundesregierung am Freitag die geplante Abstimmung über eine umstrittene Verordnung zum Selbstbestimmungsgesetz kurzfristig von der Tagesordnung des Bundesrates genommen. Die geplante Verordnung hätte frühere Geschlechtseinträge und Vornamen dauerhaft im Melderegister gespeichert und an andere Behörden übermittelt. Nach monatelangen Protesten von queeren Verbänden, Aktivist*innen und über 250.000 Unterzeichner*innen einer Petition ist dies ein wichtiger Erfolg für die trans, inter und nicht-binäre Community – zumindest vorerst.

Was war geplant?

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hatte ein Sonderregister für alle Menschen geplant, die das Selbstbestimmungsgesetz in Anspruch genommen haben. Die im Juli bekannt gewordene Verordnung zur Umsetzung des Selbstbestimmungsgesetzes im Meldewesen sah vor, dass bei Änderungen des Geschlechtseintrags neue zusätzliche Datenblätter im Melderegister angelegt werden sollten – mit Informationen über den früheren Geschlechtseintrag, den alten Vornamen sowie Datum und Aktenzeichen der Änderung.

Das Besondere daran: Der alte Vorname, das frühere Geschlecht und das Datum der Änderung sollten in eigenen Datenfeldern im aktuellen Datensatz gespeichert werden – und das für immer, denn die Daten sollten außerdem bei jedem Umzug automatisch mitwandern. Anders als bisher, wo alte Datensätze mit einem Sperrvermerk versehen wurden, wären die sensiblen Informationen künftig für unzählige Behörden direkt einsehbar gewesen.

Warum die Empörung so groß war

Die Kritik an der Verordnung war massiv und kam aus allen Richtungen. Die geplante Verordnung zur Erfassung und Weitergabe von Daten von Personen, die das Selbstbestimmungsgesetz zur Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen genutzt haben, sorgte seit Wochen für Empörung. Queere Verbände wie die Deutsche Gesellschaft für Trans*- und Inter*geschlechtlichkeit (dgti), der Bundesverband Trans* und der LSVD kritisierten das Vorhaben scharf als unnötig und gefährlich.

Der LSVD betonte, dass entgegen Offenbarungsverbot und Datenlöschungsgrundsätzen ein "Mechanismus" entstehe, "der das 'alte Geschlecht' dauerhaft mitführt, obwohl das SBGG gerade darauf abzielt, dass Menschen nach einer Änderung nicht mehr an ihren früheren Geschlechtseintrag gebunden sind". Die Regelung würde faktisch ein "altes Ich" zementieren, das dauerhaft mitgeführt werden müsse – ein direkter Widerspruch zum Ziel des Selbstbestimmungsgesetzes.

Die dunkle Parallele: Rosa Listen in Deutschland

Besonders beunruhigend war fĂĽr viele Betroffene die historische Parallele zu sogenannten "Rosa Listen". Der Berliner Queerbeauftragte Alfonso Pantisano warnte vor der WiedereinfĂĽhrung von Rosa Listen, wie sie in der deutschen Geschichte bereits eine unheilvolle Rolle gespielt haben.

Seit dem Kaiserreich gab es in Deutschland Listen von männlichen Homosexuellen, die die Polizei angelegt hatte, um die Verfolgung von Straftaten gegen § 175 zu erleichtern. Im Nationalsozialismus wurden diese Listen zur systematischen Verfolgung genutzt. Zwischen 1935 und 1944 wurden rund 50.000 Urteile nach dem NS-Paragrafen 175 gefällt. Insgesamt waren etwa 10.000 Homosexuelle in den NS-Konzentrationslagern inhaftiert, wo sie den Rosa Winkel als Kennzeichnung tragen mussten.

Noch erschreckender: Die "Rosa Listen" der Nazis wurden von der BRD und auch der DDR bis in die achtziger Jahre weitergeführt. Erst in den 1990er Jahren endete diese Praxis endgültig. Diese historische Last macht verständlich, warum die geplante zentrale Erfassung von trans Personen bei Betroffenen und Verbänden Alarmglocken läuten ließ.

Keine Mehrheit im Bundesrat

Die Absetzung der Abstimmung deutet darauf hin, dass die Befürworter*innen der Verordnung keine Chance auf eine Mehrheit sahen. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hatte sich mehrheitlich für eine Ablehnung ausgesprochen, da die Verordnung "nicht erforderlich" sei und "den besonderen Schutzbedarf der betroffenen Personengruppe" missachte. Während die Innen- und Rechtsausschüsse eine Zustimmung empfohlen hatten, reichte der Widerstand offenbar aus, um die Regierung zum Rückzug zu bewegen.

Entscheidend war wohl auch, dass in den 16 Bundesländern acht Koalitionen mit Grünen oder Linken regieren, die über eine knappe Mehrheit von 35 der 69 Sitze im Bundesrat verfügen. In Koalitionen müssen sich die Partner auf eine gemeinsame Stimme einigen – eine Enthaltung käme dabei einer Ablehnung gleich.

Erfolg der Zivilgesellschaft

Unter dem Druck von heftigen Protesten strich der Bundesrat die geplante Verordnung von der Tagesordnung. Die queerpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Nyke Slawik, erklärte laut queer.de: "Die Bundesregierung hat aufgrund des sich abzeichnenden Widerstands kalte Füße bekommen und hat ihre Verordnung erstmal zurückgezogen." Sie betonte, dies sei "das Ergebnis des Drucks der Zivilgesellschaft, von Verbänden und uns in Bund und den Ländern."

Auch Maik Brückner, queerpolitischer Sprecher der Linksfraktion, begrüßte, dass die Bundesregierung "trotz eines gestern noch hektisch aufgesetzten Schreibens an die Bundesländer keine Mehrheit für diese transfeindliche Verordnung zustande bringen" konnte. "Das ist auch ein Erfolg der Proteste von Verbänden und queerer Bewegung", so der Bundestagsabgeordnete aus Niedersachsen auf Instagram.

Das Selbstbestimmungsgesetz – ein Meilenstein in Gefahr

Das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) erleichtert es trans, intergeschlechtlichen und nicht-binären Personen, ihren Geschlechtseintrag und ihre Vornamen ändern zu lassen. Es ist am 1. November 2024 in Kraft getreten. Es löste das über 40 Jahre alte Transsexuellengesetz ab, das vom Bundesverfassungsgericht in wesentlichen Teilen für verfassungswidrig erklärt worden war.

Während das alte Gesetz langwierige Gerichtsverfahren und entwürdigende psychiatrische Gutachten vorschrieb, reicht nun eine einfache Erklärung beim Standesamt aus. Das Gesetz enthält zudem ein Offenbarungsverbot, das Menschen vor einem Zwangsouting schützen soll – genau das, was die geplante Verordnung ausgehöhlt hätte.

Nur eine Atempause?

Nyke Slawik mahnte, jetzt heiße es "erst einmal kurz aufatmen". Die Verordnung ist nicht endgültig vom Tisch – sie wurde lediglich zurückgezogen. Trotz massiver Kritik versucht das Innenministerium, das eigene Vorhaben durchzudrücken. Es bleibt abzuwarten, ob Bundesinnenminister Dobrindt einen erneuten Anlauf unternehmen wird, möglicherweise mit Änderungen, die auf die Kritik eingehen.

Für trans, inter und nicht-binäre Menschen in Deutschland ist die Absetzung der Abstimmung dennoch ein wichtiger Erfolg. Sie zeigt, dass zivilgesellschaftlicher Protest und die Mobilisierung von über 250.000 Menschen etwas bewirken können. Das Ziel des Selbstbestimmungsgesetzes war es, Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierungen abzubauen. Die geplanten Änderungen im Meldewesen hätten jedoch erneut die Grundrechte von trans, intergeschlechtlichen und nicht-binären Personen verletzt.

Die Community bleibt wachsam – und ist bereit, ihre hart erkämpften Rechte zu verteidigen. Denn die Geschichte hat gelehrt: Listen über Minderheiten sind niemals nur Listen. Sie sind Instrumente der Ausgrenzung, der Kontrolle und im schlimmsten Fall der Verfolgung.

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