Widersprüchliche Identitäten: AfD-Politikerin outet sich als trans Frau - trotz Ablehnung des Selbstbestimmungsgesetzes

Ein Stadtratsmitglied der AfD in St. Wendel (Saarland) hat sich in einer öffentlichen Sitzung als trans Frau geoutet und beruft sich dabei auf das kürzlich verabschiedete Selbstbestimmungsgesetz. Wie das Lokalportal queer.de berichtet, trägt die Politikerin nun den Namen Anna Zeyer – eine Namensänderung, die von der Stadt St. Wendel bestätigt und bereits in das Ratsinformationssystem übernommen wurde.

Persönliche Identität versus Parteilinie

Der Fall sorgt für Aufsehen, da die AfD das Selbstbestimmungsgesetz vehement bekämpft hat und dessen Abschaffung fordert. In der Partei wird das Gesetz als "Irrsinn des Gender und Queer-Wahns" bezeichnet und als "Gefahr für Frauen und Kinder" eingestuft, wie der AfD-Bundestagsabgeordnete Martin Reichardt in einer Pressemitteilung der Fraktion erklärte.

Besonders brisant: Laut Saarbrücker Zeitung steht Zeyer selbst dem Selbstbestimmungsgesetz kritisch gegenüber und teilt die Bedenken ihrer Partei bezüglich möglichen Missbrauchs. Sie äußerte sich besorgt über den Schutz von Frauen und Kindern – eine Position, die in direktem Widerspruch zu ihrer eigenen Transition zu stehen scheint.

Ambivalente Reaktionen

In der Stadtratssitzung kündigte Zeyer an, künftig Toiletten und Umkleidekabinen für Frauen nutzen zu wollen. Wie ihre Partei auf das Coming-out reagiert hat, ist bislang nicht offiziell bekannt. Auf der Homepage des AfD-Landesverbands Saarland wird Zeyer, die als Schatzmeisterin des Kreisverbands St. Wendel fungiert, noch mit ihrem früheren Namen (Deadname) geführt.

Der Fall wirft grundlegende Fragen zur Vereinbarkeit von persönlicher Identität und politischer Überzeugung auf. In Deutschland gibt es bisher kaum offen transgeschlechtliche Politiker:innen in konservativen oder rechten Parteien. Tessa Ganserer und Nyke Slawik (beide Bündnis 90/Die Grünen) waren 2021 die ersten offen transgeschlechtlichen Abgeordneten, die in den Deutschen Bundestag einzogen.

Das Selbstbestimmungsgesetz

Das am 1. November 2024 in Kraft tretende Selbstbestimmungsgesetz ersetzt das bisherige Transsexuellengesetz und ermöglicht es trans-, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen, ihren Geschlechtseintrag und Vornamen durch eine einfache Erklärung beim Standesamt zu ändern. Das von der Ampel-Koalition verabschiedete Gesetz beseitigt die bisher notwendigen psychologischen Gutachten und gerichtlichen Verfahren.

Die Bundesregierung bezeichnet das Gesetz als wichtigen Schritt für die Selbstbestimmung und den Schutz der Grundrechte aller Menschen, unabhängig von ihrer Geschlechtsidentität. Kritiker, darunter die AfD und Teile der CDU/CSU, befürchten hingegen Missbrauch und sehen Risiken für den Schutz von Frauen und Mädchen.

Einordnung und Ausblick

Der Fall Anna Zeyer spiegelt die komplexen Herausforderungen wider, mit denen transgeschlechtliche Menschen in konservativen politischen Umfeldern konfrontiert sind. Während einerseits die eigene Identität gelebt werden möchte, stehen andererseits oft parteipolitische Positionen im Widerspruch dazu.

In Deutschland fehlt es noch immer an Akzeptanz und Sichtbarkeit von LGBTQ+-Personen in der Politik, insbesondere in konservativen und rechten Parteien. Der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) setzt sich seit Jahren für mehr Vielfalt in allen demokratischen Parteien ein.

Ob Zeyers Coming-out zu einer breiteren Diskussion über Transgender-Rechte innerhalb der AfD führen oder als Einzelfall betrachtet werden wird, bleibt abzuwarten. Für die deutsche LGBTQ+-Community stellt der Fall jedenfalls ein bemerkenswertes Beispiel für die Spannungen zwischen persönlicher Identität und politischer Zugehörigkeit dar.

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