Eine neue Untersuchung des Medienprojekts QUEERmdb zeigt einen besorgniserregenden Trend: Die Sichtbarkeit queerer Inhalte im deutschen Fernsehen ist erstmals seit Jahren rückläufig. Der jährlich durchgeführte "LGBTVscan 2024" offenbart, dass von über 15.000 untersuchten Filmen und Serienepisoden lediglich 740 eine für die Handlung relevante LGBTQ+-Figur enthielten – ein Rückgang von 2,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Öffentlich-rechtliche Sender bleiben Vorreiter – mit Einschränkungen
Nach wie vor zeigt sich eine deutliche Kluft zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern. Während 540 der 740 Filme mit queeren Inhalten auf öffentlich-rechtlichen Kanälen liefen, waren es bei den Privatsendern nur 200. Besonders auffällig ist der starke Rückgang beim RBB, der 34 Prozent weniger Filme mit queerem Bezug ausstrahlte. Erfreulich ist hingegen, dass ZDF, HR, ZDFneo, WDR und SWR leichte Steigerungen verzeichneten, während BR, 3sat und MDR sogar zwischen 20 und 30 Prozent mehr queere Inhalte zeigten.
Der Vergleich mit anderen Medienplattformen unterstreicht die Problematik: Während im Kino (10,4%), auf DVD/Blu-ray (9,3%), bei Netflix (8,9%) und Amazon Prime (8,2%) deutlich mehr queere Inhalte zu finden sind, bleibt das deutsche Fernsehen mit 4,9% das mit Abstand am wenigsten diverse Medium für Langfilme.
Privatsender: Gemischte Entwicklung mit bedenklichen Trends
Bei den Privatsendern zeigt sich ein uneinheitliches Bild: Sechs von elf kommerziellen Sendern strahlten im vergangenen Jahr weniger Produktionen mit queerem Bezug aus. Besonders negativ fiel Tele 5 mit einem Rückgang von 30,6 Prozent auf. Andererseits konnte sixx seinen Anteil steigern, und SuperRTL zeigte sogar mehr als doppelt so viele queere Sendungen wie im Vorjahr. Die Schlusslichter bilden Pro7MAXX und RTL mit erschreckend niedrigen Zahlen.
Bedenklich ist auch, dass zur Primetime zwischen 20:15 und 22:00 Uhr nach wie vor kaum queere Filme gezeigt werden. Diese Randplatzierung trägt laut QUEERmdb zur "Marginalisierung von queeren Menschen bei und verringert ihre Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit". In Zeiten zunehmender Trans- und Homofeindlichkeit sei dies "Teil des Problems".
Die #ActOut-Bewegung und der Kampf um Sichtbarkeit
Der aktuelle Rückgang steht im Kontrast zu den Bemühungen der ActOut-Bewegung, die sich für mehr LGBTQ+-Repräsentation vor und hinter der Kamera einsetzt. Im Februar 2021 outeten sich 185 deutschsprachige Schauspieler*innen gemeinsam in der Süddeutschen Zeitung, um auf die mangelnde Sichtbarkeit und Diskriminierung in der Branche aufmerksam zu machen. Diese Initiative hatte zunächst positive Impulse gesetzt, die nun durch die aktuellen Zahlen gedämpft werden.
Deutschland im internationalen Vergleich
Im internationalen Vergleich zeigt sich ein widersprüchliches Bild: Einerseits weist Deutschland eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz von LGBTQ+-Personen auf – laut einer Studie des Pew Research Center halten 87 Prozent der Deutschen Homosexualität für akzeptabel. Andererseits spiegelt sich diese Akzeptanz nicht angemessen in der medialen Repräsentation wider, wie die aktuelle Untersuchung zeigt.
Qualität statt Quantität?
Neben der reinen Anzahl queerer Inhalte bleibt auch die Frage nach der Qualität der Darstellung relevant. Von den 740 Filmen mit queerem Bezug hatten nur 110 eine "LGBT-Hauptthematik" – das entspricht gerade einmal 0,7 Prozent aller ausgestrahlten Filme. Zudem bestanden über drei Viertel (76,4 Prozent) der gezeigten queeren Sendungen aus Wiederholungen. Nur 26 der gesamten 740 Filme waren tatsächliche TV-Premieren – davon lief genau einer auf einem privaten Sender (SuperRTL).
Bemerkenswert ist dabei die Rolle der Filmreihen "RBB Queer", "BR Queer" und "WDR Queer", die für 11 der 26 Erstausstrahlungen verantwortlich waren und damit eine wichtige Plattform für neue queere Filme bieten.
Fazit: Ein Weckruf für die deutsche Medienlandschaft
Die aktuellen Zahlen des "LGBTVscan 2024" sollten als Weckruf für die deutsche Fernsehlandschaft verstanden werden. In einer Zeit, in der weltweit und auch in Deutschland Angriffe auf die LGBTQ+-Community zunehmen, ist eine angemessene mediale Repräsentation unverzichtbar. Die deutsche Fernsehlandschaft steht vor der Herausforderung, den erkennbaren Rückschritt zu überwinden und vielfältigere Inhalte anzubieten – nicht nur in Nischenprogrammen, sondern gerade auch zur Primetime.
Dass das Interesse an queeren Inhalten grundsätzlich vorhanden ist, zeigen die höheren Anteile bei Streaming-Diensten, im Kino und auf dem DVD/Blu-ray-Markt. Die Fernsehsender – insbesondere die privaten – sind nun gefordert, dieser Nachfrage gerecht zu werden und ihren Beitrag zur gesellschaftlichen Akzeptanz und Normalität von LGBTQ+-Lebensrealitäten zu leisten.