Koloniales Erbe und LGBTQ+-Rechte: Was Deutschland aus den Gerichtsurteilen in Ghana, Malawi und Namibia lernen kann

Ein aufschlussreicher Bericht von Outright International beleuchtet ein besorgniserregendes globales Phänomen: den Missbrauch von Tradition, Kultur, Moral und Familie als juristische Vorwände zur Aufrechterhaltung kolonialer Gesetze, die queere Lebensweisen kriminalisieren. Während wir in Deutschland die Ehe für alle und umfassende Anti-Diskriminierungsgesetze genießen, zeigt ein Blick nach Afrika, wie fragil erkämpfte LGBTQ+-Rechte sein können – und wie stark koloniale Strukturen bis heute nachwirken.

Koloniales Erbe mit unterschiedlichen Ergebnissen

Im Jahr 2024 haben drei afrikanische Gerichte in Namibia, Malawi und Ghana über die Verfassungsmäßigkeit kolonialer Gesetze entschieden, die gleichgeschlechtliche Beziehungen kriminalisieren. Diese sogenannten "unnatürlichen Vergehen" stammen aus der Zeit des viktorianischen Englands und finden sich noch heute in Strafgesetzbüchern vieler Commonwealth-Länder.

In Namibia entschied das Oberste Gericht im Juni für die Entkriminalisierung einvernehmlicher gleichgeschlechtlicher Beziehungen. Dies weckte Hoffnung bei Aktivisten in den rund 60 Ländern weltweit, in denen Homosexualität noch immer illegal ist. Doch in den darauf folgenden Wochen erlebte die LGBTQ+-Community in Malawi und Ghana herbe Rückschläge, als deren höchste Gerichte ähnliche Verfassungsklagen abwiesen und die Kriminalisierung aufrechterhielten.

Zum Vergleich: In Deutschland wurden homosexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen bereits 1969 teilweise entkriminalisiert, wobei der berüchtigte Paragraf 175 erst 1994 vollständig abgeschafft wurde. Diese Entwicklung dauerte Jahrzehnte und war von zahlreichen Rückschlägen geprägt. Die Verfolgung homosexueller Menschen hat in Deutschland eine lange Geschichte, die ebenso aufgearbeitet werden muss wie das koloniale Erbe in afrikanischen Ländern.

Menschenrechte versus "Tradition" und "Moral"

Die unterschiedlichen Urteile in Namibia, Ghana und Malawi veranschaulichen zwei gegensätzliche Positionen zum Schutz der LGBTQ+-Rechte. Die eine Position beruft sich auf die Universalität der Menschenrechte, um queere Menschen zu schützen. Die andere nutzt den Schutzschild von "Tradition", "Kultur" und "Familie", um staatliche Diskriminierung zu rechtfertigen.

Besonders bedenklich ist, dass Gesetze, die ursprünglich durch europäische Kolonialmächte auferlegt wurden, heute von Politikern als Verkörperung "afrikanischer Werte" dargestellt werden. Diese werden dann als Gegensatz zu "westlichen Werten" inszeniert – eine Strategie, die auch in Deutschland von rechtskonservativen und populistischen Kräften genutzt wird, wenn sie gegen die Rechte von LGBTQ+-Personen mobilisieren.

In Deutschland erleben wir ähnliche rhetorische Muster: Die Bundeszentrale für politische Bildung dokumentiert, wie konservative Stimmen "traditionelle Familienwerte" gegen LGBTQ+-Rechte ausspielen. Trotz großer rechtlicher Fortschritte bleibt die gesellschaftliche Akzeptanz ein fortlaufender Prozess.

Die Gerichtsurteile im Detail

In Namibia erklärte das Oberste Gericht am 21. Juni, dass die "Sodomie"-Gesetze einen verfassungswidrigen Verstoß gegen das Recht auf Gleichheit und Freiheit von Diskriminierung darstellen. Das Gericht betonte, dass die "inhärente Würde und die gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der menschlichen Familie" – Rechte, die "dem namibischen Volk so lange durch Kolonialismus, Rassismus und Apartheid verweigert wurden" – "unverzichtbar für Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden" sind.

Im Gegensatz dazu wiesen die Gerichte in Malawi und Ghana ähnliche Klagen ab und stützten sich dabei auf enge Auslegungen ihrer jeweiligen Verfassungen sowie auf "kulturelle" Rahmenbedingungen. Die Richter ummantelten ihre Entscheidungen mit dem Argument der "öffentlichen Moral" und "Tradition" und lehnten ab, was sie als fremde oder westliche Moralvorstellungen bezeichneten.

In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt zugunsten der LGBTQ+-Gemeinschaft entschieden, darunter das wegweisende Urteil von 2017, das zur Einführung des dritten Geschlechtseintrags "divers" führte. Diese Urteile betonten die Bedeutung der Menschenwürde und des Diskriminierungsschutzes über traditionelle oder religiöse Bedenken hinaus.

Globale Welle neuer repressiver Gesetze

Besorgniserregend ist, dass wir derzeit eine Welle neuer repressiver Gesetze erleben, die sexuelle Freiheit, Geschlechternonkonformität und Meinungsfreiheit kriminalisieren – nicht nur in Afrika, sondern auch in Europa und Asien.

Während das ghanaische Oberste Gericht über die Anfechtung von Abschnitt 104 beriet, befasste es sich auch mit einem zeitgenössischen repressiven Gesetz, dem "Human Sexual Rights and Ghanian Family Values Bill". Dieses Gesetz würde auf dem ausgrenzenden Erbe der Gesetze gegen "unnatürliche Vergehen" aufbauen, indem es härtere Strafen für gleichgeschlechtliche Beziehungen und neue Strafen für Befürworter und Verbündete der LGBTQ+-Rechte vorsieht.

Uganda hat mit seinem Anti-Homosexualitätsgesetz von 2023 einen traurigen Maßstab gesetzt. Georgien verabschiedete im September 2024 ein neues Gesetz über "Familienwerte und den Schutz Minderjähriger", das die Meinungs- und Vereinigungsfreiheit in Bezug auf LGBTQ+-Themen einschränkt und die rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paare und trans Personen verbietet. Bulgarien folgte im August 2024 mit einem Gesetz, das Diskussionen über sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität in Schulen untersagt.

Auch in Deutschland sind die Rechte der LGBTQ+-Gemeinschaft nicht vor Rückschritten gefeit. Die zunehmenden Angriffe auf Pride-Veranstaltungen und die wachsende Rhetorik gegen queere Menschen in sozialen Medien zeigen, dass Wachsamkeit geboten ist. Laut dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend steigt die Hasskriminalität gegen LGBTQ+-Personen in Deutschland besorgniserregend an.

Was Deutschland aus diesen Entwicklungen lernen kann

Der Blick auf die rechtliche Situation in Ghana, Malawi und Namibia sollte für Deutschland eine Mahnung sein: Errungene Rechte sind niemals selbstverständlich. Die deutsche LGBTQ+-Community hat in den letzten Jahrzehnten bedeutende rechtliche Fortschritte erzielt, doch angesichts globaler Rückschritte ist anhaltende Wachsamkeit geboten.

Deutschland kann und sollte aus seiner eigenen Geschichte der Diskriminierung und dem langen Weg zur rechtlichen Gleichstellung lernen. Die Perspektive postkolonialer Staaten verdeutlicht zudem, wie wichtig es ist, sowohl die eigene koloniale Vergangenheit kritisch aufzuarbeiten als auch im internationalen Dialog gegen die Instrumentalisierung von "Tradition" und "Kultur" zur Rechtfertigung von Diskriminierung einzutreten.

Besonders wichtig ist dabei die Erkenntnis, dass Entkriminalisierung nur ein erster Schritt ist. Wie die Antidiskriminierungsstelle des Bundes dokumentiert, erleben LGBTQ+-Personen in Deutschland trotz fortschrittlicher Gesetzgebung immer noch Diskriminierung im Alltag. Eine umfassende Strategie muss daher sowohl rechtliche als auch gesellschaftliche Aspekte berücksichtigen.

Fazit: Der Kampf um Gleichberechtigung geht weiter

Die drei afrikanischen Urteile verdeutlichen die Notwendigkeit kontinuierlicher Reform- und Sensibilisierungsbemühungen innerhalb von Strafrechtssystemen und Justiz weltweit. Die jüngste queerfreundliche Rechtsprechung aus Namibia und anderen Ländern bietet wichtige Orientierungspunkte: Sie legt nahe, dass alle Gesetze, Richtlinien und Praktiken evidenzbasiert sein und durch eine kritische Linse betrachtet werden müssen, die den Schutz realer Menschen in den Mittelpunkt stellt – anstatt abstrakter Ideen wie "Kultur" oder "öffentliche Moral".

Für Deutschland bedeutet dies, nicht nur die eigenen Fortschritte zu feiern, sondern auch Solidarität mit LGBTQ+-Gemeinschaften in Ländern zu zeigen, die noch um grundlegende Rechte kämpfen. Gleichzeitig müssen wir wachsam bleiben gegen Versuche, auch hierzulande unter dem Deckmantel von "Tradition" oder "Familienwerten" hart erkämpfte Rechte zurückzudrängen.

Wie die Geschichte in Deutschland, Namibia und vielen anderen Ländern zeigt: Jeder gemeinschaftlich getragene Versuch, ein unterdrückerisches Gesetz anzufechten, ist bereits ein Sieg an sich. Er zeigt die Entschlossenheit queerer Menschen, ihre verfassungsmäßigen Rechte einzufordern und zu verteidigen. Der Weg zur vollständigen Gleichberechtigung mag lang sein, doch jeder Schritt zählt.

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