In einem beunruhigenden Wendepunkt hat Virginia trotz eines bestehenden Verbots bestimmte Formen der Konversionstherapie wieder zugelassen. Nach einem Gerichtsbeschluss vom Juni 2024 dürfen christliche Therapeuten nun wieder sogenannte "Gesprächstherapien" anbieten, die darauf abzielen, die sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität von Minderjährigen zu verändern.
Ein Verbot mit Schwachstellen
Virginia hatte 2020 als erster Bundesstaat im amerikanischen Süden Konversionstherapie für Minderjährige verboten. Das Gesetz definierte diese als "jede Praxis oder Behandlung, die darauf abzielt, die sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität einer Person zu verändern".
Doch nun haben die christlichen Therapeuten John und Janet Raymond erfolgreich gegen das Verbot geklagt. Sie argumentierten, dass das Gesetz ihre Religionsfreiheit und ihr Recht auf freie Meinungsäußerung verletze. Das Ehepaar wurde vom rechtskonservativen Founding Freedoms Law Center vertreten, einer Organisation, die "glaubensbasierte Einsichten" als gleichwertig mit medizinischen Erkenntnissen betrachtet.
Die deutsche Perspektive: Umfassender Schutz
Die Entwicklung in Virginia steht im starken Kontrast zur deutschen Rechtslage. Deutschland verabschiedete 2020 das Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen, das deutlich umfassender ist als die amerikanische Regelung. Hierzulande sind Konversionstherapien bei Minderjährigen vollständig verboten, und auch bei Erwachsenen sind sie untersagt, wenn die Einwilligung auf Zwang, Drohung oder Täuschung beruht.
Während in Virginia nun wieder "Gesprächstherapien" zur Änderung der sexuellen Orientierung erlaubt sind, verbietet das deutsche Gesetz auch die Werbung für solche Behandlungen. Verstöße können mit bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe geahndet werden, Werbung für Konversionsbehandlungen mit einem Bußgeld von bis zu 30.000 Euro.
Wissenschaftliche Evidenz wird ignoriert
Die Entscheidung in Virginia ist besonders besorgniserregend, da sie wissenschaftliche Erkenntnisse ignoriert. Führende internationale psychiatrische und psychologische Fachgesellschaften lehnen Konversionstherapien ab, da sie nachweislich schädlich sind und im Widerspruch zu den etablierten wissenschaftlichen Erkenntnissen über Homosexualität und Geschlechtsidentität stehen.
Studien zeigen, dass Menschen, die Konversionstherapien unterzogen werden, oft langfristige psychische Schäden davontragen. Dazu gehören Depressionen, Angstzustände, verringertes Selbstwertgefühl und internalisierte Homo- oder Transphobie. Besonders vulnerable sind dabei Kinder und Jugendliche, die den Praktiken ihrer Eltern oft schutzlos ausgeliefert sind.
Religiöse Freiheit versus Kinderschutz
Der Fall wirft grundlegende Fragen über das Verhältnis zwischen Religionsfreiheit und Kinderschutz auf. Shaun Kenney, ein Sprecher des Generalstaatsanwalts von Virginia, begrüßte die Entscheidung als "Lösung eines verfassungsrechtlichen Problems". Er argumentierte, dass die Entscheidung "die Religionsfreiheit und die Redefreiheit sowohl der Berater als auch der Patienten respektiert".
Kritiker sehen das anders. Der demokratische Senatsmehrheitsführer Scott Surovell, der das ursprüngliche Verbot von 2020 unterstützte, warnte: "Das war ein Gesetz, das verabschiedet wurde, um Leben zu retten. Alle Forschung, alle professionellen psychiatrischen Organisationen haben Konversionstherapie verurteilt. Sie sagen, dass sie nicht funktioniert und kontraproduktiv ist."
Auch Deutschland muss nachbessern
Obwohl Deutschland bei der Regulierung von Konversionstherapien weiter ist als Virginia, fordern auch hierzulande Expertinnen und queere Verbände Verbesserungen. Anbieter von Konversionsbehandlungen haben ihre Angebote sprachlich angepasst, um das Verbot zu umgehen, und es werden weiterhin Konversionsmaßnahmen durchgeführt.
Die Bundesregierung hat erkannt, dass Nachbesserungen notwendig sind. Ein umfassendes Verbot für alle Altersgruppen und schärfere Kontrollen werden diskutiert, um den Schutz von LGBTQ+-Personen zu verbessern.
Ein Weckruf für die Weltgemeinschaft
Der Rückschritt in Virginia zeigt, wie fragil die Rechte von LGBTQ+-Personen sind und wie wichtig es ist, wachsam zu bleiben. Während andere Praktiken wie Elektroschocks weiterhin verboten bleiben, öffnet die Zulassung von "Gesprächstherapien" eine gefährliche Tür für psychische Gewalt gegen queere Jugendliche.
Diese Entwicklung unterstreicht die Bedeutung der Arbeit von Organisationen wie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, die in Deutschland einen mehrsprachigen und anonymen Beratungsdienst für Betroffene und Angehörige anbietet. Solche Unterstützungsangebote sind essentiell, um junge LGBTQ+-Personen vor den schädlichen Auswirkungen von Konversionsversuchen zu schützen.
Die Entscheidung in Virginia ist ein Rückschlag für die LGBTQ+-Rechte, aber sie sollte auch als Mahnung dienen: Der Kampf für Gleichberechtigung und Schutz vor diskriminierenden Praktiken ist noch lange nicht gewonnen – weder in den USA noch in Deutschland.