Berlin macht Druck: Sexuelle Identität soll ins Grundgesetz – doch nicht alle werden mitgedacht

Berlin hat eine wichtige Bundesratsinitiative auf den Weg gebracht, um sexuelle Identität als Schutzkriterium in Artikel 3 des Grundgesetzes zu verankern. Doch während dieser Schritt für viele LGBTIQ+ Menschen einen historischen Meilenstein darstellen könnte, bleiben trans-, inter- und nicht-binäre (tin*) Personen bei der aktuellen Formulierung außen vor – ein Kritikpunkt, der die Debatte um echte Gleichberechtigung neu entfacht.

Ein längst überfälliger Schritt

Während Artikel 3 des Grundgesetzes bereits Schutz vor Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Rasse, Sprache, Heimat und Herkunft, Glauben, religiösen oder politischen Anschauungen sowie Behinderung bietet, fehlte bisher ein expliziter Schutz für LGBTIQ+ Menschen auf Bundesebene. Die Berliner Initiative will diese Lücke schließen, indem sie den Artikel um das Merkmal "sexuelle Identität" erweitert.

"Niemand darf wegen seiner sexuellen Identität benachteiligt oder bevorzugt werden" – so könnte die neue Formulierung lauten. Für schwule, lesbische und bisexuelle Menschen wäre dies ein wichtiger Fortschritt, der endlich verfassungsrechtliche Klarheit schaffen würde. Doch die Formulierung wirft Fragen auf: Was ist mit Menschen, die nicht in diese Kategorien passen?

Zwischen Fortschritt und Ausgrenzung

Die Kritik der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti) bringt ein fundamentales Problem auf den Punkt: Während einige Bundesländer bereits umfassendere Antidiskriminierungsgesetze haben, die auch Geschlechtsidentität berücksichtigen, bleibt die Bundesratsinitiative bei der engeren Definition "sexuelle Identität" stehen.

Für trans* Menschen geht es nicht primär um sexuelle Orientierung, sondern um ihre Geschlechtsidentität. Intersexuelle Menschen kämpfen mit biologischen Realitäten, die in das binäre Geschlechtersystem nicht hineinpassen. Nicht-binäre Personen definieren sich jenseits der Kategorien Mann und Frau. All diese Gruppen würden von der aktuellen Formulierung nicht erfasst – ein Versäumnis, das die Spaltung innerhalb der LGBTIQ+ Community vertiefen könnte.

Internationale Vorbilder und deutsche Realitäten

Deutschland ist nicht das erste Land, das diese Debatte führt. Die Diskussion um verfassungsrechtlichen Schutz für LGBTIQ+ Menschen zeigt weltweit ähnliche Dilemmata auf: Wie inklusiv können und sollen solche Gesetze sein? Während manche Länder bereits umfassendere Definitionen verwenden, andere noch gar keinen Schutz bieten, steht Deutschland vor der Chance, einen wirklich inklusiven Weg zu beschreiten.

Die aktuelle Bundesratsinitiative wird nun im Bundestag beraten. Hier könnte noch nachgebessert werden – wenn der politische Wille da ist. Denn eine Grundgesetzänderung ist nicht nur ein rechtlicher Akt, sondern ein gesellschaftliches Signal: Wer gehört dazu? Wer wird gesehen? Wer wird geschützt?

Mehr als Symbolpolitik

Die Bedeutung dieser Initiative geht über juristische Spitzfindigkeiten hinaus. Eine Verankerung im Grundgesetz würde die rechtliche Grundlage für Antidiskriminierungsmaßnahmen stärken und LGBTIQ+ Menschen bessere Möglichkeiten geben, ihre Rechte einzufordern. Gleichzeitig sendet sie ein klares gesellschaftliches Signal: Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität hat in Deutschland keinen Platz.

Doch genau hier liegt die Crux: Wenn das Grundgesetz nur einen Teil der Community schützt, entstehen neue Hierarchien. Trans*, inter* und nicht-binäre Menschen bleiben weiterhin auf Landesgesetze angewiesen, die von Bundesland zu Bundesland variieren. Das schafft ein Flickwerk statt einheitlicher Rechtssicherheit.

Ein Appell für echte Inklusivität

Die Berliner Initiative ist ein wichtiger Schritt – aber sie könnte noch mutiger sein. Statt nur "sexuelle Identität" zu berücksichtigen, böte sich die Chance, auch "Geschlechtsidentität" mit aufzunehmen. Andere Länder haben vorgemacht, dass solche umfassenden Formulierungen möglich sind.

Für die LGBTIQ+ Community in Deutschland steht mehr auf dem Spiel als nur ein Gesetzestext. Es geht um die Frage, ob alle Menschen – unabhängig davon, wen sie lieben oder wie sie sich identifizieren – den gleichen verfassungsrechtlichen Schutz verdienen. Die kommenden Monate werden zeigen, ob Deutschland bereit ist für einen wirklich inklusiven Schritt nach vorn oder ob einige weiterhin am Rand stehen bleiben müssen.

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