Die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V. (dgti) hat einen Aufruf gestartet, um Erfahrungsberichte zum neuen Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) zu sammeln. Seit dem 1. November 2024 ist das SBGG in Kraft und hat das veraltete Transsexuellengesetz (TSG) von 1980 abgelöst. Die gesammelten Berichte sollen auf der Webseite sbgg.info veröffentlicht und für die zukünftige Pressearbeit genutzt werden.
Worum geht es beim Selbstbestimmungsgesetz?
Das Selbstbestimmungsgesetz ermöglicht es transgeschlechtlichen, intergeschlechtlichen und nichtbinären Menschen in Deutschland, ihren Vornamen und Geschlechtseintrag ohne die bisher notwendigen psychologischen Gutachten und gerichtlichen Verfahren zu ändern. Die Änderung erfolgt nun durch eine Erklärung beim Standesamt, wobei eine dreimonatige Anmeldefrist vor der eigentlichen Erklärung besteht. Nach einer Änderung gilt für eine erneute Änderung eine Sperrfrist von einem Jahr.
"Das Gesetz stellt einen historischen Schritt hin zu mehr Akzeptanz von geschlechtlicher Vielfalt dar", betont der Deutsche Frauenrat und das Institut für Menschenrechte in gemeinsamen Stellungnahmen.
Welche Erfahrungen werden gesucht?
Die dgti bittet besonders Personen, die das Selbstbestimmungsgesetz bereits genutzt haben, ihre Erfahrungen mitzuteilen. Dabei sind insbesondere folgende Aspekte von Interesse:
- Positive Erfahrungen bei der Umsetzung des Gesetzes
- Aufgetretene Hürden und Schwierigkeiten
- Erhaltene Unterstützung während des Prozesses
- Erfahrungen von Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit
- Berichte von Menschen mit Behinderungen
- Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen bzw. deren Bezugspersonen
"Wir möchten ein möglichst breites Spektrum an Stimmen einfangen, um die tatsächlichen Auswirkungen des neuen Gesetzes im Alltag dokumentieren zu können", erklärt die dgti in ihrem Aufruf.
Die Kontroverse um das Selbstbestimmungsgesetz
Trotz der vielen positiven Aspekte gibt es auch kritische Stimmen zum Selbstbestimmungsgesetz. Ein Hauptkritikpunkt ist die fehlende vollständige Selbstbestimmung für Kinder und Jugendliche, die für eine Änderung des Geschlechtseintrags die Einwilligung beider Elternteile benötigen. Ohne diese Einwilligung entscheidet das Familiengericht, was im schlimmsten Fall zu belastenden Begutachtungsverfahren führen kann, wie die SIEGESSÄULE berichtet.
Weitere Kritikpunkte betreffen die automatische Weiterleitung von Meldedaten an staatliche Stellen sowie Bedenken, dass der Gesetzestext in Teilen transfeindliche Narrative bedienen könnte.
Positive Aspekte des neuen Gesetzes
Zu den positiven Neuerungen des SBGG gehören:
- Die Möglichkeit für Ehegatten, alte Namen aus der Eheurkunde streichen zu lassen, um Zwangsoutings zu vermeiden
- Ein Offenbarungsverbot für inter* Personen, das Zwangsoutings als Ordnungswidrigkeit ahndet
- Die Möglichkeit für trans Männer, unter bestimmten Voraussetzungen als „Vater" eingetragen zu werden
- Die Abschaffung aufwändiger und oft als entwürdigend empfundener Gerichtsverfahren
Wichtig zu betonen: Das Selbstbestimmungsgesetz regelt ausschließlich die rechtlichen Aspekte der Geschlechtsänderung und ermöglicht keine medizinischen Leistungen. Diese müssen weiterhin separat mit Krankenkassen und medizinischen Fachkräften abgeklärt werden.
Wie können Erfahrungsberichte eingereicht werden?
Die dgti bittet alle Interessierten, ihre Berichte per E-Mail einzureichen. Persönliche Daten werden selbstverständlich vertraulich behandelt, und es besteht die Möglichkeit, Berichte auch anonym zu veröffentlichen.
"Jede einzelne Stimme trägt dazu bei, ein umfassendes Bild von der praktischen Umsetzung des Gesetzes zu zeichnen", betont die dgti. "Diese Erfahrungsberichte sind unerlässlich, um in Zukunft weitere Verbesserungen für trans*, inter* und nichtbinäre Menschen in Deutschland durchsetzen zu können."
Das Sammeln der Erfahrungsberichte ist Teil eines größeren Monitorings zur Umsetzung des Selbstbestimmungsgesetzes. Die dgti und andere LGBTQ+-Organisationen begleiten den Prozess kritisch und konstruktiv, um Verbesserungspotenziale zu identifizieren und die praktische Anwendung des Gesetzes zu optimieren.