Die Geschichte von Marine Rosset zeigt schmerzhaft auf, wie tief verwurzelte Homophobie selbst in progressiven katholischen Kreisen Menschen zur Aufgabe zwingen kann. Nach nur zwei Monaten im Amt musste die 39-jährige Kommunalpolitikerin ihren Posten als Vorsitzende der französischen Scouts et Guides de France (SGDF) aufgeben – nicht wegen mangelnder Kompetenz, sondern weil ihre Homosexualität als Angriffsfläche für systematische Hetzkampagnen genutzt wurde.
Ein mutiges Bekenntnis wird zur Zielscheibe
"Die Situation ist unhaltbar geworden", erklärte Rosset der katholischen Zeitung "La Croix". Ihre Worte offenbaren das Dilemma vieler LGBTQ+ Menschen in religiösen Gemeinschaften: "Ich bin wütend, vor allem, weil mein Glaube aufgrund meiner Homosexualität manchmal in Frage gestellt wurde. Das tut weh." Rechtsextreme Seiten griffen sie aggressiv an, nicht nur wegen ihrer Unterstützung für Schwangerschaftsabbrüche, sondern gezielt wegen ihrer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft und Familienplanung.
Besonders perfide: Die Kritik an ihrem politischen Engagement wurde als Vorwand genutzt, um ihre sexuelle Orientierung zu attackieren. "Man darf sich nicht täuschen lassen. Die Kritik an meinem politischen Engagement war oft ein Mittel, um mich zu kritisieren, ohne meine Homosexualität zu erwähnen", durchschaute Rosset die Strategie ihrer Gegner.
Deutschland: Ähnliche Herausforderungen in christlichen Jugendverbänden
Auch in Deutschland kämpfen LGBTQ+ Menschen in christlichen Jugendorganisationen mit ähnlichen Vorurteilen. Die Deutsche Pfadfinderschaft Sankt Georg (DPSG) bekennt sich zwar zu Offenheit und Toleranz gegenüber allen Menschen, unabhängig von Geschlecht und sexueller Orientierung. Doch wie der Fall des CVJM in Esslingen im vergangenen Jahr zeigte, sind Homophobie-Vorwürfe auch hierzulande ein ernstes Problem in christlichen Vereinen für Jugendliche.
Die Spannungen entstehen durch den Konflikt zwischen der offiziellen katholischen Lehre und der gelebten Realität in den Gemeinden. Während die katholische Kirche homosexuelle Handlungen als "moralische Unordnung" betrachtet, fordern Basis-Organisationen wie die DPSG Oberpleis, ihre Gemeinschaft als vielfältige Menschen zu sehen, "die als Ebenbilder Gottes die gleiche Würde teilen".
Widerstand von innen: #OutInChurch als Hoffnungszeichen
Ein wichtiges Signal des Wandels sendete die Initiative #OutInChurch, bei der sich 2022 rund 125 in der katholischen Kirche tätige Personen outeten und ein Ende der Diskriminierung forderten. Diese mutige Aktion zeigt: Der Wandel kommt von innen, von Menschen wie Marine Rosset, die trotz institutioneller Widerstände für ihre Überzeugungen einstehen.
Im Kontrast zur katholischen Zurückhaltung positioniert sich die evangelische Jugendarbeit deutlicher: Die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend betont klar, dass Gott queere Menschen liebt und fordert eine unmissverständliche Haltung gegen Queerfeindlichkeit.
Der Preis des Mutes
Marine Rosset zahlte einen hohen Preis für ihre Authentizität. "Ich bin zu einem Hassobjekt geworden", bilanziert sie bitter. Doch ihr Rücktritt war nicht nur Selbstschutz – er war auch ein Akt der Fürsorge: "Ich bin auch zurückgetreten, um meine Familie zu schützen und um zu verhindern, dass der Verband auf meine Person reduziert und beschädigt wird."
Ihre Geschichte ist ein eindringliches Beispiel dafür, wie homophobe Strukturen talentierte, engagierte Menschen aus Führungspositionen drängen. Die SGDF sprach ihr zwar volle Unterstützung aus, doch der Schaden war bereits angerichtet.
Für LGBTQ+ Menschen in Deutschland zeigt Rossets Schicksal sowohl die fortbestehenden Herausforderungen als auch die Notwendigkeit, weiter für Akzeptanz und Gleichberechtigung in religiösen Gemeinschaften zu kämpfen. Nur durch Sichtbarkeit, Mut und gegenseitige Unterstützung kann sich das ändern, was Marine Rosset so treffend als "unhaltbare Situation" beschrieben hat.