Rechtliche Grauzone: Wie der Spiegel den Fall Anastasia Biefang irreführend darstellt

Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde der trans Bundeswehroffizierin Anastasia Biefang für unzulässig erklärt, wie der Spiegel berichtete. Was in der Berichterstattung jedoch nur unzureichend herausgestellt wurde: Das Gericht hat den Fall nicht inhaltlich geprüft oder gar eine Entscheidung zur Diskriminierungsfrage getroffen – sondern die Beschwerde lediglich aus formalen Gründen abgelehnt, da der Verweis bereits nach drei Jahren automatisch getilgt worden war.

Der Fall hinter den Schlagzeilen

Die Geschichte begann 2019, als Biefang, damals Kommandeurin des Informationstechnikbataillons 381 in Storkow, in ihrem Tinder-Profil schrieb: "Spontan, lustvoll, trans*, offene Beziehung und auf der Suche nach Sex. All genders welcome." Für diese Selbstbeschreibung erhielt sie einen disziplinarischen Verweis von ihrem Vorgesetzten – mit der Begründung, sie habe ihrer Pflicht zur Wahrung des eigenen Ansehens als Soldatin nicht entsprochen.

Biefang, die 2017 als erste transgeschlechtliche Person der Bundeswehr zur Kommandeurin ernannt wurde, wehrte sich gegen diesen Verweis und klagte durch mehrere Instanzen. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte im Mai 2022 den Verweis mit der Begründung, dass Biefang ihre Worte nicht so wählen dürfe, dass ihr Ansehen als Soldatin beschädigt werde.

Die missverständliche Darstellung des Spiegel

Der Spiegel berichtet nun, dass Biefang "mit ihrer Verfassungsbeschwerde gescheitert" sei. Was diese Darstellung jedoch verschleiert: Das Bundesverfassungsgericht hat den Fall nicht inhaltlich bewertet. Die Richter haben keine Entscheidung darüber getroffen, ob der Verweis eine Diskriminierung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) darstellte oder ob Biefangs Grundrechte auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und sexuelle Selbstbestimmung verletzt wurden.

Vielmehr erklärte das Gericht die Beschwerde für unzulässig, weil der strittige Verweis gemäß der Wehrdisziplinarordnung bereits nach drei Jahren automatisch getilgt worden war – also bevor die Verfassungsbeschwerde eingereicht wurde. Das Gericht sah daher kein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis mehr, wie aus der veröffentlichten Entscheidung hervorgeht.

Die eigentliche rechtliche Frage bleibt ungeklärt

Die zentrale und gesellschaftlich relevante Frage bleibt somit unbeantwortet: Darf die Bundeswehr als Arbeitgeber in die private Selbstdarstellung ihrer Angehörigen auf Dating-Plattformen eingreifen? Und werden dabei möglicherweise LGBTQ+-Personen besonders benachteiligt, weil sie ihre sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität in solchen Kontexten offener kommunizieren müssen?

Biefang argumentierte in ihrer Verfassungsbeschwerde, dass das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung die Möglichkeit umfasse, sexuelle Kontakte zu suchen und dabei ehrlich das eigene Begehren zu thematisieren. Die Disziplinarmaßnahme komme einem faktischen Verbot der aktiven Nutzung von Datingportalen nahe, was für sie als pansexuelle trans Frau besonders schwer wiege.

Diese substantiellen Argumente wurden vom Bundesverfassungsgericht gar nicht erst geprüft – eine Tatsache, die in der Spiegel-Berichterstattung nicht ausreichend deutlich gemacht wurde. Die Schlagzeile "Bundeswehroffizierin scheitert mit Verfassungsbeschwerde" suggeriert fälschlicherweise eine inhaltliche Niederlage.

Kritische Stimmen zur Medienberichterstattung

Sven Lehmann, Queer-Beauftragter der Bundesregierung, kritisierte die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts bereits 2022 scharf: "Das Urteil ist ein herber Rückschlag für die sexuelle Selbstbestimmung. Es ist nicht einzusehen, warum eine offen gelebte Sexualität negative Auswirkungen auf die Bundeswehr haben soll."

Auch die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die Biefang bei ihrer Verfassungsbeschwerde unterstützte, äußerte sich enttäuscht über die formale Ablehnung: "Dass das Bundesverfassungsgericht die Beschwerde aus formellen Gründen nicht zur Entscheidung angenommen hat, bedeutet nicht, dass die inhaltlichen Fragen geklärt sind – im Gegenteil. Die grundrechtliche Dimension des Falls bleibt ungeklärt."

Parallelen zu anderen Diskriminierungsfällen

Der Fall Biefang reiht sich ein in eine Serie von Rechtsfällen, bei denen LGBTQ+-Personen in Deutschland für ihre Rechte kämpfen müssen. Obwohl die rechtliche Gleichstellung durch Gesetze wie das Selbstbestimmungsgesetz von 2023 voranschreitet, zeigen Fälle wie dieser, dass die praktische Umsetzung oft hinterherhinkt.

Besonders problematisch ist dabei die mediale Darstellung solcher Fälle. Anastasia Biefang hat in der Vergangenheit bereits gegen diskriminierende Berichterstattung geklagt und vom Bundesverfassungsgericht teilweise Recht bekommen. In einem anderen Fall hatte das Gericht festgestellt, dass bestimmte Medienberichte über sie ihre Persönlichkeitsrechte verletzten.

Fazit: Die Wichtigkeit präziser Berichterstattung

Der Fall Anastasia Biefang verdeutlicht, wie wichtig eine differenzierte Berichterstattung insbesondere bei LGBTQ+-Themen ist. Die Darstellung, dass Biefang "mit ihrer Verfassungsbeschwerde gescheitert" sei, ohne den formalen Charakter der Entscheidung klar herauszustellen, kann ein falsches Bild vermitteln. In Wirklichkeit wurde die inhaltlich wichtige Frage des Ausgleichs zwischen dienstlichen Pflichten und sexueller Selbstbestimmung vom Bundesverfassungsgericht überhaupt nicht beantwortet.

Für die deutsche LGBTQ+-Community bleibt der Fall ein Symbol für die anhaltenden Kämpfe um tatsächliche Gleichberechtigung – jenseits formaler Rechte. Die kritische Auseinandersetzung mit der medialen Darstellung solcher Fälle ist dabei ein wichtiges Element, um Vorurteile abzubauen und ein differenzierteres Verständnis für die noch immer bestehenden Herausforderungen queerer Menschen zu fördern.

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