In Polen steht eine richtungsweisende Entscheidung bevor: Am Sonntag wählt unser Nachbarland einen neuen Präsidenten. Mit Rafał Trzaskowski und Karol Nawrocki stehen sich ein queerfreundlicher Europäer und ein rechtspopulistischer Trump-Fan gegenüber. Wie queer.de berichtet, könnte diese Wahl nicht nur über die Zukunft Polens, sondern auch über die Rechte der LGBTQ+-Community im Land entscheiden.
Hoffnungsträger mit Einschränkungen
Rafał Trzaskowski, der liberale Bürgermeister von Warschau, führt die Umfragen mit etwa 34 Prozent an. Als sichtbarer Verbündeter der queeren Community hat er als Warschaus Bürgermeister eine Erklärung zum Schutz der LGBTQ+-Gemeinschaft unterzeichnet, regelmäßig an Pride-Veranstaltungen teilgenommen und setzt sich für die Rechte von Frauen ein. Doch seine Position ist nicht ohne Widersprüche: Trzaskowski lehnt das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare ab – eine Haltung, die ihm Kritik von Organisationen wie "Miłość Nie Wyklucza" (Liebe schließt nicht aus) eingebracht hat.
Ähnliche Spannungen erleben wir auch in Deutschland: Während die Ampel-Koalition mit dem Selbstbestimmungsgesetz einen Meilenstein für trans* Personen erreicht hat, gibt es bei Themen wie dem Abstammungsrecht für lesbische Paare oder dem Schutz von LGBTQ+-Personen im Grundgesetz noch erheblichen Nachholbedarf. Der Vergleich zeigt: Auch progressive Politiker*innen haben oft Grenzen bei ihrer Unterstützung für vollständige Gleichberechtigung.
Der Trump-Bewunderer und die Gefahr eines Rechtsrucks
Trzaskowskis Hauptkonkurrent, der 42-jährige Historiker Karol Nawrocki, wird von der rechtsnationalistischen PiS unterstützt – jener Partei, die Polen von 2015 bis 2023 regierte und für ihre extrem queerfeindliche Politik bekannt wurde. Mit dem Wahlslogan "Polen zuerst" und seinem erklärten Vorbild Donald Trump verkörpert Nawrocki einen Rechtspopulismus, der auch in Deutschland bei der AfD zu beobachten ist.
In einer Fernsehdebatte warf Nawrocki seinem Kontrahenten vor, "die Regenbogenfahne über die polnische Flagge zu stellen" – eine Rhetorik, die an die deutsche AfD-Propaganda gegen vermeintliche "Genderpolitik" erinnert. Laut Human Rights Watch haben Rechte der LGBTQ+-Community in Polen unter der PiS-Regierung erheblich gelitten, mit sogenannten "LGBT-freien Zonen" und zunehmender Diskriminierung.
Bedeutung für Deutschland und Europa
Der Ausgang dieser Wahl hat direkte Auswirkungen auf Deutschland. Während Trzaskowski für enge europäische Zusammenarbeit steht, fordert Nawrocki von Berlin Kriegsreparationen in Höhe von 1,3 Billionen Euro und plant Grenzkontrollen zu Deutschland, um Migration zu begrenzen. Die deutsch-polnischen Beziehungen könnten bei einem Sieg Nawrockis erheblich belastet werden.
Für die LGBTQ+-Community in Deutschland, die eng mit polnischen Aktivist*innen vernetzt ist, bedeutet diese Wahl mehr als nur Politik im Nachbarland. Deutsche Organisationen wie der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) beobachten die Entwicklungen in Polen genau, da Rückschritte dort auch den Diskurs in Deutschland beeinflussen können.
Eine geteilte Gesellschaft
Wie in Deutschland ist auch die polnische Gesellschaft bei Themen wie LGBTQ+-Rechten gespalten. Während jüngere, urbane Bevölkerungsgruppen mehrheitlich für mehr Akzeptanz eintreten, spielen konservative Werte und die katholische Kirche in ländlichen Gebieten eine dominante Rolle. Eine ähnliche Stadt-Land-Kluft erleben wir auch in Deutschland – wenn auch nicht so ausgeprägt wie im Nachbarland.
Die Zeit nach der PiS-Regierung unter Donald Tusk hat bereits zaghafte Verbesserungen für die queere Community gebracht. Ein Sieg Trzaskowskis könnte diesen Weg fortsetzen, während Nawrocki als Präsident mit seinem Vetorecht Reformen blockieren könnte – so wie es der scheidende Präsident Andrzej Duda getan hat, der 2020 mit einem offen queerfeindlichen Wahlkampf gegen Trzaskowski gewann.
Ausblick: Entscheidung in der Stichwahl
Mit 34 Prozent für Trzaskowski und 27 Prozent für Nawrocki in den Umfragen zeichnet sich ab, dass die Entscheidung erst in der Stichwahl am 1. Juni fallen wird. Für die LGBTQ+-Community in Polen steht viel auf dem Spiel – von der Einführung eingetragener Partnerschaften bis hin zum Schutz vor Diskriminierung.
Während Deutschland mit der Ehe für alle, dem Selbstbestimmungsgesetz und dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) bereits wichtige rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen hat, kämpft Polen noch um grundlegende Anerkennung. Diese Wahl könnte entscheiden, ob sich die Kluft zwischen beiden Ländern in Bezug auf LGBTQ+-Rechte weiter vergrößert oder verkleinert.
In beiden Ländern zeigt sich: Der Kampf für LGBTQ+-Rechte ist ein fortlaufender Prozess, der durch politische Machtwechsel beschleunigt oder zurückgeworfen werden kann. Die polnische Präsidentschaftswahl erinnert uns daran, wie wichtig politische Wachsamkeit für den Erhalt und Ausbau von Minderheitenrechten ist – in Polen ebenso wie in Deutschland.