Die Verfolgung homosexueller Männer unter dem berüchtigten §175 des Strafgesetzbuches stellt eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Rechtsgeschichte dar. Während die Stadt Düsseldorf aktuell an die Befreiung vom Nationalsozialismus erinnert und Historikerin Astrid Hirsch-von Borries einen offiziellen Gedenktag für queere NS-Opfer fordert, werfen wir einen Blick auf die historischen Zahlen und den langen Weg zur Entschädigung der Opfer.
Die erschreckende Bilanz der Verfolgung
Die Zahlen sind erschütternd: Während der nationalsozialistischen Herrschaft wurden etwa 50.000 Männer aufgrund des §175 verurteilt. Diese Strafnorm, die bereits seit dem Kaiserreich existierte, wurde 1935 durch die Nationalsozialisten erheblich verschärft. Nicht mehr nur "beischlafähnliche Handlungen", sondern jegliche "unzüchtige Handlungen" zwischen Männern waren nun strafbar – ein bewusst schwammiger Begriff, der der Willkür Tür und Tor öffnete.
Tausende der Verurteilten wurden in Konzentrationslager deportiert, wo sie mit dem berüchtigten "Rosa Winkel" gekennzeichnet waren. Die genaue Zahl der in KZs inhaftierten homosexuellen Männer ist schwer zu bestimmen, da viele Opfer nicht als Homosexuelle registriert wurden. Historiker schätzen jedoch, dass mehrere Tausend aufgrund ihrer sexuellen Orientierung in den Lagern starben – durch unmenschliche Arbeitsbedingungen, medizinische Experimente oder direkte Tötung.
Die Kontinuität der Verfolgung in der Nachkriegszeit
Besonders bitter: Nach 1945 setzte sich die Diskriminierung und Verfolgung nahtlos fort. Die Bundesrepublik übernahm den §175 in seiner verschärften NS-Fassung. Zwischen 1949 und 1969 wurden etwa 50.000 weitere Männer nach diesem Paragraphen verurteilt. Erst 1969 erfolgte eine erste Reform, die homosexuelle Handlungen unter erwachsenen Männern über 21 Jahren entkriminalisierte. Die vollständige Aufhebung des §175 erfolgte jedoch erst 1994 – fast 50 Jahre nach dem Ende des NS-Regimes.
Dies führte zu einer besonders perfiden Situation: Während andere NS-Opfer zumindest theoretisch Anspruch auf Entschädigung hatten, galten die §175-Verurteilten weiterhin als rechtmäßig verurteilte "Kriminelle". Eine Entschädigung war somit ausgeschlossen, und viele Betroffene lebten bis ins hohe Alter mit dem Makel der Vorstrafe und der gesellschaftlichen Stigmatisierung.
Der späte Weg zur Entschädigung
Die Rehabilitierung und Entschädigung der §175-Opfer erfolgte erschreckend spät. Erst 2002 hob der Deutsche Bundestag die NS-Urteile nach §175 auf. Weitere 15 Jahre später, am 22. Juli 2017, trat das "Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach §175 StGB verurteilten Personen" (StrRehaG) in Kraft, das auch die Urteile aus der Nachkriegszeit aufhob.
Dieses Gesetz sieht eine pauschale Entschädigung von 3.000 Euro für jedes aufgehobene Urteil vor. Betroffene, die inhaftiert waren, erhalten zusätzlich 1.500 Euro für jedes angefangene Jahr in Haft. Bis Ende 2021 wurden lediglich rund 250 Anträge auf Entschädigung gestellt – ein Zeichen dafür, wie spät die Rehabilitierung kam.
So können Betroffene und Angehörige Entschädigung beantragen
Der Entschädigungsanspruch kann direkt beim Bundesamt für Justiz geltend gemacht werden und gilt ausdrücklich auch für die Erben bereits verstorbener Opfer. Der Antrag ist formlos möglich, alle notwendigen Informationen finden sich auf der offiziellen Webseite des Bundesamts für Justiz.
Für den Antrag werden folgende Unterlagen benötigt:
- Möglichst genaue Angaben zum Strafverfahren (Gericht, Aktenzeichen, Datum des Urteils)
- Nachweis der Erbberechtigung, falls der Verurteilte bereits verstorben ist (z.B. durch Erbschein oder Testament)
- Kopie eines Identitätsnachweises (Personalausweis oder Reisepass)
- Wenn vorhanden: Kopie des Urteils, Strafvollstreckungsunterlagen oder andere Belege
Das Bundesamt für Justiz hilft auch bei der Suche nach fehlenden Dokumenten und kann bei Bedarf Gerichtsakten anfordern. Der Antrag kann per Post an folgende Adresse gesendet werden:
Bundesamt für Justiz
Referat III 3
53094 Bonn
Alternativ kann der Antrag auch per E-Mail an strafrehagest@bfj.bund.de eingereicht werden. Für Rückfragen steht eine Telefon-Hotline unter 0228 99 410-40 zur Verfügung. Die Antragsfrist ist unbegrenzt, Anträge können also auch jetzt noch gestellt werden.
Mehr als nur finanzielle Entschädigung
Die verspätete Rehabilitierung der §175-Opfer ist ein mahnendes Beispiel für die Langzeitwirkung diskriminierender Gesetze und die Verantwortung des Rechtsstaates, begangenes Unrecht anzuerkennen. Bundesjustizminister Marco Buschmann betonte 2022: "Die strafrechtliche Verfolgung homosexueller Menschen war von Anfang an verfassungswidrig. Sie hat schweres Leid über die Betroffenen gebracht."
Neben der finanziellen Entschädigung geht es heute vor allem um die gesellschaftliche Anerkennung des erlittenen Unrechts. Initiativen wie die von Historikerin Hirsch-von Borries geforderten Gedenktage für queere NS-Opfer oder das 2022 errichtete Denkmal auf der Düsseldorfer Apollo-Wiese sind wichtige Schritte zur Sichtbarmachung dieser lange verdrängten Geschichte.
Immer mehr Projekte widmen sich der Aufarbeitung der queeren Geschichte im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit. Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld und das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen in Berlin sind dabei wichtige Anlaufstellen für Forschung und Erinnerungsarbeit.
Trotz dieser positiven Entwicklungen bleibt die Aufarbeitung der §175-Geschichte eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die späte Rehabilitierung und die geringe Zahl der gestellten Entschädigungsanträge zeigen, wie wichtig es ist, das Bewusstsein für dieses historische Unrecht wachzuhalten – gerade in Zeiten, in denen queere Menschen weltweit wieder zunehmend unter Druck geraten.