Die erste weibliche Richterin des britischen Supreme Court, Baroness Brenda Hale, hat öffentlich davor gewarnt, dass ein richtungsweisendes Urteil zur rechtlichen Definition von Frauen "fehlinterpretiert" wird. Das Urteil vom April 2024, über das PinkNews berichtete, sorgt für weitreichende Konsequenzen für die Transgender-Gemeinschaft im Vereinigten Königreich und wirft Fragen zur Interpretation von Gleichstellungsgesetzen auf, die auch für die deutsche LGBTQ+-Community relevant sind.
Die Kontroverse um das britische Urteil
Bei einer Diskussionsveranstaltung des Charleston-Literaturfestivals erklärte die 80-jährige ehemalige Präsidentin des Supreme Court, dass das Urteil vom April, welches die Definition einer "Frau" im britischen Gleichstellungsgesetz von 2010 auf "biologische Frauen" festlegte, in seinen Konsequenzen falsch ausgelegt werde. "Es gibt nichts in diesem Urteil, das besagt, dass man keine geschlechtsneutralen Toiletten haben kann", betonte Hale bei der Veranstaltung.
Das ursprüngliche Urteil, das vom Richter Lord Patrick Hodge verkündet wurde, hat zu weitreichenden Folgen geführt. Die britische Gleichstellungs- und Menschenrechtskommission (EHRC) hat daraufhin Richtlinien erlassen, die Transgender-Personen den Zugang zu geschlechtsspezifischen Einrichtungen erschweren. Zudem wurden Trans-Frauen vom Frauenfußball und Cricket ausgeschlossen.
Parallelen und Unterschiede zu Deutschland
Während im Vereinigten Königreich die Rechte von Transgender-Personen durch dieses Urteil unter Druck geraten, hat Deutschland kürzlich einen entgegengesetzten Weg eingeschlagen. Im April 2024 verabschiedete der Deutsche Bundestag das Selbstbestimmungsgesetz, das am 1. November 2024 in Kraft trat.
Dieses Gesetz erlaubt es Trans- und nicht-binären Menschen, ihren Geschlechtseintrag und ihre Vornamen durch eine einfache Erklärung beim Standesamt ändern zu lassen - ohne die zuvor erforderlichen psychologischen Gutachten oder medizinischen Atteste. Das neue Gesetz ersetzt das veraltete Transsexuellengesetz von 1980, das von vielen als diskriminierend und entwürdigend kritisiert wurde.
"Der deutsche Ansatz steht in deutlichem Kontrast zur britischen Entwicklung", erklärt Henny Engels vom Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD). "Während Deutschland die Selbstbestimmung stärkt, scheint Großbritannien einen restriktiveren Kurs einzuschlagen."
Die Bedeutung für den Alltag von Transgender-Personen
Julia Hoggett, die Tochter von Baroness Hale und CEO der London Stock Exchange, nahm ebenfalls an der Podiumsdiskussion teil und betonte, dass es die "Pflicht der Gesellschaft" sei, einen respektvollen Dialog über das Urteil zu führen. Auf die Frage, ob Trans-Frauen bei Geschlechterquoten in Unternehmensvorständen berücksichtigt werden sollten, antwortete sie, dass sie es "herzzerreißend" finde, dass der Auslöser für diesen Fall die Frage war, ob Trans-Frauen bei der Vertretung von Frauen in Vorständen berücksichtigt werden sollten. Sie fügte hinzu, dass sie "gerne eine talentierte Trans-Frau in einem ihrer Vorstände sitzen" haben würde.
In Deutschland werden solche Fragen durch das neue Selbstbestimmungsgesetz teilweise geklärt, da es die rechtliche Anerkennung des gewählten Geschlechts stärkt. Dennoch bleiben auch hier praktische Herausforderungen im Alltag bestehen, wie die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti) betont.
Wer ist Baroness Brenda Hale?
Brenda Marjorie Hale, Baroness Hale of Richmond, wurde am 31. Januar 1945 geboren und ist eine der einflussreichsten Juristinnen Großbritanniens. Von 2017 bis zu ihrer Pensionierung im Jahr 2020 war sie Präsidentin des Obersten Gerichtshofs des Vereinigten Königreichs - die erste und bisher einzige Frau in dieser Position.
International bekannt wurde Hale besonders im Jahr 2019, als der Oberste Gerichtshof unter ihrer Leitung die von Premierminister Boris Johnson angeordnete Zwangspause des Parlaments für unrechtmäßig erklärte - eine Entscheidung, die als historischer Eingriff in die Machtbalance zwischen Regierung und Parlament gilt.
Ausblick und gesellschaftliche Debatte
Die unterschiedlichen Entwicklungen in Deutschland und Großbritannien zeigen, wie verschieden die rechtliche und gesellschaftliche Behandlung von Transgender-Rechten in Europa derzeit verläuft. Während Deutschland mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz einen progressiven Weg einschlägt, führt das britische Urteil zu Besorgnis unter LGBTQ+-Aktivisten.
"Die Warnung von Baroness Hale vor Fehlinterpretationen des Urteils ist ein wichtiges Signal", sagt Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans*. "Sie erinnert uns daran, dass Gerichtsurteile nicht missbraucht werden sollten, um die Rechte und den Alltag von Transgender-Personen weiter einzuschränken."
Für die deutsche LGBTQ+-Community bietet die Entwicklung in Großbritannien wichtige Lehren. Sie unterstreicht die Bedeutung klarer gesetzlicher Regelungen zum Schutz der Rechte von Transgender-Personen, wie sie mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz in Deutschland nun verankert wurden.