Schein-Kinderschutz als Waffe: Wie Queerfeindlichkeit im Namen der Kinder vorangetrieben wird

Jan Böhmermann hat in seiner jüngsten Ausgabe des "ZDF Magazin Royale" ein brennendes Thema aufgegriffen: Wie Queerfeindlichkeit sich zunehmend als vermeintlicher Kinderschutz tarnt. Die von queer.de dokumentierte Sendung beleuchtet eine besorgniserregende Entwicklung, die nicht nur in Deutschland, sondern weltweit zu beobachten ist.

"Wichtige Rechte, die queere Personen sich hart erkämpft haben, brechen jetzt gerade in den USA und Europa einfach weg", erklärt Böhmermann in seiner Sendung. Was besonders alarmierend ist: Rechtsextreme und queerfeindliche Akteure verbergen ihren Hass hinter einer Fassade des Kinderschutzes. "Das Prinzip ist ganz einfach: Rechtsextreme und andere Freiheitsfeinde sagen nicht offen, dass sie queere Menschen hassen. Sie sagen stattdessen, dass sie Kinder lieben. Und dass sie Kinder schützen müssen", so Böhmermann.

Steigende Gewalt und schwindende Rechte

Die Statistiken in Deutschland sprechen eine deutliche Sprache: Laut Daten des Bundeskriminalamts hat die Hasskriminalität gegen queere Menschen in den letzten Jahren signifikant zugenommen. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in anderen europäischen Ländern wider. Die Rainbow Map 2023 der ILGA-Europe zeigt, dass die rechtliche und politische Situation von LGBTQIA+ Personen sich in mehreren europäischen Ländern verschlechtert.

Besonders besorgniserregend sind die Entwicklungen in Ungarn, wo das CSD-Verbot nur eines von vielen Beispielen für staatlich sanktionierte Queerfeindlichkeit ist. In Deutschland sorgte kürzlich die Entscheidung von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) für Empörung, als sie das Hissen der Regenbogenfahne am Bundestag zum CSD untersagte – eine Entscheidung, die Böhmermann in seiner Sendung scharf kritisierte.

Die "Kinderschutz"-Strategie

Die Strategie, Queerfeindlichkeit als Sorge um das Kindeswohl zu tarnen, ist nicht neu, gewinnt aber an Momentum. In den USA wurde diese Taktik besonders von der religiösen Rechten perfektioniert und wird nun zunehmend auch in Europa übernommen. Wie die Tagesschau berichtet, verbreiten queerfeindliche Akteure gezielt Desinformation, indem sie queere Menschen als Gefahr für Kinder darstellen.

Der Shitstorm gegen Riccardo Simonettis Auftritt in der "Sesamstraße" ist ein Paradebeispiel dafür. Konservative Politiker und Medien inszenierten die Präsenz eines queeren Menschen in einer Kindersendung als Bedrohung – obwohl Kindersendungen seit Jahrzehnten pädagogisch wertvolle Inhalte zu Vielfalt und Akzeptanz vermitteln.

Der Sexualwissenschaftler und queer.de-Autor Heinz-Jürgen Voß stellt in der Sendung klar: "Kinder werden nicht durch das Fernsehen queer." Die wissenschaftliche Evidenz zeigt eindeutig, dass sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität nicht durch Medienkonsum oder Aufklärung "erlernt" werden.

Internationale Einflüsse und deutsche Realität

Die queerfeindliche Rhetorik und Politik von Donald Trump in den USA und das transfeindliche Supreme-Court-Urteil in Großbritannien sind Teil eines globalen Trends, der auch Deutschland beeinflusst. In Deutschland zeigt eine Studie von Ipsos, dass die Mehrheit der Bevölkerung zwar Diskriminierung queerer Menschen ablehnt, aber queerfeindliche Ansichten besonders bei jungen Männern zunehmen.

Während die Bundesregierung sich offiziell für LGBTIQ+-Rechte einsetzt und Teil der internationalen Equal Rights Coalition ist, bleiben viele Probleme ungelöst. Die Diskriminierung lesbischer Mütter im Familienrecht und der mangelnde Schutz vor Hassverbrechen sind nur zwei Beispiele dafür, dass Deutschland trotz fortschrittlicher Gesetzgebung wie dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz noch einen weiten Weg vor sich hat.

Besonders gefährdet: Queere Jugendliche

Ausgerechnet diejenigen, die angeblich durch den "Kinderschutz" bewahrt werden sollen, leiden am meisten unter queerfeindlichen Narrative: junge LGBTIQ+ Menschen. Die EU-Agentur für Grundrechte (FRA) berichtet, dass junge LGBTIQ+ Personen besonders häufig Opfer von Gewalt, Belästigung und Mobbing werden.

Ironischerweise ist es oft nicht die queere Sichtbarkeit, sondern die fehlende Akzeptanz im Elternhaus, die zu echten Problemen für Kinder führt. Eine Studie der SOS-Kinderdörfer zeigt, dass LGBTQ*-Kinder überdurchschnittlich oft in Pflegefamilien leben oder sogar obdachlos sind – nicht wegen zu viel "queerer Propaganda", sondern weil sie in ihren eigenen Familien abgelehnt werden.

Widerstand formiert sich

Trotz der besorgniserregenden Entwicklungen gibt es auch Grund zur Hoffnung. Die Pride-Saison zeigt jedes Jahr aufs Neue, dass die Community und ihre Verbündeten bereit sind, für ihre Rechte einzustehen. Böhmermanns deutliche Worte in einer Mainstream-Sendung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens sind selbst ein Zeichen dafür, dass queerfeindliche Narrative nicht unwidersprochen bleiben.

Organisationen wie der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) arbeiten kontinuierlich daran, Aufklärung zu leisten und politischen Druck auszuüben. Der eigentliche Kinderschutz, so betonen Expertinnen und Experten, besteht nicht darin, Kinder vor Vielfalt zu "bewahren", sondern ihnen eine Welt zu ermöglichen, in der sie ohne Angst vor Diskriminierung und Gewalt sie selbst sein können.

Jan Böhmermanns "ZDF Magazin Royale" hat mit seiner Sendung "Queerfeindlichkeit – Im Namen der Kinder?" einen wichtigen Beitrag zur Entlarvung dieser gefährlichen Strategie geleistet. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Impuls zu mehr Aufklärung und weniger Akzeptanz für queerfeindliche Narrative führt – zum Wohl aller, besonders der Kinder, die angeblich geschützt werden sollen.

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