Wenn das Ordnungsamt den Strom abstellt: CSD Köthen trotzt Schikanen und sendet wichtiges Signal

Trotz Regen und behördlicher Hindernisse haben rund 300 Menschen in Köthen am Samstag ein starkes Zeichen für queere Sichtbarkeit gesetzt. Der zweite CSD in der Bachstadt unter dem Motto "Nie wieder still!" wurde zum Symbol für den Widerstand gegen zunehmende Repressionen gegenüber queeren Demonstrationen in Sachsen-Anhalt.

Vom Vorzeigeprojekt zur Schikane

Der Kontrast zum vergangenen Jahr hätte nicht größer sein können. 2023 präsentierte sich die Stadt Köthen noch als diverse, unterstützende Kommune. Prominente Unterstützung von Jan Böhmermann und Olli Schulz sowie breite Medienaufmerksamkeit verliehen dem ersten CSD bundesweite Ausstrahlung. Doch in diesem Jahr legten die Behörden den Organisator*innen systematisch Steine in den Weg.

Der Landkreis Anhalt-Bitterfeld untersagte zunächst Toilettenwagen und Versorgungsstände – eine Entscheidung, die das Verwaltungsgericht Halle am 11. Juli als rechtswidrig einstufte. Das Gericht betonte, dass infrastrukturelle Ergänzungen zum Schutz der Versammlungsfreiheit gehören, wenn sie "zur Verwirklichung des Versammlungszweckes funktional, symbolisch oder konzeptionell notwendig" sind.

Systematische Behinderung queerer Demonstrationen

Trotz der gerichtlichen Niederlage setzte das Ordnungsamt seine Schikanen fort. Am Veranstaltungstag selbst untersagte die Behörde kurzfristig die Stromversorgung und forderte das Entfernen der bereits ordnungsgemäß verlegten Kabel. Die Leipziger Rechtsanwältin Christiane Götschel kommentierte treffend: "Der Landkreis Anhalt-Bitterfeld versucht hier gezielt, durch rechtwidrige Quertreibereien queeren Protest einzuschränken."

Köthen steht nicht allein da. Bereits im April wurde der CSD in Schönebeck von Polizei und Ordnungsamt mit fragwürdigen Begründungen frühzeitig aufgelöst. Ein Muster zeichnet sich ab: Queere Demonstrationen in Sachsen-Anhalt sehen sich zunehmend behördlicher Willkür gegenüber.

Deutschlandweite Parallelen

Diese Entwicklung ist nicht isoliert zu betrachten. In ganz Deutschland mehren sich Berichte über Behinderungen queerer Veranstaltungen. Während große CSDs in Berlin unter dem gleichen Motto "Nie wieder still!" stattfinden, kämpfen kleinere Initiativen in der Provinz um ihre Grundrechte.

Das Problem ist strukturell: Kleine ehrenamtliche Organisationen verfügen selten über die rechtlichen und finanziellen Ressourcen, um gegen behördliche Willkür vorzugehen. Die kurzfristige Forderung nach Sicherheitskräften mit Sachkundenachweis, wie sie in Schönebeck gestellt wurde, kann faktisch zum Veranstaltungsverbot werden.

Zwischen Bedrohung und Widerstand

Die Herausforderungen gehen über behördliche Schikanen hinaus. In Köthen wurden bereits im vergangenen Jahr Buttersäure auf dem Marktplatz versprüht, in Merseburg und Wernigerode gab es Anschlagsdrohungen. Dass queere Menschen in Deutschland 2024 noch unter Polizeischutz für ihre Grundrechte demonstrieren müssen, ist ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft.

Umso wichtiger ist das Signal aus Köthen: Trotz aller Hindernisse ließen sich die 300 Teilnehmer*innen nicht beirren. Die Demonstration zog friedlich durch die Stadt und endete planmäßig mit Livemusik auf dem Marktplatz. Ein Erfolg, der Mut macht und zeigt: Queere Sichtbarkeit lässt sich nicht wegverwalten.

Versammlungsfreiheit verteidigen

Der Fall Köthen verdeutlicht die Bedeutung juristischer Gegenwehr. Das Verwaltungsgericht Halle bestätigte, dass auch CSDs in kleineren Städten dieselben Rechte genießen wie Großveranstaltungen. Die LSVD-Landesverbände und andere Organisationen unterstützen zunehmend rechtliche Schritte gegen behördliche Willkür.

Sachsen-Anhalt gilt eigentlich als vergleichsweise LGBTQ+-freundliches Bundesland. Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung ist seit 2006 illegal, und das Land fördert verschiedene queere Organisationen. Die jüngsten Ereignisse zeigen jedoch, dass rechtliche Fortschritte nicht automatisch praktische Gleichberechtigung bedeuten.

Das Motto "Nie wieder still!" erhält in diesem Kontext eine besondere Bedeutung. Es ist nicht nur ein Aufruf zur Sichtbarkeit, sondern auch ein Versprechen des Widerstands gegen alle Versuche, queere Stimmen zum Schweigen zu bringen. Der CSD Köthen hat gezeigt: Dieser Widerstand trägt Früchte.

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