Die neue Normalität: Wenn der Hass die Straße erobert

Was sich am vergangenen Samstag in Pforzheim und Bad Mergentheim abspielte, ist längst keine Ausnahme mehr: Neonazi-Aufmärsche gegen Pride-Veranstaltungen werden zur traurigen Realität in Deutschland. Wie queer.de berichtet, mobilisierten sowohl in der baden-württembergischen Stadt am Nordrand des Schwarzwalds als auch im Taubertal rechtsextreme Gruppen gezielt gegen die Christopher Street Days.

Ein alarmierender Trend nimmt Fahrt auf

Die Ereignisse in Pforzheim und Bad Mergentheim reihen sich ein in eine besorgniserregende bundesweite Entwicklung. Allein im Jahr 2024 dokumentierte die Amadeu Antonio Stiftung 55 Angriffe auf CSD-Veranstaltungen – ein dramatischer Anstieg, der die zunehmende Radikalisierung der rechtsextremen Szene gegen queere Menschen widerspiegelt.

Besonders erschreckend: In Sachsen wurden rund zwei Drittel aller CSDs Ziel von Angriffen und Störaktionen. Aber auch in Bayern gab es bei etwa 15 Prozent aller Veranstaltungen rechtsextreme Gegenproteste. Eine CeMAS-Studie zeigt: Zwischen Juni und September 2024 verzeichneten Experten bundesweit in 27 Städten rechtsextreme Mobilisierungen gegen Pride-Veranstaltungen.

Pforzheim: 90 Neonazis und ihre menschenverachtende Rhetorik

In Pforzheim reisten 90 Neonazis zur selbst betitelten "Demo für traditionelle Werte und gegen die Frühsexualisierung unserer Kinder" an. Angeführt von Christian Klar, einem Aktivisten der Neonazipartei "Die Heimat", der eigens aus Thüringen anreiste, offenbarte sich die ganze Bandbreite rechtsextremer Queerfeindlichkeit.

Die Sprache, die Klar und seine Mitstreiter*innen verwendeten, war geprägt von Entmenschlichung und Gewaltfantasien. Queere Menschen bezeichnete er als "Schmutz", die "LGBTQ-Scheiße" sei verantwortlich dafür, dass sich "die starken Menschen" nicht mehr vermehren könnten. Über Puppies, eine Subkultur der queeren Community, äußerte er sogar Morddrohungen.

Die Teilnehmenden inszenierten sich bewusst als geschlossene Einheit: mit einheitlicher Kleidung als "1161-Crew" ("Anti-Antifascist-Action"-Crew), mit Totenkopf-Bannern und martialischen Aufdrucken. Ihre Parolen – von "Heimat fängt bei Kindern an, mit Mutter, Vater – Frau und Mann" bis hin zu "Alle Zecken sind Schweine" – offenbarten die ideologische Verknüpfung von Queerfeindlichkeit mit klassischen neonazistischen Motiven.

Zivilgesellschaftlicher Widerstand unter Druck

Der Mut der queeren Community und ihrer Verbündeten ist beeindruckend: Sowohl in Pforzheim als auch in Bad Mergentheim ließen sich die Pride-Feiernden nicht einschüchtern. In Pforzheim mobilisierten mehrere Hundert Antifaschist*innen überregional, um den CSD zu schützen. Ihr Motto: "CSD schützen! Nazi-Demo stoppen!"

Doch der Preis für diese Solidarität wird immer höher. Die Polizei ging mit harter Hand gegen die Blockadeversuche vor – mit einer Pferdestaffel, mehreren Verletzten und einer Festnahme. Diese Dynamik zeigt ein strukturelles Problem auf: Während Neonazis ihre Hassbotschaften legal verbreiten können, werden diejenigen, die Widerstand leisten, kriminalisiert.

Wenn Politik versagt: Das Beispiel Oberbürgermeister Boch

Besonders bitter: Oberbürgermeister Peter Boch (CDU) weigerte sich, am Rathaus eine Regenbogenfahne zu hissen – obwohl das Pride-Fest direkt vor dem Gebäude stattfand. Diese symbolische Verweigerung sendet ein fatales Signal: Wenn selbst Kommunalpolitiker*innen nicht bereit sind, für die Grundwerte unserer Demokratie einzustehen, wer soll es dann tun?

Umso wichtiger, dass die Fraktionen von SPD und Bündnisgrün/WiP/Linke Regenbogenfahnen aus ihren Bürofenstern hängten – ein kleines, aber wichtiges Zeichen der Solidarität.

Bad Mergentheim: Rechtsextreme nutzen Gerichtsentscheidung aus

In Bad Mergentheim nutzte die Neonaziorganisation "Der III. Weg" geschickt das Rechtssystem aus: Sie erstritt sich vor dem Verwaltungsgericht eine Kleinkundgebung direkt neben dem CSD-Veranstaltungsort. Zwei Stunden lang beschallten 20 Neonazis aus Bayern und Baden-Württemberg den CSD mit ihren Hassbotschaften.

Dass die 300 CSD-Teilnehmer*innen die neonazistischen Parolen größtenteils übertönen konnten, zeigt ihre Stärke und Entschlossenheit. Dennoch bleibt die Frage: Wie lange können wir es hinnehmen, dass demokratische Rechte zur Verbreitung von Menschenhass missbraucht werden?

Die neue Generation des Hasses

Besonders alarmierend ist die Beteiligung einer neuen Generation rechtsextremer Jugendgruppen. Wie CeMAS in ihrer Analyse zeigt, nehmen sowohl etablierte Neonazis als auch Mitglieder neuer rechtsextremer Jugendbewegungen an Anti-Pride-Demonstrationen teil. Diese Gruppen nutzen moderne Kommunikationswege und erscheinen oft professioneller organisiert als ihre Vorgänger.

Die Rhetorik verbindet dabei queerfeindliche Slogans mit rassistischen und antisemitischen Botschaften – ein gefährlicher Cocktail, der zeigt, wie sich verschiedene Formen des Hasses gegenseitig verstärken.

Was jetzt getan werden muss

Die Amadeu Antonio Stiftung fordert konkrete Schutzmaßnahmen für CSDs und bietet Unterstützung für gefährdete Veranstaltungen an. Doch Schutz allein reicht nicht: Wie der LSVD betont, braucht es auch Schulungen für Sicherheitsbehörden und Kommunen, um die Besonderheiten queerfeindlicher Gewalt zu verstehen.

Gleichzeitig muss die Politik endlich Farbe bekennen. Wenn Kommunalpolitiker*innen nicht einmal bereit sind, eine Regenbogenfahne zu hissen, wie sollen sie dann für die Sicherheit queerer Menschen einstehen? Es braucht ein klares Bekenntnis aller demokratischen Kräfte: Queerfeindlichkeit und rechtsextreme Gewalt haben in unserer Gesellschaft keinen Platz.

Die Events in Pforzheim und Bad Mergentheim zeigen: Der Kampf um die Grundrechte queerer Menschen ist längst nicht gewonnen. Im Gegenteil – er muss jeden Tag aufs Neue geführt werden. Umso wichtiger ist es, dass wir zusammenstehen und deutlich machen: Pride ist nicht verhandelbar.

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