Das neue Jahr begann mit einem Paukenschlag für die trans Community in Deutschland: Der verurteilte Rechtsextremist Sven Liebich hat seinen Geschlechtseintrag auf "weiblich" und seinen Namen auf "Marla-Svenja" ändern lassen – eine Entscheidung, die eine heftige Debatte über das Selbstbestimmungsgesetz ausgelöst hat. Liebich, der durch einfache Erklärung gegenüber dem Standesamt in Schkeuditz sein Geschlecht und den Vornamen geändert hat , scheint damit genau das erreicht zu haben, was beabsichtigt war: maximale Provokation und eine Munitionslieferung für die Gegner*innen von trans Rechten.
Ein Rechtsextremist spielt mit trans Identität
Die Ironie könnte bitterer nicht sein: Der für seine Provokationen berüchtigte Rechtsextremist hat laut einem Bericht seinen Geschlechtseintrag auf "weiblich" ändern lassen. Sein neuer Name sei Marla Svenja Liebich. Ein Sprecher des Verfassungsschutzes Sachsen-Anhalt bestätigte, dass der Behörde die Namensänderung im Dezember bekanntgeworden sei. Dieselbe Person, die noch im September 2023 Teilnehmer des CSD als „Schwuletten" beschimpfte und von „Transfaschismus" sprach , nutzt nun ausgerechnet das Selbstbestimmungsgesetz, das trans Menschen ein Leben in Würde ermöglichen soll.
Die Provokation ist offensichtlich: Gegenüber der Redaktion habe er sich lediglich mit den Worten geäußert: "Ich habe Angst vor Diskriminierung." Liebich sei auf einem Firmengelände in Halle-Ost angetroffen worden und sei "mit Vollbart und Basecap, in Jeans und Pullover" gut zu erkennen gewesen. Nichts an seinem Auftreten deutet auf eine ernsthafte trans Identität hin. Stattdessen inszeniert sich Liebich als Opfer eines Systems, das er selbst bekämpft.
Das Selbstbestimmungsgesetz – Ein Meilenstein unter Beschuss
Das am 1. November 2024 in Kraft getretene Selbstbestimmungsgesetz war ein historischer Schritt für die Rechte von trans, inter und nicht-binären Menschen in Deutschland. Es vereinfacht es für transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen, ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister und ihre Vornamen ändern zu lassen. Die Änderung erfolgt durch eine Erklärung gegenüber dem Standesamt. Eine gerichtliche Entscheidung über die Antragstellung ist nicht mehr erforderlich. Auch die Notwendigkeit zur Einholung zweier Sachverständigengutachten entfällt.
Mit diesem Gesetz reiht sich Deutschland in eine wachsende Liste von Ländern ein, die die Selbstbestimmung von trans Menschen respektieren. Argentinien, Malta, Dänemark, Luxemburg, Belgien, Irland, Portugal, Island, Neuseeland, Norwegen, Uruguay, Spanien, Finnland, Schweiz, Brasilien, Kolumbien und Ecuador respektieren in entsprechenden Gesetzen die Grundrechte und Selbstbestimmung von trans* Personen bei der Änderung des Geschlechtseintrags. Die Erfahrungen aus diesen Ländern zeigen: Die befürchteten Missbrauchsfälle sind die absolute Ausnahme geblieben.
Die Haft-Frage: Ein Frauengefängnis für einen Neonazi?
Besonders brisant wird der Fall durch Liebichs anstehende Haftstrafe. Im Juli 2023 verurteilte das Amtsgericht Halle Liebich wegen Volksverhetzung, Billigung eines Angriffskrieges, Verstoßes gegen das Kunsturhebergesetz, übler Nachrede und Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 18 Monaten. Nach gescheiterter Berufung und Revision ist das Urteil rechtskräftig.
Die Staatsanwaltschaft hat Liebich zunächst in die Frauen-JVA Chemnitz einbestellt, doch es werde beim Haftantritt im Frauengefängnis ein Aufnahmegespräch geben. Daraus könne die JVA-Leitung ableiten, ob Liebich eine Gefahr für die Sicherheit und Ordnung innerhalb des Gefängnisses sei. Falls ja, könne er auch verlegt werden. Das sächsische Justizministerium betont, dass es dabei auch der Frage nachgegangen werde, ob der Geschlechtseintrag nur für die Unterbringung in einem Frauengefängnis geändert worden sei .
Die politische Instrumentalisierung
Wie zu erwarten war, nutzen konservative Politiker*innen den Fall sofort für ihre Agenda. CDU-Kanzleramtsminister Thorsten Frei kritisierte gegenüber RTL und ntv, "dass gut gemeint häufig das Gegenteil von gut" sei und sprach von "massiven Missbrauchsmöglichkeiten". Die CSU-Politikerin Susanne Hierl erklärte: "Der Fall Liebich zeigt eindrücklich, wozu die Möglichkeit einer voraussetzungslosen Änderung des Geschlechtseintrags führt."
Diese Reaktionen folgen einem bekannten Muster. Schon bei der Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaften vor einem Vierteljahrhundert warnte die Union vor "Missbrauch" – Konservative argumentierten, dass Verbrecher künftig das Gesetz missbrauchen könnten, sie könnten sich schließlich verpartnern, um nicht gegeneinander aussagen zu müssen. Dieses angebliche Missbrauchsszenario spielte allerdings in der realen Welt weder nach der Einführung der "Ehe light" 2001 noch nach der Öffnung der Ehe 2017 eine Rolle.
Die Stimmen der Vernunft
Die Queerbeauftragte der Bundesregierung, Sophie Koch (SPD), warnt eindringlich davor, sich von rechten Stimmungsmachern instrumentalisieren zu lassen: "Wir sind gut beraten, solche extremen Einzelfälle nicht zum Maßstab unseres Handelns zu machen." Sie betont, dass das Selbstbestimmungsgesetz "für sehr viele Menschen nicht weniger als gesellschaftliche Teilhabe in Würde" bedeute – "ein Recht, das selbstverständlich sein sollte".
Die trans Aktivistin und frühere WDR-Journalistin Georgine Kellermann reagierte scharf auf die Äußerungen aus der Union: "Ein rechtsextremer Typ will genau das erreichen und Sie lecken seinen Speichel, als wenn's nichts anderes zu denken gäbe. Was für ein intellektueller Totalausfall."
Der Jurist Christian Rath beschreibt die Geschlechtsänderung als "abusive" und eine "pure Provokation", betont aber gleichzeitig, dass das Gesetz sinnvolle Lösungen ermöglicht. Tatsächlich zeigt der Fall Liebich nicht die Schwäche des Gesetzes, sondern seine Stärke: Die Mechanismen zur Überprüfung funktionieren, und das System kann mit solchen Provokationen umgehen.
Ein Blick auf die deutsche trans Community
Während über den Fall Liebich diskutiert wird, sollten wir nicht vergessen, worum es beim Selbstbestimmungsgesetz eigentlich geht. Niemand weiß genau, wie viele trans Personen in Deutschland leben. Die Schätzungen reichen von einigen tausend bis zu Hunderttausenden. Sie fühlen sich als Frau, obwohl ihnen bei der Geburt anhand äußerer Merkmale das männliche Geschlecht zugewiesen wurde – und umgekehrt. Den Betroffenen sollte ermöglicht werden, einen Ausweis vorzuzeigen, der zu ihrer Identität und ihrem Erscheinungsbild als Mann oder Frau passt.
Für diese Menschen ist das Selbstbestimmungsgesetz ein Befreiungsschlag. Nach jahrzehntelangen demütigenden Verfahren, teuren Gutachten und entwürdigenden Befragungen können sie nun endlich selbstbestimmt über ihre Identität entscheiden. Diese Errungenschaft darf nicht durch die zynische Provokation eines einzelnen Rechtsextremisten zunichtegemacht werden.
Deutschland im internationalen Kontext
Deutschland ist mit seinem Selbstbestimmungsgesetz keineswegs Vorreiter, sondern zieht nach. Länder wie Argentinien (seit 2012), Dänemark (2014), Malta (2015), Irland (2015), Norwegen (2016) und viele weitere haben bereits seit Jahren ähnliche Gesetze – ohne dass die befürchteten Horrorszenarien eingetreten wären. Trans-Aktivist:innen versicherten, dass mit Missbrauch nicht zu rechnen sei; das hätten Erfahrungen aus anderen europäischen Staaten wie Belgien, Dänemark und Portugal gezeigt.
Im Gegenteil: Diese Länder berichten von positiven Erfahrungen. Die Selbstmordraten unter trans Menschen sind gesunken, die gesellschaftliche Akzeptanz ist gestiegen, und die befürchteten Missbrauchsfälle sind ausgeblieben. Der Fall Liebich ist eine absolute Ausnahme – und selbst diese Ausnahme wird vom System aufgefangen.
Was lernen wir daraus?
Sollte sich herausstellen, was viele vermuten, nämlich dass es sich um einen provokativen PR-Stunt handelt, dann zeigen die Reaktionen konservativer Medien und Politiker*innen: Liebich hat ihr Ziel erreicht. Der Rechtsextremist hat es geschafft, eine Debatte zu entfachen, die trans Menschen schadet und ihre hart erkämpften Rechte in Frage stellt.
Doch gleichzeitig zeigt der Fall auch die Resilienz unserer Demokratie und unserer Gesetze. Das Selbstbestimmungsgesetz ist robust genug, um mit solchen Provokationen umzugehen. Das SBGG trifft keine Regelungen über den Strafvollzug. Konkret bedeutet das, Entscheidungen werden sehr wohl im Einzelfall herbeigeführt. Es gibt keinen Automatismus, dass eine Änderung des Geschlechtseintrags zu einer Unterbringung im Frauengefängnis führt.
Was wir jetzt brauchen, ist Besonnenheit. Wir dürfen nicht zulassen, dass ein einzelner Rechtsextremist die Rechte von Tausenden von trans Menschen zerstört. Wir müssen die Kirche im Dorf lassen und erkennen: Der Fall Liebich ist kein Argument gegen das Selbstbestimmungsgesetz – er ist ein Argument für eine wehrhafte Demokratie, die mit solchen Provokationen umgehen kann, ohne gleich in Panik zu verfallen.
Ein Aufruf zur Solidarität
Die trans Community in Deutschland braucht jetzt unsere Solidarität. Sie darf nicht zum Kollateralschaden eines rechtsextremen Provokateurs werden. Das Selbstbestimmungsgesetz ist ein Meilenstein für die Menschenrechte in Deutschland – und es muss verteidigt werden.
Queere Organisationen wie der LSVD, TransInterQueer und viele andere arbeiten täglich daran, trans Menschen zu unterstützen und ihre Rechte zu verteidigen. Sie verdienen unsere Unterstützung, nicht nur in Zeiten wie diesen, sondern jeden Tag.
Der Fall Liebich mag eine Provokation sein, aber er ist auch eine Chance. Eine Chance, zu zeigen, dass wir als Gesellschaft zusammenstehen. Eine Chance, zu beweisen, dass wir uns nicht von Rechtsextremisten spalten lassen. Und eine Chance, klarzumachen: Die Würde und die Rechte von trans Menschen sind nicht verhandelbar – egal, wie perfide die Angriffe auch sein mögen.