Berlin könnte wieder einen schwulen Regierungschef bekommen

Die Berliner Grünen haben eine wegweisende Entscheidung getroffen: Der offen schwule Fraktionsvorsitzende Werner Graf soll 2026 als Spitzenkandidat für das Amt des Regierenden Bürgermeisters antreten. Dies verkündeten die Landesvorsitzenden Nina Stahr und Philmon Ghirmai in einem internen Schreiben an die Parteimitglieder. Falls die Grünen die Wahl gewinnen, wäre Graf der zweite offen schwule Regierende Bürgermeister in der Geschichte Berlins.

Ein historischer Moment für die LGBTQ+-Repräsentation

Werner Graf, der bereits 2016 auf einem Parteitag erklärte, er trage die "Regenbogenfahne im Herzen", würde in die Fußstapfen von Klaus Wowereit treten. Der SPD-Politiker regierte Berlin von 2001 bis 2014 und war damals der erste offen schwule Regierende Bürgermeister der Hauptstadt. Seine berühmten Worte "Ich bin schwul, und das ist auch gut so" gingen in die deutsche Politikgeschichte ein.

Die Nominierung Grafs zeigt, wie selbstverständlich LGBTQ+-Repräsentation in der deutschen Politik geworden ist. Im Gegensatz zu den 2000er Jahren ist seine sexuelle Orientierung kein Diskussionsthema mehr, sondern seine politischen Positionen stehen im Vordergrund.

Graf als progressiver Hoffnungsträger

Der 1980 in Neumarkt in der Oberpfalz geborene Politiker bringt eine beeindruckende Vita mit. Von 2000 bis 2002 war er Bundessprecher der Grünen Jugend und später drei Jahre lang persönlicher Referent von Claudia Roth. Besonders bemerkenswert ist seine frühe Arbeit für feministische Themen: Zwischen 2008 und 2010 schrieb er als einziger Mann für das Blog "Mädchenmannschaft" Artikel zu Feminismus und Gender.

Seit März 2022 führt Graf gemeinsam mit Bettina Jarasch die Grünen-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Seine politischen Schwerpunkte liegen bei moderner Mobilität, progressiver Drogenpolitik und einer vielfältigen, weltoffenen Gesellschaft. Er setzt sich für die Legalisierung von Cannabis und eine Mobilitätswende ein, die den Menschen in den Vordergrund stellt.

Strategische Neuaufstellung der Berliner Grünen

Die Entscheidung für Graf ist auch eine strategische Neuaufstellung der Partei. Nachdem Bettina Jarasch 2021 und 2023 erfolglos als Spitzenkandidatin angetreten war, soll nun ein Mann die Chance bekommen. Graf wird dem linken Parteiflügel zugerechnet, während Jarasch als Reala gilt – eine Kombination, die verschiedene Strömungen der Partei ansprechen soll.

Die Grünen befinden sich seit 2023 in der Opposition, nachdem sich die SPD nach der Wiederholungswahl für eine Koalition mit der CDU entschieden hatte. Mit ihrer Kritik an der "schwarz-roten Rückschrittskoalition" unter Kai Wegner (CDU) positionieren sie sich als progressive Alternative für Berlin.

Demokratischer Prozess bis zur Wahl

Obwohl der Landesvorstand seine Präferenz klar gemacht hat, liegt die finale Entscheidung bei den Parteimitgliedern. Am 1. Oktober können die Mitglieder beim Grünen-Landesausschuss Graf und Jarasch befragen. Es sind weitere digitale Gesprächsformate geplant, bevor am 22. November auf einem Parteitag über den Vorschlag abgestimmt wird.

Die Wahl zum Abgeordnetenhaus ist für den 20. September 2026 vorgesehen. Für die LGBTQ+-Community in Berlin und ganz Deutschland wäre ein Wahlsieg Grafs ein starkes Signal für Sichtbarkeit und Normalität queerer Menschen in Führungspositionen.

Mit Werner Graf könnte Berlin nach zwölf Jahren wieder einen offen schwulen Regierungschef bekommen – diesmal bei den Grünen, einer Partei, die seit jeher für Vielfalt und Gleichberechtigung einsteht. Seine Nominierung zeigt, wie weit die deutsche Gesellschaft in Sachen LGBTQ+-Akzeptanz gekommen ist, und könnte ein Vorbild für andere Städte und Länder werden.

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