Demokratie in Gefahr: Tausende Ungarn protestieren gegen Orbáns Pride-Verbot

Bereits zum vierten Mal in Folge sind am vergangenen Dienstagabend mehr als 10.000 Menschen in Budapest auf die Straße gegangen, um gegen das kürzlich verabschiedete Verbot von Pride-Paraden zu demonstrieren. Die Teilnehmer*innen schwenkten ungarische und Regenbogenfahnen und forderten mit Slogans wie "Genug der Lügen" und "Nieder mit Orban! Wir wollen Demokratie" ein Ende der LGBTQ+-feindlichen Politik des Ministerpräsidenten.

Wachsender Widerstand gegen Orbáns Anti-LGBTQ+-Politik

Die Protestierenden widersetzen sich mutig einer Aufforderung der Polizei, Brücken und Hauptverkehrsstraßen zu räumen. Auf einer Pride-Flagge mit einer Schlange war in Anlehnung an die historische Gadsden-Flagge der Slogan "Tritt nicht auf mich!" zu lesen - ein kraftvolles Symbol des Widerstands gegen Unterdrückung.

Dorottya Redai von der ungarischen Lesbenorganisation Labrisz betonte in ihrer Rede, dass das CSD-Verbot weit über die Einschränkung des Grundrechts auf friedliche Versammlung hinausgehe. "Das Gesetz der Regierung zielt eindeutig darauf ab, queere Menschen aus dem öffentlichen Leben zu verdrängen", warnte sie vor hunderten Zuhörer*innen.

Bemerkenswert ist, dass die Proteste nicht nur auf die Hauptstadt beschränkt bleiben. Auch im ostungarischen Miskolc demonstrierten am selben Tag Hunderte Menschen gegen das CSD-Verbot – ein für die ungarische Provinz ungewöhnliches Zeichen des Widerstands.

Das umstrittene Verbot und seine Folgen

Das ungarische Parlament hatte das Verbot von Pride-Demonstrationen Mitte März beschlossen. Die Regierung begründet diesen Schritt mit dem angeblichen "Schutz von Kindern" – eine Argumentation, die von Menschenrechtsorganisationen scharf kritisiert wird. Verstöße gegen das neue Gesetz gelten als Ordnungswidrigkeit und können mit Geldbußen von bis zu 200.000 Forint (etwa 500 Euro) bestraft werden.

Besonders beunruhigend: Die Regierung plant, Teilnehmer*innen von Pride-Demonstrationen mittels Gesichtserkennungs-Software zu identifizieren. Diese Digitalisierung der staatlichen Überwachung stellt eine neue Qualität der Repression dar und erinnert an autoritäre Überwachungsmethoden.

Trotz dieser einschüchternden Maßnahmen zeigen die Organisator*innen der Budapester Pride-Parade und der progressive Bürgermeister der Stadt Gergely Karácsony Mut: Sie haben angekündigt, dass der Christopher Street Day am 28. Juni trotz des Verbots stattfinden soll.

Internationale Solidarität und Reaktionen aus Deutschland

Die Reaktionen aus Deutschland und der EU auf Orbáns neuestes anti-LGBTQ+-Gesetz sind deutlich. Mehrere EU-Abgeordnete, darunter auch deutsche Parlamentarier*innen, haben bereits angekündigt, trotz des Verbots an der diesjährigen Pride-Parade in Budapest teilnehmen zu wollen. Dies ist ein starkes Zeichen der Solidarität mit der ungarischen LGBTQ+-Community.

In Deutschland selbst fanden bereits mehrere Solidaritätskundgebungen statt. So versammelten sich Ende März in Düsseldorf zahlreiche Menschen zu einer Demonstration gegen das Pride-Verbot in Ungarn. Die Teilnehmer*innen forderten die Bundesregierung auf, stärkeren diplomatischen Druck auf Ungarn auszuüben.

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock hatte bereits zuvor die zunehmende Beschneidung von LGBTQ+-Rechten in Ungarn verurteilt und betont, dass Deutschland sich international für die Menschenrechte von queeren Personen einsetzt – unter anderem als aktives Mitglied der Equal Rights Coalition und des Global Equality Fund.

Ein alarmierender Kontrast: Deutschland und Ungarn

Der Umgang mit LGBTQ+-Rechten in Ungarn und Deutschland könnte unterschiedlicher kaum sein. Während das deutsche Grundgesetz und zahlreiche Gesetze die Rechte von queeren Menschen schützen und Diskriminierung verbieten, hat sich Ungarn unter der Orbán-Regierung zu einem der LGBTQ+-feindlichsten Länder der EU entwickelt.

In Deutschland darf jede Person ihre sexuelle Identität und Geschlechtsidentität frei ausleben. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) schützt lesbische, schwule, bisexuelle, transgender, queere, nicht-binäre und andere sexuelle Minderheiten vor Diskriminierung. CSDs werden hier nicht nur geduldet, sondern von vielen Kommunen aktiv unterstützt.

In Ungarn hingegen hat die Orbán-Regierung seit 2021 mehrere Gesetze erlassen, die den Zugang zu Informationen über Homo- und Bisexualität sowie Transgeschlechtlichkeit für Kinder und Jugendliche einschränken. Das neueste Verbot von Pride-Paraden ist nur der vorläufige Höhepunkt einer systematischen Kampagne gegen die Rechte sexueller Minderheiten.

Ein Kampf für europäische Werte

Die Proteste in Budapest sind mehr als nur ein Kampf für LGBTQ+-Rechte – sie sind ein Kampf für die Grundwerte der Europäischen Union: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Die EU scheint angesichts der zunehmenden Repressionen in Ungarn jedoch oft machtlos zu wirken, obwohl bereits mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen das Land laufen.

Aktivist*innen und Beobachter*innen sehen die Angriffe auf die LGBTQ+-Community als Teil einer breiteren Strategie der Orbán-Regierung, Minderheiten wie Obdachlose, Migrant*innen und queere Menschen als Sündenböcke zu instrumentalisieren, um von wirtschaftlichen und sozialen Problemen abzulenken.

Während in Deutschland Vielfalt und Inklusion zunehmend als gesellschaftliche Stärke anerkannt werden, nutzt Orbán kulturelle Polarisierung als politisches Instrument. Diese gegensätzlichen Entwicklungen innerhalb der EU verdeutlichen die Herausforderungen für ein geeintes Europa, das auf gemeinsamen Werten basieren soll.

Für die queere Community in Ungarn bleibt der Widerstand gegen das Pride-Verbot ein mutiger und notwendiger Kampf für ihre Grundrechte und ihre Sichtbarkeit in der Gesellschaft. Die internationale Solidarität, besonders aus Deutschland, wird dabei eine wichtige Rolle spielen.

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