Besorgniserregender Anstieg queerfeindlicher Gewalt: Schwuler Mann in Lübeck attackiert

In Lübeck wurde ein 29-jähriger schwuler Mann aus Bayern Opfer einer queerfeindlichen Attacke, wie die Polizei am vergangenen Freitag mitteilte. Der Vorfall, der sich bereits am Dienstag in der Innenstadt ereignete, reiht sich in eine zunehmend besorgniserregende Statistik von Hassverbrechen gegen LGBTQ+-Personen in Deutschland ein. Die ursprüngliche Meldung wurde von queer.de veröffentlicht.

Der Vorfall in Lübeck: Chronologie einer Attacke

Der Vorfall ereignete sich am Dienstagmittag gegen 12:10 Uhr An der Obertrave zwischen der Marlesgrube und der Straße Depenau. Nach bisherigen Ermittlungen ging der 29-jährige Mann aus Bayern mit seinem Begleiter Hand in Hand spazieren, als eine 42-jährige Frau ihn daraufhin homofeindlich beleidigte. Im Verlauf des entstehenden Streitgesprächs erschien ein 50-jähriger Begleiter der Frau, der dem Touristen unvermittelt ins Gesicht schlug.

Nachdem der Geschädigte die Polizei verständigte, fuhr ein weißer Mercedes vor, aus dem mehrere Personen ausstiegen. Eine dieser Personen – der Beschreibung nach ein etwa 30-jähriger Mann mit schwarzem Vollbart und weißem Hemd – beleidigte den 29-Jährigen erneut aufgrund seiner sexuellen Orientierung. Die Polizei konnte im Rahmen der Fahndung sowohl die 42-jährige Frau als auch den 50-jährigen Angreifer antreffen und leitete ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung und Beleidigung ein.

Erschreckender Anstieg queerfeindlicher Straftaten in Deutschland

Der Vorfall in Lübeck ist leider kein Einzelfall. Deutschland verzeichnet einen alarmierenden Anstieg queerfeindlicher Gewalt. Laut dem Bundesministerium des Innern und für Heimat wurden im Jahr 2023 insgesamt 1.785 Straftaten gegen LSBTIQ* Personen registriert – ein deutlicher Anstieg gegenüber 1.188 Fällen im Vorjahr.

Der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) berichtet sogar von einer noch dramatischeren Entwicklung: In der Kategorie "sexuelle Orientierung" wurden 2023 bundesweit 1.499 Straftaten erfasst – ein Anstieg von etwa 49% im Vergleich zum Vorjahr. Dazu kommen 854 Straftaten im Bereich "geschlechtsbezogene Diversität", was einer Verdopplung um circa 105% entspricht.

Besonders erschreckend: Die Zahlen queerfeindlicher Straftaten haben sich seit 2010 nahezu verzehnfacht. Die Dunkelziffer dürfte noch deutlich höher liegen, da Schätzungen zufolge 80 bis 90 Prozent aller Vorfälle nicht zur Anzeige gebracht werden – sei es aus Scham, Angst oder mangelndem Vertrauen in Strafverfolgungsbehörden.

Parallelen zu anderen Fällen in Lübeck und Umgebung

Lübeck war bereits in der Vergangenheit Schauplatz queerfeindlicher Gewalt. Ein besonders gravierender Vorfall ereignete sich am Rande des Christopher Street Day (CSD) in Lübeck, bei dem eine 27-Jährige attackiert und ihr Kopf mehrfach auf das Kopfsteinpflaster geschlagen wurde. Dieser und andere Fälle werden in der Chronik der Gewalttaten gegen LSBTIQ in Deutschland des LSVD dokumentiert.

Auch im benachbarten Bundesland Bayern hat sich die Situation verschärft. Dort haben sich die Straftaten gegen queere Personen im Jahr 2023 im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Die Polizei registrierte 190 queerfeindliche Straftaten, wie BR24 berichtete. Die Tatsache, dass der in Lübeck attackierte Mann aus Bayern stammt, verdeutlicht die überregionale Dimension des Problems.

Die gesundheitlichen Folgen von Diskriminierung und Gewalt

Queerfeindliche Gewalt und Diskriminierung haben weitreichende Folgen für die Betroffenen. Studien des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zeigen, dass LGBTQI*-Menschen fast dreimal häufiger von Depressionen und Burnout betroffen sind als die restliche Bevölkerung. Auch körperliche Erkrankungen wie Herzkrankheiten, Asthma und chronische Rückenschmerzen kommen weitaus häufiger vor.

Die psychische Belastung durch solche Übergriffe wird oft verstärkt durch das Gefühl, dass die eigene Sicherheit im öffentlichen Raum nicht gewährleistet ist. Dies kann zu Vermeidungsverhalten führen, wodurch Betroffene bestimmte Orte meiden oder ihre Identität verbergen, um nicht zur Zielscheibe zu werden – eine massive Einschränkung der persönlichen Freiheit.

Maßnahmen und Forderungen

Im Kampf gegen queerfeindliche Gewalt hat die Bundesregierung im Koalitionsvertrag 2021-2025 einen nationalen Aktionsplan zu LGBTIQ*-Rechten aufgenommen. Seit 2022 gibt es zudem erstmals einen Queer-Beauftragten der Bundesregierung, der im Bundesfamilienministerium angesiedelt ist und für mehr sexuelle Akzeptanz und Vielfalt sorgen soll.

Der LSVD fordert darüber hinaus die Einsetzung einer unabhängigen Expert*innen-Kommission durch die Bundesregierung, um eine systematische Bestandsaufnahme aller Erscheinungsformen von LSBTIQ*-Feindlichkeit und damit verbundener Hasskriminalität zu erarbeiten. Auch die polizeiliche Erfassung und Verfolgung solcher Straftaten soll verbessert werden – ein wichtiger Schritt, da die Aufklärungsquote bei LGBTIQ-feindlichen Delikten oft geringer ist als bei anderen Hassdelikten.

Zeug*innen gesucht

Im aktuellen Fall aus Lübeck sucht die Polizei weiterhin nach Zeug*innen, die sich am Dienstag zwischen 11:30 und 12:15 Uhr in der Straße An der Obertrave aufgehalten und den Vorfall beobachtet haben. Besonders wichtig für die Ermittlungen sind Hinweise zum bisher unbekannten Mann aus dem weißen Mercedes, der etwa 30 Jahre alt, 175 cm groß und mit schwarzem Vollbart und weißem Hemd bekleidet gewesen sein soll.

Hinweise zum Sachverhalt oder zum unbekannten Tatverdächtigen nimmt das Kommissariat 5 der Bezirkskriminalinspektion Lübeck telefonisch unter der Telefonnummer (0451) 1310 oder per E-Mail K5.luebeck.bki@polizei.landsh.de entgegen.

Fazit: Gemeinsam gegen Queerfeindlichkeit

Der Vorfall in Lübeck verdeutlicht einmal mehr, dass trotz aller rechtlichen Fortschritte für die LGBTQ+-Community in Deutschland noch ein weiter Weg zu gehen ist, bis queere Menschen ohne Angst vor Anfeindungen und Gewalt leben können. Es braucht nicht nur konsequente Strafverfolgung, sondern auch präventive Maßnahmen, Bildung und Sensibilisierung in allen Gesellschaftsbereichen.

Von besonderer Bedeutung ist auch die Solidarität innerhalb der Gesellschaft. Zivilcourage in Situationen wie der in Lübeck kann entscheidend sein, um Betroffene zu unterstützen und ein klares Zeichen gegen Queerfeindlichkeit zu setzen. Für eine offene und vielfältige Gesellschaft ist es wichtig, dass queerfeindliche Vorfälle nicht nur von den Betroffenen selbst, sondern von allen Menschen als Angriff auf die demokratischen Grundwerte verstanden werden.

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