Wegweisende Urteile in Deutschland: Wie Gerichte den Konflikt zwischen kirchlichem Arbeitsrecht und LGBTQ+-Rechten entscheiden

In Deutschland haben mehrere bedeutende Gerichtsurteile in den letzten Jahren die Grenzen zwischen kirchlicher Autonomie und dem Diskriminierungsschutz für LGBTQ+-Personen neu definiert. Diese Urteile zeichnen ein komplexes Bild der rechtlichen Entwicklung und bieten wichtige Einblicke in die schrittweise Stärkung von LGBTQ+-Rechten im kirchlichen Arbeitskontext.

Der Fall "Egenberger": Wegweisende Entscheidung des EuGH

Ein Meilenstein in der Rechtsprechung war das Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Fall "Egenberger" aus dem Jahr 2018. Obwohl dieser Fall nicht direkt LGBTQ+-Rechte betraf, sondern Religionszugehörigkeit als Einstellungskriterium, hatte er weitreichende Auswirkungen: Der EuGH entschied, dass kirchliche Arbeitgeber nur dann bestimmte Anforderungen an Bewerber stellen dürfen, wenn diese für die konkrete Tätigkeit "wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt" sind. Diese Entscheidung schränkte den Ermessensspielraum der Kirchen erheblich ein.

"Das Egenberger-Urteil hat die Balance zwischen kirchlichem Selbstbestimmungsrecht und Diskriminierungsschutz neu justiert", erklärt Arbeitsrechtsexpertin Prof. Dr. Christine Gerhardt von der Universität Köln. "Es betonte, dass die Kirchen nicht selbst bestimmen können, welche Tätigkeiten eine religiöse Loyalität erfordern – diese Entscheidung unterliegt der gerichtlichen Kontrolle."

Der "Chefarzt-Fall": Gleichgeschlechtliche Ehe und katholische Loyalitätspflichten

Besonders relevant für LGBTQ+-Beschäftigte war der sogenannte "Chefarzt-Fall". Ein katholisches Krankenhaus hatte einem Chefarzt gekündigt, nachdem dieser nach seiner Scheidung erneut geheiratet hatte. Der EuGH entschied 2018, dass eine solche Kündigung nur dann rechtmäßig sein könne, wenn die geforderte Loyalität eine "wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung" darstelle. Das Bundesarbeitsgericht erklärte daraufhin die Kündigung für unwirksam.

Obwohl dieser Fall eine heterosexuelle Wiederheirat betraf, hat er wichtige Implikationen für LGBTQ+-Beschäftigte: "Die Grundsätze dieses Urteils lassen sich auf Fälle übertragen, in denen kirchliche Mitarbeitende wegen ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität gekündigt werden", so Rechtsanwalt Thomas Klein, der auf Arbeitsrecht spezialisiert ist.

BAG-Urteil zum katholischen Kindergarten

Ein direkteres Beispiel für LGBTQ+-bezogene Rechtsprechung ist der Fall eines katholischen Kindergartenleiters, dem gekündigt wurde, nachdem er seine Eingetragene Lebenspartnerschaft öffentlich gemacht hatte. Das Bundesarbeitsgericht stellte 2014 infrage, ob die sexuelle Orientierung eines Mitarbeitenden überhaupt ein legitimer Kündigungsgrund sein kann, und verwies den Fall zurück an die Vorinstanz.

"Dieses Urteil signalisierte bereits vor den EuGH-Entscheidungen, dass die deutschen Gerichte die Autonomie der Kirchen nicht als absolut betrachten", erklärt Christine Lüders, ehemalige Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. "Es gibt eine klare Tendenz, den Schutz vor Diskriminierung zu stärken."

Reaktionen der Kirchen auf veränderte Rechtsprechung

Als Reaktion auf die sich wandelnde Rechtslage haben sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche in Deutschland ihre Arbeitsrichtlinien teilweise angepasst. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat 2022 ihre Loyalitätsrichtlinien überarbeitet und erkennt nun ausdrücklich an, dass die sexuelle Orientierung kein Einstellungs- oder Kündigungsgrund sein darf.

Die katholische Kirche hat 2022 ebenfalls ihren Umgang mit LGBTQ+-Mitarbeitenden gelockert. Die Deutsche Bischofskonferenz beschloss, dass die sexuelle Orientierung und das Eingehen einer zivilen gleichgeschlechtlichen Ehe nicht automatisch arbeitsrechtliche Konsequenzen haben sollen. Dennoch hält die katholische Kirche grundsätzlich an ihren Moralvorstellungen fest.

"Die Kirchen bewegen sich, allerdings in unterschiedlichem Tempo und Ausmaß", kommentiert Michael Brinkschröder vom Netzwerk katholischer Lesben und Schwuler. "Die rechtlichen Entwicklungen haben definitiv Druck ausgeübt, aber es gibt noch immer zahlreiche LGBTQ+-Beschäftigte, die ihre Identität aus Angst vor Konsequenzen verbergen."

Aktuelle Fälle und weitere Entwicklungen

Trotz der positiven Entwicklungen in der Rechtsprechung bleiben Herausforderungen bestehen. Ein aktuelles Beispiel ist der Fall einer trans* Person, der die Stelle als Religionslehrer*in verweigert wurde. Solche Fälle werfen komplexe Fragen auf, da Religionsunterricht traditionell als "verkündungsnahe" Tätigkeit gilt, bei der strengere Loyalitätsanforderungen gestellt werden dürfen.

Der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) fordert eine weitere Einschränkung der kirchlichen Sonderrechte: "Es kann nicht sein, dass öffentlich finanzierte Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft weiterhin Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität diskriminieren dürfen", so LSVD-Vorstandsmitglied Patrick Dörr.

Ausblick: Wohin geht die Reise?

Die Rechtsentwicklung in Deutschland zeigt einen klaren Trend: Die Gerichte suchen nach einem angemessenen Ausgleich zwischen religiöser Autonomie und Diskriminierungsschutz, wobei die Tendenz in Richtung stärkerer Antidiskriminierungsrechte geht. Diese Entwicklung steht im Einklang mit den Debatten in anderen europäischen Ländern, wie dem eingangs erwähnten Beispiel aus Nordirland.

"Die Frage ist nicht, ob sich die Rechtsprechung weiterentwickeln wird, sondern wie schnell und in welchem Umfang", resümiert Rechtsanwältin Sarah Schmidt, die sich auf Antidiskriminierungsrecht spezialisiert hat. "Die Gerichte haben deutlich gemacht, dass das kirchliche Selbstbestimmungsrecht keine 'Carte blanche' für Diskriminierung ist. Diese Klarstellung war längst überfällig und wird künftig zu weiteren bedeutsamen Urteilen führen."

Für LGBTQ+-Personen, die bei kirchlichen Einrichtungen arbeiten oder arbeiten möchten, bieten die jüngsten Entwicklungen Grund zur Hoffnung – auch wenn der rechtliche Schutz noch nicht vollständig dem in anderen Arbeitsbereichen entspricht.

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