Bundestag im Rückwärtsgang: Wenn die Demokratie ihre eigenen Werte verrät

Die Nachricht schlug ein wie ein Blitz: Mitten im Pride Month zieht das queere Regenbogennetzwerk der Bundestagsverwaltung seine Anmeldung für den Berliner Christopher Street Day zurück – auf Weisung von oben. Wie queer.de berichtet, musste die Fußgruppe, die bereits 2023 und 2024 erfolgreich teilgenommen hatte, ihre Teilnahme am 26. Juli kurzfristig absagen. Der Grund: Die Verwaltungsspitze unter dem neuen Direktor Paul Göttke beruft sich auf die "Neutralitätspflicht" der Institution.

Mehr als nur ein Verwaltungsakt

Was auf den ersten Blick wie ein trockener Verwaltungsvorgang aussieht, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als symbolischer Dammbruch. Der Berliner CSD e.V. bringt es auf den Punkt: "Diese Entscheidung wäre kein passives Wegducken – sie wäre eine aktive politische Absage an queere Sichtbarkeit." Und das ausgerechnet im Pride Month, der Zeit, in der weltweit für Akzeptanz und Gleichberechtigung gekämpft wird.

Besonders bitter: Die Entscheidung fällt in eine Zeit, in der CSDs zunehmend zur Zielscheibe rechtsextremer Angriffe werden. Gerade jetzt bräuchte die queere Community politischen Rückhalt – doch stattdessen wird ihr dieser symbolisch entzogen.

Klöckners Kehrtwende

Die Ereignisse reihen sich nahtlos in eine Serie von Rückschritten ein. Bereits im Mai sorgte Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) für Aufregung, als sie entschied, die Regenbogenfahne am Reichstagsgebäude künftig nur noch zum Internationalen Tag gegen Homophobie am 17. Mai zu hissen – nicht mehr zum Berliner CSD. Eine Entscheidung, die sie trotz breiter Kritik verteidigt.

Klöckner, die bereits 2022 einen Text über trans Menschen im "Regenbogenportal" der Bundesregierung als "irre" bezeichnete, steht seit langem in der Kritik der LGBTQ+ Community. Über 8.000 Menschen haben bereits eine Online-Petition gegen ihre Entscheidung unterzeichnet.

Neutralität oder Diskriminierung?

Die Argumentation mit der "Neutralitätspflicht" wirft grundlegende Fragen auf: Ist es neutral, wenn eine demokratische Institution ihre Unterstützung für Menschenrechte und Vielfalt zurückzieht? Der CSD ist mehr als eine politische Demonstration – er ist ein Symbol für die Verteidigung von Grundrechten, die in der Verfassung verankert sind.

Die Ironie der Situation ist offensichtlich: Eine Institution, die die Demokratie repräsentiert, distanziert sich von den Werten, die diese Demokratie ausmachen. Wie verschiedene Medien berichten, können Mitarbeiter*innen privat weiterhin teilnehmen – doch die institutionelle Unterstützung wird entzogen.

Ein Zeichen gegen die Zeit

Das Motto des diesjährigen Berliner CSD lautet "Nie wieder still!" – ein Aufruf, sich nicht mehr von Diskriminierung zum Schweigen bringen zu lassen. Doch ausgerechnet die Bundestagsverwaltung scheint diesen Aufruf zu ignorieren und kehrt zur Stille zurück.

Die Organisator*innen des CSD haben das Regenbogennetzwerk spontan eingeladen, auf dem offiziellen CSD-Truck mitzufahren – ein Zeichen der Solidarität, das die Verwaltung beschämt. Es zeigt, dass die Community zusammenhält, auch wenn staatliche Institutionen ihre Unterstützung zurückziehen.

RĂĽckschritt statt Fortschritt

Die Entscheidung der Bundestagsverwaltung ist mehr als ein Verwaltungsakt – sie ist ein politisches Signal. In einer Zeit, in der Demokratien weltweit unter Druck stehen und Minderheiten zunehmend angegriffen werden, sendet der deutsche Bundestag das falsche Zeichen. Statt Vielfalt zu feiern und Minderheiten zu schützen, zieht er sich auf eine fragwürdige Neutralität zurück.

Für die queere Community ist dies ein herber Rückschlag. Nach Jahren des Fortschritts und der wachsenden gesellschaftlichen Akzeptanz erleben sie nun, wie ihre Verbündeten in den Institutionen zurückweichen. Der CSD-Verein spricht von einem "politischen Tabubruch" – und hat damit recht.

Der 26. Juli wird zeigen, ob sich die Demokratie von diesem RĂĽckzug erholt oder ob es der Beginn einer neuen Phase der Unsichtbarmachung queerer Menschen ist. Die ĂĽber 8.000 Unterzeichner*innen der Petition haben bereits ihre Antwort gegeben: Nie wieder still!

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