Die Versammlungsfreiheit unter Beschuss – Warum der Kampf um das Demonstrationsrecht uns alle betrifft

Die Versammlungsfreiheit steht weltweit zunehmend unter Druck – ein besorgniserregender Trend, der auch an Deutschland nicht spurlos vorübergeht. Der folgende Artikel, basierend auf einem Bericht von ILGA-Europe, beleuchtet die wachsenden Einschränkungen der Protestfreiheit in Ländern wie Ungarn, der Türkei und Aserbaidschan und zeigt auf, warum diese Entwicklungen auch für die deutsche LGBTQ+-Community von Bedeutung sind.

Unterdrückung von Protesten – ein globales Phänomen

Wenn Staaten öffentliche Proteste unterdrücken, zielen sie nicht nur auf Aktivist*innen ab, sondern höhlen die Rechte aller Bürger*innen aus. Am 8. März nahmen weltweit Menschen am Internationalen Frauentag teil, doch in vielen Ländern wurde ihr Recht zu demonstrieren aktiv unterdrückt. Von Kasachstan über die Türkei bis nach Aserbaidschan setzten Behörden Einschüchterung, Gewalt und rechtliche Drohungen ein, um Versammlungen zu verhindern – ein Muster, das eine breitere Einschränkung der Zivilgesellschaft offenbart. In Ungarn hat die Regierung ihre Bemühungen zur Unterdrückung der Versammlungsfreiheit eskalieren lassen, indem sie ein Gesetz verabschiedete, das Pride-Märsche explizit verbietet und Überwachungsmaßnahmen einführt, um die Teilnahme zu verhindern.

Angriffe auf feministische und LGBTQ+-Proteste

In Kasachstan nahmen die Behörden bereits vor dem Internationalen Frauentag LBT-Aktivistinnen der Organisation Feminita fest und nutzten strafrechtliche und administrative Taktiken, um ihren Aktivismus zu unterdrücken. In der Türkei wurden allein in Istanbul fast 200 Menschen festgenommen, während die Polizei Demonstrationen in mehreren Städten blockierte. In Aserbaidschan wurde der feministische Aktivist Rauf Heydarov zu 30 Tagen Haft verurteilt, nachdem er versucht hatte, am 8. März ein Plakat zu zeigen – die Behörden nutzten fabrizierte Anschuldigungen, um seine Verhaftung zu rechtfertigen.

Ungarn: Von Drohungen zum vollständigen Pride-Verbot

In Ungarn haben sich die Einschränkungen der Versammlungsfreiheit dramatisch verschärft. Was als "Kinderschutzgesetz" begann – ein Verbot der "Darstellung oder Förderung" von Homosexualität gegenüber Minderjährigen, das von EU-Führern, der Europäischen Kommission und dem Europarat als Verstoß gegen internationale Menschenrechtsstandards verurteilt wurde – hat sich zu einem landesweiten Verbot von Pride-Märschen ausgeweitet. Das neue Gesetz kriminalisiert nicht nur diese Veranstaltungen, sondern erlaubt auch den Einsatz von Gesichtserkennungstechnologie, um Teilnehmer*innen zu identifizieren und zu bestrafen. Trotz dieser Verschärfungen bleiben die Organisator*innen des Budapest Pride entschlossen, weiterzumachen – ein Zeichen der Widerstandsfähigkeit der Bewegung angesichts zunehmenden Autoritarismus.

Situation in Deutschland: Versammlungsfreiheit unter Druck?

Auch wenn die Lage in Deutschland nicht so dramatisch ist wie in Ungarn oder der Türkei, gibt es auch hierzulande Anzeichen für Einschränkungen der Versammlungsfreiheit. Während Artikel 8 des Grundgesetzes allen Deutschen das Recht garantiert, sich "ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln", sehen wir in der Praxis zunehmende Herausforderungen. Expert*innen des Verfassungsblogs weisen darauf hin, dass die Balance zwischen Versammlungsfreiheit und vermeintlichen Sicherheitsinteressen immer häufiger zugunsten letzterer ausgelegt wird.

Pride-Veranstaltungen wie der Christopher Street Day fallen grundsätzlich unter den Schutz der Versammlungsfreiheit, doch auch hier können Auflagen und Beschränkungen verhängt werden, die den Charakter der Versammlung beeinflussen. Laut Berichten von Queer.de gab es in den letzten Jahren vermehrt Diskussionen über den Umgang mit Gegendemonstrationen und Störungen von Pride-Veranstaltungen. Diese Entwicklungen erfordern besondere Wachsamkeit, da sie als Vorboten weiterer Einschränkungen dienen könnten.

Ein Indikator für demokratische Gesundheit

Die Entwicklungen in Ungarn, der Türkei, Kasachstan und Aserbaidschan sind keine isolierten Vorfälle. Sie spiegeln einen breiteren Trend wider, in dem Regierungen versuchen, friedlichen und legitimen Protest zu unterdrücken, indem sie öffentliche Demonstrationen einschränken, Frauen- und LGBTQ+-Aktivist*innen ins Visier nehmen und rechtliche Maßnahmen ergreifen, um grundlegende Rechte zu beschneiden. Die Möglichkeit zu protestieren ist ein Schlüsselindikator für die demokratische Gesundheit eines Landes. Wenn Staaten friedliche Versammlungen kriminalisieren, höhlen sie nicht nur die Rechte von LGBTQ+-Personen und Frauen aus, sondern das gesamte Fundament bürgerlicher Freiheiten.

Die Bundeszentrale für politische Bildung betont die zentrale Bedeutung der Versammlungsfreiheit für die politische Teilhabe und Meinungsäußerung. Sie ermöglicht es Bürgerinitiativen und Aktivist*innen, öffentlichkeitswirksam auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen – ein Recht, das in einer funktionierenden Demokratie unerlässlich ist.

Globale Solidarität ist notwendig

Angesichts der wachsenden Bedrohungen muss die internationale Reaktion klar sein. Regierungen, die EU und internationale Institutionen müssen Staaten für diese Verstöße zur Rechenschaft ziehen und entschieden für das Recht auf Protest eintreten. Die Versammlungsfreiheit ist nicht nur ein LGBTQ+- oder feministisches Thema; sie steht im Zentrum der Menschenrechte und der Demokratie. Wenn das Versammlungsrecht einer Gruppe eingeschränkt wird, steht die Fähigkeit aller Menschen, sich zu organisieren und Veränderungen zu fordern, auf dem Spiel.

In Deutschland sollten wir uns nicht in falscher Sicherheit wiegen. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar mehrfach betont, dass Einschränkungen der Versammlungsfreiheit nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässig sind, doch die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, wie schnell grundlegende Rechte ausgehöhlt werden können. Die deutsche LGBTQ+-Community muss daher sowohl wachsam bleiben als auch internationale Solidarität zeigen – denn das Menschenrecht, sich zu versammeln und zu protestieren, muss geschützt, verteidigt und durchgesetzt werden.

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