Ein neuer Fall queerfeindlicher Gewalt in Berlin zeigt erneut die besorgniserregende Realität, mit der LGBTQ+-Menschen in der Hauptstadt konfrontiert sind. Am Donnerstagnachmittag wurden zwei Frauen in einem Bus in Gatow von drei Jugendlichen – im Alter von 14 und 15 Jahren – queerfeindlich beleidigt, bedroht und angespuckt. Die Polizei konnte die Täter schnell festnehmen, doch der Vorfall reiht sich in eine erschreckende Statistik ein.
Ein alltäglicher Horror im öffentlichen Raum
Was am Donnerstag um 17 Uhr in der Buslinie X 34 geschah, ist leider kein Einzelfall. Die beiden Frauen im Alter von 35 und 56 Jahren wurden während ihrer Fahrt zur Zielscheibe eines queerfeindlichen Angriffs. Der 15-jährige Haupttäter spuckte ihnen beim Aussteigen an der Haltestelle Alt-Gatow ins Gesicht – eine demütigende und erniedrigende Tat, die die Betroffenen sichtlich traumatisierte.
Dass die Frauen die Verfolgung der Jugendlichen aufnahmen, zeigt sowohl ihren Mut als auch ihre Verzweiflung. Sie weigerten sich, diese Tat hinzunehmen. Dank schneller Polizeiarbeit konnten die Täter noch in der Nähe festgenommen werden – ein seltener Fall, in dem queerfeindliche Gewalt tatsächlich Konsequenzen hat.
Berlin: Hotspot der Queerfeindlichkeit
Dieser Vorfall steht symptomatisch für ein größeres Problem in der deutschen Hauptstadt. Der Berliner Monitoringbericht Queerfeindliche Gewalt zeigt, dass die Zahl der polizeilich erfassten Straftaten im Jahr 2023 mit 588 Fällen einen neuen Höchststand erreichte. Diese Zahl ist nicht nur statistisch beunruhigend – sie repräsentiert 588 Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität angegriffen wurden.
Berlin macht queerfeindliche Gewalt gezielt öffentlich, weshalb die Stadt in den Medien häufiger mit solchen Meldungen erscheint. Das ist einerseits positiv für das Bewusstsein, andererseits verdeutlicht es das erschreckende Ausmaß der Gewalt. Die Berliner Polizei und Staatsanwaltschaft haben eigene Ansprechpartner*innen für queere Menschen – eine notwendige, aber traurige Entwicklung.
Deutschlandweiter Anstieg der Gewalt
Berlin ist leider kein Einzelfall. Bundesweit wurden 2023 insgesamt 1.499 Fälle im Bereich "sexuelle Orientierung" und 854 Fälle im Bereich "geschlechtsbezogene Diversität" gemeldet – ein deutlicher Anstieg gegenüber den Vorjahren. Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) spricht von einem Anstieg von mehr als 40 Prozent bei queerfeindlich motivierten Angriffen.
Besonders betroffen sind trans*, nicht-binäre Menschen und schwule Männer. Das Bundesinnenministerium bestätigt diese besorgniserregende Entwicklung und warnt vor einer zunehmenden Normalisierung queerfeindlicher Gewalt.
Jugendliche als Täter – Ein gesellschaftliches Versagen
Besonders erschreckend am Berliner Vorfall ist das Alter der Täter. 14 und 15 Jahre alt – Jugendliche, die in einer Zeit aufwachsen, in der Vielfalt und Toleranz eigentlich selbstverständlich sein sollten. Ihre Taten zeigen, dass Queerfeindlichkeit bereits in sehr jungen Jahren tief verwurzelt ist.
Die Täter wurden nach ihrer Festnahme den Eltern übergeben und wieder entlassen – ein Vorgang, der Fragen zur langfristigen Wirkung aufwirft. Ohne intensive pädagogische Intervention und Aufklärungsarbeit werden aus queerfeindlichen Jugendlichen oft queerfeindliche Erwachsene.
Die unsichtbare Dunkelziffer
Die offiziellen Zahlen erzählen nur einen Teil der Geschichte. Viele queerfeindliche Gewalttaten werden nicht angezeigt, da Betroffene Angst, Scham oder Misstrauen gegenüber Behörden empfinden. Die Dunkelziffer ist erschreckend hoch.
Für viele LGBTQ+-Menschen gehört die Angst vor Übergriffen zum Alltag. Sie meiden bestimmte Orte, verstecken ihre Identität oder leben in ständiger Anspannung. Das ist keine Paranoia – das ist eine rationale Reaktion auf eine reale Bedrohung.
Was jetzt passieren muss
Der Berliner Vorfall macht deutlich: Deutschland braucht dringend eine entschlossenere Antwort auf queerfeindliche Gewalt. Der LSVD fordert, dass das Diskriminierungsverbot in Artikel 3,3 des Grundgesetzes queere Menschen explizit einschließt – eine längst überfällige Klarstellung.
Aber Gesetze allein reichen nicht. Wir brauchen:
- Verstärkte Aufklärungs- und Bildungsarbeit an Schulen
- Konsequente Strafverfolgung queerfeindlicher Taten
- Bessere UnterstĂĽtzung fĂĽr Betroffene
- Gesellschaftliche Ächtung von Queerfeindlichkeit
- Politiker*innen, die sich klar gegen Diskriminierung positionieren
Ein Aufruf zur Solidarität
Die beiden Frauen im Bus in Gatow stehen stellvertretend für alle LGBTQ+-Menschen, die täglich mit Anfeindungen konfrontiert sind. Sie verdienen unsere Solidarität und unseren Schutz. Queerfeindlichkeit ist nicht nur ein Problem der LGBTQ+-Community – es ist ein Problem der gesamten Gesellschaft.
Jede*r von uns kann einen Beitrag leisten: durch Zivilcourage, durch bewusste politische Entscheidungen, durch alltägliche Solidarität. Die Zeit der stillen Duldung ist vorbei. Wir müssen laut werden – für eine Gesellschaft, in der alle Menschen sicher und frei leben können.